8.

Wie großen Antheil wir auch an der Zähigkeit und Klugheit nehmen, mit der L. Mozart die Aufführung der Oper seines Sohnes in vollem Glauben an ihren Werth durchzusetzen bestrebt war, so fragen wir doch, ob denn auch sein Glaube gerechtfertigt und begründet war. Die Oper ist in Mozarts Handschrift erhalten (André Verzeichn. n. 31) und nach einer genauen Prüfung derselben bestätigt sich das Urtheil der damals bewährtesten Kenner, daß sie nicht allein ebenso gut sei wie die Menge der komischen Opern der Zeit, sondern sich vor den meisten auszeichne.

Der Text ist sowohl der dramatischen Anlage als der Ausführung im Einzelnen nach herzlich schlecht, Situationen, Charaktere und Späße sind meistens derb und plump und das harte Urtheil, welches Nicolai über die »welschen musikalischen Possenspieler« in Wien fällt, wird durch diesen Text nur bestätigt1. Der Hauptinhalt ist in der Kürze etwa folgender.

[96] Fracasso, ein ungarischer Offizier, ist mit seinem Diener Simone einquartiert bei zwei reichen Hagestolzen, Cassandro und Polidoro, welche eine schöne Schwester Giacinta haben. Natürlich hat Fracasso mit dieser und Simone mit ihrer schlauen Zofe Ninetta ein Liebesverhältniß angeknüpft, von dem die Brüder nichts wissen wollen. Dies sind zwei Karikaturen. Polidoro, der jüngere, ist ebenso einfältig als furchtsam, dabei sehr verliebt, was er aber Cassandro nicht merken lassen darf, der auf seinen Reichthum, seinen Verstand und seine Schönheit unglaublich eingebildet das Haus tyrannisirt und, obwohl nicht minder verliebter Natur, den Weiberfeind spielt. Um sie zu überlisten wird nun ausgemacht, daß Rosine, die junge und schöne Schwester Fracassos, welche er so eben zum Besuch erwartet, von Ninetta instruirt, beide Brüder in steh verliebt machen soll um deren Einwilligung für die beiden anderen Liebespaare zu gewinnen. Sie tritt nun als »verstellte Einfalt« auf und mit einer Naivetät, die mitunter stark an Gemeinheit streift, wirst sie sich beiden Brüdern förmlich an den Hals; beide sind davon entzückt, verlieben steh und wollen sie heirathen. Die Späße, welche sie mit ihnen treibt, die Verwickelungen, welche entstehen, wenn die Brüder sich bei ihr treffen, durch ihr täppisches Wesen bald sie bald Fracasso beleidigen und dann gute Worte geben müssen, bilden den Hauptinhalt der Oper, in der es [97] zu einer eigentlichen Handlung nicht kommt, sondern nur zu einzelnen burlesken Scenen. Von diesen nur einige charakteristische Züge. Polidoro macht Rosine beim ersten Zusammentreffen nach wenig Worten den Vorschlag sie auf der Stelle zu heirathen; sie zeigt sich nicht abgeneigt, allein »domanda un matrimonio i passi suoi, s'ama da prima, e poiche qualche visita almeno, qualche gentil biglietto, qualche bel regalo.« Auch dazu ist er bereit; die Liebe, meint er, sei da, die Visite eben gemacht, einen Liebesbrief muß ihm Ninetta schreiben, als Geschenk steckt er ihr eine Börse mit Gold in die Hand. In einer späteren Scene wird er unterrichtet und förmlich einercreirt, wie er sich als gefälliger Ehemann zu benehmen habe. Nicht besser geht es mit Cassandro. Gleich bei der ersten Zusammenkunft bittet ihn Rosine um einen Ring, und da er ihr denselben abschlägt, beschwatzt sie ihn, daß er ihn ihr leihet, worauf er fortwährend in der plumpsten Art seine Besorgniß ausspricht, ob er ihn auch wiedererhalten werde. Im folgenden Act kommt er angetrunken zu ihr, muß sich deshalb in die entgegengesetzte Ecke des Zimmers setzen und sie fängt der weiten Entfernung wegen an sich durch Pantomimen mit ihm zu unterhalten (in einem begleiteten Recitativ), die er mißversteht und endlich darüber einschläft. Das benutzt sie um ihm den Ring an den Finger zu stecken und läßt ihn allein. Dann kommt Fracasso, und da jener wieder von dem Ring anfängt, den die Schwester behalten habe, da er ihn doch am Finger trägt, so fordert ihn dieser zum Duell, wo er steh als vollständiger Poltron zeigt. Um der Sache ein Ende zu machen wird endlich den Brüdern weiß gemacht, Giacinta und Ninetta seien mit Geld und Kostbarkeiten entflohen, so daß sie dem, der sie wiederbringt, ihre Hand versprechen. Fracasso und Simone sind diese Glücklichen und Rosine, welche Cassandro ihre Hand gegeben hat, klärt [98] ihre Verstellung zu großem Erstaunen der Brüder unter allgemeiner Heiterkeit auf.

Diesem kläglichen Text gegenüber zeigt Mozart zunächst dadurch seine Ueberlegenheit daß der Adel und die Feinheit, die wir in seinen späteren Werken bewundern, wodurch er alles, was mit ihm in Berührung kommt, in eine höhere Sphäre erhebt, schon hier sich unverkennbar geltend machen. Die eigentliche Spaßmacherei ist meistens auf den Dialog beschränkt, in den Arien ist eine um etwas höhere Stimmung; auch in den Finales sind allerdings fast alle Situationen recht sehr burlesk, aber sie sind doch ziemlich knapp gehalten und ohne viel Detail schlechter Späße, so daß der musikalische Charakter, welchen der Componist ihnen aufprägte, der vorwiegende ist. Ebenso entschieden tritt das Talent der musikalischen Charakteristik schon in dieser Knabenarbeit hervor, sowohl in der Auffassung der Situationen als der Personen. Freilich ist hier vom Dichter so wenig als irgend möglich vorgearbeitet, und Alles was in dieser Beziehung geleistet ist kann man als das reine Verdienst des Componisten betrachten.

Beide vorher bezeichneten Vorzüge sind aufs glänzendste in der Person des Polidoro bewährt. Dieser, ein Einfaltspinsel und Poltron, der von seinem Bruder geprügelt, von allen aufs plumpste gehäuselt wird, war für Caribaldi geschrieben, der eine schone Stimme von einem süßen und rührenden Ausdruck hatte, aber einförmig in den Coloraturen, in welchen er nur natürliche Anlage zeigte, und im Spiel ein ungeschickter Nachahmer Caratolis war2. Mozart hat daher bei [99] seiner Charakteristik dem Gefühl der Liebe, das den armen Tropf über sich selbst hinaushebt, einen einfachen und edlen Ausdruck gegeben, ohne das komische Element ganz zu unterdrücken. Seine erste Arie, in welcher er den Eindruck schildert den Rosine auf ihn gemacht hat3, ist wohl die Krone der ganzen Oper. Der Ausdruck der Empfindung ist sehr einfach und edel, das Knabenhafte ist zur Naivetät eines Jünglings, der sich seiner Gefühle selbst noch nicht bewußt ist, die Furchtsamkeit zur Weichheit einer noch nicht gereiften Seele veredelt, mit einer Wahrheit des Ausdrucks, daß man ganz erstaunt fragen möchte, woher denn der Knabe die psychischen Erfahrungen habe. Man kann der Stimmung nach die Arie mit denen des Cherubin im Figaro vergleichen, nur daß der Page ungleich mehr Lebhaftigkeit und Geist als Polidoro zeigt. Uebrigens ist diese Arie durch die Schönheit der Melodie und Harmonie, welche in einem ungetrübten Flusse dahinströmen, ohne alle Spur von Conventionellem und Zopfartigem, durch die Symmetrie der einzelnen Theile und ihre Abrundung zu einem Ganzen, durch die innere Einheit der Stimmung vollständig Mozartsch und würde in seinen spätesten Opern einen würdigen Platz einnehmen. Auch die Instrumentation ist, obwohl [100] sehr einfach, in einer ganz entsprechenden Weise behandelt. Die erste Violine führt durchgehend die Melodie der Singstimme, hie und da etwas verziert, die zweite hält eine einfache Begleitungsfigur fest, die Bässe spielen pizzicato. Zwei Bratschen und Fagotts, meistens mit einander correspondirend, schattiren gewissermaßen die einfache Skizze, während zwei Oboen die Lichter aufsetzen; die Hörner, welche nur in langgehaltenen Tönen angewendet sind, halten das Ganze zusammen. Die geschickte Verwendung dieser einfachen Mittel bringt ein gewisses Clairobscur hervor, welches von der schönsten und treffendsten Wirkung ist. Dramatisch lebendiger ist seine Arie im zweiten Act. Rosine, von Cassandro beleidigt, bricht in Thränen aus, da wendet er sich an sie mit Zärtlichkeit


Sposa cara, sposa bella,

per pietà, deh, non piangete!


und entrüstet an Cassandro


E se voi bevuto avete,

poveretto andate in letto

ne la state à molestar.

Piano, piano, ch' io burlavo,

state in la che vi son chiavo.

Quanto à me, tutto v'è lecito,

bastonatemi, accopatemi,

ma mia moglie, non Signor,

non l'avete da toccar.


Das wahre Gefühl der Liebe und das gewaltsame Zusammennehmen um die Furcht vor dem Bruder zu bemeistern sind lebendig charakterisirt, auch im Wechsel der Tactart und des Tempo, wie der Instrumentation; doch hat der bewegte Theil dieser Arie mehr den gewöhnlichen Buffocharakter.

Neben Polidoro zeichnet sich Rosine4 aus, und zwar [101] wiederum, was nicht bedeutungslos ist, besonders in den Arien, wo sie ihrem wirklichen Charakter gemäß einfach und wahr ihre Gefühle ausspricht. Gleich die erste Arie5 ist frisch und lebendig und durchaus graziös, selbst in den Passagen so natürlich und anmuthig, daß sie auch heute noch nicht veraltet klingen. Von der zweiten Arie ist besonders der erste Theil (Andante, un poco adagio) sehr schön, und die getragene Hauptmelodie kann durch Würde und Gefühl wohl an den Charakter der Gräfin im Figaro erinnern. Der Text6 hat hier zu einer Malerei Veranlassung gegeben, indem nicht nur das susurrar durch eine entsprechende Figur in den Geigen ausgedrückt wild, sondern eine Solooboe auch die Rolle des Echo durch die Wiederholung der letzten Töne jeder Phrase übernimmt, wobei sie sich auch in die Passagen aufragionar einzuschmiegen weiß. Diese Tändelei ist aber so natürlich und bescheiden ausgeführt, daß sie den anmuthigen und innigen Charakter des Satzes nicht im Geringsten beeinträchtigt, der auch durch die Instrumentation7 sehr gehoben wird. Der [102] zweite Theil (Allegro grazioso 3/4) kommt, obgleich er leicht und munter ist, dem ersten an Eigenthümlichkeit und Bedeutung nicht gleich. Die dritte Arie, im zweiten Act, eine Cavatine, ist wieder durch das einfache innige Gefühl, welches sich in einer schönen getragenen Melodie ausspricht, sehr ausgezeichnet; die Anlage und Durchführung des ganzen Musikstückes hat, auch in der Begleitung, bei aller Einfachheit doch einen ganz eigenthümlichen Charakter, den wir schon als den bestimmt Mozartschen bezeichnen dürfen. Ueberhaupt zeigen die besprochenen Stücke eine völlige Reise, eine ausgebildete Individualität, welche über die bloße Fertigkeit und Geschicklichkeit in der Technik weit hinausgehen. In geringerem Maße gilt dies von der vierten Arie, ebenfalls im zweiten Act, welche Rosine in dem angenommenen Charakter als finta semplice singt und beweist, daß ein Frauenzimmer mit einem Liebhaber unmöglich zufrieden sein könne. Sie ist ganz munter und frisch, auch fehlt es nicht an einzelnen anmuthigen, ganz Mozartschen Wendungen; allein im Ganzen ist sie wenig hervorstechend.

Diesen beiden Hauptpersonen steht die dritte, Cassandro, der erste Baßbuffo8, nicht ganz ebenbürtig gegenüber. Seine Partie ist mit Geschick und Sinn für die eigenthümlichen Züge eines italiänischen Buffo behandelt, es fehlt nicht an dem raschen parlando, an gut angebrachten Pausen, starken Contrasten und ähnlichen hergebrachten Effecten, allein eine eigenthümliche Erfindung in komischen Zügen tritt selten [103] hervor9. Theils liegt die Schuld am Dichter, theils verlangte auch ein beliebter Buffo nur eine flüchtig angelegte Zeichnung, die er durch seine Ausführung erst belebte; allein die Jugend des Componisten, der Mangel an Lebenserfahrung und geistiger Durchbildung mußte ihm naturgemäß hier am ersten die Grenzen stecken. Es ist schon ein großer Beweis seiner guten künstlerischen Natur, daß er sich von allen Uebertreibungen und kindischen Spaßmachereien vollkommen frei zu halten wußte.

Die beiden Liebespaare sind nicht in gleichem Maaße ausgeprägt. Eigenthümlich ist allenfalls noch Giacinta aufgefaßt, aber nicht grade günstig für musikalische Charakteristik, als ein ziemlich indolentes und furchtsames Mädchen. Sie erklärt in ihrer ersten Arie


Marito io vorrei, ma senza fatica,

averlo, se commoda, lasciarlo, se intrica,

che aspetti degli anni,

che sole le mani

gli basti bacciar.

In somma io desidero

un uomo d' ingegno,

ma fatto di legno,

che dove lo metto

là sappia restar.


[104] Man muß gestehen, kein glückliches Temperament für eine erste Liebhaberin. So ist denn auch das was sie zu singen hat wohlklingend und gefällig, aber von einzelnen seinen Wendungen abgesehen ganz in der Weise, wie man es damals gewohnt war, ohne sich auszuzeichnen. Nur die Arie im dritten Act, in welcher sie nach der vorgeblichen Flucht in der äußersten Angst vor ihren Brüdern ist, hat einen abstechenden und scharf markirten Charakter, indem sie ein vollkommenes tragisches Pathos entfaltet, natürlich in beabsichtigter Karikatur, die in der Singstimme wie in der Begleitung sehr gut durchgeführt ist10. Ohne Zweifel bedingte die Individualität der Sängerin die Auffassung dieser Rolle, die eine entschiedene Mezzosopranpartie, ohne alle Coloratur ist.11 Fracasso ist ein Liebhaber gewöhnlichen Schlages, als ungarischer Officier derb zufahrend und den Brüdern gegenüber absichtlich händelsüchtig, aber ohne bestimmte Individualität12. Diese aus so allgemein [105] gültigen und geringfügigen Zügen selbst zu schaffen war damals Mozart natürlich noch nicht fähig.

Simone ist ebenfalls ein ordinärer Bediente13, mehr plump als derb, aber lustig, und dieses ist auch in der Musik gut wiedergegeben, die übrigens sich selten über den gewöhnlichen Buffocharakter erhebt14. Am farblosesten ist das Kammermädchen Ninetta gehalten, und von einer Susanne oder Despina ist hier noch keine Spur zu entdecken15. Bezeichnend für das echte und gesunde Talent des Knaben ist es, daß von den Arien dieser weniger bedeutenden Personen einige, offenbar auf Verlangen der Sänger, mehrmals componirt sind16. Wo eine natürliche Empfindung auszudrücken war, oder eine einigermaßen charakteristische Situation zu Grunde lag, sehen wir ihn das Richtige ohne Bedenken treffen; einem Gemeinplatz ohne individuelle Färbung gegenüber verläßt ihn zwar die Sicherheit nicht etwas Angemessenes [106] und Wohlklingendes zu sagen, aber wir finden ihn bereit es auf verschiedene Weise zu versuchen, um es dem Sänger und dem Publicum gefällig zu machen.

Der damaligen Opernweise gemäß sind die Arien bei weitem überwiegend, jede der auftretenden Personen hat deren zwei bis drei zu singen, Rosine sogar vier; ihre Gesammtzahl beläuft sich auf zwanzig. Die meisten derselben sind von dem damals üblichen Zuschnitt. Sie haben ein langes Ritornell und bestehen aus zwei Sätzen, die in Tempo, Tact und Tonart sich von einander unterscheiden, und gewöhnlich beide wiederholt werden. In der Regel ist der zweite Satz in der Tonart der Dominante, in welcher dann ebenfalls der erste wiederholt wird, worauf der zweite in der Tonica wiederholt den Schluß macht. Natürlich werden durch die Transposition auch mancherlei einzelne Abänderungen in der Melodie wie in den Uebergängen nöthig, diese pflegen aber auch die einzige Abwechslung auszumachen. Eine eigentlich thematische Ausführung kommt nicht vor, jeder Satz besteht aus einem einzigen langgesponnenen Faden, in dem einzelne Motive sich wohl einmal wiederholen, aber ohne wirklich verarbeitet zu werden. Diese Form hat etwas Schwerfälliges und ist selten dramatisch, sie ist hauptsächlich für den Sänger berechnet, der seine Kunst zeigen will. Daher ist es bemerkenswerth, daß grade die Arien, welche am meisten Eigenthümlichkeit zeigen, diese Form verlassen und einen in sich abgerundeten Satz bilden. Im Allgemeinen hat übrigens Mozart in dieser Oper der Virtuosität wenig Spielraum gegeben; auch wo die alte Form inne gehalten ist, sind die Melodien einfach und nicht nur selten mit Coloraturen und Passagen verziert17, sondern auch wenig geeignet den Sängern dazu Veranlassung [107] zu geben, bis auf die Cadenzen, die damals die Sänger sich selbst machten. Abgesehen von dem natürlichen Ausdruck der Empfindung, soweit der Text einen solchen gestattete, tragen aber die Arien durchweg den Charakter einer opera buffa, sie sind heiter, munter und leicht eingänglich.

Neben diesen vielen Arien ist nur ein Duett zwischen Fracasso und Cassandro im zweiten Act da, in welchem dieser sich in die Brust wirst, aber in großer Angst auf alle Weise dem Duell sich zu entziehen sucht, von rein komischem Charakter. Es ist lebendig und hätte gewiß damals sehr guten Effect gemacht, allein es ist kein eigentliches Duett, sondern fast nur eine Scene für den Baßbuffo, da Fracasso nur vereinzelte Worte hineinwirft, und zusammen gehen die beiden Stimmen nie.

Der wesentlichste Vorzug, welchen die Opera buffa damals vor der Opera seria hatte, waren die Finales, welche die durch mehrere Scenen hindurch zu einem bedeutenderen Conflict gesteigerte Handlung, an der sich wenigstens die Mehrzahl der auftretenden Personen betheiligt, in einem zusammenhängenden Musikstück darstellten. Auch unsere Oper schließt jeden Act mit einem ausgeführten Finale. Die Anordnung und Behandlung derselben war im Wesentlichen – wie es scheint zuerst, wenigstens hauptsächlich von Piccini – bereits festgestellt und wir finden sie daher der Hauptsache nach schon so angelegt, wie in den späteren Opern Mozarts. Mit dem Wechsel der Situation wechselt in der Regel auch Tempo, Tact-und Tonart, jeder einzelne solche Satz bildet für sich ein abgeschlossenes Ganze. Wo die Handlung bewegt wird, ein rasch wechselnder Dialog eintritt, wird gewöhnlich dem Orchester die Rolle gegeben, durch ein oder mehrere [108] charakteristische Motive, welche festgehalten und durchgeführt werden, einen fest eingerahmten Grund zu bilden, von welchem die einzelnen Züge der dramatischen Charakteristik sich lebendig abheben ohne auseinander zu fallen. Die künstlerische Behandlung derartiger Musikstücke bedingt ebenso sehr die geschickte Gestaltung und Gliederung der Sätze nach ihren rein musikalischen Motiven als die freie Bewegung und lebendige Charakteristik der in diesem Rahmen auftretenden Personen; nur im vollendeten Meister wird sich beides gleichmäßig durchdringen. Bei unserem jungen Componisten ist das erstere Element noch das überwiegende. Die Anlage und Gliederung der Sätze ist sicher und fließend. Die Singstimmen sind allerdings nicht künstlich verflochten, sondern einfach und leicht übersehbar, aber durchaus frei und selbständig geführt; ebenso ist das Orchester geschickt behandelt, mit richtiger Beachtung wo es selbständig in den Vordergrund und wo es begleitend zurücktreten müsse. Die Instrumentation ist durchgehends stärker und reicher, und obwohl eigenthümliche Instrumentaleffecte hier nicht so wie in einigen Arien hervortreten – dazu geht schon die Bewegung zu rasch in einem Zuge fort um dergleichen Einzelheiten hervorzuheben –, so ist doch die Behandlung der Instrumente wohl berechnet Licht und Schatten zu geben. Die Blasinstrumente sind nicht selten selbständig und eigenthümlich verwendet, und von der unnachahmlichen Kunst das Orchester wie die Singstimmen, jedes selbständig und doch so zu führen, daß sie zu einer höheren Einheit verschmelzen, welche Mozarts spätere Werke groß macht, sind die Keime und Ansätze schon hier unverkennbar. Was den dramatischen Ausdruck anlangt, so ist die Situation so wie der Charakter der einzelnen Personen allerdings stets angemessen ausgedrückt, allein in beider Hinsicht sind einzelne Arien bedeutender und tiefer. Ueberhaupt tritt in diesen Sätzen die [109] Kraft der Erfindung hinter der Fähigkeit und Gewandtheit in der formellen Gestaltung zurück. Es ist begreiflich, daß selbst bei der außerordentlichsten Begabung ein Knabe einer solchen Aufgabe gegenüber, welche die höchsten und verschiedenartigsten Ansprüche an ihn machte, allen gleichmäßig zu genügen sich nicht im Stande sah; und es ist für Mozart sehr charakteristisch, daß diese an ihn gestellten Anforderungen nicht einzelne glänzende, wohl auch geniale Einfälle hervorriefen, sondern daß das Bedürfniß einer gleichmäßigen harmonischen Durchbildung in ihm schon damals so mächtig war, daß seine Productionskraft sich gewissermaßen auf das Niveau dessen stellte, was er auch künstlerisch zu gestalten und durchzuarbeiten im Stande war. Daher machen denn diese Finales einen durchaus künstlerischen harmonischen Eindruck, und tragen, wenn sie auch Tiefe und Schwung mitunter vermissen lassen, überall den lebhaften und munteren Charakter einer echten opera buffa, so daß durch das Ganze hindurch ein und derselbe Grundton gewahrt bleibt. Der letzte Satz jedes Finale ist immer vierstimmig und wird von allen anwesenden Personen gesungen, ein ähnlicher eröffnet die ganze Oper. Diese sind sehr einfach, die Singstimmen zwar recht fließend aber einfach harmonisch gehalten; die Geigen haben meistens eine bewegte Figur dazu, die aber häufig nur eine Art von Umschreibung der Hauptmelodie ausmacht und keinen selbständigen Charakter hat; die übrigen Instrumente füllen die Harmonie so daß das Ganze eine volle, mitunter rauschende Wirkung macht.

Die Ouverture, oder wie sie damals hieß Sinfonia, besteht hergebrachter Weise aus drei Sätzen, Allegro molto 8., Andante 8., Allegro molto 2/4, von denen die beiden ersten je zwei Theile haben. Sie ist nicht ursprünglich für die Oper geschrieben, sondern eine am 16. Januar componirte selbständige [110] Symphonie18 ist mit Weglassung des Menuets und einigen geringfügigen Aenderungen19 der Oper vorgesetzt. Ohne Zweifel ist dies das schwächste Stück der Oper und namentlich der Mittelsatz recht matt; aber man legte überhaupt wenig Gewicht auf die Ouverture, und sie steht auch so anderen Ouverturen damaliger Zeit nicht eben nach.

Faßt man das Ganze zusammen so ergiebt sich nunmehr, daß diese Oper im Allgemeinen den damals auf der Bühne befindlichen vollständig ebenbürtig war, in einzelnen Stücken aber durch Adel und Eigenthümlichkeit der Erfindung und Ausführung sie überragte und vornehmlich auf eine größere Zukunft hinwies. Welch ein außerordentliches Lob schließt ein solches Urtheil in sich, da es dem Werk eines Knaben gilt! Und grade dieses verräth steh nirgend; nirgend ein Zug von kindischem Wesen, von knabenhafter Unsicherheit, überall vollkommene Festigkeit und Gewandtheit in der Technik nach allen Seiten hin, sowie klare Einsicht der zu erreichenden Effecte und der wirksamen Mittel, überall Ebenmaß und Gliederung der einzelnen Theile zu einem Ganzen, kurz künstlerische Gestaltung, und endlich, was vielleicht das bewundernswertheste bei einem Knaben ist, überall ein sicheres Gefühl von dem Wesen der Kunstgattung, worauf die Haltung des Ganzen und die Charakteristik des Einzelnen beruhte: im Ganzen und Einzelnen ist die Oper eine echte opera buffa. Wenn uns heutzutage dieselbe im Vergleich zu dem woran wir uns gewöhnt haben und zu dem was Mozart später geleistet [111] hat, in vieler Hinsicht unbedeutend und veraltet vorkommt, so beweist das natürlich nichts gegen das obige Urtheil, das sich auf eine Betrachtung dessen gründet, was damals um und neben Mozart geleistet wurde.

Die handschriftliche Partitur welche sich erhalten hat, ist offenbar eine Reinschrift, allein nicht ohne Abänderungen. Diese sind theils Verbesserungen augenblicklicher Versehen im Schreiben, theils, obwohl seltener, Veränderungen, welche sich beim Reproduciren während des Schreibens aufdrängten; die meisten sind nach ganz vollendeter Composition, offenbar auf Veranlassung der Sänger, vorgenommen und bestehen sowohl aus Kürzungen als aus Zusätzen. Die letzteren – und dies ist charakteristisch – finden sich am meisten bei den Schlüssen, die Mozart in der Regel kurz und bündig gemacht hatte; die Sänger, die wohl wußten, womit sie sich einen guten Abgang verschaffen konnten, haben dann die Ausdehnung derselben gewünscht. Ueberall gewahrt man daß Leop. Mozart die Partitur revidirt hat, die äußerlichen Dinge wie Angabe des Tempo, der Personen, Instrumente, die genaue Bezeichnung des Vortrags u. ähnl. rühren fast allenthalben von seiner Hand her. Nur wenige Stellen finden sich, wo es scheint als habe er auch die Composition revidirt; im zweiten Finale hat er eine begleitende Figur in den Violinen, welche ursprünglich der ersten gegeben war, unter beide vertheilt, im dritten sind die ausfüllenden Instrumente zum Theil von seiner Hand hineingeschrieben, und zu einer Arie des Fracasso hat er auf einem oben hinzugefügten System noch zwei Flöten hinzugefügt – lauter unbedeutende Sachen. Allerdings kann diese Partitur, eben weil sie eine Reinschrift ist, über den Einfluß nicht entscheiden, welchen L. Mozart durch Rathen und Corrigiren auf die Composition seines Sohnes üben konnte. Man muß es begreiflich finden, wenn man ihn [112] damals für überwiegend zu halten geneigt war; jetzt, wo man den Entwickelungsgang Wolfgangs übersehen kann, wird Niemand daran denken.

Fußnoten

1 Nicolai Beschreibung einer Reise IV S. 574: »Wenn es für so nothwendig gehalten ward die deutschen Possenspiele vom Wiener Theater zu verbannen, so ist es unbegreiflich, womit man es entschuldigen will, daß nach Abschaffung derselben die wälschen Possenspiele darauf geduldet werden. Diese Stücke sind so elend als jemals Hanswurststücke gewesen sein können. Sie enthalten noch tölpischere Carricatur, sind noch langweiliger und unsinniger, und dabei fremd. Die Musik kann sie nicht entschuldigen; denn auch die wahre gute Musik wird durch solche unedle lappische Musik verdrängt oder verdorben, wovon wir in ganz Deutschland Beispiele genug haben.«


2 Sonnenfels sagt (ges. Schr. V S. 296): »Der Musiksetzer welcher von der angenehmen Stimme dieses Sängers Vortheil ziehen will, wird sich, wie ich dafür halte, sehr in Acht nehmen für ihn Allegro zu schreiben.«


3 Der Text lautet:


Cosa ha mai la donna in dosso,

che mi piace tanto, tanto?

Se la guardo, in ei m' incanto,

se la tocco, mi fà rosso,

e che caldo ella mi fà!

Il malanno che li porti

quel, che sprezzan le consorti,

carezzarla, cocolarla,

una moglie poveretta,

una moglie benedetta,

anche à me per carità.


4 Sie war offenbar für die Baglioni bestimmt »deren Stimme Silberklang war, so geläufig, als man es nur fordern kann und schön verflösset«; sie sang »nicht verwegen aber richtig; ihre Geberde war, wenn sie wollte, anständig, frei«; Sonnenfels ges. Schr. V S. 300.


5 Colla bocca e non col core

tutti sanno inamorar,

ma chi vuol fede ed amore,

da me venga ad imparar,

che si può senza rossore

gradir tutti ed un solo amar.


6 Senti l'eco, ove t'aggiri,

susurrar tra fiori e fronde,

ma se gridi, o se sospiri,

quello sol l'eco risponde,

che ti sente à ragionar.


7 Außer dem Saitenquartett und der Solooboe sind zwei Corni inglesi und zwei Corni di caccia angewendet.


8 »Caratoli ist wenig Sänger mehr, aber desto mehr Schauspieler und weiß gewissermaßen den Gesang entbehrlich zu machen; seine Rollen sind die Alten« sagt Sonnenfels (ges. Schr. V S. 291), der ihm nur Uebertreibung zu Gunsten des Haufens vorwirft. Aehnlich urtheilt Burney Reise I S. 63. Müller zuverl. Nachr. I S. 73. Er starb 67 Jahr alt in Wien 1772 (ebend. II S. 132).


9 Nicht übel sind in einer seiner Arien die allerdings keineswegs seinen Worte


E son come un can barbone

frà la carne ed il bastone;

vorrei stender lo zampino

e al baston più m'avvicino,

e abhaiando, mugolando,

piglio il porco e me ne vò


ausgedrückt. Freilich darf man solche Späße, die aufs Publicum damals sicher großen Eindruck machten, nicht mit der seinen Komik des Figaro vergleichen.


10 Che scompiglio, che flagello!

se mi vede mio fratello,

ah, mi scanna addirittura,

nò, per me non v'è pietà.

Tremo tutta di paura,

non mi reggo, non ho fiato,

sento il sangue ch'è gelato,

sento l'anima, che sen' và.


11 Dies paßt zu der Schilderung, welche Sonnenfels (ges. Schr. V. S. 301) von der Eberhardi macht. »Sie hat einen angenehmen Contralt; als Sängerin muß sie jedermann gefallen. Ihr Triller schnappt zwar ein wenig in einen Zitterschlag um und wenn das Tempo sehr geschwind genommen wird, fallt ihr das Folgen schwer. Im Spiel aber laßt sie die Natur über dem Gekünstelten fahren und wird gezwungen, indem sie die regelmäßige Geberde zu mühsam aufsucht.«


12 Die Partie war für Laschi bestimmt, den Sonnenfels (ges. Schr. V S. 293) als einen durchgebildeten Künstler, einen edlen Buffo vom feinsten, verständigsten Spiel rühmt. Er spielte noch die Liebhaber, aber man bemitleidete ihn über den Verlust einiger Saiten in seiner Stimme, der ihm zuweilen Mißtöne abzwang und den er durch Versetzen der Töne und Coloratur zu ersetzen suchte.


13 Poggi, welcher die Bedienten- und Bauernrollen gab, vereinigte mit einer angenehmen Baßstimme und richtigem Gesange ein ergötzliches Spiel ohne Uebertreibung und war der Liebling der Kenner; Sonnenfels ges. Schr. V S. 293f. Müller zuverl. Nachr. I S. 73.


14 Am gelungensten und frischesten ist wohl die Arie


Con certe persone

vuol esser bastone,


und der Schluß, wo in das Ritornell Madama, bastone! hineinsingt, ist hübsch und komisch.


15 Sie kann nur für die Bernasconi bestimmt gewesen sein, welche als Sandrina in Piccinis Buona figliola und in der Contadina in corte von Sacchini Furore gemacht hatte. Sonnenfels ges. Schr. V S. 299f.


16 Eine Arie des Fracasso ist zweimal componirt, von einer anderen der Mittelsatz, auch eine eingelegte Arie der Ninetta ist in doppelter Composition da.


17 In der oben besprochenen schönen Arie des Polidoro ist eine längere Passage mit richtigem Gefühl später von Mozart gestrichen worden.


18 André them. Verz. 105.


19 Die meisten Veränderungen gehen die Instrumentation an. Die Symphonie hatte ursprünglich Trompeten und Pauken, welche in der Oper nirgend und auch in der Ouverture nicht angewendet sind; dagegen sind hier Flöten und Fagotts hinzugesetzt.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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