XIII.

Karlsruhe und Wien.

[316] Karlsruhe. – Wien: ›Lohengrin‹. – ›Tristan und Isolde‹ für Wien bestimmt. – Liszt in Paris. – Dauernde Trennung von Minna, Auflösung der Pariser Häuslichkeit. – Vierzehn Tage im Hotel Pourtalès. – Weimarer Tonkünstler-Versammlung. – Wien: Aufschub der ›Tristan‹-Proben. – Hebbel, Laube etc. – Dr. Standhartner. – Privataudition von ›Tristan‹-Fragmenten für die Fürstin Metternich. – ›Tristan‹ auf bessere Zeiten vertagt.


Mitten unter dem Wüten des entsetzlichsten Mißerfolges fühlte ich mich wie von einer verderblichen Störung befreit, die mich auf meinem wahren Wege aufgehalten hatte.

Richard Wagner.


Das ganze Pariser, ›Tannhäuser‹-Unternehmen, mit allem was ihm voranging und was es herbeiführte, war kein, sozusagen, organischer Schritt in dem Lebensplane des Meisters. Es war ihm bloß durch die Not und durch äußere Berechnungen eines daraus zu gewinnenden Vorteils aufgedrängt. In diesem Sinne hatte er wohl vermeint, eine Fügung der Vorsehung darin zu erkennen, und sich der Strömung nicht widersetzt, in die er mehr durch den Rat seiner Freunde, als durch eignen Willen geraten war (S. 259). Hätte sich statt dessen, wie es ihm immer vorschwebte, etwa durch eine Vereinigung eben derselben einflußreichen Personen, mindestens für die nächsten entscheidenden Jahre seines Schaffens, eine Subvention für ihn gefunden, hinreichend, um ihm die ruhige Förderung seiner Arbeiten nebst einer sonstigen Freiheit der Bewegung zu gestatten, – man hätte ihm und sich selbst viele Mühen und Aufregungen gespart. Man wünschte dem Außerordentlichen auf einem mehr gewohnten und gewöhnlichen Wege zu helfen, indem man dem ›dramatischen Komponisten‹ die regelmäßigen Vorteile des glänzendsten Theaterinstitutes Europas zudachte, – als wären diese nicht bereits in festen Händen, die sie mit kalter Berechnung und dem Aufgebot aller Hilfstruppen gegen einen längst erwarteten Angriff zu verteidigen wußten. Wie bald hatte er es bedauern müssen, sich auf ein derartiges Unternehmen mit all seinen Konsequenzen eingelassen zu haben! Was konnte ihm an der [316] Verpflanzung seines älteren Werkes auf die Pariser Bühne gelegen sein? So war ihm daraus nur ein ›tief zerstreuendes Lebensjahr‹ erwachsen, das ihn von seinen eigentlichen Zielen ablenkte. Während er mit einem großen Erfolge seines Werkes, wäre ein solcher auf diesem Boden selbst auch nur möglich gewesen, nicht eigentlich gewußt hätte, was anfangen, fühlte er sich ›mitten unter dem Wüten des entsetzlichsten Mißerfolges wie von einer verderblichen Störung befreit, die ihn bis dahin auf seinem wahren Wege aufgehalten.‹

Noch eine letzte Versuchung von dieser Seite her trat an ihn heran. Er vernahm, daß, ungeachtet seiner offiziellen Zurückziehung der Partitur, die Administration der großen Oper dennoch für den 12. April eine vierte Vorstellung seines Werkes vorbereite. ›Tannhäuser‹ war an einem Mittwoch und einem Montag aufgeführt worden (die letzte Vorstellung, am Sonntag, fand, wie erwähnt, außerhalb des Abonnements statt); es waren demnach die Mittwochs- und Montagsabonnenten befriedigt worden, die Freitagsabonnenten aber hatten ihn nicht gehört, und verlangten dringend die ihnen gebührende Vorstellung. Da richtete er, ohne zu zaudern, folgendes Schreiben an den Minister: ›Geehrter Herr Graf! Indem ich meine Partitur zurückzog, habe ich das einzige, in meiner Macht liegende Mittel ergriffen, um mein Werk und die Künstler, die dasselbe durch ihr Talent förderten, nicht länger Kundgebungen auszusetzen, deren Heftigkeit die Grenzen der gewöhnlichen Kritik überschritt und in einen Skandal ausartete, gegen welchen die Administration das zum Hören und Urteilen gekommene Publikum zu schützen ohnmächtig war. Ich vernehme, daß auf Anordnung Ew. Exzellenz eine Vorstellung für Freitag anberaumt wurde. Angesichts dieser Maßregel glaube ich neuerdings protestieren und mir das Recht vorbehalten zu sollen, Denen, die meine Musik lieben, sowohl als Jenen, die sie nicht lieben, zu sagen, daß diese Vorstellung gegen meinen klar formulierten Willen stattfindet.‹ Infolgedessen unterblieb die beabsichtigte Aufführung.1

Jener ›wahre Weg‹ führte ihn nun zunächst nach Karlsruhe, um sich daselbst mit dem, ihm stets freundlich gewogen gebliebenen Großherzog Friedrich über die neuerdings wieder in Gang gebrachte Angelegenheit einer dortigen Aufführung seines ›Tristan und Isolde‹ ins Einvernehmen zu setzen. Er kehrte damit genau auf den Punkt zurück, auf welchem er bereits vor bald zwei Jahren, gleich nach Vollendung seines Werkes gestanden. Damals war das Unternehmen an der Unmöglichkeit gescheitert, seine persönliche Anwesenheit und Mitwirkung an der Aufführung gegen die politischen Schwierigkeiten [317] durchzusetzen, welche beiden noch im Wege standen; nun war es merkwürdigerweise Paris gewesen, das ihm durch die dort gewonnenen Beziehungen zur Wiedererschließung Deutschlands verholfen. Die erneute Anknüpfung war durch Bülow vermittelt, der sich sogleich nach der ersten Pariser ›Tannhäuser‹-Aufführung auf eine Woche nach Karlsruhe verfügte, um ›am Hofe zu diplomatisieren.‹2 Es war in der zweiten Hälfte des April 1861, daß sich Wagner nach der badischen Hauptstadt begab. Hoffnungsvoll und ermutigend war die Unterredung mit seinem jungen fürstlichen Gönner: ihr nächstes Ergebnis die bestimmte Zusicherung einer ersten Aufführung seines Werkes am bevorstehenden 9. September – dem fünfunddreißigsten Geburtstage des Großherzogs.3 Dabei war es eine ganz eigenartige, fast dämonisch tückische Fügung seines Schicksals, daß er gerade jetzt das Schnorrsche Sängerpaar, das ihm noch vor zwei Jahren zu Gebote gestanden haben würde, nicht mehr an seinem früheren Wirkungskreis antraf. Der Ruf des jungen Sängers hatte sich so schnell verbreitet, daß diesem zu gleicher Zeit durch Meyerbeer für Berlin die glänzendsten Aussichten gestellt und auch von Dresden aus durch Lüttichau die Aufforderung zugegangen war, mit der dortigen Hofbühne ganz ohne vorheriges Gastspiel ein vorteilhaftes Engagement abzuschließen. Was der Antrag des kgl. preußischen Generalmusikdirektors nicht vermocht, bewirkte der Wunsch und das Verlangen, in unmittelbarer Nähe seiner in Dresden ansässigen Eltern zu leben. So war Schnorr schon im Jahre 1860 nach der sächsischen Residenz übergesiedelt, wo es ihm bald glückte, das durch Tichatscheks Leistungen verwöhnte Publikum für sich zu gewinnen. Zwar erklärte sich die Karlsruher Direktion bereit, für die Partie des ›Tristan‹ mit ihm in Unterhandlung zu treten, doch war der Meister selbst, nach den ihm schon seit Jahren zugegangenen Nachrichten über dessen körperliche Erscheinung (S. 220) gegen das Anerbot fast widerwillig gestimmt. Er wollte den Sänger gar nicht persönlich kennen lernen, aus Furcht, das durch sein Leiden hervorgerufene Groteske seiner Gestalt möchte ihn bis zur Unempfindlichkeit gegen seine wirkliche künstlerische Begabung einnehmen. Zudem war eine solche persönliche Bekanntschaft schon dadurch erschwert, daß der Besuch von Dresden ihm damals noch nicht gestattet war. Hingegen gewährte die huldreiche Geneigtheit seines edlen Gönners ihm die volle Freiheit, sich von auswärts nach seinem Bedürfen und Ermessen die Darsteller auszusuchen, die man [318] zu einer musterhaften Aufführung seines Werkes nach Karlsruhe berufen könnte.4 Natürlich war unter diesen Umständen, da er nun doch an eine dauernde persönliche Niederlassung im Vaterlande wieder zu denken hatte, zunächst Karlsruhe als der Ort dafür ins Auge gefaßt.5 Mit dem Vorsatz, die Gesangskräfte der verschiedenen deutschen Bühnen demnächst einer Revision zu unterziehen, kehrte der Meister am 25. April befriedigt nach Paris zurück. Insbesondere faßte er Wien in das Auge, dessen Hofoper unter Essers energischer Leitung (ungeachtet der offiziellen artistischen Beiratschaft eines seiner bissigsten und erbittertsten Gegner, des Herrn Ed. Hanslick), in den letzten drei Jahren ein zunehmendes Interesse für seine Werke an den Tag gelegt, und wo er u.a. in der bisherigen Darstellerin seiner Elsa und Elisabeth, der Frau Luise Meyer-Dustmann, seine zukünftige Isolde zu treffen vermutete

Um die gleiche Zeit wurde von dem ständischen Theater zu Prag durch den dortigen Direktor Thome die Anfrage an ihn gerichtet, ob er geneigt wäre, den ersten Teil seines Nibelungenwerkes, das ›Rheingold‹, zur Einzelaufführung für die festliche Opernvorstellung zu bewilligen, welche am bevorstehenden 21. August, zur Feier der Krönung Sr. Majestät des Königs von Böhmen veranstaltet werden sollte. Mit der Anfrage war das Gesuch an den Meister verbunden, persönlich die Darstellung zu leiten. Dieser Aufforderung standen nun freilich Hindernisse jeder Art entgegen. Gegen die abgetrennte Aufführung eines einzelnen Teiles seines großen Werkes, an dessen Vollendung er in so empfindlicher Weise gehindert worden war, hatte er von je die größte Abneigung empfunden. Einzig die offene Verzweiflung daran, die Verwirklichung seines ungeheuren Planes selbst noch zu erleben, konnte ihn mit dem Gedanken daran vertraut machen, die einzelnen Bausteine des geplanten Ganzen der Welt im voraus zu zeigen und z.B. die Dichtung, welche er einst nur in wenigen Exemplaren den vertrautesten Freunden bekannt gemacht, nun als solche der literarischen Öffentlichkeit preiszugeben.6 Sollte er sich nun auch wirklich dazu entschließen müssen, die bereits vollendeten Teile als abgesonderte Bruchstücke den deutschen Theatern anzuvertrauen,[319] so konnte dies nur auf Grund einer, in allen Einzelheiten von ihm selbst geleiteten, bis in jedes geringste szenische oder orchestrale Erfordernis von ihm angeordneten Musteraufführung geschehen. Verständigerweise hatte denn auch der Prager Antrag seine besondere Einladung zu diesem Zwecke mit eingeschlossen. Nun war aber gerade diese wesentliche Mitwirkung und Oberleitung durch die gleichzeitig beabsichtigte Karlsruher ›Tristan‹-Aufführung unmöglich gemacht, und damit dem Plane der Boden entzogen. Das Antwortschreiben Wagners, datiert: Paris, den 25. April, mußte daher die an ihn ergangene Aufforderung ablehnen. Es ist nicht direkt an Thomé, sondern an Franz Apt in Prag gerichtet. ›Herr Direktor Thomé‹, heißt es darin, ›rührt mich sehr durch seinen Eifer, meine neuen Werke zuerst geben zu wollen. Leider verkennt er nur die ungemeinen Schwierigkeiten und die Bedingungen, die ich notwendig für die Möglichkeit einer ersten Aufführung festhalten muß. Ich gedenke im September unter Mitwirkung der von mir auszuwählenden vorzüglichsten Sänger Deutschlands eine Muster-Aufführung des »Tristan« zustande zu bringen, und hoffe nächstes Jahr ein gleiches mit dem »Rheingold« ausführen zu können. Nach diesen Musteraufführungen werden meine Werke zunächst denjenigen Theatern angehören können, deren technische Leiter und Vorstände an diesen Aufführungen, bei persönlicher Gegenwart, das Modell genommen haben. Eher ist es mir nicht möglich, in anderweitige Aufführungen zu willigen. Ich hoffe, Herr Thomé findet sich durch diese Erklärung, da sie ein von mir festgehaltenes, allgemeines Prinzip betrifft, nicht zurückgesetzt.‹

Was den Meister mit seiner Abreise nach Wien noch um einige Wochen zögern ließ, war die Hoffnung, jetzt endlich, nach fünfjähriger Trennung, dem so lange von ihm entfernt gehaltenen Weimarer Freunde von Angesicht zu Angesicht wieder zu begegnen.7 Er wartete von Tag zu Tag, und selbst über den anfänglich zur Abreise bestimmten Termin hinaus, ohne ihn doch erwarten zu können, und mußte ihm am Ende zu seiner Begrüßung nur ein paar geschriebene Zeilen hinterlassen.8 Am Donnerstag, den 9. Mai, traf er in Wien ein, das er seit jenen fröhlichen Jugendtagen des Sommers 1831,9 also genau vor dreißig Jahren, und dann wieder seit den hochgehenden Bewegungen des Sturmjahres 184810 nicht wieder gesehen. Sein Empfang daselbst war in vieler Hinsicht bedeutsam und erfreulich.

[320] Zur Feier der persönlichen Gegenwart des Meisters, und um ihm zugleich die Kräfte der Hofoper in einem möglichst günstigen Lichte zu zeigen, war eine festliche Aufführung des ›Lohengrin‹ bestimmt. Wien ward damit die beneidenswerte Ehre zuteil, ihm sein eigenes Werk zum ersten Male zu Gehör zu bringen. Zwei Tage nach seiner Ankunft, am Samstag d. 11. Mai vormit tags, wohnte er einer Theaterprobe bei, welcher tags darauf, am 12., die Aufführung folgen sollte. Obwohl die Oper bereits häufig gegeben war, fand sich das ganze Personal doch, wie es Wagner gewünscht hatte, zu einer vollständigen Generalprobe ein. Direktor Salvi, seit einem Jahr der Nachfolger Karl Eckerts, führte den Gefeierten auf die Bühne; bei seinem Erscheinen wurde er von dem gesamten Sänger- und Orchesterpersonale mit stürmisch herzlicher Begeisterung begrüßt. Er trat an die Rampe und drückte in wenigen Worten seinen Dank für die freundliche Aufnahme aus; dann eröffnete Esser die förmliche Generalprobe. Das Orchester trug sogleich das Vorspiel mit so schöner Wärme vor, daß der Meister, von dem augenblicklichen Eindruck überwältigt, jede Neigung zur Kritik der Gesamtleistung verlor. Das ganze Personal des Theaters, namentlich Chor und Orchester, machte die größten Anstrengungen, dem Komponisten gegenüber ihre Aufgabe möglichst würdig zu lösen; die Stimmen der Sänger und manche ihrer Eigenschaften traten bei der Ausführung des ihnen bereits vertrauten Werkes überraschend wohltätig hervor. ›Nie haben die Leute‹, sagt ein Augenzeuge, ›Wagners Werk so wunderbar gespielt, nie war der Eifer bei allen Orchesterstimmen so gleich groß, die Stimmung so gehoben, als in dieser denkwürdigen Probe‹. Genug – der Schöpfer des Werkes, dem dessen materielle Klangwirkungen noch so gut wie neu waren und der es sich nun, von den am Wiener Theater gebräuchlichen Kürzungen abgesehen, wenigstens in rein musikalischer Beziehung in wirklich edler und schöner Weise vorgeführt sah und hörte, wurde von der inneren Bewegung wiederholt bis zu Tränen übermannt, und sprach den Mitwirkenden in sichtbarer Ergriffenheit seinen Dank aus. In den Zwischenpausen der einzelnen Akte drängte sich schließlich fast das ganze Personal der Hofoper zu persönlicher Vorstellung an ihn heran und er hatte für jeden ein eigenes, für ihn passendes Wort.11 Nur ein unaufrichtiges konnte er nie über seine Lippen bringen, weshalb er durchaus abgeneigt blieb, sich mit dem, ebenfalls sich ihm nähernden Hauptrezensenten Wiens und gleichzeitigen ›artistischen Beirat‹ der Hofoper, Dr. Hanslick, in Beziehungen einzulassen, obgleich ihm dieser, durch den Tenoristen Ander, [321] während dieser Probe wiederholt und angelegentlich als ›alter Bekannter‹ vorgestellt wurde. Er erwiderte kurz, daß er sich sehr wohl des Herrn Hanslick erinnere – dann war seine Aufmerksamkeit wieder einzig und allein der Probe zugewandt. ›Es scheint, daß es nun den Wiener Freunden ebenso erging, wie früher seinen Londoner Bekannten, als diese sich umsonst bemühten, dem gefürchteten Rezensenten der »Times« seine Beachtung zuzuwenden. Alle Versuche scheiterten an seiner Abneigung. Herr Hanslick, der sich als angehender Student seiner Zeit zu einer der ersten Aufführungen des »Tannhäuser« in Dresden eingefunden und damals von glühendem Enthusiasmus erfüllt schien,12 war seitdem, wie sich das bei Gelegenheit der Aufführungen Wagnerscher Werke in Wien entschied, in das volle Gegenteil seiner früheren Meinungen umgeschlagen und zu seinem bissigsten Gegner geworden. Das wohlgesinnte Personal der Oper schien von jetzt ab keine weitere Sorge zu haben, als, wie sie es verstanden, den Komponisten mit dem »Rezensenten« zu versöhnen. Da dies nicht gelang, mögen diejenigen nicht Unrecht haben, welche das fernere Mißgeschick jeder auf Wien berechneten Unternehmung Wagners dieser aufs Neue ihm zugezogenen Feindschaft beimaßen.‹13

Eine Erkrankung der Repräsentantin der ›Ortrud‹ verzögerte die ursprünglich auf den Sonntag, 12. Mai, festgesetzte Aufführung bis zum Mittwoch. Es war leicht vorauszusehen, daß das Publikum den aus langer Verbannung heimkehrenden Meister mit einer enthusiastischen Demonstration begrüßen würde. Indes gestaltete sich der ›Lohengrin‹-Abend am 15. Mai zu einer Huldigung ohnegleichen, zu einer wahrhaft großartigen Kundgebung, welche bei seinem ersten Erscheinen beginnend, bis zum Schluß nicht erlahmte. Man applaudierte nicht nur, als man Wagner in der Loge bemerkte, sondern auch nach dem Vorspiel erfolgte ein mehrere Minuten anhaltender brausender Beifallssturm Parterre- und Logenpublikum erhoben sich von ihren Sitzen und wandten sich dem gerührt dankenden Meister zu. Gleich stürmischer Beifall unterbrach selbst die einzelnen Akte, und nach jedesmaligem Aktschluß gab man sich nicht eher zufrieden, als bis Wagner dreimal auf der Bühne erschienen war. Als nach beendigter Vorstellung das ganze Haus ihm zujubelte und der Sturm der Begeisterung gar nicht enden wollte, sprach er – mit vor Bewegung schwankender Stimme – die wenigen, schlichten Worte: ›Ich habe mein Werk heute zum ersten Male gehört, ausgeführt von einem Künstlervereine, dem ich keinen zweiten an die Seite setzen kann, aufgenommen von einem Publikum in einer Weise, daß ich beinahe eine Last fühle. Was soll ich sagen? Lassen Sie mich sie in Demut tragen, diese Last, lassen Sie [322] mich nachstreben den Zielen meiner Kunst; ich bitte Sie, mich hierin zu unterstützen, indem Sie mir Ihre Gunst bewahren‹. – Charakteristisch war es bei alledem, daß es seinen Bemühungen nicht gelang, von der Direktion einige wenige Theaterproben bewilligt zu erhalten, um verschiedene Mißverständnisse und daraus entstandene Fehler in der sonst so vieles Vorzügliche bietenden Aufführung zu berichtigen. Der enthusiastische Jubel des ›Lohengrin‹-Abends wiederholte sich bei der Vorstellung des ›fliegenden Holländers‹ am 18. Mai (mit Beck in der Titelrolle). In der Zwischenzeit fehlte es nicht an Aufmerksamkeiten und Ovationen seitens der verschiedenen Gesangvereine der Donaustadt, um die kurzen Tage auszufüllen, die sich der Meister für den Zweck der Kenntnisnahme der künstlerischen Kräfte Wiens anberaumt, und er hatte nach allen Seiten hin den wohlgemeinten Andrang an seine Person nur abzuwehren.14 Dazu mehrere bedeutsame neue Bekanntschaften: vor allen andern die seines, von hier ab getreuesten Freundes, des ausgezeichneten Wiener Arztes Dr. Joseph Standhartner. Auch traf er hier Tausig wieder an, und in dessen Gesellschaft den ebenso intelligenten als anschließenden Peter Cornelius, den er seit Basel (1853); nicht wieder gesehen. Kurz, die Wiener Maitage gestalteten sich zu einem ununterbrochen wogenden Drange meist erfreulicher, vielverheißender Begegnungen.

Ein Brief an seine Frau, datiert vom 20. Mai, gibt davon ein recht unmittelbares Augenblicksbild. ›Liebste Minna‹, so lautet derselbe, ›die Leute kommen, weiß Gott! schon früh um 8 Uhr zu mir: ich kann mich nicht rühren, und schreibe Dir jetzt schnell nur ein paar Zeilen, während drei Gäste in meinem Zimmer sich unterhalten. Samstag war »fliegender Holländer«. Ganz tadellose, herrliche Aufführung! Publikum gerade wieder wie bei Lohengrin. Ich hatte mich in eine Parkett-Loge versteckt, daß man mich nicht sehen sollte. Das half aber nichts. Nach der Ouvertüre mußte ich aufs Theater, um mich zu bedanken, dreimal nach jedem Akte, fünf- oder sechsmal nach dem letzten, wo ich denn wieder etwas sprechen mußte. Ein unglaublich herzliches, lebhaftes Volk; dazu Fürsten und Grafen in den Logen: Alles rief und applaudierte mit. Nun, ich kann wirklich was erzählen! – Übermorgen – 22. Mai – wollte man mir durchaus den »Tannhäuser« vorführen. Das habe ich aber nun abgelehnt: erstlich ist für jetzt – der Wolfram nicht gut besetzt; auch dirigiert Esser nicht; ich fürchte keine so zufriedenstellende Aufführung zu haben, und – ich will das Publikum nicht wieder zu einer gleichen Demonstration herausfordern. Dagegen soll mir von Strauß ein Fest gegeben werden. Auch das werde ich wohl refüsieren.15 Sobald wegen [323] »Tristan« alles geordnet, gedenke ich sofort zurückzureisen, wahrscheinlich morgen Abend, so daß ich zu meinem Geburtstag unterwegs bin. – Sei mir nun nicht böse, gute Minna, wenn ich hier abbreche, die Störung ist zu groß. Leute über 8 Tage bin ich jedenfalls wieder bei Dir. In Karlsruhe muß ich ebenfalls alles zum Beschluß bringen. Von dort schreib ich Dir wieder!‹

Ja, Wien konnte für diesmal Mut machen. Es war alles herzlich und erhebend. So namentlich auch die neugewonnenen oder erneuerten persönlichen Beziehungen, unter denen wir die bedeutungsvollsten soeben namhaft machten. Trotzdem erschütterte es seine bisherigen Hoffnungen und Aussichten in einem wichtigen Punkte. Die vortrefflichen Sänger der Wiener Oper für eine Aufführung von ›Tristan und Isolde‹ in Karlsruhe überlassen zu bekommen, stellte sich sofort als eine Unmöglichkeit heraus. Unter solchen Umständen lag es ihm nahe, dem Anerbieten der obersten Behörde des kaiserlichen Theaters, seinen ›Tristan‹ alsbald in Wien unter seiner persönlichen Mitwirkung zur Darstellung zu bringen, mit keinem Bedenken entgegenzutreten. Ein solches Hauptbedenken hätte darin bestanden, daß dem beliebten Sänger Ander die anstrengende Aufgabe der Hauptrolle des ›Tristan‹ jedenfalls zu viel zumuten mußte. Da alle übrigen Partieen aber vortrefflich zu besetzen waren, konnte er sich dazu verstehen, die nötigen Änderungen, Kürzungen und Aneignungen vorzunehmen, welche die Lösung seiner Aufgabe auch diesem, von jeher etwas zarten und schwächlichen Sänger ermöglichen sollten. ›Tristan soll hier am 1. Oktober sein; am 15. August will ich hier eintreffen‹, meldet er daher in diesem Punkte brieflich an Minna. ›Alles ist himmlisch dazu disponiert! Ich kann nirgends ähnliche Mittel finden‹. In seinem Verkehr mit den Wiener Künstlern fand er für die Übernahme der ihnen zugedachten Rollen eine durchaus entgegenkommende und zum Teil begeisterte Bereitwilligkeit, so besonders bei der, seit Jahren von ihm erwählten, jetzt erst persönlich gesehenen und vernommenen Sängerin der Isolde, Frau Luise Meyer-Dustmann. Er hörte sie u.a. als Donna Anna in ›Don Juan‹, und fand in dem Andante der letzten Arie ›das Vollkommenste, was er bisher noch von Gesang gehört hatte.‹ Besonders als die Künstlerin ›mit demselben Atem wieder auf das Thema zurückging und dieses mit vollem Ausdruck noch zur Hälfte mit derselben Respiration sang.‹16 ›Glauben Sie‹, schreibt er ihr, ›daß ich glücklich und hochentschädigt für viele niederdrückende [324] Erfahrungen auf diesem Felde bin, einer so durchaus hochbegabten, der höchsten Vollendung mit jeder Leistung entgegenreifenden Künstlerin noch begegnet zu sein! Sie halten mich aufrecht, oder – fast sollte ich Ihnen zürnen, denn Sie halten mich mit neuen Hoffnungen in dem Kreise von Bemühungen zurück, in welchem Sie doch mir als Einzige Erfüllung gewähren könnten, während alles Andere mich vernünftiger Weise zur letzten Resignation stimmt.‹ Es ist kaum nötig erläuternd hinzuzufügen, was unter diesem ›alles Andere‹ zu verstehen ist: in erster Linie doch der Sänger der Hauptrolle, den er für Wien notwendig mit in den Kauf nehmen mußte! So wie umgekehrt das an Minna gerichtete, ermutigende: ›Alles ist himmlisch disponiert‹ doch vorzugsweise nur seine Freude an dieser Sängerin seiner Isolde zum Ausdruck bringt, so daß beide hier angeführten Kundgebungen einander wesentlich ergänzen. Im August sollten die Proben beginnen; mit dem Versprechen, um diese Zeit wiederzukehren, reiste er für jetzt nach Paris zurück. Er ging, wie er es bereits brieflich angekündigt, über Karlsruhe, um dort ›ebenfalls alles zum Beschluß‹, d.h. die neue, ohne sein Zutun, auf Wien hindrängende Entwickelung der Angelegenheit zur Kenntnis zu bringen. Auf der Rückreise gesellte sich ihm Tausig zu, mit welchem gemeinschaftlich er am 26. Mai in Paris eintraf.17

In der fast dreiwöchentlichen Zwischenzeit seit Wagners Abreise war Liszt im Strudel der verschiedenen hocharistokratischen und künstlerischen Kreise der Seinestadt der Gegenstand unausgesetzter Einladungen und Huldigungen gewesen. In den Salons der Gräfin Walewska, der Prinzessin Mathilde und der Fürstin Metternich, bei Mme. Erard, Halevy und Gounod hatte er sich wiederholt als Klavierspieler vernehmen lassen und den greisen Rossini in dessen Villa zu Passy durch den Vortrag der Transskription seiner ›Tell‹-Ouvertüre und der berühmten Tarantella aus den ›Soirées musicales‹ erfreut.18 Am 22. Mai war er, durch Vermittelung des Fürsten Metternich,19 von Napoleon zur Tafel geladen und spielte abends in den Tuilerien.20 Der [325] Kaiser verlieh ihm dafür das Kommandeurkreuz der Ehrenlegion, und hatte mit ihm eine eingehende Unterhaltung, in der er, an den Fall des ›Tannhäuser‹ anknüpfend, in sehr bedeutender Weise auf die Möglichkeit einer in Paris zu errichtenden internationalen Bühne hinwies, auf welcher Werke dieser Art ohne Verletzung des französischen Nationalgefühles gehört werden könnten. Auch erwähnt Liszt in seinen Briefen von Paris aus, noch vor Wagners Eintreffen, des daselbst, unter den hochgestellten Freunden des Meisters verhandelten Projektes, ihm, da er doch jetzt von allen Mitteln entblößt sei, durch Veranstaltung je einer Benefiz-Vorstellung des ›Tannhäuser‹ oder ›Lohengrin‹ auf sämtlichen Bühnen Deutschlands eine namhafte Summe zur Verfügung zu stellen. Berlin solle den Anstoß geben und die übrigen nachfolgen. ›Dieser praktische Einfall‹, fügt er hinzu, ›verdankt seine Erfindung entweder Pourtalès oder Hatzfeld, oder der Fürstin Metternich, oder selbst der Königin von Preußen oder ich weiß nicht, wem sonst. Ich für mein Teil bin dabei überflüssig, und es handelt sich bloß darum, das Ergebnis Wagner sobald als möglich zuzuführen.‹21 In der Tat hatten es die werten Gönner damit sehr richtig getroffen: bedeutete doch der Zusammenbruch des ›Tannhäuser‹ nach der vergeblichen Arbeit eines ganzen Jahres für den armen Meister nichts mehr und nichts weniger als seinen völligen finanziellen Ruin, und es hätte kein würdigeres und wirksameres Mittel zu dessen Abhilfe gegeben, als das ins Auge gefaßte. Es wäre damit gerade nur nachgeholt worden, was eben diese Theater durch Rückstände jeder Art an ihm verschuldet. Berlin durch jahrelange Vernachlässigung seiner Werke in mangelhaften und eben deshalb seltenen Aufführungen, Wien durch einen ungünstigen Geschäftsabschluß (ohne Tantième! S. 202), und sämtliche übrigen Hof- und Stadttheater durch ihre unverhältnismäßig geringen einmaligen Honorarzahlungen für Werke, die ihnen in stets erneuten Vorführungen mit glänzenden Einnahmen die Häuser füllten!

Als Wagner von seinen erfrischenden Wiener Erlebnissen in die düstere Wohnung der Rue d'Aumale zurückkehrte, genoß er gerade noch 8–10 Tage der Anwesenheit Liszts in Paris; doch waren diese infolge der fortdauernden gesellschaftlichen Ansprüche an den Letzteren für ihren beiderseitigen Verkehr nur allzu zersplittert. Dagegen ward als demnächstige Gelegenheit ihres Zusammenseins die für den August unter Liszts Ägide in Weimar bevorstehende zweite deutsche Tonkünstlerversammlung verabredet. Für die mit derselben verbundene musikalische Feier hatte Liszt bereits brieflich eine fragmentarische Vorführung des zweiten ›Tristan‹-Aktes (durch das Schnorrsche Sängerpaar) befürwortet, es aber allerdings sehr begreiflich gefunden, daß [326] Wagner von einer solchen teilweisen Aufführung nichts wissen wollte.22 Unter anderem erzählte er ihm von seinen mehrmaligen Besuchen bei Rossini in dessen Villa zu Passy: der alte Herr behaupte weder Haare, noch Zähne, noch Beine mehr zu haben, und doch bewahre er sich stets seine Munterkeit und seinen trockenen Witz. Auch habe es ihn gefreut, ihn gegen alle böswillig verleumderischen Berichte über angebliche, ihn betreffende, herabsetzende Äußerungen Wagners, mit denen er durch seine Umgebung belagert würde, in gleichmäßig unerschütterter Standhaftigkeit verharren zu sehen. Er forderte deshalb Wagner auf, durch einen erneuten Besuch bei dem greifen Maestro auch die letzte diesem etwa er regte Wolke zu zerstreuen. Doch begegnete er mit seiner Aufforderung auch in diesem Fall einer entschiedenen Abneigung des Meisters, tiefer liegende Mißstände durch äußerliche Bezeigungen zu beseitigen. ›Nach Liszts Abreise‹, erzählt Wagner selbst, ›übersandte mir Rossini aus Passy durch einen Vertrauten die bei ihm hinterlassenen Partituren meines Freundes, und ließ mir hierbei sagen, daß er gern selbst persönlich diese überbracht hätte, wenn sein übles Befinden ihn jetzt nicht an seine Wohnung fesselte. Und selbst jetzt blieb ich bei meinem früheren Entschlusse.‹23 In Wahrheit hatte er damals weit näherliegende Sorgen, als die Beseitigung von Mißverständnissen, zu denen er keinen Anlaß gegeben. Seine Pläne für die Zukunft waren von tausend Zufälligkeiten abhängig. Während soeben die Zeitungen die verspätete Nachricht von seiner bevorstehenden Niederlassung in Karlsruhe aussprengten,24 war er weiter als je von dieser, ja von jeder dauernden Niederlassung entfernt. ›An eine Übersiedelung nach Karlsruhe denke ich nicht mehr‹, schreibt er in diesem Sinne nach Wien an Cornelius, ›und habe überhaupt den Wunsch zu jeder festen Ansiedelung aufgegeben. Ich werde den Rest meines Lebens wandern‹. Was dieser Entschluß gerade in seinem Munde bedeutet, dessen Neigung zur Schaffensruhe ihn jede der drei letzten Hauptstationen seines Lebensweges25 als eine letzte und dauernde hatte ansehen lassen, das sage sich der Leser selbst! Was damit zugleich entschieden war, war die unvermeidliche Trennung von Minna; sie konnte ihn auf solch ungewissen ›Wanderungen‹ nicht begleiten. Für sie war Dresden die örtlich verkörperte Erinnerung an die Glanzzeit und den Höhepunkt ihres Daseins [327] als Frau Kapellmeisterin, zugleich der Ort, an dem sie ihre Verwandten und wirklich gute, ergebene Freunde besaß, der rechte und einzige Ort, um in der sorgenlosen Pflege ihrer Gesundheit den Rest ihrer Tage friedlich zu verbringen. Bei aller aufrichtigen Liebe und Treue, die in jedem seiner zahlreichen an sie gerichteten Briefe gleichmäßig zum Ausdruck kommt, läßt sich doch nicht verschweigen, daß diese Trennung, so sehr von jetzt ab ihre gleichzeitige selbständige Erhaltung eine vermehrte Quelle seiner Sorgen bildet, dennoch für ihn zur tiefempfundenen, wesentlichen Befreiung und Erleichterung wurde. Für so kritische Lebenslagen, wie seine gegenwärtige und die ihr noch folgenden, war ihre, durch ihr Herzleiden doppelt reizbar gewordene Natur nicht geschaffen; sie konnte sie ihm durch ihre Gegenwart nur erschweren, nicht erleichtern.

Für jetzt galt es die Auflösung seiner Pariser Häuslichkeit und ihre Abreise nach Deutschland zur Vollendung ihrer im letzten Sommer begonnenen Kur im Taunusgebirge. Für beides waren Mittel erforderlich. Von den für ihn im Werke befindlichen Sammlungen oder Benefizprojekten war ihm durch Liszt oder seine Pariser Gönner eine vorläufig beruhigende Mitteilung gemacht; doch waren dadurch die augenblicklichen Schwierigkeiten seiner Existenz nicht beseitigt. ›Keinem Teilnehmenden‹, so schreibt er selbst, ›kann verborgen bleiben, in welcher Verlassenheit ich mich nach dem gänzlichen Fehlschlagen meines, Tannhäusers, in Paris befinden muß, nachdem ich in den letzten Jahren – meiner politischen Lage wegen – endlich gänzlich verhindert war, durch Aufführung meiner neuesten Arbeiten in Deutschland mir neue Subsistenzmittel zu gewinnen. Diese meine Lage, und die in ihr liegende Notwendigkeit, mir zunächst einige Ruhe und Unbesorgtheit zu verbürgen, ist denn nun endlich auch verschiedenen, für mich sich interessierenden, höhergestellten Persönlichkeiten bekannt geworden. In diesem Augenblick beschäftigt man sich angelegentlichst damit, auf anständige Weise mir die Mittel zu einem nötigen interimistischen Bestehen zu verschaffen. Unglücklicherweise würde ich mir aber alles verderben, wenn ich hier drängte, da ich mir vielmehr selbst den Anschein geben muß, nicht direkt um das Vorhaben meiner diplomatischen und fürstlichen Gönner zu wissen. Unterdessen bleibe ich somit der widerwärtigsten und niederdrückendsten Lage ausgesetzt. Ich bin von allen Mitteln entblößt, habe einzelne höchst bedenkliche Verpflichtungen und warte dabei nur auf die Möglichkeit, meine so nötige Übersiedelung nach Deutschland bewerkstelligen zu können. Ein bewährtester Freund‹ (Wesendonck!), ›auf den ich unter solchen Umständen am sichersten hätte rechnen dürfen, ist – dem Charakter seines Geschäftes gemäß – gerade jetzt durch die amerikanische Krisis vollständig gelähmt.‹ So schildert er in einem Schreiben vom 4. Juni (kurz nach seiner Rückkehr aus Wien und wenige Tage vor der Abreise Liszts) seine Situation. Es ist an einen bürgerlich wohlsituierten Verehrer und Bewunderer, einen Herrn J. Bergmann, [328] gerichtet, der ihm noch mitten in den berauschenden Wiener Begeisterungstrubel hinein eine dringende Einladung an seinen Wohnort Prag zugehen lassen, sich ihm in jeder Weise zu Diensten gestellt, und der, allerdings sehr wohlbegründeten, Erwartung Ausdruck verliehen hatte, sein öffentlicher Empfang durch das Prager Publikum werde an begeisterter Wärme nicht hinter dem Wiener Empfange zurückstehen. Diese, dem Dresdener Konzertmeister Schubert zur Vermittelung anvertraute herzliche Aufforderung hatte den Meister nicht mehr in Wien, sondern zu seinem Bedauern erst in Paris, nach bereits erfolgter Rückkehr erreicht. Sie würde ihn sonst, so versichert er, gewiß zu einem, wenigstens kurzen Besuche in Prag bestimmt haben, wohin ihn für jetzt allerdings weniger das Interesse für dortige Aufführungen seiner Werke und öffentliche Ovationen, als der Wunsch gezogen haben würde, seinen daselbst gewonnenen Freunden die Hand zu drücken. Einstweilen bekennt er, daß das liebenswürdige Anerbieten, ihm behilflich sein zu wollen, eben jetzt eine schwere Bedeutung für ihn enthalte, und schließt daran die dringende Frage, ob es Jenem, entweder allein, oder im Verein mit gleichgesinnten Freunden in Prag, möglich sein werde, die ihm nötige Summe sofort zur Verfügung zu stellen. ›Ich bedarf, um vollständig mir Ruhe und Lust zu verschaffen, zehntausend Francs. In dem Maß der Verbesserung meiner Lage verpflichte ich mich, diese Summe als Ehrenschuld wieder zurück zu erstatten.‹26 Dieses Schreiben übersandte er, aus Unkenntnis der näheren Adresse des Empfängers, seinem alten enthusiastischen Prager Freund, dem Dirigenten des dortigen Cäcilien-Vereins, Franz Apt (S. 191) zu weiterer Beförderung. Leider meldet uns die Geschichte über den Verlauf der Angelegenheit nichts weiteres; die erwünschte Erleichterung scheint ihm nicht zuteil geworden zu sein. ›Ich kann Dir nichts von mir mitteilen‹, schreibt er am 15. Juni an Liszt, ›weder einen Vorfall, noch einen Plan, noch eine Hoffnung: denn nicht das Mindeste hat sich in meiner Lage geändert.‹27

Es war eine niederdrückende Zeit, sein Inneres war ›so voll Bitterkeit, daß kaum die Sorge noch Raum hatte.‹ ›Mein ganzes Leben und Wirken kommt mir vergebens und unnütz vor, und ich scheine dem zu viel Ernst geliehen zu haben, was der Welt doch nur ein Spiel dünkt.‹28 Er fühlte sich jeden Entschluß unmöglich gemacht und infolgedessen auch unfähig zu jeder geistigen Tätigkeit. An Veranlassung zu letzterer hätte es sonst nicht gefehlt. [329] Ungeachtet des ›Tannhäuser‹-Fiasko hatte dennoch der französische Klavierauszug der Oper soeben das Licht der Welt erblickt29 und der unternehmende Verleger Flaxland (S. 236) wollte diesem sogleich auch den Klavierauszug des ›fliegenden Holländers‹ nachfolgen lassen. Aber selbst zu dieser Tätigkeit, der Überwachung der französischen Version des ›Holländers‹, fand er für jetzt weder Ruhe noch Stimmung. ›In dieser bangen Zeit‹, schreibt er an Wesendonck, ›kommt noch alles zusammen, mir weh zu tun! Vorgestern, ganz plötzlich und auf fast rätselhafte Weise, starb das liebe gute Hündchen, das ich einst von Ihnen ins Haus geschickt bekam (S. 158). Ich hatte mich an das sanfte Tier so sehr gewöhnt, und die Art seines Todes, alles – hat mich sehr betrübt.30 Ich weiß, Sie wollen Neigung zu Tieren nicht zugeben; wie ich nun aber einmal bin, werden Sie begreifen, daß mir dieser Verlust – gerade unter den jetzigen Umständen‹ (die be vorstehende Auflösung des Hausstandes und Trennung des Meisters von seiner Lebensgefährtin!) – ›eigentümlich nahe ging. Wär' ich nur erst aus diesem Paris fort, wo ich doch nun nichts wie Unglück erfahren!‹31 Tags darauf, am 26. Juni, wendet er sich brieflich an seinen alten Dresdener Freund Rühlemann, ihm baldigst aus dem Dresdener Verlage eine Partitur des ›fliegenden Holländers‹ zu schicken. Über den Nachfolger des alten Meser (seit des Letzteren Tode), einen gewissen Müller, der seinen geschäftlichen Beziehungen zu dem vortrefflichen Flaxland die ungerechtfertigsten und störendsten Hindernisse in den Weg gelegt, hatte er sich dabei heftig zu beklagen. So verging die Zeit bis zur zweiten Juli-Woche ohne jede Entscheidung, jede Gewißheit. ›Ich will mich nicht mit einer Schilderung meines letzten Monates aufhalten, sowas ist nur gut zum Vergessen!‹ schreibt er darüber an Malvida. Endlich half nichts, er mußte seinen diplomatischen Freunden (Metternich, Pourtalès, Hatzfeld) Ernstliches zumuten. ›Mit Mühe und Not, aber vielem gutem Willen – ich kann dies nicht anders bezeugen! – ward das Nötigste herbeigeschafft, und es gereichte mir zur Beruhigung, daß meine Frau eigentlich wenig von meiner Not bemerkte.‹32

Das Gröbste schien vorüber. Die ganze Einrichtung, mit Ausnahme des [330] Erardschen Flügels, ward nun in Kisten und Kasten verpackt; noch vier abscheuliche Tage in der täglich mehr ausgeräumten Behausung, dann reiste, am Donnerstag den 11. Juli, Minna endlich ›mit dem Vogel‹ (dem mehrerwähnten Papagei, einem langjährigen Genossen ihrer Häuslichkeit) glücklich an ihren Kurort Soden ab. ›Mich lud der preußische Gesandte (Herr v. Pourtalès) ein, so lange ich noch in Paris zu verweilen habe, bei ihm (im preußischen Gesandtschaftshotel) zu wohnen, was ich – namentlich des schönen Gartens mit hohen Bäumen und schwarzen Schwänen willen, gern annahm. Ich werde als zur Familie gehörig betrachtet, habe meinen Flügel in einem schönen hohen Salon und könnte mir's ganz passabel gefallen lassen, wenn nur manches Freundliche, was mir noch begegnen kann, nicht fast schon zu spät wäre! Außer einem flüchtigen Behagen – namentlich durch angenehme Geräuschlosigkeit erzeugt – will kein Wohlgefühl irgendwelcher Art mehr bei mir haften. Mir stehen die Augen immer voll Tränen, und die ganze Sache kommt mir immer beklemmender und nichtiger vor! Allein, ganz allein sein, ist mir schließlich doch das einzig Zusagende ... So muß es Sie denn trösten, liebe gute Freundin, daß ich einmal wieder dem Äußersten entronnen bin. Daß ich viel dabei gelassen habe, fühle ich leider immer mehr. Zwei schöne Jahre sind rein vergeudet, und ich fühle mich außerordentlich müde. Was ich für die Kunst verloren, habe ich aber vielleicht fürs Leben gewonnen, eine letzte, recht tief eingeschriebene Erfahrung: das, was sich nicht fügt, auch nicht zwingen zu wollen‹.33 Die letzten Worte lassen sich doch wohl nur auf den Gegensatz seines deutschen Werkes und des französischen Publikums beziehen, auf den gewagten Eroberungsversuch, dieses letztere für sein Ideal zu gewinnen. War es denn nun im deutschen Vaterlande anders bestellt? Hatte er nicht auch hier sein Terrain Schritt für Schritt eben derselben Gegnerschaft erst im völligen Kampfe abzutrotzen? – Neben der Überwachungs-Arbeit am ›fliegenden Holländer‹, dessen französische Reproduktion in den Händen seines bewährten Übersetzers Nuitter wohlaufgehoben war, und dem täglichen Verkehr mit seinen freundlichen Gönnern, nahm ihn für wenige Wochen nichts Dringliches weiter in Anspruch. Dagegen verdanken dieser kurzen Mußezeit zwei seinen edlen Beschützern gewidmete Erinnerungszeichen, zwei stimmungsvoll liebliche Albumblätter ihre Entstehung. Mit dem einen sprach er der Fürstin Metternich für ihre tapfere und treue Gesinnung in zarter Weise seinen Dank aus;34 das andere, mit der Aufschrift: ›Ankunft bei den schwarzen [331] Schwänen‹ trägt die Widmung: ›seiner edlen Wirtin Frau Gräfin von Pourtalès zur Erinnerung von Richard Wagner‹.35 Aus Wien erfuhr er durch Cornelius von gewissen Bedenken, welche die Sängerin der Isolde in seiner Abwesenheit gegen ihre Partie gefaßt; der gute Eindruck, den er von ihrer künstlerischen Persönlichkeit und Leistungsfähigkeit empfangen, ließ ihn aber keinen Augenblick an ihr zweifeln. ›Daß Frau Dustmann so ängstlich ist,‹ so erwidert er, ›vergebe ich ihr gern. Es steht ihr gut, und die Sorge wird gerade ihr eine treffliche Leistung eingeben. Gott, wie sicher bin ich über diese Frau! Nicht die mindeste Angst habe ich für sie‹. Dagegen bekennt er sich selbst aufs Neue als diesmal sehr angegriffen von der bösen Zeit, die er durchgemacht. Hier im Hotel der preußischen Gesandtschaft erhole er sich soeben ein wenig. ›Es kostet mich unglaubliche Mühe, meine Fassungskraft wieder einem künstlerischen Interesse zuzuwenden; so müde und ausverbraucht bin ich von gemeinsten Lebensmühen.‹ Der Tristan in Karlsruhe sei ihm nun fast ganz entfallen, auch für Wien bleibe das Unternehmen wohl beispiellos schwierig ›Jeder tröste sich aber damit, daß ich doch auch Erfahrung habe. Nur Mut! Wir wollen schon das Rätsel lösen.‹36 Kaum vierzehn Tage nach seinem Einzug ins Hotel Pourtalès drängt es ihn bereits nach Wien. ›Der fliegende Holländer‹, meldet er, ›gedeiht nur so allmählich auf französisch; fertig oder nicht fertig, so bin ich aber doch entschlossen, Montag (29. Juli) Abend zu reisen. Ich will meiner Frau noch einen Tag in Soden Adieu sagen. Von Liszts Einladung (nach Weimar) wollte ich mich gern losmachen, erfahre aber, daß, käme ich nicht, ihn dies vollständig unglücklich machen würde. Dann gehts nach Wien, wo ich wohl etwas länger haften bleiben werde. Wenn ich einen Blick in meine »Tristan«-Partitur werfe, kann ich's immer noch gar nicht für möglich halten!‹37

Am 29. Juli begab er sich mit einem von Graf Pourtalès ausgestellten Reisepaß ›zur ungehinderten Reise von Paris über Belgien nach den deutschen Bundesstaaten‹38 über Soden nach Weimar zu der daselbst durch Liszt und Brendel einberufenen, zweiten allgemeinen Tonkünstler-Versammlung in den Tagen vom 5. bis 8. August.39

Die Beteiligung an dieser Versammlung, deren parlamentarischer Teil die Konstituierung eines ›Allgemeinen deutschen Musikvereins‹ und die Beratung[332] seiner Statuten betraf, versprach eine außerordentlich große zu werden. Als eigentlicher Generalstab Liszts waren, nächst Brendel, ein großer Teil seiner Freunde und Schüler bereits seit den ersten Augusttagen anwesend: Bülow, Felix Dräseke, Tausig, Cornelius, Leopold Damrosch, Riedel, Ed. Lassen, Louis Köhler, der junge Wendelin Weißheimer u.a. sämtlich auf der Altenburg placiert.40 Die lange Frühstückstafel im Vorderhause mußte wegen der Neuankommenden immer vergrößert werden; nach dem Frühstück brach man zu den Proben auf. Die bedeutend verstärkte Hofkapelle probierte emsig an Liszts Faustsymphonie. Einmal war zu dieser die Partitur vergessen worden, und obgleich Bülow das Werk mit bewunderungswürdiger Sicherheit auswendig dirigierte41, ließ dennoch Liszt lieber vorsichtshalber die auf der Altenburg liegen gebliebene Partitur herbeiholen. Weißheimer, als Abgesandter, machte sich alsbald auf, fand auch glücklich die Partitur auf dem Flügel liegen und trat damit den Rückweg an. ›Ich war aber‹, so erzählt er, noch keine zwanzig Schritte vom Hause weg, als mir eine ganz außerordentliche Überraschung wurde. Wie ich mich den (von der Altenburg) hinunterführenden Treppen im Tannengebüsch näherte, sah ich erst den Kopf und gleich darauf die ganze Figur eines Herrn zum Vorschein kommen, der die Stufen herausschritt und fast schon oben angelangt war. Ich blickte ihm ins Gesicht und war auf das Freudigste überrascht, als ich keinen Geringeren als Richard Wagner vor mir sah! Sofort erkannte er mich wieder42 und fragte, ob er Liszt im Hause fände. Ich sagte, im Hause sei Niemand; alle weilten in der Probe zum Festkonzert. Nach einem Augenblick der Überlegung fragte ich ihn, ob er nicht Lust habe, mir dorthin zu folgen. Es wäre dies ein reizendes Zusammentreffen mit Liszt und allen. Gleich willigte er ein, stieg mit mir die Treppen wieder hinunter und folgte mir durch die Stadt. In meiner Phantasie konnte ich mir den nun kommenden Moment nicht schön genug ausmalen. Bei der Probelokalität angekommen, bat ich ihn, einen Augenblick zu verweilen und mich erst hineingehen zu lassen. Lächelnd blieb er stehen. Ich stürmte die Treppen hinauf in den Saal, direkt zu Liszt, mit den Worten: ›Wagner ist da!‹ Sofort kommandierte Liszt dem Orchester: [333] ›Halt! eh' wir weiter probieren, bereitet einen ordentlichen Tusch vor!‹ Alle sahen erwartungsvoll nach der Tür; im nächsten Augenblick stand Wagner am Eingang des Saales. Bei seinem Anblick brach ein unbeschreiblicher Jubel aus. Das Orchester schmetterte aus Leibeskräften, Liszt stürzte auf Wagner zu und beide lagen sich lang in den Armen. Es hatte sich um die sich herzlich Küssenden und Umarmenden eine dichte Gruppe gebildet; in manchen Freundesauge zeigten sich Tränen der Freude und der Rührung. Jeder bemühte sich, einen Kuß oder wenigstens einen Händedruck von dem großen Meister zu erhalten. Des Umarmens schien kein Ende zu sein, mit Bülow, Cornelius, Tausig und vielen andern. Als sich der große Freudentaumel einigermaßen gelegt hatte, konnte die Probe wieder fortgesetzt werden. Es wurde jetzt Dräsekes kühner ›Germania‹-Marsch43 probiert, dessen gewagte Harmoniefolgen nicht wenig frappierten und auch das Orchester etwas stutzig machten. Ich befand mich mit Dräseke in Wagners Nähe: auch ihn frappierte das grellharmonische und heißblütig-patriotische Stück Dräsekes. Wenige Wochen vorher hatte gerade ein gewisser Oskar Becker in Baden-Baden in patriotischer Verblendung ein Attentat gegen den König von Preußen verübt. Bei Anhörung dieses Germania-Marsches kam nun Wagner jenes Attentat in Erinnerung, denn er sagte plötzlich, als es gerade im Orchester wieder äußerst stürmisch und gepfeffert herging, zu dem etwas betroffenen Komponisten: ›Potztausend, Sie sind ja ein zweiter Oskar Becker!‹ Alle Umstehenden mußten ob dieses witzigen Einfalls herzlich lachen, der auch Dräseke aus seiner Beklommenheit befreite und ihn schließlich mitzulachen zwang – ›Nach der Probe war auf der Altenburg kleines Diner von zwölf Gedecken in den Räumen der Fürstin von Sayn-Wittgenstein.‹ (Die Fürstin selbst war seit dem Mai 1860 in Rom), Außer den bereits Eingeladenen brachte Liszt natürlich auch Wagner mit. Die Damen gewahrten die Unglückszahl dreizehn mit Schrecken – infolgedessen verschwand einer der Geladenen zur Beruhigung der Betreffenden. Am nächsten Tage waren wieder zwölf geladen, und wieder kam ein unvermuteter Dreizehnter mit; diesmal mußte Cornelius verschwinden, weil ich mich erst gestern davongeschlichen. Da es der Zufall noch ein mal so fügte, erklärte Wagner. ›Jetzt soll keiner mehr verschwinden! Ein für allemal will ich der Dreizehnte sein!‹44

Noch zwanzig Jahre später gedachte er selbst bei einer feierlichen Gelegenheit dieses Mahles auf der Altenburg, an dem er aus ganzem Herzen [334] und mit voller Überzeugung gerufen: ›Laßt mich den Dreizehnten sein!‹45 Was ihn zu solcher ernstgemeinten Herausforderung an das Schicksal bewog, war keineswegs eine, flachen Naturen so geläufige Verachtung sinnvoller alter Bräuche, sondern die auf ihm lastende tiefbegründete Lebensmüdigkeit! Unmöglich konnte ihn das unruhige Geschiebe und Getriebe von 700 auf einem Fleck versammelten ›deutschen Tonkünstlern‹ über das in jedem tieferen Sinn Zwecklose dieses bunten Gewimmels hinwegtäuschen. ›Weimar war von gar keiner Bedeutung‹, so resümiert er selbst die Erlebnisse dieser äußerlich vielbewegten Tage, in denen es, bei viel Zerstreuung nach außen, zu desto weniger Sammlung nach innen kam. ›Nur Liszt war sehr angenehm, und seine Gastfreundschaft, die ich mit dem halben musikalischen Deutschland teilte, war reizend. Nur etwas zu viel Menschen; es ist mir begegnet, daß ich oft alle halbe Stunde einer neuen Person meine Lebensgeschichte zu erzählen hatte. Lächerlich meist alles! Überall wenig Talent, viel Torheit – Musik oft sehr schlecht. Doch war Liszts Faust ganz vortrefflich. Also immer nur, was wenige Einzelne sich leisten können; die Menge nur störend.‹46 Nicht zur ›Menge‹ gehörig, und deshalb dem Meister herzlich willkommen, war unter den mannigfachen Festgästen das Olliviersche Paar. Von Ollivier berichtet Weißheimer höchst seltsamer Weise, er habe – als der ›damals berühmteste Pariser Jurist‹ (!), mit seiner bleichen Gesichtsfarbe und seinen schwarzen Augen, die ›ein goldenes Lorgnon unterstützte‹ (!) – ›neben Liszt den Mittelpunkt des Interesses Aller gebildet!‹

Nach erfolgter Begrüßung der Versammelten durch Brendel am Vormittag des 5. August, als des ersten Festtages, fand am Nachmittag desselben in der Stadtkirche eine Aufführung von Beethovens Missa solemnis statt. Den Abend beschloß ein Festmahl, das seine besondere Färbung, wie die ganze übrige Feier, durch die Anwesenheit Wagners erhielt. ›Aller Augen und Herzen waren an ihn, wie an Liszt gekettet, und der Langentbehrte wurde von seinen deutschen Kunstgenossen mit der wärmsten Sympathie begrüßt, deren Kundgebungen er in ebenso einfachen, wie von Herzen kommenden Worten erwiderte.‹ Tags darauf ging, im großherzoglichen Hoftheater, unter Bülows Leitung, das erste große Konzert mit Liszts ›Prometheus‹-Musik und ›Faust‹-Symphonie vor sich. Von der am Vormittag stattfindenden Probe dazu erzählt Louis Köhler: ›Richard Wagner saß unten in einer Proszeniums-Loge; seine Züge leuchteten oft freudig auf und sein Interesse war durchweg höchst rege.‹ Er sprach vielfach anordnend mit, und äußerte später nach der Aufführung: ›es gebe wohl vieles Schöne und Herrliche an Musik, aber diese (die Faustmusik) sei göttlich schon!‹ Die abendliche Aufführung ging [335] exzellent vonstatten; trotzdem machte sich (nach Weißheimer) eine kleine Opposition bemerklich. Liszt saß mit Wagner in einer Loge rechts vom Orchester. Nach dem Schlußchor erscholl langanhaltender brausender Beifall. Bülow machte mehrere Verbeugungen; der Beifall legte sich aber nicht. Man rief Liszt. Dieser war aus der Loge verschwunden, und jeder glaubte, er würde auf der Bühne erscheinen. Immer weiter wurde geklatscht und gerufen; doch Liszt kam nicht. Offenbar war er durch das Gebahren seiner (Weimarischen) Gegner verstimmt, eben derselben Opposition, welcher Cornelius ›Barbier von Bagdad‹ zum Opfer gefallen war.47 Der gleichen Opposition gegenüber hatten natürlich die im folgenden Konzert vorgeführten jüngeren Komponisten der ›Weimarischen Schule‹ einen schweren Stand. Dräsekes Germania-Marsch wurde entschieden abgelehnt, ebenso das folgende Tonstück. Erst Weißheimers ›Grab im Busento‹ machte die Zischlaute verstummen, und anhaltender brausender Beifall brach das Eis für die Reihe der folgenden Programmnummern. Unter den mannigfachen festlichen Zusammenkünften dieser Tage ist ein Bankett im alten Stadthause am Markt und besonders eine Versammlung sämtlicher tagender Künstler in den Räumen des Schießhauses zu verzeichnen, wo, nach Weißheimers Schilderung ›in langen Reihen Hunderte tafelten und meist dem Gerstensaft zusprachen.‹ Brendel war der Festredner, er begrüßte den langentbehrten Meister im Namen aller versammelten deutschen Musiker mit dem Ausdruck begeisterter Verehrung. Dann brachte Liszt dem wieder heimgekehrten Freunde ein donnerndes Hoch aus, welches Wagner mit einer längeren, aus dem Stegreif gehaltenen Rede erwiderte. ›Man kann sich kaum den Jubel vorstellen, mit dem seine Worte aufgenommen wurden. Des Umarmens und Händeschüttelns war kein Ende und die beiden Gefeierten liefen Gefahr, von den massenhaft Anstürmenden aus Liebe fast erdrückt zu werden. Glücklicherweise war damit der Höhepunkt und das Ende der Weimarer Tonkünstlerversammlung erreicht; die Gäste zerstoben und nach herzlichstem Abschied kehrte auf der Altenburg wieder Ruhe ein‹.48

Bekanntlich bestand diese ›Ruhe‹ darin, daß die Altenburg, nun für immer von Liszt als Wohnsitz aufgegeben, bis auf weiteres mit ihrem ganzen Inventar unter Schloß und Siegel gelegt wurde,49 so daß manche darin unabsichtlich mit verschlossene und versiegelte Gegenstände ihm selbst für längere Zeit unzugänglich blieben.50 Er selbst blieb noch einige Tage einsam in seinem alten Absteigequartier, dem ›Erbprinzen‹ zurück, um eingelaufene Rechnungen und sonstige geschäftliche Angelegenheiten zu regulieren. Dann begab er sich nach Löwenberg in Schlesien, wo der wohlgesinnte Fürst von Hohenzollern-Hechingen [336] ihm stets dieselbe freundschaftliche Liebenswürdigkeit bezeigte, so daß es ihm schwer fiel, den gastlichen Aufenthalt zu verlassen, um (in der zweiten Hälfte September) nach Rom zu gehen. Wagner seinerseits trat am 9. August seine Reise nach Wien in Begleitung des Ollivierschen Paares mit dem Umwege über Reichenhallan. Mme. Ollivier wollte an dem letzteren Orte ihre Schwester Cosima besuchen, die hier seit dem Monat Mai nach schwerer Krankheit eine ihr vorgeschriebene Molkenkur brauchte51.

Am 14. August traf er in Wien ein, um die ›Tristan‹-Proben in Angriff zu nehmen. Die Aufführung war ja für den Anfang Oktober angesetzt! Leider merkte er alsbald, daß er sich ohne Grund beeilt hatte und für den Beginn der gemeinsamen Arbeit noch viel zu früh kam. Hier war seit den hochgehenden Maitagen etwas anders geworden, woran schließlich all seine auf Wien gesetzten Hoffnungen scheitern sollten. Die stimmliche Indisposition des Tenoristen Ander war das Hindernis. Vergeblich wartete er von Woche zu Woche auf eine Besserung. Von einem Beginn der Proben konnte keine Rede sein. Bei dem leidenden Befinden des Sängers war kaum zu bestimmen, wann derselbe wieder würde auftreten können. Ein Zustand andauernder Stimmlosigkeit, nun schon Monate lang sich hinziehend, drohte ihn für den ganzen Winter zu jeder anstrengenden Beschäftigung unfähig zu machen. Wie zur Ausfüllung dieser leeren Wartezeit, machte es sich von ganz selbst, daß manche persönliche Beziehung, wenn auch ohne irgendwelche tiefere Bedeutung, angeknüpft oder aus früheren Zeiten erneut wurde. Zwar in den Monaten August und September war noch das halbe Wien auf Reisen oder in der Sommerfrische. ›Richard Wagner – war hier, um Herrn Herbeck einen freundschaftlichen Besuch zu machen‹, lautete eine vom 18. September mit eigener Hand auf ein Stück Papier hingeworfene Visitkarte, welche Kapellmeister Herbeck bei seiner Rückkehr aus Ischl in seiner Wohnung vorfand, und unter seiner Korrespondenz mit dem Meister aufbewahrt hat52. Auch seinen neugewonnenen vortrefflichen Freund Dr. Joseph Standhartner traf er damals (bis Ende September) nicht in Wien anwesend. Durch einen Freund Hebbels erfuhr er von dessen mißglücktem Versuche, in Paris seine Bekanntschaft zu machen (S. 282) und nahm daraus Anlaß, den seit einigen Jahren in der österreichischen Kaiserstadt ziemlich vereinsamt lebenden Dichter aus freien Stücken hier an seinem Wohnort aufzusuchen. ›Richard Wagner besuchte Hebbel und hatte mit ihm eine mehr als zweistündige Unterredung, welche dieser seinen Freunden als eine äußerst anregende bezeichnete. Leider [337] blieb diese Zusammenkunft die einzige, denn als Hebbel dem Dichterkomponisten den gebührenden Gegenbesuch machte, traf er ihn nicht zu Hause‹53. ›Wenn man‹, fügt derselbe Gewährsmann hinzu, ›aus einer von Richard Wagner herrührenden Notiz über Nestroy54 einen Schluß ziehen darf, so darf man vermuten, daß die Parodieen Nestroys, und zwar die »Tannhäuser«-Parodie sowie die »Judith«-Parodie einen der Gegenstände dieser anregenden Konversation bildeten‹55. Hebbel hatte in Wien durch die Abneigung Laubes gegen seine Stücke einen schweren Stand. Als er eines derselben mit ein paar höflichen Begleitworten der Direktion des Burgtheaters einreichte, erhielt er es mit dem Bescheide zurück: Laube könne bei der höheren Intendanzbehörde, dem Oberstkämmerer Grafen Lanckoronski, unmöglich im voraus für den Erfolg des Stückes einstehen. Da gleichzeitig ein eigenes, anonym eingereichtes Drama Laubes56 am Burgtheater in Vorbereitung war, machte sich ein Freund Hebbels den Scherz, dem Direktor eine Falle zu stellen. Er brachte eine Notiz in die Zeitung: man verspreche sich von diesem Stücke das Außerordentliche; auch habe sich Laube, sobald er es gelesen, beim Oberstkämmereramte für den Erfolg verbürgt. Anderen Tages erschien eine offiziöse Berichtigung, worin es hieß: wer die tausendfachen Zufälle kenne, von denen das Gefallen oder Mißgefallen einer Theaternovität abhänge, werde es sicherlich einem Bühnenleiter nicht zumuten, die Gewähr für ihren Erfolg von vornherein zu übernehmen. Jenen Bescheid an Hebbel und diese Berichtigung Laubes aneinandergerückt, hatte nun ein dem Dichter geneigter Berliner Journalist in einem großen Berliner Blatte veröffentlicht. Hebbels Gattin, die sich hinter dem Rücken ihres Mannes an Frau Iduna Laube gewendet hatte, damit sie den Direktor bestimme, Hebbel nicht derart methodisch zurückzudrängen, habe von ihr die Antwort erhalten: ›Aber mein Mann liebt nun einmal die Stücke Hebbels nicht‹57.

Auch mit Laube selbst nahm Wagner den Verkehr wieder auf58. Fünfzehn Jahre hatten sich die beiden einstigen Jugendfreunde nicht wiedergesehen. Damals (1846) war Laube mit seinem Versuch, als Dramaturg am Dresdener Hoftheater festen Fuß zu fassen, durch Gutzkow ausgestochen worden59; als Direktor des kaiserl. Hofburgtheaters befand er sich nun am Ziele seines Ehrgeizes. Von irgendwelchem Verständnis der Kunstziele Wagners, der Bedeutung seines Schaffens, war er durch Bildungsstand und Charakter[338] himmelweit entfernt. Es blieb ihm stets verwehrt, zugunsten einer höheren Einsicht aus sich herauszutreten. Fünf Jahre später stellte er sich, anläßlich der ›Meistersinger‹, geradezu unter Wagners literarische ›Gegner‹. Damals ließ er es, im persönlichen Verkehr, in seiner Weise keineswegs an freundschaftlicher Teilnahme für ihn fehlen. Er berichtete ihm über den von ihm mit erlebten ›Tannhäuser‹ in der Josephstadt: der Darsteller der Hauptrolle in dem kleinen Vorstadttheater habe ihm durch seine schauspielerische Leistung einen bei weitem größeren Eindruck gemacht als der berühmte Ander in der Hofoper durch sein wortloses, bloß opernhaftes Singen60. Ob ihm Wagner für seine Wiener Interessen irgendwelchen orientierenden Rat zu danken hatte, läßt sich nicht konstatieren. An einen ernsthaften Verkehr in künstlerischen Angelegenheiten mit dem, tief von seinem Wert durchdrungenen Manne, der sich in seinem engen Horizonte selbst für eine Autorität hielt, war in keinem Falle zu denken. Laubes eigene Erinnerungen bestätigen dies, und zugleich die ihm bewiesene überlegene Nachsicht des Meisters. ›Er war so milde‹, erzählt Laube, ›daß er sich sogar meine Einwendungen gegen die Venusbergmusik im »Tannhäuser« gefallen ließ. Gefallen? das ist wohl zuviel gesagt, aber er hörte mich lächelnd an‹ ... ›Ich meinte, seine Musik für den Venusberg sei viel zu schwierig, dahin gehöre einschmeichelnde, verführerische Melodie italienischer Art (!).‹ Hätte dies Wagner nicht ›lächelnd anhören‹, und sich etwa darüber ereifern sollen?! ›Zu meiner Überraschung,‹ fährt Laube fort, ›sagte er nach einer Pause, die Schröder-Devrient habe ihm das auch schon gesagt; übrigens sei er viel mehr für den Wohllaut eingenommen, als ich glaubte.‹ Beim Nachtmahl aber habe er ›mit olympischer Freiheit seine komischen Theateranekdoten erzählt‹, mit denen er stets ›so reichlich versehen gewesen‹. Der schon damals in der plattesten Routine stecken gebliebene Bühnenleiter war sich bei dem späteren Niederschreiben dieser Züge nicht bewußt, welches Zeugnis geistiger Überlegenheit er damit seinem alten Freunde ausstellte, der durch ›lächelndes Anhören‹ und reichlich gespendete ›komische Theateranekdoten‹ selbst mit dem ihm Entfremdetsten unter seinen Jugendgenossen einen auskömmlichen modus vivendi zu finden wußte. Die leider äußerst verworrenen Erinnerungen Laubes61 deuten sogar darauf hin, daß [339] Wagner in seinem Hause vor eingeladenen Zuhörern seine ›Tristan‹-Dichtung vorgelesen habe; nach Laubes eigener Aussage scheinen es allerdings nicht die rechten Zuhörer gewesen zu sein. Auch behauptet Hanslick, ebenfalls auf Laubes Einladung in dessen Hause den Meister getroffen zu haben; diese Begegnung sei aber von Wagners Seite ›auf wenige förmliche Worte beschränkt geblieben‹62. ›Laube lud Wagner zu einem Mittagessen im engeren Kreise, an welchem ich auch teilnehmen durfte. Ich konnte ihm manches Neue (?) über die Geschichte seines Tannhäuser in Wien erzählen; dies vernahm er mit Interesse (?), benahm sich aber sonst sehr fremd gegen mich63. War die Veranlassung zur Herbeiführung dieses Zusammentreffens nun auch ein Irrtum, ein Mißverständnis des Hausherrn und Gastgebers, so lag ihr doch ohne Zweifel eine sehr wohlwollende Absicht zugrunde: nach Analogie mancher eigenen praktischen Erfahrung war er gewiß von der Notwendigkeit eines guten Einvernehmens mit dem musikalischen Hauptrezensenten Wiens innigst überzeugt!

Was ihn zu weiteren Wiener Unternehmungen bestimmt hatte, war jene, anläßlich seines ›Lohengrin‹ ihm bereitete ›wahrhaft ergreifende Aufnahme‹ seitens des Publikums gewesen. Bei näherer Berührung mit diesem Publikum hatte er nun zu erfahren, daß er in gar keinem Bruchteil desselben auch nur die geringste Unterstützung finden sollte. Zur näheren Ausmalung dieser traurig verworrenen Zeit eines freudlosen, ungewissen Hin- und Hertastens in der Wiener Gesellschaft mit ihren mannigfach an ihn gerichteten Aufforderungen und Zumutungen bietet sich uns ein ziemlich reichhaltiges anekdotisches Material. Es zeigt uns den Meister mit seltener Übereinstimmung stets nur in der heitersten Laune; von der furchtbaren Bitterkeit in seinem Inneren ist nie und nirgend auch mit nur einem Worte die Rede. An einen Besuch bei einem bekannten Wiener Kunstmäzen und Bankier, zu dem er die Einladung auf dessen Landsitz in Hietzing angenommen, knüpft sich die mehrfach überlieferte Geschichte von der Spiegelkugel in dessen üppigen Gartenanlagen. Als nämlich die Gesellschaft nach dem Diner sich in den schattigen Alleen des Parkes erging, machte der Meister seinen Begleiter, einen gelehrten Naturforscher, auf eine zu Häupten einer Säule befindliche Glaskugel aufmerksam, die sonderbarerweise oben kalt und unten warm anzufühlen war. [340] Der Naturforscher hielt ihm einen erläuternden Vortrag über Strahlenbrechung. Als er zu Ende war, habe Wagner lachend gesagt: ›Fehlgeschossen, Herr Doktor! ich habe einfach die Kugel umgedreht, so daß die von der Sonne erhitzte Seite nach unten kam.‹ Anekdotische Berichte über die Art, wie sich der schwer leidende Künstler im geselligen Verkehr mit Ironie und versöhnlichem Scherz über seine Notlage hinweggeholfen habe, dürfen uns nicht über seine wahre Gemütsverfassung täuschen. Handelte es sich doch für ihn mit der Aufführungsmöglichkeit seines Werkes in jedem Sinne um eine wahre Lebensfrage! ›Hier sitze ich nun,‹ schreibt er am 13. September an Malvida, ›und warte auf die Wiederkehr einer Tenorstimme in die Kehle meines projektierten Tristansängers. Ander – mein Tenorist – hat, nach dreimonatlicher Heiserkeit, seine Stimme noch nicht wieder in seiner Gewalt und fürchtet sie zu verlieren, namentlich wenn er diesen Winter eine so angreifende Rolle wie den Tristan studieren müsse. Will ich mir einigermaßen die Wahrheit eingestehen, so muß ich die Ausführung meines Projektes für diesen Winter unmöglich finden. So steht es! Nun urteilen Sie über die Wonnen, in denen ich hier schwebe, wo ich rein nicht weiß, was anfangen. Es ist mir nicht bestimmt, mir leicht durchzuhelfen. So lebe ich denn wieder teuer und miserabel zugleich. Gott weiß, was es mit mir für Not hat! Wirklich das Gescheiteste wäre, wenn's bald mit mir ein sanftes Ende hätte! Die Welt ist mir einmal durchaus konträr. Der üble Zustand ist bei mir so chronisch geworden, daß er wohl nicht mehr zu kurieren ist. Mir fehlt Grund und Boden, ich stehe nirgends auch nur mit einer Zehe fest‹64.

Es war eine Zeit ungewissen, spannungsvollen Harrens und Wartens, welche sich durch ein volles Vierteljahr bis gegen Ende November dahinzog. Da ›Lohengrin‹, ›Tannhäuser‹ und der ›fliegende Holländer‹ sich in Wien als Zug- und Kassenstücke bewährt hatten, hatte die Direktion der kaiserlichen Oper gern nach Wagners neuestem Werke gegriffen. Sobald sie aber einsah, welche große Aufgabe sie sich damit selbst gestellt, sobald sie gewahrte, welchen Grad der künstlerischen Vollkommenheit der Meister von dieser Aufführung forderte, da kannte sie nur die eine Sorge, sich aus den eingegangenen Verpflichtungen wieder herauszuwinden. ›Unfähigkeit der Leitung, Sängerintriguen, journalistische Diatriben, Disziplinlosigkeit und Unverläßlichkeit maßgebender Faktoren vereinigten sich zu einem stets sich erneuenden Angriff auf die Nerven des gemarterten Komponisten. Wagner wurde mit Versprechungen in illoyalster Weise hingehalten. In erster Linie waren es stete Nachrichten von Anders unmittelbar zu erwartender Genesung, später verfehlte Engagements und Unterhandlungen mit Sängern, an deren Brauchbarkeit [341] für solche Aufgaben ernster Urteilende nicht denken konnten, welche zur Beruhigung des Komponisten zu dienen hatten. Ihre klare Aufgabe, einen der Titelrolle gewachsenen Sänger zu erwerben, konnte und wollte die Direktion nicht erkennen. Das dem Komponisten gegebene Wort wurde buchstabenweise zurückgezogen‹. So berichtet, den von uns geschilderten Tatsachen in einigen Hauptpunkten bereits vorausgreifend, einer, der diese Wiener Vorgänge Tag für Tag mit erlebt hat:Dr. Gustav Schönaich, der Stiefsohn von Wagners ausgezeichnetem Wiener Freunde Joseph Standhartner65. Seine erhabenen Kunstziele mußte Wagner damals allein und ohne jegliche Unterstützung gegen eine der korruptesten Theaterwirtschaften und gegen eine Presse durchzusetzen suchen, die moralisch auf derselben Höhe wie jene stand, dabei aber zielbewußter und geschickter verfuhr. Aus der Unzahl der am ersten Tage so laut jubelnden Wiener ragt eine einzige wirklich sympathische Erscheinung hervor, die desDr. Standhartner, späteren Primararztes am Wiener Allgemeinen Krankenhaus: der stets innig ergebene und in großer Weise hilfreiche persönliche Freund, der so treffliche Arzt wie verständnisvoll eifrige Kunstförderer, eine der letzten echten altösterreichischen Bürgergestalten der einst so deutschen Donaustadt66. ›Nichts ist in Wagners Leben schöner als diese Freundschaften, die, eine nach der anderen, wachgerufen durch die Zaubermacht seiner Kunst und seiner Persönlichkeit, entstehen, um dann – ausnahmslos – unerschütterlich fest und treu bis in den Tod zu währen. Auch Standhartner hat manches für und durch seinen großen Freund durchzumachen gehabt; seine Treue hat aber nie gewankt, ebensowenig wie Wagners Dankbarkeit jemals verblaßte‹67. ›Der in harten Zeiten treulich zu mir stand, meinem Freund Standhartner hänge ich mich an die Wand,‹ schrieb der Meister später eigenhändig unter ein, diesem gewidmetes Porträt; und Dr. Schönaich sagt von diesem, nur durch den Tod zerrissenen Verhältnis: ›von Wagners herzenswarmem und treuem Festhalten an wahren Freunden legt es das schönste und unwiderleglichste Zeugnis ab‹.

Einen erheiternden Verkehr in dieser trüben Zeit fand er außerdem in dem treu ergebenen jüngeren Kunstgenossen, dem dichterisch und musikalisch so reich veranlagten Peter Cornelius. Dieser hielt sich damals privatisierend in Wien auf und hatte zeitweilig an der ›Österreichischen Zeitung‹ das Referat über die musikalischen Vorkommnisse der Donaustadt. Unter seiner Chiffre ›P. C.‹ brachte das genannte Blatt sogar in seiner Nr. 256 (Dienstag 8. Oktober) eine Besprechung des damaligen neuesten Ereignisses an der Hofoper (einer [342] besonders glänzenden Ballett-Aufführung), welche tatsächlich nicht von ihm, sondern aus der Feder Richard Wagners herrührt. Die Tradition seiner Autorschaft an jenem Feuilletonartikel hat sich in den befreundeten Wiener Kreisen erhalten68; über den Zufall seiner Entstehung hingegen etwas Näheres in Erfahrung zu bringen, hat uns bisher noch nicht gelingen wollen. Das zu so hoher Auszeichnung gelangte Ballett ›Gräfin Egmont‹ hatte den damaligen Wiener Ballettmeister Rota zum Verfasser; das Ensemble desselben wird uns durch Wagner selbst als ein ›ebenso reich und phantasievoll komponiertes, wie meisterlich ausgeführtes‹ bezeichnet; insbesondere rühmt er darin die ›wirklich tragische Leidenschaftlichkeit‹ der hinreißenden ersten Tänzerin Frl. Couqui69. Ein Anhang dieser Besprechung gewährt uns einen Einblick in die allerdings ungemein schwierige Lage, in welche die Direktion durch die anhaltende Stimmkrankheit Anders geraten war. Als Aushilfe war einstweilen ein, lediglich in den Werken des italienischen und französischen Repertoires eingeübter Tenorist (Stighelli) engagiert; unmöglich konnte dieser auf die Dauer den an ihn gestellten Anforderungen genügen. Man sah deshalb mit einiger Erwartung dem Engagement eines neuen Tenoristen, Morini, entgegen, immer zu demselben Behuf, einer Entlastung Anders. Auf die Genesung dieses Letzteren blieb schließlich jede Hoffnung der Direktion gerichtet, und auch Wagners am Schlusse jener Besprechung gegebener Überblick über die augenblickliche Situation der Hofoper hält noch daran fest, daß es nur noch einer nötigen kurzen Schonung bedürfe, um den erkrankten Sänger ›schöner und frischer als zuvor über sein sympathisches Gesangsorgan verfügen zu lassen‹. Die Tatsache der Aufführung des ›Tristan‹ werde alsdann auch Herrn Salvi als Direktor absolvieren. ›Er wird uns dann, während in Berlin ein vollblutig deutscher Edelmann‹ (Herr v. Hülsen) ›als Intendant des deutschen Hoftheaters mit einer besonders hierzu engagierten italienischen Operngesellschaft die Wintersaison eröffnet, Wagners neueste Oper vorführen, trotz der eifrigsten [343] Gegenbemühungen deutscher Musikkritiker, denen dieses Werk zu deutsch dünkt, um es gelten zu lassen. Möge bis dahin Herr Salvi über die vielen Angriffe, denen er jetzt ausgesetzt war, sich mit dem Schicksale des mutig von ihm verfochtenen deutschen Werkes trösten! Es wird vermutlich nicht härter ausfallen, als das seiner Vorgänger, derselben Werke, welche von denselben Kritikern mit demselben Übelwollen im voraus denunziert wurden und dennoch vom Publikum, das sich guten Aufführungen gegenüber nun einmal nicht irre machen läßt, gerecht und freundlich aufgenommen worden sind. Somit wird wohl auch diesmal die Gerechtigkeit nicht ausbleiben, sobald der Appell an die Tat möglich ist, welchen einzig jene Anfeindungen eben zu verhindern suchen‹.

Einstweilen saß der Meister ohne jede Möglichkeit zur Betätigung in seinem Hotel zur ›Kaiserin Elisabeth‹ (Weihburggasse). Um sich in seiner schwierigen Lage Mittel zuzuführen, bot er von hier aus seinem Prager Freunde Apt seine Mitwirkung an einem dort zu veranstaltenden Konzert mit Bruchstücken aus seinen Werken an; doch war hinsichtlich des Termines eine Einigung nicht zu erzielen70. Eine Vorstellung des ›fliegenden Holländers‹ in der Hofoper war durch die Anwesenheit seiner, auf einige Wochen von Paris her eingetroffenen Gönner, des Fürsten und der Fürstin Metternich, ausgezeichnet. Die Fürstin ließ ihm bei dieser Gelegenheit einen silbernen Lorbeerkranz als ›Zeichen der Dankbarkeit‹ überreichen. Als Gegenaufmerksamkeit von seiner Seite bestimmte Wagner eine Privataudition von Fragmenten seines ›Tristan‹, in Gestalt einer Vormittagsprobe, nach Art der vor einem halben Jahr für ihn veranstalteten Probe seines ›Lohengrin‹. In einem Schreiben vom 23. Oktober ›an die geehrten Mitglieder des k. k. Hofopernorchesters zu Händen des Herrn Kapellmeisters Esser‹ legt er diesen, unter Berufung auf jene ›Lohengrin‹-Probe, die Bitte vor: ›sie möchten Zeugnis ihrer, ihm so werten Gesinnung ablegen und an einem Vormittage ihm zwei Stunden schenken, um mit ihnen einige Fragmente des »Tristan« durchzugehen‹. Drei Tage später (26. Oktober) ging diese Audition vor einem sehr kleinen Kreise Eingeladener, eben der Fürstin Metternich mit ihren Angehörigen, vonstatten: es wurde darin das Vorspiel, ein Teil des zweiten und der Schluß des dritten Aktes unter Wagners Leitung mit dem größten Eindruck ausgeführt. ›Vom zweiten Akt‹, berichtet Dr. Schönaich, der sich unter den Hörern befand, ›gelangte nur die erste Szene: Isolde und Brangäne (Frau Dustmann und Frl. Destinn71) zur Aufführung. Ander wirkte bei dieser Probe [344] nicht mit, war aber, wie ich mich zu erinnern glaube, auf der Bühne anwesend. Wagner, der dirigierte, war bei dieser Probe in bester Laune und gab das Zeichen zum Beginn des »Liebestod« ans Orchester mit den Worten: »Also, meine Herren, jetzt die Schlußcabaletta!« – was große Heiterkeit hervorrief‹72. Ein Brief vom 6. November an einen französischen Freund, Mr. Lorbac, zeigt ihn scheinbar voll bester Erwartung auf das Zustandekommen der Aufführung; doch klingt zwischen den Zeilen etwas von der inneren Hoffnungslosigkeit durch, die er sich selbst nicht eingestehen will. ›Ich bin fest entschlossen‹, heißt es darin, ›Wien vor der Aufführung von »Tristan und Isolde« nicht zu verlassen. Die darin mitwirkenden Künstler sind mir sehr günstig gesinnt; das Orchester – welches bereits in einer nicht offiziellen Probe einzelne Stücke gespielt hat – ist enthusiasmiert und behauptet, daß die Musik die meiner anderen Partituren übertreffe. Die Dustmann (Isolde) kennt bereits ihre Rolle und singt sie bewunderungswürdig; alle übrigen Sänger sind voll Eifer und scheinen glücklich, unter meiner Leitung singen zu können. Nur der Tenorist Ander ist noch leidend; ich erwarte seine Wiederherstellung, die er im Laufe des Monats erreicht zu haben hofft. Ich bin daher verpflichtet, hier länger, als ich dachte, zu bleiben, denn ich darf das Terrain nicht verlassen, an welches ich mich durch alle Bande der Ehre und der Kunst gefesselt fühle; sonst wäre ich jetzt nach Paris gekommen. Mögen meine Freunde mir nicht zürnen wegen meines langen Stillschweigens. Für den Moment habe ich nur eine Sache vor Augen: meinen »Tristan«, und es existiert für mich kein anderes Interesse‹.

›Nur der Tenorist Ander ist noch leidend‹ – in diesen Worten war trotzdem das Schicksal des Werkes und seines Schöpfers besiegelt Vergeblich war es, daß er mit dringenden Aufforderungen an Tichatschek sich wandte. Letzterer konnte für diesen Winter nicht aus seinem Dresdener Verhältnis abkommen. Zwei kurz hintereinander an Tichatschek entsandte Briefe (14. und 16. November) legen ihm die Bitte des Meisters in einer Weise nahe, deren hinreißende Beredsamkeit selbst dem unbeteiligten Leser ans Herz geht. ›Gestern teilte mir ein Dir Befreundeter den vermutlichen eigentlichen Grund Deiner Abneigung, nach Wien zu kommen, mit. Man meint nämlich, Du habest Dich bei Deinem dereinstigen Gastspiel in Wien, mit Grund, so sehr über die Undankbarkeit des Publikums zu beklagen gehabt, daß Du jetzt einer ähnlichen Aufnahme seinerseits Dich nicht wieder aussetzen möchtest. Ich bitte Dich, ist dies der wirkliche Grund, der Dich vielleicht schon für diesen Winter abhält, so laß Dir doch ja aus gutem Gewissen hierüber eine günstigere Meinung beibringen. Seitdem Du damals mit der Lind gastiertest, oder vielmehr[345] – ich kann es wohl sagen – seitdem hier neuerdings meine Opern aufgeführt sind, ist eine ungeheure Veränderung beim Wiener Publikum vor sich gegangen, die Dir jeder zugestehen und sofort bezeugen wird. Glaube dies, und glaube dies sicher! Ich selbst habe es ja zu meiner Überraschung und Verwunderung erfahren. Du hast keinen Begriff, mit welchem Enthusiasmus hier meine Opern stets aufgenommen werden. Und wirklich haben sie dieselben noch nie von einem wahren Kerl als Tenor gehört. Du kannst Dir leicht denken, was Ander alles zu wünschen übrig läßt. Als ich den »Lohengrin« von ihm hörte, mußte ich mich wohl zufrieden stellen: sogleich aber sagten mir solche, die Dich in der Rolle gehört hatten, daß ein Ton Deiner Stimme mehr Poesie hätte, als das ganze Kerlchen hier. Kennst Du Grimminger? Er soll sehr mittelmäßig sein, namentlich keine Stimme haben. Gut! trotz Anders Beliebtheit beim Publikum, ist Grimminger als Lohengrin neunmal stürmisch gerufen worden und hat groß Glück gemacht. Ich bitte Dich: bedenke dies! Wenn Du noch singst wie damals, als Du mich in Zürich besuchtest73, so mußt Du in meinen Opern hier ja ein Furore ohnegleichen machen! ... Ich rate Dir daher, wenn Du noch diesen Winter kommen könntest, – was himmlisch wäre! – so engagiere Dich nur für meine Opern, namentlich für den »Tristan«. Du singst zu Anfang dreimal hintereinander den »Lohengrin«, und hast dann alles im Sack. Willst Du dann auch eine andere Oper singen: in Gottes Namen! – Höre, alter Freund! – Sei'n bissel resolut!! – Schlag Dir alle Grillen aus dem Kopf. Kannst Du nicht schon im Dezember kommen, so komm' am 1. Januar! Mach's! Tu's doch!! – Du glaubst nicht, welche Wendung Du damit meinem Schicksale gäbest! Gott, ich verdiente wohl einmal, daß etwas Außerordentliches für mich geschähe: meine Lage selbst ist so außerordentlich! – Ich bitte, flehe! – Schlag Dir die Grillen aus dem Kopf! Komm, komm so schnell als möglich!! –‹

Vergebens blieben diese flehentlichen Mahnungen, weder Tichatschek noch Schnorr konnten sich für diesen Winter aus ihrem Dresdener Engagement lösen. Mit Niemann hatte Wagner seinerzeit in Paris, gleich im Beginn der ›Tannhäuser‹-Unternehmung, über sein neuestes Werk verkehrt: dieser hatte damals behauptet, der König von Hannover würde ihm jeden Sänger und jede Sängerin sofort engagieren, welche er zu einer Mustervorstellung seines ›Tristan‹ nötig haben würde, sobald die Vorstellung in Hannover stattfinden sollte.74 Nach den weiteren, mit ihm gemachten Erfahrungen konnte es aber Wagner nicht in den Sinn kommen, an diesen Sänger für seinen ›Tristan‹ [346] zu denken. Ein fernerer Rundblick in der deutschen Sängerwelt war ebenso wenig ermutigend, und die von der Direktion in dieser Angelegenheit getanen Schritte blieben erfolglos. Jener Tenorist Morini (S. 343), ein geborener Elsässer, in Paris und Italien ausgebildet und zuletzt in Madrid als erster Tenor tätig, erwies sich nicht einmal für die anderweitigen Bedürfnisse des Wiener Repertoires verwendbar. Die schreibefertigen Federn der Wiener Journalistik beeilten sich unter diesen Umständen die Kunde in die Welt zu setzen: die Oper ›Tristan und Isolde‹ sei nunmehr auch von der Wiener Hofbühne für immer zurückgelegt und der Komponist für sein langes fruchtloses Warten durch eine Abschlagszahlung entschädigt worden. Einige Wiener und Berliner Blätter brachten die Nachricht, und ihre Kolleginnen druckten sie eifrig nach. Weder konnte von einer Zurücklegung des definitiv zur Aufführung angenommenen Werkes die Rede sein, noch hatte Wagner irgendeine ähnliche Zahlung akzeptiert. Auch jene, für die Fürstin Metternich privatim veranstaltete Probe im Hoftheater sollte angeblich die Unmöglichkeit des Werkes dargetan haben!!75 Da die gleichen Nachrichten in Gestalt von ›Wiener Musikberichten‹ in angesehene Berliner Blätter übergingen, erließ Bülow dagegen in der vielgelesenen ›Allg. Preußischen Zeitung‹ einen entschiedenen Protest. Wohl seien bei Veranlassung der, durch das fortwährende Unwohlsein des Herrn Ander bewirkten Verzögerung der Aufführung zwischen der Direktion und Wagner auch im Betreff des Honorars bestimmte Vereinbarungen getroffen worden: ›Herr Richard Wagner habe jedoch das auf Grund der Verzögerung ihm gemachte Anerbieten einer Abschlagszahlung abgelehnt‹. ›Es erscheint nicht der Mühe wert‹, fährt diese Berichtigung fort, ›die aus der Luft gegriffenen Plaudereien über eine bekanntlich von dem eklatantesten Erfolge begleitete Generalprobe (?) zu widerlegen, obwohl die unziemliche Erwähnung einer fürstlichen Bewundererin des Komponisten, sowie die Verdächtigung des Eifers und guten Willens des mitwirkenden Personals eine Rüge verdienten. Herr Ander mag sich vorlaute und unverständige Privatäußerungen haben zu Schulden kommen lassen; sein bedauerlicher Gesundheitszustand, seine ängstliche Sorge um Erhaltung der Reste seines früher so glänzenden Materials gebieten in diesem Punkte Nachsicht‹. Diese Berichtigung Bülows ist vom 21. November 1861 datiert; an dem gleichen Abend betrat in Wien der so beliebte Sänger nach sechsmonatlicher Stimmlosigkeit zum erstenmal wieder, [347] als Pylades in Glucks ›Iphigenie in Tauris‹, die Bühne der Hofoper. Der Jubel des vollen Hauses soll unbeschreiblich gewesen sein. Unmittelbar danach trat der frühere Zustand wieder ein.

Es blieb nichts übrig, als eine Vertagung der Aufführung bis auf bessere Zeiten. ›Dieses Wien dauerte für mich diesmal nur vier Monate‹, schreibt Wagner im Rückblick darauf76. ›Aber diese vier Monate kamen nach einem erfahrungsreichen Leben, und sie haben den Ausschlag gegeben. Sie haben sich oft gewundert über meine Zähigkeit, wie ich aushielt und immer die Hoffnung nicht vollständig aufgeben wollte. Ach Gott! ich bot mich damals mit allem, was ich kann und vermag, an. Hätte man einigen Nutzen aus mir ziehen wollen oder können, wer weiß, welchen anderen Lebensentschluß ich da gefaßt hätte! Nun steht es aber anders. Die Zeit ist vorbei, ich habe genug und muß denjenigen Glück wünschen, die bei unseren Operntheatern aushalten können. Ich käme mir wirklich recht unglücklich vor, wenn ich mir den Anschein geben müßte, als läge mir an irgend in der Welt etwas, was eine gewisse Art von Leuten mir gewähren könnte. Wollt Ihr mich einmal haben, und fühlen die Wiener, daß es denn doch so dumm nicht wäre, nach Anderem und Verschiedenem sich auch wieder einmal mit mir zu beschäftigen, so käme ich herzlich gerne, aber nur wenn ich – gebeten wäre! Das wird vielleicht recht lange dauern! Vielleicht bis zum gänzlichen Verblühen dieses oder jenes Tenoristen. Wohl möglich, aber es kann doch nicht anders sein‹.

Fußnoten

[348] 1 Vgl. den obigen Brief Wagners vom 9 April und die darauf erfolgte Antwort des Staatsministers Walewski vom 14. April 1861 in Nuitters wiederholt zitiertem Aufsatz: ›Les 164 répétitions et les 3 représentations du Tannhäuser à Paris.‹ (Bayr. Festbl. 1885).


2 Bülow an Alexander Ritter, 10. April 61: ›Ich war eine Woche in Karlsruhe, am Lose diplomatisieren. Ich glaube, das Gewünschte erreicht zu haben, ein Asyl für R(ichard) W(agner). Näheres mündlich. Im Frühjahr kommt Wagner nach Deutschland.‹


3 Bülow an A. Ritter, 1. Mai 1861: ›Daß Wagner in Karlsruhe gewesen, mit dem von mir präparierten Großherzog viel gesprochen und schließlich von demselben die feste Zusicherung erhalten, daß der »Tristan« am 9. September unter Wagners Leitung aufgeführt werden soll, ist Dir wohl bekannt.‹


4 Bülow an A. Ritter: ›Das Beispiel Napoleons des Großen wirkt. die nach Wagners Ansicht nötigen Sänger sollen von außerhalb besonders dazu engagiert werden.‹ (1. Mai 1861).


5 Vgl. die gleichzeitige Notiz aus Karlsruhe: ›Richard Wagner will sich, wie es heißt, hier ansiedeln und sei nen Wohnsitz in der freundlichen Umgebung unserer Stadt nehmen. Auch der Hoftheaterdirektor Herr Devrient bewohnt eine Villa vor der Stadt‹ (N. Berl. Musikzeitung vom 19. Juni 1861).


6 Die Herausgabe des Gedichtes vom ›Nibelungenring‹ war von ihm noch während der Proben zum ›Tannhäuser‹ geplant worden; vgl. den Briefwechsel mit Liszt II, S. 280: ›Ich willes herausgeben, und weiß nicht, woher das Exemplar nehmen, wonach es gedruckt werden soll‹. Am 2. Dezember 1860 sandte ihm Liszt das Exemplar des Weimarer Regierungsrats Müller. (Ebenda S. 281).


7 Bülow an A. Ritter: ›W. ist am 26. wieder nach Paris zurückgekehrt, und erwartet dort Liszt, der sich gestern auf die Reise gemacht hat und gegen den 8. Mai spätestens in Paris eintrifft. Kurz darauf reist Wagner ab, die deutschen Theater zu besichtigen und seine Leute zu entdecken, zunächst nach Wien, wo ihm vermutlich eine ganz anständige Aufnahme bereitet werden wird‹. (1. Mai 1860.)


8 Im Briefwechsel nicht erhalten; vgl. aber Liszt an Mme. Street: ›Wagner a laissé quelques lignes pour moi avant de partirle même jour que j'arrivais ici. (Liszts Briefe III, S. 151.)


9 Band I, S. 160/61.


10 Band II, S. 244.


11 Selbst den Wiener Claquemhes Herrn Jakob Schöntag nicht ausgenommen, der sich noch bis an sein Lebensende (März 1898) dieser seiner einzigen Begegnung mit dem Meister entsann. ›Herr Schöntag‹, habe dieser zu ihm gesagt, ›klatschen Sie nicht zu viel, klatschen Sie überhaupt nicht, und wenn Sie pfeifen hören, verhalten Sie sich ruhig – ich bin an das Auspfeifen gewohnt.‹


12 Vgl. Band II, S. 98/99. 166. 176 ff.


13 Vgl. zu dieser ganzen Episode die auf eigenen Erinnerungen des Meisters beruhende, authentische Publikation W. Tapperts im ›Musikal. Wochenblatt‹ 1877, S. 389.


14 Vgl. das im Besitze des Wiener akademischen Gesangvereins befindliche, sinnvoll schöne Dankschreiben vom 17. Mai 1871, mit welchem er die von diesem Verein ihm zugedachte Huldigung durch einen ihm darzubringenden solennen Fackelzug ablehnt.


15 Das Fest, d.h. die Geburtstagfeier des Meisters durch Strauß, scheint dennoch statt gefunden zu haben, trotzdem Wagner inzwischen Wien bereits den Rücken gekehrt hatte; wenigstens finden wir in Kastners Katalog die auffallende Notiz: ›22. Mai 1861: Kapellmeister Strauß führt Fragmente aus »Tristan« auf.‹


16 ›Atem, Kinder, Atem! Der Atem ist der Geigenbogen des Sängers; einen Violinisten, der keinen langen Strich hat, schmeiß' ich hinaus!‹ So lautet das Diktum eines berühmten Gesanglehrers, und auf nichts hielt Wagner von je so große Stücke, als auf die strenge Durchführung der vorgeschriebenen Legatobögen. (Vgl. Hans v. Wolzogen, ›Was ist Styl!‹ Leipzig, L. Senf 1880, S. 37.)


17 Liszt an Mme. Street: ›Wagner est revenu ici avec Tausig avant-hier. Je vous amènerai Tausig, qui m'accompagne jusqu'à Weymar.‹ (Paris 28. Mai 1861.)


18 ›J'ai dîné (hier), chez les Metternich; Gounod avait apporté la partiton de son »Faust«, et je lui ai fait les honneurs de sa Valse pour dessert ... Ce soir je dinerai chez Gounod, et demain chez Rossini, qui m'a acceuilli très paternellement ... demain matin je dois poser chez Mr. Salomon, sculpteur et photographe en renom ici ...‹ ›Lundi je dinerai chez les Duchatel, et Mardi chez Mme. de Rothschild (à Boulogne); Mercredi je voudrais passer quelques heures avec ma mère et Blandine‹ etc. etc. (An Mme. Street S. 151/53).


19 Ebenda S. 151.


20 Nachdem er die glänzende Hofgesellschaft durch den Vortrag mehrerer Stücke entzückt, erbat sich die Kaiserin Eugenie von ihm Chopins Trauermarsch, welcher ein Lieblingsstück ihrer verstorbenen Schwester, der Herzogin Alba, gewesen: Liszt spielte, was von ihm verlangt wurde und zwar mit solcher Meisterschaft, daß die Kaiserin in Tränen aus brach und sich zurückziehen mußte. Aber sie kam später wieder und dankte ihm in sehr verbindlichen Worten.


21 An Mme. Street, Seite 151/52.


22 Briefwechsel Band II, Seite 284.


23 Ges. Schr. VIII, 381. Später erfuhr er zufällig, ein deutsches Musikblatt habe um jene Zeit dennoch über einen letzten Besuch berichtet welchen er – nach dem Durchfall des ›Tannhäuser‹ – im Sinne eines verspäteten pater peccavi Rossini abzustatten für gut befunden; auch hierbei war diesem eine witzige Antwort zuerteilt. Auf seine Versicherung nämlich, er sei keineswegs gesonnen, alle Größen der Vergangenheit herunterzureißen, habe Rossini erwiedert: ›Ja, lieber Herr Wagner, wenn Sie das könnten!‹ (Ebenda.)


24 Vgl. z.B. die Zeitungs-Notiz vom 16. Juni 1861 auf S. 321 Anm.


25 Zürich 1853: Zeltwegwohnung, – 1857: Asyl auf dem grünen Hügel, – 1859: Rue Newton in Paris.


26 ›Vermöchten Sie‹, so schließt dieser vertrauensvoll schöne, durch seine freimütige Darlegung und Zusammenfassung aller Verhältnisse tief ergreifende Brief, ›vermöchten Sie mir in dem bezeichneten Sinne die wichtigste Hilfe, deren ich je bedurfte, zu gewähren, so würde ich sie als von einem Freunde kommend ansehen, der hierdurch die dauerndsten Ansprüche auf meine treueste Freundschafts-Erwiderung sich erworben hätte. Seien Sie deß innig und herzlich versichert, und empfangen Sie meinen tiefsten Dank für Ihr liebenswürdiges Entgegenkommen!‹


27 Briefwechsel, Band II, Seite 286.


28 An Wesendonck.


29 ›Der Klavierauszug von Wagners »Tannhäuser« ist soeben in einer französischen Ausgabe in Paris bei Flaxland erschienen‹ (Signale vom 27. Juli 1861).


30 H. v. Wolzogen, ›Richard Wagner und die Tierwelt‹, S. 43 und 49. ›Sechs Jahre hindurch blieb. »Fips«, das freundliche Hündchen (Pepsens Nachfolger, den er doch nicht vergessen machen konnte!) der Hausgenosse der sorgenreichen Künstlerfamilie; als Wagner nach Paris übersiedelte, folgten ihm mit seiner Frau auch die Züricher Haustiere, der neue Papagei und Fips; doch starb hier das Hündchen plötzlich im Gewirr der Weltstadt, vielleicht vergiftet. Liszt erwähnt es noch einmal in einem Briefe: »Fips soll Dir während der Proben etwas philosophische Geduld dozieren« (31. Mai 1860).‹


31 An Wesendonck, 25. Juni 1861.


32 An Malvida, 25. Juli 61, mitgeteilt in der Zeitschrift ›Cosmopolis‹ 1896, Vol. III, Nr. 8, Seite 562.


33 An Malvida, Ebendaselbst S. 562/63.


34 Es erschien 10 Jahre später (1871) im Verlage von E. W. Fritzsch in Leipzig, und ist besonders durch August Wilhelmjs Bearbeitung für die Violine bekannt geworden, außerdem aber für alle sonst erdenklichen Instrumente bearbeitet worden. Auch befindet sich das ursprünglich Frau Wesendonck gewidmete Lied ›Schmerzen‹ (S. 169 dieses Bandes) als Autograph auf dem Schlosse Königswart im Böhmerwalde, dem Besitztum der Fürstin Pauline.


35 Auch dieses ist, in viel jüngerer Zeit, in demselben Verlage (E. W. Fritzsch in Leipzig) erschienen, ursprünglich als Beilage zum Jahrgang 1897 des ›Musi kalischen Wochenblattes‹, (Oktober)


36 An Cornelius, 14. Juli 1861.


37 An Malvida, 25. Juli 1861.


38 Derselbe datiert: ›Paris, 26. Juli 1861‹ und befindet sich gegenwärtig als interessantes Dokument im Wagner-Museum zu Eisenach. Vgl. Oesterlein, Beschreibendes Verzeichnis IV, S, 8 und 15. (Anm. 18).


39 Die ausführlichsten Nachrichten über den Verlauf dieses Festes bietet Weißheimer in seinen ›Erlebnissen mit Wagner, Liszt u.a. Zeitgenossen‹ (Stuttgart und Leipzig 1898.)


40 ›Als immer mehr »Tonkünstler« einrückten, reichten die Betten nicht mehr aus; in einem Saale des Seitengebäudes wurde ein ganzes Heulager mit großen Tüchern darüber ausgebreitet, und darauf, halb entkleidet, schlief die lustige Gesellschaft die wenigen Stunden, die der Ruhe gewidmet waren.‹ So schildert Weißheimer die Situation


41 ›Bülow hatte nicht nur alle Noten im Kopfe, sondern auch die hier und da zu leichterer Orientierung beigefügten Buchstaben: in der Tat konnte er sein eminentes Gedächtnis in kein glänzenderes Licht setzen, als wenn er einmal 17 Takte vor Buchstaben B, 29 vor Buchstaben Y usw. wieder anfangen ließ und den Hornisten zurief, bei Buchstaben Ee (Mephisto) besonders scharf zu rhythmisieren‹ (Weißheimer S. 71).


42 Nach der einen kurzen Begegnung mit Weißheimer im August 1858 (vgl. S. 183 dieses Bandes und die Schilderung dieses Besuches im Anhang).


43 Von den Erzeugnissen der Jung-Weimarischen Schule war außer Weißheimers Ballade für Baßsolo, Männerchor und Orchester: Das ›Grab im Busento‹ und dem reizenden Kanonterzett aus Cornelius' ›Barbier von Bagdad‹ (Anfang des 2. Aktes) hauptsächlich noch eben dieser, stark gewagte ›Germania-Marsch‹ Dräsekescher Komposition in das Festprogramm aufgenommen


44 W. Weißheimer ›Erlebnisse‹ etc. Seite 71/74.


45 Kürschner, Wagner Jahrbuch 1886, S. 90


46 An Malvida, a. a. O. S. 563.


47 Vgl. Weißheimer, S. 74/75, der auch einiges Nähere über die an diesen Schikanen beteiligten Personen und Kreise zu melden weiß.


48 Ebendaselbst, 77/78.


49 La Mara, Liszt-Briefe Band III, Seite 153.


50 Ebenda Band I, Seite 397.


51 Ebendaselbst B. III, S. 154: ›Wagner est reparti avec ma fille Mme. Ollivier qui est allée voir sa soeur Cosima, et qu'il a accompagnée jusqu'à Reichenhall.‹ S. 145: ›C'est la cure du petit lait (»Molken-Cur«) qui est d'abord ordonnée à Cosima.‹ –


52 Joh. Herbeck, ein Lebensbild von seinem Sohne Ludw. Herbeck. Wien, Guttmann 1885, 117.


53 Ed. Kulke, a. a. O. vgl. S. 282 dieses Bandes


54 Ges. Schr. VIII, S. 315/16: ›Der verstorbene Hebbel bezeichnete mir einmal im Gespräche die eigentümliche Gemeinheit des Wiener Komikers Nestroy damit, daß eine Rose, wenn dieser daran gerochen haben wurde, jedenfalls stinken müßte.‹


55 Kulke, a. a. O., zitiert nach Kastner, Wagner-Katalog S. 73.


56Montrose, der schwarze Landgraf‹.


57 E. Kuh, Das Leben Fr. Hebbels II, S. 487.


58 Vgl. seine briefliche Äußerung gegen Luise Meyer(-Dustmann), vom 23. Februar 1857, in Sachen seines ›Tannhäuser‹ in Wien, S. 139 Anm.


59 II, 169/70.


60 Vgl. Laubes Erinnerungen: ›Die erste Aufführung des »Tannhäuser« in Wien fand statt in einem Theater dritten Ranges, in der Josephstadt. Mit unzureichenden Kräften. Aber der Darsteller des Tannhäuser, ein Schauspieler, welcher wohl nur nebenher Sänger war (?), trug das Rezitativ des von Rom in Verzweiflung zurückkehrenden Tannhäuser so dramatisch vor, daß es mir den stärksten Eindruck gemacht hat, welchen ich je in einer Wagnerschen Oper erlebt habe. »Eine meisterliche Komposition!« rief ich unwillkürlich. Der schön singende Darsteller des Tannhäuser in der Hofoper dagegen, den ich später singen hörte, wußte durch sein wortloses, bloß opernhaftes Singen den Charakter dieses trefflichen Rezitativs so zu verzuckern und zu verwischen, daß gar kein Eindruck übrig blieb.‹


61 Aus dem Herbst 1882, veröffentlicht im Frühjahr 1883 in der ›Neuen Freien Presse‹.


62 In einem Aufsatz für die ›Gegenwart‹ 1876, Nr. 40, S. 220. Merkwürdigerweise behauptet er damals (1876), es sei dies seine letzte Begegnung mit Wagner gewesen, auch gibt er das Jahr 1859 dazu an.


63 So zu lesen in Hanslicks ›Erinnerungen‹ (Deutsche Rundschau, Januar 1894, S. 53/54). Ebendaselbst weiß er nun aber, wie durch eine partielle Erhellung seines Gedächtnisses, im offenen Widerspruch zu seiner eigenen früheren Angabe, noch zwei andere Begegnungen mit Wagner namhaft zu machen! ›Seitdem ich mit Wagner‹, heißt es daselbst, ›je einmal bei Laube, bei Frau Dustmann und bei Standhartner zusammengetroffen, habe ich ihn nicht wieder gesprochen.‹


64 M. v. Meysenbug, ›Genius und Welt‹ S. 564. (In der Zeitschrift. Cosmopolis, Vol. III, No. 8.)


65 Vgl. die Schönaichschen Aufsätze im ›Wiener Tageblatt‹ 1892. Zitiert nach Chamberlain, Richard Wagner S. 76


66 H. v. Wolzogen, Joseph Standhartner, in den ›Bayreuther Blättern‹ 1892, S. 462


67 Chamberlain, a. a. O. S. 77.


68 Auf diese Art wurde es i. J. 1878 durch Emerich Kastner in seinem Wagner-Katalog (Offenbach, André) wieder ans Licht gezogen, und im Anhang des genannten Werkchens abermals zum Abdruck gebracht.


69 ›Fast erdrückend war die Kontinuität der choreographischen Effekte, namentlich im ersten Akte, welcher den Zuschauer unwillkürlich in eine ähnliche Ekstase versetzte, wie sie durch eines jener seltenen Kunstfeuerwerke hervorgebracht wird, bei welchen das Unaushörliche und das Ununterbrochene der Steigerung eine unwiderstehlich hinreißende, ja, der Ungewohnheit des Eindruckes wegen, fast erhabene Wirkung auf uns ausübt. Am Schlusse des großen Walzers im ersten Akte schien wirklich ein solch berauschender Eindruck sich des ganzen Publikums bemächtigt zu haben: es verlangte stürmisch Herrn Rota bei offener Szene, um in ihm den Zauberer zu begrüßen, der ihm ein wahres Wunder der Choreographie vorgeführt. Um die fast gefährlich erregte Stimmung der Zuschauer zu befriedigen, bedurfte es in der Folge der unermüdlichen Anstrengung der genialen Couqui, welche durch ihre erstaunliche, höchst mannigfaltige und dadurch fesselnde Leistung sich als eine der bedeutendsten Koryphäen ihrer lieblichen Kunst bewährte.‹ (Österr. Ztg., 8. Okt. 61.)


70 In gleichem Sinne verhandelte er mit Bülow für Berlin. ›Wagner will uns auf 8 Tage hier besuchen und wird Ende dieses Monates hier eintreffen‹, meldet dieser (21. Okt.) an Alexander Ritter. Er ladet Ritter ein, Wagner mit ihm die Honneurs von Berlin zu machen. Aber schon in seinem nächsten Briefe (17. November) wird die Aussicht darauf widerrufen: ›Wagner sehr traurig in Wien – kommt nicht zu uns.


71 Nachmals Frau Löwe, Gattin und später Witwe des Komponisten Thomas Löwe, und Gesangslehrerin in Prag.


72 Privatmitteilung von Dr. Gustav Schönaich an den Verfasser.


73 Es ist der Besuch von 1856 gemeint (S. 114 dieses Bandes: ›namentlich erfreute mich auch seine Stimme noch sehr‹ etc.), nicht der von 1859 (S. 183); denn bei dem Letzteren war ja Tichatschek nicht zum Singen zu bewegen gewesen!


74 Briefwechsel mit Liszt Band II, Seite 274, vgl. Seite 278.


75 Vgl. die Notiz der ›Signale‹ vom 7. Nov. 61, S. 648: ›Die Aufführung von Wagners »Tristan und Isolde« ist trotz der begonnenen Orchesterproben wieder in Frage gestellt, und zwar nicht wegen des, noch immer nicht ganz hergestellten Sängers Ander, sondern wegen der allzugroßen Zumutungen, welche Wagner an die Auffassung und das Gedächtnis seiner Sänger stellt.‹ Vgl. S. 679: ›Ohne besondere Zukunftsgedächtnisse der Sänger ist die Oper allerdings nicht aufzuführen, und der anfängliche Jubel ist bei näherer Bekanntschaft mit der Partitur bedeutend abgedämpft worden.‹


76 Brieflich an Frau Luise Dustmann, 3. März 1862.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 316-349.
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