1183. Der dienstfertige Alpgeist.

[93] Als einst der Chählä-Jaggli von Gurtnellen vom Besuche des sonntäglichen Gottesdienstes in die Gornernalp zurückkehrte und beim Eingang in die Alp jauchzte, da jauchzte es ihm zu seinem Erstaunen von seiner Hütte zu Balmen entgegen. Er marschierte weiter, und nochmals liess er einen fröhlichen Jauchzer erschallen. Dasselbe Echo von der Hütte her! Dort angelangt, fand er alles zum Melken bereit und gerüstet. Von jetzt an war ihm während des ganzen Sommers eine unsichtbare Hand bei all seinen Arbeiten behilflich. Als[93] er im Herbstmonat die Alp räumte, hörte er »es« jämmerlich flennen und schreien. So ging es mehrere Sommer. Zuletzt beriet er sich mit seiner Frau und fragte: »Äh, wennd's nu einisch äso flännet, sol-i riäfä, äs chenn mit mer chu?« Sie hingegen meinte, er solle das nicht tun. »Wom-mier ja susch afigs d'Stubä vollä Chind hend, hätt das Umghyr ja kei Platz meh.« Am nächsten Herbst weinte und flennte »es« wieder so barmherzig, dass es ihn beelendete, und er sein Herz nicht verschliessen konnte. Er rief: »Ohni Schadä-n- und Nachteil fir ys und Kind channsch dü ja mit mer chu!« Wie er die Grenzen der Alp überschritten, fühlte er es (het's gwahret) Tritt für Tritt ihm folgen und daheim beim Eintritt in das Haus unter seiner Achsel hindurch in das Haus hineinschlüpfen.

Das Ungeheuer blieb jetzt immer beim Jaggli, und er hatte Glück sein Leben lang. Im Hause liess es sich nie hören und war niemandem im Weg; nur wenn es schlechtes Wetter gab, hörten sie die Kammertüre zweimal auf- und zugehen. (19. Jahrhundert).


Johann Tresch, Präzis und a.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 93-94.
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