Vierundzwanzigstes Kapitel
Die Kapelle in Johannisberg wird wiederhergestellt • Ovids Metamorphosen • Meine Unterredung mit Kaiser Joseph • Der Hofkapellmeister Greybig • Entstehung meiner deutschen Opern

[219] Nach dem Teschner Frieden hielt sich der Fürst noch einige Zeit in Brünn auf, um das Schloß wieder herstellen zu lassen, das durch die Feinde größtenteils verwüstet worden war. Nach seiner Zurückkunft in Johannisberg meldeten sich einige Glieder der Hofkapelle, die vor dem Kriege entlassen worden waren, und der Fürst nahm sie sogleich wieder in seine Dienste. Statt der übrigen wurden neue verschrieben, und zu Anfang des Winters war die Kapelle wieder hergestellt. Zu einem Theaterpersonale wollte der Fürst sich nicht verstehen, weil die Güter, die durch die Feinde ruiniert waren, große Summen erforderten, um wieder hergestellt zu werden.

Ich wohnte zwar noch immer in Freiwaldau; aber alle Augenblicke verlangte der Fürst nach mir, und ich mußte nach Johannisberg, wo er mich manchmal acht bis vierzehn Tage festhielt. Ich war ihm einmal unentbehrlich geworden. Meine Amtsgeschäfte litten nun aber keine solche öftern Abwesenheiten, daher wurde, wie vormals, wiederum ein Amtsverweser statt meiner angestellt, und ich zog wieder nach Johannisberg. Hier kaufte ich mir einen Platz, baute ein Haus und legte mir einen schönen Garten an. Dies entblößte mich aber nicht nur von meiner Barschaft, sondern ich geriet auch obendrein noch in eine Schuldenlast von beinahe 5000 Gulden.[220]

Schon seit einigen Jahren war ich von der musikalischen Witwen-Sozietät in Wien ersucht worden, zu ihrem Benefiz abermals ein Oratorium zu schreiben. Ich entschloß mich endlich dazu, und im Jahre 1786 zu Ende der Fasten führte ich daselbst meinen Giobbe oder Hiob auf. Die Wiener Blätter wußten viel darüber zu sagen; allein es steht mir nicht an, ein Mehreres davon zu erwähnen, als daß die ersten beiden Aufführungen der Gesellschaft einen reinen Gewinn von 1700 Gulden einbrachten.

Bei meiner diesmaligen Anwesenheit in Wien traf ich sieben auswärtige Virtuosen auf der Violine an, die alle auf Spekulation da waren und unvermutet zusammentrafen. Die vorzüglichsten darunter waren Jarnowich, Frenzel der Vater und ein gewisser S. aus dem Reiche. Des letztern Vorzüge, womit er bis zum Ekel prangte, bestanden aus Doppelgriffen und Arpeggios, bei welchen er aber alle Augenblicke ungeschickte Transitionen machte und den Regeln der Setzkunst zuwider handelte, weshalb er jedem echten Kenner mißfallen mußte.

Schon vor drei Jahren geriet ich auf den Einfall, aus Ovids Metamorphosen einige derselben als Stoffe zu charakterisierten Sinfonien zu bearbeiten, und bei meiner Ankunft in Wien war ich bereits mit zwölf solcher Sinfonien fertig. Um mich für meine Reisekosten nach Wien zu entschädigen, gründete ich hierauf eine Spekulation, wegen welcher ich, merkwürdiger Nebenumstände wegen, etwas weitläuftig werden muß.


Auf besondere Erlaubnis des Kaisers Joseph, welche mir ein gewisser Herr v. Bourguignon auswirkte, hatte ich[221] sechs solche Sinfonien für den großen Saal im kaiserlichen Augarten gegen Einlaßbillets zu zwei Gulden angekündigt, und selbst der Herr Baron van Swieten hatte hundert Stück davon zu verteilen übernommen. Allein da gegen den bestimmten Tag schlechtes Wetter einfiel, welches anzuhalten drohete, so ersuchten mich meine Abonnenten, die Ausführung auf besser Wetter zu verschieben. Ich ging zur Polizei und bat um die Erlaubnis, meine Anzeigen widerrufen und einen andern Tag nach Konvenienz festsetzen zu dürfen; allein man erklärte mir, daß dazu eine neue Kabinettsordre nötig sei, die ich aber, wenn es mir darum zu tun wäre, noch eben heute erhalten könne. »Gehen Sie nur«, sagte der Präsident, »gleich nach Hofe in den sogenannten Kontrolleurgang; die mittlere Türe daselbst führt zu dem Eingang in des Kaisers geheime Kanzlei. Rechts in einem kleinen Stübchen werden Sie einige Leiblakaien des Kaisers finden; lassen Sie Herrn v. Bourguignon herausrufen; dieser wird Ihnen die Erlaubnis verschaffen, und vielleicht wird der Kaiser selbst mit Ihnen sprechen!« – »Desto besser!« sagte ich und ging spornstreichs nach Hofe.

Da ich nun schon wußte, daß man mit dem Kaiser kurz, deutlich und dreist – ohne zu kriechen, sprechen müsse, so nahm ich mir vor, dieser Richtschnur zu folgen. Der Leiblakei meldete mich dem Herrn von B.; statt seiner aber kam der Kaiser selbst, und folgender Dialog begann unter uns.

Der Kaiser: Aha! Sieh da! Was wollen Sie von mir?

Ich: Von Ew. Majestät will ich nichts.

Kaiser: Wieso?

Ich: Weil die Sache zu unbedeutend ist, um Ew. Majestät[222] damit zu behelligen. Ich wollte bloß Herrn v. Bourguignon sprechen.

Kaiser (launigt): Nun, wenns kein Geheimnis ist, so will ichs dem Bourguignon melden.

Ich (ebenfalls launigt): O das ist nicht nötig. Ew. Majestät können selbst dezidieren. Das wäre mir desto lieber.

Kaiser (wie vorher): Kommen Sie herein! (Er führte mich in ein kleines Zimmer, welches neben der geheimen Kanzlei war:) Nun, was gibts?

Ich: Der Polizeipräsident schickt mich her.

Kaiser (immer launigt): Oho! Der Polizei-Präsident? Haben Sie was angestellt? Sind Sie der Keuschheitskommission etwa in die Kluppe geraten?

Ich (ebenso): O da würde mir die Polizei bereits ein Plätzchen angewiesen haben, und ich hätte jetzt nicht die Gnade ...

Kaiser: Nun! Heraus mit der Katze aus dem Sacke!

Ich: Meine Abonnenten wollen, daß ich wegen der üblen Witterung meine Musik im Augarten verschieben soll. Der Polizei-Präsident kann mir ohne Hofbewilligung die Erlaubnis nicht erteilen, und eben deswegen bin ich hier.

Kaiser (in die Tür der geheimen Kanzlei tretend): Hören Sie, Bourguignon! Schreiben Sie an den Polizeipräsidenten ein paar Zeilen, daß ich dem Dittersdorf erlaube, seine Musik im Augarten so lange zu verschieben, als er es für zuträglich findet. (Zu mir:) Apropos! Ihr Oratorium: Hiob hat mir außerordentlich gefallen, und ich hab mir Ihre Partitur abschreiben lassen; Sie werden doch nichts dawider haben?

Ich: Ich bin doppelt glücklich, wenn ich auch den Beifall[223] eines so großen Kenners, wie Ew. Majestät sind, eingeerntet habe.

Kaiser (kalt scheinend): Schmeicheleien kann ich nicht leiden; ich liebe nur Wahrheit.

Ich: Desto besser; denn ich habe Wahrheit gesprochen.

Kaiser (kurze Stille): Haben Sie die fremden Virtuosen auf der Violine gehört?

Ich: Sieben habe ich gehört.

Kaiser: Da Sie selbst ein großer Virtuos auf der Violine sind ...

Ich: Gewesen vielleicht, aber jetzt nicht mehr.

Kaiser: Warum nicht?

Ich: Weil ich seit einigen Jahren nicht mehr spiele.

Kaiser: Gleich viel. Dennoch sind Sie immer einjudex competens. Welcher ist der Beste unter den sieben?

Ich (die Achsel zuckend): Ich möchte nicht gern einen auf Unkosten der andern loben. Ich will daher sagen, daß jeder etwas Gutes hat; einer in diesem, der andere in jenem.

Kaiser: Die gewöhnliche Virtuosen-Modestie! Ich will genau wissen, welcher Ihnen am meisten gefällt.

Ich: Jarnowich.

Kaiser: Nun, was hat denn dieser Gutes?

Ich: Er zieht einen schönen Ton aus seinem Instrumente – hat eine reine Skala – spielt sein Allegro mit Präzision – singt vortrefflich im Adagio – hat hier und da gewisse Minauderien ...

Kaiser: Und ist kein solcher Faselhans wie Lolli ...

Ich: Und was das Schönste ist: er spielt degagiert, ohne zu grimassieren. Mit einem Wort: er spielt für die Kunst und für das Herz.

Kaiser: Er spielt so, als wie Dittersdorf einmal spielte.[224] Nun! das ist mir lieb, daß Sie gerade der Meinung sind, der ich bin. – Was halten Sie von S.? Sagen Sie es mir gerade heraus.

Ich: Wenn Ew. Majestät ausdrücklich so befehlen, so will ich gerade heraus sagen, daß er mir mit seinen Doppelgriffen und Arpeggios, mit denen er beständig leiert, Ekel und Langeweile verursacht hat.

Kaiser: Bravissimo! Das Nämliche habe ich auch gesagt, und dennoch souteniert ihn Greybig per la vita und disputiert beständig deswegen mit mir. Aber heute noch will ich ihn still machen und ihm sagen, daß ich Sie zum Schiedsrichter gemacht hätte und Sie gerade das Nämliche dezidiert hätten, was ich immer behauptet habe. Nun will ich ihn recht scheren, den Hanswurst. Ha, ha!

Ich (mit anständiger Laune): Behüte Gott! da werden mir Ew. Majestät den Greybig auf den Hals hetzen, und ich will mich lieber in seine Gnade als in sein Maul rekommandieren.

Kaiser (lachend): Sie werden sich doch wohl nicht vor dem Hanswurst fürchten?

Ich: O gar sehr! Denn wenn er gewahr wird, daß ich nicht seiner Meinung bin, so wird er mir ein noch garstigeres Lob beilegen als dem Haydn und Mozart.

Kaiser: Ihr Urteil ist schon längst gefällt.

Ich: O weh mir!

Kaiser: Es ist nicht so schlimm, als Sie befürchten. Wollen Sie es hören?

Ich: Ich bin begierig.

Kaiser: Er sagt: als Violinist glichen Sie einem guten Prediger, der aber mehr Belesenheit in dem Alten als in dem Neuen Testamente zeigt.

Ich: Satirisch genug.[225]

Kaiser: Dagegen sagt er von Ihrer Komposition: Sie ist eine wohlbesetzte und zierlich angerichtete Tafel. Die Speisen sind alle schmackhaft bereitet, man kann von jeder Schüssel eine gute Portion genießen und riskiert doch keine Indigestion. Bei dem Urteile über Ihre Komposition gebe ich dem Greybig vollkommen recht.

Ich: Ew. Majestät sind zu gnädig.

Kaiser: Einem Manne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist keine Gnade. – Sind Sie noch immer in Schlesien angestellt?

Ich: Ja, Ew. Majestät.

Kaiser: Als was?

Ich: Als Amtshauptmann und Regierungsrat.

Kaiser: Was für Geschäfte haben Sie dabei zu besorgen?

Ich: Publica, Politica et Iudicialia.

Kaiser (ernsthaft): So? Haben Sie aber auch hinlängliche Fähigkeit dazu?

Ich: Ich stehe schon dreizehn Jahre in diesem Posten und habe noch keine Ausstellung bekommen.

Kaiser: Das freut mich. Aber wo Tausend haben Sie die Kenntnisse zu Ihrem Amte gesammlet?

Ich: Es wäre mir eine unauslöschliche Schande, wenn ich, der ich in Wien geboren und erzogen bin, nichts anders als bloß Violinspielen und Komponieren gelernt hätte.

Kaiser (mit noch mehr Ernst): Hm! Ihre Antworten sind sehr rund.

Ich (in ehrfurchtsvollem Tone): Man hat mich belehrt, daß man Ew. Majestät kurz, bündig, rund und aufrichtig antworten müsse. Hab ich gefehlt, so bitt' ich um Gnade.

Kaiser (sanfter): Man hat Sie ganz recht belehrt, und Ihre Antworten haben mich nicht beleidigt. (Nach einer[226] kleinen Pause mit seiner vorigen leutseligen Miene:) Haben Sie den Mozart spielen gehört?

Ich: Schon dreimal.

Kaiser: Wie gefällt er Ihnen?

Ich: So wie er jedem Kenner gefallen muß.

Kaiser: Haben Sie auch den Clementi gehört?

Ich: Ich habe ihn auch gehört.

Kaiser: Einige ziehen ihn dem Mozart vor, worunter Greybig à la tête ist. Was ist Ihre Meinung hier über? Gerade heraus!

Ich: In Clementis Spiel herrscht bloß Kunst, in Mozarts aber Kunst und Geschmack.

Kaiser: Eben das habe ich auch gesagt. Ist es doch gerade, als wenn wir beide aus einerlei Buch studiert hätten.

Ich: Das haben wir auch, und zwar aus jenem großen Buche Erfahrung.

Kaiser: Was sagen Sie zu Mozarts Komposition?

Ich: Er ist unstreitig eins der größten Originalgenies, und ich habe bisher noch keinen Komponisten gekannt, der so einen erstaunlichen Reichtum von Gedanken besitzt. Ich wünschte, er wäre nicht so verschwenderisch damit. Er läßt den Zuhörer nicht zu Atem kommen; denn, kaum will man einem schönen Gedanken nachsinnen, so steht schon wieder ein anderer herrlicher da, der den vorigen verdrängt, und das geht immer in einem so fort, so daß man am Ende keine dieser Schönheiten im Gedächtnis aufbewahren kann.

Kaiser: In seinen Theaterstücken hat er den einzigen Fehler, daß er, wie sich die Sänger sehr oft beklagt haben, dieselben mit seinem vollen Akkompagnement übertäubt.

Ich: Das sollte mich wundern. Man kann ja auch Harmonie[227] und Begleitungsspiel anbringen, ohne die Kantilena zu verderben.

Kaiser: Diese Gabe besitzen Sie meisterlich. Ich habe solches in Ihren beiden Oratorien: Esther undHiob bemerkt. – Was sagen Sie zu Haydns Komposition?

Ich: Von seinen Theaterstücken habe ich keines gehört.

Kaiser: Sie verlieren nichts dabei; denn er macht es gerade so wie Mozart. Was halten Sie aber von seinen Stücken für die Kammermusik?

Ich: Daß sie in der ganzen Welt Sensation machen, und das mit allem Rechte.

Kaiser: Tändelt er nicht manchesmal gar zu viel?

Ich: Er hat die Gabe zu tändeln, ohne jedoch die Kunst herabzuwürdigen.

Kaiser: Da haben Sie recht. (Nach einer Pause:) Ich habe schon vor einiger Zeit zwischen Mozart und Haydn eine Parallele gezogen. Ziehen Sie mir auch eine, damit ich sehe, ob sie mit der meinigen übereinstimmt.

Ich (nach einer Pause): Wollten mir Ew. Majestät erlauben, vorher noch eine Gegenfrage zu tun?

Kaiser: Immer zu!

Ich: Was ziehen Ew. Majestät für eine Parallele zwischen Klopstock und Gellert?

Kaiser: Hm! – daß beide große Dichter sind – daß man Klopstocks Werke öfter als einmal lesen müsse, um alle seine Schönheiten zu verstehen – daß hingegen Gellerts Schönheiten schon beim ersten Anblick unverhüllt daliegen.

Ich: Hier haben Ew. Majestät meine Antwort.

Kaiser: Mozart wäre also mit Klopstock und Haydn mit Gellert zu vergleichen?

Ich: So halte ich wenigstens dafür.[228]

Kaiser: Scharmant! Nun haben Sie mir wieder ein Stäbchen in die Hand gegeben, womit ich dem Greybig auf seinen Gänseschnabel klopfen will.

Ich: Darf ich so kühn sein, Ew. Majestät um Ihre Parallele zu fragen?

Kaiser: Die sollen Sie gleich erfahren. Ich verglich Mozarts Komposition mit einer goldenen Tabatiere, die in Paris gearbeitet, und Haydns Komposition mit einer, die in London verfertigt ist. (Indem er an die Kanzleitüre trat:) Sind Sie fertig, Bourguignon? (Dieser brachte ihm einen Zettel; zu mir:) Es freut mich, daß ich Sie näher kennen gelernt habe. Ich finde an Ihnen einen ganz andern Mann, als Sie mir beschrieben worden sind.

Ich: Wie das, Ew. Majestät?

Kaiser: Man hat mir gesagt, daß Sie ein Egoist wären, der weder einem Virtuosen noch einem Komponisten die mindeste Ehre gönnte. Dies bewog mich, Ihnen auf den Zahn zu fühlen. Es ist mir aber lieb, daß ich gerade das Gegenteil erfahren habe. Nun will ich gewissen Leuten – einer ist zwar schon vorlängst ad patres gegangen – den Kopf tüchtig waschen. (Er gab mir den Zettel:) Hier haben Sie die Erlaubnis, Ihre Musik im Augarten zu geben, wenn Sie wollen. Adieu! (Er ging in die geheime Kanzlei und ich zur Polizei.)


Um den Greybig, von dem in diesem Gespräche die Rede war und mit welchem der Kaiser seiner närrischen Aufgeblasenheit wegen sich bisweilen gern einen Spaß zu machen pflegte, etwas kenntlich zu machen, so will ich nur eine Anekdote von ihm zum Besten geben.

Der Kaiser ging eines Abends ins Marinellische Theater in der Leopoldsstadt. Kasperl sang als Nachtwächter[229] eine Arie außerordentlich komisch. Der Kaiser, dem sie sehr gefiel, ließ sie sich abschreiben, und da er eine gute Baßstimme hatte, so sang er sie bei seiner Kammermusik. Er wiederholte diese Arie einige Male und legte allmählich immer mehr die Lazzis des Kasperl hinein. »Nun, was meint Er?« fragte er einmal den Greybig. »Habe ich die Arie so vorgetragen wie Kasperl?« – »Oh! Oh! Oh!« versetzte Greybig mit seiner gewöhnlichen Begeisterung; »bei meiner armen Seele! Ew. Majestät sind der leibhafte Kasperl!« – Der Kaiser lachte überlaut: »Mein lieber Greybig!« sagte er endlich. »Er ist doch wahrhaftig ein Erzgrobian! Heißt mich da im Angesicht meiner Kapelle einen Kasperl!« – »Ei! Ei! Ei!« antwortete Greybig, »so habe ichs nicht gemeint; es ist mir nur so herausgeplatzt; da muß ich um Verzeihung bitten.« – »Oh«, erwiderte der Kaiser, »es ist Ihm schon verziehen. Er weiß ja selbst, daß man gewissen Leuten nichts übelnehmen kann.« – »Das sind wohl gar Narren?« – »Getroffen!« erwiderte der Kaiser. »Indessen hat Er sich dafür, daß ich Ihn öfters einen Hanswurst geheißen habe, gut revangiert. Tut aber nichts zur Sache; denn der Unterschied ist der, daß ich, nur solange ich sang, Kasperl war, Er aber immer und ewig per omnia saecula saeculorum ein Hanswurst bleiben wird!« –


So wie die Witterung schön wurde, gab ich meine ersten sechs ovidischen Sinfonien im Augarten, die letzten aber acht Tage später im Theater. Nach Abzug der sehr ansehnlichen Kosten – außer der Kopiatur hatte ich ein Orchester von vierzig Personen zu bezahlen – gewann ich dreimal so viel, als meine Hin- und Herreise kostete.[230]

Schon war ich im Begriff, mein Bündel zu schnüren, als der Schauspieler Stephani der Jüngere, der zugleich die Aufsicht über die deutsche Oper hatte, mich im Namen der Direktion ersuchte, für das gewöhnliche Honorar von hundert Dukaten eine deutsche Oper zu schreiben. Ich willigte ein; Herr Stephani besorgte das Gedicht, und in einem halben Jahre wurde derDoktor und Apotheker aufgeführt. Auf abermaliges Verlangen der Direktion schrieb ich noch zwei deutsche Opern und eine italienische, allesamt in Zeit von sieben Monaten. Meine drei deutschen Werke: Doktor und Apotheker, Betrug durch Aberglauben und die Liebe im Narrenhause gingen alle stelle, wie die Italiener sagen; aber die italienische Oper: Democrito fiel durch.

Ehe ich im Februar 1787 meine Rückreise nach Schlesien antrat, ging ich zum Kaiser, um mich für die Belohnung für meine vier Opern zu bedanken. Er führte einen ähnlichen Dialog mit mir, nur daß er mir diesmal mein Urteil über die italienischen Opern, die ich in Wien gehört hatte, abfrug. Ich sagte ihm meine Meinung frei heraus, lobte, was mir gefallen, und tadelte, was mir mißfallen hatte. »Ich bilde mir«, sagte er unter andern, »wirklich etwas auf meine Kenntnis der Musik ein, weil mein Urteil immer mit dem Ihrigen zusammenstimmt. – Wann gedenken Sie abzureisen?«

Ich: Übermorgen.

Kaiser (nachdem er einigemal nachdenkend auf und ab gegangen): Können Sie Ihre Abreise nicht auf acht Tage verschieben?

Ich: Wenn Ew. Majestät befehlen.

Kaiser: Gut! Tun Sie das, und hören Sie! Auf künftigen Sonnabend will ich Ihren Apotheker wiederholen lassen,[231] und ich glaube, es wird dem hiesigen Publikum angenehm sein, wenn Sie selbst Ihre Oper noch einmal dirigieren und zugleich in den Anschlagszettel setzen lassen, daß Sie, um sich bei dem Publikum zu beurlauben, dieselbe noch einmal zu guter Letzt dirigieren würden.

Ich: Wie Ew. Majestät befehlen.

Kaiser: Nun, es bleibt dabei. Ich will selbst im Theater erscheinen und Sie noch einmal sehen. Adieu indessen! – Ich besorgte alles, und meine Oper wurde aufgeführt. Am folgenden Morgen ward mir von dem Herrn von Horwath, dem Oberbuchhalter über alle Theaterkassen, eine Rolle mit 200 Dukaten von Seiten des Kaisers zugestellt, der so gnädig gewesen war, mir die ganze Einnahme meiner Oper zu schenken. Auf Anraten jenes Mannes eilte ich sogleich zum Kaiser, ehe er noch in die Messe ging, um mich dafür zu bedanken. Er nahm mich abermals gnädig auf, unterhielt sich mit mir über eine halbe Stunde, sagte mir manches Schmeichelhafte über meinen ernsthaften und komischen Stil und entließ mich endlich mit den Worten: »Kommen Sie nach Wien, sooft Sie wollen und es Ihre Geschäfte zulassen. Melden Sie sich jedesmal bei mir; ich werde Sie immer gern sehen, besonders da wir beide in Betracht der Musik einerlei Meinung sind.«

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 219-232.
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