Venedig.47

[99] In dieser Stadt hatte ich mich nach mancherley zu erkundigen, und hatte hier grosse Erwartungen, in Ansehung der Musik, sowohl der vergangnen als gegenwärtigen Zeiten. Die St.[99] Markus-Kirche hat immer sehr geschickte Kapellmeister gehabt, von den Zeiten des Adriano Vorwesers des Zarlino an, bis auf ihren gegenwärtigen würdigen Komponisten Galuppi. Venedig ist ebenfals eine der ersten Städte in Europa gewesen, woselbst sich das musikalische Drama, oder die Oper gebildet hat, und in dem ernsthaften Style hat es die Ehre gehabt, einen Lotti und Marcello aufzuweisen. Denkt man sich zu diesen Vorzügen noch die hier eingerichteten Conservatorios, und die Lieder der Gondolieri, oder Gondolfahrer hinzu, welche so berühmt sind, daß jeder Musiksammler in Europa einen Vorrath davon haben muß, so wird erhellen, daß meine Erwartungen gegründet waren.

Die erste Musik, die ich hier hörte, war auf der Gasse, den Augenblick da ich ankam, und zwar von einer herumreisenden Bande von zwo Geigen, einem Violonschell, und einer Singestimme. Hier bemerkte man sie freylich eben so wenig, als in England ein Fischer- oder Citronen-Weib bemerkt wird; sie machten es indessen so gut, daß sie in einem jeden andern Lande von Europa, nicht allein Aufmerksamkeit erregt, sondern den Beyfall würden gefunden haben, welchen sie billiger Weise verdienten. Die beyden Geiger spielten schwere Passagien mit Nettigkeit, der Baß spielte rein und ferm, und die Stimme, eine weibliche, baue einen guten Ton, und verschiedne andre nöthige Eigenschaften einer guten Sängerin,[100] als z.E. Umfang, Triller und Fertigkeit der Kehle. Doch ich will der Musiken von der Gattung, welche ich hier angetroffen habe, nicht alle erwähnen. Sie kommen so häufig vor, daß die Wiederholung langweilig werden würde.

Diese Stadt ist wegen ihrer Conservatorios oder Musikschulen berühmt, deren sie viere hat, das Ospedale della Pietà, der Mendicanti, der Incurabili, und das Ospedaletto a Giovanni e Paolo, in welchen allen jeden Sonnabend und Sonntag Abend sowohl wie an den grossen Festen Musik aufgeführet wird. Den Nachmittag nach meiner Ankunft, den 4ten August, gieng ich nach della Pietà. Der gegenwärtige Kapellmeister hieß Sgr. Furnaletti, ein Priester, und die Instrumental- und Vocal-Musik wird von lauter Mädchen aufgeführt. Diese spielen die Orgel, die Violinen, die Flöten, die Violonschelle, und blasen sogar die Waldhörner. Es ist eine Art von Fündlinghause, für uneheliche Kinder, und steht unter dem Schütze verschiedener von Adel, Bürger und Kaufleute, welche, so groß auch die Einkünfte des Hauses sind, noch jährlich zu seiner Unterhaltung zuschiessen. Die Mädchen werden hier so lange unterhalten, bis sie verheyrathet werden, und alle, die Anlage zur Musik änssern, werden darin von den besten Meistern in Italien unterwiesen. Die Komposition sowohl als die Ausführung, die ich diesen Abend zu hören bekam, giengen nicht über das Mittelmäßige hinaus;[101] unter den Sängerinnen konnte ich keine entdecken, die eine merkwürdig schöne Stimme, einen besondern guten Geschmack im Vortrage gehabt hätte. Zum Beschluß machte man indessen eine Symphonie, deren erstes Allegro, in Ansehung der Lebhaftigkeit gut gesetzt, und von den Instrumenten gut gespielt ward.

Des Sontag Morgens, den 5ten August, gieng ich nach der griechischen Kirche, die hier seit Leo X. Zeiten beständig geduldet worden ist. Der Gottesdienst wird hier in griechischer Sprache gehalten; die Episteln und Evangelien werden von einem Oberpriester von einer Kanzel, und die Gebete und Litaneyen in einer Art von Melodie gesungen, die gänzlich von jeder andern unterschieden ist, die ich jemals in oder ausser der Kirche gehört habe. In dieser befindet sich keine Orgel, sie ist aber mehr mit Zierathen überladen, und der Ceremonien sind darin mehr, als in irgend einer römischen Kirche.

Von da gieng ich nach der Markus-Kirche, und hörte eine musikalische Messe an, welche von Priestern gesungen, und bloß von der Orgel begleitet ward, so ziemlich im Style unser vollstimmigen Anthems. In der Lucas Kirche hörte ich gleichfals einen Theil einer Messe mit Instrumenten; einige von den Tenorstimmen waren hier gut, und die Arien waren mit Geschmack gesetzt, und wurden auch so gesungen; die Komposition war von[102] einem Priester. In dem letzten Chore war eine vortrefliche Fuge, schön ausgearbeitet und ausgeführt.

Den Nachmittag desselben Tages verfügte ich mich nach dem Hospital de Mendicanti, für Waisenmädchen, welche im Singen und Spielen unterwiesen werden, und an Sonn- und Festtagen die Messe im Chore singen. Sgr. Bertoni ist der itzige Maestro di Capella. Man führte eine Hymne mit Solos und Chören auf, und eine Motette a voce sola, welche letzte sehr gut ausgeführt ward, besonders ein obligates Recitativ, das die Sängerinn mit grosser Kraft und Nachdrucke absang. Im Ganzen genommen, hatte die Komposition einige artige Stellen, vermischt mit andern, die nicht gar zu neu waren. Die Thema's der Fugen und Chöre war alltäglich und ohne Fleiß zusammen geschrieben. Die Mädchen hier begleiteten die Stimmen besser, däuchtete mich, als die della Pietà. Da die Chöre blos mit weiblichen Stimmen besetzt sind: so sind sie niemals stärker, als dreystimmig, oft nur zweystimmig; gleichwohl, wenn sie mit Instrumenten verstärkt werden, haben sie eine solche Wirkung, daß man den Mangel der Vollstimmigkeit nicht merkt, und die Melodie ist soviel deutlicher und hervorragender, je weniger sie durch Harmonie bedeckt ist. In diesen Hospitälern findet man oft Mädchen, die im tiefen Alt bis A und G herunter singen, wodurch sie im Stande sind, beständig unter dem soprano und mezzo soprano[103] zu bleiben, wozu sie den Baß singen; und dieß scheint in Italien schon eine alte Gewohnheit zu seyn, wie man in den, von alten Komponisten angeführten Exempeln bemerken kann, die z.E. von Zarlino Gloriano, Kircher und andern, wo die Tiefste von drey Stimmen oft im tiefen Altschlüssel geschrieben ist.

Von hier gieng ich zum Ospedaletto, wobey Sgr. Sacchini Kapellmeister ist, und fand wirklich viel Vergnügen an der Komposition eines Theiles der berühmten Hymne salve Regina, welche man eben absang, als ich in die Kirche trat. Sie war neu, feurig, und voll sinnreicher Zwischenspiele der Instrumente, welche immer etwas Unterhaltendes sagten, ohne die Singstimmen zu stören. Im Ganzen schien mir in dieser Komposition eben so viel Genie zu stecken, als in irgend einer, die ich seit meiner Ankunft in Italien gehört hatte. Sänger und Spieler sind hier gleichfals lauter Waisenmädchen. Eine unter ihnen la Ferrarese sang sehr gut, und hatte einen ausserordentlich grossen Umfang in der Stimme; sie sang bis zum dreygestrichenen E hinauf, und konnte es ziemlich lange in einem reinen und natürlichen Tone aushalten.

Selbst als ich diese Musiken gehört hatte, hörte ich auf dem St. Markusplatze noch vielen Gassenmusikanten zu, wovon einige in Banden waren und eine oder zwo Stimmen begleiteten;[104] zuweilen war nur eine Stimme mit einer Guitarre, und zuweilen zwey oder drey Guitarren zusammen. In der That ist es nicht zu verwundern, daß die Gassenmusik hier nicht geachtet wird, da die Leute an allen Ecken damit gesättigt werden. Aber dagegen muß man auch zur Rechtfertigung des Geschmacks und der Einsicht der Italiäner gestehen, daß, was sie bewundern, etwas Vortrefliches sey, und alsdann »kein Tadel im kalten Lobe« bey ihnen; sie werden auf eine ihnen eigne Art entzückt; sie scheinen unter dem Vergnügen zu erliegen, das zu groß für ihre arbeitende Sinne ist.

Sie hatten hier vergangnes Carneval auf sieben Theatern zugleich Oper, drey ernsthafte und vier komische, ausser vier andern Komödien-Theatern, und alle waren Abend vor Abend voll.


Montag, den 6ten.

Diesen Morgen gieng der Doge in Proceßion nach der Kirche Giovanni e Paolo. Ich war nicht allein neugierig, diese Proceßion anzusehn, sondern auch die Musik zu hören, die ich mir als wichtig und von einem grossen Orchester vorstellte; gleichwohl war es nur eine vierstimmig gesetzte Messe, von keinem andern Instrumente, als der Orgel begleitet; dafür aber war sie so schön in ihrer Art, so gut abgesungen und accompagniret, daß ich mich nicht entsinne, mehr Vergnügen bey einer solchen Musik empfunden zu haben.[105]

Einer der Organisten an der Markus-Kirche, ein Ordensbruder, welcher accompagnirte, zeigte sich in seinen Vor- und Zwischenspielen, als ein wahrer Meister. Die Stimmen waren wohlgewählt und zusammenpassend, keine stärker als die andere. Die Komposition war vom Herrn Lotti, und wirklich feyerlich und majestätisch; sie bestund aus Fugen und Nachahmungen, im Style unsrer besten alten Kirchen-Stücke, welche D. Boyce so sorgfältig gesammlet und mit so vieler Pracht herausgegeben hat. Alles war darin klar und deutlich, keine Verwirrung, oder überflüßige Noten; zuweilen hatte sie so gar Ausdruck, besonders in einem Satze, welchen die Sänger so inniglich vortrugen, daß ich dadurch bis zu Thränen gerührt ward. Der hiesige Organist verstattete mit vieler Einsicht, daß man die Sänger deutlich hören konnte, und zwar so, daß ich oft vergaß, daß eine Instrumentalbegleitung dabey wäre. Im Ganzen genommen scheint dieses der wahre Styl für die Kirche zu seyn: er bringt einem nichts irdisches, weltliches oder leichtsinniges in die Gedanken: er macht das Herz warmer Empfindungen fähig, und reinigt es von groben und sinnlichen Leidenschaften. Die Rührung, die ich empfand, war bloß die Wirkung richtig modulirter und richtig abgemessener Klänge, denn die Worte des Textes konnte ich wegen der Entfernung nicht verstehn; wie denn überhaupt diese Art Musik der Poesie nicht vortheilhaft ist. Wenn die Stimmen bey einer Fuge nach und nach eintreten,[106] singen sie jede verschiedene Worte zugleich, welches gewiß keine grosse Wirkung hervorbringen kann. Dieses Fehlers ungeachtet, muß man doch eingestehn, daß solche Musik, wie diese beym Gottesdienst in Kirchen, ihre Vorzüge hat, so sehr man Recht haben mag, sie von der dramatischen Scene zu verbannen.

Sir James Wright hatte mir die Ehre erwiesen, mir einen Brief an den Chargé d'affaires Sr. brittischen Majestät, Herrn Richie mitzugeben, der auch so gütig und gefällig gewesen ist, mir manchen wesentlichen Dienst zu leisten. Heute erhielt ich durch seine Veranlassung einen Besuch von Sgr. Atilla, einem hiesigen berühmten Komponisten, mit dem ich eine lange Unterredung über den Zweck meiner Reise hatte. Ich fand an ihm einen verständigen, umgänglichen Mann, von ungefehr sechzig Jahren, der sowohl über die Musik der Alten als der Neuern (an welcher letztern er seit vielen Jahren schon keinen unwichtigen Antheil genommen48, vieles gelesen und gedacht hat. Ich bewunderte seine Ehrlichkeit, da er mir rieth, ich sollte nach dem Incurabili gehn, und da eine Musik von den Mädchen anhören, welche mir, wie er sagte, sehr[107] gefallen würde. Es sind Schülerinnen des Signor Galuppi, welcher an diesem Conservatorio Maestro di Capella ist. Unglücklicher Weise war die Musik schon angegangen, als ich hinkam, doch hatte ich noch weiter nichts versäumt, als die Symphonie und einen Theil der ersten Arie. Die Worte waren aus drey oder vier lateinischen Psalmen, aus der Hymne, Salve Regina, genommen, dazu ein Wechselgesang in lateinischen Versen kam. Ich wußte nicht, was mich mehr entzückte, ob die Komposition oder die Aufführung; beydes war vortreflich. Herr Galuppi hat alles sein Feuer und seine ganze Imagination aus dem kalten Rußland wieder mit gebracht, woher er neulich wieder zurück gekommen ist.49 Dieser sinnreiche, zierliche und unterhaltende Komponist hat einen Reichthum an neuen, feurigen und feinen Gedanken, und seine Schülerinnen thaten seiner Musik alle Gerechtigkeit. Einige unter ihnen hatten ungemeine Talente zum Singen, besonders die Rota, Pasqua Rossi und die Ortolani, die beyden letztern sangen den Wechselgesang. Die Einleitungs Symphonie sowohl als das Ganze dieses Gesanges war für zwey Orchester gesetzt. In der Symphonie, welche voller artigen Passagien[108] war, machten die Orchester eins ums andre das Echo. Es waren dabey zwey Orgeln und zwey Paar Waldhörner. Kurz, ich war ungemein vergnügt über diese Musik, und die Zuhörer, deren eine grosse Anzahl war, schienen es gleichfals zu seyn. Die eben genannten jungen Sängerinnen sind wahre Nachtigallen; mit vieler Leichtigkeit machen sie eben solche schwere Sprünge und Läufe, als dieser Vogel. Sie machten Sachen von dieser Art, besonders die Rota, der gleichen, so viel ich weiß, noch niemand vorherversucht hat. In allen Cadenzen dieser jungen Schülerinnen konnte man den geschickten Meister entdecken. Die Instrumentalmusik ward sehr gut ausgeführt, und das Ganze verrieth ein vorzügliches Genie beym Komponisten und Director. Diese im höhern theatralischen Style geschriebene Musik, ob sie gleich in der Kirche aufgeführet wurde, war doch nicht mit dem Gottesdienste verbunden, und die Zuhörer hatten sich hier versammlet, wie in einem Concerte, und man konnte es mit dem größesten Rechte, ein Concert Spirituel nennen.


Dienstag, den 7ten.

Diesen Morgen war in der Kirche S. Gaetano musikalische Messe. Es war ein grosser Festtag, und derohalben alle Schätze und Reliquien zur Schau gestellt, wobey die Kirche gedrängt voll war. Der Komponist der Musik, der sie[109] auch selbst aufführte, war Signor Menagatto, ein Priester. Ich kann nicht sagen, daß ich sehr davon erbauet worden wäre; die Orgel war von schlechten Tone und ward elend gespielt; die Sänger bestanden in zwey mittelmäßigen Tenören und einem Basse, die Komposition war alltäglich, und verrieth gar kein Genie.

Um diese Zeit fängt hier das Volk, wie es scheint, erst um Mitternacht an zu leben. Um diese Stunde sind die Canäle mit Gondeln bedeckt, und der Markusplatz ist voller Menschen, selbst die Ufer der Canäle sind voller Volks, und von allen Seiten hört man Musik. Wo nur zwey Menschen, von der niedrigsten Klasse Arm in Arm spatzieren gehen, scheinen sie sich im Gesange zu unterreden; mit Gesellschaften zu Wasser in einer Gondel ist es dasselbe; eine blosse Melodie ohne zwote Stimme bekommt man in dieser Stadt nicht zu hören. Alle Lieder auf den Gassen werden als Duette gesungen. Glücklicher Weise für mich, war diese Nacht eine Barke mit Musik, die aus einer schönen Bande mit Violinen, Flöten, Hörnern, Bässen und Pauken bestund, auf dem grossem Canale, und legte nicht weit von meinem Hause an. Es war eine Nachtmusik, die ein Inamorato seiner Geliebten machen ließ. Shakespear sagt von nächtlicher Musik:


»Methinks it sounds much sweeter

than by day.

Silence bestows the virtue on it. –

I think[110]

The nightingale, if she should sing

by day

When every goose is cackling,

would be thought

No better a musician than the

wren50


Ob Zeit, Ort und Art des Vortrags dieser Musik ihr zufällige Reizungen gab, kann ich nicht sagen; alles, was ich weiß, ist, die Symphonien schienen mir ausserordentlich schön, voller Phantasie, voller Feuer, die Passagien wohl geordnet, zuweilen herrschte das Anmuthige, zuweilen das Pathetische; und zuweilen, für so widersinnig man es achten mag, that selbst das Lärmende und Rauschende gute Wirkung. Niemand, denke ich, wird gegenwärtig leugnen, daß in einer vielstimmigen Musik die Dissonanzen nothwendig sind, nicht blos weil solche durch Gegensatz und Vergleichung die Consonanzen erhöhen und versüssen, sondern noch mehr deswegen, weil sie ein nothwendiger Reiz für die Aufmerksamkeit werden, welche bey einer Folge von reinen Consonanzen ermüden würde. Sie verursachen dem Ohre ein vorübergehendes Leiden, das so lange unzufrieden, ja unruhig bleibt, bis es etwas bessers zu hören bekömmt; denn keine musikalische[111] Phrasis kann sich mit einer Dissonanz schliessen, weil das Ohr am Ende befriedigt seyn muß. Da nun Dissonanzen erlaubt, und so gar im Gegensatze der Consonanzen nothwendig sind, warum sollte nicht Geräusch, oder ein scheinbares Geschwätz, abgemeßnen Klängen und einer harmonischen Proportion entgegen gestellt werden können? Einige Dissonanzen der neuern Musik, welche bis Anfang dieses Jahrhunderts unbekannt waren, sind so hart, daß sie das Ohr nur eben ausstehen kann, und haben dennoch, als Contrast gebraucht, eine gute Wirkung. Man kann den strengen Gesetzen von der Vorbereitung und Auflösung der Dissonanzen zu gewissenhaft folgen, und dadurch grosse Wirkungen verlieren. Ich bin überzeugt, daß, wenn nur endlich das Ohr schadlos gehalten wird, es wenige Mißklänge giebt, die es nicht aushalten könnte. Wenn z.B. die fünf Töne, c, d, e, f, g, auf einem Clavecin zugleich angeschlagen, und nur d und f bald aufgehoben werden, und die übrigen bleiben, so wird das Ohr bey dem ersten Schlage eben nicht sehr leiden. Oder noch mehr, wenn statt der genannten fünf Töne, die folgenden c, dis e, fis, g angeschlagen werden, und nur dis und fis nicht so lange liegen bleiben, als die übrigen, so wird sich alles zum Vergnügen des beleidigten Ohres endigen.


Mittwochs, den 8ten.

[112] Dieser Tag war für die Untersuchung des gegenwärtigen Zustandes der Musik in Italien nicht merkwürdig; gleichwohl verdient er hier bemerkt zu werden, wegen der Gelegenheit, die er mir gab, mit dem Abate Martini zu reden, der einer der besten Richter in allen Theilen der alten und neuern Musik war, die ich bis dahin angetroffen hatte. Er ist ein geschickter Mathematiker, komponirt und spielt selbst. Er hatte eine Reise nach Griechenland gethan, um in der Erdbeschreibung, der Ackerbaukunst, und Naturgeschichte Bemerkungen zu machen, da er aber seinen eignen Erwartungen nicht Gnüge zu leisten vermochte, so ward sein Stolz durch diese fehlgeschlagene Hofnung so beleidigt, daß er nicht dahin zu bringen gewesen ist, das Geringste von seinen Anmerkungen oder Entdeckungen herauszugeben. Bey andern Untersuchungen forschte er auch nach der Musik der neuern Griechen, in der Hofnung, daß diese ein Licht über die Musik der Alten verbreiten würde. Er kennt, wie ich glaube, so gut als nur irgend jemand, sowohl die Systeme des Pythagoras, Ptolomeus und der übrigen Schriftsteller, welche Meibom gesammlet hat, als die Systeme des Rameau und Tartini. Er ist ein grosser Bewunderer der Werke des Marcello, und weiß alle seine Cantaten und seine besten Arien auswendig. Nachdem er meinen Plan gelesen, den wir Artikel vor Artikel durchgiengen,[113] war er sehr mit demselben zufrieden; zeigte mir seine griechischen und andere Manuskripte, und ich hatte grosse Ursache, sowohl mit meiner Aufnahme, als mit den Nachrichten, die er mir mittheilte, zufrieden zu seyn.

Den 9ten. Diesen Nachmittag hatte ich abermals eine lange Unterredung mit eben dem gelehrten Manne, der so gefällig war mir seine Handschriften, die griechische Musik betreffend, als ein Geschenk anzubieten. Ich konnte dies Geschenk nicht anders als einen schätzbaren Fund betrachten, denn ob es gleich nicht Materialien genug zu einem eignen Buche enthielt, wie des Verfassers erste Absicht gewesen war, so scheinen sie mir doch von Wichtigkeit zum Einrücken in ein Buch, das nach seinem Zwecke nicht allein von der alten, sondern von der Nationalmusik aller Völker handeln soll, in sofern zuverläßige Proben oder Nachrichten davon zu erhalten stehn. Der Abate hat unter andern auch eine Sammlung von Apophthegmen oder Sprüchwörtern zusammen getragen, in der Absicht, sie herauszugeben, welche die Sitten und das Elend der neuern Griechen vielleicht nachdrücklicher zu Tage legen wird, als irgend ein ander Werk thun könnte.

Diesen Abend war in der Lorenzkirche Musik, komponirt und dirigirt vom Signor Sacchini, und war die Kirche sehr voll, weil es die Vigilie dieses Heiligen war. Vielleicht litte ich, wie alle[114] Uebrigen, zu sehr von der Hitze, als daß meinem Herzen leicht wäre beyzukommen gewesen, denn die Komposition kam mir alltäglicher vor, als die andre, die ich vorher von diesem sinnreichen Meister gehört hatte; indessen waren die Singestimmen nicht so gut bestellt, weil keine andre Sänger da waren, als die aus der Markuskirche, welche mehr gewohnt sind, blosse Kirchenmusik, ohne andre Begleitung, als die Orgel, zu singen. Die Stimmen waren nicht schön genug für lange Solosätze, und nicht stark genug durch viele Instrumente durchzudringen. In der Komposition waren indessen sehr gefällige und angenehme Sätze und Stellen, und einige von den Chören waren recht gut im Fugen- und Oratorienstyle gearbeitet. Aber in dieser Art Musik, wird doch, nach meiner Meynung, Händel immer vor allen andern den Vorzug behalten; wenigstens hab ich, so lang ich auf dem festen Lande bin, noch nichts von gleicher Stärke und Wirkung gehört. In den Kompositionen der Andern findet man oft mehr Melodie in den Solostellen, mehr Gelecktes, mehr Schatten und Licht, aber in Ansehung der Erfindung und der Harmonie stehn sie alle weit hinter ihm. Ich muß gestehn, ich hatte einige von Händels Musiken so lange, und oft so schlecht besetzt gehört, daß sie mir fast ein wenig eckel und überdüßig geworden waren; allein meine italiänische Reise, an Statt die Hochachtung, die ich allemal gegen die besten Arbeiten dieses wahrhaftig großen Tonkünstlers gehegt habe, zu vermindern, hat sie[115] solche vielmehr vermehret, und bey meiner Zurückkunft habe ich solche mit neuem Vergnügen gehört. Bis dahin hatte ich in Italien wenig andre als Kirchenmusik gehört, aber in diesem Style, mit Instrumenten, schienen mir alle andre Kompositionen in Vergleichung mager. Die Fugensubjeckte waren überhaupt genommen, gemein und alltäglich, und die Ausarbeitung trocken und wenig kunstmäßig. Freylich war der Kirchenstyl, ohne Instrumente, die Orgel ausgenommen, in Italien noch lange vor Händeln bekannt genug, und die Melodie ist seitdem viel verfeinert, sie ist angenehmer, pathetischer und so gar lebhafter geworden; allein was den Contrapunkt, die Fugen und vollstimmigen Chöre mit Instrumenten betrift, so wiederhohle ich es, ich habe nie seines Gleichen gehört, und erwarte es auch nicht.

Den 10ten. Diesen Morgen gieng ich wieder nach der Kirche des heil. Lorenz, woselbst ich ausser einer Messe von der Komposition des Sgr. Sacchini, den Sgr. Nazzart, ersten Violinisten von Venedig, ein Concert spielen hörte. Allein wir haben in England schon so viele gute Violinspieler gehört, daß uns nichts mehr übrig bleibt, zu bewundern. Indessen spielt Signor Nazzari sehr sauber und gefällig; er zieht einen egalen, glatten und vollen Ton aus seinem Instrumente. Er spielt mit großer Leichtigkeit und vielem Ausdrucke, und ist überhaupt der beste Sologeiger, den ich jenseits der Alpen gehört hatte.[116]

Vom Argus wird gesagt, daß er hundert Augen gehabt, und die Fama ist von den Dichtern als lauter Zunge vorgestellt worden; hier mögte man wünschen lauter Ohr für die Musik, und für die Mahlerey und Baukunst lauter Auge zu seyn. Am heutigen Tage gab es für einem Liebhaber der Harmonie so viele Versuchungen, daß ihm die Wahl schwer ward; denn ausser den vier Conservatorios wurden heute verschiedene Akademien, oder Privatconcerte gehalten. Ich war zu einem eingeladen, welches sich an allen Festtagen versammlet, um Marcello's Werke, ohne andre Begleitung, als einen Flügel, zu singen; und weil dieses von allen andern, denen ich in Italien beygewohnt hatte verschieden war, so nahm ich die Einladung an, ob ich mich gleich sehr nach dem Conservatorio der Incurabili wünschte, woselbst ich sicher von Buranello und seinen Schülerinnen angenehm unterhalten worden wäre.

Einige von Marcello's Psalmen wurden hier vom Abate Martini und einigen andern Liebhabern sehr gut gesungen, unter denen einer eine schöne Baßstimme hatte, der zwischen den Psalmen Marcello's berühmte Cantate, Cassandra sang, in welcher der Komponist die Musik der Poesie völlig aufgeopfert hat, indem er bey jeder in den Worten vorkommenden neuen Idee die Tacktart oder den Styl verändert hat. Das mag füglich beweisen, daß der Komponist ein Mann[117] von grosser Einsicht ist, es muß ihn aber auch zugleich als einen sehr phlegmatischen Mann verrathen, der von dem Enthusiasmus eines schöpferischen musikalischen Genies völlig frey ist. Und in der That würde das Publikum, seitdem die Melodie mit Anmuth und Phantasie verbunden ist, unzusammenhängende musikalische Gedanken über verschiedne Subjekte nur sehr schlecht aufnehmen. Einer von diesen Herrn Liebhabern war bejahrt genug, daß er sich des berühmten Benedetto Marcello noch ganz wohl erinnerte, der schon seit vier und vierzig Jahren todt ist, und er erzählte mir von ihm verschiedene Anekdoten. Seine Familie, welche zu den venetianischen Adel gehört, besteht noch, und das Haupt derselben ist gegenwärtig Abgesandter der Republik Venedig bey der Pforte.


Den 11ten August.

Diesen Nachmittag gieng ich wieder nach derPietà; Es waren nicht viel Leute da, und die Mädchen machten hundert Künsteleyen im Singen, vornehmlich in den Duetten, wo sie wetteiferten, wer die besten Naturgaben oder die meiste Geschicklichkeit hätte, wer am höchsten oder tiefsten käme, wer am längsten eine Note wachsend aushalten, oder am schnellesten abgestossene Läufe hervorbringen könnte. Sie schliessen immer mit einer Symphonie, und vorigen Mittewochen spielten sie eine von Sarti, welche ich[118] schon ehmals in England in der Oper Olympiade gehört hatte. Das Orchester ist hier in der That sehr ansehnlich, denn in dem Hospitale sind über tausend Mädchen, wovon siebenzig musikalisch sind, und theils singen, theils spielen; in jedem von den andern drey Hospitälern sind nicht über vierzig, wie Sgr. Atilla mir sagte, welche der ersten Stiftung zufolge, aus einigen hundert Waysen ausgesucht werden. Doch weiß man wohl, daß Kinder, wenn sie eine schöne Stimme haben, in diese Hospitäler aufgenommen werden, ohne ihrer Eltern beraubt zu seyn. Auch bringt man wohl zuweilen aus venetianischen Städten auf dem festen Lande, von Padua, Verona, Brescia und so gar von noch entferntern Orten, Kinder zur Erziehung hieher. So kam Francesca Gabrieli von Ferrara hieher, und heißt deswegen la Ferrarese. Das Conservaterio der Pierà ist bisher wegen seines Orchesters, und das der Mendicanti der Singstimmen wegen am berühmtesten gewesen. Allein in den Stimmen können Zeit und Zufall viel verändern; der Lehrer kann eine Schule von dieser Art sowohl durch seine Kompositionen, als durch seine gute Art zu unterrichten in Ansehn bringen; und was die Stimmen anbetrift, so mag die Natur manchmal den Subjekten in einem Hospitale günstiger seyn, als denen in einem andern; allein da die Zahl in der Pietà grösser ist, als in den übrigen, und also mehrere da sind, bey denen man vorzügliche Geschicklichkeiten antreffen kann, so ist es natürlicher[119] Weise zu vermuthen, daß dieß Hospital überhaupt die besten Stimmen und das beste Orchester habe. Itzt zeigen sich die grossen Geschicklichkeiten des Sgr. Galuppi in den Musiken in dem Incurabili, welches in Ansehung der Stimmen und des Orchesters nach meiner Meynung alle übertrift. Nach ihm folgt unter den übrigen beyden das Ospedaletto; daß also das Hospital der Pietà nicht so sehr deswegen, was es itzt thut, den Ruf der besten Musikschule hat; als wegen dessen, was es gethan hat.


Sonntags, den 12ten August.

Nachdem ich heute früh die hohe Messe in der S. Markus-Kirche sehr gut hatte aufführen hören, gieng ich in die Patriarchal-Kirche des heil. Petrus, und hörte sie daselbst noch einmal, von einer sehr schönen Orgel begleitet, welche einer von den Priestern schlug. Hierauf gieng ich in die Kirche der Franziskaner, wo gleichfals einer von den Mönchen Organist war, und sowohl in Absicht auf den Geschmack, als auf die Harmonie ausserordentlich gut spielte. Ungeachtet ich diese Kirchen eigentlich der Musik wegen besuchte, so konnte ich mich doch unmöglich enthalten, auch die Gemählde und die Baukunst darin zu betrachten. Allein ich fieng hier an zu bemerken, daß diese beyden Gegenstände des Gesichts von meinem Hauptzwecke eine Geschichte der Vergnügungen des Ohrs zu schreiben, nicht so sehr entfernt waren,[120] als ich anfangs dachte; denn ich fand oftmals bey alten Meistern Vorstellungen von musikalischen Instrumenten, entweder aus ihren Zeiten, oder wenigstens solche, als sie zu der Zeit, worin die Geschichte ihres Gemähldes fiel, für gebräuchlich hielten. So bemerkte ich in Paul Veronese's berühmten Gemählde von der Hochzeit zu Cana, welches in der Sakristey der Kirche von S. Giorgio maggiore ist, ein Concert, mit allerhand Instrumenten, von welchen allen ich mir eine Nachricht aufgezeichnet habe. Heute früh bemerkte ich ebenfals bey den Franziskanern, ein kleines Gemählde von San Croce unter der Kanzel, welches man sehr bewundert, und in Raphaels Manier gemacht zu seyn glaubt; es stellt unter andern ein Concert der Cherubim und Seraphim vor, und ich fand unter verschiednen Arten von Lauten und Zithern, ein Instrument, welches mit dem Bogen gespielt ward, und gleich einer Geige auf der Schulter des Spielers ruhete, aber dabey sechs Saiten hatte.

Nachdem ich diese und andere Kirchen gesehen hatte, genoß ich der Ehre mit dem Conte Torre Taxis51, der hier eine Person von grossem Ansehn ist, eine lange Unterredung zu haben. Er ist deutscher und venetianischer Generalpostmeister, und war ein großer Freund von Tartini,[121] von dem er itzt alle geschriebenen Kompositionen besitzt, wovon er mir eine Menge zeigte. Er hat seinen Freund in einer kleinen Schrift gegen einige Anmerkungen über seinen Trattato di Musica vertheidigt, die Rousseau in dem Dictionaire de Musique gemacht hat. Dieser Herr, so jung er ist, scheint grosse musikalische Gelehrsamkeit zu besitzen, und aus dem Umgange und dem Briefwechsel mit Tartini viel gelernt zu haben, so wie er überhaupt für alle Künste enthusiastisch ist. Diese Unterredung mit ihm, worin ich ihm meinen Plan einer Geschichte der Musik mittheilte, machte mir viel Vergnügen, und seine Anmerkungen waren mir so angenehm als unterrichtend.

Des Nachmittags hielt ich mich in der neuen Kirche der Gesuati eine kleine Weile auf, wo ich einen Dominikaner mit ausserordentlich schimmernder Fertigkeit die Orgel schlagen hörte. Freylich spielte er in einer Manier, die sich eher für den Flügel, als für die Orgel schickte, jedoch in ihrer Art meisterhaft und voll Kraft war. Es waren einige Rohrstimmen in diesem Werke, welche ich zuvor nie gehört hatte, und womit der Spieler unbeschreibliche Wirkung that. Ich hatte keine Zeit, nähere Untersuchungen darüber anzustellen, da ich diese Kirche bloß auf meinem Wege nach den Incurabili mitnahm, wo ich sowohl an der Komposition als an der Aufführung soviel Gefallen fand, daß es mir schwer werden wird, ohne Uebertreibung davon zu reden.[122]

Es scheint, als wenn Sgr. Galuppi's Genie, gleich dem des Titian, durch das Alter noch feuriger geworden sey. Er kann itzt nicht weniger als siebenzig Jahre alt seyn, und dennoch räumt jedermann hieselbst ein, daß seine letzten Opern und Kirchenkompositionen mehr voll Geist, Geschmack und Einbildungskraft sind, als irgend eine aus den verschiednen Zeitpunkten seines Lebens. Heute Nachmittag bewogen mich die lateinischen Psalmen, welche von den Waisenmädchen gesungen wurden, jenem allgemeinen Urtheile beyzutreten; denn unter zehn oder zwölf Stücken war auch kein einziges, das man hätte unbeträchtlich nennen mögen. Es kamen verschiedne vortreflich begleitete Recitative darin vor, und diese ganze Musik war reich an neuen Sätzen, voller guten Geschmacks, guter Harmonie und Ueberlegung. Seine Instrumentalbegleitung besonders ist allzeit sinnreich, aber bey ihrer Fülle doch frey von der Verwirrung, welche die Stimmen stört oder übertäubt. Ich muß dem Orchester gleichfals Gerechtigkeit wiederfahren lassen; es wird hier in der strengsten Ordnung gehalten; kein Spieler schien begierig zu seyn, auf Kosten der Singstimmen hervorzuglänzen, sondern alle schienen unter der Art von Unterwürfigkeit zu stehen, welche ein Untergebner seinen Obern schuldig ist.

Ich habe von diesen jungen Sängern vorhin warm genug geredet, allein bey dieser Musik entdeckte[123] ich noch neue Talente und neue Ausbildungen derselben. Was sie heute Abend aufführten, war ernsthafter, als was ich zuvor von ihnen gehört hatte, und mir däuchte, sie waren ihrer Sache itzt noch gewisser; ihre Intonation war richtiger, und weil das Zeitmaaß langsamer war, so konnten die beyden Hauptsängerinnen die Kraft ihrer Stimmen mehr auslassen. Bey ihren Cadenzen weiß ich nicht, was mich mehr in Erstaunen setzte, der Umfang ihrer Stimme, die Mannigfaltigkeit von Läufen, oder die schnelle Fertigkeit; kurz, alles war so, daß es in den besten Opern in Europa den größten Beyfall verdient und erhalten hätte. Ich halte mich daher länger bey diesen Musiken auf, da itzt alle Theater zu Venedig geschlossen sind. Doch der einzige Unterschied zwischen dieser Art Kirchenstücke und der dramatischen Musik, besteht in den Chören; die in den ersten sind lang, ausgearbeitet und zuweilen leuchtet viel Fleiß daraus hervor: und man irret, wenn man glaubt, daß alle italiänische Kirchenmusik so leicht und dünne gewebt sey, als die in der Oper; bloß an den Festtagen kann man neuere Musik in allen Kirchen hören. Die Musik, die des Alltags in den Domkirchen aufgeführt wird, ist in einer so ernsthaften und alten Schreibart abgefasst, als unsre zwey hundertjährigen Kirchenmusiken; und in den Pfarrkirchen ist es ein blosser Cantofermo, oder Gesang, der von den Priestern bloß im Einklange gesungen wird, bald mit der Orgel, bald ohne dieselbe.[124] Wenn man Händels erste Oratorien mit den Opern vergleicht, die er zu gleicher Zeit setzte, so wird es sich zeigen, daß die Arien in jenen oftmals eben so munter sind, als die in den Opern. Was aber die Chöre einer Oper anbetrift, welche alle mit Handlung begleitet sind, und aus dem Gedächtnisse gesungen werden, so müssen sie natürlicher Weise kürzer und weniger gearbeitet seyn, als die in einem Oratorio, wo jedem Sänger seine Stimme vor Augen liegt, und der Komponist Zeit genug hat, seine Geschicklichkeit in jeder Art des fleißigen Styls, wie ihn die Tonkünstler nennen, zu zeigen.

Von dem Incurabili erwieß mir seine Excellenz, Sgr. Murin Giorgi die Ehre, mich in eine Akademie, in der Casa Grimani zu führen, wo ich zum erstenmale die Ehre hatte Sgr. Baffa eine venetianische Dame von Adel zu hören. Man hält sie seit langer Zeit für die beste Flügelspielerinn unter dem venetianischen Frauenzimmer; und ich fand, daß sie niedlich, mit vielem Geschmacke und Urtheile spielte. Die Gesellschaft bestund aus dem vornehmsten Adel in Venedig, und die drey genannten Personen waren aus der ersten Klasse. Man ließ in dieser Gesellschaft meiner Landsmännin, Frau Cassandra Wynn, viele Gerechtigkeit wiederfahren; sie war vergangnes Jahr hier gewesen, und hatte den Ruf einer großen Spielerinn hinterlassen.[125]


Dienstags, den 14ten.

Es war heute Abend die Vigilie vor dem Himmelfahrtsfeste, und also in drey verschiednen Kirchen Musik. Ich gieng erst zu der Kirche Celestia; die Vespermusik war von dem Maestro de Pietà, Sgr. Furlanetto gesetzt; es waren zwey mit Sängern und Spielern sehr gut besetzte Orchester. Die Anfangssymphonie war geistreich, und das erste Chor gut, und im Contrapunkte; sodann folgte eine lange Symphonie, gesprächsweise zwischen beyden Orchestern abwechselnd, und eine Arie mit guter Begleitung, die aber sehr mittelmäßig gesungen ward. Hierauf folgte eine mit dem Chor dialogirte Arie, welche gute Wirkung that; eine Tenorarie von geringem Werthe, und eine für den Baß, welche sinnreich zusammen gesetzt war, indem der Komponist die vornehmsten Instrumente mit einander abwechseln ließ. Ich blieb nicht die ganze Musik hindurch da, allein was ich hörte, schienen mir alle Kompositionen dieses Tonkünstlers, soviel ich deren vorhin gehört hatte, zu übertreffen: er nutzte das doppelte Orchester sehr gut, und brachte verschiedne Wirkungen hervor, welche mit einem einfachen unmöglich gewesen wären.

Von hier gieng ich zu dem Ospedaletto, wo die Musik und die Musiker eine verschiedene Sprache führten. Das aufgeführte Stück war ein lateinisches Oratorium, Machabaeorum Mater,[126] und die Musik von Sgr. Sacchini. Es waren sechs Personen darin, wovon Francesca Gabrieli die vornehmste Sängerinn war. Das Oratorium hatte zwey Theile, wovon der erste vorbey war, ehe ich kam, welches mir sehr Leid that, da der noch übrige mir so ungemein gefiel, sowohl in Ansehung der vortreflichen Komposition, als des Gesanges, der unbeschreiblich schön war. Als ich in die Kirche trat, sang die Ferrarese ein vortreflich begleitetes Recitativ, so schön, als man es selten hört, eine Bravura-Arie trat in dasselbe ein, deren zweyter Theil pathetisch, und in Jomelli's Oratorienstyle geschrieben war, aber gar nicht seine Passagien hatte. Hierauf kam ein Recitativ und eine langsame Arie, welche Laura Conti sang. Sie hat keine starke Stimme, sondern eine blosse voce di Camera; aber unbeschreiblich viel Ausdruck und Geschmack, und ergötzte mich auf eine von der vorigen verschiedene Weise. Sodann folgte ein ander Recitativ, und nachher ein Duett, welches wahrhaftig erhaben war. Dominica Pasquati und Ippolita Santi führten es ausserordentlich gut aus. Ueberhaupt nimt meine Achtung gegen Sgr. Sacchini immer zu, und nach meinem Gefühl und Einsicht ist er der zweyte in Venedig, und hat keinen über sich, als Sgr. Galuppi. Das Singen, welches ich heute in diesem Hospitale hörte, würde ganz gewiß eben so wie das in dem Incurabili in den besten Opern großen Beyfall erhalten.


Mittwochs, den 15ten.

[127] Heute gieng ich in die S. Markuskirche, wo einer Feyerlichkeit wegen der Doge gegenwärtig war. Ich hörete die hohe Messe an, welche daselbst unter der Direktion des Sgr. Galuppi, der sie gesetzt hatte, ausgeführt ward. Es waren bey dieser Gelegenheit sechs Orchester da, nehmlich zwey große auf den Emporkirchen der beyden Orgeln, und vier kleinere, zwey auf jeder Seite, wobey gleichfals kleine Orgeln waren. Ich hatte eine sehr vortheilhafte Stelle bey einer von den grossen Orgeln, neben Sgr. Atilla, Galuppi's Gehülfen52. Die Musik, welche überhaupt wohl gearbeitet und ernsthaft war, that starke Wirkung, ungeachtet diese Kirche gar nicht gut für die Musik eingerichtet ist, indem sie fünf Dohme oder Kuppeln hat, wodurch der Schall zu oft gebrochen wird und zurückprallt, ehe er das Ohr berührt.

Von hier gieng ich wieder zu der Celestia, welche Kirche ungemein voll war. Die Messe war vom Herrn Furlanetto, Kapellmeister der Pietà: die Quelle dieses Komponisten ist nicht sehr ergiebig, er hat wenig Feuer und noch weniger Mannigfaltigkeit. Er sündigt mehr gegen das Genie, als gegen die Gelehrsamkeit, denn seine Harmonie ist gut, und seine Modulation[128] regelmäßig und fehlerfrey; allein ich muß gestehn, daß seine Musik für mich langweilig war, und Ueberdruß und Unzufriedenheit bey mir hinterließ; dahingegen die von Sgr. Galuppi und Sacchini allemal aufheiternd und belebend sind. Sgr. Nazari spielte hier ein Violinconcert sehr nett und gefällig. Ich weiß nicht, wer es gesetzt hatte, aber der Neuigkeit wegen, war es gar nicht merkwürdig. Nach Tische gieng ich in die Kirche Santa Maria Maggiore, um einige Gemählde zu sehen, aber ich kriegte unglücklicher Weise eine Musik zu hören, wovon ich nicht geglaubt hätte, daß Italiäner sie ausstehen könnten. Die Orgel war nicht gestimmt, die andern Instrumente hielten keinen Takt, und an den Stimmen war beydes auszusetzen; ausserdem schien die Komposition gerade solch Zeug zu seyn, wie ein Knabe, der den Contrapunkt lernte, nach der dritten oder vierten Stunde hervorbringen würde. Nachdem ich die beyden besten Gemählde in der Kirche, nehmlich den berühmten Johannes den Täufer von Titian, und die Arche Noä von Giacomo Bassano, lief ich aus dieser Musik nach dem Incurabili, wo Buranello's Nachtigallen, die Rota und Pasqua Rossi Balsam in meine verwundeten Ohren gossen. Es war nicht viel Gesellschaft da, und die Mädchen gaben sich nicht viel Mühe; doch, nach dem was ich eben gehört hatte, war ihre Musik entzückend; und nicht ohne Schmerz dachte ich daran, daß ich itzt zum letztenmale sie hörte.


Donnerstags, den 16ten August.

[129] Der Besuch, den ich heute früh bey Herr Galuppi ablegte, daurete lange, und war nützlich und unterhaltend. Ich freuete mich, als ich ihn sah, daß die Zeit der Person dieses vortreflichen Komponisten so sehr geschonet hatte, als seines Genies. Er ist noch immer lebhaft und munter, und kann dem Anscheine nach noch manche Jahre die Freunde der Musik ergötzen. Sein Charakter und sein Umgang sind natürlich, offen und angenehm.

Er ist klein und hager von Person, hat aber ein edles Ansehn. Herr Galuppi war ein Schüler des berühmten Lotti, und er zeigte sich früh als ein guter Clavierspieler und ein Mann von Genie in der Komposition. Er war so gütig, mich der Sgra. Galuppi vorzustellen, und mir sein Haus zu zeigen, wo ich ein vortrefliches Gemählde von einem schlafenden Kinde von P. Veronese, welches lange Zeit ein Familienstück seiner Frau gewesen war; hierauf führte er mich in seine Studierstube, worin nur ein Clavichord stund, und wo er, seinem Ausdrucke zufolge Papier verdürbe. Seine Familie ist sehr stark gewesen, allein seine Kinder sind alle, drey oder vier ausgenommen, wohlverheyrathet. Er hat das Ansehn eines guten Hausvaters, und man schätzt ihn in Venedig sowohl wegen seines Charakters im Privatleben, als seiner Talente wegen[130] hoch. Doch scheint es man thue ihm Unrecht, indem man einigen geistlichen Dunsen, unter welchen F** ist, als Komponisten Unterhaltung und Schutz angedeihen lässt. Er ragt auch unter dem gegenwärtigen Geschlechte der Musiker in Venedig (wovon ich Sachini ausnehme) so sehr hervor, wie ein Riese unter den Zwergen. Auf mein Bitten war er so gütig, mir ein noch unbekanntes Stück von seiner Komposition als ein Angedenken und Zeichen seiner Freundschaft zu versprechen. Ich zeigte ihm meinen Plan, und wir sprachen darüber, wie auch über die Musik und Musiker sehr vertraulich und mit ähnlichen Gesinnungen. Seine Beschreibung der guten Musik deucht mir vortreflich, und ist, so kurz sie auch ist, sehr fruchtbar. Sie besteht, sagt er, aus vaghezza, chiarezza e buona modulazione53. Er und Sgr. Atilla sagten mir, unter vielen andern Nachrichten, die Namen aller grossen Meister in den Conservatorien, und hatten Geduld genug, mich sie aufschreiben zu lassen.

Beyde Männer belehrten mich, daß die Kosten der Conservatovien, was die Musik anbetrift, sehr unbeträchtlich sind, indem man nur fünf oder sechs Lehrer für den Gesang und die verschiednen Instrumente in jedem hat, und die ältern Mädchen die jüngern unterrichten. Der Maestro di Capella, thut selten mehr als komponiren und dirigiren; zuweilen schreibt er auch wohl die Cadenzen[131] auf, und ist gewöhnlich bey der letzten Probe und ersten öffentlichen Aufführung.

Diese Schulen haben eine Reihe von geschickten Meistern zu Lehrern gehabt. Hasse war einmal Maestro in dem Incurabili, und hat ein Miserere hinterlassen, welches beständig in der Charwoche aufgeführt wird, und dem Abate Martini zufolge, eine wundervolle Komposition ist.54

Sgr. Galuppi schien hier, selbst im Sommer, wenn keine Opern sind, genug zu thun zu haben; denn er ist Maestro di Capella von S. Markus sowohl als an dem Incurabili. Er hat jährlich hundert Zechinen als Privatorganist der Familie Gritti, und er ist auch Organist an einer andern Kirche, deren Namen ich vergessen habe. Er verdient gewiß alles, was man hier für ihn thun kann, denn er ist einer von den wenigen übrigen Originalgenies der besten Schule, die vielleicht je in Italien war. Seine Kompositionen sind stets voll Genie und Natur, und ich kann hinzufügen, daß er ein guter Contrapunktist und Freund der Poesie ist. Das erste zeigt sich in seinen Partituren, und das andere in den Melodien, die er auf Texte setzt, worin der Ausdruck[132] seiner Musik allemal den Gedanken des Dichters entspricht, und ihn sogar oftmals hebt. Seine Kirchenkomposstionen sind in England wenig bekannt; sie scheinen mir aber vortreflich55; denn obgleich manche Arien im Opernstyle geschrieben sind, so zeigt er doch bey Gelegenheit, daß er auch im wahren Kirchenstyle, welcher ernsthaft, voll guter Harmonie, schöner Modulation und fleißig gearbeiteter Fugen ist, geschickt zu schreiben wisse.

Heute Abend war ich in einer andern Akademie bey Sgr. Grimani, welche viel besser als die erste war. Sgr. Sacchini, und einige von den vornehmsten Musikern zu Venedig waren daselbst. Sgra. Regina Zocchi, eine Dame, die ihre musikalische Erziehung unter dem berühmten Hasse in dem Incurabili gehabt hatte, und nun gut verheyrathet ist, ein Frauenzimmer, welches von den vornehmsten Leuten hieselbst wohl aufgenommen und selbst verehret wird, sang in diesem Concerte. Sie hat eine kräftige Stimme, einen schönen Triller mit viel Geläufigkeit und Ausdruck. D. Flaminio Tomj, der eine blosse voce di Camera hat, sang mit auserlesenem Geschmacke. Sgra. Baffa spielte zwey oder drey Clavierconcerte mit vieler Grazie und Genauigkeit. Hiezu kam noch, daß eine zahlreiche Versammlung, die aus dem vornehmsten Adel in Venedig bestund, und worunter Sgr. Mocenigo, ein Sohn des itzigen Doge, sich befand, sehr aufmerksam zuhörte.


Freytags, den 17ten August.

[133] Diesen Morgen hatte ich die Ehre einer zweyten Unrerredung mit dem Grafen von Thurn und Taxis, wobey ich das Vergnügen genoß, S. Excellenz auf dem Flügel, worauf er sehr geschickt ist, spielen zu hören; er phantasirte lange, und zeigte darin viele Einsicht in die Modulation, und ich fand, daß er eine Stelle unter Tartini's Schülern vom ersten Range verdiente. Er zeigte mir eine grosse Anzahl Messen, Motteten und Oratorien von seiner Arbeit; denn ob er gleich noch jung ist, so hat er doch schon sehr viel geschrieben. Auch zeigte er mir ein Instrument eines auf besondere Art eingerichteten Clavieres, welches nach des Königs von Preussen Angabe verfertigt ist. Es hat das Ansehn eines grossen Clavichords, verschiedne Auszüge, und ist bald eine Harfe, ein Flügel, eine Laute oder ein Fortepiano; doch das merkwürdigste an diesem Instrumente besteht darin, daß man das Clavier herausziehen und die Tangenten unter andre Saiten bringen kann, wodurch ein Stück nach Belieben um einen halben oder ganzen Ton, oder auch eine kleine Terzie niedriger kann transponirt werden, ohne daß man verschiedne Noten und Schlüssel entweder wirklich oder in Gedanken nöthig hat.

Unter bem Dilettanti hieselbst ist, ausser dem Grafen von Taxis noch ein venetianischer Nobile Sgr. Giovanni Cornaro, wegen seines[134] Genies und Geschmacks in der Komposition merkwürdig. Er hatte eine Messe zu einem grossen Feste für eine Kirche in Padua gesetzt, welche daselbst von einer unbeschreiblichen Menge Sängern und Spielern aufgeführt ward, als ich zu Venedig war.

Um mich genauer mit der Einrichtung der Conservatorien bekannt zu machen, und meine hiesigen musikalischen Untersuchungen zu endigen, erhielt ich die Erlaubniß, in die Musikschule der Mendicanti zu kommen, und hörte ein Concert, welches bloß mir zu Gefallen war angestellt worden; es währte zwey Stunden, und die besten Sängerinnen und Spielerinnen waren dabey. Es war wirklich merkwürdig, jede Stimme dieses vortreflichen Concerts, mit Frauenzimmer so wohl besetzt zu sehen als zu hören, die Violinen, Bratschen, Violonschelle, Flügel, Waldhörner, ja gar den Contraviolon spielten. Die Priorinn, eine schon bejahrte Frau führte sie an; die erste Violine ward von Antonia Cubli von griechischer Herkunft gespielt; den Flügel spielten bald Francesca Rossi, Maestra del Coro, bald aber andre. Der Gesang war in verschiednem Style wirklich vortreflich; Laura Risegari und Giacoma Freri hatten durchdringende Stimmen, welche ein grosses Theater hätten ausfüllen können; sie sungen Bravura Arien und ausgesuchte Scenen aus italiänischen Opern; Franceska Tomj, eine Schwester des Abate dieses Namens,[135] und Antonia Lucuvich, deren Stimmen zärtlicher waren, schränkten sich vornehmlich auf rührende Arien ein, wobey es auf Geschmack und Ausdruck ankam. Ueberhaupt herrschte eine weise Abwechselung im Ganzen; nie folgten zwey Arien von einerley Gattung auf einander, und es schien, daß insbesondere genau auf Wohlstand und strenge Ordnung gehalten ward; denn diese bewundernswürdigen Musiker, die vom verschiedenem Alter waren, betrugen sich alle, wie sichs gebührte, und schienen wohl erzogen zu seyn. Hier war es, wo die beyden berühmten Tonkünstlerinnen, die Archiopate itzige Sgra. Guglielmi und Sgra. Maddalene Lombardini Sirmen, welche in England so großen und gerechten Beyfall erhalten haben, ihre musikalische Erziehung erhielten. Wenn ich mich noch einige Tage länger in Venedig hätte aufhalten können, so hätte ich eben das Vergnügen in den übrigen drey Conservatorien geniessen können, indem mich ein Freund, noch zu bleiben, überreden wollte, der im Stande war mir den Anblick der innerlichen Disciplin dieser vortreflichen musikalischen Pflanzschulen zu verschaffen. Es kostete mich um soviel mehr Ueberwindung, dieses gütige Anerbieten auszuschlagen, da in ganz Italien sonst keine Anstalten von der Art sind; allein da ich entschlossen war, die Zeit, die ich zu meinen Untersuchungen ausgesetzt hatte, so gleichmäßig als möglich zu vertheilen, so widerstand ich dieser Versuchung sowohl als verschiednen andern Anerbietungen,[136] womit einige der Vornehmsten von Adel mich beehrten, ihren Privatconcerten beyzuwohnen; und also muß ich zum Ruhm Italiens sowohl als zu meiner eigenen Ehre sagen, daß ich, wo ich mich nur aufhielt, aufs höflichste aufgenommen ward, und alle erdenkliche Aufmunterung und Beystand erhielt. Zu Venedig ward meine Erwartung sehr übertroffen, weil man mir allenthalben gesagt hatte, die Einwohner vornehmlich die Vornehmen wären zurückhaltend, und erlaubten den Fremden nicht gern den Zutritt.

Vieles von meinem in Venedig genossenen Unterichte und Vergnügen habe ich den freundschaftlichen Bemühungen des Herrn Eduards zu danken, der von Geburt ein junger Engländer ist, aber sich so lange Zeit hier aufgehalten hat, daß er seine Muttersprache nicht mehr reden kann. Mit diesem Herrn und D. Flaminio Tomj kam ich aus dem Conservatorio der Mendicanti nach Sgr. Grimani's Hause: hier sang der Abate Tomj ein paar pathetische Arien mit so vielem Geschmacke, daß ich seit Palma's Tode mich nicht erinnere etwas Schöneres gehört zu haben. Es war grosse Gesellschaft da, und die Aufführung allerhand musikalischer Stücke dauerte bis zwey oder drey Uhr des Morgens, da ich von Sgr. Grimani einen melancholischen Abschied nahm. Dieser Herr hatte mich auf eine Weise aufgenommen, die mehr als Höflichkeit und Gastfreyheit war: bey einer minder erhabenen Person würde[137] ich es Freundschaft nennen, hier konnte es nur sich herablassende Güte seyn.

Um meine Nachricht von der Musik dieser reizenden Stadt zu schließen, muß ich noch bemerken, daß die Hauptkennzeichen der Komponisten aus der venetianischen Schule, ob sie gleich überhaupt genommen, gute Contrapunktisten sind, in der Feinheit des Geschmacks und der Fruchtbarkeit der Erfindungskraft bestehe. Es kommen viele Umstände zusammen, um die venetianische Musik besser und allgemeiner zu machen, als sie sonst irgendwo ist: Die Venetianer haben ausser den theatralischen wenig Belustigungen. Spatzierengehen, Reiten, und alle andere ländliche Ergötzungen sind ihnen versagt. Diesem hat man es einigermassen zuzuschreiben, daß die Musik so häufig ist, und mit so vielem Aufwande getrieben wird. Ausserdem kann die Zahl der Theater, in welchen die Gondelfahrer allemal freyen Zutritt haben, zum Beweise dienen, wie viel besser sie singen, als Leute von so niedrigem Stande an andern Orten.56 Und was die Familien, in welche oftmals Mädchen aus den Conservatorien hineinheyrathen, anbetrift, so mag man natürlicher Weise voraussetzen, daß guter Geschmack und Liebe zur Musik in denselben herrschen.[138]

Die S. Markus-Bibliothek, welche an Büchern aus allen Fakultäten einen Ueberfluß hat, verschafte mir nur wenig Materialien zu meinem die Musik betreffenden Werke. Doch war mir die Unterredung mit Sgr. Zanetti, dem Oberbibliothekar, einem sehr höflichen und gar nicht zurückhaltenden Manne, ungemein vortheilhaft.

Die Buchdruckerey ist in Venedig schon seit dem Jahre 1459,57 als Nicolaus Jansen sie daselbst einführte, mit großem Eifer getrieben worden; und vielleicht sind in keiner Stadt in Italien so viele Bücher herausgekommen als hier. Gegenwärtig sind die Pressen sehr geschäftig und fruchtbar, und die Zahl der Buchhändler in der schönen Stadt Merceria genannt, ist sehr beträchtlich. Nirgends habe ich so viel alte Schriften über die Musik angetroffen, als hier; und was die neuern anbetrift, so fand ich manche, die ich anderswo nicht auftreiben konnte, vornehmlich den ersten Theil von des Pater Martini Geschichte der Musik. Die vornehmsten Buchhändler in Venedig sind Pasquali, Remondini, Bettinelli, Occhi und Antonio di Castro.

Die Kunst, Musik in Kupfer zu stechen, scheint daselbst ganz verlohren zu seyn; denn ich war nicht vermögend, ein einziges Werk aufzufinden,[139] daß im Notenstich, so wie es in England gewöhnlich ist, herausgekommen wäre. Ueberhaupt ist nichts einem Musikladen ähnliches, so viel ich habe entdecken können, in ganz Italien zu finden. Zwar hat M. di Castro, ein unternehmender Buchhändler, und von den obgenannten, einen Plan bekannt gemacht, Musikalien in Notendruck, so wie ihn Hr. Fought versucht hat, herauszugeben, allein er hat wenig Aufmunterung gefunden, indem er nur eine Sammlung kleiner Duetten und Trios ans Licht gestellt hat. Die musikalischen Kompositionen sind in Italien so kurzlebig, und die Wuth nach Neuigkeiten ist so arg, daß es in Betracht der wenigen Exemplare, die gefordert werden, der Mühe nicht werth ist, die Kosten auf den Stich und Kupferdruck zu wenden. Auch giebt hier, wie in der Türkey, das Geschäft eines Abschreibens, so vielen Leuten Unterhalt, daß es Grausamkeit wäre, sie dessen berauben zu wollen, vornemlich da dieser Handel lebhafter und einträglicher zu seyn scheint, als irgend einer.

Als einen Zusatz zu dem Artikel Venedig, muß ich sagen, daß ich seit meiner Zurückkunft nach England, einen Brief von daher datirt den 25 Jan. 1771 erhalten habe, der folgende besondre Nachrichten von dem damaligen Zustande der Musik in dieser Stadt enthält: »Auf dem Theater S. Benetto haben wir während des Carnevals die Oper Alessandro nelle Indie[140] gesehen, welche von Sgr. Bertoni, Kapellmeister bey den Mendicanti gesetzt war, und allgemeinen Beyfall erhielt. Vornehmlich ward ein Duett, welches Sgra. de Amicis und Sgr. Caselli sang, bewundert. Auf eben dem Theater giebt man itzt, den Siroe riconosciuto, vom Sgr. Borghi, der allgemeines Misfallen erregt hat.

Die Musik in dem Opernhause des Heil. Moses gefällt ungemein; wiewohl sie so übel aufgeführt wird, daß der Verfasser Sgr. Garzanigo, ein Neapolitaner, ungeachtet er ein allgemeines Lob erhalten, große Ursache hat, unwillig darüber zu seyn.«

47

S. Volkmann. 3. B.S. 500.

48

Die meisten von den komischen Opern, welche zur Zeit des Pertici und Laschi mit so vielem Beyfalle in London aufgeführt wurden, waren Atilla's Komposition; besonders La Comoedia in Comoedia, Don Calascione, und andre mehr. Er ist ein Oheim des Signor Picchini.

49

Galuppi ist in Italien am meisten unter dem Namen Il Buranello bekannt, den man ihm von seinem Geburtsorte, Burano, einer kleinen Insel, nicht weit von Venedig, beygelegt hat. So nennt man auch Hasse il Sassone, il caro Sassone. In Petersburg hat Signor Traetta Galuppi's Stelle erhalten.

50

Mir däucht sie viel süsser, als am Tage. Die Stille giebt ihr die Kraft. Ich denke, die Nachtigall, wenn sie am Tage sänge, wo jede Gans schnattert, würde für keine bessere Sängerin gehalten werden, als die Grasmücke.

51

Er ist von einer Familie mit dem deutschen Fürsten, welcher in Frankreich und England unter dem Namen des Fürsten von Thurn und Taris bekannter ist.

52

Dieß Werk hat ein Pedal, aber nur ein einziges Manual.

53

Schönheit, Deutlichkeit und gute Melodie.

54

Ich erhielt vor meiner Abreise von Venedig eine Abschrift davon; und seit meiner Ankunft in England bin ich mit einem Briefe von dem Grafen Bujowich zu Venedig beehret worden, worin er mir verschiedene unterhaltende Nachrichten von dem Ursprunge und Fortgange dieser musikalischen Anstalten mittheilte.

55

Ich erhielt zu Venedig einige von seinen Motteten.

56

Wenn eine Loge, die einer adelichen Familie gehöret, nicht besetzt ist, und leer bleiben würde, so erlauben die Direktörs der Oper den Gondelfahrern hineinzugehen, ehe sie von sich sagen liessen, daß die vorgestellte Oper nur wenig Zuschauer hinziehe.

57

Die Jahrzahl ist wohl ein Irtthum; denn es war 1469. als Johann von Speyer diese Kunst aus Deutschland nach Venedig brachte.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 99-141.
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