1554. Das Gespenst auf dem Schneiderstein.

[311] Ob Amsteg, am Wege gegen Brunni, heisst eine Stelle »bim Schnyderstei«. Dort hielt sich ein Gespenst auf und belästigte zur Nachtzeit die Menschen, die diesen Pfad begingen. Die Leute auf dem gegenüberliegenden Frentschenberg haben oft auf diesem Platze ein nächtliches Licht beobachtet.

Eines Abends verfolgte es auch den Ratsherr Eller in der Rütti, einen weithin bekannten, furchtlosen Schützen und Hochwildjäger. Er lief, soviel er mochte – und erstellte sich erst bei der Lychkirmi auf Brunni, vermeinend, das Gespenst werde vor dem Helgenstöckli und vor dem Privateigentum der Leute Respekt haben und von der Verfolgung ablassen. Aber darin täuschte er sich. Es trieb ihn weiter bis in die Rütti. Jetzt auf eigenem Grund und Boden sich erstellend, rief er: »Hie ha-n-ich Rächt und Grächtigkeit, ich stah uf mym Eigätum!« Auch dieser Appell an das Rechtsgefühl war umsonst. Es jagte ihn vorwärts bis in sein Haus hinein, wo er, wie Augenzeugen berichten, zitternd und schweisstriefend, ganz abgemattet in einen Sessel sank.


Mitgeteilt von Josef Baumann, Pfarrhelfer.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 311.
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