3. Orgelsachen

III. Orgelsachen.

[59] Das Pedal ist ein wesentliches Stück der Orgel; durch dieses allein wird sie über alle andere Instrumente erhoben, indem das Prachtvolle, Große und Majestätische derselben davon abhängt. Ohne Pedal ist dieses große Instrument nicht mehr groß, sondern nähert sich den kleinen Positiven, die in den Augen des Kenners keinen Werth haben. Aber die große, mit dem Pedal versehene Orgel muß so behandelt werden, daß ihr Umfang erschöpft wird, das heißt: der Spieler und Componist muß alles von ihr fordern, was sie leisten kann. Noch Niemand hat dieß mehr gethan, als J.S. Bach, nicht bloß durch seine reiche, dem Instrumente angemessene Melodie und Harmonie, sondern auch dadurch, daß er dem Pedal seine eigene Stimme gab. Dieß that er schon in seinen frühern Compositionen. Er wurde aber dieser Art von Behandlung des Pedals erst mit der Zeit recht mächtig, so daß seine ganz vollendeten Meisterstücke hierin ebenfalls erst in den Zeitpunct fallen, in welchem seine Clavierarbeiten anfingen, Meisterwerke zu werden. Seiner Vorarbeiten, durch welche er zu diesem Ziel gelangen mußte, sind eine große Menge in der Welt verbreitet. Sobald ein Künstler anfängt, sich auszuzeichnen, will jedermann etwas von ihm besitzen. Ehe er aber seine Laufbahn ganz vollenden kann, ist die Neugierde des Publicum's gewöhnlich schon gestillt, besonders wenn er sich durch ungewöhnliche Vervollkommnung von den Begriffen desselben allzusehr entfernt. Dieß scheint mit Bach der Fall gewesen zu seyn. Daher kommt es, daß gerade seine vollendetsten Werke weit weniger verbreitet sind, als seine frühern Vorübungen. Da diese letztern auf keine Weise in einer kritischcorrecten Ausgabe seiner Werke aufgenommen werden können, so verzeichne ich auch hier nur diejenigen Werke, welchen eine solche Aufnahme gebührt, so wie ich in den vorhergehenden Artikeln gethan habe.

Die besten Orgelcompositionen Joh. Seb. Bachs theilen sich demnach in drey Classen, in welchen enthalten sind:

1) Große Präludien und Fugen mit obligatem Pedal. Die Anzahl derselben läßt sich nicht genau bestimmen; doch glaube ich, daß sie nicht über ein Dutzend steigen wird.[59] Wenigstens habe ich mit allen meinen vieljährigen Nachforschungen an den besten Quellen ihrer nicht mehr als 12 zusammen bringen können, deren Themata ich hier verzeichnen will. (Fig. 16.) Zu diesen setze ich noch eine sehr kunstreich gearbeitete Passacaglia (Fig. 17.), die aber mehr für zwey Claviere und Pedal als für die Orgel ist.

2) Vorspiele über die Melodien verschiedener Choralgesänge. Schon in Arnstadt fing Bach an, solche Choräle mit Variationen unter dem Titel: Partite diverse auszuarbeiten. Sie konnten aber meistens mit dem bloßen Manual gespielt werden. Diejenigen, von welchen hier die Rede ist, erfordern hingegen nothwendig das obligate Pedal. Ihre Zahl mag wohl an 100 hinansteigen; wenigstens besitze ich selbst ihrer mehr als 70, und weiß, daß hier und dort noch mehrere derselben vorhanden sind. Man kann nichts würdigeres, erhabeneres und heiligeres hören, als diese Vorspiele. Sie können aber hier nicht verzeichnet werden, weil ihrer zu viele sind. Außer diesen größern Vorspielen hat man noch eine große Menge kürzere und leichtere, die ebenfalls bloß in Abschriften verbreitet und für angehende Organisten bestimmt sind.

3) Sechs Sonaten oder Trio für zwey Claviere mit dem obligaten Pedal. Bach hat sie für seinen ältesten Sohn, Wilh. Friedemann, aufgesetzt, welcher sich damit zu dem großen Orgelspieler vorbereiten mußte, der er nachher geworden ist. Man kann von ihrer Schönheit nicht genug sagen. Sie sind in dem reifsten Alter des Verfassers gemacht, und können als das Hauptwerk desselben in dieser Art angesehen werden. Die Themata derselben s. Fig. 18. Mehrere einzelne, die noch hier und da verbreitet sind, können ebenfalls schön genannt werden, ob sie gleich nicht an die erst genannten reichen.

Quelle:
Forkel, Johann Nikolaus: Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig 1802 (Nachdruck Frankfurt am Main 1950), S. 59-60.
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