Causalitas

[182] Causalitas – Ich führe das Wort zunächst in seiner lateinischen Schreibung ein, weil ich auf seinen eigentlichen Sinn hinweisen möchte, der durch den neuen philosophischen Sprachgebrauch – seit Kant und Schopenhauer – verdunkelt worden ist. An den unzähligen Stellen, wo Schopenhauer, scheinbar in strenger Anlehnung an Kant, das Wort Kausalität gebraucht, meint er immer das Kausalitätsgesetz, also eine Regel des Naturgeschehens, die notwendig, unbedingt herrscht, bei der es in der Praxis am Ende gleichgültig ist, ob man sie als ein empirisches oder als ein apriorisches Gesetz auffassen will; wie denn der ungeheure Erfolg Schopenhauers (und nachher die schnellem Erfolge von E. v. Hartmann und Nietzsche) mit daraus zu erklären sein mag, daß er die relativen Ergebnisse der forschenden Materialisten in sein Denken aufnahm, die einseitige Berechtigung der mechanistischen Welterklärung in meisterlicher Sprache, und ganz frei von der Kirche, lehrte und dem Leser seine Metaphysik als Zuwage schenkte, mit der jedermann machen konnte, was er wollte. Kant aber hatte die Kausalität in seiner Kategorientafel aufgeführt als eine Relation, als die Beziehung zwischen Auslösung und Dependenz, zwischen Ursache und Wirkung. Eine Relation oder Beziehung ist ein viel weiterer Begriff als ein Gesetz.

Die Scholastiker nun dachten bei ihrem Worte causalitas weder an eine allgemeine Relation noch an ein Gesetz; sie kamen zu dem Worte durch die lateinischen Übersetzungen der Araber; da gab es bekanntlich -tates in Hülle und Fülle: universalitas, specialitas, substantialitas, individualitas, quidditas usw. Man glaubte ganz genau zu wissen, was eine causa sei, eine Ursache; mit wilder Analogiebildung schuf man aus dem fast für dinglich gehaltenen Substantiv causa das Adjektiv causalis,[182] daraus wieder das abstrakte Adjektiv-Substantiv causalitas. Wir brauchen nur aufmerksam Silbe für Silbe zu verstehen (ähnlich bei Ursach-lich-keit), um nachzuempfinden, was so ein ganz tiefer Scholastiker bei causalitas zu denken glaubte: Gott war z.B. causa aller Dinge; causalis zu sein, gehörte also als ein Merkmal zu seinem Wesen, als einer causa; dieses Merkmal Gottes, causalis sein zu können, wurde, wenn man es als eine Kraft-an-sich erkannt hatte, von selbst zu einer Energieart, eben der causalitas. Wir werden noch sehen, wie die neueste Naturphilosophie ungefähr wieder da hält, wo vor einem Jahrtausend die arabisch-scholastische Denkart angelangt war.

Wenn ich nicht irre, so beruht der Unterschied zwischen der mittelalterlichen causalitas und der modernen Kausalität darauf, daß der Begriff damals auf einem theologischen Untergrunde stand, jetzt auf einem psychologischen steht (ich lehne die Schikane ab, daß auch die Theologie zuletzt psychologisch sei); das Urbild für die Verursachung eines neuen Ereignisses war damals Gott, die Ur-sache aller Ur-sachen; das Urbild unseres Ursachbegriffs scheint, wie oft ausgesprochen worden ist, der eigene Wille zu sein, der so unlogisch dem Satze widerspricht, daß Geistiges auf Körperliches nicht wirken könne; die causalitas war theomorphisch, die Kausalität ist anthropomorphisch. Nur daß das Mittelalter den Theomorphismus (Schikane: indirekter Anthropomorphismus) seiner Begriffe nicht durchschaute; die Gegenwart jedoch, durch Erkenntnistheorie gewitzigt, ihre eigenen Anthropomorphismen durchschaut und eben seit Kant die Ursache als einen Korrelatbegriff (Ursache und Wirkung) erkannt hat, das Wort Kausalität gut nur noch für die Beziehung zwischen beiden Begriffen anwendet. Da es also für diese Anschauungsweise eine für sich bestehende causa nicht mehr geben kann, kein konkretes Substantiv, hat es wenig Sinn mehr, von diesem ein unklares Adjektiv causalis, von diesem wieder ein ganz ungeheuerliches Gespenster-Substantiv causalitas zu bilden. Ferner: da Ursache und Wirkung untrennbare Korrelatbegriffe sind, könnte man die Relation zwischen ihnen beiden ebenso gut oder noch besser a postiori bilden[183] und sie effectualitas oder dependentialitas nennen; denn wir sehen ja nicht mehr, wie die Scholastiker, in der causa ein Ding, une chose, eine Ur-Sache, in der die Wirkungsmöglichkeit als eine Eigenschaft drinnen steckt. Ja, wenn ich scherzen wollte, könnte ich für den modernen Kausalitätsbegriff (weil ganz allgemein jede Wirkung eine Funktion, eine Abhängige der Ursache ist) das neue Wort Funktionalität vorschlagen.

Ich werde ernsthafter nachzuweisen suchen, daß das, was uns die neue Physik als Ursache aller Naturereignisse ansprechen lehrt, was unter dem Begriffe der Energie zusammengefaßt wird, fast genau mit dem Kantschen Kausalitätsbegriffe zusammenfällt; Energie ist nicht Ursache allein, ist eine Ursache, die in der Wirkung verschwindet, ist die ewige Metamorphose von Ursache und Wirkung, also doch wohl wieder (auf einem naturwissenschaftlich höheren Standpunkte) die Relation von Ursache und Wirkung. Und das meinte ich vorhin mit der Warnung vor einem Rückfall in scholastischen Wortgebrauch: wir waren glücklich so weit, z.B. die Wärme, insofern sie keine Körperempfindung, sondern eine Ursache (von Ausdehnung usw.) ist, als eine bloße Veränderung aufzufassen, als Bewegung; da kommt die neue Lehre, nennt sie eine Art Energie, d. h, die Möglichkeit einer Arbeitsleistung, und so gelangt die wohlbekannte Wärme auf einmal zu zwei so entgegengesetzten Oberbegriffen: sie wird zu einer Möglichkeit und zu einem fast dinglichen Etwas. Und wie von causa die Worte causalis und causalitas gebildet worden sind, so formen wir die Ableitungen: energetisch und Energetik. (Vgl. Art. Energie.)

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 1, S. 182-184.
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