Der Nachtwächter.

[91] Früher musste in Schleife der Nachtwächter Sommer und Winter morgens um vier Uhr abläuten (wuzwónić).

Mal war auch ein Wächter, namens Gniliza. Wie der eines Nachts zu Hause war, wurde er gerufen und gesagt, er sollte aufstehen und mitkommen; er aber antwortete nichts darauf. Am Morgen früh, als es Zeit war, ging er zum Läuten und sah eine weisse Gans (běła gus). Dann ging er den Kirchthurm hinauf und begegnete auf der Treppe einem Mädchen (gólica); die hiess ihn mitkommen. Doch aus Furcht ging er nicht mit, sondern nach Hause und erzählte, voller Angst, alles seiner Frau. Am anderen Tage, als es wieder Zeit zum Läuten war, hatte er keine rechte Lust, ging aber doch, um seinen Dienst zu thun. Da sah er eine weisse Taube (gółub) über den Altar fliegen. Voller Furcht läutete er ab und wollte wieder nach Hause gehen. »Aber unten im Thurme war wieder das Mädchen vom vorigen Tage und sagte ihm, er sollte keine Furcht haben, seine Rodhacke (rodawa) holen und mit ihr mit kommen. Denn er würde viel Geld finden, weil es ihm bestimmt wäre, soviel, dass seine Kinder bis ins dritte Glied genug haben würden. Er aber ging voller Furcht nach Hause, legte sich zu Bette und ist gestorben.

Seit der Zeit wird des Morgens in Schleife nicht mehr geläutet. S.

Quelle:
Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 91.
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