18. Warum ist des Menschen Fußsohle nicht eben?

[136] Als die Teufel von Gott abgefallen waren und sich auf die Erde flüchteten, hatten sie auch die Sonne mit sich genommen, und der Kaiser der Teufel hatte sie auf eine Lanze gesteckt und trug sie auf der Achsel. Als nun aber die Erde sich bei Gott beklagte, daß sie von der Sonne noch ganz verbrannt werden würde, da schickte Gott den heiligen Erzengel Michael, der da trachten sollte, dem Teufel auf irgend eine Art die Sonne wegzunehmen. Und wie der heilige Erzengel zur Erde niederstieg, befreundete er sich mit dem Kaiser der Teufel, der aber merkte gleich wo das hinziele und war auf seiner Hut.

Einst als Beide miteinander auf der Erde spazieren gingen, kamen sie an das Meer, da machten sie Anstalt sich in demselben zu baden, und der Teufel stieß die Lanze mit der Sonne in die Erde. Nachdem sie sich ein wenig gebadet hatten, sprach der heilige Erzengel: »Nun laß uns tauchen und sehen wer tiefer hinunter komme.« Und der Teufel antwortete: »Nun wohlan!« Da tauchte der heilige Erzengel unter und brachte in den Zähnen Meersand herauf. Nun sollte der Teufel tauchen, der fürchtete aber, der heilige Erzengel möchte ihm indessen die Sonne entwenden. Da kam ihm ein Gedanke: er spuckte auf die Erde, und aus seinem[137] Speichel entstand eine Elster, die ihm die Sonne hüten sollte, bis er getaucht und aus der Tiefe mit den Zähnen Meersand herauf geholt hätte. Sobald aber der Teufel untertauchte, machte der heilige Erzengel mit der Hand das Zeichen des Kreuzes, und alsbald bedeckte das Meer neun Ellen dickes Eis, hierauf erfaßte er schnell die Sonne und flüchtete damit zu Gott, da krächzte die Elster aus allen Kräften. Wie der Teufel die Stimme der Elster vernahm, ahnte er auch schon was es gab, und kehrte so schnell als möglich um. Als er aber in die Höhe kam, fand er das Meer zugefroren, und sah daß er nicht heraus konnte. Da kehrte er eilends nochmals zurück auf den Meeresgrund, holte sich einen Stein, brach damit das Eis durch und setzte dem heiligen Erzengel nach. Jener floh, und dieser hinter ihm drein. Schon hatte der heilige Erzengel mit einem Fuße den Himmel betreten, da erreichte ihn der Teufel bei dem anderen Fuße und riß ihm mit seinen Klauen aus der Sohle desselben ein großes Stück Fleisch. Und wie der heilige Erzengel so verwundet mit der Sonne vor Gott den Herrn trat, weinte er und klagte: »Was soll ich nun, o Gott, so verunstaltet?« Da sprach Gott zu ihm: »Sei ruhig und fürchte dich nicht, ich werde es anordnen, daß von nun an alle Menschen gleich dir eine kleine Vertiefung in der Sohle haben.« Und so wie Gott es anordnete, entstand auch bei allen Menschen auf den Sohlen beider Füße eine kleine Vertiefung, und so ist es geblieben bis auf den heutigen Tag.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 136-138.
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