Übers Grab

[729] Mozarts unerwarteter, früher Tod zu einer Zeit, da er soeben durch die »Zauberflöte« wieder engere Fühlung mit den breitesten Schichten seines Volkes gewonnen hatte, brachte der Welt die Größe des Verlustes bald zum Bewußtsein. Das zeigte sich zunächst in der lebhaften Teilnahme, die verschiedene von seiner Witwe unternommene künstlerische Veranstaltungen fanden. Im Wiener Burgtheater wurde für sie am 31. März 1795 der »Titus« aufgeführt, mit Aloysia Lange als Sextus, nach dem ersten Akt spielte Beethoven ein Mozartsches Klavierkonzert1. In Prag gab sie Anfang 1796 ein Konzert, worin sogar der sechsjährige Wolfgang mit dem ersten Papagenoliede vorgeführt wurde2. In Berlin, wohin sie von Prag reiste, bewilligte ihr Friedrich Wilhelm II das Opernhaus und die königliche Kapelle zu einem Benefizkonzert (28. Febr.)3, in welchem sie als Sängerin auftrat. Der König »machte sich«, wie es in dem Handbillett heißt (Niemetschek S. 42), »ein wahres Vergnügen, der Wittwe zu beweisen, wie sehr er das Talent ihres verstorbenen Mannes geschätzt und die ungünstigen Umstände bedauert habe, welche ihn die Früchte seiner Werke einzuerndten verhinderten«. In Leipzig wurde ihr am 20. April der Saal des Gewandhauses zu einem Konzerte bewilligt, in welchem das Requiem aufgeführt wurde, Organist Müller ein Konzert von Mozart spielte und sie selbst wieder sang4. In Dresden brachte sie am 25. Mai im Hôtel de Pologne »einige von ihrem Manne hinterlassene, in Dresden noch nicht gehörte Tonstücke« zur Aufführung5.

Mit Mozarts handschriftlichem Nachlaß ließ sich freilich kein großer Gewinn erzielen. Seine Kompositionen konnten im Druck und in Abschriften von allen Seiten verbreitet werden, ohne daß man sie überhaupt befragte6. Sie selbst erkannte es als eine Gunst an, wenn dies geschah und[730] sie sogar honoriert wurde7, und war schließlich zufrieden, als 1799 André den gesamten handschriftlichen Nachlaß um 1000 Karolin8 ankaufte. Einige Handschriften Mozarts fehlten schon bei seinem Tode, andere hatte André selbst andern überlassen, die übrigen führt das »Thematische Verzeichnis derjenigen Originalhandschriften von Mozart, welche Hofrat André in Offenbach besitzt« (Offenbach 1841) auf. Der Teil der Sammlung, der im Besitze der Gebrüder André verblieben war, wurde 1873 für 20000 Taler von der Berliner k. Bibliothek angekauft9.

1797 lernte Konstanze den damaligen Legationssekretär bei der dänischen Gesandtschaft Georg Nikolaus Nissen kennen, der ihr bei der Ordnung ihrer Verhältnisse treulich beistand, wie seine in ihrem Namen geschriebenen zahlreichen Briefe zeigen. Er war ein zwar umständlicher und schwerfälliger, aber durchaus ehrenwerter und anständig denkender Mann, der es, wie schon bemerkt10, fertig gebracht hat, Konstanze nach seiner Verheiratung mit ihr (1809) noch zu einer soliden Hausfrau zu machen. 1810–1820 lebte er mit ihr als Zensor der politischen Angelegenheiten in Kopenhagen und siedelte nach seiner Pensionierung, mit dem persönlichen Adel und dem Staatsratstitel ausgezeichnet, nach Salzburg über, wo auch Mozarts Schwester wohnte. Äußerlich scheint sich damals das Verhältnis zwischen den beiden Schwägerinnen gebessert zu haben, innerlich freilich blieb Marianne der Frau ihres Bruders gegenüber die richtige Tochter ihres Vaters. Nissen starb am 24. März 182611. Konstanze aber zog nunmehr mit ihrer gleichfalls verwitweten Schwester Sophie Haibl zusammen, fortan mit der Verwaltung ihres Vermögens, der Ordnung aller den Nachlaß und die Biographie Mozarts betreffenden Angelegenheiten beschäftigt und in regem Briefwechsel mit ihren beiden Söhnen Carl und Wolfgang12. Am 6. März 1842, wenige Stunden nachdem das Modell der Mozartstatue eingetroffen war, ist sie gestorben13. Von den sechs Kindern Mozarts14 haben nur das zweite und das jüngste den Vater überlebt.

[731] Carl Thomas Mozart, geboren am 21. September 1784 am Graben Nr. 591, wurde zuerst in Perchtoldsdorf15 und von 1792 bis 1797 in Prag im Hause Niemetscheks erzogen. Er sollte Kaufmann werden und kam 1798 zu Livorno in die Lehre, schwankte aber längere Zeit, ob er sich nicht doch für die Musik entscheiden sollte. Schließlich wandte er sich der Beamtenlaufbahn zu. Bei Duschek in Prag zu einem guten Klavierspieler herangebildet, leitete er im Hause des Obersten Casella und dann auch bei sich musikalische Aufführungen16. Die Hauptstätte seines Wirkens war Mailand; hier konnte er sich kurz vor seinem Tode noch für 10000 Franken Tantième, die er für drei Pariser Figaro-Aufführungen erhielt, ein Landhaus kaufen17. Er starb am 31. Oktober 1858 als pensionierter Staatsbuchhaltungsoffizial.

Der jüngste Sohn Franz Xaver Wolfgang Mozart (später durch die Mutter in Wolfgang Amadeus umgetauft), geboren am 26. Juli 1791 in der Rauhensteingasse Nr. 970, wurde Musiker. Er verlebte gleichfalls einen Teil seiner Kindheit bei Niemetschek in Prag und kam dann nach Wien, wo er den Unterricht Joh. Nep. Hummels, Salieris, des Abtes Vogler und vielleicht auch Albrechtsbergers genoß. 1804 veranstaltete er sein erstes öffentliches Konzert. Von 1808 bis 1814 war er Musiklehrer in zwei adligen Familien zu Lemberg. 1819 trat er eine längere Kunstreise nach Polen, Deutschland, Dänemark und Italien an, die in Prag endete. Dann kehrte er 1822 nach Lemberg zurück, wo er mit Ausnahme einer kurzen Reise nach Salzburg bis 1838 als Musiklehrer und Chorleiter wirkte. Hierauf siedelte er nach Wien über und nahm 1842 an der Feier der Enthüllung des Standbildes seines Vaters in Salzburg teil; er spielte damals dessen d-Moll-Konzert. Der Dom-Musikverein Mozarteum ernannte ihn zum Ehrenkapellmeister. Am 29. Juli 1844 starb er in Karlsbad an einem Magenleiden. Auf seine künstlerische Bedeutung einzugehen ist hier nicht der Ort. Nur soviel sei bemerkt, daß er weder nach seinem Talent noch nach seinem Charakter zu Großem berufen war. Eine weit verbreitete Anschauung liebt es, die Söhne großer Männer zu Märtyrern ihres Namens zu machen. Es ist aber auch schon umgekehrt vorgekommen, daß dieser große Name ihnen zu Erfolgen verholfen hat, die sie durch ihre eigenen Kunstleistungen nie erreicht hätten. Das scheint auch auf diesen Wolfgang II zuzutreffen; eine erschöpfende Arbeit über ihn als Musiker steht freilich noch aus18.

Ruhm und Ehren, die Mozart in seinen letzten Lebensjahren fast ganz versagt geblieben waren, fielen dem Toten bald im reichsten Maße zu. An vielen Orten feierte man sein Andenken durch Aufführungen seiner Werke,[732] oder durch besondere Trauerkantaten19, und bald wurde es fester Brauch, in vielen Privathäusern20 wie im Konzert seinen Geburts- und Todestag musikalisch zu feiern. Größere allgemeine Feiern fanden in den Gedächtnisjahren 1856, 1891 und 1906 statt; von den Jubiläen einzelner Werke wurde namentlich das des »Don Giovanni« 1887 festlich begangen.

Den Spuren nachzugehen, die Mozart in der Musik des 19. Jahrhunderts bis tief in die Romantik hinein hinterlassen hat, würde ein eigenes Buch erfordern. Sie zeigen sich nicht allein in der deutschen, sondern in der gesamten europäischen Musik, sogar bei den Mozart sonst so fern stehenden Italienern21. Den Einfluß des Mozartschen Geistes überhaupt auf unsere gesamte geistige Entwicklung in großem Maßstabe darzustellen, ist bis auf den heutigen Tag noch so wenig versucht worden wie z.B. bei Bach und Beethoven.

Das älteste Denkmal Mozarts ist in Graz von dem Musikalien- und Kunsthändler Franz Deyerkauf 1792 in seinem Garten errichtet worden und nicht mehr erhalten22. Auch Mozarts Freund Bridi hatte ihm in seinem Garten zu Rovereto ein Denkmal geweiht mit der Inschrift »Herrscher der Seele durch melodische Denkkraft«23. Es ist ebenfalls verschwunden, gleichwie das aus gebranntem Ton von Klauer gearbeitete Denkmal, das 1799 Herzogin Anna Amalie von Weimar im Parke von Tiefurt setzen ließ24.

Der Gedanke, Mozart in seiner Vaterstadt Salzburg ein Denkmal großen Stils zu setzen, wurde 1835 durch Julius Schilling angeregt25 und der Aufruf im September 1836 erlassen26, der Guß der Statue am 22. Mai 1841 vollendet. Am 4. September 1842 und den folgenden Tagen fand auf dem Michaelsplatz die feierliche Enthüllung statt27. Leider ist Schwanthaler dabei weder der Persönlichkeit noch dem Künstlertum Mozarts gerecht geworden. Der Meister steht, mit dem üblichen Mantel bekleidet, ruhig da, den Kopf etwas seitwärts nach oben gerichtet; die Stellung ist offenbar durch die Inschrift »Tuba mirum« auf dem Blatte in seiner Hand eingegeben. An der Basis sind in Reliefs die Kirchen-, Konzert- und dramatische Musik allegorisch dargestellt und ein Adler, der mit der Leier gen Himmel fliegt; die einfache Inschrift ist: Mozart. Bald darauf wurde Mozarts Büste auf Befehl König Ludwigs I. auch in der Walhalla bei Regensburg aufgestellt.

1856 beschloß die Stadt Wien, Mozart auf dem Friedhof von St. Marx ein Grabdenkmal zu errichten, das, von Hans Gasser ausgeführt, am 5. Dezember 1859 feierlich enthüllt und 1891 auf den Währinger Zentralfriedhof[733] übergeführt wurde. Auf einem Granitsockel sitzt das Erzbild einer trauernden Muse, in der Rechten die Partitur des Requiems, die Linke, die einen Lorbeerkranz hält, auf die aufgeschichteten Werke Mozarts gestützt. Am Sockel sind Mozarts Bild und das Wiener Stadtwappen im Relief und kurze Inschriften angebracht28.

In Prag wurde im Garten der Bertramka am 3. Juni 1876 eine Büste Mozarts von Thomas Seidan enthüllt29. Salzburg erhielt am 8. April 1881 eine Kolossalbüste des Meisters aus Erz von Edmund Hellmer aus Wien; sie steht vor dem Mozarthäuschen auf dem Kapuzinerberge30. Wien hat noch drei weitere Mozartdenkmäler erhalten: die Bronzebüste von Joh. B. Feßler im Mozarthause Rauhensteingasse 8, die Marmorstatue von Viktor Tilgner auf einem von Amoretten und Genien umschwebten Sockel, am 24. April 1896 auf dem Albrechtsplatz enthüllt, und denMozartbrunnen auf dem Marktplatze, ein Werk des Bildhauers Karl Wolleck und des Architekten Otto Schönthal, enthüllt am 18. Oktober 1905. Er stellt Tamino (mit der Flöte) und Pamina dar, die sich zur Wasser- und Feuerprobe rüsten. Auch Dresden besitzt seit 1907 einen von Hermann Hosaeus geschaffenen Mozartbrunnen auf der Bürgerwiese. Seine Mittelgruppe stellt eine Säule mit der Inschrift Mozart dar, umgeben von drei allegorischen Gestalten, Anmut, Heiterkeit und Träumerei31.

Auch durch Stiftungen ist Mozarts Name geehrt worden. Das 1841 gestiftete Mozarteum in Salzburg hat sich von Anfang an die Sammlung aller Familiendokumente und anderer denkwürdiger Reliquien, zu nächst aus dem Nachlaß der Familie, dann aber auch aus weiteren Kreisen zum Ziele gesetzt und dabei die Förderung namentlich der Kirchenmusik in Salzburg in Aussicht genommen. 1871 trat in derselben Stadt ein Verein zur Gründung einer internationalen Mozartstiftung zusammen, deren Zweck die Errichtung einer Musikschule, Erteilung von Stipendien, Aufführungen klassischer Musik, Bau eines Mozarthauses usw. sein sollten. Die Stiftung fand bald reiche Unterstützung, so daß sie mit gutem Erfolg an die Verwirklichung ihrer Aufgaben herantreten konnte32. 1880 trat sie als internationale Stiftung Mozarteum an die Stelle des alten Mozarteums33. Sie unterhält die Musikschule Mozarteum in dem im September 1914 neu erbauten und eröffneten »Mozarthaus« sowie das Mozartmuseum in des Meisters Geburtshaus und das Mozarthäuschen auf dem Kapuzinerberg und veranstaltet Konzerte und Musikfeste34. Von ihr ging endlich 1888 die Gründung der internationalen[734] Mozartgemeinde aus, die die Vereinigung aller Verehrer des Meisters anstrebt35. Verglichen mit der Tätigkeit der anderen Meistern, vor allem Bach und Wagner, gewidmeten Vereine sind freilich ihre Erfolge bisher nur bescheiden gewesen.

Noch vor Salzburg trat Frankfurt a.M. mit seiner 1838 gegründeten Mozartstiftung hervor, die an begabte junge Musiker zu ihrer Ausbildung in der Komposition Stipendien verteilt36. Im Jahre 1895 trat die neubegründete Berliner Mozartgemeinde mit dem ersten Heft ihrer Mitteilungen hervor; auch sie veranstaltet regelmäßige Aufführungen37. Verschiedene Städte haben Mozartvereine, den rührigsten Dresden (seit 1897).

Trotz dem guten Willen und den zum Teil bedeutenden Erfolgen, die alle diese Institute auszeichnen, kann man bis auf den heutigen Tag leider nicht sagen, daß die Sache Mozarts und seiner Kunst eine allseitig befriedigende, einheitliche und zielbewußte Förderung erfahren hätte. Das ist um so bedauerlicher, als sich gerade in den letzten zwanzig Jahren, wie die oft angeführten Werke lehren, unsere Stellung zu Mozart gegen früher erheblich geändert hat. Es ist ein erfreuliches Zeichen für die Lebenskraft dieser Kunst, daß sie nicht mehr bloß kritiklos bewundert, sondern wieder ernsthaft diskutiert wird, und daß dieser neue Geist sich nicht allein in der Wissenschaft, sondern auch bereits in der Praxis bemerkbar macht. Das ist ein sicherer Beweis dafür, daß Mozart heute lebendiger ist als noch vor dreißig Jahren. Um so notwendiger aber ist es, daß alle diese frischen Kräfte sich nicht ziellos und ohne Zusammenhang miteinander verzetteln, sondern einen festen Mittelpunkt erhalten, der einen gemeinsamen Meinungsaustausch gewährleistet und die Ergebnisse der Forschung auf allen Gebieten für die Praxis nutzbar macht. Denn daß das letzte Wort über Mozart weder gesprochen ist noch jemals gesprochen werden wird, sollte uns heute klarer sein denn je, und diese Tatsache der Neuzeit voll zum Bewußtsein zu bringen, ist einer der Hauptzwecke dieses Buches. Eine Menge von Fragen stilistischer, kunstpsychologischer, dramaturgischer Art harrt noch der Lösung, ganz abgesehen von alten unbeglichenen Ehrenschulden, wie z.B. der Herstellung leidlicher Übersetzungen von Mozarts italienischen Opern. Auch die große Gesamtausgabe von Mozarts Werken, die unter Mitwirkung bedeutender Künstler und Musikforscher im Verlage von Breitkopf & Härtel in Leipzig 1876–1886 erschien, ist zwar als Ganzes ein monumentales Werk, auf das wir Deutschen stolz sein können, aber auch sie ist im einzelnen ungleich und bedarf nochmaliger Durchsicht. Es liegt hier also noch eine Fülle ungetaner Arbeit vor. Sollte da nicht auch für Mozart möglich sein, was seit langer Zeit schon für Bach und in unseren Tagen fürBrahms, Reger und Schumann erreicht wurde, nämlich eine Deutsche Mozartgesellschaft, die sich, losgelöst von allen örtlichen Sonderbestrebungen, allein in den Dienst des großen Meisters und seiner Kunst stellte38?[735]

Man wird es dem Verfasser dieses Buches, der lange, an beglückenden Stunden überreiche Jahre an das Studium Mozarts verwandt hat, nicht verübeln, wenn er mit einiger Wehmut von seinem Werke Abschied nimmt. Man wird ihm hoffentlich aber auch die kurze und bequeme Formel erlassen, auf die manche Biographen zum Schlusse noch das Wesen ihres Helden zu bringen sich gedrungen fühlen, denn sie ist einfach nicht aufzufinden. Früher suchte man sich mit Vergleichen zu behelfen und zog Raffael und Shakespeare, Watteau und Goethe heran. Das hat wohl manches geistreiche Wort hervorgebracht, den eigentlichen Kern von Mozarts Erscheinung jedoch niemals zu erklären vermocht. Pflegen doch alle solchen Vergleiche, wenn überhaupt, erst dann wirklich fruchtbar zu werden, wenn sie neben der Verwandtschaft der betreffenden Künstler auch ihre grundsätzlichen Unterschiede zu betonen beginnen.

Nur noch eines sei bemerkt: es ist deutscher Geist, der sich in Mozart verkörpert, allen italienischen Einflüssen und Vorbildern zum Trotz. Es kommt dabei weniger auf seine brieflichen Bekenntnisse zum Deutschtum an, auch nicht auf andere Einzelheiten seines Schaffens, wie z.B. seine geniale Umbildung und Vertiefung der opera buffa, sondern darauf, daß bei ihm nach der langen Herrschaft des französischen Rationalismus mit voller Macht in der Musik der deutsche Drang zum Durchbruch gelangt, die Welt nicht mehr als ein geordnetes System verstandesmäßig erfaßter und berechenbarer Kräfte zu betrachten, sondern als Quelle und Wechselspiel ewig neuer, aller Berechnung sich entziehender Gestalten. Dieser für Mozart so bezeichnende Bildnertrieb, der stets von der Welt des Anschaulichen und Sinnlich-Greifbaren ausgeht, ohne jede vorgefaßte theoretische Spekulation, und darum auch alle seine Gebilde als Schöpfungswunder erscheinen läßt, ist das gerade Gegenteil der von der französischen Ästhetik aufgestellten Forderungen. Gewiß ist dieses Schöpfertum nicht identisch mit Formlosigkeit, und das Wort von Mozart als einem der größten Meister der Form besteht nach wie vor voll zu Recht. Aber Form bedeutet für ihn nicht starres Muster und tote Regel, sondern sie wird mit jedem Kunstwerk als etwas Lebendiges neu geschaffen und ist mit ihm und seinem inneren Leben unlöslich verbunden. Es war kein Wunder, wenn sich unter diesen Umständen gerade Goethe besonders zu Mozart hingezogen fühlte. Sein Wort an Eckermann möge denn auch dieses Buch beschließen39:

»Was ist Genie anders als jene produktive Kraft, wodurch Taten entstehen, die vor Gott und der Natur sich zeigen können, und die eben deswegen Folge haben und von Dauer sind? Alle Werke Mozarts sind dieser Art; es liegt in ihnen eine zeugende Kraft, die von Geschlecht zu Geschlecht fortwirkt und so bald nicht erschöpft und verzehrt sein dürf te.«

Fußnoten

1 Wlassak, Chronik des Burgtheaters S. 98. Es war wahrscheinlich das d-Moll-Konzert, das Beethoven besonders liebte und mit Kadenzen versehen hat.


2 Prochazka S. 206. J. Fischer, W.A. Mozart (Sohn) 1888, S. 6. Ende 1796 kündigte sie in Graz ein Konzert an mit »Idomeneo« und Teilen des »Titus« MBM 1901, März, Heft 11, S. 25.


3 Vgl. MBM Heft 17, März 1904, S. 277. Der zweite Teil enthielt einen »Auszug der wesentlichsten Stücke« aus »Titus«, wobei auch Konstanze mitwirkte.


4 A. Dörffel, Gesch. der Gewandhauskonzerte 1884, S. 195. Zum Vortrag gelangten außerdem zwei Stücke aus »Idomeneo« und eine Sinfonie von Mozart.


5 Nottebohm S. 15 f.


6 Bezeichnend dafür ist Mariannes Brief an Breitkopf & Härtel vom 4. Aug. 1799 bei Notteb. S. 135.


7 Die von Breitkopf & Härtel veranstaltete Ausgabe der »Oeuvres« ist durchweg unter ihrer Mitwirkung erfolgt. Auszüge aus dem Briefwechsel darüber bei Nottebohm S. 121 f.


8 Henkel MBM Heft 5, Feb. 1898, S. 157.


9 AMZ 1873, S. 762. Ein Verzeichnis der Berliner Mozarthandschriften MBM Heft 1, 1895, S. 1 ff.


10 I 814 f.


11 Er wurde zu St. Sebastian im Grabe Leopold Mozarts bestattet, dessen Grabstein Konstanze entfernen ließ. Erst in neuerer Zeit wurde sein Name wieder auf dem neuen Grabmal vermerkt.


12 Vgl. ihr öfter erwähntes Tagebuch, jetzt von mir MM II 38 ff., 65 ff. veröffentlicht.


13 Wiener Mus. Ztg. 1842, S. 150. Über Vinc. Novellos Besuch bei ihr im Jahre 1829 vgl. AMZ 1872, 80, über den Jul. Andrés 1841 Henkel, Der Klavierlehrer XIII Nr. 1. Sie bezeichnete André das Medaillon von Posch und den Mansfeldschen Stich als die ähnlichsten Mozartbildnisse, im übrigen hatte André nicht den Eindruck, als hätte sie Mozarts Genie ganz begriffen.


14 Hinsichtlich der Kinder Mozarts herrschte lange eine beträchtliche Verwirrung, die neuerdings E. Blümml MM I 3, 1 ff. endgültig nach den Matrikeln geklärt hat. Es sind: Raimund Leopold (17. Juni bis 21. Aug. 1783, s.o.S. 31), Carl, Joh. Thomas Leopold (18. Okt. bis 15. Nov. 1786), Theresia (27. Dez. 1787 bis 29. Juni 1788), Anna (geb. und gest. 16. Nov. 1789) und Wolfgang.


15 S.o.S. 621.


16 Reichardt, Vertraute Briefe aus Wien I 244. AMZ XX 512. Ein Brief an Popelka bei Teuber II 221.


17 Vgl. Engl, MJB XIII 38 ff. Katalog 4. A. 1906, S. 10. Schurig II 341 f. (mit Bild).


18 Vgl. über ihn Wurzbach, Mozartbuch S. 277 ff. J. Ev. Engl, MJB XIII 41 ff., Katalog S. 9, Nr. 11. Jos. Fischer a.a.O.M. Kaufmann NZfM 82, 145 ff. Schurig II 342 ff. (mit Bild). Zu W. Wolffheims Forschungen über sein Reisetagebuch (1819–1821) vgl. ZIMG X 220.


19 So Wessely in Berlin (Mus. Wochenbl. S. 191) und Cannabich in München (Niemetschek S. 66). Über die Prager Trauerfeier von 1791 Teuber II 273 und Prochazka S. 184 f.


20 AMZ II 239.


21 Wichtige Fingerzeige dazu bei Kretzschmar, Ges. Aufs. II. 275 ff.


22 MM II 3, 94 ff., daselbst auch ein Hinweis auf ein zweites, seitdem verschollenes Denkmal (Büste) Mozarts in Mariagrün bei Graz.


23 Bridi, Brevi cenni p. 63 f. AMZ XXVI 92, XXX 680 f.


24 Journal d. Luxus u.d. Moden Nov. 1799. AMZ II 239, 420. Abb. bei Schurig II 377.


25 Salzburger Ztg. 12. Aug. 1835.


26 Hammerle S. 85 f.


27 L. Mielichhofer, Das Mozartdenkmal zu Salzburg, Salzburg 1843. AMZ XLIV 722 f., 780 f., 806 f. An Beiträgen kamen über 30000 fl. zusammen.


28 Zellner, Blätter f. Musik, Theater und Kunst 1859, Nr. 97 f.


29 Prochazka S. 211.


30 Engl S. 50. Ein Gipsabguß in Mozarts Geburtszimmer.


31 Über Mozarts Denkmäler vgl. Wurzbach S. 193 f. Schurig II 367 f.


32 Vgl. Engl. S. 16, 20. Sie ließ 1877 auch das »Zauberflötenhäuschen« von Wien nach Salzburg überführen.


33 Auch das neue Mozarteum veröffentlicht jährliche Berichte durch seinen Sekretär Joh. Ev. Engl.


34 Ein weiterer Punkt ist die Abhaltung von Mozarttagen zur Erörterung wichtiger musikalischer Fragen. Er ist leider bis jetzt, trotz aller Wichtigkeit namentlich für Mozart selbst, noch kaum zu wirksamer Durchführung gelangt.


35 S. den Bericht Homers MJB IX.


36 R. Genée MBM H. 18, Nov. 1904, S. 297 f.


37 AMZ XLII 735.


38 Der Gedanke wird auch von Schurig II 347 lebhaft vertreten.


39 Gespräche, Inselverlag Leipzig 1908, II 5 f. (11. März 1828).

Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956.
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