17. Des Vaters letzter Wille.

[130] Es war einmal ein Greis, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Als die Stunde seines Todes nahe war, rief er seine drei Söhne vor sich, und befahl ihnen die Schwester dem Ersten zu geben, der um sie freien würde, wer er auch immer sei. Einige Zeit nach des Vaters Tode kam ein Alter auf einem zweirädrigen Wagen und warb um das Mädchen. Die beiden älteren Brüder wollten es ihm nicht gleich zusagen, weil er alt und arm war, der jüngste aber bestand darauf, daß es ihm gegeben werde, indem er die Brüder an des Vaters letzten Willen auf seinem Todtenbette erinnerte. Da gaben sie denn dem Alten das Mädchen und dieser führte es fort in sein Haus. Nachdem eine Zeit verstrichen war, machte sich der älteste Bruder auf, die Schwester zu besuchen, und wie er hinkam, fand er sie in einem großen Hause, das nicht prächtiger sein könnte. Sie war sehr erfreut ihren Bruder wiederzusehen, und als er sie fragte wie sie lebe, antwortete sie ihm: »Gut, es könnte mir nicht besser gehen.«

Als der Bruder gekommen war, hatte er den Alten nicht zu Hause gefunden, aber kurze Zeit darauf kam auch dieser heim, es war ihm lieb den Schwager bei sich zu sehen, und er sprach zu ihm: »Nun du gekommen bist, will ich dich bewirthen und unterhalten, nur sollst du mir zuerst mit meinem[131] Pferde Gras holen, jedoch dieses nur an einer Stelle mähen, wo das Pferd mit den Füßen scharren, nicht aber dort wo es dir gefallen wird.« Und er antwortete ihm: »Gut, Schwager, das will ich thun,« bestieg hierauf das Pferd und ritt fort. Und wie er so ritt, kam er auf eine silberne Brücke, und wie er die Brücke erblickte, und daß sie ganz von Silber sei, da überfiel ihn so große Habsucht, daß er vom Pferde stieg und einen silbernen Balken losriß, bei sich sprechend: »Damit kann ich mir helfen.« Hierauf mähte er das Gras ab, wo es ihm genehm war, ohne zu warten bis das Pferd mit den Füßen scharrte, saß dann wieder auf und kehrte zurück. Nach Hause kommend führte er das Pferd in den Stall, legte ihm das Gras vor und ging dann hinein ins Haus. Wie er eintrat, fragte ihn gleich der Alte, ob er das Pferd versorgt habe, und ob es das Gras fresse? er antwortete: »daß er Alles gethan habe und das Pferd schon fresse.« Worauf der Alte sprach: »Gut, da muß ich selbst nachsehen.« Er ging hinaus in den Stall und sah dort das Gras unberührt vor dem Pferde liegen. Der Alte erkannte auch gleich, daß das Gras nicht gewählt worden sei, wie er gesagt hatte, deshalb geleitete er nun den Schwager unbewirthet hinaus, und bedeutete ihm, er möge nur wieder hingehen von wo er hergekommen sei. Wie dieser nach Hause kam, sagte er seinen Brüdern kein Wort wie es ihm bei dem Schwager ergangen war, sondern sprach zum zweitgebornen Bruder: »Der Schwager läßt dich grüßen und dir sagen, du mögest auch zu ihm auf Besuch kommen.« Nach einiger Zeit[132] ging der mittlere Bruder die Schwester zu besuchen, aber auch ihm ging es wie dem ersten, auch ihn schickte der Schwager auf gleiche Weise nach dem Gras aus, und als er auf die silberne Brücke kam, überfiel ihn eine Gier etwas davon zu nehmen wie den Ersten, und auch er riß einen silbernen Balken los, und wählte das Gras nicht wo ihm der Schwager gesagt hatte, sondern ganz nach seinem Gutdünken. Und als er umkehrte und in das Haus des Schwagers kam, ertappte der Schwager auch ihn auf der Lüge und schickte ihn heim unbewirthet wie den Ersten. Zu Hause angekommen, hütete er sich Jemanden zu sagen wie es ihm beim Schwager ergangen war, sondern sprach zum jüngsten Bruder: »Der Schwager läßt dich grüßen und dir sagen, du mögest zu ihm auf Besuch kommen.« – Als einige Zeit vorüber war, ging denn auch der jüngste Bruder hin, und wie die Schwester ihn erblickte, freute sie sich sehr und sprach zu ihm: »Ach, Bruder, mache es nicht so, wie es unsere Brüder gemacht haben.« Der wußte aber nicht was die Brüder gemacht hatten, und die Schwester wollte ihm auch darüber nichts Näheres sagen. Als nun der Schwager nach Hause kam, freute er sich seiner Ankunft, und sagte ihm: »Ich will dich bewirthen und wohlhalten, nur gehe mir zuerst mit meinem Pferde um Gras, aber mähe es nur da, wo das Pferd mit dem Fuße scharren wird, und nicht dort, wo es dir beliebt.« Und er bestieg das Pferd und ging fort nach dem Gras. Als er auf jene Brücke kam, wunderte er sich über ihre Pracht, aber im Herzen thats ihm leid, sie durch die beiden fehlenden Balken[133] verunstaltet zu sehen, und wie er in die Mitte kam, und sie von der einen und von der andern Seite betrachtet, da sieht er unter der Brücke, wie in einem ungeheuren Kessel Wasser siedet, darin Menschenköpfe kochen, nach welchen von oben Adler hacken. Und als er über die Brücke hinüber gegangen war, kam er in ein Dorf und durch dasselbe gehend, hörte er von allen Seiten Gesang und Fröhlichkeit, da verwunderte er sich, daß das ganze Dorf singe und froh sei, und fragte Einen, dem er begegnete: »Wie kommt es, Bruder, daß es bei euch so lustig zugeht?« Und der antwortete ihm: »Warum sollen wir nicht lustig sein, da bei uns jedes Jahr fruchtbar ist, und wir Ueberfluß an Allem haben.« Und wie er zum Dorfe hinaus kam, traf er am Wege zwei Hündinnen die sich balgten, er bemühte sich sie von einander zu bringen, aber es gelang ihm nicht, und so stand er davon ab und ging weiter. Und wie er so fortwanderte, gelangte er in ein anderes Dorf und durch dasselbe gehend, sah er daselbst alle Leute traurig und in Thränen, da sprach er zu Einem, dem er begegnete: »Ich bin so eben durch ein Dorf gegangen, in welchem Alles in Freude und Heiterkeit war, warum ist bei euch hier Alles so traurig?« Der Landmann antwortete ihm: »Wie sollte nicht Alles in Trauer sein, wenn uns jedes Jahr der Hagel trifft und wir nichts haben?« Als er zu diesem Dorfe hinaus kam, traf er auf zwei Eber die miteinander rauften. Er versuchte es sie von einander zu bringen, aber umsonst, es wollte ihm nicht gelingen, da ließ er sie und ging weiter. Zuletzt trug[134] ihn das Pferd auf eine wunderbar schöne Wiese und als sie mitten auf derselben waren, fing es mit dem Fuße zu scharren an, da sprang er ab, mähte behende etwas von dem Grase und kehrte damit zurück. Als er zu Hause ankam, führte er das Pferd in den Stall und streute ihm das Gras vor, von dem das Pferd gleich zu fressen anfing. Wie der Schwager sah, daß er ihm sein Pferd gehörig versorgt hatte, war er ganz vergnügt und sprach: »Du bist mein rechter Schwager, nun wollen wir zechen und schmausen und guter Dinge sein.«

Hierauf setzten sie sich an den Tisch und fingen das Abendbrod zu verzehren an. Während dem Essen sagte der Alte: »Nun erzähle mir was du gesehen hast.« »O, mein Schwager,« antwortete ihm der Jüngling, »das was ich gesehen habe, läßt sich kaum beschreiben; zuerst sah ich eine überaus schöne silberne Brücke, aber sie ist entstellt durch den Abgang zweier Balken, und der die gestohlen hat, den möge der lebendige Gott strafen.« Darauf sagte ihm der Alte: »Die haben deine Brüder gestohlen, und wie sie gehandelt haben, so ist es ihnen auch ergangen; aber sage mir, was hast du noch gesehen?« Und der Schwager fuhr fort: »Mitten unter der Brücke habe ich einen ungeheuern Kessel mit siedendem Wasser gesehen, und in dem Kessel Todtenköpfe, nach welchen von oben Adler hackten.« Und der Schwager erklärte ihm: »Das ist die ewige Pein in jener Welt. Was sahst du ferner?« Und der Schwager fuhr fort: »Hierauf habe ich ein Dorf gesehen, in welchem Alles fröhlich und guter[135] Dinge war.« Und der Alte sagte ihm: »Jene sind Gott wohl gefällige Menschen, Jeder wird bei ihnen gut aufgenommen und bewirthet, und kein Armer unbeschenkt von ihrer Thür gewiesen. Was hast du noch gesehen?« Und er fuhr zu erzählen fort: »Am Wege sah ich zwei Hündinnen, die sich ohne Aufhören balgten.« Worauf der Alte sprach: »es sind deine zwei Schwägerinnen. Was sahst du noch?« »ferner sah ich,« setzte der Schwager fort, »ein anderes Dorf, und in diesem war Alles traurig.« Da sagte der Alte: »sie haben weder Gerechtigkeit noch Eintracht, noch wissen sie von Gott. Was hast du außerdem gesehen?« Der Schwager antwortete: »auch zwei Eber habe ich gesehen, die beständig miteinander rauften.« »Es sind,« sagte darauf der Alte, »deine zwei Brüder, die sich miteinander nicht vertragen. Sag, was hast du noch gesehen?« Und der fuhr zu erzählen fort: »Ich habe zuletzt eine wunderbar schöne Wiese gesehen, dort hätte ich dir drei Tage stehen können, um mich an dieser Pracht satt zu schauen.« Da sagte der Alte: »So ist das Paradies in der andern Welt, aber bis dahin zu gelangen, ist schwer.«

Hierauf schmausten sie und vergnügten sich noch viele Tage. Und als zuletzt der Schwager aufbrach um heim zu gehen, da stattete ihn der Alte mit prächtigen Geschenken aus, und sagte ihm, er habe in ihm gleich einen redlichen Menschen erkannt, indem er darauf gedrungen habe, des Vaters letzten Willen zu erfüllen, und er werde fortan glücklich sein, seine Brüder hingegen elend.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 130-136.
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