Dreiundzwanzigstes Kapitel
Die Kapelle in Johannisberg wird entlassen • Der Amtshauptmann in der Klemme • Falle, der ich entging.

[213] Der Baiersche Erbfolgekrieg, der um diese Zeit zwischen Östreich und Preußen ausbrach, hatte zur Folge, daß der Fürst seine Kapelle entließ. Allein es geschahe mit der Versicherung, daß er nach erfolgtem Frieden, und wenn er bei seinen bisherigen Einkünften bleiben würde, jeden von uns wieder in seine Dienste nehmen wolle.

Da ich nun mit der Kapelle nichts mehr zu tun hatte, so zog ich mit meiner Familie nach Freienwaldau, verwaltete daselbst meinen Amtshauptmannsposten und ließ mir meinen Dienst mit aller Strenge angelegen sein. Der Fürst, der an den nahen feindlichen Grenzen nicht sicher war, begab sich unterdes nach Brünn, und der Erfolg zeigte, daß er recht daran getan hatte, denn General Kirchheim, der von östreichischer Seite beordert worden war, das diesseitige Fürstentum Neiße vor einem Überfall der Preußen zu decken, konnte mit seinen 3000 Mann nicht verhindern, daß die Preußen Johannisberg in Besitz nahmen und sich dadurch von der größern Hälfte des diesseitigen Fürstentums Neiße bis an die Freienwaldauer und Zuckmäntler Gebürge Meister machten. Sie aus Johannisberg zu delogieren, war keine Möglichkeit, weil sie das Glatzische im Rücken frei hatten.

Die Furcht vor einem feindlichen Überfall in Freienwaldau war es nun eben nicht, die mich ängstigte; denn General Lövenöhr, der es deckte, war sehr stark, wiewohl es immer möglich blieb, daß die Preußen, wenn die Armeen des Königs und des Prinzen Heinrich in Böhmen[214] Progressen machten, auch von jener Seite über Troppau eindringen und dann die Zuckmäntler Vorposten, um nicht gänzlich abgeschnitten zu werden, unsere Gegend würden verlassen und sich zurückziehen müssen. Allein ich hatte doch manchmal Ursach zu bereuen, daß ich, statt mein Glück auf Reisen zu suchen, mich bei dem Fürstbischof fixiert und einem Posten vorzustehen hatte, auf dessen Verwaltung zur Kriegszeit so viel Verantwortung lag und der mit so vieler Unruhe und Ungemach verbunden war. Es ist für einen Oberbeamten wahrlich keine Kleinigkeit, in seinem ihm anvertrauten Gebiet eine wenn auch gleich nicht große Armee zu haben, wo tausenderlei Verdrießlichkeiten vorfallen, wo so viel Lieferungen, Transportfuhren und dergleichen zu besorgen sind und wobei man obendrein noch alle Minuten in Gefahr schweben muß, vom Feinde überfallen zu werden.

Nur ein kleines Beispiel, was wenigstens zeigen kann, auf welchen Fuß ich mich bei dieser mißlichen Lage selbst gegen den Feind zu setzen gezwungen war.


Ehe noch die Mißhelligkeiten ausbrachen, hatte der Fürst mit Bewilligung des Kaiserlichen Hofes 8000 Klafter Brennholz an den preußischen Kaufmann Tasso in Neiße mit dem Akkord verkauft, daß diese Quantität Holz im Frühjahr auf Kosten des Käufers nach Neiße geflößt werden sollte. Kaum brach der Krieg aus, so erhielt der Fürst durch eine Stafette einen Hofverbot, obgedachte 8000 Klafter bei Androhung der Sperrung der Temporalien ausflößen zu lassen. Während nun General Stutterheim, der die dritte feindliche Armee kommandierte, Troppau in Besitz genommen hatte, fand sich der Käufer[215] des Holzes bei mir in Freienwalde ein, woselbst das verhandelte Holz stand, brachte das Geld mit und wollte flößen. Allein ich zeigte ihm den Hofverbot vor und schlug ihm die Erlaubnis dazu gänzlich ab. Untröstlich darüber eilte er nach Troppau, wandte sich an den General Stutterheim und brachte mir von diesem nach acht Tagen folgende Ordre zurück:


Es wird hiermit dem Amtshauptmann zu Freyenwaldau, Herrn von Dittersdorf, befohlen: bei Angesicht dessen das von dem Kaufmann Tasso zu Neiße bereits behandelte Bauholz, bestehend in 8000 Klaftern, nach Neiße flößen zu lassen; im Verweigerungsfalle aber zu gewärtigen, daß ich gegenwärtige Ordre durch Feuer und Schwerdt mittelst eines hinlänglichen Kommandos exequiren lassen werde.


v. Stutterheim


Ich ließ mich aber durch diese Ordre nicht intimidieren, verweigerte schlechterdings die Flöße, behielt diese Ordre an mich und schickte den Überbringer unverrichteter Sache wieder fort. Zugleich meldete ich meine Prozedur dem Landeshauptmann, der sich mit seiner Familie hieher geflüchtet hatte. »Was ist Ihre Meinung?« fragte er. – »Keine andere«, antwortete ich, »als: eine Abschrift wird dem kommandierenden General der hiesigen Vorposten, das Original aber an Herzog Albert, der die Inspektion über die mährischen Armeen hat, gesendet, dabei die Verweigerung notifiziert, aber zugleich um hinlänglichen Schutz gebeten.« – »Gut«, sagte er, »das sind auch meine Gedanken.« Ich übernahm es, beide Berichte zu machen, und in zwei Stunden war alles geschehen. Der Landeshauptmann mußte den Bericht mit unterzeichen.[216] Wir schickten ihn durch einen Kourier in das Lager des Herzogs, das zwischen Mähren und Böhmen stand; der andere aber ward an den Kommandanten durch das Militär befördert. In acht Tagen kam ein Rückschreiben von Sr. Königl. Hoheit, in welchem unser Benehmen sehr gnädig belobt ward und uns Schutz versprochen wurde. Auch war, ehe acht Tage um waren, eine Verstärkung von einem Infanterieregiment, fünf Eskadrons Husaren, einem Dragonerregiment, drei Freibataillons und zwei Bataillons Kroaten da. Allein zugleich enthielt das Schreiben die strenge Weisung, daß wir uns nicht den mindesten Verdacht einer Parteilichkeit für den Feind zu Schulden kommen lassen sollten, mit dem Zusatz: daß jeder kaiserliche Offizier, der nach unserer Gegend käme, die Instruktion erhalten würde, auf uns genau zu vigilieren und den kleinsten Anschein wider uns alsobald der Behörde anzuzeigen. Obgleich wir nun zwar wußten, daß man uns deshalb nicht das mindeste aufzubürden im Stande sein würde, so mußte es uns doch sehr unangenehm sein, daß uns jeder Offizier gleichsam zu belauschen den Auftrag hatte.

Übrigens ward mir bald hier, bald da eine Falle gestellt, worin der Feind mich gelockt haben würde, wenn ich einfältig genug dazu gewesen wäre. Nur ein Beispiel.

Ein preußischer Obristlieutenant von Scholten hatte sich mit einem Bataillon in das Johannisberger Schloß postiert. Er hatte einige Kanonen und ein paar Haubitzen bei sich, verschanzte sich zu Johannisberg bis an die Zähne, nahm die fürstlichen Einkünfte in Beschlag, brandschatzte Städte und Dörfer, Pfarreien und Klöster und setzte sich hier fest, weil er durch das Glatzische gedeckt war. Da er in den umliegenden Gegenden noch[217] fünf Bataillons Infanterie und zehn Eskadrons Kavallerie zu seiner Disposition hatte, so machte er verschiedene Versuche, nach Freiwaldau einzudringen, um sich auch von dem Gebürge Meister zu machen. Allein da die beiden Pässe dahin, nämlich Setzdorf und Sandhübel, von der Natur so befestigt waren, daß sie mit wenigen Truppen verteidigt werden konnten, so mußte er jedesmal wieder abziehen. Gern hätte er das ganze Freiwaldauer Amt, in welchem sich ein Städtchen und 27 Dörfer befanden, in Kontribution gesetzt. Da er das nun mit Gewalt nicht durchsetzen konnte, so nahm er seine Zuflucht zu einer List, die – geradeheraus gesagt – einfältig war.

Ich erhielt nämlich durch den Amtsdiener von Johannisberg, dem er ab- und zuzugehen erlaubte, ein eigenhändiges Schreiben von ihm, das folgender Gestalt lautete:


Ich brenne vor Begierde, einen Mann, dessen großes musikalisches Talent ich schon längst verehre, da ich ein außerordentlicher Freund der Musik bin, von Person kennen zu lernen. Um diese Wonne zu genießen, lade ich Sie auf morgen Mittag auf eine Soldatensuppe nach Johannisberg ein. Mit offenen Armen erwartet

Ew. Hochwohlgebornen


Dero ergebenster Freund und Diener

von Scholten

Königl. Preuß. Obristlieutenant


Die Antwort, welche der Amtsdiener, als ich das Schreiben gelesen hatte, darauf mündlich erhielt, war: »Wofern Er sich noch einmal unterstehen wird, mir ein solches Schreiben vom Feinde zu bringen, so laß ich Ihn[218] krummschließen und schicke Ihn an den kommandierenden kaiserlichen General. Sage Er dem Herrn Obristlieutenant Scholten, ich habe nicht Lust, mich wegen einer Soldatensuppe und seines Empfangs mit offenen Armen freiwillig als Geisel in des Feindes Hände zu liefern. Und nun geh Er seiner Wege!« – Das Billet schloß ich in den Bericht, den ich von dem Vorfalle machte, und erhielt vom General dafür ein sehr angenehmes Belobungsschreiben.

Unsere Blockade dauerte bis zum Frieden so fort, und gewöhnlich wurden die Kaiserlichen alle vierzehn Tage sowohl an jenen beiden Pässen als auch in Zuckmantel selbst alarmiert. Man sah aber bald, daß es bloß geschah, den kaiserlichen Corps dadurch Beschäftigung zu geben, um die Gebürge zu decken und sie zu verhindern, die preußischen Transporte anzugreifen, die alle vierzehn Tage zwei Meilen von Zuckmantel passieren mußten. General Wunsch machte zwar endlich einmal den Versuch, mit 20000 Mann das Lövenöhrsche Korps in Zuckmantel anzugreifen, um es, wo nicht zu schlagen oder aufzuheben, wenigstens aus den Gebürgen zu verdrängen. Allein, so schnell und entschlossen sein Angriff war, so lief er doch fruchtlos ab, und zwar eines Zufalls wegen, wodurch dieser schon im Siebenjährigen Kriege berühmt gewordene und erfahrne General sich dennoch irre führen ließ. Die Erzählung davon würde aber hier zu weitläuftig sein.

Quelle:
Dittersdorf, Karl Ditters von: Karl Ditters von Dittersdorf Lebensbeschreibung, Seinem Sohne in die Feder diktiert. München 1967, S. 213-219.
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