Erstes Kapitel
Erste Spuren meines Talents zur Musik • Frühzeitiges Probestück in der Kirche

[17] Ich bin im Jahre 1739 am Zweiten des Wintermonats zu Wien geboren.

Mein Vater, aus Danzig gebürtig, war unter der Regierung Karls des Sechsten k.k. Hof- und Theatersticker, und da er zugleich ein guter Zeichner war, so wurde er bei der bürgerlichen Artillerie zum Oberlieutenant gewählt und kommandierte in dem damaligen baierschen Kriege, der nach dem Tode Karls des Sechsten unter der Regierung des baierschen Kaisers, Karls des Siebenten, ausbrach, die sogenannte Löbel-Bastei mit zwanzig Kanonen.

Sein Verdienst warf ihm so viel ab, daß er seinen fünf Kindern eine etwas bessere Erziehung, als sie sonst bei Bürgern gewöhnlich ist, geben konnte. Wir drei Söhne, davon ich der mittelste war, studierten bei den Jesuiten, und noch ein Weltpriester ward uns als Instruktor gehalten, welchem mein Vater Wohnung, Kost und Besoldung gab. Diesem würdigen Manne, der weder Fanatiker noch Freigeist war, habe ich echte Grundsätze in der Religion und Superiorität über Vorurteile zu verdanken. Auch ließ mein Vater uns fünf Kindern Unterricht in dem Französischen, das er selbst sehr gut sprach, geben. Da er auch zugleich Geschmack an der Musik hatte, so hielt er meinem ältesten Bruder einen Lehrmeister auf der Violine.

Noch war ich kaum sieben Jahre alt, als ich schon eine besondere Neigung zur Musik in mir verspürte. Ich lag[17] meinem Vater an, mir auch musikalischen Unterricht geben zu lassen. Er gewährte mir meine Bitte, und in Zeit von drittehalb Jahren machte ich solche Fortschritte, daß mein Lehrmeister – König hieß der ehrliche Mann – meinem Vater gerade heraus gestand, er könne mich nichts mehr lehren und es sei nunmehr nötig, mir einen andern Lehrmeister zu geben, bei dem ich konzertmäßig spielen lernen könne. »Ich mache mir ein Gewissen daraus«, sagte er, »Ihren Sohn Karl noch länger aufzuhalten, da er alle Anlage hat, ein weit besserer Spieler als ich zu werden.« – Wie wenige mögen diesem biedern Manne gleichen! Mein Vater fühlte das Edle seines Betragens, machte ihm ein ganz artiges Geschenk, und damit er an Einkommen nichts verlieren möchte, so nahm er ihn für meinen dritten Bruder an.

Mein zweiter Lehrmeister war Joseph Zügler, ein sehr braver Violinist und zugleich geschickter und verdienter Kompositeur für die Kammermusik. Er gab sich alle Mühe mit mir, und mein Fleiß so wie meine Lust zur Violine entsprachen derselben. Um mich im Spielen vom Blatte zu üben, riet er mir, alle Sonn-und Feiertage auf die Chöre (so nennt man die katholische Kirchenmusik) zu gehen, und pries mir vorzüglich den Benediktinerchor auf der Freyung an, weil daselbst nicht nur ein wohlbesetztes Orchester war, sondern auch die besten Messen, Motetten, Vespern und Litaneien ausgeführt wurden.

Am nächsten Sonntag ging ich dahin. Allein als ich mich bei dem Regens Chori, Herrn Gsur, meldete und ihn um die Erlaubnis mitzuspielen ersuchte, maß mich dieser Mann mit den Augen und schnarchte mich mit den Worten an: »Warum nicht gar! Hier ist kein Chor, auf dem man jedem Knaben mitzukratzen erlauben kann!« – So[18] jung ich war, so verdroß mich doch der Ausdruck »kratzen« ganz gewaltig, und auf der Stelle antwortete ich ihm zurück: »Sie wissen ja noch nicht, ob ich im Stande bin mitzuspielen oder nicht. Wenn ichs nicht könnte, so würde mir wohl mein Lehrmeister, Herr Joseph Zügler, nicht geraten haben, Sie um die Erlaubnis dazu zu bitten.« – »Ja so, wenn das ist«, erwiderte er freundlich, »wenn der Sie wirklich herschickt, so will ichs gern erlauben.« – Sogleich befahl er, mir eine Violine zu geben, und wies mir meinen Platz neben dem ersten Violinisten, Karl Huber, an. Dieser gab scharf auf mich acht, ob ich auch richtig spiele; ja bei einer eingetretenen Fuge hielt er sogar mit seinem Instrumente an, um zu beobachten, ob ich auch recht pausiere. Ich verfehlte keine Note. »Bravo, mein Sohn!« sagte er am Ende; »das hätte ich Ihnen nicht zugetraut.« – Der Regens, dem mein Spielen ebenfalls nicht unbemerkt geblieben war, äußerte mir seine Zufriedenheit mit dem verbindlichen Zusatz, ich könne so oft kommen, als ich wolle, ich würde allemal gern gesehen sein. – Das war was Anders, sollt' ich meinen; und kein Wunder, wenn ich um ein Ziemliches gewichtiger nach Hause gegangen sein sollte.

Und so unterließ ich denn nicht, überall mitzuspielen, wo es Kirchenmusiken gab, und das dauerte wohl ein ganzes Jahr so fort. Dadurch kam ich in eine solche Übung, daß ich, wie man zu sagen pflegt, ein tüchtiger Chorspieler und Notenfresser ward.

Während diesem Jahre traf es öfters, daß Huber in der Kirche Solos zu spielen bekam. Sein Strich, seine Methode, seine Intonation und sein angenehmer Vortrag griffen mir jedesmal in die Seele. Ich studierte unermüdet, um ihm nachzukommen. Als einmal wieder eine Messe[19] mit einem Violinsolo vorkam, die mir durchaus unbekannt war, sagte Huber zu mir: »Haben Sie wohl Courage, das Solo zu spielen?« – »Treffen will ich es wohl«, erwiderte ich, »aber so schön wie Sie werde ich es nicht spielen.« – »Ei, spielen Sie getrost«, sagte er, indem er mir seine eigene Violine gab; »es wird schon gehen.« Ich spielte das Solo, zwar anfangs nicht ohne Herzklopfen; allein da ich das tröstliche Gefühl bekam, daß mir meine Partie über Erwarten gelang, so faßte ich ein Herz, und als in der letzten Periode die ersten Gänge und Modulationen wieder vorkamen, so variierte ich dieselben völlig in der Huberschen Manier und trug hinterher den allgemeinsten Beifall davon.

Ich sage das nicht aus Ruhmredigkeit, und um mich etwa mit meinem Talente aus meiner Jugend her zu brüsten. Aber ich durfte den Vorfall nicht übergehen, weil er, wie es denn bisweilen mit noch viel größern Kleinigkeiten im Menschenleben gehet, den unmittelbarsten Einfluß auf meine ganze Lebenszeit gehabt hat.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 17-20.
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