Sechzehntes Kapitel
Ich werde Kapelldirektor • Mein erstes Benehmen • Renner • Ungericht • Pater Michael • Stadler etc • Meine erste große Kantate • Errichtung eines Theaters • Mein Oratorium: Isacco • Kurzes Abenteuer mit der Tochter von einem adligen cassae perceptor

[138] Nach unserer Ankunft ließ der Bischof sowohl die in Großwardein einheimischen als die neu angeworbenen so wie auch die bei der Kathedralkirche befindlichen Musiker in den großen Speisesaal zusammen berufen und stellte mich ihnen förmlich als ihren sämtlich Kapelldirektor vor, zugleich befahl er ihnen, mir allen möglichen Gehorsam zu leisten; auch gab er mir in ihrer Gegenwart die Vollmacht, jedem, der seinen Dienst vernachlässigen oder sich sonst etwas zur Last kommen lassen würde, ohne erst viel zu fragen, nach meiner Willkür den Dienst aufzukündigen. »Zugleich räume ich meinem Kapelldirektor«, fuhr er fort, »die Gewalt ein, alle und jede Händel, die Ihr Herren untereinander habt, nach seinem Gutbefinden zu schlichten, und will, daß seine Entscheidung so respektiert werde, als wenn es meine eigene wäre. Sollte jemand ein Anliegen haben, worüber ich entscheiden soll, so muß es mir ebenfalls durch ihn vorgetragen werden, der ihm alsdann meine Resolution erteilen wird.«

Eine große, sehr ausgedehnte Gewalt, die allerdings unter Umständen nicht wenig Mißbrauch zuläßt und die Rechte eines Kapellmitgliedes etwas sehr zurücksetzt, unterdes zur Erhaltung der Ordnung von der andern Seite wieder sehr nötig ist, da Musiker nicht selten[139] übermütig, unruhig und querulierend zu sein pflegen und sich gern gegen ihre Vorgesetzten aufmachen.

Nachdem der Bischof abgetreten war, redete ich die Versammlung so an: »Meine Herren! Ungeachtet ich, außer Herrn Pichel, der Jüngste an Jahren unter Ihnen bin, so haben Sie doch nicht zu befürchten, daß ich die mir jetzt erteilte Gewalt mißbrauchen werde. Ich habe zwölf Jahre hindurch an einem noch größern Hofe, als dieser hier ist, gedient, mithin hinlänglich gelernt, wie man sich im Herrendienste zu verhalten hat. Ich ersuche Sie demnach, unter einander verträglich zu leben. Niemand wird an einem Hofe von den andern Dienern höhern und niedern Ranges mehr beneidet und angefeindet als die Kapelle, weil jeder glaubt, daß die Musiker ein müßiges Leben führen und ihren Gehalt nicht verdienen. Aber man begreift nicht, wie viele Mühe und Zeit es kostet, ehe man es in der Musik so weit bringt, daß man einen honorablen Gehalt zu ziehen im Stande ist. Wir müssen daher zusammenhalten und zeigen, daß wir uns einander selber ehrenwert halten. Ich verspreche Ihnen auf meine Ehre, daß ich, sobald nur einem von unserer Kapelle, und sollte es auch von einem der ersten Komitatsbeamten geschehen, nur die mindeste unverdiente Beleidigung widerfährt, ich nicht eher rasten will, bis der Beleidigte vollkommen Satisfaktion erhalten hat. Endlich aber ersuche ich Sie bloß, wenn ich à la tête des Orchesters bin, mir genaue Folge zu leisten, und versichere Sie auch, daß Sie mich außer dem Dienste als Ihren trauten Freund und Bruder behandeln können.«

Alle versicherten mich der Verträglichkeit unter sich und des bündigsten Gehorsams und hielten treulich Wort.[140]

Der Bischof ließ mir acht Tage Zeit, ehe die erste vollständige Musik aufgeführt wurde. Während diesem ließ ich lange Pulte und Bänke machen; denn ich führte die Wiener Methode ein, sitzend zu spielen, und rangierte dabei das Orchester dergestalt, daß jeder Spieler gegen die Zuhörer Front machte. Alle Sonntage, Dienstage war Akademie. Alle Domherren so wie auch die kaiserlichen Offiziere und der gesamte Adel von Großwardein hatten Eintritt zur Musik und nachher zur Gesellschaft beim Bischof.

Das Orchester bestand aus 34 Personen, unter welchen 9 Livreebediente, ein Kammerdiener und ein Zuckerbäcker, ferner noch 7 Kapitular-Musiker waren, die einigen Zuschuß dafür vom Bischof erhielten, so daß also für die Requisiten noch 5000 Gulden Kassenbestand blieben.

Als wir bei der ersten Probe, bei welcher der Bischof zugegen war, eine neue Sinfonie von mir mit Trompeten und Pauken durchgespielt hatten, stand ich auf und sagte: »Meine Herren! Ich habe eine Erinnerung zu machen, die aber nur die Schwächern unter uns betrifft. Es sind mir verschiedene Unrichtigkeiten beim Vortrag aufgefallen, die ich niemals dulden werde. Erstens sind einige unter uns nicht rein gestimmt; zweitens sind die Forte und Piano nicht nach der Vorschrift gehalten worden; drittens haben einige im Tempo bald geeilt, bald geschleppt, und endlich haben einige den unverzeihlichen Fehler begangen, nicht richtig zu pausieren. Ich hoffe, daß jeder seinen Fehler bei einer Wiederholung selber bemerken und verbessern wird. Sollte aber wider Vermuten meine jetzige Erinnerung nichts fruchten, so hat sichs jeder selber zuzuschreiben, wenn ich ihn künftig darüber öffentlich korrigiere. Und nun besser zusammen[141] gestimmt, und dann – da capo!« Die Sinfonie wurde wiederholt und ging, wie sichs gehört. »Bravo!« rief ich; »so muß es immer sein, wenn Sie mir, ich Ihnen und wir alle Sr. Exzellenz unserm gnädigsten Herrn Ehre machen sollen. Und nun für heute basta!«

Die Kapelle ging auseinander; der Bischof aber winkte mir, ihm ins Zimmer zu folgen. »Ich danke Ihnen«, sagte er, »für die standhafte Rede, die Sie an meine Kapelle gehalten haben, und freue mich täglich mehr über Ihre Acquisition. Auch sollen Sie gleich einen kleinen Beweis meiner Freude darüber haben.« Er ließ sich meinen Empfangschein, den ich in Wien über den Vorschuß von 100 Dukaten ausgestellt hatte, bringen und zerriß ihn. Ich fuhr dem Bischof dafür nach der Hand, küßte sie und sagte: »Ew. Exzellenz sind heute sehr gnädig, daher wage ich es, noch um eine Gnade zu bitten.« Der Bischof stutzte und fragte endlich nach meinem Begehren. »Daß mich Ew. Exzellenz«, sagte ich, »statt Sie Du nennen. Ich bin«, fuhr ich fort, »das Du von meinem vormaligen Herrn, dem Prinzen von Hildburghausen, der Vaterstelle bei mir vertrat, so gewohnt, und da Sie nunmehr so väterlich an mir handeln, so bitte ich um diese Gnade.« – »Nun«, sagte der Bischof nach einer Pause, »wenn du es denn durchaus so haben willst, so sei es. Und da du mich zu deinem Vater haben willst, so wirst du mir auch erlauben, daß ich dich als meinen Sohn betrachte.« Dabei trocknete er sich die Tränen, die aus seinen Augen hervorquollen.

Der gute Herr! er war von sehr weichem Gefühl. Wenn er jemanden froh machen konnte, geschah es nie ohne Tränen; hauptsächlich aber perlten sie ihm bei Anhörung einer rührend vorgetragenen Musik von den ehrwürdigen[142] Wangen herab. Dabei war er aber übrigens im geringsten nicht weichlich, vielmehr im Dienste ernst und strenge, so daß es wohl gar das Ansehen der Härte hatte, wie ich mit vielen Beispielen belegen könnte.

Endlich kam der vortreffliche Tenorist Renner mit seiner Familie an. Sein schöner Vortrag, seine gute Aussprache des Italienischen, seine schöne klare Stimme und seine fertige Kehle machten ihn zu einem der vorzüglichsten Sänger. Der Umfang seiner Tonleiter war sehr groß, denn er hatte die Gabe, sein Falsett in akuten Tönen so zu egalisieren, als wenn es natürliche Stimme gewesen wäre.

Außer ihm und Ungericht waren auch ein paar Kastraten engagiert, ein Sopranist und ein Contr'Altist. Da nun ersterer überdem ein gutes Violoncell und der andere eine gute Violine spielte, so gab ihnen der Bischof zu dem Gehalt, den sie von der Domkirche hatten, eine Zulage, freien Tisch, Quartier und dergleichen.

Wir hatten bei unserm Orchester zwölf Konzertspieler und vier Sänger. Außer mir nämlich Fuchs und Pichel für die Violine; Pater Michael auf dem Flügel; Pohl und Stadler auf der Hoboe; Fournier auf dem Klarinett; Satza auf der Flöte; Himmelbauer auf dem Cello; Pichelberger auf dem Kontrabaß und Oliva und Pauer auf dem Waldhorn. – Jeder mußte nach meiner Einrichtung beständig gefaßt sein, außer der Ordnung aufgerufen zu werden.

Schon im September fing ich an, auf des Bischofs Namenstag, der gegen Ende Dezembers fiel, bedacht zu sein. Ich besprach mich mit Picheln hierüber, der nicht nur ein guter Lateiner war, sondern auch viel Talent zur Poesie hatte und gute lateinische Verse machte. Wir[143] beschlossen, eine panegyrische Kantate von vier Singstimmen mit einigen Chören zusammen zu stoppeln. Ich mußte Latein wählen, weil außer dem Bischof, zween Domherren und mir niemand Italienisch verstand. Die lateinische Sprache aber hatten nicht nur alle Großwardeiner Männer, sondern selbst einige Damen inne. Pichel machte sich darüber her, und als er dieses Lobgedicht fertig hatte, zeigte ich es dem Bischof, wobei ich ihm zugleich meine ganze Absicht eröffnete. Es wurde beschlossen, diese Kantate, die, wie sich vorhersehen ließ, zwei volle Stunden dauren würde, am Vorabend statt der gewöhnlichen Akademie aufzuführen. Das Orchester ward bei dieser Feierlichkeit erhöht, eingefaßt und symmetrisch verziert, welche Besorgung der Bischof selbst übernahm und recht artig ausführte.

In fünf Wochen war ich mit meiner Arbeit fertig. Da ich aber vorhersah, daß am Abende des Namenstages selbst doch auch eine Kammermusik sein müsse, so komponierte ich, während der Kopist die lateinische Kantate abschrieb, zwei große neue Sinfonien zum Anfang und zum Schluß und eine Mittelsinfonie mit obligaten Blasinstrumenten und noch ein neues Violinkonzert für mich. Endlich nahm ich aus Metastasio eine kleine italienische Kantate für eine Singstimme – er hatte sie einst auf Kaiser Karls des Siebenten Namenstag gemacht – und da darin einigemal das Wort Augusto vorkam, so setzte ich dafürAdamo, des Bischofs Taufnamen, hin, komponierte sie für den braven Renner und vergaß nicht, seine Fertigkeit zu benutzen. Alsdann schrieb ich den Text sauber ab, schickte ihn heimlich nach Pest, ließ daselbst 200 Exemplare sauber abdrucken und einfassen, für den Bischof aber eins in VioletAtlas[144] (die Farbe der Bischöfe) und reich mit goldenem Laubwerk verziert einbinden. Ich erhielt das Paket in acht Tagen, verschwieg aber alles sorgfältig.

Der Vorabend erschien. Das Arrangement des Orchesters und besonders die gleiche, geschmackvolle Uniform der Kapelle, welche ich mit Genehmigung des Bischofs angeordnet hatte, usw., alles das machte einen herrlichen Eindruck und gefiel dem zahlreichen ungarischen Adel ungemein. Obgleich die Musik dieser Kantate – denn es war meine erste große Singarbeit – nicht weit her war, so gefiel sie dennoch, und ich profitierte wenigstens dieses dabei, daß ich dadurch bei künftigen Fällen vor dergleichen unüberlegten und dem Text unangemessenen Gängen, als ichsans rime et sans raison hier reichlich angebracht hatte, mich hüten und sie vermeiden lernte.

Da ich eines Tages Pichel meine Unzufriedenheit mit der Musik in Bezug auf den Text äußerte, so legte er einen andern Text unter die Arien und Chöre, der für die Kirche taugte, ohne auch nur eine Note meiner Partitur zu verändern. Es entstanden daraus Motetten, die beständig wechselsweise in der Domkirche aufgeführt wurden.

Den andern Abend begann die Akademie, worin ich den Bischof zu überraschen mir vorgenommen hatte. Schon die ersten Takte der Sinfonie kündigten ihm an, daß sie neu war. Pater Michael spielte darauf ein neues wunderschönes Konzert von seiner Komposition. Des Bischofs Angesicht glühte vor Freude. Jetzt trat Renner auf. Ich gab das verabredete Zeichen, auf welches der Haushofmeister erschien und dem Bischof auf einem silbernen Präsentierteller das in Violet eingebundene Exemplar der italienischen Kantate überreichte, gleichwie auch die übrigen unter dem Adel verteilt wurden. Wir hatten[145] nicht vier Zeilen gespielt, und schon glänzten in den Augen des Bischofs Freudentränen. Überglücklich und höchst überrascht war er, den ganzen Abend hindurch lauter neue Musik zu hören; er stand auf und dankte mir in den rührendsten Ausdrücken. Und so endigte diese Feierlichkeit.


Nach einem Jahre ergab sich, daß von den für die Kapelle ausgesetzten 16000 Fl. 1400 erspart worden waren. Ich verfiel also darauf – ein kleines Theater im Schlosse zu errichten. Grundriß und Anschlag wurden vom bischöflichen Architekt Neumann entworfen, und der Bischof genehmigte alles mit Freuden, zumal da der Kostenbetrag für den Bau und viermalige Vorstellungen im Jahre nicht die ersparte Summe überstieg.

Da sein Namenstag mit den letzten Adventstagen zusammentraf, an welchen profane Stücke, Opern und Komödien aufzuführen vom Hofe verboten war, so wählte ich das überaus schöne Oratorium von Metastasio: Isacco figura del Redentore; da aber Pichel nicht Italienisch genug verstand, so übernahm der Bischof selber die Übersetzung ins Lateinische. Die Rezitative behandelte er, nach meinem Rate, frei, die Arien aber strenge metrisch. Sobald er einen Auftritt fertig hatte, ließ er mich rufen, las mir ihn vor, feilte, besserte, änderte je nachdem es nötig war, bis er endlich nach vier Wochen das Werk so schön vollendet hatte, daß selbst der Originaldichter eingestanden haben würde, die Übersetzung habe dem Grundtexte vollkommen entsprochen.

Während der Bischof an der Übersetzung arbeitete, wollte ich die Zeit auch nicht müßig verstreichen lassen. Ich komponierte also in der Stille ein großes Konzert für [146] eilf Instrumente, wobei sich im ersten Allegro jeder Konzertist mit einem ganzen Solo erst einzeln hören ließ; dann traten drei, fünf, sieben und zuletzt neun Stimmen nach und nach ein. Im letzten Solo aber kamen alle eilf zusammen, die beim Ende desselben in eine Kadenz fielen, die sich ebenso stufenweise verstärkte. Im Adagio trug die Violinkonzertstimme einen schmelzenden Gesang vor, bei welchem die andern konzertierenden zehn Instrumente bald zu vier, bald zu sechs, bald zu zehn, teils mit verschiedenen Minauderien, teils mit reichen harmonieusen Aushaltungen einstimmten, wozu die Ripienstimmen mit einem durchgängigen Piccicato akkompagnierten. Dieses Adagio schien am Ende in einer lugubren Melodie mit einer reichhaltigen Harmonie einzuschlummern, wurde aber von einem feurigen und brillanten tempo di minuetto plötzlich aufgeweckt, das von zwölf Alternativen (die man heut zu Tage sehr mißbräuchlich Trio nennt) aus allen homogenen Tonarten abgewechselt wurde; das zwölfte Alternativ aber wurde von allen eilf Konzertstimmen produziert, das ebenfalls mit einer Kadenz und, nach einem ziemlich abwechselnden Capriccio, mit einem neunfachen Sexttriller schloß.

Wir studierten dieses große Konzert gut ein, machten öfters heimliche Proben davon, und da ich den Bischof damit überraschen wollte, verbot ich der ganzen Kapelle, etwas davon kund werden zu lassen. Kaum war ich damit fertig, so übergab mir der Bischof seinen Text. Nun arbeitete ich fleißig an diesem Oratorium. Mittlerweile war Neumann auch nicht müßig, und wir beide wurden fast zu gleicher Zeit fertig, so daß wir auf dem Theater zu probieren anfingen.

Am Vorabend wurde mein Isaak aufgeführt. Ein Beweis,[147] daß er durchgängig gefiel, war dieser, daß er vier Jahre hindurch jeden Sonntag in der Fasten wiederholt wurde und der Salon bei jeder Vorstellung immer voll von Zuhörern war. Die Akteurs, Renner, Mademoiselle Nicolini, der Kastrat, der die Sara vorstellte, und Ungericht, alle, selbst der Knabe, der den Engel vorstellte, spielten vortrefflich und trugen sehr gut vor. Die Dekoration stellte, nach Vorschrift des Dichters, einen Hain mit dem an der einen Seite stehenden Wohnhause des Abraham vor. Selbst das Kostüm war nach antiken Zeichnungen vortrefflich beobachtet.

Für jenes Konzert schenkte mir der Bischof seine Lieblings-Tabatiere, in der ein paar Dutzend Kremnitzer lagen.


Da wir nun einmal ein Theater hatten, so dachte ich auch an mehrere Spektakel. Ich fragte den Bischof, ob er erlauben wolle, daß wir, besonders zur Fastnachtzeit, auch lustige Stücke aufführen dürften. »Warum nicht?« sagte er, »wenn sie nur nicht unmoralische Zweideutigkeiten enthalten.«

Nun war unter den bischöflichen Köchen ein gewisser Sicca. Dieser war einige Jahre in Italien gewesen und hatte ein außerordentliches Talent fürs Theater. Als er bei uns ein Theater errichten sah, kam er zu mir und sagte: »Wenn Sie einmal etwas Lustiges geben wollen und einen Narren brauchen, so stehe ich zu Befehl. Ich bin zwar nicht musikalisch, habe aber ein gutes Gehör.« Er sang mir einige italienische Szenen aus den opere buffe, die er in Italien gesehen hatte, so komisch vor, daß ich laut auflachen mußte; auch deklamierte er mir deutsche Schnaken und Theaterpossen, bald als Hanswurst,[148] bald als Kasperl, Lippert und dergleichen komische Personagen, die damals noch gänge und gäbe waren, mit solchem Nachdrucke, daß ich ihm meine Bewunderung darüber bezeigte, daß er nicht lieber Schauspieler geworden sei. Da vertraute er mir denn das Geheimnis, daß er einmal seine Profession verlassen und zu einer reisenden Theatergruppe übergegangen sei; das zügellose, skandalöse Leben habe ihm aber einen solchen Ekel dafür beigebracht, daß er die Bühne wieder verlassen und wieder zu seinem Metier zurückgekehrt sei.

Man kann sich leicht vorstellen, welches Vergnügen ich über den Zuwachs eines so brauchbaren Akteurs hatte.

Ich stoppelte für den künftigen Fasching aus jenen Burlesken, die ich ehemals in Schloßhof von der Truppe des Piloti gesehen hatte, ein Stück mit kleinen Liedern zusammen, und am ersten Faschingstage ward es gegeben. Mademoiselle Nicolini spielte ihre Rolle so vortrefflich, und der Koch Sicca war fähig, auch den größten Hypochondristen zum Lachen zu bringen. Den Zuhörern war dieses lustige Stück so willkommen, daß sie jedem Sonntag, an welchem immer Theater war, mit Sehnsucht entgegen harrten.

Für den Geburtstag des Bischofs machte ich aus den beiden uralten Stücken: Frau Sybilla trinkt keinen Wein und aus dem Reich der Toten ein Stück. Dieses wurde am Faschingstage, der bald darauf folgte, wiederholt. Am Montage darauf gab der Bischof einen Ball für seine Hausleute, wozu der Großwardeiner Adel geladen wurde. Hier kam ich nicht wieder so davon, als ich hinaufgegangen war. Über so etwas ist es meiner Meinung nach am besten, kurz hinweg zu gehen.

Also kurz und gut, ich machte mit einem Fräulein Furkowics,[149] des General-Perceptors einziger Tochter, einer artigen, schlank gewachsenen Person, Bekanntschaft und verliebte mich in sie. Nach ihres Vaters Tode hatte sie eine Erbschaft von 20000 Gulden zu hoffen; aber nicht ihre Gulden, sondern ihr munteres Wesen machte mich in sie verliebt. Ich machte ihr gleich rund heraus mein Geständnis, und Tages darauf beim zweiten Ball erhielt ich das ihrige. Schneller kann in der Welt nichts gehen. Ein Gleiches widerfuhr dem Pichel zur nämlichen Zeit mit einem Fräulein Samogy. Wir vertrauten uns gegenseitig unser Glück und seufzten in Duetten mit einander. Das Beste war dabei, daß beide Mädchen von langer Zeit her vertraute Gespielinnen waren, die mit ihren Eroberungen ebenso wenig zurückhielten. Sie waren in Pest in der Kostschule der Ursulinerinnen erzogen und von daher noch ununterbrochene Freundinnen.

Nachdem ich über drei Monate geschmachtet hatte und sicher hoffen konnte, daß mir meine Schöne keine abschlägige Antwort geben würde, rückte ich mit einem ernstlichen Heiratsantrag heraus und verhehlte ihr nicht, daß ich, falls ich einmal von Großwardein wegzugehen mich entschließen sollte, in Wien ein ebenso gutes Unterkommen finden würde. Sie versicherte mich, daß sie mit tausend Freuden in mein Verlangen willige, nur befürchte sie, daß ihr Vater Schwierigkeiten machen werde; er habe, sagte sie, wie die meisten Ungarn einen besondern Haß gegen die Deutschen; sodann halte er auf seinen Adel und endlich habe er einen jungen faden Edelmann auf dem Korne, der schon einmal förmlich um sie geworben, aber von ihr abschlägige Antwort erhalten habe. Dieser habe hier herum ein kleines Landgut, das ihm zwar nur fünf- bis sechshundert Gulden abwürfe;[150] »aber« – setzte das Mädchen hinzu – »mit meinem Muttererbe und dem, was ich noch zu hoffen habe, meint er, könnten wir hinlänglich auskommen. Ich rate Ihnen, stecken Sie sich hinter den Bischof, ehe noch mein Vater dem Lengyel sein Wort gibt; das wird vielleicht helfen, und mein Vater wird das dem Bischof sicher nicht abschlagen.«

Am folgenden Morgen brachte ich mein Anliegen dem Bischof vor. »Bist du denn schon mit dem Mädchen richtig?« fragte er. »Vollkommen«, antwortete ich. – »Nun, dein Freiwerber will ich wohl sein; aber erlaube mir, vorher noch als Vater und als Bischof einige Fragen an dich zu tun.« Nun suchte er mich auf eine sehr vernünftige und gütige Weise zum Nachdenken zu führen. Nachdem dies geschehen, fragte er: »Nun, was gibts denn sonst für Besorgnisse?«

Ich: Ihr Vater kann, wie mehrere Ungarn, die Deutschen nicht leiden.

Er: Oh, darüber will ich ihm wohl ein paar Worte ans Herz legen.

Ich: Auch will er das Mädchen einem Edelmanne geben, obwohl dessen Einkünfte sich höchstens nur auf 500 Fl. belaufen.

Er: Da wäre ja ihr Vater für einen cassae perceptor ein schlechter Rechner, wenn er nicht einsähe, daß deine Einkünfte noch einmal so stark sind. (Nach einer Pause:) Gut, ich will mich der Sache annehmen. Bleib hier! Du sollst dich selbst überzeugen, ob ich mir einen Kuppelpelz zu verdienen Geschicklichkeit genug habe.

Der Bischof klingelte, befahl den alten Furkowics zu rufen, und als dieser kam, machte ersterer mit Würde und Anstand seinen Antrag.[151]

»O ich unglücklicher Mann!« rief der alte Heuchler. »O hätten mir Ew. Exzellenz nur vor vierzehn Tagen einen Wink davon gegeben; mit tausend Freuden würde ich meine Tochter einem so wackern Manne (viro egregio, sagte der verstellte Schuft) gegeben haben. Allein, nun ist es damit zu spät, denn gerade heute vor vierzehn Tagen habe ich dem Herrn von Lengyel meine Tochter versprochen. Ew. Exzellenz werden selbst einsehen, daß ich mein Wort nicht mehr zurücknehmen kann und daher untröstlich bin.«

Der alte Gleisner wandte sich zu mir und sagte ebenfalls lateinisch: »Aber Sie böser Mann! Konnten Sie Ihr Maul nicht eher auftun, da Sie doch so oft und vielmal bei mir aus und ein gingen? Sehen Sie, in welch ein Unglück Sie mich durch Ihre Verschwiegenheit stürzen, da ich mir durch eine abschlägige Antwort die Ungnade meines Herrn über den Hals laden muß.« Ich antwortete ihm ebenfalls lateinisch: »Sie können das alles wieder gut machen, wenn Sie dem Lengyel wieder absagen.« (Aus Schonung wollte ich ihn nicht Lügen strafen und in den Bart hinein sagen, daß er uns mit seinem Wortgeben belogen habe.) – »Was?« erwiderte er, »absagen? – Hören Sie«, fuhr er mit Stolz fort, »Sie müssen wissen, daß jeder Ungar, wenn er sein Wort sub fide nobili gibt, dasselbe auch halten muß, sonst ist er nicht wert, ein ungarischer Edelmann zu sein.« – »Aber«, fiel der Bischof ein, »wenn die Tochter nun nicht will?« – »Oh«, erwiderte der Alte, »sie wird wohl müssen, wenn sie anders ihren Vater nicht zum Lügner machen und enterbt sein will; Ew. Exzellenz sind ja die ungarischen Gesetze bekannt.«

In weinerlich affektiertem Tone fuhr er fort: »Um alles[152] in der Welt lassen mich es Ew. Exzellenz nicht entgelten und gönnen Sie mir noch länger Ihr Brot!« Und hier wollte der kriechende Heuchler niederknien. Der Bischof verhinderte es und sagte kalt: »O laß Er das bleiben, wenn Er anders will, daß ich dergleichen Auftritte nicht für übertriebene Grimassen halten soll. Er weiß so gut als ich und jeder andere, der gesunde Vernunft hat, daß dergleichen Familiengeschichten nicht zu den Dienstpflichten eines Beamten gehören; Er ist Vater von seinem Kinde; ich will und kann Ihm in dieser Sache nichts befehlen.« Somit entließ er ihn.

Da standen wir und starrten uns über eine Minute an. Endlich sagte der Bischof mit einem etwas bittern Lächeln: »Da stehen Se. Exzellenz der Bischof von Großwardein – und Hochderoselben Musikdirektor – mit einer langen Nase!«

»Ew. Exzellenz haben gut lachen«, fiel ich ein; »aber mir ist diese Beschimpfung nicht so lächerlich. Hörten Sie nicht, wie er den Ton auf den ungarischenEdelmann legte?« – »Wohl hab ichs gehört; daher nimm mirs nicht übel, wenn ich dir sage, du hättest darauf eher denken sollen, ehe du dich mit dem Mädchen so weit einließest; denn die ungarischen Gesetze enthalten klar, daß, wenn ein Kind wider den Willen ihrer adeligen Eltern sich in eine Mißheirat einläßt, so haben die Eltern das Recht, sie zu verstoßen und zu enterben. – Überhaupt«, fuhr er fort, »will ich dir einen väterlichen Rat erteilen: Fasse dich und bedenke, daß du mit deiner Kunst – deiner Gestalt – deinem guten Charakter und mit dem, was du überall zu verdienen im Stande bist, hundert Mädchen für eins haben kannst, die weit hübscher und reicher sind. Als Bischof aber rate ich dir: Überlasse dich dem[153] Willen der göttlichen Vorsicht. Wer weiß, ob diese Heirat zu deinem Besten gewesen wäre. Es scheint nicht nur, sondern ich glaube es auch fest, daß hier diese göttliche Vorsicht gewaltet – – Aber ich sehe aus deinen Blicken, daß du keiner Empfänglichkeit für meine guten Ratschläge fähig bist. Versprich mir nur das einzige, daß du wenigstens heute ruhig sein willst.«

Ich versprach es und ging, – aber zu Pichel. »Mein Gott!« schrie er, »was ist Ihnen geschehen? Sie sehen ja so verstört aus.« – »Es ist aus mit mir. Ich habe einen Korb« – und damit erzählte ich ihm die ganze Geschichte. »Ach Gott!« antwortete er seufzend, »das prognostiziert mir heut oder morgen ein ähnliches Schicksal.« – »Und was würden Sie in dem Fall tun?« fiel ich ihm ein. – »Je nun!« erwiderte er nach einer Pause, »was kann ich anders tun, als was ein vernünftiger Mann tun muß; die Philosophie zu Hülfe zu nehmen und mich in mein Schicksal zu finden?« – »O fort mit Ihrer Kaltblütigkeit!« rief ich unwillig. »Ich komme her, um Trost bei Ihnen zu suchen und nicht mich mit Ihrer frostigen Philosophie abspeisen zu lassen.«

Ich eilte in mein Zimmer. Kaum war ich einige Minuten da, so kam Pichel zu mir: »Kommen Sie, wir wollen ein wenig spazieren gehen; ich will den ganzen Zusammenhang näher erfahren, vielleicht gelingt es mir, Ihnen einen guten Rat zu geben.« Lange mußte er bitten, aber ich ging mit, und ich muß es diesem klugen und liebenswürdigen Jüngling nachsagen, seine Reden fruchteten mehr bei mir als die weisen Ratschlägungen des Bischofs. Bei der Tafel erschien ich weit heiterer, als der Bischof vermutet haben mußte; denn er gab mir darüber seine Verwunderung zu erkennen. Ich gestand ihm ehrlich,[154] daß nebst seinen väterlichen Ermahnungen Pichel großen Anteil an meiner Beruhigung habe. »Brav«, sagte der Bischof, »dafür soll er auch meinen Dank haben. Unterdes, da in solcher Gemütslage, wie die deinige, nichts besser als Zerstreuung ist, so gebe ich dir Erlaubnis, auf drei Monate nach Wien zu reisen. Versprich auch, alsdann wieder hier zu sein. Übrigens gebe ich dir Pferde bis Pest und bezahle dir die Reisekosten von hier bis Wien, und von Wien wieder bis hieher, das versteht sich.«

Ich bediente mich dieser Erlaubnis und divertierte mich herrlich in Wien. Dabei hatte ich den erklecklichen Vorteil, während dieser Zeit meine Leidenschaft gänzlich zu vertilgen.

In Wien befand sich eine vortreffliche Truppe von einer italienischen opera buffa. Ein Stück, das sie spielten, gefiel mir außerordentlich. Es war Amore in musica. Ich kaufte mir das gedruckte Büchelchen, um dieses Stück ins Deutsche zu übersetzen. Bald nach meiner Rückkunft in Großwardein – wohin ich, beiläufig gesagt – meine jüngste Schwester mitbrachte, ein Mädchen von sechzehn Jahren, die eine reine, aber etwas schwache, wiewohl für unser Theater hinlänglich starke Stimme hatte –, machte ich mich an die Übersetzung dieser opera buffa, komponierte eine ganz neue Musik dazu und gab sie auf unserm Theater.

Unter verschiedenen angenehmen Abwechslungen – worunter die Jagd, besonders jene auf Morästen, meine Lieblingsunterhaltung war, welchem letztern Vergnügen ich aber leider einen großen Anteil meiner jetzigen Lähmung an den Füßen zuschreibe – verstrichen fünf Jahre. Auf einmal wurde all das Vergnügen zerstört.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 138-155.
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