Reisen des Wunderkindes

[30] Mit dem Jahre 1762 beginnen in Mozarts Leben die Wanderjahre, die mit kürzeren oder längeren Unterbrechungen ein volles Jahrzehnt umfassen. Anlaß und Art ihres Verlaufs sind wiederum das Werk des Vaters gewesen. Seine Absicht war, den Sohn der musikalischen Welt zunächst als Virtuosen vorzustellen und ihm so auch als Komponisten die Wege zu ebnen. So forderte es gebieterisch der Brauch der alten Zeit vom 16. Jahrhundert bis in die Tage des jungen Beethoven hinein: wer als Komponist zu Ansehen gelangen wollte, mußte sich zuvor als ausübender Künstler eingeführt haben.

Von der ersten Kunstreise nach München, die der Vater mit den beiden Kindern im Januar 1762 antrat, wissen wir nur, daß sie drei Wochen dauerte, und daß sich die Kinder dabei vor dem Kurfürsten hören ließen. Weit wichtiger wurde die Reise nach Wien, die die drei am 18. September desselben Jahres antraten1. Unterwegs mußten sie sich in Passau auf Veranlassung des Bischofs fünf Tage aufhalten, der den Wunderknaben hören wollte und dann mit – einem Dukaten belohnte. Von da fuhren sie nach Linz. Der Domherr Graf Herberstein war ihr Reisegefährte und erinnerte sich noch 1785 als Bischof von Passau im Gespräch mit L. Mozart, wie Wolfgang sich benommen hatte, als er einen alten Bettelmann hatte ins Wasser fallen sehen. In Linz gaben sie unter dem Patronat des Landeshauptmanns Grafen Schlick ein Konzert. Ein junger Graf Palfy, der auf der Durchreise der Gräfin Schlick einen Besuch machte, hörte von ihr so viel über den Wunderknaben, daß er sich bewegen ließ, die Post vor dem Rathaus halten zu lassen und mit der Gräfin ins Konzert zu gehen, das ihn in das größte Erstaunen setzte. Von Linz ging es mit der sogenannten Wasser-Ordinäre weiter. Im Kloster Ips lasen zwei Minoriten und ein Benediktiner,[31] ihre Reisegefährten, die Messe; währenddes tummelte sich der sechsjährige Wolfgang auf der Orgel herum und spielte so vortrefflich, daß die Franziskanerpatres, die gerade mit einigen Gästen an der Mittagstafel saßen, vom Tische aufstanden, dem Chore zuliefen und sich fast zu Tode wunderten. Bei der Ankunft in Wien ersparte er dem Vater die Zollvisitation. Er machte gleich Bekanntschaft mit dem Mautner, zeigte ihm das Klavier, spielte ihm auf dem Geigerl ein Menuett vor und – »hiermit waren wir expediert«. Auf der ganzen Reise zeigte er sich munter und aufgeweckt, gegen jedermann und besonders die Offiziere so zutraulich, als sei er seit langem mit ihnen bekannt, und machte sich durch sein kindlich offenes Wesen ebenso beliebt, wie er als Virtuose bewundert wurde.

Es hatte seinen guten Grund, wenn L. Mozart gerade auf Wien besonderen Wert legte. Denn hier hatte die Musik seit den Tagen Maximilians I. einen Aufschwung genommen wie in keiner zweiten deutschen Stadt. Es war in letzter Linie das Werk des Kaiserhauses selbst; von Ferdinand III. bis auf Karl VI. hat es eine ununterbrochene Reihe namhafter Tonsetzer hervorgebracht, die im Kampfe für die neue, in Italien entstandene Kunst der »nuove musiche« die Führung übernahmen. Von Karl VI. ist außerdem bekannt, daß er Opern und sonstige Werke am Cembalo begleitete und dirigierte2. Vor allem aber bildete die Musik seit Ferdinand II. einen wichtigen Teil in der Erziehung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses. So war auch Karls VI. Tochter Maria Theresia eine fertig ausgebildete Sängerin. Sie mußte schon 1725 als siebenjähriges Kind in einer Oper von Fux zur Feier des Kirchgangs ihrer Mutter, der Kaiserin Elisabeth, als Sängerin auftreten, so daß sie später einmal im Scherz zu Faustina Hasse sagte, sie glaube die erste von den lebenden »Virtuose« zu sein3. Im Jahre 1739 sang sie in Florenz ein Duett mit Senesino so schön, daß der berühmte alte Sänger vor freudiger Rührung weinte, und selbst in späteren Jahren soll sie noch sehr gut gesungen haben4. Auch ihr Gemahl Franz I. war musikalisch, und bei der Erziehung der kaiserlichen Familie wurde die Musik nicht vergessen. Im Jahre 1750 führten am Namenstage der Kaiserin drei ihrer Töchter die Kantate »La rispettosa tenerezza« von Metastasio und Reutter auf5, und im Jahre 1762 sangen und spielten vier Erzherzoginnen in der Oper »Il trionfo di Clelia«, im Jahre 1764 zur Krönung Josephs als römischen König in der »Egeria« von Metastasio und Hasse bei Hofe »sehr gut für Prinzessinnen6«, so wie sie im Jahre 1765 zur zweiten Vermählung Josephs II. »Il Parnasso[32] confuso« von Gluck aufführten7. Auch Joseph II. war ein guter Sänger, spielte aber außerdem noch das Violoncell und war vor allem der eine gründliche Satzkenntnis erfordernden Kunst des Akkompagnierens mächtig.

Das Beispiel des Hofes riß bald auch den Adel mit sich fort. Diese Musikpflege, die bald fast auf jedem Edelsitz eine größere oder kleinere Hauskapelle ins Leben rief, gehört zu den schönsten Ruhmesblättern in der Geschichte des österreichischen Adels, ohne sie ist die gesamte klassische Kunst der Wiener Meister überhaupt nicht denkbar. Aus Glucks, Haydns und Beethovens Lebensgeschichte kennt jeder den Anteil, der diesen Edelleuten im besten Sinn des Wortes am Schaffen dieser Meister zukommt. Auch Mozart sollte sich dieser Wohltat gleich bei seinem ersten Besuche in Wien zu erfreuen haben.

Die Grafen Herberstein, Schlick und Palfy hatten durch ihre Berichte bereits Hof und Adel in Wien auf die Mozartschen Kinder aufmerksam gemacht, und der Vater erhielt nach der Ankunft den Befehl, sie am 13. Oktober in Schönbrunn vorzustellen. Damit begann für sie eine Reihe der glänzendsten Erfolge, an denen freilich die Sensationslust der hohen Herrschaften einen mindestens ebenso großen Anteil hatte wie ihre künstlerische Anteilnahme. Schon das erstemal mußten die Kinder von 3–6 Uhr verweilen. Der Kaiser behandelte Wolfgang wirklich als einen »kleinen Hexenmeister«, denn er verlangte außer dem richtigen Klavierspiel von ihm noch allerhand Kunststücke, wie das Spiel mit einem Finger, auf verdeckten Tasten u. dgl. Aber der kleine Mann pochte dabei doch auch schon stark auf sein Recht als Künstler. Nicht zufrieden mit seinen vornehmen Hörern allein, verlangte er nach dem berühmten Pianisten Georg Christoph Wagenseil (1715–1777), dem Lehrer Maria Theresias und ihrer Kinder8: »der soll herkommen, der versteht es.« Und dann sagte er zu diesem: »Ich spiele ein Konzert von Ihnen; Sie müssen mir umwenden.« Noch wohltuender aber wirkt sein echt kindliches, unbefangenes Benehmen. Die Erzherzogin Marie Antoinette, die spätere Königin von Frankreich, hatte er bald besonders in sein Herz geschlossen, da sie ihn freundlich aufhob, als er einmal auf dem glatten Fußboden hingefallen war. »Sie sind brav«, sprach er, »ich will Sie heiraten«. Als Grund gab er an: »Aus Dankbarkeit, sie war gut gegen mich, während ihre Schwester sich um nichts bekümmerte9.« Aber auch der Kaiserin sprang er auf den Schoß und küßte sie herzhaft ab, und der Kaiser, der mit Wagenseil Violine spielte, bekam aus dem Vorzimmer seine Kritik in Form drastischer Zurufe wie pfui! das war falsch! oder bravo! zu hören10. Natürlich ließ es der Hof außer dem eigentlichen Honorar auch an Geschenken aller Art nicht fehlen. Nannerl erhielt ein Hofkleid einer Erzherzogin, Wolfgang ein für den Erzherzog Maximilian bestimmtes lilafarbenes Kleid mit breiten Goldborten, in dem er später auch[33] gemalt wurde11. Nicht minder als bei Hofe wurden die Kinder auch vom Adel gefeiert. Der Fürst von Hildburghausen, der Reichsvizekanzler Graf Colloredo, der BischofEsterhazy luden sie ein, überallhin wurden sie im Wagen abgeholt und glänzend belohnt. In Wolfgang waren natürlich bald alle Damen verliebt. Da machte ein heftiger Anfall von Scharlach, der ihn Ende Oktober für vierzehn Tage ans Bett fesselte, dem frohen Treiben ein jähes Ende. Zwar war die allgemeine Teilnahme für ihn groß, nicht minder aber auch die Furcht vor der Ansteckung, unter der er auch nach seiner Genesung noch zu leiden hatte. Eine Einladung ungarischer Edelleute nach Preßburg kam daher L. Mozart sehr gelegen. Er reiste, obgleich sein Urlaub abgelaufen war, am 11. Dezember trotz schlechten Wetters und fast lebensgefährlicher Wegeverhältnisse dorthin ab. Nach der Rückkehr nach Wien nahm die Familie noch an einem Feste teil, das die Gräfin Kinsky dem Feldmarschall Daun zu Ehren gab. Dann aber reisten sie in den ersten Tagen des Jahres 1763 nach Salzburg zurück.

Mozarts Hauptinstrument war in dieser Zeit noch das Klavier, auf dem er es bereits zu einer erstaunlichen Fertigkeit gebracht hatte12, daneben aber wandte er sich mehr und mehr der Violine und Orgel zu13. Dagegen befand sich seine theoretische Ausbildung noch durchaus im Fluß; hier blieb dem Vater noch viel zu tun übrig. Die Einflüsse, die er dem Sohne vermittelte, kennen wir bereits; in Wien trat ein neuer hinzu, der der Wiener Klaviermusik mit ihrem FührerWagenseil an der Spitze.

So weit war die Ausbildung des Knaben gediehen, als der Vater mit ihm und der Schwester nach kurzer Ruhezeit in Salzburg eine zweite, größere Reise antrat, deren Hauptziel Paris war; dabei sollten auch die am Wege liegenden deutschen Fürstenhöfe besucht werden, die ja in damaliger Zeit noch die Hauptpflegestätten der Tonkunst in Deutschland waren. Überhaupt hebt L. Mozart mit Stolz hervor, daß sie auf ihrer Reise nur mit dem Adel und Standespersonen Umgang pflegten und auch ihrer Gesundheit wegen und »zu ihres Hofes Reputation noblement reisen müßten«. Der Sommerszeit halber mußten übrigens die Fürstlichkeiten zumeist auf ihren sommerlichen Lustschlössern aufgesucht werden.

Die am 9. Juni begonnene Reise14 fing nicht günstig an; in Wasserburg zerbrach der Wagen, dessen Herstellung sie zwang, dort einen Tag liegenzubleiben. »Das Neueste ist«, schreibt der Vater, »daß, um uns zu unterhalten, wir auf die Orgl gegangen und ich dem Wolferl das Pedal erklärt[34] habe. Davon er dann gleich stante pede Probe abgeleget, den Schemel hinweggerückt und stehend präambuliert und das Pedal dazu getreten, und zwar so, als wenn er es schon viele Monate geübt hätte. Alles geriet in Erstaunen, und [es] ist eine neue Gnade Gottes, die mancher nach vieler Mühe erst erhält«. Während der ganzen Reise ließ der Knabe sich häufig auf der Orgel hören und wurde meistens, wie der Vater wiederholt berichtet, seines Orgelspiels wegen noch mehr bewundert denn als Klavierspieler.

Am 12. Juni 1763 in München angelangt, begaben sie sich gleich nach Nymphenburg. Durch den Prinzen von Zweibrücken, der sie von Wien her kannte, dem Kurfürsten angemeldet, wurden sie gnädig aufgenommen und mußten vor diesem und dem Herzog Clemens sich wiederholt hören lassen, und zwar Wolfgang auch auf der Violine; er spielte ein Konzert und »präambulierte zwischen den Kadenzen aus dem Kopf«. Hier begegneten ihnen zwei sächsische Reisende, Baron Hopfgarten und Bose, mit denen sie wiederholt zusammentrafen und eine nähere Freundschaft schlossen, die namentlich durch den längeren Aufenthalt in Paris befestigt wurde. In Augsburg hielten sie sich 15 Tage bis zum 6. Juli auf, sie wohnten dort im Gasthofe zu den 3 Mohren15 und gaben drei Konzerte (28., 30. Juni, 4. Juli)16, die fast durchaus von den Lutheranern besucht wurden. Die »Europäische Zeitung« von Salzburg (19. Juli 1763) berichtete darüber aus Augsburg vom 9. Juli:


Vorgestern ist der Salzburgische Vice-Kapellmeister Hr. L. Mozart mit seinen zwei bewunderungswerten Kindern von hier nach Stuttgart abgereist, um seine Reise über die größten Höfe Deutschlands nach Frankreich und England fortzusetzen. Er hat den Inwohnern seiner Vaterstadt das Vergnügen gemacht, die Wirkung der ganz außerordentlichen Gaben mit anzuhören, die der große Gott diesen zwei lieben Kleinen in so großem Maße mitgeteilt und deren Herr Capellmeister sich mit so unermüdetem Fleiße als ein wahrer Vater bedient hat, um ein Mägdlein von eilf und, was unglaublich ist, einen Knaben von sieben Jahren als ein Wunder unser und voriger Zeiten auf dem Claveßin der musikalischen Welt darzustellen. Alle Kenner haben dasjenige, was ein Freund von Wien ehedem von diesen berühmten Kindern geschrieben und in den allhiesigen Intelligenz-Zettel ist eingerückt worden, so unglaublich es schien, nicht nur wahr, sondern noch weit bewunderungswerter gefunden.


Nach Ludwigsburg, der zweiten Residenz des Herzogs Karl Eugen von Württemberg, brachten sie zwar vom Domherrn Grafen Wolfegg Empfehlungen an den Oberjägermeister Baron v. Pöllnitz und an den Oberkapellmeister Jommelli mit, allein es gelang ihnen nicht, beim Herzog zu Gehör zu kommen. Der stets mißtrauische Vater schob die Schuld auf Jommelli, der ein abgesagter Feind aller fremden Virtuosen sei und kraft seiner allmächtigen Stellung am Hofe die deutschen Künstler zugunsten der Italiener fast[35] ganz verdrängt habe. Das ist indessen ebenso stark übertrieben, wie Mozarts Angaben über Jommellis Gehalt. Der italienische Meister war im Gegenteil eine durchaus liebenswürdige und entgegenkommende Natur und, wie die Tatsachen beweisen, weit davon entfernt, die deutschen Künstler am Hofe »ausrotten« zu wollen17. Auch den jungen Wolfgang hat er ohne weiteres bei sich vorgelassen und sich, wie Leopold berichtet18, über sein Spiel dahin geäußert, »daß es zu verwundern und kaum glaublich seye, daß ein Kind deutscher Geburt so ein Musikalisches genie und so viel Geist und Feuer haben könne«. Aus diesen Worten spricht zwar das ganze Selbstgefühl des Italieners, sie beweisen aber doch, daß Jommelli das Talent des Knaben richtig erkannt hat. Der Grund des Fehlschlags am Ludwigsburger Hofe lag also nur in der sprunghaften Despotennatur des Herzogs, bei dem gerade damals die Leidenschaft für Theater und Künstlerinnen ihren Höhepunkt erreicht hatte. Trotzdem merkt man L. Mozarts Bericht deutlich die starken Eindrücke an, die er hier gewann. Dieser Hof, an dem unter einem schrankenlosen, aber musikalisch begabten und geschulten Fürsten mit Theater und Kunst ein unerhörter Luxus getrieben wurde, mag ihm später wie ein Vorgeschmack von Versailles erschienen sein; auch die unselige Soldatenwirtschaft des Herzogs ist seinem aufmerksamen Auge nicht entgangen. Über Jommelli selbst und Mozarts künstlerische Stellung zu ihm wird noch zu reden sein. Von den Virtuosen, die damals im Stuttgarter Orchester saßen, zeichnet L. Mozart nur den Schüler Tartinis, P. Nardini (1722–1793), aus mit der Bemerkung, »daß in der Schönheit, Reinigkeit, Gleichheit des Tones und im singbaren Geschmacke nichts Schöneres kann gehört werden. Er spielt aber nicht gar schwer«.

Von Ludwigsburg begab sich die Mozartsche Familie nach Schwetzingen, der Sommerresidenz des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, der sie am 18. Juli auf die Empfehlungen der Prinzen von Zweibrücken und Clemens von Bayern hin gnädig aufnahm. Am Hofe fand für sie eine große Akademie statt, die von 5 bis 9 Uhr währte; die Kinder setzten ganz Schwetzingen in Bewegung, und auch die kurfürstlichen Herrschaften kargten nicht mit ihrem Beifall. Das wichtigste aber war, daß Mozart hier das berühmte Mannheimer Orchester und seine neue Art des Vortrags erstmals kennengelernt hat. »Das Orchester ist ohne Widerspruch das beste in Deutschland,« schreibt der Vater19, »und lauter junge Leute, und durchaus Leute von guter Lebensart, weder Säufer, weder Spieler, weder liederliche Lumpen [ein unmißverständlicher Hieb auf Salzburg], sodaß sowohl ihre Conduite als ihre production hoch zu schätzen sind.« Auch der Flötist J. B. Wendling fiel ihm bereits damals durch seine Leistungen auf. Zugleich wird aber der frommen Frau Hagenauer noch berichtet, daß die Reisenden seit Wasserburg kein Weihbrunnkrügl und gar selten ein Kruzifix in ihrem Schlafzimmer fanden und in der Pfalz auch die Fastenspeisen nur hart und schlecht gemacht bekamen;[36] »denn alles frißt Fleisch, wer weiß, was sie uns gegeben haben – basta, wir haben keine Schuld«20.

In Heidelberg, wohin sie einen Abstecher machten, spielte Wolfgang in der Heil. Geistkirche die Orgel und setzte die Zuhörer dadurch in ein solches Erstaunen, daß der Stadtdechant seinen Namen und die näheren Umstände seines Besuches zu ewigem Andenken an die Orgel anschreiben ließ. Leider ist davon keine Spur mehr vorhanden.

In Mainz konnten sie, da der Kurfürst Joseph Emmerich (von Breidtbach) krank war, nicht bei Hofe spielen, nahmen aber in zwei Konzerten (im römischen Kaiser) 200 fl. ein21. Hier trafen sie mit der Sängerin Marianne de Amicis zusammen, die mit ihrem Vater und ihren Geschwistern von London kam. In Frankfurt, wo wir sie schon am 12. August finden22, erregten sie in einem am 18. August gegebenen Konzert solches Aufsehen, daß ihm noch drei andere folgten. Die Anzeige vom 30. August 1763 zeigt, welche erstaunlichen Leistungen dem Publikum geboten wurden23:


Die allgemeine Bewunderung, welche die noch niemals in solchem Grade weder gesehene noch gehörte Geschicklichkeit der 2 Kinder des Hochfürstl. Salzburgischen Kapellmeisters Hrn. Leopold Mozart in den Gemüthern aller Zuhörer erweckt, hat die bereits dreymalige Wiederholung des nur für einmal angesetzten Concerts nach sich gezogen.

Ja diese allgemeine Bewunderung und das Anverlangen verschiedener großer Kenner und Liebhaber ist die Ursach daß heute Dienstag den 30. August in dem Scharffischen Saal auf dem Liebfrauenberge Abends um 6 Uhr, aber ganz gewiß das letzte Concert sein wird; wobei das Mägdlein, welches im zwölften, und der Knab, der im siebenten Jahr ist, nicht nur Concerten auf dem Claveßin oder Flügel, und zwar ersteres die schwersten Stücke der größten Meister spielen wird, sondern der Knab wird auch ein Concert auf der Violine spielen, bei Synfonien mit dem Clavier accompagniren, das Manual oder die Tastatur des Clavier mit einem Tuch gänzlich verdecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als ob er die Claviatur vor Augen hätte; er wird ferner in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Accorden auf dem Clavier, oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken Gläsern und Uhren etc. anzugeben im Stande ist, genauest benennen. Letzlich wird er nicht nur auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel (so lange man zuhören will, und aus allen, auch den schwersten Tönen, die man ihm benennen kann) vom Kopf phantasiren, um zu zeigen, daß er auch die Art, die Orgel zu spielen versteht, die von der Art den Flügel zu spielen ganz unterschieden ist24.
[37]

Hier hörte ihn auch Goethe. »Ich habe ihn als siebenjährigen Knaben gesehen«, erzählte er Eckermann, »wo er auf einer Durchreise ein Konzert gab. Ich selber war etwa vierzehn Jahre alt, und ich erinnere mich des kleinen Mannes in seiner Frisur und Degen noch ganz deutlich«25.

In Koblenz, wo Baron Walderdorf und der kaiserliche Gesandte Graf Bergen die Wunderkinder bei der Hand zum Kurfürsten von Trier, Johann Philipp (von Walderdorf), führten, ließen sie sich bei Hofe am 18. September hören. Im übrigen verkehrten sie viel in der Familie des Geheimrats und Ritterhauptmannsvon Kerpen, der sieben Söhne und zwei Töchter hatte; sie spielten fast alle Klavier, zum Teil auch Violine und Violoncell und sangen. In Bonn war der Kurfürst von Köln, Maximilian Friedrich (Graf zu Königseck-Rothenfels), nicht anwesend; sie hielten sich daher nur so lange auf, um in der Residenz die zwei ungemein kostbaren Betten, das Bad, die erstaunlichen Galerien und Konzertsäle, Malereien, alle Gattungen von Uhren, eingelegten Tischen, Porzellan und in Poppelsdorf und Falkenlust die verschiedensten Raritäten zu bewundern. Dagegen wird in Köln der »schmutzige Münster oder Dom« notiert. In Aachen, wo sie ein Konzert gaben26, war damals die Prinzessin Amalie, die Schwester Friedrichs des Großen, die eifrige Liebhaberin und Kennerin der Musik, zum Badeaufenthalt. Sie suchte L. Mozart zu bereden, mit seinen Kindern nach Berlin zu gehen, allein er ließ sich in seinem Plane nicht irremachen. »Sie hat kein Geld«, schreibt der praktische Mann; »wenn die Küsse, so sie meinen Kindern, zumal dem Meister Wolfgang, gegeben, lauter neue Louisd'ors wären, so wären wir glücklich genug; alleine weder der Wirt noch die Postmeister lassen sich mit Küssen abfertigen27«. In Brüssel, wo Prinz Karl von Lothringen, Bruder des Kaisers Franz I., als Gubernator und Generalkapitän der österreichischen Niederlande residierte, mußten sie einige Zeit verweilen, bis es ihnen gelang, ein großes Konzert zu geben. Die unfreiwillige Muße wurde ausgiebig zum Studium der Gemälde der alten Niederländer benutzt. Daneben werden den Knaben vor allem die flötenspielenden Figuren und singenden Vögel des Mechanikers Adam Lambman gefesselt haben. Weniger vermochten ihm die damaligen Brüsseler Musiker zu bieten: Meister wie die von L. Mozart u.a. genannten Fr. Schwindel (gest. 1786) und P. van Maldere (1736–1803), der Komponist der 1762 in Paris aufgeführten komischen Oper »La Bagarre«, waren zwar Anhänger des modernen Mannheimer Stils, jedoch ohne schärfere Eigenart.

In Brüssel treffen wir Mozart zugleich wieder als Komponisten an, und zwar mit einem Allegro für Klavier in C-Dur, das später in die erste Pariser Violinsonate (K.-V. 6) überging und von L. Mozart in Mariannes Notenbuch mit dem Datum des 14. Oktober versehen ist. In neuester Zeit hat man es als Anfangssatz einer Klaviersonate betrachtet, dem dann die (im Notenbuch allerdings an ganz verschiedenen Stellen stehenden) Sätze Andante[38] (K.-V. 8, Nr. 2), Menuett (ebenda 2. Menuett) und Allegro (K.-V. 9 a) gefolgt wären28. Das ist indessen bei dem ganzen Charakter und Zweck des Notenbuches zum mindesten zweifelhaft. Weit glaubwürdiger ist, daß die drei Sätze zusammen mit einem ganz neuen Schlußsatz erst bei der Umarbeitung zur Violinsonate zu einer Sonate zusammengefaßt wurden.

Am 18. November kam L. Mozart mit seinen Kindern in Paris an. Die Eindrücke, die hier von allen Seiten auf sie einstürmten, mögen auch dem Vater trotz aller Weltklugheit innerlich schwer zu schaffen gemacht haben, im Herzen des Sohnes aber klangen sie noch bis in die Tage des »Figaro« und des »Don Giovanni« hinein nach. Staunend erkannten sie die ungeheuren Gegensätze, die den französischen Staat unheilbar zerrissen und sich infolge der erst vor Jahresfrist beendeten, mit wenig Ruhm geführten Kriege gegen England und Preußen noch verschärft hatten: auf der einen Seite Adel und Klerus im alleinigen Besitz aller Rechte, die Vertreter eines bis an die Grenzen des Wahnsinns gesteigerten Lebensgenusses, auf der anderen die so gut wie rechtlosen, ausgesogenen Massen, die kaum ihres Lebens und Eigentums sicher waren, und über alle dem ein Königtum, dessen Träger Ludwig XV. über den Freuden seines Seraillebens seine Herrscherpflichten längst vergessen hatte; die eigentliche Leiterin des Staates, die Pompadour, stand damals im letzten Jahre ihres Lebens. Aber bereits hatte auch schon der Kampf der Geister gegen die Unnatur auf allen Gebieten begonnen. Schon war das ältere Geschlecht, das von dem Siege der Vernunft und fortschreitenden Gesittung das Heil für die bestehende Ordnung der Dinge erwartete, abgelöst worden durch Rousseau, der dieser Ordnung und ihrer ganzen Kultur überhaupt den Fehdehandschuh hinwarf und das heißersehnte allgemeine Menschenglück nur durch die Aufgabe der Kultur als solcher zu verwirklichen trachtete. Unmittelbar vor der Ankunft der Mozarts waren seine »Nouvelle Héloïse«, sein »Emile« und »Contrat social« erschienen, die auf die beiden dunkelsten Seiten der damaligen Gesellschaft, Ehe und Kindererziehung, ein grelles Schlaglicht warfen und schließlich der bestehenden Monarchie überhaupt den Krieg erklärten.

Gerade in den Kreisen des Adels, auf die die Mozarts auch in Paris fast ausschließlich angewiesen waren, stießen alle diese Gegensätze besonders heftig aufeinander. Zügelloseste Genußsucht, wie sie in dem frevelhaften Wort vom »Sakrament des Ehebruchs« ihren krassesten Ausdruck fand, wohnte hier dicht neben der durch Rousseaus Romane hervorgerufenen,[39] empfindsamen Tugendbegeisterung der »schönen Seelen«, nüchterne Aufklärung neben rührseliger Gefühlsschwelgerei, raffinierte Unnatur neben überschwenglicher Naturfreude. Zum erstenmal trat dem jungen Künstler die Welt gegenüber, die er dann in seinen reifen Werken so meisterhaft schildern sollte, aber auch für die Art Don Juans, des dämonischen Sinnesmenschen, waren in diesen Kreisen, die, auf ihren Plutarch eingeschworen, das Heldentum der Unmoral besonders liebten, die lebendigen Beispiele nicht schwer zu suchen.

Wir wollen indessen über den Schäden dieser Gesellschaft auch ihre Vorzüge nicht vergessen, den freien Gedanken, die elegante Form, das Spiel des Geistes, des Witzes und des zarten Gefühls und endlich jenen berückenden Traum vom allgemeinen Menschenglück, dem wir in letzter Linie auch die »Zauberflöte« verdanken. Manche dieser Züge, besonders die eigentümliche Mischung daseinsfroher Ritterlichkeit und grüblerischen Sinnens, schlummerten bereits in Mozarts eigener Natur; jetzt traten sie ihm inmitten eines betäubenden Wirbels neuer Erscheinungen erstmals leibhaftig entgegen. Gewiß hat er nach der formalen Seite der Kunst in Paris unendlich viel gelernt, aber zum mindesten ebenso wichtig ist der Anteil, den dieser und namentlich der spätere Pariser Aufenthalt an der Entwicklung seiner Persönlichkeit gewonnen haben.

Sehr bezeichnend ist, was der Vater über seine ersten Pariser Eindrücke an die Gattin seines Freundes Hagenauer schreibt29:


Ob die Frauenzimmer in Paris schön sind, kann ich Ihnen mit Grund nicht sagen; denn sie sind wider alle Natur, wie die Berchtesgadner Docken, so gemahlt, daß auch eine von Natur schöne Person durch diese garstige Zierlichkeit den Augen eines ehrlichen Deutschen unerträglich wird. Was die Andacht anbelanget, so kann ich versichern, daß man gar keine Mühe haben wird die Wunderwerke der französischen Heiliginnen zu untersuchen; die größten Wunder wirken diejenigen, die weder Jungfern, weder Frauen noch Wittwen sind; und diese Wunder geschehen alle bei lebendigem Leibe ... genug! man hat Mühe genug hier zu unterscheiden, wer die Frau vom Hause ist. Jeder lebt wie er will und (wenn Gott nicht sonderheitl. gnädig ist) so gehet es dem Staat von Frankreich, wie dem ehemaligen Persischen Reiche ... Ich kann Sie versichern, daß man die schlechten Früchte des letzten Krieges ohne Augenglas aller Orten siehet. Denn den äußerlichen Pracht wollen die Franzosen im höchsten Grade fortführen, füglich sind niemand reich als die Pachter, die Herren sind voller Schulden. Der größte Reichtum steckt etwa unter hundert Personen, die sind einige große Banquiers und Fermiers généraux, und endlich das meiste Geld wird auf die Lucretien, die sich nicht selbst erstechen, verwendet ... Die Frauenzimmer tragen nicht nur im Winter die Kleider mit Pelz garniert, sondern sogar Halskresel oder Halsbindl und statt der Einsteckblüml alles dergleichen von Pelz gemacht in den Haaren, auch statt der Maschen an den Armen xx. Das Lächerlichste aber ist ein Degenband (welche hier Mode sind) mit feinem Pelz um und um ausgeschlagen zu sehen. Das wird gut sein, daß der Degen nicht eingefriert. Zu dieser ihrer närrischen Mode[40] in allen Sachen kommt noch die große Liebe zur Bequemlichkeit, welche verursachet daß diese Nation auch die Stimme der Natur nicht mehr höret, und deßwegen gibt jedermann in Paris die neugeborenen Kinder aufs Land zur Aufziehung. Es sind eigens geschworne sogenannte Führerinnen, die solche Kinder auf das Land führen, jede hat ein großes Buch dahinein Vatter und Mutter x: dann am Orte wo das Kind hingebracht wird der Name der Amme, oder besser zu sagen, des Bauern und seines Weibs von dem Parocho loci eingeschrieben wird. Und das tun Hohe und niederen Stands Personen und man zahlt ein bagatelle. Man sieht aber auch die erbärmlichsten Folgen davon; Sie werden nicht bald einen Ort finden, der mit so vielen elenden und gestümmelten Personen angefüllet ist ...


Nach ihrer Ankunft stiegen die Mozarts bei dem bayrischen Gesandten von Eyck ab, dessen Gemahlin eine Tochter des Salzburger Oberstkämmerers GrafenArco war, im Hotel Beauvais in der Rue St. Antoine30. Der reiche Vorrat vornehmer und diplomatischer Empfehlungen, den sie mitgebracht hatten, blieb ohne Wirkung, mit einziger Ausnahme eines Briefes an Grimm, den ihnen eine Frankfurter Kaufmannsfrau mitgegeben hatte. Friedrich Melch. Grimm (geb. 1723 zu Regensburg) hatte als Student in Leipzig zu den Füßen Ernestis und namentlich Gottscheds gesessen, den er glühend verehrte31, und war dann 1748 nach Paris übergesiedelt, wo er als Sekretär des Grafen Friesen und dann des Herzogs von Orleans bald Zutritt in den maßgebenden Kreisen fand. Entscheidend wurde für ihn seine Bekanntschaft mitRousseau, Diderot, D'Alembert und anderen Mitarbeitern an der Enzyklopädie, an der er sich ebenfalls beteiligt hat. Kein Wunder, daß er sich unter diesem Einfluß zu einem der nachdrücklichsten Verfechter der italienischen Oper gegenüber der französischen entwickelte. Schon 1752 veröffentlichte er im »Mercure de France« über Destouches' »Omphale« eine vernichtende Kritik, ließ ihr dann 1753 in seiner »Vision du petit prophéte de Boehmisch-Broda« eine Satire desselben Geistes folgen und begründete gleich darauf mit Raynal und Meister die »Correspondance littéraire, philosophique et critique«, die seinen, als des Hauptverfassers Namen auf immer mit der Kulturgeschichte des ancien régime verknüpft hat. Für die Musik der Jahre 1747–1790 ist diese für den Hof und die Gesellschaft bestimmte Zeitschrift eine Quelle ersten Ranges32. Daß sie trotzdem mit Vorsicht zu benützen ist, liegt an der Persönlichkeit ihres Verfassers. Denn Grimm war weder musikalisch genügend geschult, um der Kunst, die er schilderte, gerecht zu werden, noch war er überhaupt der Mann, der sich um der Wahrheit willen einen sprühenden Witz oder eine schillernde Redeblüte hätte entgehen lassen. Er war überhaupt der richtige Journalist für die Pariser Gesellschaft: stets vorzüglich auf dem Laufenden über alles, was sie von der hohen Politik an bis zum schmutzigen Klatsch herab bewegte, ein nicht minder guter Kenner ihrer Anschauungen und ihres Geschmacks und endlich[41] ein Darsteller von treffendem Witz und nie versagender Gewandtheit. Nach der damaligen Sitte des gegenseitigen Verhimmelns hat ihn daraufhin Sainte Beuve den »Klassiker der Kritik« genannt.

Das Außerordentliche, noch nie Dagewesene war es denn auch, was ihn veranlaßte, die deutschen Wunderkinder unter seinen Schutz zu nehmen. Selbst Leopold ließ diesem »großen Freunde«, dem »gelehrten Mann und großen Menschenfreunde« gegenüber das gewohnte Mißtrauen fahren. »Er hat die Sache nach Hofe gebracht; er hat das erste Conzert besorget ... und wird auch das zweite besorgen ... Sehen Sie was ein Mensch kann, der Vernunft und ein gutes Herz hat ... er ist schon über 15 Jahre in Paris und weiß Alles auf die rechte Straße so einzuleiten, daß es, so wie er will, ausfallen muß«33. Ja selbst in seinen Kunstanschauungen ließ sich der sonst so kritische Mann von Grimm vollständig ins Schlepptau nehmen. »Die ganze franz. Musik ist keinen T – – wert«, schreibt er an Frau Hagenauer34, »man fängt nun aber an grausam abzuändern und es wird in 10 bis 15 Jahren der französische Geschmack, wie ich hoffe, völlig erlöschen«.

Zunächst war ihr Augenmerk auch hier darauf gerichtet, sich bei Hofe hören zu lassen. Am Weihnachtsabend, dem 24. Dezember, kamen sie nach Versailles, und blieben dort 14 Tage (Brief des Vaters vom 1. Februar 1764). Der ausführliche Bericht über die Vorstellung in Versailles, den L. Mozart dem Erzbischof selbst erstattete, ist leider nicht mehr vorhanden. Die wichtigste Person war natürlich die Marquise von Pompadour. »Sie muß recht gar schön gewesen sein«, schreibt L. Mozart an Frau Hagenauer, »denn sie ist noch sauber. Sie ist großer, ansehnlicher Person, sie ist fett, wohl bey Leib, aber sehr proportioniert, blond, hat vieles von der ehemaligen Freysauf Tresel35 und in den Augen einige Ähnlichkeit mit der Kaiserin Majestät. Sie gibt sich viele Ehre und hat einen ungemeinen Geist.« Sie ließ, wie Mozarts Schwester sich noch später erinnerte, den kleinen Wolfgang vor sich auf den Tisch stellen, wehrte ihn aber, als er sich gegen sie neigte, um sie zu küssen, ab, so daß er entrüstet fragte: »Wer ist denn die da, daß sie mich nicht küssen will? hat mich doch die Kaiserin geküßt.«36 Freundlicher waren die Töchter des Königs, welche gegen alle Etikette nicht nur in ihren Zimmern, sondern in der öffentlichen Passage sich mit den Kindern unterhielten, sie küßten und sich von ihnen die Hände küssen ließen. Am Neujahrstage bei der Abendtafel wurde die Familie Mozart durch die Schweizer in den Saal an die königliche Tafel geführt; Wolfgang mußte unmittelbar neben der Königin stehen, die ihm von den Leckerbissen mitteilte und sich mit ihm deutsch unterhielt, was sie dann Ludwig XV., der natürlich kein Deutsch verstand, übersetzen mußte. Neben Wolfgang stand der Vater, auf der andern Seite des Königs, neben dem Dauphin und Mme. Adelaide, die Mutter mit der[42] Tochter. Auch erhielt der Knabe Gelegenheit, in der Hofkapelle im Beisein des Hofes die Orgel zu spielen, was ihm gleichen Beifall einbrachte37. Als sie erst in Versailles gespielt hatten, fanden sie auch in allen vornehmen Zirkeln Zutritt und Bewunderung. Ein kleines Ölgemälde, jetzt im Museum des Louvre, stellt den kleinen Wolfgang am Klavier im Salon des Prinzen Conti inmitten einer großen Gesellschaft vornehmer Herren und Damen dar (s. Beil. »Mozarts Bildnisse«). Nun, nachdem sie sich in Privatgesellschaften oft hatten hören lassen, gaben sie am 10. März und 9. April 1764 zwei große Konzerte in dem Saale eines vornehmen Mannes, Mr. Felix, worin ein kleines Theater für die Schauspiele des Adels stand. Die Erlaubnis zu diesen Konzerten war eine große Gunst, da sie den Privilegien des Concert spirituel, wie des französischen und italienischen Theaters zuwiderlief, und wurde nur auf die Verwendung vieler vornehmer Gönner erreicht; der Erfolg war in jeder Hinsicht glänzend.

Während Marianne in ihrem Vortrage sich den ersten damaligen Pariser Virtuosen ebenbürtig an die Seite stellte, überraschte Wolfgang neben seinen Leistungen als Pianist, Geiger und Orgelspieler die Welt noch durch andere Beweise seiner Begabung. Er begleitete nicht nur in Konzerten und Gesellschaften italienische und französische Arien vom Blatt, sondern transponierte sie auch prima vista. Das setzt eine voll ständige Beherrschung des Generalbaßspiels voraus. Aber er war auch imstande, eine italienische Kavatine, deren Baß er nicht kannte, aus dem Stegreif zu begleiten und diese Begleitung bei öfteren Wiederholungen des Stückes immer wieder neu zu gestalten. Und was das wichtigste ist, er trat jetzt zum ersten Male mit freiem Phantasieren hervor, jener Kunst, die damals noch allgemein geübt und verlangt wurde und den modernen Künstlern leider fast völlig abhanden gekommen ist. Das alles berichtet uns Grimm, voll stolzer Genugtuung darüber, daß ihm diese neueste »Sensation« glänzend gelungen war38.

Nicht minder wichtig aber ist, was L. Mozart über ihren künstlerischen Verkehr in Paris mitteilt, der sich auf so ziemlich alle hervorragenden Männer erstreckte. Da ist in erster Linie der Schlesier Joh. Schobert zu nennen, ein Mann, aus dessen Leben außer einer von Mozart39 überlieferten Augsburger Spur nur bekannt ist, daß er von etwa 1760 an Kammercembalist des Prinzen von Conti in Paris war und hier am 28. August 1767 einer Pilzvergiftung erlegen ist. Er war der gefeiertste Klavierspieler des damaligen Paris, aber auch als Komponist genoß er eines hohen Ansehens40. Welchen großen Einfluß[43] dieser Meister, der erste vollwertige Vertreter der Mannheimer Kunst, den Mozart persönlich kennenlernte, auf ihn ausgeübt hat, wird später zu erörtern sein. Der erste Eindruck war freilich alles eher als günstig. L. Mozart spricht geradezu von dem »niederträchtigen Schobert, der seine Eifersucht und seinen Neid nicht bergen kann, und sich bei Mr. Eckard, der ein ehrlicher Mann ist, und bei vielen Leuten zum Gelächter macht ... Mr. Schobert ist gar nicht derjenige, der er sein soll. Er schmeichelt ins Gesicht, und ist der fälscheste Mensch; seine Religion aber ist nach der Mode. Gott bekehre ihn!«41 Weit günstiger wird der Hauptnebenbuhler Schoberts in der Gunst der Pariser Salons beurteilt, Joh. Gottfried Eckardt (etwa 1735 bis 1809), der, gleich Leopold ein Augsburger Kind, seit 1758 in Paris lebte. Wir wissen auch aus den Briefen des Sohnes42, daß seine Kunst hoch geschätzt wurde. Er sowie der ebenfalls von L. Mozart genannte L. Honauer werden uns bei der Besprechung von Mozarts Werken wieder begegnen. Man erkennt übrigens schon aus diesen Namen, welche Rolle die deutschen Musiker damals in Paris spielten; bestätigt wird sie durch die Ankündigungen der Verleger La Chevardière und Vertier, die damals neben Werken von J. Stamitz auch solche von Chr. Bach und J. Haydn aufführen43.

Neben der Kirchenmusik, von der die Mozarts in Versailles einige von L. Mozart wegen ihrer Chöre sehr gerühmte Proben hörten, kommt vor allem die Oper in Betracht, der erklärte Liebling der Pariser, der ihnen mehr galt als alle Instrumentalmusik. Wie sehr die alte tragédie lirique Lullys und Rameaus, einst der Stolz der Franzosen, beim Publikum in Ungnade gefallen war, bewies die Aufführung von Rameaus »Castor« am 23. Januar 1764, die von sämtlichen Berichterstattern als der Gipfel der Langeweile bezeichnet wird44, und nicht besser erging es den folgenden Werken von Mondonville und Bury. Um so mehr jubelte das Publikum den Aufführungen der »Comédie italienne« zu, die zur Zeit von Mozarts Aufenthalt hauptsächlich von Duni (Les deux chasseurs, Le milicien), Philidor (Le Bûcheron, Blaise le savetier, Le Maréchal, Le Sorcier) und Monsigny (Rose et Colas) bestritten wurden; auch »Bastien et Bastienne«, Text von Mad. Favart, konnte Mozart am Hofe zu Versailles hören45. Ist er natürlich auch nicht bei allen diesen Aufführungen selbst im Theater anwesend gewesen, so hat er doch bald ihre Hauptnummern auf allen Straßen hören können. Überhaupt sind diese französischen Gassen- und Gesellschaftslieder seinem aufmerksamen Ohre sicher nicht entgangen; in ihren witzigen und bissigen Versen, denen in Staat und Gesellschaft nichts heilig war, spiegelt sich der Geist des damaligen Paris getreu wider.[44]

Es war kein Wunder, daß sich inmitten dieser Fülle neuer Eindrücke bei dem Knaben auch der eigene Schaffensdrang wieder regte. Der Vater ließ Ende Januar 1764 vier Sonaten für Klavier und Violine46 von ihm stechen und war sehr gespannt auf den Lärm, den sie in der Welt machen würden, wenn auf dem Titel stände, daß sie das Werk eines Kindes von sieben Jahren wären. Er fand diese Sonaten in der Tat gut, nicht bloß weil ein Kind sie gemacht habe, und besonders ein Andante darin »von einem ganz sonderbaren goût«. Als sich später ergab, daß im letzten Trio von op. 2 drei Quinten mit der Violine, welche der junge Herr gemacht habe, stehen geblieben seien, obgleich er sie korrigiert habe, tröstete er sich damit, »daß sie als ein Beweis gelten könnten, daß Wolfgangerl die Sonaten selbst gemacht habe; welches, wie billig, vielleicht nicht jeder glauben werde, obgleich es denn doch so sei«. Die zuerst gestochenen beiden Sonaten (K.-V. 6, 7, S. XVIII. 1, 2) wurden von dem kleinen Komponisten der zweiten Tochter des Königs, der gutmütigen Prinzessin Victoire, die sich wie ihre Schwestern gern mit Musik unterhielt, gewidmet und selbst zu Versailles überreicht. Die folgenden (K.-V. 8, 9, S. XVIII. 3, 4) waren der steifleinenen und preziösen Gräfin de Tessé, Ehrendame der Dauphine47, dediziert. Grimm hatte im Namen des Knaben eine Dedikation geschrieben, worin sie und Wolfgang lebhaft abgeschildert waren. Zu L. Mozarts Bedauern lehnte sie sie ab, weil sie nicht gelobt sein wollte; so mußte denn eine einfachere an die Stelle treten48.

Die Wunderkinder wurden mit Auszeichnungen, Ehrengeschenken, Lobgedichten überhäuft. Hr. v. Carmontelle, ein als Porträtist geschätzter Dilettant49, malte die Künstlerfamilie allein; das artige Bild wurde auf Grimms Anstiften von Delafosse gestochen (Beil. »Mozart-Bildnisse«).

In dem stolzen Bewußtsein, den Sohn beim Pariser Publikum fest in den Sattel gesetzt zu haben, reiste L. Mozart am 10. April 1764 mit seinen Kindern von Paris ab. In Calais sah Marianne, nach der Angabe ihres Tagebuchs, »wie das Meer ablaufet und wieder zunimmt«. Von da fuhren sie, da das Paketboot überfüllt war, in einem eigenen Schiff, nicht ohne tüchtig seekrank zu werden, nach Dover über; ein gewandter Kurier, den sie von Paris mitgenommen hatten, ordnete die Reise und wies sie in London, wo sie am 22. April ankamen, zurecht.

Hier umfing sie von Anfang an eine ganz andere Luft als in dem unaufhaltsam dem Umsturz zutreibenden Frankreich. Gewiß entsprach gerade um 1765 das staatliche Leben Englands durchaus nicht dem begeisterten Lob, das ihm dereinst Voltaire in den Philosophischen Briefen gespendet hatte,[45] aber die Rührigkeit des Volkes, seine von großen nationalen Gedanken getragene Freude am Erwerb, seine staunenswerten Erfolge in Handel und Industrie mußten jedem Ankömmling nicht minder auffallen, als seine selbstbewußte, oft derbe Fröhlichkeit; hatte doch der große Krieg England allein von allen Teilnehmern einen unabsehbaren Zuwachs seiner Macht und vor allem seiner Seeherrschaft gebracht.

Auf anderen Gebieten freilich war mit diesem glänzenden Aufstieg eine beträchtliche Einbuße verbunden. Es ist kein Zufall, daß England vom Beginn des 18. Jahrhunderts, von der Zeit an, da der Handel seine Politik mehr und mehr bestimmt, aus der Reihe der großen Musiknationen ausscheidet und sich in der Tonkunst teils mit ausländischer Einfuhr, teils mit bescheidenen Durchschnittsleistungen begnügen muß. Die deutschen Beziehungen seines Königshauses haben London so manchen bedeutenden deutschen Musiker zugeführt, so vor allem Händel selbst, dessen Kunst damals noch in ungebrochener Kraft lebendig war. Mozart hatte Gelegenheit, eine stattliche Anzahl Händelscher Werke kennenzulernen50; auch lebte Händels bekannter Schüler und Vertrauter Joh. Christoph Schmidt (Smith) noch am Londoner Hofe. König Georg III. selbst war ein großer Freund der Musik, wenn ihm auch die genaue Kennerschaft so mancher festländischer Fürsten abging, und namentlich ein wirksamer Anhänger der Händelschen Kunst; Königin Sophie Charlotte war im Gesang ausgebildet und spielte auch das Klavier, nach Haydns Worten »ganz leidlich für eine Königin«51.

Auf dem Gebiete der Oper bewährte immer noch die im Covent-Garden-Theater aufgeführte »Beggars Opera« von Gay und Pepusch mit ihren Volksliedern ihre Anziehungskraft52, wichtiger dagegen wurde für Mozart die italienische Oper im Kings Theatre, die von Colomba Mattei und dann von dem Violinvirtuosen Giardini und Regina Mingotti geleitet wurde. Mozart konnte hier Opern von Joh. Christ. Bach, N. Piccinni, M. Vento, F. Giardini sowie eine Anzahl Pasticci von den verschiedensten Komponisten hören53. Zugleich trat er aber auch mit den Sängern der Oper in nähere Beziehungen, so vor allem mit dem um 1725 zu Florenz geborenen Kastraten Giov. Manzuoli, einem der gefeiertsten Sänger und Schauspieler seiner Zeit, der seinen Ruhm in Italien begründet hatte und dann nacheinander in London, Madrid, Wien (1760)54 und abermals in London tätig gewesen war. Unter glänzenden Bedingungen angestellt, war er der Mittelpunkt der damaligen Londoner Oper und riß das Publikum durch Stimme und Vortrag zur äußersten Begeisterung hin55. Er und der neben ihm wirkende Kastrat Ferd. Tenducci (geb. 1736) waren die ersten großen Gesangseindrücke Mozarts, und Manzuoli[46] ließ sich aus Freundschaft für die Familie sogar herbei, dem Knaben Unterricht im Gesang zu geben. Er machte von der neu erlangten Fertigkeit schon in London Gebrauch56, und als er im folgenden Jahr wieder nach Paris kam, berichtete Grimm, er habe den Vorteil, Manzuoli zu hören, so wohl benutzt, daß er, wenngleich mit sehr schwacher Stimme, doch mit ebensoviel Gefühl als Geschmack singe.

Den größten Einfluß auf ihn sollten aber zwei Künstler deutscher Geburt gewinnen, die im damaligen Londoner Musikleben den Ton angaben: K. Fr. Abel' und Joh. Christian Bach. Abel57, geb. 1725 zu Cöthen, war Schüler Seb. Bachs an der Leipziger Thomasschule gewesen und, nachdem er 1746 bis 1758 der Dresdener Hofkapelle angehört hatte, 1759 als Kammermusiker der Königin Sophie Charlotte in London angestellt worden, wo er mit kleinen Unterbrechungen bis zu seinem Tode (1787) geblieben ist. Abel war nicht allein ein äußerst fruchtbarer Komponist, sondern auch der letzte bedeutende Virtuose auf der Gambe. Joh. Christian Bach aber, der erste Meister, der für Mozarts Schaffen auf den verschiedensten Gebieten entscheidende und nachhaltige Bedeutung gewonnen hat, ist als jüngster Sohn Sebastians am 5. September 1735 geboren58. Er genoß zuerst den Unterricht seines Vaters und kam nach dessen Tode 1750 zu seinem Bruder Philipp Emanuel nach Berlin in die Lehre, wo er sich im Klavierspiel weiter ausbildete und zugleich mit der italienischen Oper Fühlung gewann. 1754 ging er als erster und einziger der Bache nach Italien, trat in den Dienst des Grafen Litta in Mailand und vollendete bei Padre Martini in Bologna seine Studien; er ist damals auch zum Katholizismus übergetreten. 1760 wurde er Domorganist zu Mailand. Daneben zog es ihn aber mehr und mehr zur Oper hin: 1761 ging sein »Catone in Utica«, 1762 sein »Alessandro nelle Indie« in Neapel in Szene59. Auch eine ganze Reihe von Kirchenkompositionen ist damals entstanden. Bald darauf erreichte ihn der Auftrag der Mattei, für London eine neue Oper zu schreiben; er war zugleich das sichtbare Zeichen dafür, daß Bach jetzt als vollwertiger Vertreter der herrschenden italienischen Opernrichtung betrachtet wurde. Der Erfolg von »Orione« und »Zanaida« war durchschlagend, und Bach wurde mit 300 Pfund Gehalt zum Musikmeister der Königin ernannt. Mit Abel zusammen begründete er 1764 ein Konzertunternehmen, die sog. »Bach-Abel-Konzerte«, die lange Zeit für die Londoner Musikwelt tonangebend wurden. Außer Bach und Abel selbst kam hier namentlich Jos. Haydn mit seinen Sinfonien zum Wort, auch ließen sich bedeutende Virtuosen aus aller Herren Länder hören. Auf den »Adriano« folgten zunächst 1767 der »Caratacco« sowie einige Pasticci: »L'Olimpiade« 1769 (mit Piccinni) und »Orfeo« 1769–70 (mit Gluck und Guglielmi), einer[47] der vielen Versuche, das Glucksche Werk durch Zugeständnisse an den italienischen Geschmack dem Publikum näherzubringen, endlich im Jahre 1770 das Oratorium »Gioas, re di Giuda«. Kein Wunder, daß Bach jetzt auch von auswärts Aufträge erhielt: so schrieb er 1772 und 1774 den »Temistocle« und »Lucio Silla« für Mannheim. Den »Silla« hat Mozart damals eifrig studiert60. Persönlich trafen die beiden 1778 wieder in Paris zusammen, wo 1779 Bachs »Amadis de Gaules« mit geringem Erfolg aufgeführt wurde. »Seine Freude und meine Freude, als wir uns wiedersahen«, schreibt Mozart damals dem Vater61, »können Sie sich leicht vorstellen – vielleicht ist seine Freude nicht so wahrhaft – doch muß man ihm dieses lassen, daß er ein ehrlicher Mann ist und den Leuten Gerechtigkeit widerfahren läßt; ich liebe ihn (wie Sie wohl wissen) von ganzem Herzen – und habe Hochachtung für ihn und er – das ist einmal gewiß, daß er mich sowohl zu mir selbst, als bei andern Leuten – nicht übertrieben wie einige, sondern ernsthaft, wahrhaft gelobt hat«.

Am 1. Januar 1782 ist Bach gestorben62. Sein Ruhm und seine geschichtliche Stellung beruht neben seinen Opern besonders auf seinen Sinfonien und auf seiner Klaviermusik63, über die bald in Verbindung mit Mozart noch zu reden sein wird.

Das Glück war den Mozarts in London nicht minder hold als in Paris. Es gelang ihnen schon am 27. April, sich bei Hofe hören zu lassen, und die Aufnahme übertraf alle Erwartungen. »Die Gnade, mit welcher sowohl S. Majestät der König als die Königin uns begegnet, ist unbeschreiblich«, sagt L. Mozart64, »... beider freundschaftliches Wesen ließ uns gar nicht mehr denken, daß es der König und die Königin von England wären. Man hat uns an allen Höfen noch ganz außerordentlich höflich begegnet, allein diese Art, die wir hier erfahren haben, übertrifft alle die andern. Acht Tage darauf gingen wir in St. James Park spazieren. Der König kam mit der Königin gefahren, und obwohl wir alle andere Kleider anhatten, erkannten sie uns doch, grüßten uns nicht nur, sondern der König öffnete das Fenster, neigte das Haupt heraus und grüßte lachend mit Haupt und Händen im Vorbeifahren uns, und besonders unsern Master Wolfgang.« Schon am 19. Mai wurden sie wieder an den Hof berufen, wo im vertrauten Zirkel abends von 6–10 Uhr musiziert wurde. Der König legte dem »unüberwindlichen« Wolfgang Stücke von Wagenseil, Bach, Abel und Händel vor, die er prima vista wegspielte; auf des Königs Orgel spielte er so, daß man es seinem Klavierspiel noch vorzog. Der Königin begleitete er eine Arie, einem Flötisten ein Solo, endlich nahm er die Baßstimme einer Händelschen Arie und improvisierte dazu die schönste Melodie. »Es übersteigt alle Einbildungskraft«, sagt der Vater. »Das, was er gewußt hat, als wir aus Salzburg abgereist, ist ein purer Schatten gegen das, was er jetzt weiß«; und bald darauf:65 »Genug[48] ist es, daß mein Mädel eine der geschicktesten Spielerinnen in Europa ist, wenn sie gleich nur zwölf Jahre hat, und daß mein Bub, kurz zu sagen, alles in diesem seinem achtjährigen Alter weiß, was man von einem Manne von vierzig Jahren fordern kann. Mit Kurzem, wer es nicht sieht und hört, kann es nicht glauben. Sie selbst, alle in Salzburg wissen nichts davon, denn die Sache ist nun etwas ganz anderes.« Von Bach aber empfing der Knabe einen Eindruck für sein ganzes Leben. Mächtig fühlte er sich zu diesem Manne hingezogen, dessen Persönlichkeit seiner eigenen in so manchen Zügen verwandt war66. Bach hat die Größe seines Talents voll erkannt. Er musizierte gern mit dem Knaben; er nahm ihn auf den Schoß und führte mit ihm eine Sonate so aus, daß jeder abwechselnd einige Takte spielte, mit einer Präzision, daß man glauben mußte, sie würde von einem gespielt; er fing eine Fuge an, die Wolfgang, wenn er abbrach, aufnahm und weiterführte.

Nunmehr glaubte L. Mozart es wagen zu können, trotz der nicht günstigen Saison dem großen Publikum »das größte Wunder darzustellen, dessen sich Europa und die Menschheit überhaupt rühmen kann«, wie es in der Ankündigung hieß67. Mit kluger Berechnung war das Konzert auf den 5. Juni gesetzt, den Tag nach des Königs Geburtstag, dessen glänzende Feier auch ein glänzendes Publikum in London versammelte. Die Spekulation gelang, L. Mozart »hatte den Schrecken, in drei Stunden 100 Guineen einzunehmen« und konnte eine schöne Summe nach Hause schicken68. Am 29. ließ er, um sich dem englischen Publikum zu empfehlen, Wolfgang in einem Konzert, das zu einem wohltätigen Zweck im Saal des Ranelagh-Gartens gegeben wurde, »eine vorzügliche Auswahl Musikstücke auf dem Klavier und der Orgel vortragen, welche das höchste Entzücken und Erstaunen bei den größten Musikkennern in England erregten«. Der glückliche Gang ihrer Angelegenheit wurde durch eine gefährliche Halsentzündung des Vaters unterbrochen, die ihn bei der Rückkehr aus einem bei Lord Thanet gehaltenen Konzert überfiel. Er mußte sich zu seiner völligen Erholung am 5. August69 nach Chelsea begeben, wo er mit seiner Familie sieben Wochen verweilte. Während hier aus Schonung für den Vater kein Instrument angerührt werden durfte, machte Wolfgang sich daran, Sinfonien für Orchester zu schreiben, und seine Schwester erzählt70, wie er zu ihr, die neben ihm saß, gesagt habe: »Erinnere mich, daß ich dem Waldhorn etwas Rechtes zu tun gebe.« Das Horn war derzeit in England ein beliebtes Instrument, und noch einige Zeit hindurch findet es sich in Wolfgangs jugendlichen Kompositionen bevorzugt. Es entstanden damals die Sinfonien in[49] B-, Es- und D-Dur (K.-V. 17, 16, 19, S. VIII. 1, 2, 4)71, Mozarts erste Versuche in der Instrumentalmusik hohen Stils.

Nachdem die Familie wieder in die Stadt gezogen war, wurde sie am 25. Oktober abermals bei Hofe eingeladen. Es war der vierte Jahrestag der Thronbesteigung des Königs, der am Hofe wie in der Stadt festlich begangen wurde. L. Mozart ließ nun als ein Denkmal der königlichen Gnade sechs neue von Wolfgang komponierte Sonaten für Klavier und Violine oder Flöte auf seine Kosten stechen, die der Königin mit einer vom 18. Januar 1765 datierten und von ihr mit 50 Guineen belohnten Widmung zugeeignet wurden; am 20. März kamen sie in den Handel (K.-V. 10–15)72.

Am 21. Februar traten die »Wunder der Natur« wieder in einem mehrmals aufgeschobenen Konzert öffentlich auf. Die Anzeige im »public advertiser« fügte hinzu: »alle Ouvertüren (d.h. Sinfonien) sind von diesem staunenswerten, nur 8 Jahre alten Komponisten.«73 Die Zeit war der politischen Verhältnisse und der Krankheit des Königs wegen nicht günstig, »andere Plaisirs« standen ihnen auch im Wege, die Einnahme fiel nicht so gut aus, wie man gehofft hatte. Nur nach wiederholten Ankündigungen, die auf die bevorstehende Abreise der Kinder hinwiesen, und zu herabgesetztem Preise kam am 13. Mai ein Konzert zustande. »Es war etwas ganz Bezauberndes«, berichtete die Salzburger Zeitung74, »die vierzehn Jahre alte Schwester dieses kleinen Virtuosen mit der erstaunlichsten Fertigkeit die schwersten Sonaten auf dem Flügel abspielen und ihren Bruder auf einem anderen Flügel solche aus dem Stegreif accompagnieren zu hören.« Auch spielte Wolfgang auf einem Flügel mit zwei Manualen und Pedal, den der Instrumentenmacher Tschudi für Se. Kön. Preußische Majestät gebaut hatte75, er war froh, »seinen außerordentlichen Flügel durch den außerordentlichsten Klavierspieler dieser Welt das erste mal spielen zu lassen«. Von da an lud L. Mozart wiederholt das Publikum ein, die jungen Wunder privatim zu hören und zu prüfen, täglich von 12 bis 2 Uhr, anfangs in ihrer Wohnung, später in einem Gasthof, nicht von erstem Range. Als etwas Außerordentliches wurde verheißen, daß beide Kinder zu vier Händen auf demselben Klavier mit verdeckten Tasten spielen würden. Auch komponierte Wolfgang hier sein[50] erstes vierhändiges Stück, was L. Mozart zu der – allerdings unrichtigen – Bemerkung veranlaßte, daß es bis dahin nirgends eine vierhändige Sonate gegeben habe.76

Eine wiederholte und gewissenhafte Prüfung der Fähigkeiten und Leistungen des Wunderkindes nahm im Juni ein als Rechtsgelehrter und Naturkundiger geachteter Mann, Daines Barrington, vor und erstattete darüber ausführlichen Bericht77. Gewissenhaft hatte er sich einen Taufschein Wolfgangs verschrieben, um über sein Alter sicher zu sein, und sich überhaupt zuverlässige Nachrichten von ihm verschafft. Außer den gewöhnlichen Probestücken, schwierige Klaviersachen »a vista« zu spielen und aus einer ihm unbekannten Partitur sicher und geschmackvoll zu singen und zu begleiten, veranlaßte er ihn zu einer Improvisation. Er bat den Knaben, ihm einen Liebesgesang zu improvisieren, wie ihn etwa Manzuoli in der Oper singen möchte. Sogleich begann Wolfgang einige Worte herzusagen, die einem einleitenden Rezitativ entsprachen, darauf folgte ein Musikstück auf das Wort affetto (Liebe) komponiert, ungefähr von der Länge einer gewöhnlichen Arie, regelrecht in zwei Teilen. In derselben Weise ließ er dann einen Gesang des Zornes hören, auf das Wort perfido (Treuloser) komponiert, wobei er in eine solche Begeisterung geriet, daß er wie ein Besessener auf das Klavier schlug und mehrmals von seinem Sessel in die Höhe fuhr. Barrington bemerkt, daß diese improvisierten Kompositionen, wenn auch nicht staunenswert, doch weit über das Gewöhnliche erhaben und Beweise einer bedeutenden Erfindungskraft gewesen seien. Man sieht also, daß nicht bloß die technische Ausbildung so merkwürdig vorgeschritten war, daß der Knabe die Regeln und die Formen der Komposition mit einer gewissen Freiheit beherrschte, sondern daß auch die Begeisterung einer künstlerisch angeregten Phantasie ihn wirklich schöpferisch machte. Reizvoll ist es, hier schon die ersten Regungen des dramatischen Elements wahrzunehmen, das sich später in Mozart als das wesentlich gestaltende entwickelt, und wie er dem Ausdruck einer bestimmt ausgesprochenen leidenschaftlichen Stimmung bereits die feste Form zu geben weiß. Den Beleg dazu gibt eine in London 1765 komponierte Tenorarie »Va dal furor portata« (K.-V. 21, S. VI. 1), die, in der regelrechten Da-capo-Form knapp ausgeführt, zwar keine Originalität, aber Sinn für charakteristischen Ausdruck verrät.

In der letzten Zeit ihres Aufenthalts besuchten sie auch das britische Museum, dessen naturhistorische und ethnographische Merkwürdigkeiten Marianne sich aufschrieb. Auf einen ihm ausgesprochenen Wunsch schenkte Wolfgang dem Museum nicht allein seine gedruckten Sonaten, sondern auch[51] eine handschriftliche Komposition (K.-V. 20 S. III. 9)78. Es ist ein kurzes vierstimmiges Madrigal »God is our refuge«, dessen Melodie vielleicht eine gegebene war. Dann ist jedenfalls die Bearbeitung ein merkwürdiger Beweis, nicht allein von dem Geschick des Knaben, sondern auch von seiner Fähigkeit, eine eigentümliche Form aufzufassen und wiederzugeben79.

Von einer ganz anderen Seite freilich zeigt sich uns der junge Mozart in einer Sammlung von 43 Stücken, die laut dem Vermerk des Vaters 1764 in London entstanden sind80. Ein Skizzenbuch im Sinne der Beethovenschen ist sie schon deshalb nicht, weil Mozart später auf kein einziges von den Stücken zurückgekommen ist; sie ist vielmehr ein Übungsbuch, worin sich der Knabe in den verschiedensten Formen versuchte, und zwar, was das Wichtigste ist, ganz für sich allein, ohne die Hilfe des Vaters. Wahrscheinlich stammt es aus der Zeit der unfreiwilligen Muße von Chelsea, wo der Vater krank darniederlag und Wolfgang deshalb kein Klavier benutzen konnte.

Die Ansicht, daß Mozart auch als Komponist schon in London auf der vollen Höhe der Meisterschaft gestanden habe, wird durch dieses Notenbuch gründlich widerlegt, und wir müssen einen großen Teil des Lobes, das wir bisher den fertigen Kompositionen aus dieser Zeit gezollt haben, vom Sohne auf den Vater übertragen, der in manchen Fällen überhaupt erst Ordnung geschaffen haben mag. Wer es bei Mozart nur mit dem Bewundern hält, mag enttäuscht sein; der Vernünftige wird sich erleichtert fühlen, wenn er sieht, daß auch Mozart sich zwar früher und rascher als gewöhnliche Sterbliche, aber doch gesund und ohne übernatürliche Sprünge entwickelt hat. Nicht einmal auf sein inneres Ohr konnte er sich damals fest verlassen, wie die zahlreichen klanglichen Unmöglichkeiten beweisen, die er mit Hilfe des Klaviers sicher erkannt und beseitigt hätte. Aber es finden sich außerdem noch zahlreiche Satzfehler, und zwar meist da, wo es sich um verwickeltere kontrapunktische und harmonische Aufgaben handelt81. Das war also damals noch die schwächste Seite seines Könnens. Auch die melodische Arbeit steht bei weitem nicht auf der Höhe. Vor allem zeigt sich bereits hier eine Schwäche, mit der Mozart noch jahrelang zu kämpfen hatte und die im Grunde nichts anderes war als die Kehrseite seines Ideenreichtums: er bleibt[52] nicht bei den einmal gewählten Gedanken, er verarbeitet sie nicht, sondern ersetzt sie, wenn es ihm gut dünkt, einfach durch neue. Manchmal tragen diese Sprünge ein geradezu herausforderndes Gepräge, als wollte der von der väterlichen Zucht befreite Knabe einmal tüchtig den Stürmer und Dränger spielen (Nr. 28)82, zumeist aber tut diese Art des Aneinanderstückelns, die zudem mitunter noch arges Ungeschick verrät, der Einheitlichkeit der Wirkung empfindlich Abbruch.

Der Form nach sind die Stücke mit wenigen Ausnahmen einfache zweiteilige Tänze, Rondos und Sonatensätze. Die Tänze sind augenscheinlich dem Muster des väterlichen Notenbuches von 1762 (s.o.S. 26 ff.) nachgebildet. Schon die große Zahl der Menuette (12) spricht dafür. Dazu kommt eine offenbar auf Pariser Eindrücke zurückgehende Reihe von Kontretänzen, von denen allerdings einige mit österreichischen, speziell böhmischen Tanzrhythmen durchsetzt sind (Nr. 5 und 32). Im ganzen genommen sind gerade diese Tanzstücke am besten geglückt; sie überraschen namentlich durch Züge herzhafter Kindlichkeit, die wir in den veröffentlichten Kompositionen vergebens suchen; in Nr. 31 ist der an das »Veilchen« gemahnende Beginn schon ganz von der späteren schwärmerischen Kantabilität erfüllt. An Gegensätzen fehlt es zwar auch hier nicht. Schon im ersten Teil lautet der Nachsatz meist ganz anders als der Vordersatz, und auch der zweite beginnt häufig mit neuen Gedanken, lenkt aber dann in die Schlußphrase des ersten zurück. Trotzdem fügt sich alles zwangslos zusammen, die Harmonik verläuft regelrecht, und die gleiche Länge beider Teile erhöht in den Menuetten die einheitliche Wirkung83. Bei den Rondos fällt auf, daß ihre Seitensätze, wie die Trios in den Menuetten von Wagenseil und zum Teil auch von L. Mozart, durchweg in Moll stehen, in vier Fällen (Nr. 11, 18, 32 und dem 2. Seitensatz von Nr. 33) offenbart sich schon die spätere Neigung, an der trüben Mollstimmung zäh festzuhalten84.

Die Sonatensätze zeigen noch bei weitem nicht die fortgeschrittene Gestalt der deutschen Meister, auch nicht L. Mozarts. Den Beweis liefern die zweiten Teile, die meist gleich lang sind wie die ersten (in Nr. 26 sogar kürzer). Es fehlt besonders die volle Reprise, statt ihrer erscheint die Themengruppe verkürzt oder in stark zusammengedrängter Form wieder85. Die Durchführungen beginnen meist regelmäßig mit dem Hauptthema auf der Dominante86, dann folgt aber nur zu häufig ein freies Schalten mit allerhand[53] neuen Gebilden, bis der Anschluß an den früheren Gedankenkreis wieder erreicht ist. Auch in den Themengruppen geht es noch bunt genug zu. Wir haben zwar für die Dreiteilung in Haupt-, Seitenthema und Schlußgruppe, wie sie z.B. in einfachster Form in Wagenseils Divertimenti op. 1–4 vorliegt, verschiedene Belege (Nr. 14, 15, 17), daneben aber Nr. 19, in deren Themengruppe der Knabe eine ganze Anzahl von Themen hineingepfropft hat. Man sieht deutlich, es war nicht die Lust an der Arbeit, an geordneter Gedankenfolge, die ihm die Feder führte, sondern die Freude am Stimmungswechsel und besonders an der eigenen Ideenfülle87. Das Vorbild Chr. Bachs ist in allen diesen Sätzen unverkennbar; es zeigt sich nicht allein in der Form, sondern auch in so manchen (in der Ausführung allerdings meist mißlungenen) revolutionären Zügen, wo der Knabe offenkundig nach einem besonders scharfen, im damaligen Sinne »modernen« Ausdruck strebt (Nr. 29). Auch an unmittelbaren Anklängen fehlt es nicht. So gehört der Anfang des Liedes Nr. 37


Reisen des Wunderkindes

zu den Lieblingswendungen Bachs88 (vgl. auch Nr. 2).

Die Mehrzahl der Stücke war augenscheinlich für das Klavier bestimmt. Das geht aus ihrem ganzen Charakter (vgl. die beiden wohl in Erinnerung an den Vater geschriebenen Jagdstücke Nr. 4 und 27) und aus ihrer Technik hervor, die an Virtuosität das Notenbuch von 1762 zum Teil erheblich übertrifft89; dagegen sind die Albertischen Bässe hier so selten wie dort90. Andere Stücke aber weisen über das Klavier hinaus: Nr. 7 scheint für die Orgel bestimmt, bei Nr. 29 und 3591 handelt es sich anscheinend um Entwürfe zu Sinfonie-Andantes, bei Nr. 28 um ein Orchestermenuett.

So ist dieses Notenbuch, das uns ein glücklicher Zufall erhalten hat, das merkwürdigste Zeugnis aus Mozarts erster Periode. Wir sehen den Knaben an den verschiedensten Formen und Stilarten herumtasten und ältere und neuere Eindrücke verarbeiten; auch treten da und dort schon Züge des späteren Meisters hervor, zu denen namentlich das Sich-treiben-Lassen durch[54] den eigenen Gedankenstrom gehört. Im allgemeinen aber handelt es sich bei diesen Stücken um alles eher als um ein »Wunder der Natur«: mitunter gelingt dem Knaben kraft seines Talentes wohl ein Wurf, namentlich da, wo er in den Grenzen des Kindlichen bleibt, im großen und ganzen steckt er jedoch noch tief in den Lehrjahren, ja zum Teil sogar noch in grobem Dilettantismus drin.

Am 24. Juli 1765 verließen die Mozarts London, blieben einen Tag in Canterbury und hielten sich bis zum Ende des Monats auf dem Landgut Boure bei Horatio Man auf. Auf die wiederholten eifrigen Bitten des holländischen Gesandten, der den dringenden Wunsch der Prinzessin Caroline von Nassau-Weilburg aussprach, die Kinder zu hören, entschloß sich L. Mozart, nach dem Haag zu gehen, obgleich dies eigentlich nicht in seinem Plane lag92. Wahrscheinlich betont er diese dringende Einladung, um sein langes Ausbleiben dadurch zu entschuldigen. Sein Urlaub war längst abgelaufen, man drang wiederholt in ihn, seine Rückkehr zu beschleunigen, während er dagegen darauf bedacht war, was er mit Gott angefangen habe, auch mit dessen Hilfe durchzuführen. »Ich hoffe, es wird alles gut werden, wenn nur die Häftel davon kommen«, schreibt er, »Gott verläßt keinen ehrlichen Teutschen93.« Von Dover fuhren sie am 1. August bei günstigem Winde in 31/2 Stunden nach Calais, gingen von hier nach Dünkirchen, »wo sie alles Merkwürdige besahen« und von da nach Lille. Hier wurden Vater und Sohn von einer Krankheit befallen, die sie zu einem vierwöchigen Aufenthalte nötigte, und von der sie in Gent, wo Wolfgang auf der großen neuen Orgel in der Bernhardinerkirche spielte, noch nicht wieder völlig hergestellt waren. In Antwerpen spielte er auf der großen Orgel der Kathedrale. Von dort fuhren sie über Rotterdam nach dem Haag, langten um den 11. September daselbst an und kehrten in der Ville de Paris, einem schlechten, aber von Künstlern viel besuchten Gasthause ein. Sie fanden beim Prinzen von Oranien und seiner Schwester, der Prinzessin von Weilburg, die gnädigste Aufnahme94. Schon am 20. berichtete der »Leidener Courant« von der Anwesenheit des Knaben und dem Erfolge seines Spiels am Hofe des Statthalters. Das erste Konzert war am 30. September; auch hier war angekündigt worden, daß alle Ouvertüren (Sinfonien) von Wolfgangs Komposition sein würden, und es waren die Liebhaber aufgefordert worden, ihm nach Gefallen Musik vorzulegen, die er sogleich vom Blatt spielen werde95. Das Orchester bildeten Haager Musiker, von denen mehrere auch in dem von Leopold Mozart aufgestellten[55] Verzeichnis der Personen genannt sind, mit denen sie in Berührung kamen. Dirigent warChristian Ernst Graf (Graaf), geboren 1723 in Rudolstadt; er ist der Komponist der Arie zur Installation des Statthalters, die Mozart variierte (K.-V. 24). Allein schon am 12. September war die Tochter von einer heftigen Krankheit befallen worden, an der sie wochenlang darniederlag; sie phantasierte heftig und wurde aufgegeben, so daß sie am 21. Oktober die Letzte Ölung erhielt. »Sollte jemand unsere Unterredung« schreibt der Vater96, »die wir drei, meine Frau, ich und meine Tochter, manchen Abend zusammen hatten, und wo wir dieselbe von der Eitelkeit dieser Welt, von dem glückseligen Tode der Kinder überzeuget, gehöret haben, der würde ohne nasse Augen es nicht angehöret haben, da inzwischen der Wolfgangl sich im anderen Zimmer mit seiner Musik unterhielt«. Auch versäumten sie nicht, in Salzburg Messen für Marianne lesen zu lassen. Am Sonntag, da sie ganz schlecht war, las Leopold das Evangelium »Domine descende, Vater meine Tochter stirbt«; da begann Prof. Schwencke97, den die Prinzessin von Weilburg sandte, eine neue Kur, die so günstig verlief, daß ihn nach einiger Zeit das Sonntagsevangelium: »die Tochter schlief, dein Glaube hat dir geholfen« mit guter Zuversicht erfüllte. Kaum war der Vater von dieser Angst befreit, als seine Fassung auf eine noch härtere Probe gestellt wurde. Wolfgang wurde von einem hitzigen Fieber befallen, das ihn mehrere Wochen sehr elend machte. Bei der Krankenpflege leistete ein Pater Vincenzo Castiglione gute Dienste, der dreißig Jahre in England und Holland den Medikus gemacht hatte und sich nun auf L. Mozarts Zureden entschloß, wieder als Geistlicher in seine Heimat zurückzugehen. Auch die Krankheit konnte die geistige Regsamkeit des Knaben nicht lähmen. Man mußte ihm, da er noch das Bett hütete, ein Brett über das Lager legen, auf dem er schreiben konnte, und selbst als die kleinen Finger noch ihren Dienst versagten, ließ er sich nur mit Mühe vom Schreiben und Spielen abhalten. Im Januar 1766 entstand die für die Prinzessin bestimmte Sopranarie »Conservati fedele« (K.-V. 23, S. VI. 2, aus Metastasios »Artaserse«). Das zweite Konzert fand am 22. Januar statt und wurde in ähnlicher Weise wie das erste angekündigt. Aus der Anzeige geht hervor, daß die Familie inzwischen eine andere Wohnung bezogen hatte. Noch in demselben Monat konnten sie sich nach Amsterdam begeben, wo sie vier Wochen zubrachten. Wolfgang ließ sich in zwei Konzerten hören, in denen nur Instrumentalmusik von seiner Komposition aufgeführt wurde. Das erste war am 29. Januar 1766[56] und wurde in der Haarlemer und Amsterdamer Zeitung angezeigt98. Das zweite Konzert war am 26. Februar; in der Ankündigung heißt es u.a.: »ces deux Enfants Exécuteront non Seulement des Concerts sur différents clavecins, mais aussi sur le même à 4 Mains, et le Fils jouera à la Fin sur l'Orgue de ses Propres Caprices, des Fugues et d'Autres Pièces de la Musique la plus profonde«99. Zum Belege der Angabe, daß in den Konzerten nur Instrumentalmusik von Wolfgangs Komposition gespielt wurde, dient eine Sinfonie in B-Dur in drei Sätzen (K.-V. 22, S. VIII. 5), die noch im Haag fertig geworden war. Obgleich in den Fasten alle öffentlichen Vergnügungen streng verboten waren, erlaubte man doch diese Konzerte, »weil die Verbreitung der Wundergabe dieser Kinder zu Gottes Preis diente«, – eine Begründung, die dem strengen Katholiken Leopold, wiewohl sie von Reformierten erlassen war, fromm und besonnen erschien100.

Von da riefen sie die Festlichkeiten bei der Installation des am 8. März 1766 volljährig gewordenen Prinzen von Oranien wieder in den Haag zurück. Wenn Leopold und Marianne den 11. März angeben, so war das wohl der Tag, an dem sie selbst bei Hofe waren101. Wolfgang war aufgefordert worden, sechs Sonaten für Klavier und Violine für die Prinzessin von Weilburg zu komponieren, die mit einer Dedikation gestochen wurden (K.-V. 26–31, S. XVIII. 11–16). Außerdem mußte er neben mehreren Arien für die Prinzessin andere »Kleinigkeiten« schreiben, die gleich gedruckt wurden, darunter Klaviervariationen über eine Arie, die zur Installationsfeier gemacht war (K.-V. 24, S. XXI. 1.) und über eine andere Melodie, »die in Holland durchaus von jedermann gesungen, geblasen und gepfiffen wird« (K.-V. 25, S. XXI. 2.). Das war das alte Heldenlied des niederländischen Volkes: »Wilhelmus van Nassouwe«, die älteste nachweisbare »Nationalhymne«, deren Text dem bekannten Geusenführer Marnix van St. Aldegonde zugeschrieben[57] wird; die Melodie findet sich zum ersten Male in M. Francks »Reuterliedlein« von 1603, dann in A. Valerius' »Nederlantsche Gedenck-clanck« 1626102. Dieses Wilhelmuslied fehlte in Holland bis auf heute bei keiner vaterländischen Feier103, es kam auch bei der damaligen Installation gebührend zu Ehren104. Für ein dabei gegebenes Konzert komponierte Wolfgang ein Orchesterstück in der Art der noch damals, besonders in Süddeutschland beliebten Quodlibets, der Vorgänger der heutigen Potpourris; d.h. er reihte verschiedene bekannte Melodien in witzigem Gegensatz und entsprechender Instrumentation aneinander und schloß mit einer Fuge über das Wilhelmuslied. Das Ganze nannte er »Galimathias musicum«. L. Mozart führte das Werk in seinem Katalog der Werke Wolfgangs bis 1768 auf; erhalten ist es uns in zwei Fassungen, deren Verhältnis zueinander immer noch nicht ganz aufgeklärt ist105. Auch die Herkunft der einzelnen Stücke ist noch nicht durchweg festgestellt. Den Anfang macht ein bekanntes Händel-Zitat, das hier von Mozart sehr großartig durchgeführt wird, als handelte es sich um[58] eine feierliche französische Ouvertüre. Aber statt des erwarteten Allegros tritt der Cembalist hervor und wartet mit einem lustigen Stücklein im Stile der »Husaren«- und verwandter Tänze auf, wie sie in den deutschen handschriftlichen Sammlungen zahlreich vertreten sind106. Nach einer gewalttätigen Orchesterfermate folgt ein manierlicheres, der Gesellschaftsmusik angehörendes Menuett. Das Trio freilich, das ihm folgen soll, läßt sich recht grämlich an (Adagio d-Moll), ein ungestümes Pochen, einige erwartungsvolle Akkorde darauf – da springt plötzlich in den Hörnern die deutsche Volksweise »Ich wollt es wäre Nacht« auf den Plan und zeigt an, daß es sich um ein Abenteuer beim »Fensterln« handelt107; richtig trollt sich denn auch im folgenden Adagio der verschmähte Liebhaber in der entgegengesetzten Richtung kleinlaut davon. Die nächste Gruppe führt uns mitten in ein Bauernfest hinein, bei dem sich Wolfgang augenscheinlich der väterlichen »Bauernhochzeit« erinnert hat, wie auch dessen Pastoralsinfonie in dem G-Dur-Satz (34) noch deutlich nachklingt108. Im Allegretto scheinen Dorfmusikanten aufzuziehen, abermals folgt ein handfester Bauerntanz mit Dudelsackbässen und mit erhöhter Quart109 und schließlich eine noch heute bekannte Schuhplattlerweise, worauf die Musik wieder abzieht und die Bässe das Wilhelmuslied als Fugenthema an stimmen. Das ganze Stück, das jedenfalls ganz besonders nach Leopolds Herzen war, und an dem ihm deshalb sicher auch ein starker Anteil zufällt, ist wichtig, weil es zeigt, daß alle Reiseeindrücke doch nicht das Band mit der heimatlichen deutschen Volksmusik zu zerreißen vermochten.

Auch dem Vater widerfuhr damals eine schmeichelhafte Auszeichnung; man übersetzte seine Violinschule ins Holländische und widmete sie zur Installationsfeier dem Prinzen von Oranien110. Der Verleger überbrachte sie Leopold Mozart in Begleitung des Organisten, der Wolfgang einlud, auf der berühmten großen Orgel in Haarlem zu spielen, was auch den folgenden Tag geschah.

Nach den Festlichkeiten blieb die Familie noch fünf Wochen im Haag, und die Kinder spielten noch mehrere Male bei Hofe. Dann begaben sie sich auf die Rückreise, gaben am 16. April noch ein Konzert in Amsterdam und wenige Tage später eins in Utrecht, wie aus dem Beschlusse des städtischen Musikkollegiums vom 18. April hervorgeht111. Nunmehr reisten sie über Mecheln, wo sie ihren alten Bekannten, den Erzbischof Johann Heinrich[59] Grafen von Frankenberg besuchten, nach Paris, und trafen dort am 10. Mai112 in einer von Freund Grimm besorgten Wohnung ein. Man fand, wie dieser berichtet, dort sowohl die Tochter als besonders den Sohn ungemein vorgeschritten; allein die Teilnahme des Publikums, die mehr dem Wunder so jugendlicher Virtuosität galt als der ungleich bedeutenderen Entwicklung eines außerordentlichen Genies, scheint doch nicht in gleichem Maße rege gewesen zu sein, wie bei ihrem ersten Aufenthalt. Indessen mußten sie wiederholt in Versailles bei Hofe spielen; die Prinzessin von Orleans, spätere Herzogin von Condé, rechnete es sich zur Ehre, Wolfgang ein kleines Rondo für Klavier und Violine von ihrer Komposition zu überreichen113. Der Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, der braunschweigische Achilles, wie ihn Winckelmann nennt114, den die Lorbeeren des Siebenjährigen Krieges berühmt gemacht hatten, suchte sie hier auf. »Er ist ein sehr angenehmer schöner freundlicher Herr«, schreibt L. Mozart, »und bei seinem Eintritt fragte er mich, ob ich der Autor des Buches über die Violin wäre«. Er war nämlich nicht bloß ein Mann von Einsicht und feinem Geschmack in der Musik, sondern spielte so gut Violine, »daß ein Musikus von Profession dadurch sein Glück machen könnte«115. Über Wolfgang sagte er, daß viele Kapellmeister stürben, ohne das gelernt zu haben, was der Knabe jetzt schon könnte. In der Tat bestand er Wettkämpfe mit den ausgezeichnetsten Künstlern auf der Orgel, dem Klavier, im Improvisieren, aus denen er als Sieger oder wenigstens in allen Ehren hervorging. Am 12. Juni komponierte er ein kleines Kyrie für vierstimmigen Chor mit Begleitung von Saiteninstrumenten (K.-V. 33, S. III. 1), das, auf einer französischen Liedmelodie aufgebaut, den Knaben wieder vollständig im Pariser Fahrwasser zeigt.

Am 9. Juli verließen sie Paris, begaben sich zunächst auf die Aufforderung des Prinzen von Condé nach Dijon, wo die Stände von Burgund versammelt waren116, dann nach Lyon. Hier lernten sie während eines Aufenthaltes von vier Wochen einen KaufmannMeurikofer kennen, der Wolfgang wiederholt den Spaß machen mußte, ein italienisches Lied mit der Brille auf der Nase zu singen. In Genf, wo sie alles in Unruhe fanden, blieben sie drei Wochen; in Lausanne mußten sie auf Bitten vornehmer Herrschaften, namentlich des Prinzen Ludwig von Württemberg (des Bruders des Herzogs Karl), der sie ungemein freundschaftlich behandelte, fünf Tage bleiben117; von da ging es nach Bern, wo sie acht Tage, und nach Zürich, wo sie vom 19. September bis 3. Oktober verweilten. Hier verlebten sie in der Gesnerschen Familie frohe Tage und schieden mit schwerem Herzen. Unter anderen[60] Büchern, die man ihnen dort als Andenken verehrte, schenkte Salomon Gesner ihnen seine Werke mit folgender Zuschrift:


Nehmen Sie, werteste Freunde, dies Geschenk mit der Freundschaft, mit der ich es Ihnen gebe. Möchte es wür dig sein, mein Andenken beständig bei Ihnen zu unterhalten. Genießen Sie, verehrungswürdige Eltern, noch lange die besten Früchte der Erziehung in dem Glücke Ihrer Kinder; sie seyen so glücklich, als außerordentlich ihre Verdienste sind! In der zartesten Jugend sind sie die Ehre der Nation und die Bewunderung der Welt. Glückliche Eltern! Glückliche Kinder! Vergessen Sie alle nie den Freund, dessen Hochachtung und Liebe für Euch sein ganzes Leben durch so lebhaft sein werden als heute.


Zürich, den 3. Weinmonat 1766

Salomo Gesner


In Zürich sind sie aber auch öffentlich aufgetreten, und zwar in einem Konzert der Musikgesellschaft, in dem Orchesterwerke aufgeführt wurden118.

Über Winterthur und Schaffhausen, wo sie vier Tage angenehm zubrachten, reisten sie nach Donaueschingen, wo der Fürst Joseph Wenzeslaus von Fürstenberg sie schon erwartete und durch seinen Musikdirektor Martelli empfangen ließ. Während zwölf Tagen war neunmal abends von 5–9 Uhr Musik, wo sie jederzeit etwas Besonderes aufführten; reich beschenkt entließ sie der Fürst, durch den Abschied bis zu Tränen gerührt. In Biberach veranlaßte Graf Fugger von Babenhausen, daß Wolfgang auf der Orgel einen Wettkampf mit Sixtus Bachmann unternahm, der, nur zwei Jahre älter als Wolfgang, durch seine musikalischen Leistungen großes Aufsehen erregte. »Jeder tat sein Äußerstes um dem andern den Vorzug streitig zu machen und für beide fiel der angestellte Wettstreit sehr rühmlich aus.«119 Dann gingen sie über Ulm, Günzburg, Dillingen (wo sie vor dem Fürsten spielten) und Augsburg nach München. Am 8. November angelangt, stellten sie sich am folgenden Tage dem Kurfürsten bei Tafel vor. Wolfgang mußte gleich neben ihm auf der Tafel auf ein Thema von einigen Takten, das der Kurfürst ihm vorsang, ein Stück mit Bleistift komponieren, das er dann im Kabinett zu allgemeinem Erstaunen vorspielte. Ein Unwohlsein, von dem Wolfgang hier befallen wurde, scheint eine Reise nach Regensburg, zu der sie aufgefordert wurden, verhindert zu haben: gegen Ende November 1766 traf die Familie Mozart wieder in Salzburg ein.

Fußnoten

1 Wir sind über diese Reise etwas genauer unterrichtet durch die Briefe L. Mozarts an den Kaufmann Lorenz Hagenauer (B IV 185 ff.), in dessen Hause er, als Wolfgang geboren wurde, und auch damals noch wohnte. Hagenauer erwies sich ihm als ein treuer, anhänglicher Freund, stets bereit, ihn in Geschäftsangelegenheiten mit Rat und Tat zu unterstützen und ihm auch in Geldverlegenheiten selbst mit namhaften Vorschüssen zu helfen; es ist daher begreiflich, daß ihm Mozart auch von den pekuniären Erfolgen seiner Reise Bericht abstattet. Außerdem vergleiche man die Berichte der Schwester bei Nottebohm, Mozartiana S. 96 f.


2 Vgl. Köchel, Die Pflege der Musik am österr. Hofe vom Schlusse des 15. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Wien 1866, G. Adler, Ferdinand III., Leopold I., Joseph I. und Karl VI. als Förderer der Musik, Vj. VIII 252 ff. und die von Adler 1892/93 in Wien herausgegebenen »Kaiserwerke« (2 Bde.).


3 Auch im Jahre 1735 traten die Herzoginnen am Geburtstage der Kaiserin in einer Oper auf. Metastasio, der sie gedichtet hatte und sie ihnen einstudierte, weiß die Geschicklichkeit und Anmut der Prinzessinnen nicht genug zu loben (Opp. post. I., p. 175 ff.)


4 Burney, Reise II S. 186.


5 Metastasio, Opp. post. I, p. 401.


6 Burney, Reise II S. 187.


7 A. Schmid, Chr. W. Ritter von Gluck, 1854, S. 115.


8 Metastasio, Opp. post. II 31. Burney, Reise II 241. Marpurg, Krit. Br. II 141 f.


9 Nissen S. 9.


10 AMZ I 856.


11 S. Beil. »Mozart-Bildnisse«.


12 Vor musikalisch gebildeten Personen spielte Mozart Konzerte und andere Erzeugnisse der hohen Kunst, die übrigen wurden mit Tänzen und anderen Kleinigkeiten im Stile des Notenbuches abgefunden.


13 B IV 186 f.


14 Hauptquellen sind die Auszüge aus den Briefen L. Mozarts an Hagenauer, einige Familienerinnerungen bei Nissen und die Mitteilungen der Schwester, Nott. S. 97 f. Von Interesse sind auch die kurzen Reisenotizen L. Mozarts, welche Adressen von Personen, mit denen sie in Berührung kamen, Angabe der Wirtshäuser sowie Bemerkungen über Sehenswürdigkeiten enthalten. Man sieht daraus, wie genau er auf alles achtgab. Herausgegeben von Schurig, Dresden 1920.


15 Vgl. Buff a.a.O. S. 30.


16 »2 Academieen« sagt die Schwester, Nottebohm S. 97.


17 Vgl. hierüber H. Abert, N. Jommelli als Opernkomponist, 1908, S. 65, 79, 97 ff.


18 B IV 207 ff.


19 B IV 211 f.


20 »In Mannheim ließen sie sich beim Churfürsten von der Pfalz hören«, erzählt die Schwester, die indes über das Spiel in Schwetzingen schweigt, so daß hier wohl eine Verwechslung vorliegt. Daß die Reisenden auch in Mannheim sich aufhielten, zeigt des Vaters Brief bei Nissen, S. 41.


21 Nach den Mitteilungen der Schwester.


22 Vgl. K. Wölcke in B. Müllers Alt-Frankfurt 1917, S. 103 ff., wo auf Grund einer Fensterritzung Leopolds vom 12. August 1763 sogar die Wohnung, Bendergasse 3, festgestellt wird. Das Konzert am 30. und wohl auch die früheren fanden im »Scharffischen Saal auf dem Liebfrauenberg« statt.


23 Belli-Gontard, Leben in Frankfurt V, S. 25.


24 Noch ist hinzugefügt: »Die Person zahlt einen kleinen Thaler. Man kann Billets im goldenen Löwen haben.«


25 Eckermann, Gespräche mit Goethe, Leipzig 1908, II 178 f.


26 Nach Mitteilung der Schwester; der Brief des Vaters sagt davon nichts.


27 B IV 216.


28 So WSF I 27. Nimmt man schließlich auch – wozu übrigens die Tonarten F- und C-Dur keinen zwingenden Grund darbieten – eine Zusammengehörigkeit der drei ersten Sätze an, so erschiene es mir wahrscheinlicher, daß die Sonate nach zahllosen bekannten Vorbildern mit dem Menuett auch geschlossen hätte. Daß dazu noch das erwähnte Allegro gekommen wäre, bei dem Köchel (Them. Verz. Anh. IV 203) zudem sogar noch die Echtheit anzweifelt, ist mehr als unwahrscheinlich. Auch das Allegro (K.-V. 3) steht ja als selbständiges Stück in dem Heft.


29 B IV 219 ff.


30 Gegenwärtig Rue François-Miron No. 68. Vgl. Wilder S. 22.


31 Danzel, Gottsched S. 343 ff.


32 H. Kretzschmar, Die Correspondance littéraire als musikgeschichtliche Quelle, Gesammelte Aufsätze II 210 ff.


33 B IV 232.


34 B IV 224.


35 Gemeint ist eine Salzburgerin Therese Freysauff.


36 Auf die Kaiserin war er überhaupt stolz. Als man ihm an einem der kleineren deutschen Höfe Mut machen wollte, weil er vor einem vornehmen Herren spielen sollte, erwiderte er, er habe vor der Kaiserin gespielt, und da sei ihm nicht bange.


37 Mitteilung der Schwester, Nottebohm S. 98.


38 Corresp. littér. III 367 f. Vgl. das Zeugnis Suards (Mél. de litt. II, p. 337): »Il avait 6 à 7 ans. Je l'ai entendu jouer du clavecin au concert spirituel et dans des maisons particulières. II étonnait tous les amateurs par sa facilité et la précision avec laquelle il exécutait les pièces les plus difficiles. Il accompagnait sur la partition à la première vue. Il préludait sur son instrument et dans des capricci improvisés, il laissait échapper les traits du chant les plus heureux et montrait déjà un sentiment profond de l'harmonie.«


39 B I 92.


40 Zusammenfassend über sein Leben und Wirken H. Riemann in der Einl. zu S. s Ausgewählten Werken DT Bd. 39. Hier findet man auch die Zeugnisse von Schubart, Burney, Grimm u.a. und von Goethes Schwester Cornelie zusammengestellt. Wichtig sind außerdem die Aufsätze von Wyzewa und Saint-Foix ZIMG X 35 ff. und 139 f. und WSF I 65 ff. Vgl. auch Hiller, Wöchentl. Nachr. I 134 f.; Junker, Zwanzig Komponisten S. 89 ff.


41 B IV 225.


42 B I 48.


43 WSF I 60.


44 Bachaumont, Mémoires secrets II 13 meint sogar: »C'est le système de Copernic mis en action, il est très bien exécuté: reste à savoir pourquoi le système de Copernic dans cet opéra?«


45 WSF I 55.


46 Von diesen Sonaten standen K.-V. 6, 1–3. Satz, K.-V. 7, Satz 3 und K.-V. 8, Satz 1–2 als Klavierstücke bereits in dem erwähnten Notenbuch; K.-V. 8 trägt von L. Mozarts Hand das Datum des 21. Nov. 1763. K.-V. 7 und 9 stammen aller Wahrscheinlichkeit aus dem Dezember 1763 oder Januar 1764. Der Titel beider Sammlungen lautet übrigens »Sonates pour le clavecin, qui peuvent se jouer avec l'accompagnement de violon«; sie konnten also sowohl mit als ohne Geige gespielt werden. Vgl. B IV 224 f.; 241.


47 Goncourt, La femme au XVIIIième siècle 1862, I 71 f.


48 B IV 231.


49 Mad. du Deffand, Lettres I 207.


50 Von Händel wurden zur Zeit von Mozarts Anwesenheit aufgeführt: Judas Maccabäus, Alexanderfest, Israel in Ägypten, Samson, Messias, Salomo und Acis und Galathea. Vgl. C.F. Pohl, Mozart und Haydn in London 1867 (S. 37 ff.), das zuverlässigste Werk über diese Zeit.


51 Pohl S. 99.


52 Pohl S. 82, 89.


53 Pohl S. 71 ff. Von J. Chr. Bach kommen in Frage: »Orione« (19. Febr. 1763), »Zanaida« (7. Mai 1763) und »Adriano in Siria« (26. Jan. 1765).


54 Metastasio, Opp. post. II 272.


55 Burney, History of music VI 485. Kelly, Reminiscences of the Kings Theatre 1826, I 7.


56 »Der Sohn sang auch Arien mit der größten Empfindung«, erzählt die Schwester (Notteb. S. 99).


57 Pohl S. 155 ff. und Burneys Biographie in S. Cramers Ausgabe von Abels »Adagios« 1820.


58 Vgl. M. Schwarz, Joh. Christ. Bach, SIMG II 401 ff.


59 Von dem »Demofoonte« des Jahres 1758 ist nicht sicher, ob Bach die ganze Oper oder nur einzelne Arien geschrieben hat. Schwarz S. 442.


60 B I 113 f., vgl. auch 171.


61 B I 246.


62 Von seinen Opern ist noch »La clemenza di Scipione«, London 1775 nachzutragen.


63 Ein genaues Verzeichnis aller seiner Werke nebst den Fundorten gibt Schwarz S. 442 ff.


64 B IV 234.


65 B IV 237 f.


66 Vgl. O. Fleischer, Mozart S. 27, der überhaupt das Verdienst hat, auf die Beziehungen zwischen Bach und Mozart, die auch Jahn gänzlich entgangen sind, erstmals hingewiesen zu haben.


67 Pohl S. 101.


68 Daß in diesem Konzerte »alle Symphonien von der Komposition des Sohnes gemacht« gewesen seien, wie die Schwester erzählt (Nott. S. 99), dürfte auf Verwechslung beruhen; der Vater berichtet davon nichts. Außerdem berichtet die Schwester, daß sie nun auch überall »Concert auf 2 Claviere« spielten (S.u.).


69 Diesen Tag gibt die Schwester an, während Pohl S. 106 den 6. nennt. L. Mozart mietete dort ein Landhaus.


70 AMZ II 301.


71 Ich folge hier der Datierung von WSF I 99 ff., die für K.-V. 17 den Sommer 1764, für K.-V. 16 den Januar 1765 und für K.-V. 19 das Frühjahr 1765 als Entstehungszeiten annehmen. Die Handschriften vermerken bei den beiden letzten nur »London«, bei der ersten überhaupt nichts. Die Sinfonie in Es-Dur (K.-V. 18, S. VIII. 3) ist nicht von Mozart, sondern von Abel, vgl. WSF I 97. Ebenso ist Mozarts Verfasserschaft bei dem von Köchel ins Jahr 1765 gesetzten Orchestermenuett in C-Dur (K.-V. 25 a) sehr unsicher.


72 B IV 240 ff. Am 20. März 1765 wurden sie zum Verkauf angezeigt.


73 Pohl S. 123; es waren wohl die eben genannten Werke.


74 Europ. Zeitg. 1765 Nr. 63, 6. Aug. Auch sonst hatte man ihn in Salzburg damals nicht vergessen. Am 3. Jan. 1765 war eine Gesellschaft bei Hof, »während solcher Zeit eine kleine Cammer-Musique, – welche der Junge Sohn des Mozard, allhiesigen vice Capelmeisters, so sich aber dermahlen mit dessen Sohn in London befindet, Componiret hat, – produciret wurde.« So Pirckmayer, Über Musik und Theater am salzb. Hofe (s.u.), nach dem Hofdiarium. Dies könnte eine der in Paris komponierten Sonaten gewesen sein.


75 Burney, Reise II, S. 104 f.


76 Im Besitze der Schwester befanden sich zwei Stücke für vier Hände, welche sie als seine erste derartige Komposition bezeichnet. Sie sind verschollen. Nott. S. 139.


77 Philosophical Transactions 1770 Vol. XL., wiederholt in Barrington, Miscellanies on various subjects (London 1781) p. 279 ff. In Wien war, als es sich um den zulässigen Zeitpunkt der Judentaufen handelte, Mozart als Beweis dafür angeführt worden, daß mit dem 7. Lebensjahre das hierzu erforderliche Unterscheidungsvermögen vorhanden sei. Hanslick, Konzertw. in Wien S. 121.


78 Pohl AMZ 1863, S. 853 ff.


79 Das Dankschreiben vom 19. Juli 1765 lautet: »Sir, I am ordered by the standing committee of the trustees of the British Museum, to signify to You, that they have received the present of the musical performances of your very ingenious son, which You were pleased to make them, and to return You their thanks for the same. – M. Maty, Secretary.«


80 Es befand sich unter den Manuskripten, die Ernst von Mendelssohn-Bartholdy 1908 dem Deutschen Kaiser schenkte. Kaiser Wilhelm II. überwies sie der Kgl. Bibliothek in Berlin. Anfänge einzelner Stücke K.-V. Anh. II 109 b. Einen Teil publizierte R. Genée in verschiedenen Heften der MBM seit 1898. Das ganze hat 1908 Dr. G. Schünemann bei Breitkopf & Härtel in Leipzig herausgegeben unter dem Titel »Mozart als achtjähriger Komponist. Ein Notenbuch Wolfgangs«.


81 Die Fuge Nr. 43 ist sicher nicht bloß zufällig unvollendet geblieben; schon ihr akkordisches Thema zeigt, wie ferne der Knabe dem Geist dieser Form damals noch stand. Vgl. außerdem Nr. 7, 10, 15, 19, 20, 21 u.a.m.


82 In Nr. 6, T. 5 ff. hat ihn die von A. Heuß (ZIMG X 181 f.) richtig erkannte Messias-Reminiszenz aus der Bahn gedrängt, ein lehrreiches Beispiel für Mozarts Empfänglichkeit für künstlerische Eindrücke.


83 Verstiegenheiten wie in Nr. 6 und im a-Moll-Menuett Nr. 10, wo der erste Teil in F-Dur schließt, sind selten. In der im Satze höchst ungeschickten Nr. 32 fällt das plötzlich eintretende Chroma des zweiten Teils auf, ein kindlich ungelenker Vorläufer der späteren Art.


84 Hier mag überhaupt auf die Tonarten der Stücke hingewiesen werden: 27 weisen B- und nur 9 Kreuztonarten auf; fünf sind Mollstücke.


85 Nur Nr. 22 hat eine volle Reprise.


86 Nr. 21 hat an dieser Stelle einen der dem späteren Mozart so geläufigen überraschenden Harmoniewechsel mittels einfacher Unisonorückung.


87 Durchaus einheitlich ist eigentlich nur Nr. 1, die deshalb wohl absichtlich an dieser Stelle steht.


88 Sie findet sich schon dreimal im »Catone« (12, 5, III 6). Die Rolle, die sie bei Gluck im Orpheus und den beiden Iphigenien spielt, ist bekannt. Bei Mozart klingt sie noch in der ersten Kavatine der Gräfin im »Figaro« nach.


89 Vgl. namentlich Nr. 14.


90 S. das Fragment Nr. 38 mit dem Überschlagen der Hände, bei dem Mozart wohl das in derselben Tonart stehende Andante aus der 3. Sonate des Vaters vorgeschwebt hat. Für den Brauch, dieselbe Phrase nacheinander in beiden Händen zu bringen, den WSF I 135 dem Vorbilde Bachs zuschreiben, lagen Mozart bereits in dem Notenbuch von 1762 mehrere Muster vor.


91 Nr. 35 hält Heuß a.a.O. sogar für die Bearbeitung eines fremden Werkes, jedoch ohne genügenden Grund.


92 In seinem ersten Brief aus dem Haag (B IV 245) sagt L. Mozart, er sei bereits entschlossen gewesen, »nach Mailand und über Venedig nach Haus zu gehen«, ein Beweis, wie planmäßig er bei seinen Reisen zu Werke ging.


93 B IV 244.


94 Über Mozarts Aufenthalt in Holland erfahren wir näheres aus der sorgfältigen Schrift von Scheurleer, Mozarts Verblijf in Niederland (s'Gravenhage 1883).


95 Die Ankündigung im Haager Courant lautete so: »Met permissie zal de Heer Mozart, Musiek Meester van den Prins Bisschop van Saltzburg, de eer hebben op Maendag den 30 September 1765, in de Zael van den Ouden Doelen in's Hage een Groot Concert te geeven, in het welke zyn Zoon, oud maar 8 Jaeren en 3 Maenden, beneevens zyn Dogter, oud 14 Jaeren, Concerten op het Clavecimbael zullen executeeren. Alle de ouvertüres zullen zyn von de Compositie van dien jonge Componist die nooyt zien weerga gevonden hebbende, de goed-keuring van de Hoven vanWeenen, Versailles en London heeft weggedraagen. Die Liefhebbers kunnen na hun plaisir hem Muziek vorleggen, hy zal het zelve voor de vuyst speelen. Jeder billet vor een Persoon is 3 Guldens, en voor een Heer en Dame f. 5. 5. 0. De Entree-Billetten worden uytgegeven by den Heer Mozart, Logeerende op den Hoek van de Burgwal, alwaar de Stadt Parys uithangt, als mede in den Ouden Doelen«.


96 B IV 248 f.


97 Thomas Schwencke, Direktor des anatomischen Theaters und Leibarzt des Statthalters. Scheurleer S. 76 [D].


98 Anzeige in der Amsterdamer und Haarlemer Zeitung: »Le Sr. Mozart, Maître de Chapelle du Prince Archevêque de Saltzbourg, aura l'honneur de donner Mercredi le 29. Janvier 1766 un grand Concert, à la Salle du Manege à Amsterdam, dans lequel son Fils, âgé de 8 ans et 11 mois, et sa Fille, âgée de 14 ans exécuteront des Concerts sur le Clavecin. Toutes les Ouvertures seront de la Composition de ce petit compositeur, qui, n'ayant jamais trouvé son égal, a fait l'Admiration des Cours de Vienne, Versailles et Londres. Les amateurs pourront à leur gré, présenter de la Musique; il exécutera tout à Livre ouvert. Le Prix par Personne est f. 2. On distribuera les Billets chez J.J. Hummel, Marchand de Musique sur le Vygendam. Les Mrs. auront la bonté de se pourvoir des billets, parce qu'on ne recevra point d'Argent à la Porte.« Die Ankündigung wurde am 25. und 28. wiederholt; beim letzten Male wurde eingefügt, daß Billetts auch zu haben seien beim Sr. Mozart, qui loge au Lion d'Or dans la Warmoestraat, und es wurde hinzugesetzt: N.B. Ils joueront sur un clavecin à quatre mains. Die Ankunft erfolgte also zwischen diesen beiden genannten Tagen.


99 Außerdem wird in derselben Anzeige gesagt, daß die Sonaten für Klavier und Violine op. 1–3 bei Hummel zu haben seien.


100 Scheurleer (S. 94) fand im Amsterdamer Archiv nichts von einer besonderen Gunst für Mozart und macht darauf aufmerksam, daß zwei andre Künstler den Tag vor Mozarts Konzert ebenfalls ein Konzert gaben.


101 Eine ausführliche Beschreibung der Feste, insbesondere der »erstmaligen Illumination«, welche der Vater erwähnt, gibt Scheurleer S. 103 f.


102 Vgl. Erk-Böhme, Deutscher Liederhort II 106 ff.; H. Abert, ZIMG II 72; E. Bohn, Die Nationalhymnen der europäischen Völker 1908, S. 16 f. Wolfgang kannte sie bereits aus deutschen Umbildungen, s.o.S. 23.


103 Mattheson, Mithridat S. 12 f., abgedruckt im Weimar. Jahrb. VI 162 ff.


104 Die sechs im Haag komponierten Sonaten (K.-V. 26 f.) zeigte der Haagsche Courant am 16. März 1766 an. Die Variationen K.-V. 24 waren betitelt: »Een Nederduitsch Air op de Installatie van Z.D.H. Willem den V Prinz von Oranje etc. etc. etc. door C.E. Graaf in musiek gebragt, en door den beroemden jongen Compositeur J.G.W. Mozart, oud 9 Jaaren, met konstige Variatien vermeerdert, à 12 stuivers.« Die Variationen K.-V. 25 wurden so angezeigt: »Het bekende Airtje Wilhelmus von Nassau etc., gevariéért voor't Clavier door gemelden jongen Mozart, à 6 stuivers.«


105 Das Autograph, im Besitze des Herrn Scheurleer im Haag, enthält nur zehn Stücke, die auch in der G.A.S. 24, Nr. 24, 12 wiedergegeben sind, mit Zusätzen und Verbesserungen L. Mozarts. Nun befinden sich in der Sammlung von Ch. Malherbe in Paris (früher im Besitze des Herrn Cathelineau) Stimmen, die aber weder vom Sohne noch vom Vater geschrieben sind: sie bringen die Stücke nicht allein in anderer Reihenfolge, sondern lassen auch einige weg und enthalten dafür noch vier weitere Nummern (ein Molto Allegro in D-Dur, ein Andante in d-Moll, ein Allegro in D-Dur und ein Presto in D-Dur). Diese Fassung halten sowohl Scheurleer als H. Deiters (Jahn 14 53 f.) für die von Mozart selbst als endgültig angesehene. Demgegenüber weisen aber WSF I 158, m.E. mit Recht, darauf hin, daß in dieser Fassung das Anfangsstück in einer anderen Tonart steht als die Schlußfuge. Das widerspricht dem Brauche des Quodlibets: auch die großen mehrsätzigen Beispiele des »Tafelkonfekts« kehren am Schlusse immer wieder zur Anfangstonart zurück. Überhaupt scheint mir in Mozarts erster Fassung die Tonartenfolge wohl berechnet zu sein, sie führt von den B-Tonarten in die Kreuztonarten allmählich hinüber. Nun befindet sich aber in derselben Sammlung Malherbe außer den genannten Stimmen noch die autographe Partitur einer Sinfonie in D-Dur mit dem Vermerk: komponiert 1770 zu Mailand; sie besteht eben aus drei jener in den Stimmen enthaltenen Zusätze, fügt ihnen noch ein neues Menuett hinzu (K.-V. Anh. II 100a) und trägt dasselbe burleske Gepräge wie der »Galimathias«, auch die Soli einzelner Instrumente fehlen nicht. Es ist also die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß die Partiturfassung die ursprüngliche, für Holland bestimmte war, während die erweiterte der Stimmen einer späteren Aufführung in Mailand zugrunde gelegt wurde. Dem italienischen Publikum, das den deutschen Quodlibets und ihren Witzen ferner stand, wollte Mozart offenbar mit der Parodie auf die ihm vertrautere Form der Sinfonie entgegenkommen. Vgl. WSF a.a.O. u. S. 291.


106 S. oben S. 28.


107 Erk-Böhme II 618 f. Auch J. Haydn hat die Melodie seinem Capriccio für Klavier zugrunde gelegt, vgl. Pohl, Haydn II 1882, S. 324.


108 S. oben S. 13.


109 Auch damit war der Vater vorangegangen, s. oben S. 13.


110 Mozart, Grondig Onderwys in het behandelen der Violin met 4 Konst-Plaaten en een Tafel. Haarlem bei Enschede, 1766, 4. Die ausführliche Anzeige bei Scheurleer S. 120. Hier heißt es »der Viool« statt »der Violin«. Das Prachtexemplar, welches dem Statthalter überreicht wurde, besitzt die Königliche Bibliothek im Haag. Das Spiel auf der Haarlemer Orgel war nach Scheurleers Ansicht etwa Mitte März.


111 Monsr. Mozart Virtuoso, het Collegie verzogt hebbende om't gebruik van het orchest en instrumenten, is zulks naa deliberatie hem op den ouden voet en conditien geaccordeert.


112 Marianne (Nott. 101) gibt Ende April an; nach Leopolds Reiseaufzeichnungen war es aber der 10. Mai (Schurig, Reiseaufz. 47).


113 Nissen hat es mitgeteilt, S. 114 ff. Vgl. Nott. S. 118.


114 Winckelmanns Briefe III S. 95, 98, 104. Vgl. Goethe, Briefe an Frau von Stein (Wahle) 3. Auflage II 103, 110.


115 Burney, Reisen III, S. 258.


116 Poisot, Lecture sur Mozart à propos du 116e anniversaire de la naissance de ce maître. Dijon 1872.


117 Nach der Schwester 8 Tage, Nott. S. 101. Vgl. aber die folgende Anm.


118 Vgl. M. Fehr, Neue Zürcher Zeitung vom 18. April 1918; danach wurde einer Notiz des Quästors der Gesellschaft zufolge »einem Salzburger per Symphonien und Notturni aus Befehl bezahlet 28 Pfund.« Vgl. auch AMZ 1816, 458.


119 Christmann, Musikal. Correspondenz 1790, S. 164.


Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956, S. 61.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon