4. Die Geisterküche.

[7] Ein Siegrist hatte einen Sohn, der war so wild und unbändig, daß der Vater mit sich zu Rate ging, wie er seinen Übermut dämmen könnte. Fürs erste stellte er einen Strohmann in den Kirchturm und schickte dann den Knaben bei Nacht in den Turm hinauf, noch die Uhr aufzuziehen. Aber der Junge schlug einfach den Popanz über die Stiege hinunter und brachte ihn lachend in die Stube herein gehuckelt. Da merkte der Vater, hier müsse man etwas Klügeres tun und ließ ihn das Schneiderhandwerk lernen, um ihn in die Fremde zu schicken, damit er sich hier die Hörner abstoße. Der Junge blieb aber der gleiche.

Auf seiner Wanderschaft wollte er einst mitten im Walde in einem einsam liegenden Häuschen übernachten; aber niemand öffnete, und er erbrach zuletzt die Türe. Kein Mensch war drinnen, doch brannte auf dem Tisch ein Licht. Während er sich's dabei bequem machen wollte, kamen zwei Männer in die Stube getreten, die ihn einige Zeit anstutzten, dann aber nach kurzem Gespräche ihm gestanden, das Haus habe gar keinen Herrn mehr; denn es sei gespenstisch; ihnen aber diene dieser Umstand dazu, ihre Diebereien hier verbergen zu können. Als der Geselle weiterfragte, vernahm er, eine weiße Frau hüte hier einen Schatz und erscheine regelmäßig um die Geisterstunde. Nun verbündeten sie sich zu dritt, heute diesen Schatz zu erheben.

Bis Mitternacht war es aber noch lange, der Hunger war nicht gering;[7] und weil die Diebe Mehl und Schmalz im Hause hatten, suchte der Geselle ein Mahl zu rüsten, machte in der Küche ein Feuer und in kurzer Zeit stand er schon am Herde. Da hörte er, noch ehe die Mitternachtsstunde da war, aus dem Schlot herunter eine Stimme rufen: »Flieh, oder ich falle!«

»Nur zugefallen!« antwortete er unbesorgt, und gleich fiel ein Schenkel durch den Kamin herab auf den Herd. Er schleuderte denselben in einen Winkel der Küche, tat die Pfanne wieder übers Feuer und röstete weiter an den Schmalzküchlein. Bald hörte er die Stimme aus dem Schlote abermals und gab abermals dieselbe Antwort; da lag der andere Schenkel vor ihm am Herde. Er warf ihn zum ersten, und so ging es fort, bis zuletzt alle Glieder und Stücke eines Menschenkörpers da waren. Sobald er auch den Kopf zu den übrigen Teilen geworfen hatte, fügte sich alles zusammen, ein großer Mann richtete sich hinten in der Küchenecke auf und trat zu ihm heran. Der Bursche fragte ihn höhnisch, wo er denn sein Weib habe? »Sie wird nachkommen«, antwortete der Mann. »Um so besser«, sagte der Geselle, »setze dich also derweilen dort in jene Ecke.« Der Mann gehorchte, und der Geselle trug nun sein fertiges Gericht auf.

Als er mit der Schüssel über den Hausgang in die Stube gehen wollte, kam ihm eine schneeweiße Frau entgegen. »Aha«, sagte er, »das ist wohl diejenige, welche hier den Schatz hütet. Nun ja, so mag sie vor der Hand zu Tisch kommen und ihren Mann, der dort im Winkel sitzt, mit herein bringen.« So ging er mit der Schüssel voran in die Stube, und das Paar folgte ihm. Alle saßen zu Tisch, jedoch wollten die Geister nichts genießen. Nach dem Essen forderte der Geselle die Frau auf, ihm die Mittel anzugeben, wie sie erlöst werden könne, und versprach ihr, standhaft und beherzt bleiben zu wollen. Nun ging sie ihm bis zu einem altertümlichen Bett voran, in welchem ein[8] gewichtiger Schlüssel lag; dieser paßte im Hauskeller zu einer Eisentüre, und nach dreimaligem Umdrehen ging das Schloß auf. Die Frau trat mit dem Licht hinein. Da erblickten sie im Gewölbe einen Hahn mit feurigem Kamm, der sich auf dem Rücken eines gewaltigen Zottelhundes ausspreizte. Der Hund aber kauerte knurrend auf einer großen Kiste, während der Hahn dazu krähte, daß er sich selber fast überpurzelte. Der Schneider ließ sich von allem nicht dumm machen. Aller Grimassen ungeachtet, verscheuchte er erst die Ungetüme und schloß, sobald sie zum Keller draußen waren, die Türe zu. Dann legte er wohlbesonnen sein Schurzfell ab. Mit dem zweiten Schlüssel, den ihm nun die weiße Frau aushändigte, öffnete er die Kiste, und sie lag bis oben voll Gold. Sogleich aber warf der Geselle sein Schurzfell darüber, weil er wußte, daß man jedem Geisterschatze, der nicht mehr entweichen soll, etwas von unsern eigenen Sachen beilegen muß. Kaum war dies geglückt, so sagte er der weißen Frau und ihrem Manne: »Jetzt könnt ihr gehen«, und augenblicklich waren beide verschwunden. Nachher haben sich die drei, der Schneider und die Diebe, die Schätze friedfertig geteilt, und der alte Siegrist sah seinen Sohn als reichen Mann wiederkehren.[9]

Quelle:
Sutermeister, Otto: Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Aarau: H.R. Sauerländer, 1869, S. 7-10.
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