Achtzehntes Kapitel
Rückkehr nach Wien • Herr von Blanc und die Triester Fabriken • Meine Exkursion nach Venedig • Der köstliche Sturm • Mein Abenteuer mit einer Solotänzerin

[171] Da ich eine ausgebreitete Bekanntschaft in Wien hatte, so ward es mir leicht, Picheln vier Scholaren zu verschaffen, deren jeder ihm monatlich drei Dukaten gaben; mithin hatte er eine sichere Einnahme von zwölf Dukaten, ohne Nebenverdienst durch Privatkonzerte, wozu ich ihm auch großen Vorschub tat; und also durfte er mit seiner jungen Frau nicht darben.

Den Sommer über beschloß ich in Wien zu bleiben und zu Anfang des Herbstes meine große Reise in die weite Welt anzutreten.

Einige Tage nach meiner Zurückkunft in Wien machte ich dem Grafen Spork meine Aufwartung. Er trug mir das Engagement wieder an, das sich vor meiner Abreise nach Großwardein zerschlug; allein ich lehnte es meiner vorhabenden Reisen wegen von mir ab, empfahl aber dafür meinen Freund Pichel seiner Protektion. Da nun glücklicherweise die erste Violinistenstelle bei dem deutschen Theater vakant wurde, so gab er sie ihm. Sie trug nur 450 Fl. ein, aber Pichel nahm sie in seiner Lage mit Freuden an. Sie beschäftigte ihn nur der Abends, und also hatte er den ganzen Tag frei und konnte Scholaren gut abwarten. Und so hatte ich denn das Glück, meinen lieben Busenfreund mit einem Einkommen von sichern 1050 Gulden jährlich versorgt und hinlänglich geborgen zu wissen.

Mit einem alten Bekannten von mir, dem Herrn von[172] Blanc, Goubernialrat in Troppau, der unvermutet nach Wien kam und von der Kaiserin den Befehl erhalten hatte, die Fabriken in Triest zu untersuchen, reiste ich auf sein freundliches Anerbieten dorthin. Da aber seine Geschäfte wenigstens drei Wochen dauerten, so entschloß ich mich, für mich allein eine Exkursion nach Venedig zu machen, um meinen ehemaligen Chef, den Grafen Durazzo, zu besuchen. Das Schiff hatte so guten Wind, daß es in 13 Stunden in Venedig ankam. Aber zu meinem größten Verdruß traf ich ihn nicht an; denn er war gerade mit seiner Gemahlin nach Mailand gereist. Die Ascenta war schon vorbei. Von den aufgeführten vier Opern waren drei a terra gegangen, nur eine hatte sich kümmerlich gehalten. Ich sah und hörte diese Oper. Allein ich fand sie so unbedeutend, daß ich nicht nur die Lust verlor, sie noch einmal zu hören, sondern sie selbst keiner weitern Beschreibung würdig achte.

Die Abwesenheit des Grafen – der Verdruß, keine gute Oper gefunden zu haben – und endlich der zur Sommerszeit in Venedig herrschende und jedem Ausländer beinahe unerträgliche üble Geruch der Lagunen machten mir meinen dortigen Aufenthalt so langweilig und ekelhaft, daß ich mich am vierten Abend nach meiner Ankunft wieder nach Triest einschiffte. Auf dieser meiner Rückreise hatten wir aber ungünstigen Wind, der am folgenden Tage in einen kleinen Sturm ausartete und unser Schiff viele Meilen See-einwärts trieb. Wer sollte wohl glauben, daß mir dieser widrige Wind, statt mich verdrüßlich oder wohl gar furchtsam zu machen, sehr behagte und mir ein angenehmes Abenteuer einbrachte?

Unter den Passagieren befand sich ein schönes Mädchen in der Kajüte. Es war eine Solotänzerin, von Geburt eine[173] Venezianerin, etwa 18 bis 19 Jahre alt, mit großen schwarzen, feurigen Augen. Hineinsehen mußte man, das war nicht anders; und da es einmal geschehen war, so war es mir unmöglich, wieder wegzusehen. Das war der ganz simple Anfang meines verliebten Abenteuers, das sich mit dem anziehenden, schalkhaften Mädchen beim ersten Eintritte in das Schiff entspann. Sie hatte außer ihrem Bedienten noch eine Mutter bei sich, wie man in Italien die betagten Frauen nennt, die des Wohlstands halber junge Frauenzimmer für Geld begleiten und die sie in fremder Gesellschaft für ihre Mutter ausgeben, unter vier Augen aber im eigentlichen Verstande ihre Zofen sind. Da sie nun als erste Tänzerin nach Wien verschrieben war, so erleichterte das unsere Bekanntschaft. Ich bot ihr meine ergebensten Dienste in meinem Geburtsorte an, und da sie, wie sie sagte, Deutschland zum ersten Male betrat, so hatte sie die erstaunliche Güte, meine Anerbietungen anzunehmen; ja sie war sogar so großmütig zu gestehen, daß sie sich glücklich schätze, einen Freund zu finden, der beim ersten Anblick ihr ganzes Vertrauen an sich gerissen hätte. –

Dem widerstehe, wer da kann! Kaum waren zwei Stunden verflossen, so waren wir weiter als rechtliche Leute, die weniger schnell in neue Verhältnisse hinein zu segeln gewohnt sind, in zwei Monaten zu kommen pflegen. Wenigstens waren wir schon auf der Linie von Schwester und Bruder. Wer hätte auch nicht solch eine schöne Schwester haben wollen! Diese hier hatte ein so reizendes Gesicht, war ein so proportioniertes schlankes Figürchen, und ihr munterer, degagierter und naiver Humor, zu welchem sich ihr venezianischer Dialekt allerliebst ausnahm, war so unwiderstehlich, daß man zum[174] allerwenigsten die Freiheit der Verwandtschaft sich erringen mußte. Ich nenne ihren Namen ausdrücklich nicht; denn er ist wie ihr Talent nachher nur zu sehr bekannt geworden.

Am folgenden Tage, als der Wind sich bis zum Sturme erhob, als das Schiff hin und her schwankte und das Mädchen bei jeder Bewegung zusammen zu stürzen in Gefahr lief, da nahm ich sie mitleidsvoll in meinen Arm und hielt sie fest und immer fester, und das schüchterne Geschöpf schmiegte sich so sehr an mich heran, daß ich den sehen will, der dabei ein gleichgültiger Passagier bleiben soll.

Der Sturm hatte uns so weit verschlagen, daß wir erst am vierten Tage nach Triest kamen. Was konnte ich Eiligeres tun, als veranstalten, daß sie in dem nämlichen Gasthof, wo ich und Blanc wohnten, einkehrte? Sie tat es. Sie tat mehr; sie ließ sich bereden, drei Tage in Triest zu bleiben, und da ward denn auf festem Lande benutzt, was wir auf der offenen See so schön eingeleitet hatten. Um uns so viel und so oft als möglich zu sehen, speisten wir mittags, speisten wir abends miteinander. Blanc kommissionierte für seine Kaiserin in seinen Fabriken; ich für meine Königin zu Hause. Sie bat mich, ihr einen neuen und bequemen Reisewagen zu behandeln. Am folgenden Morgen fand ich einen fertig stehen und ward des Preises einig. Aber um sie noch einige Tage länger in Triest aufzuhalten, war ich schlau genug, ihr weis zu machen, daß der Wagen erst in sechs Tagen fertig sein würde. Sie mußte sich also schon bequemen, so lange da zu bleiben. Wie sechs Stunden verflossen mir diese sechs Tage im Taumel der Freude. Doch – daß ich nicht zu viel verrate![175]

Sie ging nach Wien voraus, und ich kam mit Blanc, der erst nach acht Tagen mit seinen Geschäften zu Ende war, hinterdrein. Was schimpfte ich während dieser Zeit auf alle Fabriken in der Welt! Kaum konnte ich den Augenblick erwarten, wo ich das schöne reizende Geschöpf wiedersehen würde. Wir kamen ziemlich in der Nacht in Wien an; aber ich ruhte und rastete nicht, bis ich noch an demselben Abend ihre Wohnung ausgeforscht hatte. Sie hatte eine unbeschreibliche Freude, mich noch eher wiederzusehen, als sie vermutet hatte, und ich mußte bei ihr soupieren. –

Ungefähr zehn Tage nach meiner Zurückkunft trat sie in einem neuen Ballet zum ersten Male auf, und nicht nur ihre reizende Gestalt, sondern auch ihr außerordentliches Talent riß das Publikum zum höchsten Enthusiasmus fort. Noch nie hatte weder eine Sängerin noch Tänzerin so einen ausgezeichneten Beifall erhalten. Wer kann sich, ohne es selbst geschmeckt zu haben, das Vergnügen vorstellen, sich von einem solchen Mädchen begünstigt zu wissen, deren Reize durch den vorteilhaften Theateranzug erhöht, deren Gestalt, des Meißels eines Pygmalions würdig, durch so mannigfaltige malerische Gruppen, deren schönes, ausdrucksvolles Gesicht durch ein unendlich süßes Mienenspiel noch mehr verherrlicht wurden, und deren kleinste ihrer Bewegungen nicht nur das Heer der Gecken und Stutzer verschlang, sondern für die auch solide Jünglinge, Männer und Greise empfanden? Wer ist im Stande, die Wonne dessen zu fühlen, der stolz zu sich selbst sagen kann: Siehe! das Mädchen, um dessen Besitz Wollüstlinge mit Equipagen und Ordensbändern buhlen – bei welcher Verschwender für jede Schäferstunde eine Herrschaft um die andere[176] gern vergeuden würden – das fast jeden geschwornen Eheverächter sein Keuschheitsgelübde bereuen zu mamen im Stande ist –: das Mädchen istdein!

Der Leser halte mir es zu Gute, wenn mein bleiches Gesicht noch jetzt bei dieser Erinnerung glüht, wenn ich in meinem sechzigsten Jahre meinen damaligen Jugendtraum mit so frischen Farben male. Ich war unsinnig, ich war strafbar, ich weiß es wohl; aber verdamme mich, wer streng genug dazu sein kann.

Obschon ich mir vorgenommen hatte, aus meiner Intrigue ein strenges Geheimnis zu machen, so war es mir doch durchaus unmöglich. Ich vertraute also einem meiner biedersten Freunde mein großes Glück, wie ich Pinsel damals eine sehr unmoralische Handlung nannte, in der Zuversicht, daß er mir von Herzen dazu gratulieren und vielleicht gar mich darum beneiden würde. Allein wie erstaunte ich, als dieser verehrungswürdige Freund (warum soll ich den Namen dieses Rechtschaffenen, dieses meines Schutzengels, warum den Herrn von Demuth nicht nennen?) mein Geständnis mit Mißbilligung anhörte und mir so in die Seele sprach: »Pfui, schäme dich, Ditters! Du bist jetzt dreißig Jahr, in einem Alter, wo du deiner Reisen, deiner Kunst wegen keinen Augenblick mehr zu verschwenden hast, und mitten in deiner besten Künstlerlaufbahn begehst du die Raserei, dich an ein Mädchen und an solch ein Mädchen zu hängen, um deine künftige Wohlfahrt, deine Gesundheit, deine Ehre aufs Spiel zu setzen? – Folge meinem Rate! Sei Mann! Reiße dich aus den Armen dieses verführerischen Geschöpfs und mache dich los von einer sträflichen Leidenschaft! – Gehe in die Welt! Hast du Gelegenheit, an irgendeinem Hofe, wo es dir am besten gefällt, ein sicheres[177] Brot zu finden, so schlag ein! Dann heirate ein tugendhaftes Mädchen und – werde Vater! Behagt dir mein Rat nicht, so sind wir geschiedene Leute.« –

So sehr mich diese Worte erschütterten und alle meine Empfindung im ersten Augenblick sich dagegen aufregte, so ward ich doch bald bei kälterem Nachdenken von den redlichen Grundsätzen meines würdigen Freundes – Friede sei mit seiner Asche! – überzeugt. Seine wenigen, aber nachdrücklichen Worte prägten sich fest meiner Seele ein; die Schuppen fielen mir von den Augen, und – ich sah die Sirene nicht mehr.

Anderthalb Jahre nachher erhielt ich von meinem Freunde die Nachricht, daß diese Tänzerin mit einem sehr reichen und bekannten Grafen N.N., aus einer sehr ausgezeichneten Familie, eine Intrigue gehabt, bei welcher sich dieser so ruiniert habe, daß er nicht nur statt seiner ehemaligen prächtigen Equipage zu Fuße gehen, sondern sogar von den wohltätigen Scherflein, die andere Kavaliere zusammentrügen, leben müsse. Dies sei der Kaiserin zu Ohren gekommen; sie hätte daher diese signora prima ballerina unvermutet in einer Nacht durch die Polizei aufheben und sie mit allem ihrem baren Gelde, ihren Nippes und Juwelen bis an die italienische Grenze bringen lassen.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 171-178.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon