Eilftes Kapitel
Kurzes Exil in Hildburghausen • Schweitzer • Die Unglück weissagende Schlittenfahrt

[93] Im Jahre 1758 brach der sogenannte Siebenjährige Krieg aus. Im folgenden Jahre wurde dem Prinzen das Kommando über die Reichsarmee aufgetragen. Er nahm vierzehn Personen von seiner Kapelle mit in die Kampagne, worunter ich und meine zwei Brüder waren.

Mitten im April desselben Jahres trat die Equipage des Prinzen unter einer hinlänglichen Bedeckung von Kavallerie die Reise an, und nach vier Wochen trafen wir in Fürth bei Nürnberg ein, woselbst der Versammlungsort der Reichsarmee bestimmt war. Wir blieben wohl gegen zwei Monate da, ehe die Armee, die aus 90000 Mann bestehen sollte, zusammentraf. Sodann marschierten wir nach Erfurt in Thüringen, woselbst der französische General Soubise mit 25000 Franzosen stand, um sich mit den Reichstruppen zu kombinieren. Ich hätte manches zu erzählen, wenn es nicht außer meinem Plane läge.

Bei dem Vorrücken beider Armeen wurde die Bagage und Suite des Prinzen rückwärts nach Hildburghausen, unter Bedeckung von zwei Eskadronen Kürassieren, transportiert. Wir passierten den ungeheuren Thüringer Wald und den Sattel (einen hohen Berg, über welchen eine Passage geht). Unsre Marschroute ging über Saalfeld und die berühmte Universität Jena, und am zehnten Tage trafen wir glücklich in Hildburghausen, der Residenz des regierenden Herzogs, ein, woselbst wir den ganzen Winter über verblieben. Alle Wochen wurde hier[94] einmal Konzert auf dem herzoglichen Schlosse gegeben, bei welchem wir jedesmal erscheinen mußten.

Mit der herzoglichen Kapelle lebten wir in enger Freundschaft. Unter andern war daselbst ein junger Mensch, der als Knabe ein vortrefflicher Diskantist gewesen war, nun aber die Stimme gewechselt hatte und bei den herzoglichen Musiken die Bratsche spielte. Da ich mit ihm in gleichem Alter war, so kamen wir täglich zusammen. Mein älterer Bruder gewann ihn so lieb, daß er ihm einen Platz in seinem sehr geräumigen Quartier anbot, und beide wohnten bis zu unserer Abreise in zwei nebeneinander gelegenen Zimmern. Dieser liebe junge Mensch hieß Schweitzer und ist derselbe, der sich nachher durch seine Kompositionen, insonderheit von Wielands Alceste, so rühmlich ausgezeichnet hat.

So einen angenehmen Winter erinnere ich mich nicht, jemals zugebracht zu haben. Und dennoch fehlte kein Haar, und ich wäre in der Blüte meiner Jahre hingerafft worden.

Ein herzoglicher Bereiter, ein sehr artiger Mensch, dessen Vater ein feines Vermögen hatte, spielte die Violine und bat mich, ihm Unterricht zu geben. Ich tat es, nahm aber kein Geld. Dafür suchte er mir allerhand Vergnügen zu machen, zu Pferde und zu Wagen. Es fiel dieses Jahr schon frühe ein großer Schnee, und dieser hielt den ganzen Winter an. Da holte er mich denn wöchentlich ein paarmal in einem Rennschlitten ab und kutschierte mich nach einem stark besuchten Gasthofe, eine halbe Meile von der Stadt. Einstmals kam er sehr sauber angezogen in Schuhen und Strümpfen und bat mich, mich ebenso anzuziehen; denn es sei heute dort eine große Fête zum Geburtstag eines Hofadvokaten angeordnet,[95] und er habe den Auftrag, mich zum Ball einzuladen; um drei Uhr würde ein herzoglicher Stallknecht mit einem schönen Rennschlitten vor meinem Hause sein. Mit Freuden nahm ich die Einladung an und ging zu meinem Schrank, um mir Strümpfe, Schuhe und ein sauberes Kleid hervorzulangen. Aber kaum hatte er mein Zimmer verlassen, so überfiel mich eine Angst, als wenn mir jemand mit einer eiskalten Hand über den Rücken führe. Ohne an Ahndungen zu glauben, verging mir doch mit einmal die Lust mitzufahren. Ich schloß den Schrank wieder zu und setzte mich an meinen Schreibtisch; und als der Bereiter wiederkam, sagte ich ihm rund heraus, daß ich mich anders besonnen habe. Alle sein Bitten war umsonst, wiewohl ich keinen vernünftigen Grund anzugeben wußte. Der Friseur, der soeben kam, ward in seiner Gegenwart fortgeschickt. Schmollend ging der Bereiter fort und ließ nun statt meiner den Stallknecht sich in den Schlitten setzen, damit dieser sein ordentliches Gewicht bekäme. Er selbst ritt auf dem sogenannten Löffel, und durch mein Fenster sahe ich ihn durch die Straße über den großen Platz nach dem Stadttore zu fahren.

Kaum entfernte sich der Schall von dem Schlittengeläute, als ich meinen Mantel umnahm und zu meinem Bruder ging. Ich traf ihn mit Schweitzer über Rabeners Satiren an, die sie einander wechselsweise vorlasen. Wir machten uns an sechs neue Richtersche Quartetts, die Schweitzer bekommen hatte. Er spielte das Violoncell, ich die erste, mein älterer Bruder die zweite Violine und mein jüngerer die Bratsche. Mittendurch tranken wir einen köstlichen Kaffee und rauchten den feinsten Kanaster dazu. Wir waren recht vergnügt.[96]

Soeben stimmten wir zu einem neuen Quadro ein, als plötzlich die Nachricht aus dem Hause zu uns herauf erscholl, der Bereiter habe das Unglück gehabt, gerade beim Stadttore in eine Schleuder zu geraten, der Schlitten sei an einen Stein geprallt, umgestürzt und der Stallknecht mit der Stirn gerade gegen das eine Ende des Stadttores geflogen, er habe seine Hirnschale zerschmettert und sei auf der Stelle tot geblieben. – Man denke sich meine Erschütterung! – Schweitzer lief fort, um sich darnach zu erkundigen. Nach einer halben Stunde war er wieder da und bestätigte die traurige Geschichte. Den Bereiter hatte man auf die Hauptwacht gesetzt, wo er Schweitzern sagte, es sei ihm der einzige Trost bei diesem Unglücke, daß ich nicht mit ihm gefahren sei, weil es mir unfehlbar ebenso ergangen sein würde. Der Herzog ließ der unglücklichen Witwe lebenslang die halbe Gage des Mannes, und der Vater des Bereiters legte ihr die andere Hälfte durch gerichtliche Zusicherung zu. Der Bereiter aber ward wegen seiner Unvorsichtigkeit zu einem vierwöchentlichen Arrest auf der Hauptwache verurteilt.

So rettete eine unbestimmte Empfindung mein Leben.

Bis im März blieben wir hier, wo wir unsere ziemlich große und langwierige Reise nach Wien wieder antraten.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 93-97.
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