11. Wem Gott hilft, dem kann Niemand schaden.

[89] Es war einmal ein Mann und ein Weib, die hatten drei Söhne. Der Jüngste war der schönste und auch der gutmüthigste, weßhalb ihn die andern beiden Brüder für einen Narren hielten. Alle Drei wuchsen heran und waren schon heirathsfähig; doch der Vater verheirathete nicht Einen, denn er war arm.

Da sprach einmal der Aelteste: »Vater, ich wünsche daß du mich verheirathest.« Und wie dies de Mittlere hörte, da sprach auch er: »Ich wünsche das Gleiche, Vater, auch ich bin heirathsfähig,« und als dies der Jüngste hörte, da sprach auch er: »Und ich habe denselben Wunsch, Vater, denn auch ich bin heirathsfähig.« Nun war der Vater in Verlegenheit, und fing an sich mit seinem Weibe zu besprechen, was da zu thun sei. Zuletzt verabredeten sie sich folgender Maßen: Der Vater rief die Söhne zu sich und sprach zu ihnen: »Geht in die nächst beste Stadt und verdingt Euch dort für ein Tuch, und wer mir das schönste Tuch heim bringt, den will ich verheirathen.« Da gingen sie denn alle Drei miteinander fort; die beiden Aelteren aber fingen unter Wegs den Jüngeren zu schimpfen und zu verspotten an, und jagten ihn zuletzt gar von sich, worauf dieser einen anderen Weg einschlug, indem er Gott bat, er möge ihm gutes Glück[90] verleihen. Und wie er so ging, da kam er an einen Fluß, jenseits des Flusses lag eine große Stadt und in dieser lebte eine schöne Prinzessin. Sie war die einzige Tochter, welche der Kaiser dieser Stadt, der sehr böse und schlimm, und erst vor Kurzem gestorben war, hinterlassen hatte. Diese Prinzessin ward von Vielen gefreit, aber nicht Einer von den Freiern, die in ihr Schloß kamen und dort übernachteten, erwachte mehr zum Leben, indem der Kaiser sich in einen Vampyr verwandelt hatte, und in der Nacht kam und Jeden erwürgte.

Als nun der jüngste Bruder an jenes Wasser kam, und längs demselben sich erging, überlegend wie er wohl auf die andere Seite gelangen könnte, da erblickte ihn die Prinzessin aus ihrem Fenster, und befahl ihren Dienern hinüber zu fahren, und ihn ihr vorzuführen. Vor der Prinzessin erscheinend, wurde er ein wenig verwirrt und schämte sich, die Prinzessin aber fand solches Wohlgefallen an ihm, daß sie den Blick von ihm nicht abwenden konnte, und ihn fragte wo er her sei, und wohin er wolle, und da sagte er ihr wer er sei, und erzählte ihr umständlich daß er noch zwei Brüder habe, und wie sie alle Drei zu heirathen wünschten, daß aber der Vater arm sei und daher gesagt habe: Jeder möge ein Tuch heimbringen, und der das Schönste bringe, den wolle er verheirathen.

Nachdem die Prinzessin dies Alles vernommen hatte, sprach sie: »Du sollst diesen Abend hier bleiben und bei mir übernachten, Morgen wollen wir dann für ein Tuch sorgen.« Als es Abend ward, da gab sie ihm zuerst fein zu essen und zu trinken, dann führte sie ihn in ein Zimmer das[91] ganz grün war und sagte ihm: »Erschrecke nicht, wenn man in der Nacht kommen und um dich herumpoltern wird, man wird dir Angst machen wollen, aber sei wacker und fürchte dich nicht.« Er aber konnte in seiner Einfalt vor Erstaunen kein Auge zuthun, sondern verwunderte sich in einemfort, wo er hingerathen wäre. Da fing plötzlich um Mitternacht ein Gepolter im Zimmer an, und er hörte schreien: »Dieser ist gekommen das Reich zu übernehmen, dem können wir Nichts anhaben.« Er aber betete ohne Aufhören und so verging die Nacht, und er blieb am Leben und gesund; sobald das Morgenroth erglänzte, stand er auf und setzte sich hin. Im Schlosse aber glaubten Alle, sie würden ihn todt aus dem Zimmer schleifen, wie all die andern Freier.

Als nun die Prinzessin einen ihrer Hofleute hinschickte nachzusehen, ob er noch am Leben sei, und wenn er am Leben, ihn gleich vor sie zu führen; wie groß war da die Verwunderung des Höflings, ihn gesund und unversehrt im Zimmer sitzen zu finden. Da sprach er zu ihm: »Komm, unsre Kaiserin ruft dich.« Und wie er zu ihr hinkam, war sie selbst erstaunt ihn noch am Leben zu finden, und sie reichte ihm ein Frühstück; nachdem er es verzehrt hatte, gab sie ihm in Papier gewickelt ein seidenes, mit Gold durchwirktes Tuch, indem sie sagte: »Dies bringe deinem Vater, und sollte er dir noch etwas sagen, komm wieder her zu mir.« Er dankte ihr für das Tuch und das Nachtlager, und ging heim, und wie er nach Hause kam, waren die zwei anderen Brüder auch schon gekommen. Da zog ein Jeder sein Tuch[92] hervor, die ihrigen waren ganz gewöhnlich, als aber er das Seine hervor holte, waren Alle voll Verwunderung, und die zwei Brüder fielen über ihn her: »Wie kommst du zu dem? das mußt du irgendwo gestohlen haben.« Und um sie zu besänftigen, sprach der Vater: »Wißt ihr was? geht nochmal in die Welt, und wer mir eine Kette bringt, die neun Mal um unser Haus reicht, den will ich verheirathen.« So beruhigten sich die Brüder, und die beiden älteren gingen wohin es ihnen am besten dünkte, während der jüngste geradeswegs zur Prinzessin ging. Und als er vor sie trat, da fragte sie ihn: »Was hat dir nun der Vater gesagt?« er antwortete: »Er hat gesagt, ich möge eine Kette bringen, die neun Mal um unser Haus reiche.« Da gab sie ihm wieder fein zu essen und zu trinken, worauf sie ihn in ein gelbes Zimmer führte und zu ihm sprach: »Fürchte dich nicht, wenn man in der Nacht wieder kommen wird, dich zu schrecken, Morgen wollen wir dann für eine Kette sorgen.« Und wieder kamen auch diese Nacht die bösen Geister und verbreiteten Schrecken um ihn her, doch er blieb unversehrt und am Leben. Als der Tag anbrach, nahte abermals ein Höfling und führte ihn zur Prinzessin. Und diese gab ihm wieder ein Frühstück, und nachdem er gegessen hatte, reichte sie ihm ein kleines Schächtelchen und sprach: »Dies bringe deinem Vater, öffne es aber bei Leibe nicht, bis du nach Hause kommst, und sollte der Vater dir noch etwas sagen, so komm nur wieder zu mir.« Da dankte er ihr schön, und ging nach Hause, wo er auch schon seine Brüder traf. Die hatten zwar Ketten[93] gebracht, aber so kurze, daß man sie auch nicht einmal ums Haus ziehen konnte; da gab der Jüngste dem Vater das Schächtelchen, und wie dieser es öffnet, zog er daraus eine goldne Kette hervor, daß sich Alle verwunderten, die älteren Brüder aber fielen über ihn her, als wollten sie ihn umbringen: »Du wirst noch unser Haus zu Grunde richten, denn gewiß hast du dies irgendwo gestohlen.« Der Vater, der sich wieder bemühte sie zu besänftigen und zur Ruhe zu bringen, sagte ihnen zuletzt: »Geht und holt euch Jeder ein Mädchen, so will ich euch alle Drei verheirathen.« Da gingen denn die älteren Brüder wieder hin wo es ihnen am besten dünkte, der jüngste aber begab sich gerades Weges zur Prinzessin, und erzählte ihr Alles was der Vater gesagt hatte. Die Prinzessin sprach: »Nun mußt du noch in einem Zimmer schlafen, dann wollen wir auch für ein Mädchen sorgen.« Hierauf gab sie ihm wieder zu essen und zu trinken, und führte ihn in ein rothes Zimmer, dort zu übernachten.

In dieser Nacht stand er aber viel größeren Schrecken aus, als in den beiden vorhergehenden. Das war ein unaufhörliches Geschrei, ein fürchterliches Gepolter, ein Kettengeklirr, und entsetzliche Stimmen riefen darunter: »Der will mein Reich übernehmen!« auch zerrten sie ihn bei den Kleidern, aber ihn selbst zu berühren wagten sie nicht, denn er betete in einem fort, und Gott erhielt ihn gesund auch diese Nacht.

Den nächsten Tag, als man ihn gesund und lebend vor die Prinzessin brachte, ließ sie Barbiere kommen, die ihn[94] barbieren und waschen mußten, worauf sie herrliche Gewänder herbeibrachte, und als er die angezogen hatte, setzte sie sich mit ihm in einen schönen Wagen, fuhr nach der Kirche und ließ sich mit ihm trauen. Hierauf veranstalteten sie in ihrem Schlosse Festlichkeiten drei Tage lang, und als diese vorüber waren, begaben sie sich zu seinem Vater und kamen Nachts in dem Dorfe an. Wie sie aber vor dem Hause hielten, hörten sie jauchzen und sahen, daß da große Festlichkeit war; denn eben verheiratheten sich seine beiden Brüder. Da rief er, der Jüngste, ins Haus hinein: »He, Hausvater!« Wie das der Vater hörte, eilte er vor das Haus und wunderte sich ob der unverhofften Gäste. Und da fragte ihn sein Sohn: »Können wir nicht hier übernachten?« und der Vater antwortete: »Herzlich gern, aber wir feiern heute Hochzeit, und da wir nicht viele Zimmer haben, würden Euch die gemeinen Leute stören und durch ihr Geschrei betäuben.« Doch der Sohn erwiederte: »Das sei deine geringste Sorge, ich freue mich des Festes und habe nie einer Hochzeit beigewohnt, und auch meiner Frau wird es nicht unangenehm sein.« Und so gingen sie denn in das eine Zimmer, während in dem andern Hochzeit gehalten wurde. Und als sie eintraten und sichs da bequem machten, kam seine Mutter, verneigte sich vor ihm, als einem so vornehmen Herrn, und er sprach zu ihr: »Heil dir, da du zwei Hochzeiten an einem Tage in deinem Hause hast.« Worauf sie ihm antwortete: »Ach meine Herrschaften, auf der einen Seite habe ich Lustbarkeit und auf der anderen Schmerz, denn ich hatte noch einen dritten Sohn,[95] der in die Welt gegangen aber verschollen ist, so daß nur Gott weiß, wie es ihm geht und wo er sich befindet.« Nach einer Weile ging er hinaus und zog über die prächtigen Kleider sein früheres altes, ärmliches Gewand, drückte den Hut tief ins Gesicht, ging in jenes Zimmer wo es lustig herging, und stellte sich unter die Thüre. So wie ihn die Brüder erblickten, riefen sie den Vater und die Mutter: »Wo seid ihr, schaut hier eueren viel gepriesenen Sohn, der in der Welt herum streift und stiehlt!« Und als der Vater seiner ansichtig wird, sprach er: »Unglücklicher, wo hast du bis jetzt gesteckt? wo hast du dein Mädchen?« Und die Mutter fing an zu klagen: »Weh mir Aermsten! warum betrübst du mich so sehr?« Er aber, als er alles hörte und sah, rief aus: »Ach, scheltet nur nicht so, wills Gott es soll Alles gut gehen,« und mit diesen Worten warf er seine dürftigen Kleider von sich, und stand da in seinen prächtigen; und die Brüder erschraken, wie sie dies sahen, und baten ihn um Vergebung, und Vater und Mutter umarmten und küßten ihn. Hierauf begann das Fest von Neuem und dauerte einige Tage, dann führte der jüngste Sohn Vater und Mutter mit sich, seinen Brüdern aber gab er viele Güter, daß sie bis an ihr Ende anständig leben konnten.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 89-96.
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