b) Divertimento, Kassation, Serenade

[230] Mozart ist hineingeboren in eine Zeit, die die Grenzen zwischen Kammermusik und Sinfonik, zwischen Musik: bestimmt für Theater oder Konzertsaal, oder bestimmt für Konzertsaal und Palasthof oder Garten, noch nicht so scharf gezogen hatte wie etwa die Zeit um 1800. Eine Sinfonie für Streichorchester konnte unter die Quartette Opus 1 von Haydn hineingeraten, ohne daß die Kammermusikspieler daran groß Anstoß nahmen; eine Ouverture Händels konnte heute in Haymarket oder Lincoln's Inn Field und morgen in Westminster Abbey, eine »Sinfonia« Paisiellos heute in der Oper und morgen im Concert Spirituel aufgeführt werden. So gibt es von Mozart eine ganze Reihe von Werken, die zwischen Kammermusik und Sinfonie zu stehen scheinen, zwischen Konzertsaal und »Freiluft«, zwischen dem Sinfonischen und Konzertanten, zwischen solistischer und sinfonischer Besetzung der Streicher – eine genaue oder strenge Scheidung scheint nicht möglich. Man möchte vielleicht sagen, daß sie alle einem festlichen Anlaß ihre Entstehung[230] verdanken und daß sie deshalb gesellschaftlicher, heiterer, weniger »ewig« und mehr »Achtzehntes Jahrhundert« sind als die eigentlichen Streichquartette und Konzertsinfonien, und das würde im allgemeinen wohl zutreffen. Aber nicht immer im einzelnen. Es gibt manche »Sinfonia« Mozarts in italienischer Art, die an Kunst und Ernst unter einer Serenade steht, und es gibt manche Serenade, etwa die beiden in Wien geschriebenen für Bläser (K. 375, 388), die nicht mehr rein »gesellschaftlich« sind – die zweite ist eines der heftigsten Moll-Werke Mozarts, und Mozart hat es selber aus »Freiluftmusik« umgewandelt in Kammermusik, wenn auch mit großem Verlust für die Gewalt und Schönheit des Originals. Man muß jedes dieser Werke für sich betrachten und versuchen zu entscheiden, in welche Gruppe es sich einreiht. Denn Gruppen sind vorhanden. Man muß sie scheiden; man darf nicht der »Gesamtausgabe« folgen, die in Serie 9, zweite Abteilung, mitleidlos bescheidene Bläsersextette, Musik zu Pferdeballetten, und feinste Kammermusik in einen Band zusammengepfercht hat, nur weil sie alle den Titel »Divertimento« tragen.
Ein Vorläufer dieser Kammermusik feinster Art ist das Divertimento K. 205, das Mozart im Herbst 1773 in Wien geschrieben hat, für ein Gartenfest in einem der Häuser, in denen Vater und Sohn damals verkehrten, vielleicht für die Mesmersche Familie. Fünf Sätze, das erste Allegro eingeleitet durch ein kurzes Largo; das Adagio eingerahmt durch zwei Menuette; vor und nach dem Ganzen ein kurzer Marsch. Die Besetzung: Streichtrio und zwei Hörner; mit dem Violoncell zusammen geht ein Fagott, dessen Part gar nicht eigens aufgezeichnet ist. Man stellt sich vor, daß die fünf oder sechs Spieler mit dem Marsch aufziehen und abziehen, und das eigentliche Divertimento in einem kerzenerleuchteten Gartensaal zum Vortrag bringen. Große Tiefen dürfen nicht aufgewühlt werden, Kunst muß unmerkbar bleiben und sich verkleiden in Anmut. Aber Virtuosität darf sich zeigen: immer, oder fast immer, ist die Geige oder (wo zwei sind) die erste Geige eine »Violino principale«, der das Recht hat, hervorzutreten und Beifall für sich in Anspruch zu nehmen. So wird auch die Orchesterserenade in ihren Rahmen ein Violinkonzert aufnehmen; so wird das eigentliche[231] Violinkonzert Mozarts immer etwas Serenadenhaftes behalten und niemals mit seinem Klavierkonzert in eine Reihe zu stellen sein. Ist es nicht bezeichnend, daß Mozart in Wien nicht mehr den Drang fühlt, ein Violinkonzert zu komponieren, obwohl es an Anlässen dazu nicht gefehlt hat? Es ist wahr, die Geiger, die in Mozarts »Akademien« auftraten, pflegten ihre eigenen Konzerte mitzubringen, aber er könnte dennoch oft genug versucht gewesen sein, diese manchmal sehr fragwürdigen Produkte durch ein eigenes Werk oder einen eigenen Satz zu ersetzen, wie er das wenigstens einmal, für ein Konzert Viottis, wirklich getan hat. Aber Divertimenti, Serenaden, Violinkonzerte sind für ihn mehr eine Salzburgische Angelegenheit, eine Angelegenheit der Jugend, der Gefälligkeit, auch der künstlerischen Konzilianz. Sie fallen gern nach der heiteren Seite. Die langsamen Sätze stehen meist in der freundlichen Oberdominant der Haupttonart; die Tonarten selber sind immer gleichsam die nächstliegenden. Wo Mozart sich über das Nächstliegende erhebt – und das tut er häufig, weil er nicht anders kann –, so soll es für die Auftraggeber wenigstens nicht allzu auffällig werden. So findet sich gleich in unserm »Wiener« Divertimento, im Trio des ersten Menuetts, ein Kanon von vier Takten im engsten Abstand zwischen Viola und Geige – im 16. Jahrhundert würde man gesagt haben: ein Canon ad minimam –, der kaum erwartet wird in so leichter Gattung. Das ganze Werkchen, in hundert kleinen Zügen abhängig von ähnlichen Werken Joseph Haydns, ist doch intimer als solche Haydnschen Werke: auch wo, wie im Trio des zweiten Menuetts, das Hörnerpaar sich ein Solo leistet, enthält es sich des Haydnschen derberen Humors. Das »Populare« liegt auch hier, in diesen Serenaden, Kassationen und Konzerten, in denen er mit dem Begriff spielt, für Mozart anders als für Haydn – worüber ein bißchen später zu reden sein wird.
Ein ähnliches Werk, genau gleicher Besetzung, hat Mozart etwa vier Jahre später begonnen, K. 288. Es ist nur fragmentarisch erhalten, 77 Takte des ersten Satzes. Schwer zu entscheiden, ob es einst vollständig vorhanden war, oder ob nur ein Beginn vorliegt, den Mozart dann zugunsten eines andern Werkes liegen gelassen hat, wie es seine Gewohnheit war. Ich[232] neige zu dieser Annahme; mir scheint, Mozart wollte erst dies »Streichtrio mit Hörnern« für die Gräfin Lodron schreiben, hat aber dann die vollere Fassung des Divertimentos K. 247 vorgezogen. Dasselbe Verhältnis scheint mir zu herrschen zwischen dem Fragment K. 246b und dem Divertimento K. 334. Auch hier mag einmal der Beginn eines ersten Satzes, gediehen bis zur Durchführung, vorhanden gewesen sein, den Mozart dann zugunsten von 334 hat liegen lassen.
Was in diesem frühen Wiener »Streichtrio mit drei Bläsern« angedeutet ist, das ist in den folgenden Salzburger Jahren, zwischen 1776 und 1779, in vier Werken voll ausgeführt: K. 247, 251, 287 und 334. Zwei davon, das erste und dritte, sind für die Familie Lodron geschrieben, das letzte für die Familie Robinig. K. 251 gilt als komponiert für Nannerls fünfundzwanzigsten Geburtstag, im Juli 1776, was ganz glaublich ist; es ist etwas eiliger und nachlässiger geschrieben als die drei übrigen, und »für sieben Instrumente«, nämlich für Oboe, zwei Hörner und Streichquartett. Diese drei andern aber, die man einfach als Streichquartette mit zwei obligaten Hörnern bezeichnen könnte, gehören zum Reinsten, Heitersten, Beglückendsten, Vollkommensten, was je musikalische Form angenommen hat, und es gibt närrische Leute, die einen ganzen Akt »Tannhäuser« oder »Lohengrin« oder eine ganze romantische Sinfonie für eins dieser Werke, ein verlorenes Paradies der Musik, hergeben. Das erste dieser Divertimenti, in F, vom Juni 1776, eingeleitet und beschlossen durch einen zierlichen Marsch (K. 248), hat Ton und Stil dieser Werke schon voll ausgebildet, nicht bloß für Salzburg, sondern auch für spätere Wiener Zeit. Der erste der beiden langsamen Sätze ist Vorahnung der Romanze aus der »Kleinen Nachtmusik«, die wir mit diesem Andante grazioso kaum zu konfrontieren brauchen:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

[233] In den Ecksätzen herrscht der pikante Antagonismus zwischen dem konzertierenden Violino principale und manchen Motiven, deren Erfindung bestimmt ist durch die Hörner, wie gleich das Incipit des Finale-Allegros, oder im ersten Satz das allgegenwärtige bärbeißige und doch vergnügte Motiv:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

Typisch ist ein langsamer Satz im Serenadenstil, in dem die erste Violine ihren amourösen Gefühlen nachgeht, typisch die kurze Introduktion zum Finale in getragenem Charakter. (Beethoven wird sie noch beibehalten für sein Septett.) Die Stilgrundlage des Ganzen ist wie die eines Quartetts – immer noch kammermusikalisch, aber ein bißchen konzertant, »ohne höhere Verpflichtung«, und darum nur um so heiterer, anmutiger, liebenswerter. Das Septett zum Geburtstag der Schwester, also zum 30. Juli 1776, fällt ein wenig aus der Reihe, vor allem durch die Verwendung der Oboe, die der ersten Violine den Rang gern streitig macht. Und so ist verzichtet auf den Reiz des »Violino principale« mit seinen kleinen Koketterien, es klingt alles ganz kammermusikalisch, wenn auch fast alle »Ernsthaftigkeiten« vermieden sind. Warum die Oboe? Weil der »Hautbois« ein so französisches Instrument ist. So wie Egmont, in Goethes Drama, seinem Klärchen einmal »spanisch« kommen wollte, das heißt in spanischer Tracht, so wollte Wolfgang der Schwester »französisch« kommen, vielleicht in Erinnerung an die gemeinsamen Pariser Tage von 1764 und 1766 – zehn Jahre vorher. Die einleitende und abschließende Marche ist überschrieben: »Marcia alla francese«, und ist französisch mit ihren gezackten Rhythmen; und es hat allen Anschein, als ob für sämtliche Themen dieses Divertimento die Urbilder sich in der französischen Chanson finden ließen. Es ist, als ob Mozart für seine spätere Pariser Ballettmusik »Les petit riens« vom Sommer 1778 die Themen schon vorausgenommen hätte, zum Beispiel für deren »Pantomime«:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

b. Divertimento, Kassation, Serenade

[234] Im Februar 1777 schreibt Mozart ein neues »Divertimento a 6 stromenti«, das heißt ein Streichquartett mit zwei obligaten Hörnern, wiederum für die Gräfin Lodron, K. 287, ein Meisterwerk sui generis – wenn Mss. Wyzewa und Saint-Foix auch nachgewiesen haben, wie sehr es von einem Streichquintett Michael Haydns Anregungen empfangen hat – und nur den beiden früheren und späteren Schwesterwerken K. 247 und K. 334 zu vergleichen. Es ist die gleiche Mischung, nur vielleicht eine etwas intimere und kammermusikalischere als das erste Lodronsche Divertimento – da es kein Sommer-, sondern ein Winterwerk ist, so fehlt natürlich auch der einführende und abschließende Marsch. Wir sind im Karneval; und so verkleidet, im ersten langsamen Satz, einem Andante grazioso, sich das Thema sechsmal zu verschiedenen Charaktermasken, nur zu keiner tragischen. Der erste Satz darf einen heftigeren Diskurs führen als sonst: dialogisch zwischen Streichern und Hörnerpaar, und in allgemeinerer Unterhaltung aller Instrumente, in Achteln und Achteltriolen. Das zweite Adagio wird zum echten, empfundenen langsamen Satz eines Violinkonzerts; die Menuette nehmen an Reife und Charakter die letzte Wiener Zeit voraus. Und das Finale ist kein »Kehraus« mehr, sondern ein großer, krönender Schlußsatz geworden – nicht ohne Bedeutsamkeit ist bei seiner Analyse den beiden französischen Forschern der Name Beethoven in die Feder gekommen. Denn das Gegenstück findet sich, vielleicht, erst im Finale von Beethovens[235] letztem Trio, das auch in B-dur steht, mit seinem so burschikos-unmißverständlichen Thema. Aber Mozart ist feiner und heiterer als Beethoven. Sein Thema ist der süddeutsche Gassenhauer »D'Bäurin hat d'Katz verlorn, weiß nit wo's is«, den er, um den Spaß recht deutlich zu machen, durch ein übertrieben pathetisches Rezitativ einführt. Es handelt sich bei diesem Spiel mit dem Volkstümlichen nicht um Parodie oder groben Spott, sondern um Geist und Witz; und wenn Mozart, in einem echten Jodlerthema:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

sogar eine Älplerin zu zitieren scheint, so ist es zwar ein rotbackiges, aber doch zierliches Dirnchen. Kurz vor dem Schluß erscheint das Rezitativ in verkürzter Form, aber noch gesteigerter komischer Wirkung. Das letzte Werk dieser Trias von Streichquartetten mit obligatem Hörnerpaar ist das Divertimento in D-dur, K. 334, aus dem Sommer 1779, die »Musique vom Robinig«, wie Mozart selber sie nennt: – besonders Frau von Robinig war eine Familienfreundin der Mozarts und hatte schon 1774/75 in Begleitung von Nannerl die Münchner Tage der »Finta giardiniera« mitgemacht. Nun, wenn das spätere Lodron-Divertimento das Salzburgerische: das ideale Harmonie von Stadt, Landschaft und der frohen Menschen, die es in Wirklichkeit vielleicht nur in einer schönen Frau verkörpert gab, mit Humor und Witz ins Musikalische transfiguriert, so tut das Robinig-Divertimento das mit »Zärtlichkeit«, der der Schatten leichter melancholischer Anwandlung nicht fehlt: das Andante, ein Thema mit sechs Variationen, würde an das Finale des d-moll-Streichquartetts heranreichen, wenn man in einem Divertimento so ernst werden dürfte wie in einem Quartett. Die Mischung des Kammermusikalischen und Konzertanten ist hier zur Vollkommenheit gediehen; und vor der Ernsthaftigkeit des Quartetts schützt Mozart sich entweder durch die süße Sinnlichkeit, wie sie am reinsten sich im abschließenden Rondo ausspricht, oder[236] durch eine Hinneigung zum Ländlerischen, von dem beide Menuette Varianten bringen. Der zweite langsame Satz, in A-dur, ist ein Konzertsatz für die Violine, das Ideal einer »Serenade«, in der das Soloinstrument alles Persönliche ausspricht und die Begleitung doch nicht zum Nichtssagenden herabsinkt. Ein zierlicher Marsch bildet auch hier Eingang und Ausklang.
Divertimenti ganz anderer Art sind die Divertimenti für drei oder vier Bläserpaare, Oboen, Hörner, Fagotte – und womöglich Klarinetten; Werke, die eben wirkliche »Freiluftmusik« sind und der Märsche für Aufziehen und Abziehen entbehren – denn sie sind nicht geschrieben für Kammermusikspieler, die man nach Ankündigung einläßt in den Salon und dann wieder ehrenvoll entläßt, sondern für Musikanten, die unterm Fenster zu bleiben haben. Bläser sind immer primitivere Musiker als Geiger, wenigstens hat Mozart sie so behandelt, und in der Tat war damals der Schritt vom Bedienten zum Hornisten oder Fagottisten geringer als der zum Geiger oder Violoncellisten. Mozart fängt schon in Mailand oder für Mailand an, dergleichen zu komponieren: im Frühjahr 1773 zwei Werke für fünf Bläserpaare, Oboen, Klarinetten, Englischhörner, Hörner und Fagotte (K. 186 und 166). Wo immer er vor 1781 Klarinetten verwendet, darf man sicher sein, daß er »für auswärts« schreibt, denn diese noblen Instrumente waren in Salzburg noch nicht vorhanden. So können denn auch zwei – früher als zweifelhaft betrachtete – solcher Werke, K. Anhang 226 und Anhang 227, für Oboen, Klarinetten, Hörner und Fagotte nicht in und für Salzburg geschrieben sein; sie sind vermutlich in München zur Zeit der »Finta giardiniera« entstanden, denn für die spätere Wiener Zeit sind sie wiederum zu primitiv. Die Wiener stellten andere Ansprüche. Für Salzburg genügen je zwei Oboen, Hörner und Fagotte: K. 213 (1775), K. 240, 252, 253 (alle von 1776), 270 und 289 (1777). Wir brauchen uns nicht im einzelnen mit diesen Divertimenti für Bläser zu befassen. Sie sind echte Gartenmusik, die sonatenhaften Sätze so einfach wie möglich, dem Menuett werden andere Tänze beigesellt: ein Contredanse en rondeau, eine Polonaise. Es mischen sich Pastorales und fanfarenhafte[237] Hörnerklänge, und trotz der meist paarweisen Führung der Stimmen in Terzen oder Sexten herrscht feinstes Gefühl für den Gesamtklang und den Klang der einzelnen Instrumente. Es ist ein Spielen mit der Form, ohne anspruchsvolles Erfinden, ohne Anstrengung; liedhaft und doch nie vulgär. Wenn es Werke gibt, die Mozart als Komponisten des 18. Jahrhunderts charakterisieren, so sind es diese, die »unschuldig« sind in jedem Sinn, geschrieben gleichsam vor dem Sündenfall der Französischen Revolution; für Sommernächte mit stiller Fackel- und Lampenbeleuchtung, für Nähe und Ferne; und in der Ferne klingen sie am schönsten. Im »Don Giovanni« und in »Così fan tutte« hat Mozart sich solcher Bläserklänge wieder erinnert, dort als Tafel-, hier als Gartenmusik. Mehr für den Tagesgebrauch geschrieben scheinen zwei ganz aus der Reihe fallende Folgen von Bläserstücken für Flöten, Trompeten und Pauken – eine mehr militärische Aufgabe, oder vielmehr eine kavalleristische, denn Mozart hat sie wahrscheinlich für zwei Produktionen in der Salzburger Reitschule, am Fuß des Mönchberges, schreiben müssen und hat sich des Auftrages auch ohne großen Ehrgeiz entledigt.
Aber am Ende dieser anspruchslosen Reihe stehen auch hier drei Werke, so überragend, von solchem Ehrgeiz und Ernst beseelt, daß sie nicht nur als der Gipfel der Reihe, sondern der ganzen Gattung angesehen werden müssen. Sie haben kaum eine Nachfolge gefunden; aus der Jugend- und Frühzeit Beethovens gibt es wohl das Rondino für vier Bläserpaare oder das Sextett für Blasinstrumente op. 71, das Trio für zwei Oboen und Englischhorn op. 87, aber im allgemeinen war die Gattung minderen Kräften überlassen, und im 19. Jahrhundert vollends ward sie durch das ersetzt, was man in Italien für »banda« und in Deutschland für »Militärkapelle« bestimmte: Arrangements. Das Unheil beginnt allerdings schon zur Zeit Haydns und Mozarts, da man ganze Opern für Bläserensembles zurechtmachte – besonders die italienischen Bibliotheken sind voll von solchen Arrangements für »Harmonie«, wie der Terminus technicus lautete. Nun, das erste dieser drei Werke Mozarts, die Serenade in B-dur für dreizehn Blasinstrumente, K. 361, ist nichts weniger[238] als ein Arrangement. Er hat sie Anfang 1781, zur Zeit der Aufführung des »Idomeneo«, in München begonnen und dann in Wien vollendet; in einer Zeit seines heftigsten Wegstrebens aus der Salzburger Widerwärtigkeit. Vermutlich dachte er bei der Komposition an die ausgezeichneten Münchner Bläser, mit der Absicht, sich durch ein außerordentliches Stück nochmals bei Karl Theodor zu insinuieren. Ob sich in Wien die dreizehn Bläser je zusammenfanden, darüber fehlt jede Nachricht; es existiert ein Arrangement des Werks für die vier üblichen Bläserpaare, das sehr wohl auf Veranlassung Mozarts selber zurückgehen könnte (K. Anh. 182). Im Autograph ist das Kontrafagott nicht genannt: Mozart verlangt Contrabasso. Aber das widerspricht keineswegs dem »Freiluft«-Charakter des außerordentlichen Werkes, das sich freilich über jeden Anlaß hinaus in ideale Regionen erhebt. Ob der Titel »Gran Partita«, der vielleicht auf Aufführung im Freien hindeutet, von Mozart selber stammt, ist ungewiß – die Schrift dieses Titels im Autograph ist verdächtig.
Der unmittelbare Zauber des Werkes geht aus vom bloßen Klang. Es ist ein fortwährender Wechsel von Tutti und Soli, wobei die Rolle der Soli meist den beiden Klarinetten zufällt; eine fortdauernde Festlichkeit neuer Kombinationen: des Quartetts der Klarinetten und Bassetthörner, des Sextetts der Oboen, Bassetthörner und Fagotte über dem stützenden Kontrabaß; Oboe, Bassetthorn und Fagott im Unisono mit Begleitung – Mischung und transparente Klarheit zugleich; »Verschränkung« aller Klanglichkeiten, besonders in der Durchführung des ersten Satzes. Kein Instrument ist eigentlich konzertant geführt, aber jedes kann sich, will sich auszeichnen; und jedes wahrt seinen Charakter, so wie in einem Buffofinale Mozarts jede Person ihren Charakter wahrt – die Oboe ihre bukolische Kantabilität, das Fagott neben seiner Kantabilität auch – in schnatternden Triolen – seine Komik. Die beiden Hörnerpaare liefern die Grundierung des Klangs; aber es spricht für die höchste Kunstweisheit Mozarts, daß er im ersten langsamen Satz, einem Notturno, nur das erste Hörnerpaar verwendet: es ist eine Romeoszene unter Sternenhimmel, in der dem klopfenden Herzen des Liebenden sich Sehnsucht, Klage, Liebe wie[239] ein Hauch entringen. Das Gegenstück zu dieser reinsten Lyrik findet sich in einer »Romance«, deren Sentimentalität durch ein sonderbar burleskes Allegretto als »alternativo« ein wenig ad absurdum geführt wird. (Es ist zum zweitenmal, nach dem vermutlichen Münchner Divertimento von 1775 (K. Anh. 226), daß Mozart für einen langsamen Satz diese Überschrift gebraucht.) Episodisch wirkt denn auch ein dritter langsamer Satz, ein Andantino mit Variationen, von denen jede einzelne einen neuen Beweis von Meisterschaft liefert. Und das gleiche gilt von den beiden Menuetts, jedes mit zwei Trios, eins davon in g-moll, das andre in b-moll, und jeder Teil verschieden im Charakter. Den Beschluß macht ein etwas lärmendes Rondo – man möchte sagen ein Rondo alla turca, für dessen Thema sich Mozart des Finales seiner jugendlichen Sonata für vierhändiges Klavier erinnert zu haben scheint. Auch das Tema con variazioni ist dem Flötenquartett von Mannheim K. Anh. 111 entnommen – wenn die ser Satz echt ist. Aber vermutlich ist er es; es ist leicht möglich, daß nach der Anstrengung und Erfindungsfülle der ersten fünf Sätze Mozart sich eine kleine Erleichterung gönnen wollte.
Über Entstehung und Absicht des zweiten Werkes, der Serenade in Es für je ein Paar Klarinetten, Hörner und Fagotte K. 375 hat Mozart selber uns genaueste Auskunft gegeben (an den Vater, 3. Nov. 1781): »... diese Musick hatte ich auf den theresia tag – für die schwester der frau von Hickl, oder schwägerin des herrn von Hickel (Hofmaler) gemacht; alwo sie auch wirklich das erstemal ist producirt worden« – das ist: am 15. Oktober 1781. »Die 6 Herrn die solche exequiren sind arme schlucker, die aber ganz Hüpsch zusammen blasen; besonders der erste clarinettist und die 2 Waldhornisten. – Die haubtursache aber warum ich sie gemacht, war, um dem herrn v. strack (welcher täglich dahin kömmt) etwas von mir hören zu lassen. und deswegen habe ich sie auch ein wenig vernünftig geschrieben. – sie hat auch allen beyfall erhalten. – Man hat sie in der theresien nacht an dreyerley örter gemacht. – denn wie sie wo damit fertig waren, so hat man sie wieder wo anders hingeführt und bezahlt ...« Die sechs armen Teufel hatten den Anstand, Mozart selber ihren Dank abzustatten an seinem[240] Namenstag, dem 31. Oktober: »... auf die Nacht um 11 uhr bekam ich eine Nacht Musik von 2 clarinetten, 2 Horn, und 2 fagott – und zwar von meiner eigenen komposition ... die Herrn ... haben sich die hausthüre öfnen lassen, und nachdem sie sich mitten im Hof rangirt, mich, da ich mich eben entkleiden wollte, mit dem Ersten E B accord auf die angenehmste art von der Welt überrascht ...« Vermutlich hat er sich wieder angekleidet und die sechs Musikanten prinzlich traktiert und honoriert, also für seine eigene Komposition bezahlt – was ganz Mozartscher Stil gewesen wäre. Der Herr von Strack, Kammerherr des Kaisers, hat jedoch nichts Wesentliches für Mozart getan; Mozart selber hält ihn zwar für einen Gönner, aber meint doch auch (23. Januar 1782), daß »diesen Hofschranzen niemalen zu trauen ist«.
Wenn Mozart von einem seiner Werke sagt, er habe es »ein wenig vernünftig geschrieben«, so muß etwas daran sein. Die Besetzung bestand ursprünglich aus Klarinetten, Hörnern und Fagotten, und erst im folgenden Jahr hat er durch Hinzufügung der Oboen das Sextett zum Oktett erweitert, vielleicht für den Fürsten Alois Liechtenstein, der eine Blasmusik einrichten wollte oder eingerichtet hatte. Ein Marsch fehlt, wie in all diesen Werken; aber der erste Satz ist selber ein idealer Marsch in Sonatenform, voll von blühendem melodischem und figurativem Leben für jedes einzelne Instrument: – eine Lust, das zu blasen! Im Adagio – das in der Haupttonart verharrt – beginnt vollends ein holdes Spiel von Frag' und Antwort, von beglücktem Zusammengehen der Instrumente: Mozart wollte hier nicht weiter in die Tiefe gehen. Dies Spiel nimmt derberen Charakter an in den beiden Menuetten; im Finale, dessen Hauptthema ein Kompliment an Haydn scheint, ist so viel Geist und Kunst, als die Gattung und der »namenstägliche«, festliche Anlaß erlauben. Über dem letzten, bedeutsamsten dieser Werke (K. 388) schwebt ein Geheimnis. Mozart, in einem Brief an den Vater (27. Juli 1782) sagt nichts weiter darüber als: »... ich habe geschwind eine Nacht Musique machen müssen, aber nur auf harmonie ...«, so daß das Werk für eine Salzburger Lokalfestlichkeit, im Hause Haffner, nicht zu brauchen war. Aber[241] er verschweigt, daß es seinem ganzen Charakter nach für eine Festlichkeit überhaupt nicht zu brauchen war. Wir erfahren nichts über den Anlaß, nichts über den Auftraggeber; nichts darüber, ob dieser Auftraggeber diese Serenade so explosiv gewünscht hat, oder ob es so aus Mozarts Seele geflossen ist. Ist es wirklich eine »Nacht Musique« fürs Freie? Nur die üblichen vier Sätze, kein erstes Menuett, kein zweiter langsamer Satz, keine Einleitungen für die Außensätze, kein Marsch. Die finstere Tonart c-moll ist ein Unikum unter Mozarts Gesellschaftsmusik. Wenn g-moll bei Mozart die fatalistische Tonart ist, so ist c-moll die dramatische, die Tonart der Gegensätze von aggressiven Unisonos und lyrischen Wendungen. Das Lyrische wird gleichsam immer wieder überfallen von finsteren Ausbrüchen. Dieser erste Satz bahnt den Weg zum Klavierkonzert in c-moll, und er bahnt auch den Weg zur Fünften Sinfonie Beethovens – die Durchführung Mozarts arbeitet bereits mit Beethovens Grundrhythmus. Das Andante, in Es, atmet Frommheit – nicht »Frömmigkeit«, mit der Mozart nie etwas zu tun hatte; das Menuett ist ein kontrapunktisches Schaustück, mit allerlei kanonischen Führungen, und doch kein bloßes Schaustück, da der Kontrapunkt nicht wie bei Haydn Objekt der Heiterkeit, Ausdrucksmittel des Witzes, der Laune, des Geistreichtums, sondern sehr ernst genommen ist. Das Finale beginnt mit leidenschaftlichen und grimmigen Moll-Variationen, bereits im Geist des Finales im c-moll-Konzert, und scheint auch im Moll enden zu sollen: – da fällt wie ein sanfter Lichtstrahl das Es der Hörner ein, zum Quartsextakkord durch die Fagotte ergänzt – und allein um dieser Stelle willen hätte Mozart niemals das Werk zum Quintett für Streicher umarbeiten dürfen, denn zu den Hornquinten gehört auch der Hornklang. Im zweiten Akt des »Don Giovanni«, im Sextett, wenn es plötzlich hell wird, kehrt das gleiche Motiv wieder, nur diesmal mit szenischer und psychologischer Wirkung. Der Sieg ist errungen, mag auch c-moll nochmals mit gesteigerter Heftigkeit wiederkehren, das Thema wandelt sich in Dur, das Ende ist und bleibt C-dur. Die »Eile«, mit der Mozart arbeiten muß, wirkt sich nicht aus in Flüchtigkeit, sondern in gesteigerter Konzentration; die Lehren Bachscher Polyphonie haben bereits[242] volle Frucht getragen. Diese letzte Serenade ist nicht bloß »ein wenig vernünftig« geschrieben. Die »Unvernunft«, die höhere Weisheit, die bei der Schöpfung jedes großen Meisterwerkes waltet, hat insofern auch hier eine Rolle gespielt, als es niemals ganz zu ergründen ist.
Es ist die letzte eigentliche Serenade Mozarts – weitere Aufträge scheinen eben ausgeblieben zu sein, auch solche von dem jungen Fürsten Liechtenstein, in den Mozart so starke Hoffnungen gesetzt hatte. Es folgt nur noch die Serenade für Streicher, die mit ihrem originalen Titel »Eine kleine Nachtmusik« eins der bekanntesten Werke Mozarts geworden ist (K. 525). In Wahrheit ist es zugleich eins der rätselhaftesten. Wir kennen weder seinen Anlaß – es ist zur Zeit der Arbeit am zweiten Akt des »Don Giovanni« entstanden (vollendet am 10. August 1787) –, noch wissen wir etwas über eine Aufführung. Wir kennen es nur in der Vergröberung durch Aufführungen mit fünf bis neun Kontrabässen und entsprechend besetztem Streicherkörper, aber Mozart und das Werk verlangen sicherlich nicht mehr als einen Kontrabaß und doppelt besetztes Streichquartett – wenn Kontrabaß überhaupt. Wir kennen es nur in der Fassung mit vier Sätzen; aber es hatte ursprünglich fünf: Mozart schreibt deutlich in seinem thematischen Katalog: »Eine kleine Nachtmusik, bestehend in einem Allegro, Menuett und Trio. – Romance, Menuett und Trio und Finale.« Wer das erste Menuett unterdrückt hat, ist mir nicht bekannt. Mein Rat ist, das Menuett aus der halb apokryphen Klaviersonate K. Anhang 136, das ursprünglich wohl ein Quartettsatz war, nach G-dur zurückzutransponieren und dem Werk einzufügen; man wird es dann wohl wieder in seiner originalen Gestalt vor sich haben. Wie, wenn alle Rätsel sich lösen ließen durch die Annahme, daß Mozart es für sich selber geschrieben hätte, aus innerem Zwang hat schreiben müssen? Als korrigierendes Gegenstück zum »Musikalischen Spaß«, den er sieben oder acht Wochen vorher geschrieben hatte? Es muß ein unendliches Vergnügen für ihn gewesen sein, diese Satire auf komponierendes Stümpertum zu machen, aber auch eine Art von Selbstzwang, von Vergewaltigung, von Widernatürlichkeit. Ein Mensch mit so »feinen[243] Ohren« wie er bedurfte der Korrektur einer solchen Ausartung; für ihn war jede falsche Note eine Verletzung der Weltordnung, genau so wie für Bach. Es gibt eine herrliche Anekdote über Bach: er hört, im Bette liegend, Friedemann beim Klavierspiel vor der Kadenz abbrechen. Er springt auf, holt erst die Kadenz nach und gibt dann dem Sohne eine mächtige Ohrfeige. Das könnte auch von Mozart und Süßmayr erzählt sein. Nachdem Mozart durch den »Musikalischen Spaß« die Weltordnung verletzt hat, stellt er sie wieder her durch die »Kleine Nachtmusik«. Die vier (oder fünf) Sätze sind ganz knapp, aber es könnte keine Note hinzugefügt werden. Nichts allzu Persönliches wird gesagt, auch nicht in der Romanze, die man Andante innocente taufen könnte – die Unschuld gerät nur im c-moll-Mittelteil in leichte Unruhe. Das Menuett ist so knapp und regelmäßig – 8 + 8 + 8 + 12 Takte – als es nur sein kann, handfest im Hauptteil, »zärtlich« im Trio. Es ist Meisterschaft aller Meisterschaften im allerkleinsten Rahmen.
Was an Serenadenhaftem noch folgt, ist nur ein kleiner Marsch, der verlorengegangen ist (K. 544, vom 26. Juni 1788). Er ist komponiert für Streichtrio, Flöte und Horn, also als Einleitung und Abschluß für ein ähnliches Divertimento, wie er es im Sommer 1776 für den Geburtstag der Schwester komponiert hatte. Aber es gibt kein eigenes Werk Mozarts, zu dem dieser Marsch passen könnte. Vielleicht hat er ihn für die »Kammerserenade« eines andern, befreundeten Musikers geschrieben. Wir nähern uns gleichzeitig der Sinfonie und dem Violinkonzert, wenn wir uns einer andern, letzten Gattung der Serenadenkomposition Mozarts zuwenden, deren bekanntestes Beispiel die sogenannte Haffner-Serenade ist. Nicht mehr Kammermusik mit Hörnerpaar, nicht mehr Bläsermusik oder »Harmonie«, sondern Orchester, Sinfonik, mit Neigung zum Konzertanten. Es gibt Zwischenstufen. Da ist ein Divertimento in Es, aus der ersten Mailänder Zeit, K. 113 (Nov. 1771), »Concerto o sia Divertimento« betitelt, für Streicher, Klarinetten und Hörner, denen Mozart später (vermutlich 1777) je ein Paar Oboen, Englischhörner und Fagotte hinzugefügt hat. Das steht inmitten der Bläserserenaden und der frühen, italianisierenden Sinfonik Mozarts; Streicher und Bläser sind sinfonisch kontrastiert,[244] aber das Ganze neigt entschieden nach der Freiluftmusik: ideale Gartenmusik. Da ist ein Notturno für vier Orchester – genauer: für ein Orchester bestehend aus Streichern und zwei Hörnern, denen drei weitere Orchester in dreifachem Echo antworten (K. 286). Wenn wir nicht annehmen müßten, daß es zum Neujahrstag 1777 komponiert ist, würden wir sagen, es sei die rechte nächtliche Musik für die Gartenscherze und Gartenwunder von Mirabell bei Salzburg. Aber Mozart liebt es, den Sommer in den Winter hineinzuzaubern: da ist eine andre »Serenata notturna« (K. 239) für den Januar 1776, für zwei konzertierende Violinen, Viola und Violoncello als »Concertino«, und Streichorchester mit Pauken als »Concerto grosso«. Es ist eins der bezauberndsten Frühwerke Mozarts, nach Klang und Melodik, und man hat gar kein Verlangen nach Ergänzung der drei Sätze: eine Marcia in »majestätischem« Tempo, ein Menuett mit Trio für das Concertino allein und ein Rondo mit zierlichem, französisierendem Thema. In diesem Rondo gibt es zwei Intermezzi: ein kurzes Adagio im steifsten Menuettschritt, das wie eine Einleitung anmutet zum zweiten, einem bäurischen, ganz primitiven Allegro. Beide sind Fremdkörper und sicherlich Zitate, die dem Salzburger Auditorium bekannt waren – wenn wir sie zu deuten wüßten, wüßten wir auch genaueren Bescheid über die Bestimmung des Werkes. Das ist diesen Notturni und Divertimenti gemeinsam mit den Violinkonzerten: in den Finalrondos beider Gattungen macht Mozart sich und den Zuhörern einen kleinen Spaß, er läßt sich herab zum »Volk«, er stellt sein eigenes aristokratisches Naturell ein bißchen zur Schau, wenn er zu sich selbst zurückkehrt; er deutet hin auf ländlich-derbe Schönheiten und hebt dann hervor, wie fein er selber gekleidet ist. Nicht ohne Grund heißen solche Serenaden oder Kassationen »Finalmusiken«; denn jeder erwartet im Finale eine derartige musikalische Vergnüglichkeit.
Die Mischung der Serenade zeigt sich schon in den frühesten Salzburger Werken des Knaben, den Finalmusiken in G (K. 63) und in D (K. 100), endlich der Kassation in B (K. 99) – alle drei von 1769. Da ist der einleitende und abschließende Marsch; das Sinfonische im ersten Satz, mehr oder minder glänzend oder buffonesk, mit kurz angebundenen Motiven (wie in K. 99), den[245] beiden Menuetten mit kontrastierenden Trios, zwei langsamen Sätzen, in deren einem der Violino principale amourösen Gefühlen Ausdruck gibt, während das andre meist den Charakter eines Intermezzos annimmt. Es ist Salzburger Musik, von festlichem, heiterem Grundton – Orchestermusik ohne Anspruch auf großen sinfonischen Ernst, voll von Klang- und Echowirkungen. Eine lose Beziehung besteht noch zum »Gallimathias musicum«, nur ist die Vielzahl der Sätze mehr einer festen Konvention gewichen, und das Grob-Augsburgerische hat sich verwandelt in das mehr aristokratische, feinere Salzburgische. Wenn irgendwo, so lebt die Aristokratie und das bessere Bürgertum der festlichen Stadt, verklärt durch Mozart, in diesen Werken fort.
Nach der ersten Rückkehr von Italien wachsen die Dimensionen dieser Serenaden, wird ihre Besetzung noch mannigfaltiger und festlicher. Da ist eine, in D wie fast alle übrigen, vom Juni 1772 (K. 131), fälschlich Divertimento getauft, mit zwei Violen im Streicherkörper, drei Holzbläsern und vier Hörnern, konzertant gehalten, mit einem ganz unerwarteten gassenhauerhaften Kehraus im Finale:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

Etwas später werden diese Serenaden ausgesprochene Hochzeits-Musiken, festliche Sinfonik von rauschendem Charakter mit mindestens acht oder neun Sätzen: einleitender und beschließender Marsch; erster Satz; langsamer Satz umrahmt von zwei Menuetten; Finalsatz mit feierlicher Introduktion: aber in den Raum zwischen dem ersten Satz und dem ersten Menuett ist ein zweisätziges Violinkonzert eingeschoben, immer in anderer als der Haupttonart. Und manchmal sind diese Konzertintermezzi oder Intermezzokonzerte ebenso virtuos gehalten wie Mozarts eigentliche Violinkonzerte. Das erste dieser Werke ist die sogenannte Antretter-Musik, Anfang August 1773 in Wien für die Hochzeit des älteren Sohnes des Salzburger Hofkriegsrates Joh. Ernst von Antrettern geschrieben (K. 185), und in Abwesenheit des Komponisten aufgeführt. Nichts ist hier von der Unsicherheit[246] der gleichzeitig entstandenen Streichquartette: Mozart hat hier nur einer feststehenden Salzburger Tradition zu folgen. Es ist eine Sinfonik ohne Ehrgeiz, voll von melodischen Anspielungen und, wie es bei einer Hochzeit gang und gäbe war, auch erotischen Anspielungen von drastischer Deutlichkeit: – so wird das Hauptmotiv gleich des ersten Satzes dieser Serenade am Ende der Exposition in unmißverständlicher Symbolik kontrapunktiert:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

b. Divertimento, Kassation, Serenade

Die Zuhörerschaft hat für dergleichen vielleicht mehr Verständnis aufgebracht als für die »Zärtlichkeit« des Andante grazioso in A, den langsamen Hauptsatz, in dem schon »Figaro«-klänge vorausgeahnt sind:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

Immer wieder schwingt Mozart sich hinaus über das Salzburgerische, und auch dem Finale, das ein Schwesterwerk zum Finalsatz der A-dur-Sinfonie K. 201 ist, fehlt diesmal alles Zitatenhafte. Nur im Allegro des eingeschalteten Violinkonzertes scheint das Thema etwas Lokales zu enthalten, das sich unserer Deutung entzieht. Im August der Jahre 1774, 1775 und 1779 schreibt Mozart drei weitere solche Serenaden in D-dur, deren Anlaß wir nicht kennen. Niemtschek, der erste Biograph Mozarts, behauptet von der ersten, sie sei zum Namenstag des Erzbischofs Colloredo geschrieben. Aber dieser Tag fiel erst auf den 30. September,[247] und Mozart pflegte sich solcher Obliegenheiten nicht so zeitig zu entledigen – besonders nicht, wenn es sich um den verhaßten Brotherrn handelte. Es müßte denn sein, daß der Vater gedrängt hätte, dies harte Muß zeitig hinter sich zu bringen. Merkwürdig ist in dieser ersten (K. 203) die thematische Beziehung zwischen dem dazugehörigen Marsch (K. 237) und dem Andante maestoso, das das erste Allegro einleitet. Daß es sich um einen mehr repräsentativen Anlaß handeln mag als um eine Hochzeit, geht hervor aus der ernsthafteren Durchführung dieses Allegros, und aus dem Verzicht auf alle Salzburgereien; auch das eingebaute Violinkonzert, diesmal in B-dur, und in drei statt nur zwei Sätzen, ist durchaus ausgewachsen und ein richtiges Werk im Werke, keine bloße Episode. Unwillkürlich denkt man an einen ähnlichen Vorgang in der Operngeschichte: die Einschaltung einer Opera buffa oder eines »Intermezzos« zwischen die Akte einer Opera seria. Im ersten Satz des Konzerts findet sich wieder eine merkwürdige Vorahnung: der Gegensatz der geschwätzigen Interjektionen von Oboen und Bratschen zur Hauptmelodie hier, und der Gegensatz Donna Anna – Don Ottavio, und Donna Elvira – Don Giovanni im B-dur-Quartett – sogar die Tonart ist dieselbe:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

b. Divertimento, Kassation, Serenade

[248] Durch die Einschaltung dieses Konzertes in B-dur, dessen Mittelsatz, ein Menuett, in F steht, durch die Tonartenrelationen in den beiden Menuetten des »sinfonischen« Rahmens (ein Trio steht in A-dur, ein andres in d-moll), durch das G-dur des zweiten langsamen Satzes ergibt sich eine herrliche Farbigkeit – die Mozart, dem Konservativen, vielleicht zu groß erschienen ist, denn er hat gerade in diesem Andante aufs neue das Akkordmotiv des Marsches und der Introduktion eingeführt. Was für eine glückliche Zeit, da man ein solches Werk als Einheit und an der richtigen Stelle, als Gelegenbeits-Musik hören konnte! Als Musik, die allen an sie gestellten Anforderungen entsprach und sie noch übertraf! Für uns ist sie »reine Musik« im luftleeren Raum geworden.
Die Serenade vom folgenden Jahr, August 1775 (K. 204) ist einfacher in den Tonartenverhältnissen: das eingebaute Konzert steht in A-dur und hat nur zwei Sätze; doch darf der Solist im Trio des ersten Menuetts nochmals mit hohen Tönen brillieren. Der erste Satz hat keine Introduktion, aber dafür eine sehr streitbare und gefährliche Durchführung. Im übrigen hat man in diesem Werk Zeit und ist gut gelaunt, und im letzten Allegro, in dem ein Andantino mit einem Allegro alterniert, ist nichts mehr von Repräsentation zu spüren – man könnte sich sehr gut vorstellen, daß das Werk zum Abschluß eines »Pölzel-Schießens« aufgeführt worden ist. In der letzten dieser in Salzburg komponierten Serenaden (K. 320 von 1779) ist Mozart in der Tonartwahl noch vorsichtiger geworden: das eingebaute »Concertante« steht in G-dur und besteht nur aus zwei Sätzen, einem Andante grazioso und einem Rondeau; und da G-dur für dies Concertante schon verbraucht ist, steht allerdings der langsame Satz des Rahmenwerks, ein Andantino, in d-moll. Man möchte glauben, daß dies anspruchsvolle Werk doch in einer Beziehung steht zu Colloredo, denn im ersten Satz ist das Verhältnis Mozart-Erzbischof zwar nur musikalisch-symbolisch, aber doch handgreiflich-humoristisch gemalt. Das einleitende Adagio maestoso von sechs Takten kehrt in der Reprise »in tempo« wieder und kündigt mit voller Spannung ein höchst streitbares Allegro con spirito an, dessen Beginn man kaum anders klassifizieren kann[249] als einen Vorläufer des ersten Satzbeginns der Prager Sinfonie – nur noch auf »galanter«, noch nicht auf »kontrapunktischer« Grundlage. Die Streitbarkeit entwickelt sich im zweiten Thema zum vollen Gegensatz: der Erzbischof, der allem Flehen Wolfgangs ein starres Nein entgegenstellt:
b. Divertimento, Kassation, Serenade

b. Divertimento, Kassation, Serenade

Es liegt durchaus im Geiste Mozarts, den nichtsahnenden Erzbischof das anhören zu lassen und mit einem solchen Porträt an ihm ideale Rache zu nehmen; und das Porträt wird vollständig in einem der bei Mozart so seltenen Orchester-Crescendi, einem echten »Mannheimer« Crescendo, für das Mozart im allgemeinen ein viel zu vornehmer Komponist ist. Der äußerste dynamische Gegensatz spielt seine Rolle auch im folgenden Menuett. Das Concertante aber stellt in den Vordergrund diesmal nicht den Violino principale, sondern die Bläser, Flöten, Oboen, Fagotte und Hörner: sie haben sogar im Andante eine ausgedehnte und ausgeführte Kadenz und im Rondo eine kurze immerhin in erster Flöte und Oboe. Dies Concertante ist das Schwesterwerk zu der Pariser Sinfonie concertante (Anh. 9), deren Urgestalt uns verlorengegangen ist – die gleiche Besetzung, nur nicht für Bläsersolisten, sondern für Bläserpaare, und deshalb nur um so reicher und blühender. Und drei dieser Paare, ohne die Flöten, verwendet Mozart als Solisten in dem folgenden d-moll-Andantino, um in die Rahmensinfonie überzuleiten, deren homophon-kontrapunktisches Finale wiederum das der Prager Sinfonie einigermaßen vorausnimmt. In den[250] Trios des zweiten Menuetts stellen sich ein paar neue Instrumente ein: ein Flautino, das zwei Oktaven höher mit den Geigen geht, und ein Posthorn, das in höchst primitiven Akkordtönen der Sehnsucht Wolfgangs humoristischen Ausdruck gibt: der Sehnsucht, von Salzburg fortzukommen.
Erst in Wien hat Mozart nochmals sich mit einer solchen festlichen Musik befaßt: der sogenannten Haffner-Sinfonie, die er Ende Juli und Anfang August 1782 auf Verlangen seines Vaters zur Feier der Nobilitierung Sigmund Haffners in größter Eile komponierte und stückweise nach Salzburg schickte. Sie begann und endete mit einem Marsch (K. 408, Nr. 2), und das Andante war eingerahmt von zwei Menuetten, von denen das eine verloren scheint; auf eine eingebaute Sinfonia concertante ist verzichtet. Wir kennen das Werk heute nur noch in der Form als viersätzige Sinfonie, in der Form, wie Mozart selber sie, unter Hinzufügung von Flöten und Klarinetten, am 23. März 1783 in Wien aufgeführt hat. Er hatte sie vollständig aus dem Gedächtnis verloren, als er sie von Leopold zurückbekam (15. Febr. 1783): »... Die Neue Hafner Sinfonie hat mich ganz surprenirt – dann ich wußte kein Wort mehr davon; – die muß gewis guten Effect machen ...« Das tut sie in der Tat. Aber obwohl Mozart selber sie unter seine Sinfonien eingereiht hat, trägt sie trotzdem noch den Stempel ihrer Entstehung als Serenade und ist ein etwas amphibisches Werk. Nicht daß es dem ersten Satz, einem Allegro con spirito, bei allem Trompeten- und Paukenglanz an Ernst fehlte. Das herrische Kopfmotiv, das unisono einsetzt, dient zu reicher kontrapunktischer Verwebung und Kontrastierung; aber es hat etwas prunkhaftes und Betontes, es ist, als ob es immer selber auf seine Verwendbarkeit und Verwendung hinwiese. Das Andante, sehr graziös, sehr »innocente«, weist eher zurück auf die beiden Andantinos der Pariser Sinfonie als vorwärts auf das unsterblich-vollkommene der Prager, und ähnlich steht es mit dem Finalpresto. Der hervorragendste Satz ist das Menuett, das in D-dur ungefähr schon aussagt, was später das Menuett der Es-dur-Sinfonie aussagen wird: Festigkeit, Festlichkeit, Männlichkeit im Hauptteil, feinste Grazie im Trio. Die Herkunft von der Serenade, der Gegensatz zu den späteren[251] Wiener Sinfonien zeigt sich vielleicht am deutlichsten im Problem der Verwendbarkeit: die großen Wiener Werke sind Hauptstücke eines Programms, während diese Haffner-Sinfonie am besten als Anfangs- oder Schlußstück figuriert. Als solche wird sie »den besten Effekt machen«.
Quelle:
Einstein, Alfred: Mozart. Sein Charakter, sein Werk. Zürich, Stuttgart 31953, S. 230-252.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon