33. Die böse Stiefmutter.

[194] Es war einmal ein sehr reicher Mann, der lebte mit einem bösen und boshaften Weibe in zweiter Ehe, seine erste Frau aber hatte ihm eine Tochter hinterlassen, die war milde wie ein Engel, gut wie das Brod, daß es in dem ganzen Dorfe keine Zweite gab, dabei war sie schön wie die Wile des Gebirges, hoch wie ein Tanne, schlank und geschmeidig wie eine Gerte, rothwangig wie ein Aepfelein, weiß von Antlitz wie auf dem Felde die Lilie.

Doch der Teufel, der immer und überall sein böses Spiel trieb, schien auch in dies Weib gefahren zu sein, daß es seine Stieftochter so wenig ansehen konnte als Blut in den Augen, und sie längst schon erschlagen oder sonst auf eine Art aus dem Wege geschafft haben würde, wenn es sich nicht vor dem Manne gefürchtet hätte.

Nun kam aber mit einem Mal ein kaiserlicher Befehl, daß jeder waffenfähige Mann ins Feld ziehen solle, da machte sich auch der Vater des schönen Mädchens auf, ehe er aber schied, rief er noch ein Mal seine Frau zu sich, und beschwor sie mit allen Schwüren der Erde, auf sein Töchterchen Acht zu geben, daß ihr nichts Leides widerfahre, bis er aus dem Felde wiederkehre, und sein Weib, die treulose Hündin, sie gelobte ihm, das Mädchen zu lieben und zu hüten wie[195] ihre beiden Augen im Kopfe. Bald nachdem der Mann fort war, rief sie zwei Diener herbei und befahl ihnen, den andern Morgen mit dem Frühroth das arme Mädchen scheinbar zu einem Spaziergange in den nahe gelegenen Wald zu führen, dort Abwege einzuschlagen, es dann fern von der Straße umzubringen, und ihr zum Wahrzeichen beide Hände und das Herz des Mädchens mitzubringen, wo nicht, drohte sie, so hätten sie selbst das ihrer Stieftochter zugedachte Loos zu erwarten. Den kommenden Tag mit dem Frühesten standen die Diener auf und bereiteten sich für den Weg den sie zu machen hatten, hierauf weckten sie das Mädchen, dem sie sagten, daß die Gebieterin, ihre Stiefmutter, ihnen befohlen habe, sie auf einen Spaziergang mitzunehmen, was die Aermste, ohne zu ahnen was sie erwartete, zufrieden war und sich mit ihnen auf den Weg machte.

Im Walde angekommen lenkten sie vom Wege ab in das Dickicht, wie die herzlose Herrin ihnen befohlen hatte, banden dort die Aermste an einen Baum und schickten sich an sie zu tödten. Als das Mädchen sich so furchtbar hintergangen sah, jammerte sie laut auf, und bat und beschwor sie unter Thränen, doch ihres Lebens schonen zu wollen. Nachdem ihr aber die Diener erzählt hatten, wie sie alles nur auf Befehl ihrer Herrin thäten, und daß, wenn sie ihrem Willen entgegen handelten, sie es mit ihren eigenen Köpfen bezahlen müßten, erwiederte sie ihnen: »Ach! gerne will ich euch meine Hände geben, schneidet sie mir ab, nur tödtet mich nicht, auch mein Herz würde ich euch nicht verweigern, wüßte[196] ich, daß man ohne Herz leben könnte.« Da dauerte sie die Diener, so daß sie ihr nur die Hände abschnitten, und sich des Herzens wegen verabredeten, ihrer Herrin zu sagen, daß sie es unter Wegs verloren hätten. Und so kehrten sie um, und ließen das unglückliche Mädchen ohne Hände allein und ohne menschliche Hilfe in der Einöde zurück. Zu Hause angekommen, berichteten die Diener ihrer Gebieterin, wie sie sich verabredet hatten, und wurden von ihr reichlich belohnt.

Doch Gott der Allweise, – dem Lob und Dank sei! – machte daß in dem Augenblicke, als dem Mädchen die Hände abgeschnitten wurden, seinem Vater im Traum ein Mann erschien, der so zu ihm sprach: »Mache dich auf und kehre unverzüglich heim, denn deine Tochter ist auf Befehl deines gottlosen Weibes ums Leben gekommen, doch eh du gehst, suche erst hier im Heere ein fleckenlos schwarzes arabisches Pferd, eine Stute gleichen Geblütes, und von Farbe makellos weiß, ferner einen schwarzen arabischen Hengst noch bis zur Stunde ungeritten, endlich eine Stute die eben trächtig ist; von jedem dieser Pferde nimm drei Haare, verbrenne sie an hellem Feuer, und bestreue damit die Wunden deiner Tochter, so wird sie wieder so werden, wie sie ehedem war.«

Als der unglückliche Vater ganz verwirrt erwachte, suchte und fand er Alles, was ihm im Traume zur Rettung seines Kindes als nöthig angedeutet worden war, und eilte damit ohne Zögern heim. Dort war sein Erstes die Frau um die Tochter zu fragen, welche ihm antwortete, daß sie entlaufen[197] sei, sie wisse aber nicht wohin, da stürzte er mit dem blanken Säbel auf sie zu, und drohte ihr und den Dienern, wenn sie ihm nicht gleich sagten, wo seine Tochter sei, sie Alle in Stücke zu hauen. Die Frau läugnete und läugnete, doch die erschrockenen Diener gestanden Einer nach dem Andern, was während seiner Abwesenheit vorgefallen war. Da band er zwei von den Dienern zusammen, und trieb sie mit bloßem Schwerte vor sich her, die mußten ihm den Weg zeigen, und führten ihn auch wirklich in jenen Wald. Wie sie hinkamen, fanden sie das arme Mädchen schon mehr todt als lebendig. Der Schmerz ihrer abgehauenen Hände, der Hunger, die Einsamkeit, das Entsetzen hatte sie beinahe getödtet. Als ihr Vater sie erblickte, brach er in Thränen aus und warf sich über sie, und da er gewahrte, daß ihr die Hände fehlten, bestreute er die Stümpfe mit der Asche von jenen Roßhaaren, da regten sie sich plötzlich, und andere Hände wuchsen ihr im Augenblick, doch nicht von Fleisch, sondern von lauterem Golde. Hierauf führte er seine goldhändige Tochter heim, die Frau aber ließ er wilden Rossen an den Schweif binden, und befahl seinen Dienern sie hinaus zu schleifen an die Stelle, wo man der Tochter die Hände abgeschnitten hatte, und dort ward sie von den Pferden zerrissen und hauchte ihre hündische Seele aus.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 194-198.
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