Mozart und das »Ewig Weibliche«

[79] Es gibt keine Biographie Mozarts, die sich nicht mit dem Kapitel »Mozart und die Frauen« zu befassen hätte, genau wie es keine Biographie Goethes oder Byrons oder Wagners geben kann, die an diesem »punctum puncti« vorübergeht. Das ist vielleicht möglich bei Kant, dem Philosophen, oder einem andern großen Mann abstrakter Wissenschaft, nicht aber bei einem großen Dramatiker. Der Dramatiker Mozart, der Gestalten geschaffen hat wie Konstanze und Blonde, Susanna und die Gräfin, Donna Anna, Donna Elvira und Zierlina, Fiordiligi und Dorabella, Pamina und Papagena, hat soviel von Frauen gewußt wie Shakespeare, und seine Tat in der Oper ist ja wirklich nur mit der Shakespeares zu vergleichen, der aus Figuren Menschen gemacht hat: ewige Gestalten, aber Gestalten voller Realität. So wie Olivia, Rosalinde, Katharina zwar noch etwas zu tun haben mit den Novellen- und Komödienfiguren der spröden Edelfrau, der verkleideten Schäferin, der bösen Sieben, die aber eben durch Shakespeare Olivia, Rosalinde, Katharina geworden sind; so etwa Susanna noch ein bißchen Colombine, aber eben nun Susanna, so lebendig und einmalig, daß wir die letzte Faser ihres Herzens kennen. Dieser Kenntnis der Frau entspricht jedoch nicht der Erfolg bei Frauen. Casanova hatte erheblichen Erfolg bei Frauen, aber seine Kenntnis der Frau, so sublim sie manchmal ist, ist doch einseitig. Byron mag viel Erfolg bei Frauen gehabt haben, trotz[79] seines Klumpfußes; aber er war ein Lord, ein romantischer Dichter, ein romantischer Held und – außerordentlich reich, zumal für Länder wie Italien, wo man damals noch Respekt vor Lords hatte. Mozart hatte keinen Klumpfuß, aber er war klein, zart, unscheinbar und arm. So sind seine Erlebnisse mit Frauen eine Kette von Unzulänglichkeiten und neue Beweise, daß er auch auf diesem Gebiet mit dem Leben nicht fertig wurde.
Als Wunderkind, in Wien, Paris, London, ist er natürlich von Frauen gehätschelt worden, und er sieht sich auch als Knabe, dessen Sinnlichkeit erwacht ist, für sein Spiel oder für eine Komposition gern durch einen Kuß von einer schönen Frau belohnt. Wenn er in Italien oder Wien ist, bleibt ihm immer eine Flamme in Salzburg zurück, an die er durch die Schwester, als Postillon d'amour und Vertraute, Botschaften und Grüße gelangen läßt. Salzburg, wo man es wie im ganzen südlichen Bayern mit dem Erotischen immer leichter und natürlicher genommen hat als im protestantischen Norden, war der richtige Ort für hundert Schäkereien, und Mozart hat später einmal selbst er klärt, daß er bereits ein hundertfältiger Ehemann wäre, wenn er jedes Mädchen hätte heiraten müssen, mit dem er einmal geschäkert habe. Das ausgiebigste Objekt für solche Schäkereien fand er 1777 in Augsburg in seiner Base, Maria Anna, der Tochter von Leopolds jüngerem Bruder Franz Alois. Das »Bäsle« kleidet sich für ihn einmal französisch, und da ist sie noch tausendmal hübscher als in Augsburger Bürgertracht. Die Neckereien werden in den berüchtigten »Bäsle-Briefen« schriftlich fortgesetzt und sind mit ihren Unflätereien und Zweideutigkeiten natürlich darauf berechnet, Erröten hervorzurufen; sie konnten sehr wohl als verkappte Liebesbriefe gelten, denn »was sich liebt, das neckt sich«. Das »Bäsle« hat sich auf seinen Vetter vermutlich auch Hoffnungen gemacht. Aber nach dem Erlebnis mit Aloisia nimmt Mozart sie zwar von München mit nach Salzburg ins Elternhaus, aber schlägt in immer seltener werdenden Briefen immer seriösere Töne an. Maria Anna Thekla hat sich dann nach süddeutscher Art resolut getröstet. Leopold Mozart, der schon vorher über seine Nichte offenbar besser Bescheid gewußt hat als Wolfgang, deutet es an in einem Brief an die Tochter (21. Febr. 1785, von Wien aus): »Die[80] Geschichte der Base in Augsburg kannst Du Dir leicht vorstellen, ein Domherr hat ihr Glück gemacht. Sobald ich Zeit habe, werde ich einen höllischen Brief von hier nach Augsburg schreiben, als hätte ich's in Wien erfahren. Das Lustigste dabei ist, daß alle die Präsente, die sie bekam und die aller Welt in die Augen fielen, alle ihr ihr Herr Onkel von Salzburg schickte. Welche Ehre für mich!« Aber warum einen »höllischen« Brief? Ein zeitgenössischer Beobachter, der Göttinger Professor August Ludwig Schlözer, der auf einer Reise nach Italien 1781/82 Augsburg berührte, hat ausgesprochen, was Leopold besser als ein anderer wußte: »Die Freiheit der meisten Bürger von Augsburg ist so wohlfeil wie die Jungfrauschaft ihrer Töchter, welche von den hiesigen Domherren jährlich dutzendweise gekauft wird.« Im Jahre 1793 gebar denn auch das »Bäsle« eine natürliche Tochter, getauft Maria Viktoria, die 1822 den in Feldkirch in Vorarlberg ansässigen Buchbinder und Nachtwächter Franz Fidelio Pümpel heiratete und 1857 starb.
Wenn das »Bäsle« jemals Aussichten bei Mozart hatte, so verlor es sie mit dem Augenblick, da er Aloisia Weber in Mannheim kennenlernte. Sie besaß alle Eigenschaften, ihn zu fesseln: Jugend – sie war damals kaum sechzehn Jahre alt –, Schönheit – sie gehörte dem schlanken, stolzen, königlichen Frauentypus an – und Musikalität: ihre Stimme und ihre Gesangskunst waren von hohem Rang, wenn auch keineswegs das aus ihr geworden ist, was Mozart in seiner verliebten Torheit von ihr erwartete. Als eine echte Kokette ist sie Mozart nur so weit entgegengekommen, als die Mutter es gestattete, und nur so lange, als in Mozart ein hoffnungsvoller Schwiegersohn zu erwarten war. Es ist bezeichnend für sie, daß sie es nicht für der Mühe wert gehalten hat, die von Paris aus an sie gerichteten Briefe Mozarts aufzubewahren; nur einer, in italienischer Sprache, mit den liebevollsten Anweisungen für ihre gesangliche Weiterbildung, hat sich wie durch Zufall erhalten. Als der Kurfürst Karl Theodor seine Residenz nach München verlegte, war es Aloisia, die das Schicksal der Familie entschied. Der Münchner Intendant Graf Seeau verpflichtete sie für die Hofoper, und im Herbst 1778 siedelte die Familie Weber, mit Ausnahme des Sohnes, nach München über, der Vater mit[81] einem Gehalt von 600 fl., die Tochter mit einem solchen von 1000. Mozart war überflüssig geworden, und Aloisia hat ihm das unmißverständlich angedeutet, als er Ende Dezember auf dem Heimweg von Paris durch München kam. Er bewahrt zwar äußere Fassung – es wird berichtet, daß er ans Klavier ging und mit einem süddeutsch derben Ausdruck, gegen den sich andere Sprachen sträuben würden, seinem Herzen Luft machte. Aber innerlich war er gebrochen. Später hat er Aloisia durchschaut und ihr sogar Unrecht getan – und er hatte Gelegenheit genug, sie aus der nächsten Nähe zu beobachten. Denn fünf Vierteljahre vor ihm, im September 1779, war auch die Webersche Familie in Wien angelangt, zu seinem Unglück; Aloisia als Sängerin an der Deutschen Oper, der Vater Fridolin als Kassabeamter im Nationaltheater. Der Vater starb wenige Wochen nach der Übersiedlung und hinterließ nichts weiter als eine kleine Truhe mit ein bißchen Wäsche – so vermochte wenigstens Mutter Weber dem Verlassenschaftsgericht weiszumachen. Aloisia war die Stütze der Familie. Und sie wurde es bald noch mehr, als sie am letzten Oktobertag 1780 in der Stefanskirche dem Hofschauspieler und Maler Joseph Lange (1751–1831) zur Frau gegeben wurde. Mozart hat völlig Unrecht, wenn er (9. Juni 1781) dem Vater erwidert, der ihm offenbar den Vorwurf gemacht hatte, er lasse wie Aloisia die eigene Familie im Stich, nachdem er ihr seine ganze Bildung verdanke: »... Daß sie mich mit Madame Lang(e) in Comparaison setzen, macht mich ganz erstaunen, und den ganzen tag war ich darüber betrübt. – Dieses Mädchen saß ihren Eltern auf dem hals als sie sich noch nichts verdienen konnte – kaum kamm die zeit wo sie sich gegen ihre Eltern dankbar bezeugen konnte – NB: (der vatter starb noch Ehe sie einen kreutzer hier eingenommen) so verließ sie ihre arme Mutter, henkte sich an einen Comödianten, heurathet ihn – und ihre Mutter hat nicht – so viel – von ihr ...« Da spricht Mutter Weber aus ihm, und Mutter Weber log, weil sie als eine dämonische Hysterica nicht anders konnte als lügen. In Wirklichkeit wurde Aloisia aus dem Hause Weber nicht ohne Gegenleistung entführt. Lange hatte sich verpflichtet, mit einem Betrag von 600 fl. jährlich zum Weberschen Haushalt beizutragen, solange er und Aloisia selber einen[82] Verdienst hätten. Das hinderte Mutter Weber nicht, gegen die Heirat zu intrigieren und den Versuch zu machen, das Brautpaar wieder auseinanderzubringen. Lange mußte an das Oberst-Hofmarschall-Amt appellieren, um den Konsens zur Eheschließung zu erhalten. Bei der Auseinandersetzung vor dem Amt hatte Lange die Generosität, die Unterstützung von 600 auf 700 Gulden zu erhöhen, und verpflichtete sich, sie seiner Schwiegermutter auf Lebenszeit auszuzahlen. Glücklich ist er mit Aloisia keineswegs geworden. Er war »ein eifersüchtiger Narr« – so bezeichnet ihn wenigstens Mozart (16. Mai 1781) – und hatte wohl Grund genug dazu, denn sie scheint auch Mozart wieder schöne Augen gemacht zu haben – »... Ich liebte sie ..., und fühle, daß sie mir noch nicht gleichgültig ist – und ein glück für mich, daß ihr Mann ein Eyfersichtiger Narr ist, und sie nirgends hinläßt, und ich sie also selten zu sehen bekomme ...« Dennoch, in den ersten Wiener Jahren, ergibt sich die Gelegenheit – 1782 und 1783 hat er vier große Arien für sie geschrieben. Dann tritt eine Pause ein, und erst im April 1788 versieht er sie wieder mit einer brillanten Arie – der letzten. Man kann aus den Arien, die er ihr zwischen 1778 und 1788 gewidmet hat, das Charakterbild ihrer Stimme und ihres Könnens genau herauslesen – oder vielmehr, was Mozart in dies Bild hineinlegte. Die Mannheimer Arien sind voll Wärme; in der Wiener denkt Mozart daneben auch noch daran, wie er der Stimme und der besonderen Gesangstechnik seiner Schwägerin Aloisia Lange dienen kann; die innere Kälte der Inhaberin dieser Stimme ist ihm bewußt.
Ja, Schwägerin Aloisia Lange, geborne Weber. Denn Mozart hat, wie männiglich bekannt, am 4. August 1782 Aloisias jüngere Schwester Konstanze geheiratet, und die Vorgeschichte dieses fatalen Datums ist für ihn zu charakteristisch, um sie nicht genauer zu erzählen. Wir haben oben angedeutet, daß Maria Cäcilia Weber für Mozart die funeste Person war, die es im Leben manches Menschen zu geben scheint, unglückbringend, aber unentrinnbar, wie die Kreuzspinne für eine arme Zimmerfliege. Die Verwandtschaft der Weberschen Familie mit Mozart, auf die Carl Maria Weber sehr stolz war, ist Mozart selber sehr teuer zu stehen gekommen.[83] Nach dem Tod ihres Mannes hatte Mutter Weber das Steuer des Familienschiffleins zielbewußt in die Hand genommen. Vier Töchter waren zu versorgen, deren jüngere zwei eben ins heiratsfähige Alter traten. Maria Cäcilia wird Zimmervermieterin. Sie verläßt die kleine Wohnung am Kohlmarkt, aus der man den Leichnam ihres Gatten herausgetragen hatte, und zieht ins »Auge Gottes« am Peter in eine größere Mietswohnung im zweiten Stock, wo sie Zimmer an junge Männer abgibt. Aloisia verläßt die mütterliche Behausung sehr bald; so bleiben noch Josefa, die älteste Tochter, Konstanze, und Sophie übrig. Der erste Mieter, der der Kreuzspinne ins Netz geht, ist, am 2. Mai 1781, Wolfgang Amadeus Mozart, mitten in seiner Auseinandersetzung mit dem Erzbischof. Eine Woche später berichtet er dem Vater ganz unbefangen: »... die alte Madame Weber war so gütig mir ihr haus zu offriren – da habe ich mein hüpsches zimmer; bin bey dienstfertigen leuten, die mir in allen, was man oft geschwind braucht, und (wenn man allein ist nicht haben kann) an die hand gehen ...« Der Vater riecht den Braten sofort und schreibt Warnung über Warnung in Briefen, die, das versteht sich von selbst, von der Witwe Mozart später vernichtet worden sind. Es hilft nichts: »... glauben sie mir sicher, daß die alte Mad: Weber eine sehr dienstfertige Frau ist, und daß ich ihr à proportion ihrer Dienstfertigkeit nicht genug entgegen erweisen kann, denn ich habe die zeit nicht dazu ...« Aber er hat Zeit genug, um mit der mittleren der drei restierenden Töchter ein bißchen zu scherzen – zu »narrieren«. Es ist Konstanze, denn Josefa ist schon ein wenig zu alt für ihn und Sophie ein wenig zu jung. Und Mutter Weber sorgt dafür, daß man in Wien – das damals und noch lange später in puncto Klatsch und Verleumdung eine Kleinstadt war – über die Verliebtheit und bevorstehende Heirat Wolfgangs mit Konstanze spricht. Zu spät gibt sie ihm den heuchlerischen Rat, auszuziehen, um diesem Geschwätz den Boden zu entziehen. Mozart befolgt ihn und verläßt die Webersche Wohnung im September 1781, aber nur, um zu täglichen Besuchen wiederzukehren. Ein paar Monate später bereits muß er den Vater, dem er seinen Verkehr mit der »Weberischen« so lange als harmlos hingestellt hatte, um seine Einwilligung zur Heirat mit Konstanze Weber bitten.
[84] Denn inzwischen hatte Mutter Weber, nachdem sie genügend für die Kompromittierung ihrer Tochter durch Mozart gesorgt zu haben glaubte, andere Saiten aufgezogen. Sie steckte sich dabei hinter einen Helfershelfer, der ihrer durchaus würdig war: Johann Thorwart, den für ihre vier Töchter vom Oberst-Hofmarschall-Amt bestellten Vormund. Dieser Thorwart hatte sich vom Kammerdiener und Coiffeur beim Fürsten Lamberg bis zum Rechnungsrevisor beim Nationaltheater aufgeschwungen – ein brutaler Emporkömmling, der als Faktotum seinen Kavalier-Intendanten, den Fürsten Franz von Orsini-Rosenberg, sozusagen in der Tasche hatte und mit dem auch Mozart rechnen mußte, wenn er irgend etwas beim Theater erreichen wollte. Er war reich geworden, offenbar dank geschickten Unterschleifen, die man ihm niemals nachweisen konnte oder wollte; wieviel ihm Maria Cäcilia für seine Mitwirkung gegeben oder versprochen hat, steht nicht fest. Jedenfalls: er spielt seine Rolle gut und tut so, als ob Mutter Weber mit der ganzen Sache nichts zu tun hätte – Mozart verdächtigt ganz zu Unrecht andere Leute, wie den Komponisten Peter Winter (22. Dez. 1781): »Dem Herrn Thorwart ... (der mich gar nicht kennt) müssen so dienstfertige und naseweise herrn wie h: Winter und ihrer mehrere allerhand Dinge von mir in die ohren geschrien haben – – daß man sich mit mir in acht nehmen müsse – daß ich nichts gewisses hätte – daß ich starcken umgang mit ihr hätte – daß ich sie vieleicht sitzen lassen würde – und das Mädchen hernach unglücklich wäre etc.: Dies kroch dem h: vormund in die nase – denn die Mutter die mich und meine Ehrlichkeit kennt, ließ es dabey bewenden, und sagte ihm nichts davon. – Denn mein ganzer umgang bestund darinn, daß ich – dort wohnte – und nachhero alle tage ins hauß kamm. – außer dem hause sah mich kein Mensch mit ihr. – Dieser lag der Mutter mit seinen vorstellungen so lange in den ohren, bis sie mir es sagte; und mich bat mit ihm selbst davon zu sprechen, er wolle die täge herkommen. – er kamm – ich redete mit ihm – das Resultat – (weil ich mich nicht so deutlich explizierte, als er es gewollt) war – daß er der Mutter sagte mir allen umgang mit ihrer tochter zu verwehren, bis ich es schriftlich mit ihm ausgemacht habe. – Die Mutter sagte, sein ganzer umgang besteht darinn[85] daß er in mein haus kömmt – und – mein haus kann ich ihm nicht verbieten – er ist ein zu guter freund – und ein freund dem ich vielle obligation habe. – ich bin zufrieden gestellt, ich traue ihm – machen sie es mit ihm aus. – er verbot mir also allen umgang mit ihr, wenn ich es nicht schriftlich mit ihm Machte. – was blieb mir also für ein Mittel übrig? – eine schriftliche legitimation zu geben, oder – das Mädchen zu lassen – wer aufrichtig und solid liebt, kann der seine geliebte verlassen? – kann die Mutter, kann die geliebte selbst nicht die abscheulichste auslegung darüber machen? – Das war mein fall, ich verfaßte die schrift also, daß ich mich verpflichte in zeit von 3 Jahren die Mademoiselle Constance Weber zu eheligen; wofern sich die ohnmöglichkeit bey mir ereignen sollte, daß ich meine gedanken ändern sollte, so solle sie alle Jahre 300 fl: von mir zu ziehen haben. – ich konnte Ja nichts leichteres in der Welt schreiben. – Denn ich wußte daß es zu der bezahlung dieser 300 fl: niemalen kommen wird – weil ich sie niemalen verlassen werde – und sollte ich so unglücklich seyn meine gedanken verrändern zu können – so würde ich recht froh seyn, wenn ich mich mit 300 fl: davon befreyen könte – und die konstanze wie ich sie kenne, würde zu Stolz seyn, um sich verkaufen zu lassen. – Was that aber das himmlische Mädchen, als der vormund weg war? sie begehrte der Mutter die schrift – sagte zu mir. – lieber Mozart! ich brauche keine schriftliche versicherung von ihnen, ich glaube Ihren Worten so: – und zerriß die schrift ...« Mit welcher Komödie des Edelmutes Konstanze den Gimpel nur fester ins Netz lockte. Thorwart hatte sein Ehrenwort gegeben, von dem ganzen Vorgang kein Sterbenswörtchen verlauten zu lassen; aber daß er (16. Jan. 1782) (»ohngeacht seines Ehren Worts) hat die ganze Sache der ganzen Stadt Wien kund gemacht, hat mir von der guten Meynung die ich von ihm gehabt vieles genommen ...« Ein bißchen schwächlich verteidigt Mozart noch die Erpresserin und ihren Komplizen: Herr von Thorwart »... hat gefehlt; – doch nicht so sehr, daß« – wie der entrüstete Leopold Mozart vorgeschlagen hatte, »er und Madame Weber in Eysen geschlagen, gassen kehren, und am halse eine tafel tragen sollten, mit den Worten: verführer der Jugend«. Aber bald gehen ihm selber über die Schwiegermutter und die[86] Schwägerinnen in spe die Augen auf. Mutter Weber versuchte zunächst, Tochter und zukünftigen Schwiegersohn zu bewegen, bei ihr Wohnung zu nehmen: – Mozart muß ihr immer mehr als vielversprechendes Ausbeutungsobjekt erschienen sein. Als sowohl Mozart wie Konstanze das ablehnten, begann sie die Tochter zu quälen, um sie bald aus dem Hause zu bringen, wobei die Schwestern getreulich assistierten. Nur Konstanze ist ein Engel. »Ich habe in keiner famille« (15. Dez. 1781) »solche ungleichheit der gemüther angetroffen wie in dieser. – Die Älteste ist eine faule, grobe, falsche Personn, die es dick hinter den ohren hat. – Die Langin ist eine falsche, schlechtdenkende Personn, und eine Coquette. – Die Jüngste – ist noch zu Jung um etwas seyn zu können. – ist nichts als ein gutes aber zu leichtsinniges geschöpf! gott möge sie vor verführung bewahren. – Die Mittelste aber, nemlich meine gute, liebe konstanze ist – die Marterin darunter, und eben deswegen vieleicht die gutherzigste, geschickteste und mit einem worte die beste darunter ...« Es kommt so weit, daß Konstanze die mütterliche Wohnung verläßt und zu einer Gönnerin Mozarts übersiedelt, der Freiin von Waldstaetten – womit dem guten Ruf Konstanzes nur wenig gedient war, denn Frau von Waldstaetten war eine höchst vorurteilslose Dame und stand selber in üblem Ruf. Mutter Weber will denn auch ihre Tochter durch die Polizei wieder ins mütterliche Heim zurückführen lassen. So bleibt nichts übrig als rasche Heirat. Am 4. August 1782 ist der verhängnisvolle Tag der Hochzeit; der Konsens des Vaters trifft symbolischerweise erst am nächsten Tage ein.
Blickt man zurück auf diese ganze unselige Geschichte von Mozarts Heirat, auf seine Hilflosigkeit, das um ihn gewobene Netz zu zerreißen, so erscheint das Verhängnis noch unbegreiflicher. Denn sonst kann Mozart sehr derb sein, wenn Weiblichkeiten auf ihn Absichten haben. Da ist die Salzburger Hofbäckerstochter mit den schönen großen Augen, »... die mit ihm beym Stern gedanzt, und ihm oft freundliche Complimente gemacht« und die »dann endlich nach Loretto ins kloster gegangen« (Leopold, 23. Okt. 1777). Als das Mädchen hört, daß Wolfgang von Salzburg fortgehe, verläßt sie das Kloster, um ihn abzuhalten – es ist die Geschichte einer hoffnungslosen[87] Liebe, die man nicht ohne Rührung sich ausmalt. Mozart antwortet (25. Okt.) sehr verlegen und zugleich frivol; man sieht, die Angelegenheit geht ihm nahe, aber er sucht sie sich aus dem Kopf zu schlagen. In seinen ersten Wiener Jahren wird er das Opfer einer neuen unglücklichen Liebe: der Klavierspielerin Josephine Aurnhammer. Die Grausamkeit ist nicht zu überbieten, mit der er sie beschreibt (22. Aug. 1781): »... wenn ein Maler den teufel recht natürlich Malen wollte, so müste er zu ihrem gesicht zuflucht nehmen. – sie ist dick wie eine bauerdirne; schwizt also daß man speien möchte; und geht so blos – daß man ordentlich lesen kann: ›ich bitte euch schauet hier her‹; das ist wahr, zu sehen ist genug; daß man blind werden möchte; aber – man ist auf den ganzen tag gestraft genug wenn sich unglückseeligerweise die augen darauf wenden – da braucht man Weinstein! – so abscheulig, schmutzig, und grauslich! – pfui teufel! – ...« Konstanze hatte eben um diese Zeit ihr Spiel bereits gewonnen.
Wer war Konstanze Weber, verehelichte Mozart? Ihr Ruhm besteht darin, daß Wolfgang Amadeus Mozart sie geliebt hat und damit in die Ewigkeit mitgenommen, so wie der Bernstein die Fliege; aber daraus folgt nicht, daß sie diese Liebe und diesen Ruhm verdient hat. Der Nekrolog Schlichtegrolls schreibt von ihr: »In Wien verheiratete er sich mit Constanza Weber und fand in ihr eine gute Mutter von zwei mit ihr erzeugten Kindern, und eine würdige Gattin, die ihn noch von manchen Torheiten und Ausschweifungen abzuhalten suchte ...« War es Scham über soviel Verdrehung der Tatsachen, die Konstanze veranlaßte, diese Stelle in der Grazer Ausgabe des Nekrologs unkenntlich zu machen? Mozart – und Torheiten und Ausschweifungen! Mozart ist mit 37 Jahren gestorben, und er hat dennoch alle Stadien des Lebens durchlaufen, nur schneller als gewöhnliche Sterbliche. Er ist mit dreißig Jahren kindlich und weise zugleich; er vereinigt höchste Schöpferkraft mit höchstem Kunstverstand; er sieht die Dinge des Lebens, und hinter die Dinge des Lebens; er kennt vor seinem Ende jenes sichere Gefühl der bevorstehenden Vollendung, das darin besteht, daß das Leben jeden Reiz verliert (aus Frankfurt, 30. Sept. 1790): »... – wenn die Leute in mein Herz sehen könnten so müßte[88] ich mich fast schämen – es ist alles kalt für mich, – eiskalt – Ja wenn du bey mir wärest da würde ich vielleicht an dem artigen Betragen der Leute gegen mich mehr Vergnügen finden – so ist es aber so leer – ...« Und noch ausgeprägter fünf Monate vor seinem Tode (7. Juli 1791): »... ich kann Dir meine Empfindung nicht erklären, es ist eine gewisse Leere – die mir halt wehe thut, – ein gewisses Sehnen, welches nie befriediget wird, folglich nie aufhört – immer fortdauert, ja von Tag zu Tag wächst ...« Es ist ganz gewiß nicht Sehnsucht nach der Gattin – wie er ihr weiszumachen sucht und vielleicht selber glaubt –, was hinter dieser »gewissen Leere«, diesem »gewissen Sehnen« steckt. Es war das Vorgefühl des Todes. Ob das Konstanze verstanden hat? In solche Regionen vermochte sie Mozart nicht zu folgen. Sie war nicht einmal eine gute Hausfrau – niemals hat sie vorgesorgt, und anstatt ihrem Gatten durch äußere Behaglichkeit das Leben und Arbeiten zu erleichtern, hat sie die Bohème dieses Lebens gedankenlos mitgemacht. Mozart hat umgekehrt durch seine zärtliche Fürsorge ihr das Leben so bequem als möglich zu machen gesucht – eine Fürsorge, deren sie allerdings durch ihre zahlreichen Schwangerschaften bedurfte; denn nicht weniger als sechs Kinder kamen zwischen dem Juni 1783 und dem Juli 1791 zur Welt, vier Jungen und zwei Mädchen, von denen nur der zweit- und der letztgeborene Sohn am Leben blieben. Mozart war durch einen sinnlichen Reiz an sie gefesselt, von dem ein paar Stellen in den letzten Briefen drastisches Zeugnis geben; andere solcher Zeugnisse sind unkenntlich gemacht oder vernichtet. Vom Vater her hatte sie ein wenig Musikalität geerbt – Mutter Weber war völlig unmusikalisch, und Mozart bemerkt einmal von ihr, als er sie in eine Aufführung der »Zauberflöte« mitnahm (Okt. 1791): »– bei der Mama wirds wohl heißen, die schaut die Oper, aber nicht die hört die Oper ...« Aber es reicht nicht weit bei Konstanze, weder mit ihrem Singen noch mit ihrem Verständnis, und es ist bezeichnend, daß Mozart keine der ihr bestimmten Kompositionen fertig gemacht hat – das wahre Urteil über Konstanzes Musikalität. Sie war vollkommen ungebildet und verfehlte gänzlich den Ton, wenn es darauf ankam. Es wäre wichtig gewesen, das Herz des künftigen Schwiegervaters und der künftigen[89] Schwägerin zu gewinnen, und so setzt sie sich am 20. April 1782 hin und schreibt unter einen Brief ihres Verlobten die folgende Nachschrift, die man buchstabengetreu hersetzen muß, um den Geisteszustand und Bildungsgrad der Verfasserin ganz zu erkennen:
»Wertheste und schätzbahreste freundin! Niemals würde ich so kühn gewesen seyn, mich so ganz gerade meinem triebe und Verlangen, an sie, wertheste freundin, zu schreiben, zu überlassen, wenn mich dero Hr. bruder nicht Versichert hätte, daß sie mir diesen schritt, welcher aus zu großer begierde mich mit einer obschon unbekannten, doch durch den namen Mozart mir sehr schätzbahren Persoñ wenigstens schriftlich zu besprechen, geschieht, nicht übel nehmen werden. – sollten sie böse werden wenn ich mich ihnen zu sagen unterstehe, daß ich sie, ohne die Ehre zu haben sie von Persoñ zu Kennen, nur ganz allein als schwester eines – ihrer so würdigen bruders, überalles Hochschätze und – liebe – und es wage – sie um Ihre freundschaft zu bitten. – ohne stolz zu seyn darf ich sagen daß ich sie halb Verdiene, ganz – werde ich mich sie zu Verdienen bestreben! – darf ich ihnen die meinige (welche ich ihnen schon längst heimlich in meinem Herzen geschenkt habe) entgegen anbieten? – o ja! ich Hoffe es. – und in dieser hofnung Verharre ich werteste und schätzbahreste freundin dero gehorsamste dienerin und freundin Constanze Weber bitte meinen handkuß an dero herren papa: –« Man mag sich Leopold vorstellen, wie er bei der Lektüre dieses diplomatischen Handschreibens die Achseln gezuckt hat. Der Leichtsinn, den Mozart bei Konstanzes jüngster Schwester zu bemerken glaubte, war bei ihr selber in genügendem Maß vorhanden – man kennt den Brief Mozarts vom 29. April 1782 – ein Vierteljahr vor der Hochzeit –, in dem er Konstanze wegen[90] ihres gedankenlosen Betragens bei einem Pfänderspiel die sanftesten und ernstesten Vorwürfe macht. »... ein kleines geständnüß ihrer dortmaligen etwas unüberlegten aufführung würde alles wieder gut gemacht haben. und – wenn sie es nicht übel nehmen, liebste freundin, – noch gut machen. – Daraus sehen sie, wie sehr ich sie liebe. – – ich brause nicht auf wie sie; – ich denke – ich überlege – und ich fühle. – fühlen sie – haben sie gefühl – so weis ich gewiß daß ich heute noch ruhig werde sagen können, die konstanze ist die Tugendhafte, Ehrliebende – vernünftige und getreue geliebte des Rechtschaffenen und für sie wohldenkenden Mozart.« Eine Briefstelle (16. April 1789), in Dresden geschrieben, genügt allein, um Mozarts ganze Sorgfalt und – Besorgtheit zu dokumentieren:
»Liebes Weibchen, ich habe eine menge bitten an dich; – 1mo bitte ich dich, daß du nicht traurig bist;
2do daß du auf deine Gesundheit achtest und der frühlingsluft nicht trauest.
3tio das du nicht alleine zu fuße – am liebsten aber – gar nicht zu fuße ausgehest.
4to daß du meiner Liebe ganz versichert seyn sollst; – keinen Brief habe ich dir noch geschrieben, wo ich nicht dein liebes Portrait vor meiner gestellt hätte.
5to et ultimo bitte ich Dich in deinen Briefen ausführlicher zu seyn. – ich möchte gerne wissen ob schwager Hofer den Tag nach meiner Abreise gekommen ist? ob er öfters kommt, so wie er mir versprochen hat; – ob die Langischen bisweilen kommen? – ob an den Portrait fortgearbeitet wird? – wie deine Lebensart ist? – lauter Dinge die mich natürlicher Weise sehr interessiren. –
6ro bitte ich Dich nicht allein auf Deine und Meine Ehre in deinen Betragen Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf den Schein; – seye nicht böse auf diese Bitte. – Du mußt mich eben dießfalls noch mehr lieben, weil ich auf Ehre halte ...« In keinem Punkte konnte Mozart sich auf Konstanze verlassen. Noch in den letzten Zeiten muß er sie, deren Wohlergehen ihm über alles geht, vor schlechter Gesellschaft warnen (Sommer 1791): »... ich bitte Dich ... ja nicht auf die Casino zu gehen; 1mo ist diese Compagnie – Du verstehst mich wohl – und[91] 2do tanzen könntest Du ohnedies nicht, und zuschauen? – das läßt besser wenn's Mannerl dabey ist ...« Die stärksten und zugleich zärtlichsten Warnungen enthält ein nur noch in Abschrift und mit einigen Auslassungen erhaltener Brief von Mitte August 1789. Nicht einmal ihrer ehelichen Treue ist er durchaus sicher, und in diesem Zusammenhang gewinnt eine anekdotische Überlieferung volle Glaubwürdigkeit und weniger harmlose Deutung (cf. H. Rollet, Mozart und Baden, Mozarteums-Mitteilungen II, 4; Aug. 1920):
»Im Sommer 1791 gebrauchte der junge Lieutenant v. Malfatti im nahen Baden die Cur, um sich von den Wunden des letzten Türkenkrieges völlig auszuheilen; und da er lahmte, war er genöthigt, den größten Theil des Tages in seinem Parterrezimmer zuzubringen. Da saß er denn am Fenster und las, und schielte dabei oft genug über das Buch weg zu der schlanken, schwarzlockigen jungen Frau, die gegenüber parterre ebenfalls ein Fremdenlogis bewohnte. Eines Tages, es war gegen Abend, sieht er einen kleinen Mann an jenes Haus heranschleichen, sich behutsam nach allen Seiten umschauen und dann Miene machen, in das Fenster der Dame einzusteigen. Schnell humpelt der Herr Lieutenant zum Schutz seines hübschen vis-à-vis herbei und faßt den kleinen Mann an der Schulter: ›Was will der Herr da? Da ist nicht die Thür!‹ – ›Nun, ich werde doch zu meiner Frau hineinsteigen dürfen‹, lautete die Antwort. Es war – Mozart, der wohl unerwartet von Wien herübergekommen war, um sein ›Stanzerl‹ zu besuchen, und sie nun nach seiner Weise doppelt überraschen wollte, wenn er Abends, wo sie vom Curspaziergang nach Hause kam, schon in ihrem Zimmer saß, ohne daß jemand von ihm wußte.« Es steckt viel zwischen den Zeilen, wenn er (25. Juni 1791) Konstanze ins Bad schreibt: »... – traue dem Baade nicht! – schlafe auch mehr – nicht so unordentlich! – sonst ist mir bange – ein bischen bange ist mir schon ...« »... ein bißchen bange ist mir schon.« Die würdige Gattin hat es so hinzudrehen verstanden, als ob sie ihrem Gatten seine »Stubenmädeleien« oder Eskapaden lächelnd nachzusehen gehabt hätte. Nicht das geringste davon ist erwiesen. Nicht einmal die sogenannte Hofdemel-Affäre liefert einen Beweis gegen Mozart. Der Justizkanzlist[92] Franz Hofdemel, vorher Privatsekretär eines Grafen Seilern, war ein Logenbruder Mozarts; er war verheiratet mit der Tochter des Kapellmeisters Gotthard Pokorny, Magdalene, der Mozart Unterricht gab. Hofdemel gehörte zu den Gläubigern Mozarts; Mozart hatte ihn mehrmals um Darlehen angesprochen, wovon ein erhaltener Brief (April 1789) Kunde gibt, in dem Mozart auf die baldige Einführung Hofdemels in die Loge anspielt. Fünf Tage nach Mozarts Tod beging er einen Mordversuch an seiner Frau, die guter Hoffnung war, indem er ihr mit einem Rasiermesser Schnittwunden im Gesicht und am Hals beibrachte, worauf er Selbstmord verübte. Man schrieb die Tat einem Anfall von Eifersucht zu – aber es gibt auch Fälle von unbegründeter Eifersucht. Die Witwe erhielt von Kaiser Leopold eine Unterstützung von 560 Gulden; der öffentliche Skandal veranlaßte sie, zu ihrem Vater nach Brünn zu ziehen, wo sie einen Knaben auf die Welt setzte, Johann, Alexander, Franz. Ob der Junge ein Kind Mozarts oder Hofdemels war, steht dahin – sinnigerweise trug er die Namen sowohl Johann Wolfgang Amadeus' wie Franzens.
Die einzige Frau, gegen die Konstanze begründete Eifersucht hätte hegen können, eine Frau, die mehr als Mozarts Sinne in Anspruch nahm, war Anna (Nancy) Selina Storace, seine erste Susanne. Sie war geboren (1766) in London, ihr Vater Italiener, der Kontrabassist Stefano Storace, ihre Mutter Engländerin; ihr Bruder Stephen ein Kompositionsschüler Mozarts und keineswegs ein unwürdiger, wie seine allerliebsten Buffo-Opern beweisen. Sie studierte Gesang unter Rauzzini und ging dann nach Italien, wo sie am Ospedaletto in Venedig sich im Gesang noch vervollkommnete. Seit 1780 sang sie öffentlich in Florenz, Parma, Mailand und kam 1783 nach Wien. Ihr eheliches Schicksal ähnelte dem Mozarts: 1784 beging sie die Dummheit, ihren um zweiundzwanzig Jahre älteren Landsmann John Abraham Fisher zu heiraten – Geiger, Komponist und Bachelor and Doctor of Music of Oxford, der damals (1784) auf einer Kunstreise Wien berührte. Er mißhandelte sie so, daß der erzürnte Kaiser ihn aus den kaiserlichen Gebieten hinauswies; Anna Selina nahm ihren Mädchennamen wieder an und hat in der Heimat ihre Ehe zeitlebens streng verheimlicht. Mozart und[93] sie müssen sich in tiefem Einverständnis zusammengefunden haben. Sie war schön, liebenswert, eine Künstlerin und vollendete Sängerin – ihr Gehalt an der Italienischen Oper in Wien von damals unerhörter Höhe. Die Szene und Arie »Ch'io mi scordi di te« K. 505 für Sopran, obligates Klavier und Orchester ist ihr gewidmet: »Für Mselle Storace und mich« heißt es im Thematischen Index Mozarts; »Composto per la Sig.ra Storace dal suo Servo ed amico W.A. Mozart Vienna li 26 di dicembre 1786« auf dem Autograph. Es ist ein begleitetes Duett zwischen Singstimme und Klavier, eine Liebeserklärung in Tönen, die Verklärung eines Verhältnisses, das keine Verwirklichung finden konnte, in einer idealen Sphäre. Glücklicherweise hatte Konstanze für dergleichen keine Ohren. Mit der Storace, ihrem Bruder und dem Tenoristen Michael Kelly plante Mozart 1787 die Reise nach London, die ihm durch den Vater (wie erwähnt) vereitelt wurde. Aber er blieb brieflich mit Anna Selina in Verbindung. Was aus diesen Briefen geworden ist, ist ein Geheimnis: Anna Selina hat sie sicherlich als einen Schatz gehütet, aber vielleicht vor ihrem Tod – sie starb 1817 in Dulwich – vernichtet, als nicht bestimmt für profane Augen.
Konstanzes Verhalten bei dem und nach dem Tod Mozarts ist oft, mehr oder minder sanft, gerügt worden. Sie war krank, fassungslos und konnte nicht verhindern, daß Mozarts »Gönner«, der Kaiserliche Hofbibliothekar Gottfried van Swieten, aus Sparsamkeitsgründen den armen Leichnam in einer Massengrube verscharren ließ. Hinterher konnte sie das Grab ihres Mannes weder mehr besuchen noch schmücken oder mit einem Denkstein versehen, was man ihr törichterweise ebenfalls zum Vorwurf gemacht hat, weil dies Grab eben unauffindbar geworden war. Erst nach Jahren – 1808 oder 1809 – ist sie einmal nach dem Friedhof von St. Marx hinausgefahren, um die Stätte zu suchen, wobei sie erfuhr, daß Massengräber nur sieben Jahre intakt gelassen würden. Am Todestag ihres Gatten schrieb sie in sein Stammbuch, unter eine Eintragung Mozarts für seinen Freund Barisani: »Was Du einst auf diesem Blatte an Deinen Freund (Dr. med. Sigmund Barisani) schriebst, eben dieses schreibe nun ich tiefgebeugt an Dich, vielgeliebter Gatte! Mir und ganz Europa[94] unvergeßlicher Mozart – auch Dir ist nun wohl, – auf ewig wohl!!«
Um 1 Uhr nach Mitternacht vom 4ten zum 5ten Dezember dieses Jahres verließ er in seinem 36ten Jahre – O! nur allzufrühe – diese gute – aber undanckbare Welt – O Gott – 8 Jahre knüpfte uns das zärtlichste, hienieden unzertrennliche Band! O! könnte bald auf ewig mit Dir verbunden seyn Deine äußerst betrübte Gattin Constance Mozart née Weber Ich bezweifle nicht das Datum 5. Dezember, wohl aber die Jahreszahl 1791. Die Eintragung ist viel später erfolgt. Konstanze hatte damals keine Ahnung, daß ihr Gatte »ganz Europa unvergeßlich« sei. Erst sein wachsender Weltruhm ließ in ihr allmählich die Erkenntnis dämmern, wer der Mann gewesen war, der sie dereinst aus dem »Auge Gottes« entführt und neben dem sie neun oder zehn Jahre gelebt hatte. Am meisten trug zu dieser Erkenntnis der wachsende materielle Wert der ungedruckten Handschriften Mozarts bei, deren sie noch eine Menge besaß – von den über 600 Werken Mozarts waren ja nicht mehr als etwa 70 zu seinen Lebzeiten veröffentlicht worden – und die sie deshalb auch sorgfältig zusammenhielt. Damit könnten wir Abschied nehmen von Konstanze Mozart. Aber es bedarf noch einiger freundlicher Worte für sie. Denn nach Mozarts Tod erst kamen bei ihr einige bessere Eigenschaften zum vorschein, darunter, tragikomischerweise, sogar ein angeborner und ausgeprägter Geschäftssinn, der ihr zu Lebzeiten Mozarts völlig gemangelt hatte. Sie verkauft, ein paar Wochen nach seinem Tod, acht Handschriften Mozarts an den König von Preußen um 800 Dukaten, das sind ungefähr 360 Pfund Sterling; sie veranstaltet Konzerte zu Mozarts Gedächtnis und zu ihrem Benefiz; sie verhandelt einige Werke Mozarts. Wie dereinst ihre Mutter, begann sie einen Teil ihrer Wohnung an Junggesellen zu vermieten. Dabei gewann sie als Zimmerherren den dänischen Legationsrat Georg Nikolaus von Nissen, geb. 1761, einen Bewunderer Mozarts. Er wurde ihr Freund und Berater – alle Briefe, die sich um den Verkauf von Mozarts handschriftlichem Nachlaß an den Offenbacher Verleger[95] André drehen, sind von Nissen veranlaßt und stilisiert. Als Nissen 1809 nach Kopenhagen zurückberufen wurde, gab er seinem Verhältnis zu Konstanze die Legitimierung – fortan zeichnet sie in ihren Briefen als »Constanze Etatsräthin von Nissen gewesene Wittwe Mozart«. Unter Nissens Einfluß wird sie sogar eine gute Mutter für ihre beiden Söhne Karl Thomas und Wolfgang Amadeus, von denen der jüngere einiges Talent vom Vater geerbt zu haben scheint. Zehn Jahre, 1810 bis 1820, lebt sie mit Nissen in Kopenhagen; dann zieht, seltsamerweise, das Paar nach Mozarts Geburtsort, da Nissen sich in der Nähe von Bad Gastein anzusiedeln und wohl auch den Quellen von Mozarts Jugendgeschichte näherzukommen wünscht. Konstanze bleibt in Salzburg auch nach Nissens Tod (1826), und so leben in Salzburg zu gleicher Zeit zwei alte Frauen, die in ihrer Jugend Wolfgang Amadeus am nächsten gestanden: seine Schwester Marianne und seine Gattin Konstanze, ohne jeden näheren Verkehr zu pflegen. 1828 hat dann Konstanze die von Nissen vorbereitete erste große Biographie herausgegeben. Sie gibt von Mozarts Größe nur einen konventionellen Begriff, beschränkt sich aufs Biographische und ist auch hierin nicht frei von Verschweigungen, Unterschlagungen, ja Fälschungen. Aber sie war die erste und ist auch heute noch nicht ganz ohne Wert, da sie manche Dokumente enthält, die inzwischen unauffindbar geworden sind. Nach Nissens Tod nahm Konstanze ihre jüngere Schwester Sophie Haibel zu sich, die ebenfalls Witwe geworden war, und schließlich verbrachte auch Aloisia Lange ihre letzten Tage in Salzburg. Aus dieser Gesellschaft von Gespenstern ist Konstanze am 6. März 1842 geschieden; sie hat Mozart fünfzig Jahre überlebt. Eine Reihe von Briefen, vornehmlich an die Söhne, ist erhalten, auch ein in den Jahren zwischen 1824 und 1837 geführtes Tagebuch. Die Briefe spiegeln meist die Ansichten Nissens wider; sie sind bürgerlich und unbedeutend, nirgends ein Wort des Geistes, der Hochherzigkeit, des Humors. In den Tagebüchern wechselt Geschäftsgeist mit Platitüden. Wie dereinst in Baden bei Wien, so badet Konstanze jetzt mit Behagen in Gastein: »Heute als am 18. Sept. 1829 hatte ich das Glück zum 7 mahle zu Baden vorher nahm ich meinen Caffee wie gewöhnlich um 1/26 uhr[96] nach dem ich geschicht und Mund gewaschen hatte ging ich um Herrn Rösiger im Bade zu besuchen, fand aber statt ihm einen Fremden, der von London komment mir viel von dort erzählte und mir Briefe dahin überbringen will. Wie er heißt weiß ich noch nicht. Ein sehr artiger Mann. Dan gieng auf mein zimmer richtete meine Badwasche und als das Bad leer war gieng ich mit Mona hinein ließ sie eine gute 1/4 stunde mit mir baden, ich blieb aber eine volle stunde, nachdem wieder ins Bette ein wenig auszuruhen nahm eine halbe tasse Kamillen Suppe und nun saß ich hier dies alles aufzuschreiben, so eben kömmt Dr. Stork der mich gott lob und danck wohl fand so viel bis 11 uhr, das weitere komt nach – um 1/212 gieng ich vors Hauß um ein wenig spazieren zu gehen ...«
Quelle:
Einstein, Alfred: Mozart. Sein Charakter, sein Werk. Zürich, Stuttgart 31953, S. 79-97.
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