44. Die Lüge und die Wette.

[238] Ein Vater sandte seinen Sohn in die Mühle, sagte ihm aber er solle in keiner Mühle mahlen, wo er einen Bartlosen finde. Der Knabe kam in eine Mühle, aber da saß ein Bartloser. »Helf Gott, Bartloser!« »Gott helfe dir, Söhnchen!« »Könnte ich da nicht etwas mahlen?« »Ei freilich, warum denn nicht, ich werde gleich mein Theil fertig gemahlen haben, und dann mahle wie viel du willst.« Aber der Knabe dachte an das, was ihm der Vater gesagt hatte, ging hinaus und längs dem Flusse aufwärts in eine andere Mühle. Der Bartlose hingegen nahm schnell etwas Getreide, lief auf einem andern Weg dem Knaben voraus, und schüttete[238] auch in jener Mühle ein wenig auf. Als der Knabe in die zweite Mühle kam und sah, daß wieder ein Bartloser da sei, ging er in die dritte, der Bartlose nahm wieder etwas Korn, lief auf einem andern Wege dem Knaben voraus in die dritte Mühle und schüttete auch da auf, ebenso machte er es in der vierten. Das war dem Knaben zum großen Ueberdruß, er dachte bei sich: wahrscheinlich ist in jeder Mühle ein Bartloser; nahm hierauf seinen Sack vom Rücken und blieb da um zu mahlen. Als das Korn des Bartlosen gemahlen war, und der Knabe das Seinige aufschüttete, sagte der Bartlose zu ihm: »Laß uns, mein Söhnchen, von deinem Mehle einen Brodkuchen machen.« Der Knabe hatte zwar fortwährend im Gedächtniß, was ihm der Vater gesagt hatte, daß er in keiner Mühle mahlen solle, wo er einen Bartlosen finde, aber er dachte sich jetzt: was einmal ist, in das muß man sich fügen und sprach daher zum Bartlosen: »Nun es mag sein.« Der Bartlose stand auf, machte in dem Mehle des Knaben im Mehlkasten eine Vertiefung und sagte zum Knaben, er möge Wasser in seinen beiden Hohlhänden herbei tragen. Der Knabe fing an Wasser zu bringen, und der Bartlose ein wenig an zu rühren, und so nach und nach immer mehr und mehr, bis alles Korn gemahlen war, und er zuletzt das ganze Mehl angerührt hatte, hierauf machten sie einen großen Brodkuchen, warfen die Gluth auseinander, legten ihn an die heiße Stelle und bedeckten ihn mit glühender Asche, damit er sich ausbacke. Nachdem der Kuchen gebacken war, und sie ihn aus der Glut genommen und an die Wand gelehnt[239] hatten, sagte der Bartlose zum Knaben: »Söhnchen weißt du was? Wenn wir diesen Kuchen theilen, so habe ich nichts und du nichts, wir wollen lügen, und wer den andern überlügt, der soll den ganzen Kuchen haben.« Der Knabe dachte sich, da giebts keinen Ausweg, sagte also: »Wohlan, fang du an.« Da fing der Bartlose allerlei zu lügen an, hin und her, und als er sich satt gelogen hatte und müde war, sagte der Knabe: »Ei lieber Bartloser! wenn du nicht mehr weißt, so ist das nichts, warte, nun will ich dir eine wirklich wahre Geschichte erzählen.« Als ich noch in meiner Jugend ein alter Mann war, da hatten wir viele Bienenstöcke, ich zählte sie jeden Morgen, und die Bienen zu überzählen war mir ein Leichtes, aber mit dem Zählen der Bienenstöcke konnte ich nie zu Stande kommen. Als ich eines Morgens die Bienen zähle, fehlt mir der beste Bienrich; da sattle ich schleunigst einen Hahn, reite auf und fange an den Bienrich zu suchen. Als ich seine Spur bis zum Meer verfolgte, war er übers Meer gegangen, und ich folgte ihm auf der Spur nach. Als ich übers Meer setzte, fand ich, daß meinen Bienrich ein Mann vor den Pflug gespannt hatte, und mit ihm für Hirsesaat ackerte. Ich schrie auf: Das ist ja mein Bienrich, woher hast du meinen Bienrich? Der Mann antwortete: Bruder, wenn er dir gehört, so nimm ihn. Hierauf gab er mir den Bienrich und noch dazu einen Sack mit Hirse, dafür daß er meinen Bienrich benutzt hatte. Da nahm ich den Sack auf den Rücken, legte den Sattel des Hahnes nun dem Bienrich auf, und bestieg denselben, während ich[240] den Hahn an einem Strick neben mir führte, damit er sich ausruhe. Als ich eben über das Meer zog, riß mir eines der Achselbänder, an welchem ich den Sack auf dem Rücken trug, so daß die ganze Hirse nun ins Meer fiel. Als ich über dem Meere drüben war, brach die Nacht herein, da stieg ich von meinem Bienrich und ließ ihn weiden, den Hahn aber band ich neben mir an, warf ihm etwas Heu vor, und legte mich dann schlafen. Wie ich am Morgen erwachte, was mußt ich da sehen? In der Nacht waren die Wölfe gekommen und hatten meinen Bienrich aufgefressen. Und der Honig stand im Thale bis an die Knöchel und auf den Höhen bis an die Knie. Da fing ich zu überlegen an, in was ich den Honig sammeln sollte. Und es fiel mir ein, daß ich eine kleine Hacke bei mir hatte, die nahm ich denn und ging damit in den Wald, um irgend ein Thier zu erlegen, und aus dessen Haut mir einen Schlauch zu machen. Wie ich in den Wald kam, sah ich zwei Rehe auf Einem Fuße hüpfen, da schlug ich ihnen mit meiner Hacke den Fuß entzwei, fing sie, und machte aus ihren Häuten drei Schläuche, welche ich voll des Honigs füllte, damit meinen Hahn belastete und sie nach Hause brachte. Als ich nach Hause kam, da ward mir eben der Vater geboren, und ich wurde zu Gott um Weihwasser geschickt. Nun fing ich zu überlegen an, auf welche Art ich in den Himmel hinauf kommen könnte, bis mir meine Hirse einfiel, die ich ins Meer verschüttet hatte. Wie ich an die Stelle hinkam, sah ich daß sie auf fruchtbaren Boden[241] gefallen und bis an den Himmel empor gewachsen war, da kletterte ich an ihr hinauf bis in den Himmel. Wie ich hinauf gelangte, war meine Hirse reif geworden, und Gott hatte sie schon geschnitten, ein Brod daraus gebacken, das er eben in warme Milch einbrockte und aß. Ich rufe ihm ein Gott helfe dir entgegen, worauf er mir erwiederte, möge Gott dir helfen, und dann gab er mir das Weihwasser. Gerade wie ich zurückkehren will, fällt zu meinem Unglück ein solcher Regen, daß das Meer austrat, und meine Hirse überschwemmte und mit fortriß. Nun war ich in Sorge, wie wieder hinunter auf die Erde kommen! Doch plötzlich fällt mir ein, daß ich langes Haar habe. Wenn ich stehe, reicht es mir bis zur Erde, wenn ich sitze, bis zu den Ohren, ich ergreife also ein Messer, schneide mir damit ein Haar um das andere ab, und beginne sie an einander zu knüpfen. Als die Dunkelheit einbrach, schürzte ich an den Haaren einen Knoten und blieb auf demselben um zu übernachten. Doch was sollt ich nun ohne Feuer anfangen? Feuerzeug hatte ich wohl, aber kein Holz, plötzlich erinnere ich mich in meinem Ueberrocke eine Nähnadel zu haben, die spaltete ich nun, machte damit ein Feuer an, wärmte mich gehörig und legte mich zuletzt neben dem Feuer schlafen. Nachdem ich eingeschlafen war, sprang zu meinem Unglück ein Funke auf, das Haar verbrennt, ich stürze Kopfüber auf die Erde hinab und versinke bis an den Gürtel. Ich wende mich hin und her, und versuche es mich irgend wie heraus zu arbeiten, als ich aber[242] sah, daß dies durchaus nicht gehe, da lief ich nach Hause, holte eine Haue herbei, grub mich selbst aus und trug dann das Weihwasser heim. Als ich nach Hause kam, schnitten eben die Schnitter auf dem Felde. Damals war eine furchtbare Hitze, allmächtiger Gott, daß die Schnitter beinahe verschmachteten. Da rief ich ihnen zu: »Aber warum führt ihr denn nicht unsere Stute heraus, die zwei Tage lang und einen halben Tag breit ist, und auf deren Schultern Weiden gewachsen sind, damit sie euch Schatten machen? Mein Vater lief schnell hin, holte die Stute herbei, und die Schnitter schnitten nun prächtig im Schatten, ich aber nehme eine hölzerne Kanne und gehe damit nach Wasser. Dort angelangt, finde ich alles hart zugefroren, da nehme ich meinen Kopf herunter, schlage damit das Eis ein und schöpfe alsdann Wasser. Wie ich aber das Wasser den Schnittern bringe, da schreien diese: Wo hast du deinen Kopf? Ich greife mit der Hand darnach, aber der Kopf war in der That nicht da, ich hatte ihn am Wasser vergessen. Schnell eile ich zurück, wie ich aber hinkomme, finde ich einen Fuchs, der mittlerweile gekommen war, und eben das Hirn aus meinem Kopfe riß und fraß, ich aber näherte mich behutsam, schlich so nah ich konnte heran, dann versetzte ich dem Fuchs schnell mit dem Fuße eins aufs Hintertheil, worüber er so erschrak, daß ihm weh wurde und er ein Schreiben von sich gab, als ich dieses öffnete, fand ich darin geschrieben: Mir gehört der Brodkuchen und der Bartlose geht leer aus.« Mit diesen[243] Worten stand der Knabe auf, nahm den Brodkuchen und ging nach Hause, der Bartlose blieb dort und hatte das Nachsehen.

Quelle:
Karadzic, Vuk Stephanovic: Volksmärchen der Serben. Gesammelt und aufgezeichnet von Wuk Stephanowitsch Karadschitsch. Ins Deutsche übersetzt von Wilhelmine Karadschitsch. Berlin: Reimer, 1854, S. 238-244.
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