XV.

Die Biebricher Katastrophe.

[376] ›Mein Reich ist nicht von dieser Welt‹. – Schnorr als ›Lohengrin‹. – Besuch Bülows und Schnorrs in Biebrich. – Gemeinsame Rheinausflüge. – Wiedersehen mit Röckel. – ›Fünf Gedichte für eine Frauenstimme‹ in Schotts Verlag. – Der gebissene Daumen. – Katastrophe mit Schott. – ›Lohengrin‹ in Frankfurt. – Weißheimers Konzert im Leipziger Gewandhaus.


Ich konnte mich nicht in meinem Rhein-Asyl für die Arbeit erhalten. Der Verleger ließ mich im Stich. Ein Vierteljahr vollständiger Auflösung, nutzloser Bemühungen, unsäglicher Nöte trat ein.

Richard Wagner.


Einen anregenden Brief Malvidas aus London über die damals so sehr in Gärung besindlichen Weltverhältnisse und die Möglichkeiten einer gedeihlichen politischen Entwickelung der europäischen Menschheit beantwortete er (15. Juni) mit einer bedeutungsvollen Reflexion über die Nichtigkeit alles irdischen Machtstrebens. ›Soviel ist gewiß, daß der Messias-Mythus der allertiefst bezeichnende für alles Erdenstreben ist. Die Juden erwarteten den Befreier, den Messias, der das Reich Davids aufrichten, Gerechtigkeit vor Allem, aber auch Größe, Macht, Sicherheit gegen Unterdrückung bringen sollte. Nun traf alles ein: in Bethlehem geboren, aus dem Stamme Davids, die Drei-Königs-Prophezeiung etc., festlicher Empfang in Jerusalem, Palmen gestreut – da steht Er, alles lauscht, und Er verkündet ihnen: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt! Entsagt euren Wünschen, das ist die einzige Erlösung und Befreiung!« Glauben Sie, all unsre politischen Befreiungshelden kommen mir heimlich wie die Juden vor. Aber gut! Das darf man nur äußerst Wenigen sagen, das versteht sich, und somit – sehen wir zu!‹

›Mein Reich ist nicht von dieser Welt!‹ Je mehr sich die Außenwelt ihm entzog und ihn auf die einsamen Entzückungen zurückwies, die ihm aus dem Innern quollen, desto mehr wird jener gern von ihm gebrauchte Ausspruch zum eigentlichen Inhalt und Ausdruck seines Künstlerglaubens. Das [376] Vorspiel des dritten Aktes der ›Meistersinger‹ weiß uns davon zu sagen. Wie sich ihm unter diesem Gesichtspunkt alle jene, nach wie vor auf die politische Gestaltung der Öffentlichkeit gerichteten Bestrebungen seiner sonstigen Freunde und Gesinnungsgenossen ausnahmen, läßt sich besonders deutlich auch aus seinen gleichzeitigen Briefen an Röckel erkennen.1 ›Politisch sein, heißt so viel, als immer nur das nächst Mögliche im Auge halten; »Ideen« gehören der Philosophie, nie aber dem Gros der Menschheit, bei dem jeder höhere Gedanke sofort Aberglauben oder Wahnsinn wird.‹2 Die Freundin hatte ihm von ihrer Absicht einer dauernden Niederlassung in Florenz geschrieben und den Wunsch hinzugefügt, dort seines Umganges genießen zu können. ›Was ist mit mir nicht alles möglich!‹ ruft er dazu aus. ›Ich mag nicht einen Monat voraus mehr bestimmen. Ganz bestimmt will und suche ich nichts mehr auf dieser Welt als Muße zum Arbeiten, weil dies einzig mein Vorhandensein mir erklärlich und akzeptabel macht. Auf Aufführungen kann ich ganz und gar verzichten. Aber diese Muße mir zu sichern, ist eben so abscheulich schwer. Ich arbeite im Stillen immer an einem Plan, für alle Menschen zu sterben und irgendwo heimlich, als abgeschiedener Geist, nur noch meine künstlerischen Entwürfe auszuarbeiten. Ich komme sonst nicht zur Ruhe. Natürlich denke ich hier so lange zu bleiben, als ich es irgend für meine Arbeit erschwingen kann. Sie geht vorwärts und gelingt – aber ich kann nicht schnell arbeiten. Erstlich: der unabweislichen äußeren und inneren Unterbrechungen wegen; dann, weil mir kein Takt Freude macht und gefällt, der seine Entstehung nicht einem wahrhaft guten Einfall verdankt. Die kann man aber nicht kommandieren.‹3

Ein sonderbares Geschick hatte ihn bis dahin von der persönlichen Bekanntschaft Ludwig Schnorrs von Carolsfeld fern gehalten. Gelegentlich einer ›Lohengrin‹-Vorstellung in Karlsruhe, in welcher Schnorr von Dresden aus als Gast auftrat, entschloß sich der Meister dazu, diesen ihm nun schon so oft genannten Sänger doch endlich selbst zu sehen und zu hören. Hierzu kam er heimlich an und nahm sich vor, sich von niemand sehen zu lassen, um namentlich Schnorr seine Anwesenheit zu verbergen. Er besorgte durch seinen Anblick in seinen Befürchtungen von dem abschreckenden Eindruck seiner vermuteten Mißgestalt bestärkt zu werden, und wünschte sich ihm in diesem Falle, seiner Verzichtleistung auf ihn getreu bleibend, auch persönlich unbekannt zu erhalten. Diese seine scheue Stimmung änderte sich nun schnell. ›Bot mir der Anblick des, im kleinen Nachen landenden, Schwanenritters den immerhin für das Erste etwas befremdenden Eindruck der Erscheinung eines [377] jugendlichen Herakles, so wirkte aber auch mit seinem Auftreten der ganz bestimmte Zauber des gottgesandten, sagenhaften Helden auf mich, in dessen Betreff man sich nicht fragt: wie ist er? sondern sich sagt: so ist er! Diese augenblickliche bis in das Innerste gehende Wirkung kann nur eben dem Zauber verglichen werden. Ich entsinne mich, sie in meinem frühesten Jünglingsalter für mein ganzes Leben bestimmend von der großen Schröder-Devrient empfangen zu haben, und seitdem nie wieder so stark, als von Ludwig Schnorr bei seinem Auftreten im »Lohengrin«. Alsbald erkannte ich im Verlaufe seines Vortrages noch mancherlei Ungereiftes seiner Auffassung und Wiedergebung; aber auch dieses bot mir den Reiz der unentstellten jugendlichen Reinheit, der keuschen Anlage zur blühendsten künstlerischen Entwickelung.4 Die Wärme und zarte Begeisterung, welche aus dem wunderbar liebevollen Auge des ganz jugendlichen Mannes sich ergoß, bezeugten mir sofort auch das dämonische Feuer, zu dem sie zu entflammen waren. Er ward mir schnell zu einem Wesen, für das ich seiner ungemessenen Begabung wegen in ein tragisches Bangen geriet.‹ So Wagner selbst in seinen Erinnerungen an Schnorr.5 Die übrige Aufführung war an sich selbst tief unter der Mittelmäßigkeit. Eduard Devrient als oberster Leiter der Karlsruher Bühne hatte sich die Partitur dazu seiner Zeit, um der Mühe des ›Streichens‹ überhoben zu sein, eigens aus Leipzig kommen lassen, mit all jenen jämmerlich verunstaltenden Kürzungen, mit denen sie daselbst durch Rietz ausgestattet worden war.6 ›Der Komponist lief im zweiten Akt wütend hinaus‹, erzählt Bülow.7 Aber die an Schnorr gemachte Entdeckung war in seinem Leben ein entscheidendes Ereignis. Er hatte einen befähigten ›Tenoristen‹ gesucht, und einen ›singenden wirklichen Musiker und Dramatiker‹ gefunden. So gleich nach dem ersten Aufzuge erteilte er einem hierzu aufgesuchten Freunde den Auftrag, den Sänger um eine Zusammenkunft nach der Vorstellung zu bitten. Dies ward ausgeführt. Der junge Recke trat unermüdet noch am späten Abend in das Gasthofzimmer des Meisters. Während Wagner, in jener qualvollen Wiener Periode, seitens eines unfähigen Sängers immer neue Wünsche um Änderungen und Kürzungen in der Partie des ›Tristan‹ zu ertragen gehabt hatte, waren Schnorr und seine Gattin, das zuvor in Karlsruhe als vortreffliche Künstlerin gefeierte ehemalige Frl. Garrigues (S. 226), aus eigenem Antriebe mit größter Liebe und innigem Verständnis in die Hauptpartieen seines Werkes eingedrungen. Der Bund zwischen dem Meister und seinem ›Tristan‹-Sänger war geschlossen. ›Wir hatten nur zu scherzen, wenig uns zu sagen.‹ Nur ein allernächstens auszuführendes längeres Zusammensein in Biebrich ward verabredet.

[378] Um den 20. Juni war der inzwischen genesene Weißheimer ganz nach Biebrich in die Nähe des Meisters übergesiedelt, wo er im ›Europäischen Hof‹ Pension nahm und zunächst einen vierhändigen Klavierauszug des Meistersinger-Vorspieles ausarbeitete. Daher weiß er uns in seinen Erinnerungen manches über Wagners damaligen Verkehr mitzuteilen. Öfteren Besuch habe er aus dem benachbarten Wiesbaden gehabt. ›Da wohnte der große Weingutsbesitzer und Justizrat Wilhelmj, welcher mit seiner blühenden Gemahlin und deren blondlockigem Söhnchen August, dem späteren berühmten Geiger, häufig (?) herüberkam. Einmalließ sich Wagner auf Bitten von Frau Wilhelmj an den zweiten Siegfriedakt bringen, der nur skizziert war, bei dessen Interpretation man ihm daher nicht behilflich sein konnte. Er begleitete sich also selbst, und als er merkte, daß sein Spiel mehr und mehr zu einem unverständlichen Chaos wurde, sprang er wütend auf, schleuderte die Blätter fort und rief: »Jetzt bringt mich aber niemand mehr dran!« Dieser plötzliche Ausbruch wirkte um so erheiternder, als er allzusehr mit dem großen Ernst kontrastierte, den er soeben noch beim Vortrag entfaltet.‹ Auch erwähnt Weißheimer unter den Besuchern Wagners von Wiesbaden her den, auf Wilhelmjs Bureau tätigen Dr. jur. Carl Schüler aus Darmstadt. ›Schon im Frühjahr hatte ich ihn in Wiesbaden mit Wagner bekannt gemacht, und natürlich kam er öfters zum Besuch herüber.‹ Ferner den, gleichfalls in Wiesbaden domizilierenden Komponisten und früheren Sekretär Liszts, Joachim Raff. ›Obwohl die musikalische Richtung beider auseinander ging, verkehrten sie doch in recht freundschaftlicher Weise miteinander.‹8 Den liebsten und anregendsten Besuch dieses Sommers aber brachte der Beginn des Juli mit sich, indem das Bülowsche Paar einem längst gegebenen Versprechen zufolge sich auf zwei volle Monate in Biebrich einquartierte. Im Anfang ihres Besuches kränkelten zwar beide jungen Freunde, insbesondere war Bülow während des ganzen Biebricher Aufenthaltes durch ein stets sich erneuerndes Leberleiden übel geplagt, und daher häufig in niedergeschlagener oder verbitterter Stimmung.9 Aber die Bekanntschaft mit den ›Meistersingern‹, deren Dichtung ihnen der Meister vorlas, während ihm Bülow gemeinschaftlich mit Weißheimer dessen vierhändiges Arrangement des Vorspiels am Klavier zu Gehör brachte, glich so manches Übel aus. ›Die Meistersinger von Nürnberg – kapitales Meisterwerk‹, schreibt Bülow an Pohl. ›Hälfte des ersten Aktes ist fertig skizziert – ungeheurer Musikreichtum – ein Humor, gegen den der Shakespearesche fadenscheinig. Ouvertüre C dur – heiter (am Schlusse vier Motive zusammen kombiniert, fertig instrumentiert).‹ In einem [379] gleichzeitigen Briefe Cosimas an Liszt (damals in Rom) gelangt das gleiche Entzücken an dem großen neuen Werke zum Ausdruck. ›Die Meistersinger‹, heißt es darin, ›verhalten sich zu Wagners anderen Schöpfungen ähnlich wie das »Wintermärchen« zu den Werken Shakespeares. Wagners Phantasie hat sich in das Gebiet des Heiteren und Schalkhaften begeben, sie hat durch ihren Zauber das mittelalterliche Nürnberg mit seinen Gilden und Zünften, seinen Handwerker-Poeten, sei nen Pedanten und seinen Rittern heraufbeschworen, um inmitten der höchsten idealsten Poesie das befreiendste Lachen hervorzurufen. Von dem Sinne und der Bestimmung des Werkes abgesehen, könnte man es in seiner künstlerischen Ausführung dem Sakramentshäuschen in der St. Lorenzkirche vergleichen. Wie dort der Bildner, so hat hier der Tonsetzer die anmutigste, phantasievollste, reinste Form erreicht, – die Kühnheit in ihrer höchsten Vollendung; und wie am Fuße des Sakramentshäuschens Adam Kraft das Ganze mit ernster und gesammelter Miene trägt und hält, so in den Meistersingern die Gestalt des Hans Sachs, der mit ruhig tiefer Heiterkeit die Handlung beherrscht und leitet.‹10

Nicht lange ließ das Schnorrsche Paar auf sich warten. Sie hatten ihre Ankunft an einem bestimmten Tage durch eine Depesche im voraus angekündigt. Wagners Biebricher Wohnung besaß, wie bereits erwähnt (S. 365), einen großen Balkon mit dem Ausblick auf die Wiesbadener Chaussee, an beiden äußersten Enden mit je einer großen Blumenvase geschmückt, die aber in diesem Augenblick von jeder Vegetation entblößt waren. Schon von weitem sahen Schnorrs bei ihrem Herannahen den Meister in voller Beobachtung auf dem Balkon, auf dem er erregt auf-und abging, mit seinen Blicken die Straße absuchend, um unter den soeben mit dem Zuge Angekommenen seine Gäste herauszufinden. Kaum hatte er sie erkannt, als er sie von weitem mit lebhaften Zeichen der Freude begrüßte: dann – plötzlich! – schwang er sich mit einem Satz auf die eine der Vasen, und, den Kopf nach unten, die Beine in der Luft, schwenkte er die letzteren, zum größten Entsetzen seiner Gäste, in dieser gefährlichen Stellung dicht am Rande des Balkons einige Sekunden lang salutierend hin und her.11 So ausgelassen machte ihn die Freude über ihre Ankunft, und bekanntlich besaß er bis in sein Alter die zu solchen Extravaganzen erforderliche schwindelfreie Sicherheit und Gelenkigkeit des Körpers. Auch Schnorrs nahmen im ›Europäischen Hof‹ Wohnung, dessen erster Stock, in welchem bereits Bülows und Weißheimer logierten, für die Zeit ihres Aufenthaltes von der begeisterten jungen Künstlerschar fast völlig in Beschlag genommen war. Für einen vortrefflichen Flügel zu den gemeinschaftlichen musikalischen Studien hatte die Aufmerksamkeit Schotts Sorge [380] getragen. Vormittags wurde hier alles durchgenommen, was Wagner nachmittags, wenn er nicht mehr arbeitete, vorgetragen werden sollte. ›Dort am Rheine waren wir nun‹, so erzählt Wagner, ›für zwei glückliche Wochen beisammen, um, von Bülow auf dem Klavier begleitet, meine Nibelungenarbeiten und namentlich den »Tristan« nach Herzenslust durchzunehmen. Hier ward denn alles gesagt und getan, was uns zum innigsten Einverständnis über jedes uns nahe liegende künstlerische Interesse führen konnte. Im Betreff seiner Bedenken gegen die Ausführung des dritten Aktes von »Tristan« gestand mir nun Schnorr, daß diese Bedenken sich weniger auf eine etwa gefürchtete Erschöpfung des Stimmorgans und seiner Kraft bezögen, sondern vielmehr auf das von ihm nicht zu bewältigende Verständnis einer einzigen, ihm dennoch aber allerwichtigst dünkenden Phrase, nämlich der des Liebesfluches, besonders des musikalischen Ausdruckes von den Worten an: »aus Lachen und Weinen, Wonnen und Wunden.« Ich zeigte ihm, wie ich das gemeint habe, und welchen allerdings ungeheuren Ausdruck ich dieser Phrase gegeben haben wollte. Schnell verstand er mich, erkannte, daß er sich im musikalischen Zeitmaße, welches er sich zu schnell vorgestellt, geirrt habe, und sah nun ein, daß die hieraus erfolgte Überhetzung Schuld an dem Mißlingen des rechten Ausdruckes, somit auch an dem Nichtverständnisse dieser Stelle gewesen sei. Ich gab zu bedenken, daß ich hier bei dem gedehnteren Zeitmaße allerdings eine durchaus ungewöhnliche, ja vielleicht ungeheuere Anstrengung fordere; diese Zumutung erklärte er durchaus für geringfügig und bewies mir nun sofort, wie er gerade mit dieser Dehnung die Stelle vollkommen befriedigend vorzutragen imstande sei. Dieser eine Zug ist für mich ebenso unvergeßlich als lehrreich geblieben; die höchste physische Anstrengung verschwand als Bemühung vor dem Bewußtsein des Sängers vom richtigen Ausdruck der Phrase. Das geistige Verständnis gab sofort die Kraft zur Bewältigung der materiellen Schwierigkeit. Wer ermißt, von welchen Hoffnungen ich mich belebt fühlen durfte, da dieser wunderbare Sänger in mein Leben getreten war!‹12

Zu Bülows unnachahmlicher Klavierbegleitung, so berichtet Wagner an anderer Stelle, hätten damals mit den beiden Schnorrs, in seinem kleinen Biebricher Zimmer, vollständige musikalische Aufführungen von ›Tristan und Isolde‹ stattgefunden. Dies ging in meinem Zimmer vor, während auf keinem Theater mir die Möglichkeit, das Gleiche zu tun, geboten werden konnte.13 ›Meine Tochter schreibt mir Wunder von Schnorr und seiner Frau und der Aufführung des »Tristan« bei Wagner in Biebrich‹, meldet Liszt von Rom aus brieflich an Brendel. ›Gäbe es nur schon elektrische [381] Telegraphen zugunsten der musikalischen Ubiquität! Sicher würde ich keinen Mißbrauch damit treiben und mich nur selten mit dem Musiktrödel in Korrespondenz setzen, aber – »Tristan und Isolde« sind mein Seelenflehen!‹14 Geradezu hinreißend habe dabei Wagner, nach den Erinnerungen Weißheimers, die große Ansprache Markes vorgetragen; die Stelle: ›die so herrlich, hold erhaben, mir die Seele mußte laben‹ klinge ihm noch heute (1898) in den Ohren. Schnorrs Vortrag der Stelle: ›dem Land, das Tristan meint‹ sei unsagbar schön gewesen; ›aber nicht minder schön erklang die Antwort Isoldens; denn Frau v. Schnorr war eine ganz ausgezeichnete Sängerin, von welcher ihr etwas jüngerer Gemahl außerordentlich viel gelernt hatte.‹ ›So kamen nacheinander der ganze »Tristan« die »Walküre« und zwei Akte »Siegfried« an die Reihe; denn der letzte war noch nicht komponiert, der zweite nur skizziert, während der erste auf einzelnen Blättern schon in Partitur vorlag. Es war sozusagen ein wahrer Staat, wie Schnorr die Schmiedelieder sang. Wagner war von deren Wucht geradezu erstaunt, und wenn er dann den Mime sang, bildeten beide ein unvergleichliches Duett; denn Wagner exzellierte wahrhaft in dieser Rolle. Er bückte sich, verdrehte sich und entwickelte ein so himmelschreiendes Falsett, daß Stein und Bein erweichen mochten. Dabei wußte er ein Gesicht zu machen, als sähe man deutlich den häßlichen Zwerg mit seinen triefenden Augen vor sich.‹15 Bei solchen Anlässen kam die wunderbare mimische Gabe Wagners direkt und unmittelbar zur Geltung, aus welcher tatsächlich auch sein gesamtes dichterisches und musikalisches Schaffen seine eigentliche Inspiration erhielt. ›Was Wunder‹, fügt der Erzähler hinzu, ›wenn unter solch fesselnden Produktionen die Tage, welche das Schnorrsche Künstlerpaar in Biebrich zubrachte, allzuschnell vergingen.‹

Über anderweitig zuströmende Besuche während dieser schönen Sommermonate, zum Teil noch während Schnorrs Anwesenheit (ca. 10.-24. Juli), vermögen wir einzig auf Grund der gleichen Quelle zu berichten. ›Eines Tages ließen sich zwei Hofkapellmeister zum Besuch anmelden: Aloys Schmitt aus Schwerin und C. Reiß aus Kassel. Obwohl wenig dazu geneigt, war Wagner doch so artig, die beiden Herren nachmittags in seiner Wohnung zu empfangen. Fast gleichzeitig hatte er den Besuch des Konzertmeisters Ferdinand David aus Leipzig‹ (– ›David? Ei! David hier?‹ –), ›den er von früher her kannte. Vor dessen Ankunft verriet Wagner einige Neugier, ob David noch im Besitz seiner auffallend großen Lippen sei, die in seiner Jugend den Mund »wie rote Ringe einfaßten«. Er kam, jetzt ein ältlicher Herr, – die Lippen verblaßt. Zum Glück hatte er seine Geige mitgebracht und spielte mit jugendlichem Feuer am Abend bei Wagner mit Hans v. Bülow Beethovens [382] Kreutzersonate, wie ich sie vollendeter niemals gehört habe. Beide spielten auswendig!‹ – Ferner gedenkt der gleiche Gewährsmann des Eintreffens eines fremden Malers, Herrn C. Willich, den Wesendonck, da er ein gutes Abbild des Meisters zu besitzen wünschte, eigens von Rom habe kommen lassen, indem er zugleich an Wagner brieflich die Bitte richtete, demselben einige Male ›sitzen‹ zu wollen. ›Obgleich Wagner wenig Geschmack an solchen Sitzungen hatte, erklärte er sich dennoch dazu bereit. Herrn Willich wurde ein Zimmer im unteren Geschoß eingeräumt, und gleich machte er sich an die Arbeit, während Frau v. Bülow die Freundlichkeit hatte, aus einem Buche vorzulesen, um Wagner vor Langeweile zu schützen. Ein Bild nach dem anderen wurde entworfen und gleich wieder verworfen, weil‹ – so meint Weißheimer – ›das Original, durch jähe Stimmungswechsel, von einer Sitzung zur anderen einen gänzlich veränderten Gesichtsausdruck mitbrachte.16 Endlich begnügte man sich mit einem zwar ähnlichen, aber leblosen Bilde.‹17 – ›Eines Samstag-Abends18 hatte Wagner eine ganz besondere berraschung durch den unerwarteten Besuch seines früheren Kollegen und Revolutionsgenossen August Röckel.19 Nie werde ich die Überraschung Wagners vergessen, als Röckel plötzlich mit seiner bildhübschen Tochter‹ (Louisabeth Röckel, damals Hofschauspielerin in Weimar) ›ins Zimmer trat.‹ Nach dem erschütternden Augenblick des ersten Wiedersehens gab Wagner ob des guten Aussehens Röckels seiner Freude Ausdruck: ›Wenn ich Dich so kräftig und ungebeugt vor mir sehe, so kommt es mir gerade vor, als wäre ich solange in Waldheim gewesen, und Du statt meiner in der Schweiz. Wie hast Du nur die gräßliche Zeit so gut überstehen können?‹ Auf Wagners weitere Frage: ›Und was willst Du jetzt tun?‹ sagte Röckel entschlossen: ›Nun – es wird fortgewühlt! Als Mitarbeiter schließe ich mich den Blättern der Opposition an.‹20

Von einem Rheinausflug, an welchem auch Röckel teilgenommen haben soll, erfahren wir aus derselben Quelle. Röckel habe nämlich die Absicht gehabt,[383] gleich am folgenden Morgen nach seiner Ankunft (also am Sonntag 13. Juli?) mit seiner Tochter von Biebrich rheinabwärts – an den Niederrhein – zu fahren, und Wagner ihm dazu mit seiner ganzen kleinen Gesellschaft seine Begleitung bis St. Goar angeboten. ›In der Frühe des herrlichsten Sonntagmorgens‹ fuhren wir den Rhein hinab ›saßen all' auf dem Verdecke‹, und ›märchenhaft vorüber zogen Berg und Burgen, Wald und Au!‹ Unversehens wurde aus dieser bloßen Begleitung ein größerer Ausflug bis in das Siebengebirge, wo der Meister, wie wir wissen, mit dem ›Drachenfels‹ eine besondere alte Freundschaft geschlossen hatte (S. 275). Ob diese Änderung des Reiseplanes, wie der brave Wendelin als Teilnehmer der Fahrt berichtet, in der Tat durch ein Versehen herbeigeführt worden sei, oder das Versehen lediglich in seinem Kopfe bestand, dürfte sich nachträglich schwer entscheiden lassen; es ist auch nichts daran gelegen. Dagegen unterläßt es derselbe wunderliche Heilige nicht, auch in diese seine Erzählung wieder einige seiner beliebten ›Portemonnaie‹-Anekdoten zu verflechten, von denen die zweite sich sogar auf den Meister selbst bezieht. ›In Remagen stiegen wir aus und aßen in einem sehr frequentierten Gasthaus zu Mittag. Im Nebensaal ließ sich ab und zu ein Männerchor aus Bonn hören, und als Wagner vernahm, derselbe hege die Absicht ihn anzusingen, ließ er uns schnell zu einem Spaziergang aufbrechen. Alle Welt strömte an diesem Tage hinauf nach der berühmten Apollinariskirche, und auf beiden Seiten des Weges fehlte natürlich auch nicht die Schar der, von einem Kirchenfest unzertrennlichen Krüppel und Gewohnheitsbettler. Ich begleitete‹, so fährt Weißheimer fort, ›Frau v. Bülow, während Wagner und ihr Gatte den Berg etwas schneller hinaufstiegen. Nach beiden Seiten spendete sie emsig ihre Gaben, und als ihr Portemonnaie leer wurde, bat sie mich um das meine. Das war nun ein recht kitzlicher Fall; denn ich wußte, daß ihr Gemahl über diesen Punkt anders dachte und daß wir beide, er und ich, im Gewährungsfall in eine unangenehme Lage kommen würden, er – in der Zurückerstattung des Verauslagten, und ich – in der Nichtannahme desselben. So zog ich denn vor, ihr von weiterer Almosenspendung entschieden abzuraten. Darüber wurde sie mir nun freilich etwas böse und fragte gereizt: »Sie geben mir also Ihr Portemonnaie nicht?« Ich sagte ruhig: »Für jeden anderen Zweck mit Vergnügen, für diesen, zu meinem lebhaften Bedauern, – nicht!« Jetzt eilte sie, in der Hoffnung die Vorausgegangenen einzuholen, den ziemlich steilen Weg hinauf Einige Male hörte ich sie keuchend rufen: »Hans! – Hans!« – Hans aber hörte nicht, beeilte sogar seine Schritte etwas und bog, als sie oben anlangte, mit Wagner gerade in die Kirche ein, in welcher auch sie verschwand. Ich folgte langsam nach und sagte zu mir: »Da hast du dir eine schöne Suppe eingebrockt!« Als ich oben anlangte, kam Bülow auf der anderen Seite der Kirche heraus, schüttelte mir die Hand und sagte: »Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen!«[384] Auf einem anderen Wege stiegen wir dann hinunter, wobei ich mir angelegen sein ließ, Frau v. Bülow wieder freundlich zu stimmen – Unten nahmen wir einen Kahn zur Überfahrt nach Honnef, von wo wir den Drachenfels bestiegen. Wagner hatte seinen leichten Sommerüberzieher über den Arm geworfen und unter scherzendem Geplauder erreichten wir bald den Gipfel. Nachdem wir uns umgesehen, und der Abend heranrückte, beschloß die Gesellschaft, bei Zeiten wieder hinabzusteigen‹. Als man so spät abends bei der gegenüberliegenden Eisenbahnstation Mehlem angelangt war, vermißte Wagner sein kleines Portefeuille mit hundert Talern in Papier. Es mußte aus der oberen Tasche seines Überziehers gefallen sein, als er ihn über dem Arm trug. Angestellte Erkundigungen ergaben, daß der Weg früh morgens hauptsächlich von Arbeitern benutzt wurde, welche in den über eine Stunde weiter im Gebirg liegenden Steinbrüchen beschäftigt waren. So wenig tröstlich diese Auskunft war, wurde dennoch in der Frühe des anderen Tages ein Mann nach den Steinbrüchen gesendet, mit dem Auftrag, das etwa gefundene Geld sollte um Mittag nach der genannten Eisenbahnstation gesandt werden. Und in der Tat erschien, kaum eine Stunde vor Abgang des Zuges, die verlorene Brieftasche wieder, die ein Arbeiter früh Morgens um 4 Uhr gefunden hatte, als er in den Steinbruch ging; nach Weißheimers Erzählung, für deren Einzelheiten wir ihm die Verantwortung ganz überlassen müssen, wäre die Überbringerin ein ›hübsches sechzehnjähriges Mädchen‹ gewesen. Wagner sei, sehr erfreut, sofort an die Kasse gegangen, um den Hunderttalerschein wechseln zu lassen, und habe dem braven Kinde zwanzig Taler eingehändigt, welches vergnügt damit davonsprang. Dann habe er der Wirtin zugerufen: ›Jetzt schnell ein Paar Flaschen von Ihrem besten Champagner!‹ Kaum waren dieselben in heiterster Stimmung geleert, so brauste auch schon der Zug heran und man stieg nach Koblenz, resp. Andernach ein. ›Der Rest der Heimreise wurde von da mittels Dampfschiffes zurückgelegt, obwohl wir auf diese Weise erst in der Nacht nach Biebrich kamen. Von dieser späten Fahrt ist mir nichts weiter in Erinnerung, als daß sich Wagner, der den Kopfsalat sehr gern aß, einigemal die winzigen Dampfschiffportionen erneuern ließ und schließlich auf der Rechnung u.a. bemerkt fand: für Salat einen Taler fünf Silbergroschen!‹21 Leider war Schnorr gedrängt, den Rest seines Dresdener Urlaubes auf dem Rigi zuzubringen, wo er in der dünnen Luft hoffen durfte von seiner Leibesfülle zu verlieren. ›Vor seiner Abreise22 machten wir noch eine kleine Rheinpartie nach Rüdesheim; von da ließen wir uns im Kahn nach Bingen übersetzen, wo wir im »Hotel Viktoria« einkehrten und auf der Veranda [385] speisten. Wagner war wegen des bevorstehenden Abschiedes recht melancholisch, bekam aber bald wieder Leben, als sich im Abendsonnenschein der gegenüberliegende Rüdesheimer Berg nach und nach intensiv rot färbte und wie Purpur leuchtete. Dieser herrliche Anblick weckte alle Lebensgeister, und als die Bergesglut endlich schwand, gelang es, durch die feurigen Tropfen von jenem Berge die von der untergehenden Sonne einmal in uns entfachte Purpurstimmung recht erfolgreich festzuhalten. Bei voller Dunkelheit fuhren wir im Kahn wieder ans jenseitige Ufer, um mit der Bahn nach Biebrich zurückzukehren. In der Mitte des breiten Rheinstromes erhob sich Schnorr von Carolsfeld und sang mit voller Stimme das Steuermannslied aus dem »fliegenden Holländer«. Sein mächtig ausgehaltenes hohes g hallte an den Bergen wieder und wurde vom Echo wiederholt zurückgebracht – es war herrlich!‹23

Von nun an fielen Wagners Bemühungen um eine Aufführung seines ›Tristan‹ mit denen um Schnorrs Mitwirkung dabei zusammen. Was lag deshalb näher als eine Aufführung in Dresden selbst, wo das Schnorrsche Paar engagiert und in der Person des alten Freundes Mitterwurzer auch der rechte Kurwenal vorhanden war, kurz alles, was zu einer guten Aufführung des Werkes gehörte? Selbst der Wiedereintritt in Dresden stand dem bisher politisch Verbannten jetzt endlich wieder offen24. Es fehlte an nichts weiter, als an einer einigermaßen wohlgesinnten, entgegenkommenden Haltung der Intendanz und der leitenden höfischen Kreise. Um diese Zeit erhielt der Meister zu seiner vollen Überraschung die ganz unerwartete Anzeige der Wiener Hofoperndirektion: Ander fühle sich vollkommen wiederhergestellt und erkläre sich zur Wiederaufnahme des Studiums von ›Tristan und Isolde‹ bereit. Für den Herbst stünde dem Beginn der Proben kein Hindernis entgegen. Die tieferen Gründe eines so plötzlichen Umschwunges der Dinge waren ihm selbst nicht klar. Jedenfalls war der Befehl zur Wiederaufnahme des Werkes ›von oben‹ gekommen; er vermutete: infolge ›Metternichschen Drängens‹25. Eine erneute Abberufung nach Wien kam ihm unter den augenblicklichen Umständen fast nur störend. ›Nach meinem Wunsch würde ich mich jetzt ein halbes Jahr in meinem Bibernest einschließen und nicht eher wieder aufmachen, als bis die »Meistersinger« fertig wären. Wenn ich, trotz Ander, nach Wien gehe, so bringe ich damit nur meiner, von Freunden meiner Kunst, so gedankenlos vernachlässigten Lage ein Opfer‹26. In dieser Lebenslage, deren augenblickliche Sicherung einzig auf seiner Übereinkunft mit Schott und der [386] baldigen Beendigung seines Werkes beruhte, war insofern eine Änderung eingetreten, als es mit der musikalischen Ausführung des letzteren – wenn gleich sonst zu seiner großen Befriedigung, so doch langsamvor sich ging. Für die Ablieferung der Partitur des ersten Aktes war ein bestimmter Termin vereinbart. Es war ihm nicht möglich gewesen, diesen Zeitpunkt einzuhalten, und Schott nahm daraus Anlaß, gegen eine weitere Auszahlung der Subsidien Schwierigkeiten zu erheben. Und doch bedurfte der Meister sowohl für sich selbst, als insbesondere auch für die Niederlassung seiner Frau in Dresden27 soeben bedeutenderer Geldmittel. Er verfiel daher nach dem Rat seiner Freunde auf das Auskunftsmittel, seinen Verleger, an Stelle des noch unvollendeten ›Meistersinger‹-Aktes, einstweilen durch ein ihm zur Verfügung gestelltes ›Liederheft‹ seiner Komposition zu beschwichtigen. Zu diesem Zwecke wandte er sich (am 21. Juli, noch während der letzten Tage von Schnorrs Anwesenheit), nach einer ›niederschlagenden Konferenz mit seinem Verleger‹, an Wesendonck, um sich durch ihn jene einst in Zürich komponierten Gesänge (S. 169) behufs ihrer Herausgabe durch Schott übersenden zu lassen, und zugleich wenigstens die für Minnas Dresdener Bedürfnisse nötigen Mittel zu beschaffen. Die große Promptheit, mit welcher der Züricher Freund umgehend seinen Wunsch erfüllte, machte ihm Freude. Er gedachte unwillkürlich jener, bei seinem Frühjahrsbesuch in Karlsruhe an ihn gerichteten Worte der Großherzogin, wonach diese in der Gestalt seines Pogner, und in der ganzen Art seiner poetischen Darstellung dieses kunstbegeisterten Nürnberger Bürgers, eine wirklich im Leben ihm begegnete Erfahrung zu erkennen vermeinte. ›Es ist mir wirklich‹, schreibt er an Wesendonck, ›als ob ich in der Liebe, mit der ich diese Partie – jetzt auch musikalisch – behandelte, einem Freunde ein Monument gesetzt habe!‹28 – Wenige Tage nach dem Empfang der ihm übersandten Blätter waren die ›fünf Gedichte für eine Frauenstimme‹ druckfertig gemacht. Schon am 30. Juli gelangten sie in Schotts Hause zum Vortrag. ›Ob es der Zufall wollte29, oder ob es Wagner herbeigeführt‹30, so erzählt Weißheimer ›eines Tages31 erschien die ausgezeichnete Liedersängerin Emilie Genast‹ (die Schwägerin Joachim Raffs und mit Bülows gut befreundet) ›in Biebrich, welcher die fünf Gedichte einstudiert wurden. Sodann wurde Herr Schott benachrichtigt, welcher seinen Wagen herüberschickte. Auf den Rücksitzen nahmen die beiden Damen, Frau von Bülow und Fräulein [387] Genast Platz, Wagner und Bülow auf den Vordersitzen, während ich, als der Jüngste, mich auf den Bock schwang. Wir fuhren nach Kastel, über die Rheinbrücke und durch die Stadt direkt nach Laubenheim zur Villa Schott, wo Frau Betty Schott den Sommer verbrachte. Natürlich war an jenem Tag auch der Herr des Hauses anwesend. Vor diesem kleinen, aber gewählten Kreise sang nun Fräulein Genast unter Hans von Bülows Begleitung die »fünf Gedichte«. Der Eindruck war ein faszinierender, alle saßen wie gebannt ... Herr Franz Schott rieb sich vergnügt die Hände und schloß das Manuskript sogleich in einen Schrank. Nachdem der Kaffee mit Zubehör serviert und ein Spaziergang durch den weiten Garten gemacht worden war, kehrten wir, wie wir gekommen, nach Biebrich zurück‹32.

War durch dieses, Herrn Franz Schott dargebrachte Opfer, für den Augenblick etwas Luft gewonnen und die Situation vorübergehend soweit geklärt, daß der Meister wieder an seine Arbeit gehen konnte, so sollte nun aber seine sorgenvolle Lage durch einen ganz geringfügigen Umstand auf eine ungeahnte Weise vollends eine verhängnisvolle Wendung nehmen. Wir erinnern uns des Bulldoggen Leo, der, in seiner Hütte links beim Garteneingang an der Kette liegend, von seinem Herrn vernachlässigt und übel gehalten, nach wie vor sein lebhaftes Mitleid erregte. ›Eines Tages wollte er, im Bestreben, dem Tiere eine Wohltat zu erzeigen, mit seiner Dienerin dieses waschen, um es von seinem Ungeziefer zu befreien. Das Ungewohnte dieser Manipulation versetzte jedoch den guten Leo in eine solche Aufregung, daß er ganz unwillkürlich seinen besten Freund in den Daumen der rechten Hand biß. Durch diesen Unfall, der ihn unfähig machte die Feder zu führen, war der Meister gezwungen, die Aufzeichnung der Meistersingermusik für einige Wochen auszusetzen, was Herrn Dr. Schott zu der weisen Vorsicht veranlaßte, die Weiterzahlung der für die Dauer der Komposition zugesagten Geldvorschüsse zu verweigern und sich dadurch – die Unsterblichkeit zu sichern!‹ Wir setzen diese, dem Verlauf der Begebenheiten vorausgreifende Erzählung vollständig so her, wie sie uns seinerzeit (20 Jahre vor dem Erscheinen der Weißheimerschen ›Erlebnisse‹) durch eine zuverlässige Mainzer Freundin des Meisters33 mitgeteilt worden ist. Die näheren Ausführungen Weißheimers, der wieder mit ›dabei gewesen‹ sein will, wie Wagner den Hund an der Kette ›gewaltsam‹ durch den Garten ›gezerrt‹ (!) habe, um ihm ›an einem heißen Tage die Wohltat eines erquickenden Rheinbades zu bereiten‹, bis ihm die ›Bestie‹ in ihrer ›Widersetzlichkeit‹ den rechten Daumen ›durchgebissen‹ habe, – widerlegen sich dadurch von selbst. Ob er (Weißheimer) wirklich nichts Eiligeres zu tun gehabt habe, als sogleich ›am nächsten Morgen zu Herrn Franz Schott zu fahren, um ihn mit dem Unfall bekannt zu machen und darauf [388] hinzuweisen, daß Wagner seiner eingegangenen Verpflichtung nun wohl erst einige Wochen später nachkommen dürfte‹, – können wir nicht kontrollieren; jedenfalls wäre eine solche Handlungsweise eine große Übereilung gewesen, und gewiß war er nicht dazu beauftragt. Der Daumen war nichts weniger als ›durchgebissen‹, sondern zeigte äußerlich keine Verletzung; daß der Meister dadurch sechs Wochen am Schreiben verhindert sein würde, konnte man im ersten Moment unmöglich voraussehen. Der ganze Unfall war dem ersten Anschein nach so unbedeutend, daß er kaum beachtet wurde und daher nicht einmal die Zeit desselben genau zu bestimmen ist (Weißheimers Erinnerung verlegt ihn in die Zeit vor Bülows Ankunft, demnach Anfang Juli!!). Seine lästigen Folgen machten sich erst nach einigen Tagen bemerklich; seine üblen Wirkungen auf die Gesinnungen des Herrn Schott noch später. Bülows Briefe, die glücklicherweise so manche ungerechtfertigte Behauptung Weißheimers zurechtstellen34, lassen annehmen, daß er sich in den ersten Tagen des Monats August zugetragen habe. Am 7. August schreibt er an Raff: ›Wagners Daumen scheint seine Heilung noch auf längere Zeit hin vertagen zu sollen. Der Mainzer Arzt, den Weißheimer herbeigeschleppt, hat Blutegel verordnet und graue Salbe. Nun wird eine Entzündung abzuwarten sein, die vielleicht erst in acht Tagen eintritt. 's ist eine abscheuliche Geschichte. Wagner ist zu völliger Untätigkeit verdammt, und das ist für ihn wie für seine anwesenden Freunde sehr bedenklich‹35.

Bis Ende August weilten die jungen Freunde in des Meisters Umgebung, und seine unfreiwillige Muße gab noch zu manchem Ausflug Veranlassung. Dazu gehört u.a. eine Wiesbadener ›Lohengrin‹-Vorstellung, der er mit Bülows beiwohnte. Der erste Aufzug, ohne jegliche Kürzung (also vollständiger, als die Wiener Aufführung im vorigen Sommer), ging ganz vortrefflich und legte von dem besten Wollen und Können fast aller Mitwirkenden Zeugnis ab. So war er denn auch von dem zündendsten Eindruck auf das Publikum. Wagner war sichtlich gerührt und eilte auf die Bühne, um dem Kapellmeister Hagen sei nen herzlichen Kollektivdank an sämtliche Mitwirkende auszusprechen. Aber vom zweiten Akte an degenerierte die ganze [389] Aufführung in ein so unheimliches Chaos, daß die Wirkung auf den Meister um so niederdrückender sein mußte und er sich endlich genötigt sah, vor dem Schluß das Theater zu verlassen36. Die von Weißheimer mitgeteilten näheren Details eines, gemeinschaftlich mit Bülows unternommenen, abermaligen Besuches in der Steinmühle, enthalten so wenig Interessantes, daß wir sie demgemäß mehr in die Chronik von Osthofen, als in das Leben Wagners gehörig betrachten dürfen. Zu anderen Ausflügen gab der Umstand Veranlassung, daß sein Biebricher Logis, eigentlich mehr eine bloße Sommerwohnung, neben manchen anderen Unbequemlichkeiten, in ihren Beheizungsvorrichtungen unvollkommen und für die rauhere Jahreszeit nur mangelhaft eingerichtet war, was er gleich nach seinem Einzug hatte erproben müssen. Er war deshalb den ganzen Sommer hindurch darauf bedacht gewesen, an Stelle dieser unbefriedigenden Mietwohnung, die er noch dazu teuer genug zu bezahlen hatte, irgendeine leerstehende Villa in der Umgegend ausfindig zu machen, deren Besitzer ihm für die Zeit der Arbeit an seinem Werke seine Räume gastlich zur Verfügung stellen sollte. Zu diesem Zwecke, behauptet Weißheimer, hätte er fast täglich in Gemeinschaft mit Bülows einen Ausflug ins Rheingau gemacht, das sie nach allen Richtungen durchstreiften. ›Wo ein besseres Haus zu sehen war, das nur im entferntesten einer »Villa« glich, wurde gleich nach dessen Besitzer geforscht; immer in der Hoffnung, daß sich Einer finden werde, der es sich zum Vergnügen machen würde, es ihm zu übergeben. Diese Villen- oder Schloßjagd‹, fährt Weißheimer fort, ›war in ihm zur völligen Manie (!) geworden, und oft kamen wir todmüde von den vielen Kreuz-und Querstreifereien abends wieder in unser Quartier. Wie oft durchzogen wir von Eltville aus das Land, wo er immer hoffte, das ersehnte Zauberschloß zu finden!‹

Daß die erzwungene Untätigkeit den tätigsten, unternehmungslustigsten Menschen, den es vielleicht je gegeben, stark verdrießen und seine natürliche Reizbarkeit wesentlich erhöhen mußte, deutet bereits die mitgeteilte briefliche Äußerung Bülows an: jener Zwang sei nicht bloß für ihn, sondern auch ›für seine anwesenden Freunde‹ bedenklich gewesen! Natürlich finden sich auch bei Weißheimer darauf bezügliche Erwähnungen. Bei so unsicheren Aussichten in die Zukunft sei ein häufiger Stimmungswechsel nur allzu erklärlich gewesen: ›malte sie sich seinen Blicken rosenfarbig, so war er sanft, gutmütig und zu Scherzen aufgelegt; und sah er düster hinaus, so wurde er schroff, abstoßend, sogar heftig‹. So habe er einst in der Dämmerstunde im Beisein der jungen Freunde aus einem Nargileh geraucht, wobei er das Mundstück der langen Kautschukröhre mit den Lippen festhielt, während das dazu gehörige, mit türkischem Tabak gefüllte Bassin inmitten des Zimmers auf [390] dem Teppich stand. ›Während der lebhaften Unterhaltung war es dunkler und dunkler geworden. Frau v. Bülow wollte etwas aus dem Nebenzimmer holen und nahm unversehens den Weg zwischen Wagner und dem Tabaktopf. Mochte sie nun mit ihrem Reifrock hängen geblieben sein oder der ominösen Kautschukröhre vergessen haben, – plötzlich rollte der Topf über den Boden hin, während das Mundstück Wagners Lippen entfuhr und mit der Röhre auf und davonging. Bülow und ich mußten herzlich lachen, – er aber, anstatt mitzulachen, fuhr Frau v. Bülow so heftig an, daß sie sich niedersetzte und in Tränen ausbrach‹. Ein anderes Mal, als sie abends um Wagner versammelt gewesen seien, wäre er auf die, nach Bewältigung der ›Meistersinger‹ und der ›Nibelungen‹ geplanten Werke zu sprechen gekommen, und habe sehr ausführlich und ins einzelne gehend seine Ideen über ein ›Parzival‹-Drama entwickelt. ›Dann sprach er noch über einen, ihn sehr fesselnden indischen Stoff; doch meinte er, daß er dazu wohl schwerlich kommen werde, denn er habe immer die Ahnung, als würde der »Parzival«37 sein letztes Werk. Er hatte sich dabei sichtlich in Rührung hineingesprochen; in Frau v. Bülows Augen zeigten sich Tränen – es entstand eine Pause. Ich schlich auf den Balkon und Bülow kam leise nach, mir die prophetischen Worte zuflüsternd: »So gering auch die Hoffnung und so wenig Aussicht auf die Verwirklichung seiner Pläne, – Sie werden sehen, er erreicht sein Ziel und bringt auch noch den Parzival zustande«. Diese Worte machten einen solchen Eindruck auf mich, daß sie mir unvergeßlich wurden. Unter den damaligen trostlosen Umständen war Bülows Prophetenwort wahrlich keine geringe Leistung; da gehörte fast schon Tollkühnheit dazu, um an die Vollendung des »Parzival« zu glauben‹.38

In jenen Augusttagen habe Wagner eine ›angenehme Nachricht‹ aus Frankfurt a. M. bekommen. ›Der an der Spitze der dortigen Theaterverwaltung stehende Herr von Guaita plante für den nächsten Monat eine »Lohengrin«-Aufführung unter Wagners persönlicher Leitung39, und hatte eben Goethes »Tasso« in Vorbereitung, zu welchem er die gleichnamige symphonische Dichtung von Liszt als Ouvertüre durch Bülow dirigiert wünschte. Diese Nachricht erweckte im »Bibernest« Freude. Wagner befand sich in ziemlich ausgelassener Stimmung, die sich drastisch äußerte, als – während eines gleich darauf losbrechenden Gewitters – der Sturm die Fenster aufriß und sämtliche beschriebene Bogen der »Meistersinger«-Partitur im Zimmer herumwirbelte [391] Bülow und ich flogen hinterdrein, sie aufzufangen, mußten aber bald vor Lachen anhalten, denn Wagner stand heftig gestikulierend am Fenster, die Winde und Wogen beschwörend, die er, da sie nicht gehorchen wollten, plötzlich im reinsten Sächsisch anschrie: »Said'r denn närr'sch?« Dann schlug er das Fenster zu und half uns die Blätter einsammeln, die in die gräßlichste Unordnung gekommen und nur mit Mühe wieder in ihre richtige Lage zu bringen waren. Einige Tage später reisten wir nach Frankfurt und da der Aufenthalt einige Tage dauerte, so nahmen wir im Hotel zum »Schwan« Quartier. Während der Hauptprobe machte ich auch die Bekanntschaft des Herrn von Guaita und der vorzüglichen Schauspielerin Friederike Meyer (der Schwester der Sängerin Frau Meyer-Dustmann in Wien), welche eine der beiden Leonoren spielte‹40. Leider wimmeln die auf die Einzelheiten der Frankfurter Expedition bezüglichen Angaben des Erzählers wiederum von den leichtfertigsten und unglaublichsten Gedächtnisfehlern; wie dies doch eigentlich stets der Fall ist, sobald er ein kontrollierbares Gebiet betritt. So berichtet er z.B. die ›Tasso‹-Sinfonie zu Beginn der Aufführung habe ›unter Bülows exzellenter Leitung‹ einen ›entschiedenen Er folg‹ gehabt. Aber weder das Eine noch das Andere ist wahr: Bülow hat diese Aufführung überhaupt gar nicht dirigiert, und von einem ›Erfolge‹ der Sinfonie bei dem Frankfurter Publikum konnte ebenso wenig die Rede sein. Vielmehr bemerkt Bülow selbst darüber, wenige Tage darauf, also unter dem frischen Eindruck des eben Erlebten: ›Die vortreffliche Aufführung des Goetheschen Tasso in Frankfurt wurde uns durch die schandbare Exekution der Lisztschen Sinfonie unter Herrn Ignaz Lachner stark verbittert. Das Publikum nahm dieselbe mit überraschend maßvollem Gezische auf; allerdings applaudierte kaum Einer‹41. Ärger kann man doch nicht von seinen Zeugen im Stich gelassen werden! Aber damit nicht genug, weiß uns derselbe phantasievolle Erzähler ferner noch von einer angeblichen Rückfahrt zu berichten, die er gleich nach der Aufführung mit dem letzten Zuge gemeinschaftlich mit Wagner und Bülows ›in einem separierten Coupé‹ von Frankfurt nach Biebrich gemacht habe Ja, er nennt diese Rückfahrt sogar, unter allerlei indiskreten Andeutungen, eine besonders ›denkwürdige‹. Aber auch diese geheimnisvoll nächtliche Heimkehr hat wiederum – wie sich aus den gleichzeitigen Daten mit unwiderleglicher Bestimmtheit ergibt – gar nicht stattgefunden!! Die Frankfurter ›Tasso‹-Aufführung nämlich fiel auf den Geburtstag Goethes (28. August), mithin ganz an den Monatsschluß, und Bülows Urlaub war [392] abgelaufen, so daß das Bülowsche Paar seinen Rückweg nach Berlin sogleich am folgenden Tage, Freitag, den 29. August, direkt von Frankfurt aus nehmen mußte, ohne Biebrich überhaupt erst wieder zu berühren! Es bleibt demnach von den ganzen ›Frankfurter‹ Erinnerungen unseres Memoiristen nichts Weiteres unangefochten, als daß er im ›Schwan‹ gewohnt und in einer ›Parterreloge rechts von der Mitte‹ mit dem Meister gesessen habe!42

Der Abschied der jungen Freunde fiel, nach zweimonatlichem unausgesetztem Zusammensein, beiden Teilen schwer genug. ›Ich heulte‹, sagte Bülow selbst, ›als ich Wagner wohl auf lange Zeit zum letzten Male ins Auge blicken konnte‹. Und hätte er den Meister nur geborgen gewußt, in ruhiger Schaffensmuße seinem Werke hingegeben sich vorstellen dürfen! Aber ganz das Gegenteil war der Fall. ›Kaum waren v. Bülows abgereist, so brach für Wagner die Periode der pekuniären Verlegenheiten herein, da Schott nicht eher weiterzahlen wollte, als bis Wagner die bereits erhaltenen Vorschüsse auf die Meistersinger durch Manuskript ausgeglichen habe‹43. Der unglückliche Biß Leos hatte die Biebricher Katastrophe eingeleitet; in reißendem Fortschreiten entwickelte sich diese nun weiter. Noch während Bülows letzter Anwesenheit (24. August) übersandte Wagner dem eben abwesenden Weißheimer ein soeben empfangenes Schottsches Schreiben: ›Aus dem beigefügten Briefe ersehen Sie, welch traurigen Verlaß ich auf Schott habe‹. Woran ihm vor allem gelegen sein mußte, war, sich die Zeit bis zur Vollendung seines neuen Werkes sorgenlos gesichert zu sehen; der Erfolg gerade dieser ›Oper‹ war, wenn sie einmal fertig und aufgeführt war, für seine ferneren Lebensverhältnisse unberechenbar. Er wünschte deshalb, um nur zu diesem Ziele zu gelangen, die ihm nötige Summe durch Weißheimers reichen Vater als Darleben zu erhalten; wogegen er erbötig war, die Theatereinnahmen der ›Meistersinger‹ bis zur vollständigen Zurückerstattung dieses Darlehens Jenem zur Verfügung zu stellen Wirklich leuchtete dem alten Weißheimer dieser Vorschlag nicht übel ein und fast hätte ihn sein Sohn dafür gewonnen, wäre nicht dessen zweitältester Bruder mit entschiedenem Abraten dazwischen gekommen! Unter diesen Umständen begab sich Wagner am 30. August, wie es [393] scheint, unmittelbar von Frankfurt aus, nach Kissingen, um dem dort zur Kur weilenden Schott nochmals eindringliche Vorstellungen zu machen. Es war trotz der nicht allzugroßen Entfernung eine beschwerliche und unbequeme Fahrt (›u.a. per Post von Schweinfurt nach Kissingen‹). Sie wurde vergeblich gemacht. Am Sonntag, 31. August, traf er daselbst ein. Schott – ›ließ sich verleugnen‹. Ein Telegramm an Weißheimer aus Kissingen vom 1. September früh 8 Uhr, mit der charakteristischen Unterzeichnung: ›Wehwalt‹, gibt darüber bloß an: ›S(chott) krank. Nicht vorgelassen.‹ Aber nach Weißheimer habe der Meister seinen seltsamen Gönner, noch bevor er klingelte, auf dem Balkon seiner dortigen Villa gesehen! Über Frankfurt kehrte er nach Mainz zurück, wohin er Weißheimer telegraphisch bestellt hatte, und setzte ihn über den Betrag des momentan Unentbehrlichsten in Kenntnis: der 1. September war sein Mietstermin, und ohne rechtzeitige Zahlung sah er sich von seiner eigenen Wohnung ausgeschlossen. Da der junge Mann glücklicherweise mit einer Vollmacht seines Vaters an dessen dortigen Bankier versehen war, war es ihm ein Leichtes, diese nächste Schwierigkeit zu heben. Er genoß auf diese Art der besonderen Ehre, dem Meister wiederum in seine Behausung zu verhelfen, und tut sich in seinen Erinnerungen nicht wenig darauf zugute. ›Während ich‹, so erzählt er, ›zu Herrn Bamberger ging, die erforderliche Summe auf Rechnung meines Vaters zu holen, war Wagner nach der Rheinbrücke gegangen, wo er mich erwartete, um dann mit dem »Schiffchen« nach Biebrich zu fahren, das ihm jetzt wieder offen stand. Als ich ihm die Summe einhändigte, fiel er mir weinend um den Hals‹.

An seiner Lage war damit wenig gebessert. Die erwünschte Ruhe zur Komposition seiner Meistersinger war ihm durch nichts gesichert. Für die nächstbevorstehende Zeit schloß sich noch eine spezielle Beunruhigung an, die ihn aufs neue aus seinem Asyl riß: die mit jenem Frankfurter Theaterdirektor verabredete Aufführung des ›Lohengrin‹ unter seiner Leitung. Es gelang ihm hierbei wenigstens das Eine durchzusetzen, daß sein Werk vollständig und ohne alle Kürzungen gegeben würde, – die Hauptforderung, welche er zu allen Zeiten und unter allen Umständen stellte und welche ihm zu allen Zeiten, sei es nun in Karlsruhe durch Ed. Devrient, oder zehn Jahre später in Berlin durch Herrn v. Hülsen, nur als Beleg seiner ›maßlosen Ansprüche‹ ausgelegt wurde. ›Hiergegen lieferte ich nun am Frankfurter Theater, wo ich mit den allerdürftigsten Mitteln, unter den einzigen ermüdendsten Anstrengungen von meiner Seite, eine Aufführung des »Lohengrin« zu stande brachte, den Beweis, daß es mir hierbei nur auf Korrektheit, und demgemäß Unverstümmeltheit einer solchen Aufführung, keineswegs aber auf irgendwelchen Prachtaufwand ankam‹44. Am 8. September begannen die [394] Orchesterproben. Ein Engagement des Schnorrschen Paares zu einem Frankfurter Gastspiel, wovon der ganze Plan eigentlich ausgegangen war, war nicht zustande ge kommen; ein ihm unsympathischer Tenorist, Namens Kaminsky, den er nur den ›polnischen General‹ nannte, sang den Lohengrin. ›Alles bleibt auf dem gemeinsten Frankfurter Niveau‹, schreibt er nach der ersten Probe; ›soll ich abermals bewähren, was eben der Geist vermag, so habe ich hier volle Gelegenheit dazu.‹ Mehr als vier Tage standen ihm dazu nicht zur Verfügung; für den Freitag derselben Woche (12. September) war die Vorstellung angesetzt. Als Weißheimer, zugleich mit Mathilde Maier, von Mainz aus zur Aufführung eintraf, fiel ihm auf, daß der Meister, bei der Fahrt vom Gasthof zum Theater, einen mächtigen Reisesack mit in den Wagen nahm. ›Ja, wollen Sie denn abreisen?‹ rief ich erstaunt. Er: ›Nein! Sie werden schon sehen, was es damit für eine Bewandtnis hat.‹ ›Später sah ichs denn auch: nach jedem Zwischenakt kam er völlig umgekleidet heraus, weil er trotz seines ruhigen Dirigierens stark transspirierte‹45. Das Haus war zur Aufführung überfüllt. Als Wagner erschien, wurde er mit brausendem Jubel empfangen, der mehrmals von neuem ausbrach. Erst nachdem sich dieser vollständig gelegt und die lautloseste Stille eingetreten war, ließ er in sehr breitem Tempo die ätherisch-zauberhafte Einleitung erklingen. Als sich die berauschenden Violinklänge wieder im Äther verloren, brach abermals ein herzbewegender Jubel aus, den Wagner, sichtlich ergriffen, durch mehrere Dankesverbeugungen erwiderte. Der ganze erste Akt gelang vorzüglich; das grandiose Finale machte in seiner majestätischen unverkürzten Gestalt einen wahrhaft imposanten Eindruck. Der ›polnische General‹ machte seine Sache befriedigend. Auch der zweite Akt ging fast ohne jede Störung vorüber. Im dritten Akte soll in dem marschartigen Satze, der die letzte Szene einleitet, das Unglück passiert sein, daß, durch das Ungeschick Ignaz Lachners, die auf beiden Seiten der Bühne aufgestellten Trompeten in Es undE, anstatt nacheinander, zu gleicher Zeit einsetzten. ›Trotz dieser empfindlichen Störung war dennoch bald wieder der Ernst und die weihevolle Stimmung wiedergekehrt, die dem ganzen Abend das Gepräge verlieh, an welchem Wagner zum erstenmal in seinem Leben sein unsterbliches Werk selber dirigierte‹46. Tags darauf kehrte er wieder nach Biebrich zurück. Weißheimer begab sich nach Leipzig, um dort für den nächsten Monat ein großes Konzert im Gewandhaus zu arrangieren, wozu ihm Wagner seine Mitwirkung versprochen. Vor der Abreise habe er noch zu dem jungen Freunde gesagt: ›Wahrhaftig, ich bin jetzt in der Lage, daß, wenn es mir angeboten würde, ich imstande wäre, um 5000 Gulden meine ganze Unsterblichkeit zu verkaufen!‹ Und trotzdem berichtet Weißheimer wahrheitsgemäß, daß, als Herr von Guaita kurz [395] nach der Aufführung seinen Kassier oder Regisseur nach Biebrich sandte, um dem Meister ein ansehnliches Honorar auszahlen zu lassen, dieser es – nicht angenommen habe. ›Das Dirigieren seines Werkes war für ihn eine Ehrensache, für die er sich nicht bezahlen ließ – so war er nun einmal‹47.

Zum Frankfurter ›Lohengrin‹ hatten die einzigen, auf deren Anwesenheit er sich gefreut – Bülows – nicht kommen können. Gerade um die Zeit dieser Aufführung war in Paris Liszts älteste Tochter Blandine nach einer vor kurzem überstandenen Entbindung plötzlich gestorben48. Dagegen entging er auch hier der Feier durch die Frankfurter geselligen Vereine nicht: der dortige Liederkranz, der Zentralpunkt für die Förderung des Männergesanges in der Taunusgegend, bereitete dem Tondichter acht Tage nach der Aufführung (10. Sept) einen besonderen Festabend, wobei es weder an Tischreden noch an musikalischen Vorträgen fehlte. Der ›Liederkranz‹ selbst ließ sich mit Männerchören Wagnerscher Komposition vernehmen; durch den Vortrag der Abendstern-Romanze erfreute das Publikum ein damaliger Frankfurter Beamter im Postfach, Namens – Karl Hill. Es war nicht das letzte Mal in seinem Leben, daß dieser vortreffliche Sänger49 dem Meister begegnete. Auch schloß sich an diese Frankfurter Tage Wagners Ernennung zum Ehrenmitglied des Frankfurter Musikvereins50. Mit dem Weißheimerschen Konzert verhielt es sich so, daß dem jungen Mainzer Musiker alles daran gelegen war, mit den neuesten Erzeugnissen seiner kompositorischen Muße an der Seite Wagners hervorzutreten, weil er nur so auf einige Beachtung rechnen durfte. Er wußte daher sehr wohl, was er tat, wenn er einen materiellen Gewinn davon nicht für sich in Anspruch nahm, sondern den voraussichtlich bedeutenden Ertrag dem Meister zur Verfügung stellte, der durch seine Mitwirkung dem Unternehmen erst seine Bedeutung verlieh. Und was für eine Mitwirkung! Er hatte dem jungen Freunde das ›Meistersinger‹-Vorspiel dafür zur Verfügung gestellt: die erste öffentliche Aufführung des soeben erst komponierten Tonstückes, in einem Konzert, welches zugleich das erste war, in welchem der Schöpfer desselben nach einem vollen Jahrzehnt der Verbannung in seiner engeren Heimat, vor dem Publikum seiner Vaterstadt, wieder öffentlich auftrat! Trotzdem hatte Wagner ein Bedenken gegen die Annahme des ihm Angebotenen und ließ der hastigen Besprechung über diesen Punkt in den bewegten Frankfurter Tagen, wobei er das Anerbieten obenhin akzeptiert, nachträglich ›ein [396] ruhiges Wort über das finanzielle Projekt in Bezug auf dieses Konzert‹ folgen. ›Wie ich die Einnahme eines Konzertes, welches immerhin von Ihnen veranstaltet und auf Ihren Namen gegeben wird, mir schenken lassen soll, begreife ich nicht recht. Aber – ich nehme diese Einnahme als ein Darlehen von Ihnen an und erstatte Ihnen dieselbe in irgendwelcher Ihnen dienenden Weise wieder, selbst vielleicht aus meinen eigenen späteren Konzerteinnahmen. Denn – auf der anderen Seite bin ich für alle meine Hoffnungen auf Hilfe einzig und allein auf diese möglich mir in Aussicht gestellte Einnahme in Wahrheit angewiesen. Mir ist, seitdem Sie mich verlassen, auch nicht von einer Seite her nur in irgend etwas geholfen worden‹. Der ganze Monat September ging ihm in dieser Weise hin, ohne daß er zu irgendwelcher Sammlung für seine Arbeit gelangt wäre. Da sein Verleger dabei verharrte, ihm keine weiteren Vorschüsse zuzuwenden, so mußte er darauf bedacht sein, sich selbst nach Subsistenzmitteln umzutun. Dies war nur auf dem Wege großer Konzertveranstaltungen aus seinen neueren Werken möglich. Hierfür hatte er sich Wien ausersehen, wohin ihn ja ohnedies die Wiederaufnahme seines ›Tristan‹ berief. Bis Ende Oktober beschäftigten ihn die Vorbereitungen zu diesem letzteren Unternehmen. Aus dem ›Rheingold‹, der ›Walküre‹, ›Siegfried‹, ›Tristan‹ und den ›Meistersingern‹ waren Fragmente auszuwählen und mit besonderen Schlüssen etc. zu versehen. Unter den Bruchstücken aus der ›Walküre‹ befand sich auch der sog. ›Walkürenritt‹, der bei dieser Gelegenheit als besonderes Tonstück, für Orchester allein, ohne Singstimmen, gleichsam neu komponiert wurde. ›Es war schwer, das Stück passend herzurichten; ich mußte in der Partitur bald vor-, bald rückwärts greifen.‹ So schreibt der Meister an Weißheimer, an welchen die betreffenden Partituren oder Partiturenabschnitte jedesmal nach Leipzig expediert wurden, woselbst er drei Kopisten gleichzeitig an der Herstellung der Orchesterstimmen arbeiten ließ. Leider kam aus Dresden die Nachricht, das Urlaubsgesuch Schnorrs behufs seiner Mitwirkung an dem Leipziger Konzert sei von der Intendanz abschläglich beschieden worden. Sogleich wandte sich Wagner seinerseits befürwortend an die Direktion; die abschlägige Antwort blieb aber dieselbe. ›Die Dresdener Generaldirektion hat mir, auf meinen Brief, durch das Sekretariat einen Bescheid zustellen lassen, den ich getreulich aufheben werde, als merkwürdiges Zeugnis unglaublichster Erbärmlichkeit. Schnorr darf nicht nach Leipzig.‹51 Für Schnorr selbst war dies am empfindlichsten; das Leipziger Konzert ließ sich auch ohne ihn ermöglichen.

In den letzten Tagen des Monats Oktober begab sich Wagner über Frankfurt und Eisenach nach Leipzig, und machte damit zum ersten Male [397] von der Erlaubnis Gebrauch, den Boden seines engeren Vaterlandes zu betreten. Er traf am Mittwoch den 29. Oktober abends auf dem Thüringer Bahnhof ein, – für den Sonnabend war das Konzert angesetzt. Wagner nahm während dieser Tage bei seinem Schwager, Professor Hermann Brockhaus (Poststraße 15, 2 Treppen) Quartier; Mittag und Abend gaben Veranlassung zu kleineren oder größeren Zusammensein, zu denen wiederholt auch Weißheimer hinzugezogen wurde. Bei einem Souper am Freitag Abend erwähnt letzterer, die Bekanntschaft ›des jungen Gelehrten und späteren Historikers Heinrich v. Treitschke‹ gemacht zu haben. An demselben Abend kamen von Berlin aus Bülows an und nahmen im ›Hotel de Pologne‹ Wohnung. Am Vormittag hatte die erste Orchesterprobe stattgefunden; sie war fast ganz dem Studium des Meistersingervorspiels gewidmet. Sogleich in der Probe übte es auf alle Orchestermusiker seine faszinierende Wirkung aus. An der ersten Geige wirkte hierbei neben dem Konzertmeister David ein derzeitiger Schüler desselben und des Leipziger Konservatoriums mit: der dem Meister schon von Biebrich her bekannte noch ganz jugendliche Wilhelmj52. Außerdem steuerte Wagner die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre zu dem gemeinschaftlichen Programme bei, Bülow – Liszts A-dur-Konzert. Im Übrigen war dasselbe in voller Breite von Weißheimerschen Kompositionen eingenommen. Außer seinem, bereits bei früherem Anlaß gebrachten ›Grab im Busento‹ und mehreren Chören figurierte darauf insbesondere eine fünfsätzige ›Toggenburg‹-Sinfonie (nach Schillers Gedicht). Das ›Meistersinger‹-Vorspiel war zur Eröffnung bestimmt, die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre zum Schluß53. Die Hauptprobe fand am Vormittage des Konzerttages, Sonnabend, den 1. November statt, abends das Konzert selbst – vor fast leerem Saal! Die Leipziger hatten zur großen Enttäuschung des Konzertveranstalters, welcher zum Mindesten auf einen billetverschlingenden Neugiererfolg gezählt hatte, nur einen geringen Eifer an den Tag gelegt, ein Wiedersehen mit dem berühmtesten Sohne ihrer Stadt zu feiern!

›Man hätte‹, sagt der Referent der ›III. Zeitg.‹ ›bei dem ersten persönlichen Auftreten Richard Wagners in Leipzig einen überfüllten Saal erwarten dürfen; er war indessen nur mäßig besetzt. Auch als der berühmte Komponist an das Dirigentenpult trat, blieb der Empfang aus, mit dem die Leipziger doch sonst gar leicht bei der Hand sind!‹ Das war der Erfolg [398] einer nun schon seit zwei Jahrzehnten unausgesetzt fortwirkenden Gegenströmung seitens der Mendelssohnschen Musikclique (der Rietz, Hauptmann, Konrad Schleinitz, Frege, Otto Jahn, Bernsdorf etc.), deren einseitigen Parteibestrebungen die braven Leipziger ihrerseits auch nicht den mindesten Widerstand entgegengesetzt hatten. Eine förmliche Demonstration des gesamten sonstigen, diesmal durch Abwesenheit glänzenden Publikums der berühmten Gewandhaus-Konzerte! Daß, wie damals mehrfach vorgegeben wurde, die ›erhöhten Eintrittspreise‹ an dieser Jämmerlichkeit die Schuld getragen haben sollten, haben wohl diejenigen selber nicht geglaubt, welche diesen Grund beschönigend vorschützten. Das anwesende Publikum bestand hauptsächlich aus eigens zu diesem Zwecke angereisten auswärtigen Verehrern, zusammengeströmt aus Weimar, Jena, Berlin, Schwerin etc. In dieser Zusammensetzung konnte es recht als der Typus jener, damals von allen Seiten bedrohten ›kleinen, aber um so lärmenderen Partei‹ gelten, deren Jahrzehnte langes Totsagen durch die ›führenden Tagesblätter‹ ihr zu so gedeihlichem Leben verholfen hat54. Der hellfreudige C-dur-Akkord des Meistersinger-Vorspiels eröffnete das Konzert, und das während der Proben schnell für den Meister eingenommene Orchester gab unter seiner unfehlbaren Leitung das schwierige Tonstück so vorzüglich wieder, daß das kleine Auditorium mit begeistertem Applaus lebhaft eine sofortige Wiederholung verlangte, welche dann auch von den Musikern mit freudiger Bereitwilligkeit ausgeführt wurde. ›Das neue Vorspiel‹, heißt es in einer Besprechung dieses Konzertes55, ›war aber auch ein Werk von solcher Frische, Anmut und Großartigkeit, daß es augenblicklich in allen Herzen zündete, und die Wiederholung ward durch das nun erreichte höhere Verständnis zum doppelten Genuß‹. Die ›kleinen Lärmenden‹ von damals entzückten sich an der Macht dieser Klänge, sie waren getroffen von dem markigen, deutsche Kraft und Tüchtigkeit ausstrahlenden C-dur-Hauptthema, sie schwelgten in dem sehnsüchtigen E-dur des Liebesmotives und erheiterten sich an dem geist- und witzsprühenden Mittelsatz der Holzbläser, – sie empfanden mit einem Wort die grandiose Heiterkeit und imponierende Kombinationskraft dieses in seiner Art einzigen Stückes56. Mit gleichem Enthusiasmus [399] ward zum Beschluß die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre aufgenommen; das ganze Publikum erhob sich mit lautem dreimaligen Hoch auf den Komponisten, in das der Tusch des vollen Orchesters einstimmte. ›Mit ihrer Aufführung‹, sagt der Referent der ›Illustrierten Zeitung‹ (nachdem er der einstigen Verlästerungen des gleichen Tonstückes auf eben diesem Boden vor siebzehn Jahren gedacht57), ›feierte heute Wagner im Gewandhause einen großartigen Triumph. Die Ouvertüre ist oft in Leipzig gespielt, aber noch niemals so gehört worden, wie der Komponist sie gedacht und empfunden. Der Enthusiasmus, der nach dieser Aufführung im ganzen Saale ausbrach, war kein gemachter; er drang sturmartig, unmittelbar und unaufhaltsam aus den tiefmächtig ergriffenen Seelen der Zuhörer hervor‹.

Trotzdem war, für den eigentlichen Konzertgeber, der Zweck des Konzertes verfehlt. Er hatte darauf gerechnet, gerade bei diesem Anlaß vor einem zahlreichen, festlich erregten Publikum seine neuesten Kompositionen zu Gehör zu bringen, statt dessen reichten die paar hundert Taler Einnahme nicht einmal zur Deckung der Kosten hin. Statt Wagner alle Taschen zu füllen, mußte ich schleunigst meinen Vater um Hilfe anrufen, damit nur das Defizit gedeckt werde. Wagner zeigte sich hierbei äußerst taktvoll (!). Anstatt niedergeschlagen zu sein über die erlittene Einbuße, hegte er Besorgnis, ob mein Vater nicht etwa denken werde, wir seien Schwindler, da immer das Entgegengesetzte einträfe. Ich schrieb seine Äußerung sogleich nach Osthofen, worauf eine so reizende Berichtigung kam, daß er sich beruhigte. In einer großen Gesellschaft bei Prof. Brockhaus hatte er bereits geäußert: ›Ja, Weißheimer, der kann's ruhig aushalten; ihm sind einsichtsvolle, vermögende Eltern gegeben‹58. ›Herr und Frau v. Bülow‹, so fährt Weißheimer fort, ›kehrten schon am Sonntag Abend nach Berlin zurück. Auch Wagner mußte bald wieder abreisen. Vorher wohnten wir einer Vorstellung der Schillerschen, »Räuber« im Stadttheater bei. Er amüsierte sich hier sehr über die famosen hohen Glanzstiefel Karl Moors, die kein Untätchen oder Schmutzfleckchen der durchstreiften Wälder aufwiesen. Außerdem trug der Räuber einen funkelnagelneuen Rock, der mit schneeweißem Schwanenpelz besetzt war! Eh' wir jene Vorstellung im Theater besuchten, zeigte mir Wagner sein in der Nähe gelegenes Geburtshaus. Er führte mich zu dem sog. »roten Löwen« am oberen Ende des Brühl, und sagte: »Hier vom Eingang links, eine Treppe hoch, bin ich geboren.« Das Haus schien ihm im Ganzen unverändert geblieben zu sein. Er erinnerte sich noch der Treppe und des Flurs, auf dem [400] er, als umgezogen werden sollte, seinen Spielgenossen entzückt zugerufen habe: »Wir zieh'n aus, wir zieh'n aus!« Später, meinte er, sei er lange nicht mehr so vergnügt darüber gewesen, wenn er ausziehen und immer wieder ausziehen mußte. Unmittelbar vor seiner Abreise fand bei seinem liebenswürdigen Schwager und Wagners äußerst sympathischer Schwester (Ottilie), die in ihrer äußeren Erscheinung ihrem Bruder ziemlich ähnelte, noch ein kleines Abschiedsdiner statt. Mitten im Essen ließ sich Herr Dr. Härtel zum Besuch anmelden. Er wurde von Wagner in ein nebenanliegendes Gemach begleitet; ihre Unterredung dauerte ziemlich lang. Endlich kamen sie wieder zum Vorschein, und nachdem sich Herr Härtel über die verursachte Störung entschuldigt, empfahl er sich, von Wagner bis zur Treppe begleitet. Die Haltung des Chefs der berühmten Firma war eine ernste, ziemlich reservierte. Wie ich aus einer Äußerung Wagners schloß, war er mit dem Absatz, den der »Tristan« fand, nur wenig zufrieden.‹59

Von Leipzig aus ging Wagner zunächst nach Dresden, wo sich inzwischen Minna mit ihrem gemeinsamen Pariser, resp. Züricher Mobiliar häuslich niedergelassen und auch für den Fall einer vorübergehenden oder dauernden Dresdener Niederlassung ihres Mannes Vorsorge getroffen hatte. Von einer solchen Niederlassung in der sächsischen Residenz war nun freilich der Meister weit entfernt.60 Dagegen ermangelte er nicht, um jeder Form zu genügen, seine Anwesenheit daselbst zu einer Visite bei dem Staatsminister zu benutzen, dessen ›Verwendung‹ (!) an höchster Stelle er die endliche Aufhebung seiner Verbannung zu danken hatte. Es ist in recht aufsehenerregender Weise bekannt geworden, wie nachmals Graf Beust in seinen ›Memoiren‹ dieses Besuches sich bedient hat, um bei Erwähnung desselben eine verleumderische Behauptung auf Kosten Wagners mit einfließen zu lassen, die sich durch eine mehrseitige genaueste Prüfung sämtlicher auf Wagners Verurteilung bezüglichen Papiere als völlig aus der Luft gegriffen erwiesen hat. Bei der beiderseits in scherzhaftem Ton geführten Unterhaltung über Wagners Schuld oder Unschuld will er nämlich zu dem Meister die Worte gesagt haben: ›Sollten Sie nicht wissen, daß sich bei den Akten ein von Ihnen geschriebenes Blatt befindet, wo (sic!) Sie sich der glücklicherweise ohne ernste Folgen gebliebenen Brandlegung im Prinzenpalais rühmen?‹61 Das absolut einzige schriftliche Zeugnis von Wagners Hand, das sich in den Akten des kgl. Amtsgerichtes zu Dresden befindet, ist jener Brief an Röckel [401] vom 2. Mai 1849, dessen wir gehörigen Ortes62 gedachten, und der seit mehreren Jahren gedruckt vorliegt,63 so daß sich jeder von dessen tatsächlichem Inhalt überzeugen kann. Einzig von diesem Briefe kann, weil es nie ein anderes ähnliches Schriftstück in den Akten gegeben hat, damals die Rede gewesen sein; die nachträgliche, frivole Entstellung seines Inhaltes wendet sich somit mit ihrer ganzen Schärfe gegen ihren Urheber zurück.64 ›Auch Dresden‹, so berichtet Wagner selbst, ›wo alle Mittel zur Aufführung meines »Tristan« vorhanden waren, durfte ich nun zwar wieder betreten; als ich mich aber nun für einige Tage dort einfand, mußte ich an der besonderen Haltung der kgl. Generaldirektion des dortigen Hoftheaters sofort erkennen, daß an ein Befassen mit mir und meinem Werke dort nicht im entferntesten auch nur zu denken sei.‹ Schon aus dem abschlägigen Bescheid auf die erbetene Mitwirkung Schnorrs an dem Leipziger Konzert war diese Gesinnung unzweideutig zu erkennen. ›Mit unüberwindlicher Bitterkeit‹, sagt Schnorr, ›erfüllte mich der Umstand, daß Wagner sich umsonst an den hiesigen Intendanten gewendet, der die Stirn hatte, ihm eine solche Bitte abzuschlagen.‹ Er war nur darauf bedacht, dem Meister ›neue Demütigungen zu ersparen‹, indem er ihn abzuhalten suchte, ›hier noch irgendwelche Versuche zu machen, die Intendanz für die Ausführung seiner Pläne um Rücksicht anzugehen‹.

Somit wandte sich denn Wagner für jetzt nach Biebrich, um hier in den nächsten acht Tagen seine Angelegenheiten zu ordnen, sich zunächst seine dortige Wohnung bis zum kommenden Frühjahr zu sichern und sodann auf Unternehmungen auszugehen, deren Erträgnisse ihn in den Stand setzen sollten, zur Wiederaufnahme seiner Arbeit in sein Rhein-Asyl zurückzukehren. Geheimnisvoll verlautete damals die Kunde: um Richard Wagner eine ›sorgenfreie Zukunft‹ zu begründen, habe sich in Wiesbaden unter dem Vorsitz einiger ergebener Freunde (es wurden Joachim Raff und Kapellmeister Hagen genannt) ein Komitee gebildet, welches eine Aufforderung an das ›deutsche Volk‹ behufs eines nationalen Ehrengeschenkes für den Komponisten des ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ erlassen wolle.65 Es wäre dies ein gar zu seltsamer Anachronismus gewesen. Noch lebte, rang und litt der Meister inmitten [402] seiner Zeitgenossen, und ihm sollte – anstatt eines Denkmals nach seinem Tode – in diesen seinen Lebens-und Leidenszeiten ein ›Ehrengeschenk‹ geboten werden, um ihm sein Schaffen zu erleichtern und ihn von quälenden Sorgen zu befreien. Die Heimat der großen Dichter und Denker war hierfür doch zu praktisch gesinnt! Sie hätte dem ›Komponisten des Tannhäuser und Lohengrin‹, um das Geleise des Alltäglichen und Gewöhnlichen doch in nichts zu verlassen, im günstigsten Falle allenfalls wieder eine Hofkapellmeisterstellung als Versorgung angetragen. Wirklich verlautete eine andere Nachricht, es seien um jene Zeit von Weimar aus Unterhandlungen angeknüpft worden, wonach er als Nachfolger Liszts in dessen verlassenes Amt und seinen Kapellmeistergehalt eintreten sollte – neben Dingelstedt als Intendanten! – Über jenen geplanten ›Aufruf an das deutsche Volk‹ erfahren wir nun das Nähere durch einen von Weißheimer mitgeteilten Brief Bülows. Es sei schon während seines Aufenthaltes in Biebrich unter den Freunden (Raff und Städel) davon die Rede gewesen; Wagner aber habe ›ganz rabiat dagegen opponiert‹. Bülow selbst, dem ein vortrefflicher Brief Städels über die in Aussicht genommene ›Nationalsubskription‹ übermittelt worden war, verkannte nicht die Bedenklichkeiten: ›wie wird die Würde des Meisters dabei unbefleckt gewahrt werden können? Es wäre doch infam, – Meyerbeer auf der Liste der Subskribenten zu sehen!‹ Und hatte nicht Wagner, nach seinen Pariser Erfahrungen, volles Recht, gegen einen solchen Plan zu opponieren? Es kam auch wirklich, trotz seines Einspruches, diesmal wieder gerade so weit wie damals, nämlich zu einigen indiskreten Zeitungsnotizen.66 Sonst rührte sich keine Hand, um die Angelegenheit nachdrücklich in großartigerem Stile zu betreiben.

Nachdem es ihm für diesmal gelungen ›von Biebrich loszukommen‹, traf er am 15. November in Wien ein. Hier nahm er wiederum in jenem Hotel zur ›Kaiserin Elisabeth‹ Wohnung, um sich des Weiteren nach der neuesten Wendung in dem Schicksale seines ›Tristan‹ umzusehen.

Fußnoten

[403] 1 Besonders aus dem schönen großen Briefe aus Biebrich vom 6. März 1862 (Briefe Wagners an August Röckel, S. 72/76).


2 Daselbst S. 76.


3 M. v. Meysenbug. ›Genius und Welt‹ (Cosmopolis 1896, S. 566). Vgl. dazu S. 372 dieses vorliegenden Bandes.


4 Der junge Sänger hatte damals sein 26. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen.


5 Ges. Schr. Bd. VIII, S. 224/25.


6 Vgl. S. 37 Anmerkung dieses gegenwärtigen Bandes.


7 Bülows Briefe an R. Pohl, Neue D. Rundschau 1898, Seite 588.


8 Weißheimer, S. 140/41.


9 ›Jede Aufregung schwellt meine Leber und dann kann ich weder stehen noch sitzen, noch liegen, weder lesen, schreiben, noch schlafen‹ (Bülow an Pohl, 31. Juli 1862).


10 Mitgeteilt durch Liszt in einem Briefe an Brendel vom 16. Aug. 1862 (La Mara Liszt-Briefe II, S. 19/20).


11 So erzählt M. Kufferath, auf Grund einer brieflichen Mitteilung von Frau Schnorr, in seinem Buche: ›Tristan et Iseult‹ Paris 1894, S. 48.


12 ›Meine Erinnerungen an Ludwig Schnorr von Carolsfeld‹, Ges. Schr. Bd. VIII, S. 225/26.


13 ›Einladung zur Aufführung des »Tristan« in München‹, Brief an den Redakteur des Wiener ›Botschafter‹ 1865 (Bayreuther Blätter, 1890, S. 176).


14 La Mara, Liszt-Briefe II, S. 25.


15 Weißheimer, Erlebnisse S. 118/119, der aber seltsamerweise konsequent von sich als Begleiter am Klavier spricht!! Ja, ob Bülows bei ihrem Eintreffen ›das Schnorrsche Ehepaar (überhaupt) noch angetroffen hätten, sei ihm – nicht mehr erinnerlich‹!! (Wörtlich so bei ihm zu lesen auf S. 121 seines Buches.)


16 Der unglückliche Maler sei darüber in Verzweiflung gewesen, behauptet Weißheimer, und habe ihm einmal gestanden: ›ein solcher Fall sei ihm noch nicht vorgekommen – Herr Wagner mache ja jeden Tag ein anderes Gesicht!‹ (Weißh. S. 128.)


17 Nichtsdestoweniger ist dieses Porträt wiederholt zur Vervielfältigung gelangt; vgl. Oesterleins ›Wagner Katalog‹ Nr. 3545: Brustbild, sitzend im Pelzrock, gem. v. C. Willich, photographiert von J. Albert (1863), und Nr. 6003: Halbe Figur, sitzend, Kopf nach links gewendet, gem. von C. Willich, Lith. v. S. Braun, Verlag von B. Schott und Söhne in Mainz (Folio).


18 Wenn diese bestimmte Angabe richtig, so müßte es wohl der 12. Juli gewesen sein.


19 So ganz unerwartet war dieser Besuch doch nicht! Vgl. die briefliche Einladung an Röckel vom 17. Juni 62, in welcher der Meister dem Freunde genau die Zeit angibt, zu welcher er ihn in Biebrich in Gesellschaft von Bülows und Schnorrs treffen könne. Diese ganz bestimmte Einladung hatte Röckel akzeptiert und überraschend war demnach nur sein plötzlicher Eintritt in den Speisesaal des Europäischen Hofes.


20 Weißheimer, S. 130/35 Vgl. dazu Wagners ›Briefe an August Röckel‹ Seite 73 ff.


21 Weißheimer, Erlebnisse S. 135/40.


22 Ca. am 23. oder 24. Juli, am 21. erwähnt Wagner noch seiner (Schnorrs) Anwesenheit in einem Briefe an Wesendonck.


23 Weißheimer, S. 120/21.


24 Vgl. Bülow an Pohl: ›Schnorrs – ein prächtiges Künstlerpaar. Kann den »Tristan« bereits ziemlich auswendig, und ist mit Sicherheit auf eine Vorstellung in Dresden künftigen Winter zu zählen.‹


25 H. v. Bülow an R. Pohl, 31. Juli 1862.


26 Brieflich 30. Sept. bei Weißheimer, S. 173/74.


27 Brieflich an Wesendonck, 26. Juli 1862.


28 Brieflich an Wesendonck, 26. Juli 1862.


29 Seltsame Annahme!


30 Daran läßt sich doch nicht zweifeln!


31 Eben am Mittwoch, d. 30. Juli, wie oben angegeben. Tags darauf schreibt Bülow an Pohl: ›Gestern war Frl. Genast mit uns bei Schott, wo sie fünf Lieder von Wagner gesungen hat, die derselbe zur einstweiligen Beschwichtigung des auf die »Meistersinger« vorschießenden Verlegers druckfertig gemacht hat.‹


32 Weißheimer, S. 129/30.


33 Frl. Mathilde Maier, vgl. S. 373 f. dieses Bandes.


34 Vgl. z.B. Bülows schöne briefliche Äußerung gegen R. Pohl: ›Wagner zum Nachbar, da schrumpft alles andere so miserabel ein, wird so kindisch, null und nichtig – na, Du wirst's begreifen können. Kahnts Korrekturabzug meiner Lieder habe ich erhalten, bin aber nicht imstande Revision zu halten; das Zeug kommt mir so erbärmlich, so lumpig vor, daß ichs gar nicht ansehen mag.‹ Zu dieser noblen, echt Bülowschen Äußerung halte man nun aber Weißheimers unverantwortlich leichtfertige Behauptung, wonach es – Bülow ›verdrossen‹ habe (!), daß Wagner für seine Lieder nicht genug Interesse gezeigt: ›Es ist doch auffallend, wie wenig Interesse er für andere hat (!!); ich spiele ihm nichts mehr von mir vor!‹ (Weißh. 128.)


35 Vgl. die Nachricht an Goltermann vom 8. August: ›Das Daumenübel, an welchem Herr Wagner leidet, und das ihn an aller Tätigkeit mit der Jeder verhindert, scheint sich leider in die Länge zu ziehen.‹ (Bülows Briefe, Band III. Seite 492.)


36 Vgl. Bülows Briefe Band III, Seite 492/93.


37 Weißheimer schreibt, für damals mit Unrecht, immer: ›Parsifal‹.


38 Weißheimer S. 126/27.


39 Bereits am 31. Juli schreibt Bülow an Pohl: Für Dich die Nachricht, daß am 27. August in Frankfurt a. M. eine Vorstellung des ›Lohengrin‹ stattfinden wird unter des Komponisten Leitung und Vorbereitung (wird nämlich neu einstudiert, von Strichen befreit u.s.w.) Schnorrs werden aller Voraussicht nach darin gastieren. Zu letzterem Gastspiel kam es allerdings nicht!


40 Die Besetzung war die folgende: Alphons – Herr Roll; Prinzessin Leonore – Frl. Friederike Meyer; Leonore Sanvitale – Frau Wohlstadt; Tasso – Herr Schneider; Antonio – Herr Bürde. Eine Wiederholung dieser ›zu Goethes Geburtsfeier‹ ›neu einstudierten‹ Vorstellung hat laut eingeholter Auskunft seitens des Theatersekretäriats nicht stattgehabt.


41 Brieflich an Joachim Raff aus Berlin, vom 2. September 1862.


42 Am ›nächsten Sonntag und Montag‹, nach der Frankfurter Tasso-Aufführung, sollen dann Wagner und Bülows gemeinschaftlich noch jenen Besuch in der Osthofener Steinmühle gemacht haben, dessen wir zuvor (S. 390) gedachten; das ist aber wiederum ganz unmöglich, da um diese Zeit (31. August und 1. September) Bülow schon wieder in Berlin war und dort bereits, nach Weißheimer selbst (S. 153 seines Buches), ›von Wagner Briefe empfangen hat!‹


43 Weißheimer, S. 145. ›Und dieser Mann hat über 2 Millionen Gulden an lachende Erben hinterlassen!‹ fügt die S. 489 erwähnte treue Mainzer Verehrerin ihrer dort mitgeteilten Erzählung der Leo- Episode mit unwillkürlichem Ausruf hinzu (brieflich 8. November 1878).


44 Gesammelte Schriften Band VI, Seite 383/84.


45 Weißheimer, Seite 158.


46 Ebendaselbst Seite 161.


47 Weißheimer, S. 162 und 171.


48 Bülow an J. Raff: ›Meine teure Schwägerin ist am 11. d. auf ihrem Landgute bei St. Tropez an einer Art Entkräftungssieher gestorben. Der Verlust ist entsetzlich für alle. Meine Frau ist vorigen Sonnabend nach Paris gereist, um ihre Großmutter über den unerwarteten und trostlosen Trauerfall zu trösten.‹


49 Bekanntlich der ›Alberich‹ von 1876, der ›Klingsor‹ von 1882.


50 In einem Schreiben aus Biebrich, 12. Oktober 1862, spricht der Meister seinen Dank dafür aus.


51 Es war nicht mehr Lüttichau, mit dem er es dabei zu tun hatte; der alte Herr hatte sich seit dem 1. April 1862 in den Ruhestand zurückgezogen, der leider ein Krankenlager war, von dem ihn – kaum ein Jahr später – der Tod erlöste.


52 Diesen hatte Liszt zwei Jahre zuvor dem Leipziger Geigenmeister mit dem Bemerken zugeführt: er bringe ihm einen ›neuen Paganini‹. Vgl. auch S. 380 des vorliegenden Bandes.


53 Wagner hatte eigentlich außer dem ›Meistersinger‹-Vorspiel das ›Tristan‹-Vorspiel mit ›Isoldens Liebestod‹ dazu bestimmt, und auf Weißheimers Vorschlag die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre dafür eingesetzt (›Also gut: Tannhäuser-Ouvertüre! Mir auch recht. Denn was ich jetzt im Sinne habe, ist reines Effektmachen, um – zu Geld zu kommen.‹ Brieflich an Weißheimer, 12. Okt. 1862).


54 Vgl. G. Schönaich, ›Von Leipzig, Wagner und Anderem‹ in der Wiener ›Neuen Mus. Presse‹ 1895, Nr. 43.


55 ›Mitteldeutsche Volkszeitung‹ (Luise Otto-Peters) zitiert nach Weißheimer S. 199.


56 Anders urteilte darüber der Referent der berühmten Leipziger ›Signale für die musikalische Welt‹ (Ed. Bernsdorf): ›Als Musikstück diesem Vorspiel den mindesten Geschmack abzugewinnen, sind wir nicht imstande. Es ist reizlos, wüst und unüberschaulich, weil ohne gehörige rhythmische und melodische Gliederung (!); die Erfindung ist ebenso barock wie die Ausführung unorganisch (!), verworren und unbeholfen (!). In dem ganzen Stücke ist nichts, woran entweder der Laie oder der Musiker Freude haben könnte. Ein Chaos, ein Tohu-Wabohu, weiter nichts.‹ Derselben Meinung loß sich der gestrenge Gerichtshof des eigentlichen Gewandhauspublikums an; daher denn das neue Werk bei seiner baldigen Wiederholung durch dasselbe Orchester, wiewohl unter Leitung des Herrn Carl Reinecke, von jener Seite her eine ebenso entschiedene Zurückweisung erfuhr, wie siebzehn Jahre früher die Ouvertüre zum ›Tannhäuser‹.


57 Vgl. Band II, Seite 124/25.


58 Weißheimer, S. 195/96.


59 Weißheimer S. 205/206 (stark verkürzt).


60 Die ›Signale‹ v. 6. November lassen in diesem Sinne aus Dresden berichten. ›Richard Wagner ist hier eingetroffen und wird dauernd seinen Wohnsitz in Dresden aufschlagen. Er hat sich bereits eine Wohnung gemietet und sein Mobiliar von Paris kommen lassen‹ (Sign. 1862, S. 608). Die Nachricht war eine durchaus irrige, Dresden war – vollends damals! – für Wagner nicht der rechte Ort!


61 Beust, ›aus dreiviertel Jahrhunderten‹, Stuttgart 1887, I, S. 77 ff.


62 B. II, S. 301.


63 Chamberlain, echte Briefe an F. Präger, Anhang S. 123/24.


64 ›Doppelt bösartig‹, bemerkt dazu mit Recht W. A. Elis, ›ist diese nachträgliche Anklage dadurch, daß sie nicht allein erst nach dem Tode beider Teile veröffentlicht ward, sondern auch mitten in der Unterhaltung abbricht, ohne ein Wort von Wagners Antwort!! Ein Staatsminister, der sich dessen noch rühmt, daß er für Wagner – nach dreizehnjähriger Verbannung! – den Gnadenakt der Aufhebung seiner, im wesentlichen Punkte völlig unbegründeten Verfolgung erlangt habe, sollte doch der Letzte sein, ein Bruchstück aus den Anklage-Akten bekannt zu machen (selbst deren Vorhandensein vorausgesetzt), ohne dem Angeklagten die Gelegenheit zur Verteidigung zu geben‹ (Ellis, der Aufstand zu Dresden, deutsch von H. v. Wolzogen, S. 53)


65 ›Signale für die musikalische Welt‹ 1862, S. 529 (9. Oktober).


66 Vgl. die zitierte Notiz der ›Signale‹ und anderer Musikblätter.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 376-404.
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