36. Wie sie es verdient haben so ist es ihnen auch ergangen.

[212] Es war einmal ein armes Mädchen, das hatte eine Stiefmutter, und diese hatte wieder eine Tochter, und haßte darum ihre Stieftochter, schlug und mißhandelte sie, wo sie nur ging und stand, ließ sie hungern und gab ihr keine Kleider,[212] nur um sie von der Welt zu schaffen, aber je schlechter sie gehalten wurde, desto schöner und blühender wuchs sie heran. Da die Stiefmutter sah, daß sie ihrer auf diese Weise nicht los werden könne, jagte sie sie eines Tages, als der Vater eben irgend wohin verreist war, von Hause weg. Die Arme ging fort, ohne selbst zu wissen, wohin; zuletzt kam sie in einen großen Wald, und wie sie denselben nach einem Ausweg suchend durchirrte, erblickte sie in der Ferne den Schein eines Feuers. Rasch ging sie in dieser Richtung fort, und kam zu einer kleinen Hütte, die war schmutzig und nicht aufgeräumt, und in der Mitte brannte ein Feuer, aber ganz zerstiebt und dem Erlöschen nahe. Flink nahm sie den Besen zur Hand, fegte die Hütte rein, legte die Feuerbrände zusammen, und trug noch mehr Holz herbei, damit es lustiger brenne, dann setzte sie sich nieder in Erwartung, wer da wohl kommen werde. Als es nun Abend ward, Gott, da heulte plötzlich ein Sturm und die Bäume krachten, daß man hätte meinen sollen, sie wollten sich entwurzeln. Bebend vor Entsetzen verbarg sich die Arme hinter der Hütte, als ein Drache daher gebraust kam, der als er die Hütte betrat, zu schnuppern anfing und sprach: »Ich wittere hier ein Menschenkind, doch möge es hervorkommen, ich will ihm nichts thun.« Da trat das Mädchen hervor, und der Drache fragte es: »Hast du meine Hütte ausgefegt und mein Feuer unterhalten?« »Ja,« erwiederte das Mädchen. Worauf der Drache sprach: »Gut nun kraue mich ein wenig.« Das Mädchen setzte sich nieder und der Drache legte ihm seinen Kopf in den Schooß, als[213] es aber ihn zu krauen anfing, da bemerkte es, daß der ganze Kopf voll Würmer war, und abscheulich stank. »Mein Kopf riecht wohl übel, Mädchen?« frug in einer Weile der Drache, worauf jedoch das Mädchen erwiederte: »Nicht doch, Vater, mir ist als dufte er nach Basilikum.« Den andern Tag befahl der Drache ehe er wegging dem Mädchen, seine Hausthiere zu füttern, und das Abendessen zu kochen. Alsbald fing das Mädchen die Thiere zu locken an, aber o Gott, da kamen Eulen und Krähen heran geflogen, und Wölfe, Füchse, Dächse, Iltisse, kurz alle wilden Thiere die Gott geschaffen hat, alle kamen zur Fütterung herbei, und das Mädchen gab Allen zu essen, worauf sie sich wieder zerstreuten. Als am Abend der Drache heim kam, war seine erste Frage, ob es seine Hausthiere gefüttert habe, was das Mädchen bejahte. Nachdem es auf diese Weise einige Zeit bei dem Drachen zugebracht hatte, sprach dieser eines Tages zu ihm: »Wann du Lust hast, kannst du wieder heim gehen, dafür aber, daß du mir so gut gedient hast, darfst du dir einen dieser Koffer, die du hier in der Ecke siehst, wählen und mit nach Hause nehmen.« Das Mädchen wählte sich den leichtesten Koffer und auf die Frage des Drachen, warum es sich keinen größeren nehme, erwiederte es: »weil ich weiß, daß sich in dem leichten am wenigsten befindet, und ich für die wenigen Tage nicht mehr verdient habe.« Mit diesen Worten ging sie fort; als sie aber heim kam und den Koffer öffnete, da war dieser voll funkelnder Dukaten. Wie die Stiefmutter dies sah, da jagte sie gleich auch ihre Tochter fort, einen[214] solchen Koffer mit Dukaten zu holen. Diese ging auch und kam zu derselben Hütte, doch wollte sie weder das Feuer anschüren noch aufräumen. Als am Abend der Drache mit eben dem Gebrause heim kam, fragte er gleich: »Menschenkind! warum hast du mein Feuer nicht angeschürt, warum meine Hütte nicht ausgefegt?« Und das Mädchen erwiederte: »Dergleichen habe ich zu Hause nie gethan.« »Gut, gut,« sagte darauf der Drache, »und nun kraue mich ein wenig.« Doch so wie das Mädchen seinen Kopf näher betrachtete, fing es auszuspucken an, und sprach: »Pfui, welch unerträglicher Gestank! dich könnt ich unmöglich krauen.« »Gut, gut,« brummte wieder der Drache. Den andern Morgen ging der Drache wieder fort, indem er auch diesem Mädchen befahl seine Hausthiere zu füttern. Als aber das Mädchen sah, was das für Hausthiere seien, ergriff es einen Stock, schlug einem den Fuß, einem andern den Kopf, einem dritten einen Flügel ab, und jagte sie auf diese Weise Alle auseinander. Als am Abend der Drache heim kam, war sein erstes Wort, ob seine Hausthiere gefüttert worden seien. »O sicher! Was ist denn das für ein höllisches Hausgethier? Das habe ich nach Verdienst mit dem Stocke gefüttert.« »Gut, gut!« antwortete ihm der Drache. Als es aber Morgen ward, da sagte er zu dem Mädchen, es möge nun wieder heim gehen. »Du hast mir,« sprach er, »genug gedient, nimm dir nun von jenen Koffern dort einen und trag ihn nach Hause.« Da suchte sich das Mädchen den schwersten aus und trug ihn heim. Zu Hause angekommen öffnete es eilends mit seiner Mutter[215] den Koffer, begierig die Menge Gold zu sehen, das er nach seinem Gewicht enthalten mußte. So wie sie aber hinein schauten, fuhren zwei große Schlangen daraus empor, von welchen eine der Mutter, die andere der Tochter die Augen aus dem Kopfe sogen.

Und so ist es ihnen mit Recht ergangen, wie sie es verdient hatten.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 212-216.
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