Quietiv

[586] Quietiv. – Schopenhauer hat die Verneinung des Willens gelehrt; nach ihm soll zunächst die Kunst, sodann in weit höherem Maße die Erkenntnis zu einem Quietiev, zu einem Beruhigungsmittel des Willens werden. Aber Kunstgenuß und Erkenntnisdrang sind nur andere, allgemein höher bewertete Äußerungen des Lebens oder des Willens. Durch Kunstgenuß und Erkenntnisdrang werden die gemeinen Richtungen des Willens aus der Vorstellung gedrängt, wird der gemeine Lebensdurst mit seiner Lust und mit seinem Jammer nur für einige Zeit beruhigt, um wieder hervorzubrechen, wenn die Seele die Arbeit des Kunstgenusses oder der Erkenntnis nicht mehr erträgt. Es gibt eine Ruhe (quies) oder ein Ausruhen des Willens oder des Lebensdrangs; ein Quietiv gibt es nicht; am wenigsten suche man das Quietiv in einer Lehre, die von außen zu lernen wäre.

Einen verhältnismäßig bessern Sinn gibt das Wort Quietismus, weil es nur die Sehnsucht nach Ruhe ausspricht, etwa noch den Fanatismus für diese quies, nicht aber ein Mittel, eigentlich eine Medizin, für die Erfüllung dieser Sehnsucht verheißt. Übrigens ist Quietiv gar noch nur ein witzig, aber schlecht gebildeter Ausdruck, nach dem Modellworte Motiv; dieses bezeichnet die psychologische Ursache einer Bewegung, eines motus (lat. motivus = kinêtikos = beweglich); eine solche psychologische Ursache der Ruhe, der quies, gibt es nicht, man wollte sie denn in dem allgemeinen Gesetze der Trägheit suchen; und für die Beruhigung hatten die Spätlateiner das besser gebildete Wort quietatio.[586]

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 2, S. 586-587.
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