34. Die Stiefmutter und ihr Stiefkind.

[198] Es war einmal ein Mädchen, das hatte eine Stiefmutter, von welcher es gehaßt und nie mit gutem Auge angeblickt wurde, weil es viel schöner war als deren Tochter, die sie dem Vater mit ins Haus gebracht hatte. Der Stiefmutter wegen ward ihm auch sein Vater gram, und schalt und schlug es oft nur dem Weibe zu Gefallen. Einst sprach das Weib zu ihm: »Komm Mann, laß uns deine Tochter fort in die weite Welt schicken, sie mag sich selbst ihr Glück suchen.« Doch er entgegnete: »Aber, Weib, wohin sie schicken? Was soll ein Mädchen, das sich selbst überlassen ist, beginnen?« Worauf sie ihm antwortete: »Wenn du willst, daß ich fernerhin mit dir lebe, so mußt du das thun. Nimm sie daher gleich Morgen mit dir hinaus in den Wald, führe sie tief hinein, von wo sie sich nicht mehr nach Hause finden kann, benutze dann einen passenden Augenblick dich von ihr wegzuschleichen und eile heim.« Der arme Mann willigte in diesen Vorschlag, indem er sprach: »Bereite ihr wenigstens etwas mit auf den Weg, damit sie nicht gleich den ersten Tag vor Hunger umkommen muß.« Da buk die Stiefmutter einen Brodkuchen, und mit dem ersten Morgengrauen führte der Mann seine arme Tochter tief hinein in den Wald, wußte sich dann wegzuschleichen und kehrte nach Hause zurück. Und als die Arme gewahrte, daß[199] der Vater sie verlassen hatte, irrte sie den ganzen Tag allein umher, angstvoll aber vergeblich nach einem Auswege suchend. Endlich als schon die Finsterniß herein gebrochen war, bestieg sie einen hohen Baum, um darauf die Nacht zuzubringen, und so doch wenigstens vor wilden Thieren geschützt zu sein. Während der ganzen Nacht heulten die Wölfe unter ihr daß die Aermste in Angst und Entsetzen beinahe verging. Als das Morgenroth erglänzte, stieg sie vom Baume herab, und fing an weiter und weiter zu gehen, in der Hoffnung, sich endlich aus dem Walde heraus zu finden, aber der wurde immer dichter und dichter, und sein Ende schien gar nicht abzusehn. Als der zweite Tag sich seinem Ende zuneigte, und sie sich eben anschickte abermals einen Baum zu suchen, auf dem sie übernachten könnte, sah sie plötzlich durch das Laub in der Ferne etwas flimmern. »Ach vielleicht ist es zu meinem Glück ein Haus,« dachte sie bei sich selbst, und ging darauf zu. Und wie sie hinkam, da fand sie in der That ein schönes, großes Haus, die Thüren standen offen, sie ging hinein, die Zimmer konnten nicht prächtiger sein, und in einem derselben brannte auf einem Tische ein Licht. Es kam ihr der Gedanke, daß dies Haus wohl Räubern gehören könne, doch erschreckte sie dies keineswegs, denn dachte sie bei sich: »Nur reiche Leute fürchten die Räuber, ich aber, die ich arm bin, brauche sie nicht zu fürchten, ich will ihnen meine Dienste anbieten und sagen, daß ich ihnen für die Brodrinde, die sie mir geben werden, Alles im Hause arbeiten und besorgen will.« Hierauf zog sie ihren Brodkuchen aus der Tasche, bekreuzte[200] sich erst, und fing dann zu essen an. Kaum aber hatte sie den ersten Bissen zum Mund geführt, da kam ein Hahn herbei und fing vor ihr zu hüpfen an, als wollte er etwas haben, da bröckelte sie von ihrem Brod ab und streute es ihm vor. Es dauerte nicht lange, so kam auch ein kleines Hündchen und begann sich anzuschmeicheln, da brach sie ein Stück von ihrem Brodkuchen ab, nahm das Hündchen auf den Schooß, fing es zu streicheln und zu liebkosen an, und ließ es aus ihrer Hand essen. Hierauf kam eine alte Katze herbei, der sie auch einen Theil von ihrem Brode gab. Plötzlich ward Getrappel und ein tiefes Brummen vernehmbar, ein Schauder überlief sie, als ein Löwe sichtbar ward, der durch die Thür ins Zimmer trat. Doch als sie sah, daß er freundlich mit dem Schwanze wedelte, und schmeichelnd um sie herum ging, da faßte sie Muth und reichte auch ihm ein Stück von ihrem Brode, und als der Löwe es nahm und ihr die Hand leckte, verging ihr vollends alle Angst, daß sie ihn liebkoste wie die andern Thiere, und ihn aus der Hand essen ließ. Plötzlich hörte sie von außen Geklirr wie von Waffen, und glaubte vor Schreck umsinken zu müssen, als eine vom Kopf bis zu den Füßen in ein Bärenfell gehüllte Gestalt ins Zimmer trat. Der Hahn, das Hündchen, die Katze und der Löwe eilten ihr entgegen, liebkosten sie, sprangen an ihr hinauf, und gaben durch Winseln ihre Freude zu erkennen. Die Aermste aber hatte keine Ahnung, daß unter diesem furchtbaren Felle ein Mensch stecken könne, sondern glaubte daß es Gott weiß was für ein wildes[201] Thier sei, sie war schon gefaßt, daß es nun über sie herfallen und sie in Stücke zerreißen werde. Da zieht die Gestalt die Bärenhaut vom Gesicht, wirft das Fell von sich, und sieh, das Gemach erglänzte von seinen goldenen Kleidern, und ein wunderschöner Jüngling stand vor dem Mädchen, als es ihn anblickte, schwanden ihm aus Ueberraschung beinahe die Sinne. Der Jüngling aber trat zu dem Mädchen heran und sprach: »Fürchte dich nicht theuere Seele! Ich bin kein böser Mensch, sondern ein Prinz; wenn ich jagen will, komm ich hierher, und damit mich Niemand erkenne, hülle ich mich in diese Bärenhaut, bisher hat mich auch noch Niemand für einen Menschen gehalten, sondern wer mich immer noch gesehen hat, glaubt daß ich ein Gespenst sei und flieht mich; auch dieses Haus wagt Niemand zu betreten, noch nahe daran vorbei zu gehen, denn man weiß, daß ich hier wohne, nur du, die Einzige, scheutest dich nicht hierher zu kommen, wußtest du vielleicht daß ich kein Gespenst bin?« Da fing das Mädchen ihm zu erzählen an, wie es weder von ihm noch von seinem Hause früher etwas gehört hätte, sondern von der Stiefmutter von Hause weggejagt worden und herum geirrt sei, und so erzählte es der Reihe nach Alles, was ihm begegnet war. Nachdem der Prinz diese Erzählung vernommen hatte, ward sein Herz so von Mitleid bewegt, daß er sprach: »Die Stiefmutter hat dich zwar gehaßt, aber Gott liebt dich, ich will dich zu meinem Weibe nehmen, willst du mir folgen?«

Und das Mädchen sprach: »Ja.« Da nahm er es den[202] andern Morgen mit sich auf sein Schloß, und dort hielten sie Hochzeit.

Nach einiger Zeit erbat sich die junge Frau zu ihrem Vater auf Besuch gehen zu dürfen, und als der Gemahl es ihr erlaubte, kleidete sie sich ganz in Gold und machte sich auf den Weg. Als sie heimkam, war aber der Vater eben nicht zu Hause, sondern nur die Stiefmutter, welche, als sie ihrer ansichtig wurde, gewaltig erschrak, denn sie glaubte, daß die Stieftochter gekommen sei sich zu rächen, schnell lief sie ihr entgegen und rief aus: »Siehst du, zu dem Glück habe ich dir geholfen.« Die Stieftochter aber grüßte sie herzlich, küßte sich mit ihr und ihrer Tochter, und bedauerte nur den Vater nicht zu Hause gefunden zu haben, als sie schied, ließ sie der Stiefmutter eine Menge Gold zurück. Diese aber ballte die Faust hinter ihrem Rücken, indem sie sprach: »Warte Elende! du sollst mir nicht allein so einhergehen, gleich Morgen will ich auch meine Tochter ausschicken.«

Als am Abend der Mann heim kam, sprach sie: »Weißt du was Mann? ich denke, wir schicken nun auch meine Tochter in die Welt ihr Glück zu suchen, siehe deine Tochter haben wir fortgeschickt, und sie ist nimmer heim gekommen, vielleicht lebt sie nun in Hülle und Fülle, und kleidet sich in Gold und Seide.« Der Mann seufzte und willigte auch darein.

Den andern Morgen bereitete das Weib ihrer Tochter Kuchen und Braten, und rüstete sie aus mit dem Vater in den Wald zu gehen. Und der Mann führte sie im Walde[203] auf Abwege, wie seine eigene Tochter, worauf er sie verließ und nach Hause ging. Und als sie gewahrte, daß der Vater weggegangen war, fing sie den Heimweg zu suchen an, und gelangte, nachdem sie eine Weile fortgegangen war, zu jenem Hause, trat ein, und als sie sah, daß im ganzen Hause keine Seele sei, sperrte sie die Thüre zu, indem sie dabei sprach: »Und wenn Gott selber käme, würde ich ihm nicht öffnen.« Hierauf holte sie Braten und Kuchen aus ihrer Tasche her, legte es vor sich auf den Tisch, und fing an ihr Abendbrod zu verzehren; da kam der Hahn, das Hündchen und die Katze herbei, und gingen schmeichelnd um sie herum damit sie ihnen auch etwas mittheile, sie aber schrie wie wüthend: »Zum Teufel mit euch! ich habe kaum für mich genug, geschweige daß ich euch etwas gebe,« und dabei schlug sie nach den armen Thieren. Da fing der Hund zu heulen an, und so wie der Löwe das Geheul vernahm, eilte er herbei, erfaßte das Mädchen und zerriß es.

Den folgenden Tag kam der Prinz mit seiner Frau zur Jagd, da erkannte sie ihre Schwester an den Kleidern. Da sammelte sie die Stücke alle und trug sie der Stiefmutter hin. Diesmal fand sie nun ihren Vater zu Hause, der sehr erfreut war sie wieder zu sehen und zu vernehmen, daß sie mit einem Prinzen verheirathet sei. Und als er hörte, wie es der Tochter seines Weibes ergangen war, da that es ihm leid um sie, »aber,« sprach er, »das hat sie nur ihrer Mutter zu verdanken, deren Haß dir nicht hat schaden können. Sieh, dort steht sie am Brunnen,« sprach er dann weiter,[204] »ich will hingehen und ihr verkünden, was geschehen ist.« Als das Weib vernahm, wie es ihrer Tochter ergangen war, da sprach es zu dem Mann: »Ich kann nun einmal deine Tochter nicht mit meinen Augen ansehen, laß sie uns Beide zusammen umbringen, und willst du das nicht, so spring ich gleich hinab in den Brunnen.« »Nun so spring,« erwiederte der Mann, »denn nimmer könnte ich mein Kind ermorden.« »Gut, und ich könnte es nimmer ansehen!« und mit diesen Worten sprang das Weib hinab in den Brunnen.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 198-205.
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