487. Der Glasschybätodo zu Spiringen

[32] hatte seine Behausung in einem kleinen Stalle bei einem Ahornbaum unter der alten Schächentalerstrasse in der Hostet am vordern Mühlebach. Jede Nacht machte er einen Rundgang vom vordern zum hintern Mühlebach1. Einem[32] Ratsherrn von Unterschächen, der auf einem weissen Rösslein jeweilen aus dem Rate von Altdorf her geritten kam, aber auch andern Personen, gab er das Geleite, indem er stumm zu ihrer Seite einherschritt.

Ein noch lebender Spiringer wagte es einst auf der Brücke über den hintern Mühlebach den merkwürdigen Stallbewohner mit den Worten herauszufordern: »Glasschybähundli, chum-is chu zindä!« und dann in seiner Behausung zu necken, indem er zum Heutor, das gerade Strassenhöhe hatte, hineinrief: »So, so Todooli! was machisch? Dä hesch di mein-i v'r-schlafä!« Des andern Morgens war aber sein Gesicht derart angeschwollen, dass er mehrere Tage das Bett hüten musste. Das Maul war ganz schief und auf einer Seite, und nur mit einem Spitzlöffel konnten sie dem Mann flüssige Nahrung eingiessen. Wo sonst die Nase hervorguckt, war eine Tuolä.

Auch die Balmwand hinauf bis über den Klausen sah man einen wandlen, sein Glasauge leuchtete so stark, dass man aus den Schächentalerbergen seinen ganzen Marsch beobachten konnte. Er wanderte im Sommer häufig durch die Alpen. Auf der öffentlichen Tanzdiele zu Spiringen übernachtete er nicht selten.

Auf Franz-Tonis Hausstiege im Teldig (1290 Telgingen) soll noch zu Menschengedenken einer, oft am hellen Tage, gesehen worden sein, und zu Unterschächen tönte ein Bürger an öffentlicher Gemeinde an: »Ja, ja! der Glasschybätodo im Acherli!«


Zacharias und Daniel Imholz u.a.m.


Fußnoten

1 In dieser Gegend finden sich die alemannischen Siedelungen: Hergeringen, Mangelingen, Heilprechtingen, Isenprächtingen und wahrscheinlich das verschollene Munigingen. Bürglen, Spiringen und Unterschächen sind überhaupt sehr reich an Ortsnamen dieser Art. Auch der stattlichste unter den Allmendnussbäumen im Holden, einer Gegend zwischen Ried und Sigmanig, hiess der »heelig Nussbaum.«

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 32-33.
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