Zweites Kapitel
Wie ich dem Prinzen von Hildburghausen bekannt und von ihm angenommen werde • Kapellmeister Bonno

[20] Es war gewöhnlich, daß in dieser Kirche, in welcher, besonders an hohen Festtagen, immer sehr schöne und ausgesuchte Musiken in großer Vollkommenheit aufgeführt wurden, sich Liebhaber der Musik haufenweise einfanden. So kamen denn einige von den Verehrern Hubers, die unten zugehört hatten, nach geendigtem Solo auf den Chor, in der Meinung, er habe gespielt, um ihm darüber viel Schönes und Verbindliches zu sagen. Allein wie verwunderten sie sich, als Huber mich ihnen mit den Worten vorstellte: »Nicht ich, meine Herren, sondern der da hat Ihr Lob verdient.« – Ein Erstaunen verbreitete sich auf ihrem Gesicht, das mir ungemein wohltat. Unter ihnen war auch Hubaczek, der berühmte Virtuos auf dem Waldhorn, im Dienste des k.k. Feldmarschalls und General-Feldzeugmeisters Prinzen Joseph Friedrich von Hildburghausen.

Dieser gesellte sich zu mir, als ich nach Hause gehen wollte, fragte mich, wie ich hieße, wer mein Vater wäre und wo ich wohnte, und versprach, mich nächstens zu besuchen. Er hielt Wort. Nach einigen Tagen kam er zu uns und erzählte über Tische, daß sein Herr, bei dem er in Diensten stehe, eine ansehnliche Kapelle halte, die sich dreimal in der Woche um eilf Uhr versammle, um sich zu exerzieren; zugleich bat er meinen Vater zu erlauben, daß ich doch auch zuweilen dabei erscheinen dürfe. Mit Dank nahm er diese Einladung an.

Schon am folgenden Tage kam Hubaczek, mich abzuholen,[21] und ich nahm meine Violine mit. Ich ward, als ich zum Orchester trat, nicht wenig überrascht, als man mir den ersten Platz antrug.

Kaum hatten wir zusammen gestimmt und eine Sinfonie von Jomelli, die ich bereits kannte, war aufgelegt, als der Hofkompositeur Bonno, der von dem Prinzen eine jährliche Besoldung erhielt, um die großen Akademien oder Konzerte zu dirigieren, die er dem hohen Adel in Wien den ganzen Winter hindurch gab, in den Saal trat. Er stutzte, als er einen Knaben von eilf bis zwölf Jahren an der Spitze sah, und stellte sich mir zur Seite, um mich zu beobachten. Nach geendigter Sinfonie entfernte er sich, vermutlich um dem Prinzen von mir zu sagen; denn kurz darauf kamen beide in den Saal.

Der Prinz rufte mich zu sich und erkundigte sich mit vieler Güte, wer mein Vater, wer mein Lehrmeister und wie alt ich wäre und dergleichen mehr. Nachdem ich ihm alles rund und ohne Verlegenheit beantwortet hatte, fragte er mich: »Bist du aber wohl im Stande, alles, was man dir vorlegt, a vista zu spielen?« – »Wenn es nicht zu schwer ist!« antwortete ich. »Nun wohl, wir wollen sehen«, sagte er, und somit ließ er durch Bonno aus seinem Musikalienkabinett ein leichtes Flötenkonzert und eine Flötensonate bringen, wovon ich das erste sogleich und ziemlich rein wegspielte.

Nachdem wieder einige Sinfonien und Arien probiert worden waren, ward mir das Solo aufgelegt, und ohnerachtet es bei weitem schwerer als das Konzert war, so brachte ich es doch gut genug heraus.

Da es schon hoch über die Mittagszeit hinaus war, so lud mich der Prinz sehr gütig und unter scherzhaften Bemerkungen an seinen Offiziantentisch, und um fünf Uhr[22] mußte ich meinen Vater zu ihm bringen. Nachdem er sich mit ihm in einem Nebenzimmer eine gute Weile unterhalten hatte, trat er wieder mit den Worten herein: »Nun, wir beide wären in Richtigkeit; jetzt kommt es bloß darauf an, ob Ihr Sohn auch will. Willst du« – indem er sich zu mir wandte – »von deinem Vater weg und zu mir gehen? Es soll dir an nichts fehlen; aber dafür mußt du auch fleißig Musik und Sprachen lernen. Ich werde dafür sorgen, daß du deine lateinische Sprache kontinuierst; aber vor allen Dingen mußt du dich im Französischen perfektionieren und Italienisch lernen. Das ist für einen Musiker sehr notwendig. Da wirst du Beschäftigung genug haben; denn Müßiggänger dulde ich nicht. Willst du, und versprichst du mir das?«

In froher Betäubung fiel ich auf die Knie und schrie: »O ja, gütigster Prinz, ich will!« – »Steh auf, mein Sohn«, sagte er; »in der Kirche – vor Gott mußt du knien, aber nicht vor mir!«

»Behalten Sie Ihren Sohn«, sagte er darauf zu meinem Vater, »etliche Tage noch zu Hause; aber auf den Ersten künftigen Monats bringen Sie ihn hieher, dann will ich ihn aus Ihrer Hand übernehmen und fürs künftige an Ihrer Statt Vaterstelle bei ihm vertreten.«

Wir gingen gerührt von dem Prinzen, und als wir nach Hause kamen und eine so fröhliche Botschaft mitbrachten, weinte meine gute Mutter vor Freuden, und noch an demselben Abend wurden alle unsre Hausfreunde zusammengetrieben, auf daß sie sich mit uns freueten.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 20-23.
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