10. Wieder vom Schlangenbräutigam.

[81] Es war einmal eine Kaiserin, die hatte keine Kinder und immer bat sie Gott, er möge sie doch segnen. Eines Abends, als sie eben betete, da seufzte sie tief auf und sprach: »So gieb mir doch, o Gott, ein Kind, und wäre es auch eine grimmige Schlange.« Kurze Zeit darauf fühlte sie, daß Gott ihr Gebet erhört habe, und als die Zeit herum war, gebar sie eine Schlange, welche sie pflegte, säugte und ernährte wie jede Mutter ihr Kind.

Zwei und zwanzig Jahre gab die Schlange keinen Laut von sich, als aber das zwei und zwanzigste Jahr zu Ende war, da redete sie mit einem Male und sprach zu Vater und Mutter: »Nun will ich, daß ihr mich verheirathet.« Worauf sie ihm antworteten: »Aber wer wird einer Schlange ein Mädchen geben, und welches Mädchen wird sich mit einer Schlange vermählen wollen?« »Deshalb,« antwortete die Schlange, »sollt ihr auch gar nicht darauf sehen, daß es von kaiserlichem Geblüte oder sonst von hoher Herkunft sei, sondern um Eines freien, das gerne kommt in unserm Lande zu leben.« Da sagten ihm Vater und Mutter, er möge sich selbst Eines wählen. Und da fand er wirklich eine Waise, und schickte den Vater hin, daß er für ihn um sie werbe. Der Vater ging und warb um das Mädchen, und dieses in seiner Armuth und[82] Verlassenheit war darüber erfreut und willigte gerne ein. Hierauf gab er ihr den Ring, führte sie mit sich, vermählte sich und die junge Frau lebte nun wirklich mit der Schlange und denke dir, bekam auch Hoffnung zu einem Kinde.

Da sprach eines Tages die Schwiegermutter zu ihr: »Aber Tochter, um Gottes Willen, wie ist es möglich daß du mit einer Schlange lebend gesegnet gehst?« Lange wollte die junge Frau nicht mit der Wahrheit heraus, aber als die Schwiegermutter einige Tage hinter einander mit Fragen in sie drang, entdeckte sie ihr zuletzt, daß ihr Mann keine Schlange sei, sondern ein Jüngling wie es keinen schönern auf der Welt mehr gebe, »den Tag über,« sprach sie, »ist er eine Schlange, doch so wie es Abend wird, streift er sein Schlangenhemd ab, und ist ein Jüngling von den schönsten dieser Welt. Könnte er nur bei Tage so sein, wie er des Nachts ist! doch wie die Morgenröthe blinkt, schlüpft er in sein Hemd und ist wieder eine Schlange.« Als die Schwiegermutter dies vernahm, war sie hoch erfreut und sprach zu ihrer Schnur: »Wenn es sich so verhält, dann wollen wir schon machen daß er für immer verbleibt was er jetzt nur in der Nacht ist.« Und hierauf verabredeten sie sich, was sie thun wollten. Als es Abend ward, da streifte der Jüngling wie sonst sein Schlangenhemd ab, that es unter das Kopfkissen und legte sich schlafen. Wie er nun im ersten Schlafe lag, zog die Frau ihm sachte die Schlangenhaut unter dem Kopfe weg, und reichte sie der Mutter zum Fenster hinaus, welche sie alsogleich ins Feuer warf. So wie aber die Haut[83] zu brennen anfing, sprang der Jüngling auf und rief aus: »Was hast du gethan? Möge Gott dich strafen! Jetzt siehst du mich noch, von nun an aber nicht eher, als bis Du, mich suchend, eiserne Schuhe zerrissen und einen eisernen Wanderstab zerbrochen hast, und nicht eher sollst du von dem Kinde entbunden werden, das du unter deinem Herzen trägst, als bis ich dich mit meinem rechten Arm umschlinge.« Und mit diesen Worten verschwand er. Nachdem die junge Frau drei volle Jahre mit dem Kinde unter ihrem Herzen ging, ohne gebären zu können, faßte sie zuletzt den Entschluß, ihren Mann zu suchen. Und sie ließ sich Schuhe machen von Eisen und einen eisernen Stab, und ging fort in die Welt. Und wie sie ihn allenthalben suchend durch die Welt zieht, da kommt sie auch zur Mutter der Sonne, die heitzt eben den Backofen, und scharrt mit bloßen Händen die Gluth aus. Wie die Junge dies sieht, da reißt sie schnell den Saum ihres Kleides ab, und wickelt damit der Sonnenmutter die Hände ein, und da fragt sie diese: »Wie kommst du hierher, himmlisches Seelchen?« Und sie antwortet: »Ach das Unglück hat mich hergetrieben,« und hierauf erzählte sie ihr, was sie schon gelitten, wie sie der Mann verflucht habe, und wie sie nun durch die Welt gehe ihn zu suchen, »und,« sprach sie, »deshalb bin ich auch gekommen, deine Tochter zu fragen, ob sie mir nicht von ihm Kunde geben könnte, ob sie ihn nicht vielleicht irgendwo gesehen hat, da ja ihr Weg sie durch die ganze Welt führt.« Die Sonnenmutter empfand Mitleid und sagte: »verstecke dich hinter der Thüre; denn sieh, schon kommt die Sonne[84] ermüdet heim, vielleicht haben sie auch die Wolken geärgert, und da könnte sie dir leicht in ihrem Zorne ein Leid thun, deshalb verhalte dich da ganz stille bis sie sich ausgeruht hat.« Kaum hatte sie sich hinter der Thüre versteckt, sieh, da kam auch schon die Sonne, und der Mutter einen guten Abend wünschend, sprach sie: »Mutter, ich rieche hier ein Menschenkind.« »Bei mir ist Niemand, Tochter,« sprach da die Mutter, »kann ja nicht einmal ein Vogel herauf fliegen, wie sollte ein Menschenkind zu uns gelangen?« »Und doch ist Eines da, Mutter,« erwiederte die Sonne, »heiß es hervorkommen, ich will ihm Nichts thun.«

Da kroch denn die Arme hervor, erzählte der Sonne ihr ganzes Unglück und sprach am Ende: »Glühende Sonne! die du die ganze Erde erleuchtest, hast du nicht irgendwo einen Menschen, der so und so aussieht, gesehen?« Die Sonne antwortete: »bei Tage hab ich ihn nirgends gesehen, du aber gehe zum Monde und frage, ob nicht er ihn vielleicht bei Nacht gesehen hat.« Beim Weggehen schenkte ihr die Sonnenmutter einen goldnen Spinnrocken mit einer Raufe goldnen Flachses und einer goldnen Spindel. Als sie zum Monde kam, fand sie auch dessen Mutter allein zu Hause, küßte auch ihr die Hand und sprach: »Gott helfe dir, Mutter des Mondes!« worauf diese ihr erwiederte: »Möge Gott dir helfen, himmlisches Seelchen, wie kommst du hieher?« Da erzählte die Arme ihr alles das Unglück welches sie getroffen, sagte ihr wie sie bei der Sonne gewesen, zeigte ihr, was die Sonnenmutter ihr geschenkt, und[85] daß die Sonne sie hergeschickt habe, den Mond zu fragen ob nicht er vielleicht irgendwo ihren Mann gesehen. Da sagte ihr die Mutter des Mondes: »verstecke dich ein wenig hinter der Thüre, denn gleich wird der Mond zornig und müde heimkommen,« und kaum hatte sie sich versteckt, war auch schon der Mond da, und wie er kommt, ruft er der Mutter guten Morgen zu und spricht: »Ich rieche hier ein Menschenkind.« »Bei mir ist Niemand,« entgegnete ihm die Mutter, »kann ja nicht einmal ein Vogel herauffliegen, wie sollte erst ein Menschenkind zu uns gelangen.« »Und doch, Mutter, doch ist eines hier, heiß es aber nur hervorkommen, ich will ihm kein Leid thun.« Da kam die Arme hervor und erzählte ihm Alles umständlich, und fragte ihn zuletzt: »Glänzender Mond, der du die ganze Nacht über der Erde leuchtest, hast du nicht vielleicht einen Mann gesehen, der so und so aussieht?« Der Mond antwortete ihr: »Himmlisches Seelchen! ich habe ihn bei Nacht nirgends gesehen, geh aber zum Winde und frag den, er, der Holz und Steine umwälzt und überall eindringt, er wird ihn wohl gesehen haben.« Beim Weggehen schenkte ihr die Mutter des Mondes eine goldene Henne mit jungen Küchlein. Und sie ging auch noch zur Mutter des Windes, und erzählte auch dieser, was sie erlitten habe und wie sie gekommen sei, ihren Sohn, den Wind zu fragen, ob nicht er irgendwo einen Mann begegnet habe, von solch und solchem Aussehen? Da sagte ihr auch die Mutter des Windes: »Verbirg dich da hinter der Thüre, denn im Augenblick wird mein Sohn kommen, der könnte[86] dich in Stücke reißen!« Und kaum hat sich die Arme hinter der Thüre versteckt, sieh, da ist auch schon der Wind, der bläst und bricht und zerstört und kehrt Alles von oben nach unten, was er nur findet, und er selbst ist ganz zerkratzt und zerrissen, und wie er kommt, ruft er der Mutter ein Gott helfe dir entgegen und spricht: »Mutter, hier riecht es nach einem Menschenkinde.« »Gott mit dir, mein Sohn!« antwortete ihm die Mutter, »wie sollte ein Menschenkind zu uns gelangen, da nicht einmal ein Vogel herauffliegen kann.« Aber der Wind antwortete ihr: »Doch Mutter, doch ist eines hier, aber heiß es ungescheut hervorkommen, ich will ihm kein Leid thun.« Und so kam sie denn hervor und erzählte auch dem Winde ihr Mißgeschick. Da sprach der Wind: »Ich habe deinen Mann gesehen, aber er ist gar fern in einem andern Reiche, dort hat er sich verheirathet und regiert nun. Meine Mutter wird dir aber einen goldnen Webestuhl sammt goldnem Garn und einem goldnen Schiffchen schenken, und wenn du in jene Stadt kommst, stelle du vor dem kaiserlichen Schlosse den Webestuhl auf und webe, und die Henne mit den Küchlein laß um dich herumlaufen und füttre sie, und auch den goldnen Spinnrocken stelle neben dich.« Und sie nahm sich vor alles zu befolgen.

Als sie aber jene Stadt betrat, sieh, da fingen die Schuhe zu zerreißen an und der Wanderstab brach entzwei, da stellte sie vor dem kaiserlichen Schlosse ihren Webestuhl auf und ließ die Henne mit ihren Küchlein herumlaufen, stellte auch den Rocken neben sich und fing an zu weben. Wie die[87] Kaiserin vom Schlosse aus sie erblickte, da sprach sie zu sich selbst: »O mein Gott, bin ich doch eine Kaiserin, und habe weder einen goldnen Webestuhl noch einen solchen Rocken, noch eine goldne Henne mit solchen Küchlein,« und schnell schickte sie ihren Diener die Frau zu fragen, ob ihr die Sachen feil wären? diese aber sprach: »Verkaufen will ich sie nicht, wenn mich aber die Kaiserin eine Nacht in dem Gemache des Kaisers schlafen läßt, will ich ihr meinen Spinnrocken geben.« Da gab die Kaiserin ihrem Gemahle einen Schlaftrunk und erlaubte der Frau bei ihm zu schlafen. Sobald aber der Kaiser sein Haupt auf das Kissen legt, verläßt ihn gleich die Besinnung, daß er schläft als wäre er todt, als aber die Frau mit ihm allein ist, redete sie ihn an: »Durchlauchtigster Kaiser! leuchtende Sonne! Schling deinen rechten Arm um mich, damit ich von deinem Kinde entbunden werde.« Doch der Kaiser sah und hörte nichts, und den andern Tag gab sie der Kaiserin den goldnen Rocken mit der Raufe goldnen Flachses und die goldne Spindel. Da verlangte die Kaiserin auch die Henne mit den Küchlein, und die Frau versprach es ihr zu geben, wenn sie ihr noch einmal erlauben wollte in dem Gemache des Kaisers die Nacht zuzubringen. Die Kaiserin willigte auch diesmal ein, und reichte dem Kaiser abermals einen Schlaftrunk, daß er bewußtlos dalag, und nichts von allem hörte als sie zu rufen anfing: »Durchlauchtigster Kaiser! glänzende Sonne! schling deinen rechten Arm um mich, daß ich von deinem Kinde entbunden werde.« Als der Morgen anbrach, erzählte der Wache haltende[88] Kammerdiener dem Kaiser wie schon zwei Nächte eine fremde Frau bei ihm geschlafen, und wie sie immerzu gerufen habe, er möge sie mit seinem rechten Arm umschlingen, damit sie doch von seinem Kinde entbunden werden könne. Als die Kaiserin die Henne mit den Küchlein empfing, begehrte sie auch noch den goldnen Webestuhl mit dem goldnen Garn und Schiffchen, und das Weib versprach ihr auch das, wenn sie sie noch eine Nacht bei ihrem Gemahl übernachten lassen wolle. Die Kaiserin erlaubte es ihr, denn sie dachte ihren Gemahl wieder zu berauschen, der Kaiser aber, weil er von seinem Diener erfahren hatte, was geschehen war, steckte sich am Abend einen Schwamm unter das Kinn, und goß darauf den Trank, welchen ihm die Kaiserin reichte, und blieb so bei Bewußtsein. Als er sich zu Bette legte und that, als schliefe er, da fing das Weib wieder zu rufen an: »Durchlauchtigster Kaiser! leuchtende Sonne! schling deinen rechten Arm um mich, damit ich von deinem Kinde entbunden werde.« Wie dies der Kaiser vernahm, umschlang er sie schnell mit seinem rechten Arme, und in dem Augenblicke überkamen sie die Wehen und sie gebar einen Knaben, goldlockig und mit goldnen Händchen.

Da verließ er jenes Land und die Kaiserin, und kehrte mit seinem ersten Weibe und Kinde zurück in sein Reich.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 81-89.
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