11.

So war Mozart, ohne sich in Paris wohl und behaglich zu fühlen und ohne erhebliche Erfolge seiner Bemühungen wahrzunehmen, in seiner Weise thätig um es dort allmählich zu einer geachteten Stellung zu bringen, als ein Ereigniß eintrat, das ihn und die Seinigen heftig erschütterte.

[289] Seine Mutter hatte sich in Paris in der schlechten Wohnung, wo sie fast den ganzen Tag »allein wie im Arrest saß«, weil Wolfgang durch seine Geschäfte meistens außer Hause gehalten wurde, bei der eingeschränkten Lebensweise immer übel befunden; im Mai war sie drei Wochen krank gewesen und dachte daran, wenn sie sich erholt haben würde, ein besseres Quartier zu suchen und dann selbst die Küche zu führen. Allein im Juni erkrankte sie von Neuem; sie ließ sich zur Ader und schrieb darauf noch selbst ihrem Manne (12. Juni 1778), daß sie zwar sehr müde sei und Schmerzen im Arm und in den Augen empfinde, aber sich doch besser fühle. Allein diese Besserung war scheinbar, die Krankheit nahm eine bedenkliche Wendung und nach vierzehn angstvollen Tagen, die Wolfgang am Bett seiner Mutter zugebracht hatte, sah er sie am Abend des dritten Juli sanft verscheiden. Sein nächster Gedanke war möglichste Schonung sei nes Vaters, der von diesem furchtbaren Schlag nichts ahnen konnte. Er schrieb ihm um ihn vorzubereiten, daß die Mutter krank sei und daß ihr Zustand Bedenken errege; zugleich theilte er dem treuen Freund Bullinger die volle Wahrheit mit und bat ihn die Trauerbotschaft seinem Vater auf eine Weise mitzutheilen, daß er nicht durch einen all zu jähen Schreck überrascht würde. Er selbst schrieb nach wenigen Tagen, wo er ihn nun vollständig unterrichtet wissen konnte, ausführlich an ihn: sprach ihm Trost zu und suchte ihn durch genauen Bericht über seine eigene Lage zu beruhigen. Diese Briefe1 sind ein neues schönes Zeugniß für die innige und wahre Liebe, welche die Eltern und Kinder miteinander verband, [290] und für Wolfgangs Empfindungs- und Denkweise. Zwar mag man in den Trostgründen, welche er vorbringt und in der Form, in welcher er sie ausspricht, mehr den Einfluß einer angelernten und anerzogenen Betrachtungsweise als den unmittelbaren Ausdruck eigener Lebenserfahrung erkennen; allein gerade dem Vater gegenüber, welcher in diesem Sinn auf die Erziehung des Sohnes eingewirkt hatte, waren diese Aeußerungen berechtigt und wahr. Außerdem aber spricht sich mit dem aufrichtigen Gefühl des Schmerzes und der Theilnahme eine männliche Fassung aus die, anstatt in weichlicher Hingebung an die Trauer einen Genuß zu suchen, mit klarer Besonnenheit ins Auge faßt was nun vor Allem zu thun sei. Und dem Sohn ist die wichtigste Aufgabe die Erhaltung und Beruhigung des Vaters. In richtiger Würdigung seiner Sinnesart erkennt er daß diesem, nachdem der erste heftige Schmerz überwunden sein würde, die Sorge für die Wohlfarth des Sohnes mit doppelter Schwere auf der Seele liegen würde, und indem er ihn von sich, seinen Bemühungen und Erfolgen unterhielt genügte er dem eigenen Herzen, das ihn, da ihm die Mutter fehlte, um so lebhafter das Bedürfniß empfinden ließ sich gegen den Vater auszusprechen, und war sicher seinen Vater geistig und gemüthlich in der Weise zu beschäftigen, welche am ehesten seinen Kummer zerstreuen konnte2. Es ist rührend, wie er nach diesem Verlust [291] mit erhöhetem Eifer dem Vater in ausführlichen Briefen den genauesten Bericht über Alles abstattet, was ihn angeht, wie dieser es nur wünschen mochte; wie der Ton einer gewissen Empfindlichkeit, der früher aus begreiflichen Ursachen mitunter sich bemerklich machte, nun ganz vor dem Ausdruck der zärtlichsten Liebe verschwindet, wie endlich – denn in Kleinigkeiten der Art spricht sich oft ein seines und tiefes Gefühl am vernehmlichsten aus – selbst die Handschrift, deren Vernachlässigung der Vater getadelt hatte, sorgfältiger und besser wird3.

Wolfgang war allein, als ihn dieser harte Verlust betraf, seine Mannheimer Freunde halten Paris bereits verlassen; der Vater durfte mit Recht bekümmert sein, daß er weder für sich noch für seine Sachen die gehörige Sorgfalt tragen würde. Da nahm sich Grimm seiner an; er oder eigentlich, wie Mozart hervorhebt, Mad. d'Epinay4 bot ihm eine [292] Zuflucht in ihrem Hause und einen Platz an ihrer Tafel an5, und er ging darauf ein und sah sich auch genöthigt dann und wann eine Geldunterstützung von Grimm in Anspruch zu nehmen6. Diese Lage wurde ihm aber bald sehr drückend, die Lebensweise in dem Hause sagte ihm durchaus nicht zu7 und es kränkte ihn außerordentlich, als er zu bemerken glaubte daß man es ihm immer »unter die Nase rupfte, wenn man ihm eine Gefälligkeit erwies.« Besonders lästig war ihm aber die Art, wie Grimm ihn in Paris zu fördern suchte, die gut sein möge um Kindern zu helfen aber nicht Erwachsnen. Man kann sich denken daß Grimm, wie der Vater, von ihm verlangte Bekanntschaften zu machen, sich in vornehme Häuser als Lehrer und Klavierspieler einzuführen, sich überhaupt [293] in der tonangebenden Gesellschaft einen Namen zu verschaffen, und daß er es für seine Pflicht hielt jetzt, wo er ihn unter seiner Aufsicht hatte, unnachsichtig das was er für bloße Bequemlichkeit und Indolenz hielt zu bekämpfen. Auch ist in diesem Verfahren die gute Gesinnung und die Einsicht in die wirkliche Lage der Dinge nicht zu verkennen, so lästig Mozart es auch durch den Ton der Ueberlegenheit, welchen Grimm gegen ihn anschlagen mochte, empfand. Er war aber offen gegen ihn, er sagte ihm gerade heraus daß er in Paris keine guten Geschäfte machen werde, dazu sei er nicht activ genug, laufe nicht genug herum, und dasselbe schrieb er dem Vater8.

[294] Am empfindlichsten war es daß Grimm im Grunde auch die Ueberzeugung hegte, Mozart besäße kein Talent von solcher Bedeutung, daß er sich dadurch in Paris Bahn brechen könne; er sagte, daß er nicht glaube Mozart sei im Stande eine französische Oper zu schreiben, die Aufsehen und Glück mache und verwies ihn um zu lernen, wie man es machen müsse an die Italiäner. »Er will«, schreibt Mozart (11. Sept. 1778) »ich soll immer zum Piccini laufen, zum Caribaldi9 – mit einem Wort, er ist von der welschen Partei – ist falsch – und sucht mich selbst zu unterdrücken«10. Deshalb [295] wünschte er denn besonders noch eine Oper zu schreiben um Grimm zu zeigen, »daß ich soviel kann als sein Piccini, obwohl ich nur ein Teutscher bin.« Grimm, der seit Jahren für die Einführung der italiänischen Musik gekämpft hatte und kein Heil sah bis italiänische Opern in italiänischer Sprache von italiänischen Sängern in Paris gesungen würden, pries den Tag glücklich, an welchem dies Ereigniß stattfand11. Es ist daher vollkommen erklärlich daß er Mozarts [296] künstlerische Zukunft aufgab, sowie er wahrnahm daß dieser von der reinen italiänischen Lehre abfiel; für uns ist es interessant ausdrücklich zu erfahren daß Mozart schon jetzt der italiänischen Schule gegenüber seinen bestimmten Standpunkt einnahm. Was dort zu gewinnen war das hatte er längst erlernt und sich angeeignet, in Paris erkannte er daß in den Bestrebungen, durch welche besonders Gluck und Gretry die französische Oper reformirten – Bestrebungen, welche wie wir sahen, aufs engste mit der geistigen Richtung der Zeit überhaupt zusammenhingen – ein wesentliches Moment lebendiger Entwickelung gegeben sei, das er auszubilden habe ohne das aufzugeben was er bei den Italiänern gewonnen hatte. Dies bestätigt eine spätere Aeußerung Mozarts gegen Jos. Frank, der ihn stets mit dem Studium französischer Partituren beschäftigt fand und ihn fragte, ob es denn nicht besser sei italiänische Compositionen zu studiren; worauf Mozart antwortete: »Was die Melodie anlangt, ja; aber was den dramatischen Effect anlangt, nein; übrigens sind die Partituren, welche Sie hier sehen, außer denen Gretrys, von Gluck, Piccini, Salieri und haben nichts Französisches als die Worte«12. So unzweifelhaft auch eine Betrachtung der späteren Compositionen Mozarts diesen Einfluß der französischen Oper, und zwar nicht allein als einen zufälligen, sondern [297] als einen wohl bewußten erkennen läßt, so ist es doch interessant von ihm selbst eine Aeußerung zu vernehmen, welche bestimmt darauf hinweist, daß der Aufenthalt in Paris ihm diese Einsicht gegeben habe, der mithin für seine künstlerische Entwickelung nicht minder fruchtbar war als der Aufenthalt in Mannheim13. Man möchte sich wohl wundern, daß er von den neuen bedeutenden Eindrücken, die auf sein künstlerisches Wesen so entschieden einwirkten, dem Vater gegenüber niemals spricht, und daß eine Wendung in seiner künstlerischen Auffassung von solcher Bedeutung nur beiläufig angedeutet wird. Allein abgesehen davon daß die persönlichen Verhältnisse Mozarts, wie wir sahen, von der Art waren daß ihre Besprechung sich in der Correspondenz mit dem [298] Vater in den Vordergrund drängen mußte, erklärt sich diese Erscheinung daraus, daß das Reflectiren über die Kunst und namentlich über das Verhältniß des künstlerischen Individuums zu derselben damals überhaupt unter den Musikern nicht ausgebildet und ganz besonders Mozarts Natur fremd war. Seine ästhetischen Betrachtungen und Urtheile gehen meistens auf concrete Etscheinungen, mag es sich dabei um Fragen der Technik oder die Wirkung bestimmter Leistungen handeln; die letzten psychischen Bedingungen der künstlerischen Production zu ergründen, die seinen Fäden durch welche die schaffende Seele des Künstlers mit den von außen kommenden Eindrücken in steter Verbindung bleibt zu verfolgen, den geheimnißvollen Proceß durch welchen das Kunstwerk wiedergeboren wird zu analysiren verhinderte ihn die unmittelbar wirksame Macht seiner Production, welche auf jeden anregenden Impuls sofort seine künstlerischen Kräfte in ihrer Totalität zum Schaffen und Hervorbringen in Bewegung setzte. In ähnlicher Weise verhielt er sich auch fremden Leistungen gegenüber, welche auf irgend eine Art einen wirklichen Einfluß auf ihn übten. Während Einige den Eindruck eines Kunstwerks willenlos empfangen, sich durch denselben bestimmen lassen und allenfalls später sich über die Gründe ihres Genießens klar zu werden suchen; während Andere durch Reflexion von den verschiedensten Seiten her das Kunstwerk in seinen Bedingungen zu erfassen und es dadurch sich selbst anzueignen streben, ist es dem wahrhaft schöpferischen Genie verliehen seine Totalität auch im Lernen zu bewähren. Mit der Freiheit, der Unverlierbarkeit des eigensten Wesens, welche das künstlerische Genie der Natur gegenüber bewahrt, deren Eindrücke es nur aufnimmt soweit es sie in sich zu bewältigen und zu gestalten vermag, tritt es auch dem fremden Kunstwerk gegenüber. Was in demselben geeignet [299] ist die eigene Schaffenskraft zu beleben, dieser neue Nahrung zuzuführen, das nimmt es unmittelbar in sich auf wie ein Naturgemäßes und assimilirt es völlig dem eigenen Wesen, wie es mit gleicher Bestimmtheit zurückweist was ihm fremd ist. So wie bei dem Hervorbringen eines wahren Kunstwerks in jedem Moment Erfinden und Arbeiten, Schaffen und Ausbilden, Wollen und Können untrennbar einander durchdringen, so ist auch dem fremden Kunstwerk gegenüber Genuß und Kritik, Aufnehmen und Selbstthun unauflöslich mit einander verbunden; es ist ein natürlicher Proceß, der sich in der Seele des Künstlers vollzieht, ohne daß er sich bewußt zu werden braucht, wie dies geschieht. Es erklärt sich daher sehr leicht daß das ausgesprochene Urtheil eines Künstlers über einen andern nicht immer im richtigen Verhältniß zu dem Einfluß steht, welchen er von demselben erfahren hat. Je tiefer dieser bis an die Wurzeln des künstlerischen Schaffens dringt, um so energischer wird eine productive Natur diese Nahrung zu verarbeiten, dieselbe in den eigenen Saft und Blut umzusetzen genöthigt lein, und je mehr ihr dies gelingt um so eher das Bewußtsein der fremden Einwirkung verlieren. Der geschichtlichen Forschung bleibt es überlassen den Einfluß der geistigen Strömung einer Zeit auf das einzelne Individuum, den inneren Zusammenhang und die gegenseitige Einwirkung der bedeutenden Erscheinungen aufeinander zu ermitteln und zu bestimmen; ein Künstler verräth durch die Neigung seinen eigenen Bildungselementen nachzuspüren meistens daß seine Natur nicht kräftig genug ist sie zu einem neuen selbständigen Ganzen zu verarbeiten.

Wie gering nun auch die Erfolge sein mochten, welche Mozart in Paris erreichte, wie weit er von dem Ziel entfernt blieb, um dessentwillen er die Reise dorthin unternommen hatte, so war für seine künstlerische Ausbildung Alles dadurch [300] gewonnen, daß er von der italiänischen Schule, nachdem er sie gründlich durchgemacht hatte, frei wurde, indem er das Element der künstlerischen Gestaltung, welches dort verkümmert war, als ein nothwendiges erkannte und lebendig in sich aufnahm. Ja, man darf es als ein günstiges Geschick betrachten, daß er, nachdem dieser Keim in ihm Triebkraft gewonnen hatte, dem lauten Parteigezänk entrückt und von einem Ort entfernt wurde, der am wenigsten geeignet war ein künstlerisches Genie ungestört und ruhig sich entwickeln zu lassen.

Der Vater hatte freilich ganz andere Gründe um den Aufenthalt seines Sohnes in Paris jetzt ebensosehr abgekürzt zu wünschen als er ihn vorher beschleunigt hatte. Mit dem Tode der Mutter hatte er die sichere Gewähr verloren, daß das Leben in Paris Wolfgang keinen sittlichen Nachtheil brächte; wie schwach sie auch dem Sohn gegenüber gewesen war, in dieser Beziehung war ihr Einfluß unbeschränkt. Dagegen mußte er bei Wolfgangs argloser Vertraulichkeit von übler Gesellschaft die größte Gefahr für ihn befürchten, wenn er auch vielleicht im Stillen die Macht einer reinen Liebe, wie sie Wolfgang mit aller Kraft eines jugendlichen Herzens zu seiner Aloysia empfand, als den besten Schutz gegen jede Verführung dankbar anerkennen mochte. Dazu kam daß er aus Grimms Berichten abnehmen konnte, daß für Wolfgang in Paris keine Aussichten eines guten Fortkommens wären, um so weniger, da dieser seine Abneigung gegen Paris nicht zu bezwingen im Stande war. Der Herzenswunsch desselben war, beim Churfürsten von Bayern als Kapellmeister angestellt zu werden; er hoffte dann auch die Lage der Weberschen Familie verbessern und seine Aloysia heimführen zu können. Der Vater erklärte sich – von dem letzten Punkt wurde nicht gesprochen – keineswegs dagegen; er schrieb vielmehr [301] an den Padre Martini, stellte ihm ihre Lage vor und ersuchte ihn aufs eindringlichste, direct und durch Raaff den Churfürsten für Wolfgangs Anstellung zu gewinnen, was dieser auch zu thun nicht unterließ14. Raaff, bei seiner Freundschaft für Mozart und dem Interesse, welches er an Aloysia Weber nahm, brauchte nicht getrieben zu werden, in der Kapelle besaß Mozart auch sonst eifrige Freunde, und Graf Sickingen unterstützte ihn ebenfalls15. Allerdings machte sich, da in München kein Componist deutscher Opern von einiger Bedeutung vorhanden und Holzbauer zu alt war um dort noch wirksam zu sein, das Bedürfniß eines Kapellmeisters und Operncomponisten geltend; allein die Umstände waren übrigens sehr ungünstig: nachdem es endlich entschieden war, daß der Hof definitiv von Mannheim nach München ziehen werde und Alles dafür angeordnet war, brachte der drohende Krieg Alles ins Stocken und ins Ungewisse16. Der Vater [302] mußte daher wünschen, daß der Sohn sich in Paris wenigstens so lange halten könne, bis hierüber entschieden sei17.

[303] Bei dieser Unsicherheit einer Anstellung durch Karl Theodor eröffnete sich in Salzburg selbst eine günstige Aussicht. Schon nach dem Tode Adlgassers war Leop. Mozart, wie wir sahen (S. 149) zu verstehen gegeben, daß man seinen Sohn wieder zu Gnaden anzunehmen nicht abgeneigt sei; beide fühlten sich aber nicht gestimmt darauf einzugehen. Indessen sah man bei Hofe ein, daß eine Wiederanstellung Wolfgangs in jedem Betracht das Vortheilhafteste sein würde; man wandte sich, wie Leop. Mozart diesem mittheilt (11. Juni 1778) an Bullinger und sagte ihm, da doch Mozart gewiß seinen Sohn am liebsten bei sich haben möchte, sei man bereit ihn mit einem Gehalt von 50 fl. monatlich als Organist und Concertmeister anzustellen, später würde er auch gewiß Kapellmeister werden, allein der Fürst könne nicht den ersten Schritt thun. Bullinger verfehlte nicht das zu berichten, Leop. Mozart aber, der wohl wußte, wie sehr man in Verlegenheit sei, da man aus bestimmten Gründen Haydn diese Stelle nicht geben wollte, meinte das müsse man an sich kommen lassen. Sie waren also gezwungen sich näher auszulassen; mit welcher diplomatischen Geschicklichkeit er seine günstige Stellung in einer Unterredung, zu welcher der Domherr Graf Joseph Starhemberg ihn aufgefordert hatte, auch ferner zu behaupten und zu benutzen verstand, berichtet er ausführlich (29. Juni 1778). »Ich kam«, schreibt er »Niemand war da, als sein Bruder, der kaiserl. königl. Major, der bey ihm wohnt, und sich hier von der Furcht will curiren lassen, die er vor dem preußischen Pulver und Bley hat. Er sagte mir, es wäre ihm ein Organist recommandirt worden, er wollte sich aber [304] der Sache nicht annehmen, ohne zu wissen, ob er gut wäre, – er wollte sich demnach bey mir erkundigen, ob ich ihn nicht kennte; er sagte mir, er heißt Mandl, oder wie, er wüßte es selbst nicht recht. – O du ungeschickter Teufel! dachte ich; man wird den Auftrag oder ein Ansuchen aus Wien erhalten, um Jemand zu recommandiren und den Namen etc. des Clienten nicht schreiben. Ich hätte es nicht merken sollen, daß dieses der Eingang wäre, um mich zu bewegen, von meinem Sohne zu reden! aber ich? – – nicht eine Sylbe! Ich sagte, daß ich die Ehre nicht hätte, diesen Menschen zu kennen, und daß ich niemals es wagen würde, dem Fürsten Jemand anzuempfehlen, indem es immer schwer wäre, Jemand zu finden, der ihm nach der Hand recht anständig wäre. – Ja! sagte er, ich werde ihm auch Niemand recommandiren, es ist viel zu hart! – – Ihr Herr Sohn sollte halt itzt hier seyn! – Bravo! aufgesessen! dachte ich; Schade, daß dieser Mann nicht ein großer Staats-Minister und Abgesandter ist! – Dann sagte ich ihm: wir wollen recht aufrichtig sprechen; und fragte ihn, ob man nicht alles Mögliche gethan, ihn mit Gewalt aus Salzburg zu vertreiben? Ich fing vom Anfange an, und vergaß nichts herauszusagen, was Alles vorbey gegangen, so daß sein Bruder ganz erstaunte, und er selbst aber nichts anders sagen konnte, als daß Alles die gründlichste Wahrheit wäre. Wir kamen auf Alles von der ganzen Musik – ich erklärte ihm Alles von der Brust heraus, – und er erkannte, daß Alles die vollkommene Wahrheit wäre, und sagte endlich seinem Bruder, daß alle Fremde, die an den Salzburgischen Hof gekommen, nichts anderes als den jungen Mozart bewundert hätten. Er wollte mich immer bereden, daß ich an meinen Sohn deßwegen schreiben sollte; ich sagte ihm aber, daß ich dieß nicht thun könnte, daß es eine vergebliche Arbeit wäre, daß mein Sohn [305] über einen solchen Antrag lachen würde; es wäre denn die Sache, daß ich ihm zugleich den Gehalt, den er haben sollte, überschreiben könnte; denn auf den Gehalt eines Adlgassers würde nicht einmal eine Antwort zu hoffen seyn. Ja, wenn Se. Hochfürstl. Gnaden ihm auch monatlich 50 fl. zu geben sich entschließen könnten, so stünde noch gar sehr zu zweifeln, ob er es annehmen würde. Wir gingen alle Drey mit einander aus seinem Hause, denn sie gingen auf die Reitschule, ich begleitete sie, und wir sprachen immer von dieser Sache, ich blieb dabey, was ich oben gesagt habe, – er blieb dabey, daß er für meinen Sohn allein eingenommen wäre.«

»Nun müßt Ihr wissen, daß der Fürst keinen guten Organisten bekommt, der auch ein guter Clavierspieler ist; daß er jetzt sagt (aber nur zu seinen Lieblingen), daß Beecké ein Charlatan und Schwänkemacher seye, daß der Mozart Alle weit übertreffe; also möchte er lieber denjenigen haben, den er kennt, was er ist, als einen Andern fürs theuere Geld, den er noch nicht kennt. Er kann Keinem (wenn er ihm weniger Gehalt geben wollte) eine Einnahme durch Scolaren versprechen, da deren wenige sind, und ich solche habe, und zwar mit dem Ruhme, daß kein Mensch besser Lection zu geben im Stande ist. – Hier liegt nun der Haas im Pfeffer! Ich schreibe aber alles dieses nicht in der Absicht, Dich, mein lieber Wolfgang, zu bereden, daß Du nach Salzburg zurückkehren solltest – denn ich mache ganz und gar keine Rechnung auf die Worte des Erzbischofs, ich habe auch mit der Gräfin18 kein Wort gesprochen, sondern vermeide vielmehr [306] die Gelegenheit, mit ihr zusammen zu kommen: da sie das mindeste Wort für Willfährigkeit und Ansuchen aufnehmen möchte. Sie müssen kommen – und um Etwas einzugehen, müßten wohl gar günstige und vortheilhafte Conditiones vorgeschlagen werden, und das ist nicht zu vermuthen. Wir wollen es erwarten – man muß nichts verreden, als das Nasenabbeißen.«

Wolfgang, dem Salzburg noch schrecklicher war als Paris, nahm hiervon zunächst keine Notiz. Allein mit dem Tode der Mutter, der in Leop. Mozart den bestimmten Wunsch hervorrief den Aufenthalt in Paris abzukürzen, – worin ihn die Nachrichten von Grimm nur bestärkten – traf der Tod des alten Kapellmeisters Lolli19 zusammen. Nun mußte in Salzburg etwas geschehen und unter den gegenwärtigen Umständen war Leop. Mozart sehr daran gelegen seinem Sohn dort eine günstige Stellung zu verschaffen. Er sah wohl ein, daß er dabei auch den Widerwillen desselben zu überwinden haben werde; Freund Bullinger mußte wieder als Mittelsperson eintreten. Dieser schrieb seinem jungen Freund, daß sich ihm jetzt die Gelegenheit böte unter Bedingungen, welche für ihn und seinen Vater sehr vortheilhaft wären, in Salzburg angestellt zu werden, daß er es den Seinigen schuldig sei darauf einzugehen und daß es sich in Salzburg, wenn es gleich ein kleiner Ort sei, doch auch leben lasse. Um ihn sicherer zu gewinnen, er zählt er, daß der Erzbischof, da die Haydn als Sängerin nicht mehr genüge, eine andere Sängerin zu engagiren beabsichtige, und es wurde darauf hingedeutet, daß man seine Wahl wohl auf Aloysia Weber werde lenken können. Wie Wolfgang diese Aussicht betrachte, sprach er unumwunden gegen Bullinger aus (7. Aug. 1778): »Sie wissen, wie mir [307] Salzburg verhaßt ist! nicht allein wegen der Ungerechtigkeiten, die mein lieber Vater und ich dort ausgestanden, welches schon genug wäre, um so ein Ort ganz zu vergessen und ganz aus den Gedanken zu vertilgen! Aber lassen wir nun alles gut seyn – es soll sich alles so schicken, daß wir gut leben können; gut leben und vergnügt leben ist zweyerley, und das letzte würde ich ohne Hexerei nicht können; – es müßte wahrhaftig nicht natürlich zugehen! und das ist nun nicht möglich, denn bei jetzigen Zeiten giebt es keine Hexen mehr. Mir wird es allezeit das größte Vergnügen seyn, meinen liebsten Vater und liebste Schwester zu umarmen und zwar je ehender, je lieber; aber das kann ich doch nicht läugnen, daß mein Vergnügen und meine Freude doppelt seyn würde, wenn es wo anderst geschähe, weil ich überall mehr Hoffnung habe glücklich und vergnügt zu leben.« Nicht weil Salzburg ihm zu klein sei, setzt er ihm dann auseinander, scheue er sich wieder dahin zurückzukehren, sondern weil es kein Ort für sein Talent sei, da man dort nichts höre und die Musik nicht angesehen sei; mit bittrer Satire schildert er, wie der Erzbischof einen Kapellmeister und eine Sängerin suche, große Prätensionen mache, aber nichts thun wolle.

Bald darauf unterrichtete ihn auch der Vater näher von dem Stande der Dinge (27. Aug. 1778): »Ich habe Dir schon geschrieben, daß man Dich wieder hier zu sehen wünscht, und man ging so lange um mich herum, ohne daß ich mich herausließ, bis endlich nach dem Tode des Lolli ich der Gräfin sagen mußte, daß ich dem Erzbischof eine Bittschrift eingereicht, in welcher ich aber nichts anderes sagte, als daß ich mich nach meinen so viele Jahre unklagbar geleisteten Diensten zu Gnaden empfehle. Nun fiel endlich die Rede auf Dich – und ich sagte Alles von der Brust heraus, was nothwendig war, und so, wie ich es dem Grafen Stahremberg gesagt [308] hatte. Endlich fragte sie mich, ob Du denn nicht kommen würdest, wenn mir der Erzbischof den Lolli'schen Gehalt und Dir den Adlgasser'schen geben würde, welches, da ich es schon vorher berechnet hatte, zusammen jährlich 1000 fl. beträgt; so konnte ich nichts anders thun, als antworten, daß ich keinen Zweifel hätte, daß Du dieses, wenn es geschehen würde, mir zu Liebe annehmen würdest, indem sie noch beysetzte, daß nicht der geringste Zweifel wäre, daß Dich der Erzbischof alle zwey Jahre nach Italien reisen ließe, indem er selbst immer behauptet, daß man von Zeit zu Zeit wieder Etwas hören muß, und daß er Dich mit guten Recommandations-Briefen versehen würde. Würde dieses geschehen, so könnte ich sicher Rechnung machen, daß wir alle Monate 115 fl. wenigstens, und wie es jetzt ist, mehr als 120 fl. monatlich gewisse Einkünfte hätten. Ohne was ich durch den Verkauf meiner Violinschule einnehme, welches jährlich, gering gerechnet, 50 fl. beträgt, und ohne was Deine Schwester für sich verdient, die jetzt monatlich 10 fl. gewiß einnimmt, und sich damit kleidet, indem sie die zwey kleinen Fräulein von der Gräfin unterweiset, und zwar täglich, ich aber die größern Zwey. Hierzu ist nun nicht gerechnet, was Du etwa für Dich besonders verdienen könntest. Denn obwohl hier auf Nichts Rechnung zu machen, so weißt Du doch, daß Du von Zeit zu Zeit Etwas eingenommen, und auf diese Art ständen wir besser, als an jedem andern Orte, wo es um's Doppelte theurer ist, und wenn man auf's Geld nicht so genau schauen darf, so kann man sich schon Unterhaltungen verschaffen. Allein der Hauptpunct ist, daß ich mir auf die ganze Sache keine Rechnung mache, weil ich weiß, wie schwer dem Fürsten ein solcher Entschluß ankommen würde. Daß es der Gräfin ihr ganzer Ernst und Wunsch ist, darfst Du gar nicht zweifeln, und daß der alte Arco, der Graf Stahremberg und der [309] Bischof von Königsgrätz dieses mit guter Art durchzubringen wünschen, hat seine Richtigkeit. Es hat aber seine Ursachen, wie es bey allen Sachen geht, und wie ich Dir's tausend Mal sage; die Gräfin fürchtet, und auch der alte Arco, daß auch ich fortgehe. Sie haben Niemand zur Unterweisung auf dem Claviere; ich habe den Ruhm, daß ich gut unterweise, und die Proben sind da. Sie wissen nicht, welchen, und wann sie sodann Jemand bekommen: und sollte Einer von Wien kommen, wird er wohl um 4 fl. oder einen Ducaten zwölf Lectionen geben, da man andern Ortes zwey und drey Ducaten bezahlt? – Dieß setzt sie Alle in Verlegenheit. Allein, wie ich schon gesagt habe, ich mache keine Rechnung darauf, weil ich den Erzbischof kenne: obwohl es gewiß ist, daß er Dich im Herzen zu haben wünschte; so kann er doch zu keinem Entschlusse kommen, besonders, wenn er geben soll.«

Wahrscheinlich rechnete Wolfgang auf diesen letzten Umstand und ging deshalb noch nicht ernsthaft auf diese Angelegenheit ein. Grade um diese Zeit unterbrach ein erfreuliches Ereigniß die Unbehaglichkeit, welche er in Paris empfand. Sein alter Freund Bach aus London20 war eingeladen worden eine Oper für Paris zu schreiben21 und kam dahin um Vorbereitungen zu treffen. »Hr. Bach von London ist schon 14 Täge hier«, schreibt er seinem Vater (27. Aug. 1778) »er wird eine französische Opera schreiben; er ist nur hier die Sänger zu hören, dann geht er nach London, schreibt sie und [310] kommt sie in Scena zu setzen22. Seine Freude und meine Freude als wir uns wiedersahen können Sie sich leicht vorstellen. Vielleicht ist seine Freude nicht so wahrhaft – doch muß man ihm dieses lassen, daß er ein ehrlicher Mann ist und den Leuten Gerechtigkeit widerfahren läßt. Ich liebe ihn (wie Sie wohl wissen) von ganzem Herzen und habe Hochachtung23 für ihn, und er – das ist einmal gewiß, daß er mich sowohl zu mir selbst als zu anderen Leuten, nicht übertrieben wie Einige, sondern ernsthaft, wahrhaft gelobt hat«24. Bach hatte Wolfgang mit dem Martschall de Noailles25 bekannt [311] gemacht und dieser hatte beide, sowie den »Herzensfreund« Bachs, den berühmten Sänger Tenducci26, welcher mit ihm von London herübergekommen war, zu sich nach St. Germain eingeladen. Dort verlebten sie heitere Tage zusammen, und es versteht sich von selbst daß Mozart dort eine Scena für Tenducci schrieb für Pianoforte, Oboe, Horn und Fagott, welche Instrumente von Leuten des Marschalls, lauter Deutschen, gut gespielt wurden27.

Indessen nahte die Entscheidung. Man hatte sich in Salzburg entschlossen Leop. Mozart bestimmte Anerbietungen zu machen, wie er sie wünschte, und er schrieb nun seinem Sohn in einer Weise, welche diesem kaum eine Wahl übrig ließ (31. Aug. 1778). »Du bist nicht gern in Paris, und ich finde, daß Du eben nicht gar Unrecht hast. Bis itzt war mein Herz und Gemüth für Dich beängstigt, und ich mußte trotz einem Minister eine sehr kützliche Rolle spielen, da ich bey aller meiner Herzensangst mich lustig anstellen mußte, um Jedermann glauben zu machen, als wärst Du in den besten Umständen und hättest Geld im Ueberflusse, ob ich gleich das Gegentheil weiß. Ich verzweifelte fast so, wie ich wollte, durchzudringen, weil, wie Du weißt, nach dem Schritte, den wir gethan, von dem Hochmuthe des Fürsten wenig zu hoffen, und ihm Deine schnelle Abdankung zu sehr auf's Herz gefallen war. Allein durch mein tapferes Aushalten [312] habe ich nicht nur allein durchgedrungen, der Erzbischof hat nicht nur Alles accordirt, für mich und für Dich, Du hast 500 fl.; sondern er hat sich noch entschuldigt, daß er Dich jetzt ohnmöglich zum Kapellmeister machen könnte, Du solltest aber, wenn es mir zu mühsam werde, oder wenn ich außer Stande wäre, in meine Stelle unterdessen einrücken; er hätte immer Dir eine bessere Besoldung zugedacht etc. – mit einem Worte, zu meinem Erstaunen, die höflichste Entschuldigung. Noch mehr! Dem Paris28 hat er 5 fl. Addition gegeben, damit er die mehresten Dienste verrichten muß, und Du wirst als Concertmeister wie vorhero decretirt werden. Wir kommen itzt also vom Zahlamte, wie ich Dir schon geschrieben, jährlich auf 1000 fl. Nun kommt es darauf an, ob Du glaubst, daß ich noch einen Kopf habe, und ob Du glaubst, daß ich Dein Bestes besorge, – und ob Du mich todt oder beim Leben erhalten willst. Ich habe Alles ausgedacht. Der Erzbischof hat sich erkläret, daß er, wenn Du eine Opera schreiben willst, Dich, wo es immer ist, hinreisen lasse; er sagte zur Entschuldigung der vorm Jahr uns versagten Reise, daß er es nicht leiden könne, wenn man so ins Betteln herum reise. Nun bist Du in Salzburg im Mittelpuncte zwischen München, Wien und Italien. Du kannst leichter in München eine Oper zu schreiben bekommen, als in Dienst kommen; denn deutsche Opern-Componisten, wo sind sie? Und wie viele? – Nach des Churfürsten Tode ist Alles dienstlos, und da entsteht ein neuer Krieg. Der Herzog von Zweybrücken29 ist kein großer Liebhaber der Musik. Nun will ich aber nicht, daß Du eher von Paris abreisest, bis ich nicht das Decret unterschrieben in Händen habe, weil der Fürst [313] heute früh nach Laufen ist. – Die Mlle. Weber sticht dem Fürsten und Allen ganz erstaunlich in die Augen: sie werden sie absolut hören wollen, da sollen sie bey uns wohnen. Mir scheint, ihr Vater hat keinen Kopf; ich werde die Sache besser für sie einleiten, wenn sie mir folgen wollen. Du mußt ihr hier recht das Wort reden, denn zum Castraten will er auch eine andere Sängerin, um eine Opera aufzuführen.« So sicher war er jetzt der Sache, daß er seinen Brief mit den Worten schloß: »Mein nächster Brief wird Dir sagen, daß Du abreisen sollst.«

Er irrte sich nicht in seinem Sohn; denn so schwer es ihm auch werden mochte, fügte er sich doch in den Willen seines Vaters. »Als ich Ihren Brief durchlas«, antwortet er ihm (11. Sept. 1778) »zitterte ich vor Freuden, denn ich sah mich schon in Ihren Armen. Es ist wahr, Sie werden es mir selbst zugestehen, es ist kein großes Glück was ich da mache; aber wenn ich mir vorstelle, daß ich Sie, liebster Vater, und meine liebe Schwester ganz von Herzen küsse, so kenne ich kein anderes Glück nicht.« Er verhehlt auch jetzt seinem Vater nicht, daß ihn die Aussicht auf einen Aufenthalt in Salzburg degoutire, weil man dort mit den Leuten keinen rechten Umgang haben könne, die Musik nicht angesehen sei und der Erzbischof verständigen und gereisten Leuten nicht glaube. Was ihn tröste, sei die Zusicherung ihn Kunstreisen machen zu lassen, und ohne diese Bedingung würde er sich nicht haben entschließen können zu kommen. »Ein Mensch von mittelmäßigem Talent bleibt immer mittelmäßig, er mag reisen oder nicht; aber ein Mensch von superieurem Talent (welches ich mir selbst ohne gottlos zu sein nicht absprechen kann) wild schlecht, wenn er immer in demselbigen Ort bleibt.« Die Möglichkeit daß Aloysia Weber nach Salzburg käme erfüllt ihn mit Freude, denn freilich, wenn der Erzbischof [314] wirklich eine Sängerin haben wollte, eine bessere könne er gar nicht bekommen. Schon bekümmert ihn der Gedanke »daß, wenn etwa die Fastnacht Leute von Salzburg herauskommen und die Rosamund gespielt wird, die arme Weberin glaublicher Weise nicht gefallen wird, wenigstens die Leute halt nicht so davon judiciren werden, wie sie es verdient – dann sie hat eine miserable Rolle, fast eine persona muta, zwischen die Chöre einige Strophen zu singen (vgl. S. 140).« »Wenn ich zu Salzburg seyn werde«, fährt er fort »werde ich gewiß nicht ermangeln mit allem Eyfer für meine liebe Freundin zu reden, unterdessen bitte ich Sie, und ermangeln Sie auch nicht Ihr Möglichstes zu thun, Sie können Ihrem Sohn keine größere Freude machen.« Vorläufig bittet er um Erlaubniß seine Rückreise über Mannheim zu nehmen und Webers dort zu besuchen.

Der Vater, der wohl wußte, wie tief und wie wohl begründet Wolfgangs Abneigung gegen Salzburg war, suchte ihn zu überzeugen, daß er jetzt dort eine bessere Stellung finden würde. »Unsere Einkünfte« schreibt er ihm (3. Sept. 1778) »sind so wie ich Dirs geschrieben habe, – durch Deine hiesige Lebensart wirst Du an Deinem Studiren und Speculiren nicht gehindert. Du darfst nicht Violine spielen bei Hofe, sondern hast beim Clavier alle Gewalt der Direction30, so wie mir die ganze Musik, alle des Fürsten Musicalien [315] und die Inspection des Kapellhauses übergeben ist.« Da sie mit der Bezahlung der Schulden nicht gedrängt werden würden, so könnten sie jährlich einige hundert Gulden abzahlen und dabei gemächlich und unterhaltlich leben. »Hier wirst Du gewiß Unterhaltung genug finden; wenn man nur nicht jeden Kreuzer ansehen muß, dann geht Alles gut. Hier können wir nun auf alle Bälle im Fasching auf das Rathhaus gehen. Die Münchner Comedianten kommen Ende September und bleiben bis die Fasten den ganzen Winter hier mit Comedie und Operetten. Alle Sonntag ist unser Bölzlschießen, und wenn wir in Compagnie gehen wollen, so kommt es nur auf uns an; wenn man einen besseren Gehalt hat, so ändert sich Alles.« Mehr Eindruck als alle die Herrlichkeiten Salzburgs, das wußte er wohl, machte auf Wolfgang die Aussicht auf die Vereinigung mit seiner Weber; auch hier geht er jetzt mit der Sprache heraus. Er sagt ihm nicht allein: »Hier wird Dir bald von der Mlle. Weber gesprochen werden, ich habe sie gar zu oft gerühmt, und ich werde Alles ausdenken daß sie hier gehört wird«; sondern gradezu: »Was die Mlle. Weber betrifft, so darfst Du gar nicht glauben, als hätte ich etwas gegen diese Bekanntschaft. Alle jungen Leute müssen am Narrenseil laufen. Du kannst wie itzt Deinen Briefwechsel fortsetzen, ich werde Dich gar nicht darum fragen, noch weniger etwas zu lesen verlangen. Noch mehr! ich will Dir selbst einen Rath geben. Du hast[316] bekannte Leute genug hier, Du kannst die Weberischen Briefe an Jemand anders adressiren lassen und unter der Hand erhalten, wenn Du Dich vor meinem Vorwitz nicht gesichert glaubst.«

Diese väterliche Erlaubniß am Narrenseil zu laufen war wohl geeignet das zarte Gefühl des Liebenden zu verletzen und er hält diese Empfindung nicht zurück, als er dem Vater einen Beweis von der treuen Zuneigung der Webers mittheilt. »Die armen Leute« schreibt er (15. Oct. 1778) »waren alle wegen meiner in der größten Angst. Sie haben geglaubt ich seye gestorben, indem sie ein ganzes Monat ohne Brief von mir waren, weil der vorletzte von mir verloren gegangen; und sie wurden in ihrer Meynung noch mehr bestärkt, weil man in Mannheim sagte, meine selige Mutter wäre in einer erblichen Krankheit gestorben. Sie haben schon alle für meine Seele gebetet, das arme Mädl ist alle Tage in die Capuciner-Kirche gegangen. Sie werden lachen? – ich nicht; mich rührt es, ich kann nicht dafür.« Zu gleicher Zeit hatte er die Nachricht erhalten, daß Aloysia in München mit einem ansehnlichen Gehalt als Opernsängerin angestellt sei31; die gemischten Gefühle, welche sie in ihm erwecken mußte, spricht er einfach und wahr aus. »Daß die Mlle. Weber, oder vielmehr meine liebe Weberin Besoldung bekommen und man ihr also endlich Gerechtigkeit hat widerfahren lassen, hat mich so sehr erfreuet, wie man es von einem, der allen Antheil daran nimmt, erwarten kann. Ich empfehle sie Ihnen noch immer aufs Beste; doch was ich so sehr gewunschen, darf ich leider nicht mehr hoffen, nemlich sie in Salzburgische [317] Dienste zu bringen, denn das was sie oben hat, giebt ihr der Erzbischof nicht. Alles was möglich ist etwa daß sie auf einige Zeit nach Salzburg kommt eine Opera zu singen.« Diese Wendung ihres Schicksals mußte den geheimen Wunsch Mozarts, doch noch eine Anstellung beim Churfürst von Bayern zu erhalten und den Vorsatz auf seiner Reise in Mannheim und München alles aufzubieten um dies zu erreichen und dem Erzbischof »eine Nase zu drehen«, nur verstärken. Der Vater hatte auch gegen eine solche Anstellung an sich nichts einzuwenden, nur schienen ihm die Aussichten sehr ungewiß; er suchte daher Wolfgang zu überzeugen, daß jetzt das einzig Richtige sei, das sichere Anerbieten anzunehmen, von Salzburg aus würde sich dann am besten für München wirken lassen. Er gab ihm daher ganz bestimmte Instructionen (3. Sept. 1778). »Da der Churfürstl. ganze Hof den 15ten September in München erwartet wird, so kannst Du bey Deiner Durchreise Deine Freunde, den Grafen Seeau und vielleicht den Churfürsten selbstsprechen. Du kannst sagen, daß Dich Dein Vater in Salzburg zurück zu sehen gewünscht, da Dir der Fürst einen Gehalt von (da lügt man 2–300 fl. dazu) 7–800 fl. als Concertmeister ausgeworfen; daß Du aus kindlichem Respect gegen Deinen Vater solches angenommen, obwohlen er gewunschen hätte, Dich in Churfürstl. Diensten zu sehen, NB. aber mehr nicht! Dann kannst Du wünschen, eine Oper in München zu schreiben; und dieses Letzte muß und kann man von hier aus immer betreiben, und das wird und muß gehen, weil zur deutschen Opern-Composition die Meister mangeln. Schweitzer und Holzbauer werden nicht alle Jahre schreiben, und sollte der Michl32 eine [318] schreiben, so wird er bald ausgemichelt haben. Sollte es Leute geben, die durch Zweifel und solche Possen es zu hindern trachteten, so hast Du Professori zu Freunden, die für Dich stehen: und dieser Hof führt auch unterm Jahre zu Zeiten Etwas auf. Kurz, Du bist hier in der Nähe.«

Vor allen Dingen kam es jetzt darauf an daß Wolfgang von Paris abreiste und dieser empfand nun angesichts dessen, was seiner in Salzburg wartete, erst recht was er in Paris verließ; die Unannehmlichkeiten traten zurück und die Aussichten auf mögliche Erfolge in den Vordergrund. Er ärgerte sich über Grimm, der mit Lebhaftigkeit darauf drang daß er von Paris fortgehen sollte, nachdem die Salzburger Anstellung erfolgt war. Er verlangte daß Wolfgang in acht Tagen reisefertig sein solle, was ja gar nicht möglich sei, da er noch vom Herzog de Guines und von Le Gros Honorar einfordern, seine im Stich befindlichen Sonaten corrigiren, die mitgebrachten Compositionen verkaufen müsse33; er hatte [319] nicht übel Lust noch sechs Trios zu schreiben, für die er gute Bezahlung zu erwarten habe. Daß Grimm ihn so drängte und sich erbot die Reise nach Straßburg zu bezahlen – was dem Vater als ein freundschaftliches und dankenswerthes Anerbieten erschien – kam ihm wie Falschheit und Mißgunst vor. Es ist wahrscheinlich, daß Grimm bei seiner Ueberzeugung, Mozart habe in Paris gar keine Aussicht, der Sorge für ihn und der Verantwortung gegen dessen Vater so rasch wie möglich enthoben zu sein wünschte; er mochte auch durch die Art wie er sich äußerte seinen Schützling verletzen; allein ohne Zweifel handelte er hier nicht allein im Sinne des Vaters und im Einverständniß mit diesem, sondern in der redlichen Ueberzeugung daß man dem unpraktischen und unschlüssigen jungen Manne eine Wohlthat erweise, wenn man ihm kräftig unter die Arme greife. Dieser aber war nun so überzeugt daß er Paris zur Unzeit verlasse, daß er von Straßburg aus seinem Vater schrieb (15. Oct. 1778), er thäte die größte Narrheit von der Welt setzt nach Salzburg zu gehen, wenn nicht die Liebe zu seinem Vater wäre, und diese allein habe er gewichtigen Vorstellungen seiner Freunde entgegenzusetzen gehabt. Darauf habe man ihn zwar belobt, doch mit [320] dem Zusatz, »daß, wenn mein Vater meine itzigen guten Umstände und Aussichten wüßte (und nicht etwa durch einen guten Freund eines Anderen und zwar falsch berichtet wäre), er mir gewiß nicht auf solche Art schreiben würde, daß ich nicht im Stande bin im Geringsten zu widerstehen. Und ich dachte bey mir selbst: Ja, wenn ich nicht soviel Verdruß in dem Hause wo ich logirte hätte ausstehen müssen, und wenn das Ding nicht so wie ein Donnerwetter auf einander gegangen wäre, folglich Zeit gehabt hätte die Sache recht mit kaltem Blut zu überlegen, ich würde Sie gewiß recht gebeten haben, nur noch einige Zeit Geduld zu haben und mich noch zu Paris zu lassen; ich versichere Sie, ich würde Ehre, Ruhm und Geld erlangt haben und Sie gewiß aus Ihren Schulden gerissen haben. Nun ist es aber schon so; – glauben Sie ja nur nicht daß es mich reuet, denn nur Sie, liebster Vater, nur Sie können mir die Bitterkeiten von Salzburg versüßen, und wir werden es auch thun – ich bin dessen versichert; doch muß ich Ihnen frey gestehen, daß ich mit leichterem Herzen in Salzburg anlangen würde, wenn ich nicht wüßte, daß ich allda in Diensten bin – nur dieser Gedanke ist mir unerträglich.«

Indessen wurden alle Geschäfte abgemacht, die Sachen der Mutter und sonstige schwere Bagage gepackt und direct nach Salzburg abgeschickt34; und am 26. September verließ auch Wolfgang Paris, das ihm reiche Erfahrungen aller Art, [321] aber wenig Freude und Erquickung gebracht hatte, mißmuthig und verstimmt wie er dahin gekommen war.

Fußnoten

1 Sie sind, soweit sie den Tod der Mutter angehen, wörtlich mitgetheilt in Beilage XIV; von dem Brief an Bullinger ist diesem Band ein Facsimile beigegeben. Ueber das Begräbniß der Mutter und einige andere Details des Pariser Aufenthalts sind nähere Notizen bekannt gemacht von Fournier (Revue française II, 7 p. 27. ff.).


2 Nachdem ihm der Vater geschrieben, daß er den Tod der Mutter wisse und gefaßt sei, antwortet Wolfgang (31. Juli 1778): »So traurig mich Ihr Brief machte, so war ich doch ganz außer mir für Freude, als ich vernahm daß Sie Alles so nehmen wie es zu nehmen ist, und ich folglich wegen meinem besten Vater und liebsten Schwester außer Sorgen sein kann. Sobald ich Ihren Brief ausgelesen hatte, so war auch das erste daß ich auf die Knie niederfiel und meinem lieben Gott aus ganzem Herzen für diese Gnade dankte. – Jetzt bin ich frisch und gesund, nur bisweilen habe ich so melancholische Anfälle – da komme ich aber am leichtesten davon durch Briefe, die ich schreibe oder erhalte; das muntert mich dann wieder auf.«


3 Der Vater hatte ihm schon früher zu diesem Behuf ein schön geschriebenes Alphabet nachgeschickt.


4 Madame Louise Florence Petronille La Live d'Epinay (geb. 1725) mußte nach traurigen Erfahrungen aller Art – von denen die Mémoires et Correspondance de Madame d'Epinay (Par. 1818) ein entsetzliches Bild geben – sich von ihrem Gemahl trennen und lebte bei großer Kränklichkeit in beschränkten Verhältnissen. Sie wurde der anziehende Mittelpunkt eines litterarischen Kreises; eine Zeitlang die Freundin und Gönnerin Rousseaus – seine Confessions und ihre Mémoires berichten in verschiedener Weise über dieses Verhältniß und seine Lösung –, später die treue Freundin Grimms, der eine Reihe von Jahren hindurch ihre Wohnung theilte. Es ist nicht ohne Interesse mit der Charakteristik, welche Grimm nach ihrem Tode (1783) von ihr entwirft (corr. litt. XI p. 468ff.), die Aeußerungen der Frau von Genlis (mém. III p. 99ff.) zu vergleichen. S. auch Sainte Beuve causeries du lundi II p. 146ff.


5 Der Vater machte ihn darauf aufmerksam daß weder Mad. d'Epinay noch Grimm in so guten Umständen wären um ihn ohne Unbequemlichkeit als Gast zu behalten, er müsse deshalb um Erlaubniß bitten, Pension zu zahlen. Er antwortet, ein Zimmer, das nichts Schönes habe als die Aussicht, sei ihm von Mad. d'Epinay allerdings eingeräumt, an der Tafel habe er nur selten Theil genommen, wo man denn mit ihm auch keine Umstände mache, so daß er ihnen eigentlich nur die Kosten der Wachskerzen verursache.


6 Grimm hatte ihm 15 Louisdor, wie er sagt, »bröcklweis« geliehen; und dem Vater schrieb Grimm zur Beruhigung, mit der Rückzahlung habe es keine Eile.


7 Er fand sogar daß es dort »einfältig und dumm« hergehe. – Einen größeren Contrast kann man sich kaum denken, als wenn man sich daran erinnert in welchem Grade Grimm und Mad. d'Epinay Voltaire verehrten, mit welcher scrupulosen Devotion die Bulletins über sein Befinden, die widersprechenden Nachrichten über sein Verhalten zur Geistlichkeit, endlich die Anzeige seines Todes (30. Mai 1778) von ihrem Hause aus verbreitet wurden – und damit dann den Bericht Wolfgangs an seinen Vater (3. Juli 1778) vergleicht: »Nun gebe ich Ihnen eine Nachricht, die Sie vielleicht schon wissen werden, daß nemlich der gottlose und Erz-Spitzbub Voltaire so zu sagen wie ein Hund, wie ein Vieh crepirt ist – das ist der Lohn!«


8 Grimms Brief an Leop. Mozart, den dieser seinem Sohn mittheilt (13. Aug. 1778), lautet folgendermaßen: Il est zu treuherzig, peu actif, trop aisé à attraper, trop peu occupé des moyens qui peuvent conduire à la fortune. Ici, pour percer, il faut être retors, entreprenant, audacieux. Je lui voudrais pour sa fortune la moitié moins de talent et le double plus d'entregent, et je n'en serais pas embarrassé. An reste il ne peut tenter ici que deux chemins pour se faire un sort. Le premier est de donner des leçons de clavecin; mais sans compter qu'on n'a des écoliers qu'avec beaucoup d'activité et même de charlatanerie, je ne sais s'il aurait assez de santé pour soutenir ce métier, car c'est une chose tres fatiguante de courir les quatre coins de Paris et de s'épuiser à parler pour montres. Et puis ce métier ne lui plait pas, parcequ'il l'empêchera d'écrire, ce qu'il aime par dessus tout. Il pourrait donc s'y livrer tout à fait; mais en ce pays ici le gros du public ne se connait pas en musique. On donne par conséquent tout aux noms, et le mérite de l'ouvrage ne peut être jugé que par un très petit nombre. Le public est dans ce moment si ridiculement partagé entre Piccini et Gluck et tous les raisonnements, qu'on entend sur la musique font pitié. Il est donc très difficile pour votre fils pour reuissir entre ces deux partis. Vous voyez, mon cher maitre, que dans un pays où tant de musiciens médiocres et détestables même ont fait des fortunes immenses, je crains fort que Mr. votre fils ne se tire pas seulement d'affaire.


9 Vgl. I S. 99.


10 Es ist nicht leicht über Grimms Charakter sich ein klares und gerechtes Urtheil zu bilden (vgl. Garat mém. II p. 13f.). Nach Rousseaus Darstellung war er ein kalter, perfider Egoist, und nicht allein die, welche sich auf Rousseaus Seite stellen, sondern die Gegner der Encyclopedisten sind geneigt diese Auffassung als richtig gelten zu lassen. Auch Merck (Briefe II S. 282f.) schreibt 1791 von ihm aus Paris: »Hier nennt man Hrn. Grimm il Barone, das heißt auf gut italiänisch le Coquin. Ich habe sehr pendable Streiche von ihm gehört.« In den Memoiren der Mad. d'Epinay erscheint er natürlich von einem ganz entgegengesetzten Charakter, und Manche, wie Sainte-Beuve (vgl. I S. 48) stimmen dem völlig bei. In seiner Correspondenz herrscht ein verständig kühles, spöttelndes Wesen vor; indessen erklärt sich dies aus der Tendenz seine hohen Gönner durch geistreiche Berichte zu unterhalten, der man es auch zuschreiben darf, wenn er um eine artige Geschichte zu erzählen es nicht immer mit der Wahrheit allzugenau nahm (Genlis mém. IV p. 3f.). Niemand wird ihn wohl zu den seltenen und großen Ausnahmen zählen, welche von der sittlichen Corruption der Pariser guten Gesellschaft unberührt blieben, deshalb darf er aber noch nicht für einen Menschen gelten, der nichts als ein herzloser, eitler Egoist gewesen sei. Was sein Verhältniß zu Mozart anlangt, so muß man nach Allem was vorliegt annehmen daß ihm durch die obige im Unmuth gethane Aeußerung Unrecht geschieht. Er hat sich Mozarts mit Rath und That angenommen und es ist gar kein Grund zu dem Verdacht vorhanden, daß er es nicht wohl mit ihm gemeint habe. Er scheint allerdings mehr aus Rücksicht für den Vater als aus persönlichem Interesse für den Sohn diesen unter seine Obhut genommen zu haben; sein künstlerisches Genie hat er nicht richtig gewürdigt und was ihm an Wolfgang sonst nicht zusagte geht aus seinen eigenen, offenherzigen Aeußerungen hervor. Daß die Art, mit welcher er ihn, wie einen jungen unerfahrnen Menschen, den man zurecht stoßen müsse, behandelte, und besonders die Eilfertigkeit, mit welcher er ihn wie einen lästigen Schützling von Paris entfernte, diesen kränkte und gegen ihn aufbrachte ist begreiflich. Auch verräth sich darin gerade kein edler und feinfühlender Charakter; allein ebensowenig ist von Falschheit und Schlechtigkeit zu reden eine Berechtigung vorhanden.


11 Grimm corr. litt. X p. 52f.: Ce fut un grand jour pour nous que le jeudi 11 (Juin 1778). La nouvelle administration de l'Opéra fit le premier essai de l'opéra bouffon sur le téâtre consacré depuis si long-temps à l'ennui pompeux des chefs-d'oeuvre de la psalmodie française. On donna les Finte gemelle du sieur Piccini. Jamais spectacle n'avait attiré un concours plus nombreux, les corridors étaient aussi remplis que le parterre et les loges. Il y eut quelques mouvements d'impatience an long récitatif de la troisième scène; mais le bon goût de la musique, la voix enchanteresse de Caribaldi, l'aisance et le naturel de son chant, les graces et la légèreté de la signora Baglioni, les beaux yeux de la signora Chiavacci l'emportèrent enfin sur tous les efforts de la cabale Gluckiste et Ramiste, sur l'insipidité du poëme, où les trois quarts et demi des spectateurs ne comprenaient rien et sur la singularité du costume des acteurs, dont le jeu, très-étranger à nos convenances accoutumées, dut nous paraître nécessairement ou d'une froideur extrême ou d'une caricature assez ridicule. Il serait fort difficile de décider sur ce premier essai si ce nouveau genre de spectacle aura de grands succès parmi nous; mais la sensation qu'il à produite prouve du moins que notre goût en musique a fait quelques progrès. Soutenue par l'intérêt du poeme, par l'illusion de la scene, la douce mélodie des Piccini, des Sacchini, des Paësiello, nous trouvera sans doute désormais aussi sensibles à ses charmes qu' aucune autre nation de l'Europe.


12 Prutz, deutsches Museum II S. 28.


13 Außer den Gluckschen Opern, Armide, welche noch neu war, Orpheus, Alceste und Iphigenie in Aulis, welche wieder aufgenommen wurden, und Piccinis Roland hatte Mozart Gelegenheit Opern verschiedener französischer Componisten zu hören, wie man aus Grimms Berichten während dieser Zeit erkennt. Von Gretry wurde Matroco, Les trois ages de l'Opéra und Le jugement de Midas neu gegeben, ferner Philidors Ernelinde, Dezedes Zulima, GossecsEete du village, Rousseaus Devin du village. Dazu kam die italiänische Oper Piccinis Le finte gemelle, und vielleicht noch manche Oper, von der wir nichts wissen. Denn de Bismes setzte seine Ehre darin und fand seine Rechnung dabei für jeden Geschmack durch reiche Abwechslung zu sorgen. C'est une tolérance absolue pour tous les genres de musique, pour la musique ancienne et pour la musique nouvelle, pour la musique de Gluck et pour celle de Piccini, pour le grand opéra et pour l'opéra bouffon, pour les ballets à chaconnes et pour les ballets pantomimes; aucun genre n'est proscrit, aucun talent n'est persécuté. Grimm fügt zu dieser Schilderung nicht mit Unrecht die Bemerkung (corr. litt. X p. 162): mais l'esprit d'impartialité porté à cet exces ne tient-il pas à un grand fonds d'indifférence et cet esprit ne serait-il pas suspect même en fait d'opéra? Allein für Mozarts Ausbildung war diese Mannigfaltigkeit der Productionen gewiß nur förderlich.


14 S. Beil. VI, 5. 6.


15 Graf Sickingen versprach ihm, wie Wolfgang sei nem Vater mittheilt (31. Juli 1778), wenn er beim Churfürsten von Bayern nicht ankäme, seinen Einfluß zu verwenden um ihm einen Platz in Mainz zu verschaffen. Allein der Vater hatte hierzu gar kein Vertrauen, da der Concertmeister Kreuser (S. 120) dort beliebt sei und also Aussicht habe Kapellmeister zu werden; übrigens sehe man jetzt, wie übel es gethan sei, daß sie nicht von Mannheim nach Mainz gegangen seien, wie er damals gerathen (27. Aug. 1778).


16 Wie sehr sich Mozart für die traurige Lage, in welche Webers dadurch geriethen, interessirte, sieht man aus folgendem Brief an seinen Vater (31. Juli 1778): »Vorgestern schrieb mir mein lieber Freund Weber unter anderem, daß es gleich den andern Tag der Ankunft des Churfürsten publizirt wurde, daß der Churfürst seine Residenz zu München nehmen wird, welche Botschaft ganz Mannheim ein Dennerschlag war, und die Freude, welche die Einwohner des Tags vorher durch eine allgemeine Illumination an den Tag legten, so zu sagen wieder gänzlich auslöschte [S. 144]. Dieses wurde auch der ganzen Hofmusique kund gethan, mit dem Beysatze, daß Jedem freysteht, dem Hofstaat nach München zu folgen, oder – doch mit Beybehalt des nämlichen Salarii zu Mannheim zu verbleiben; und in 14 Tägen soll jeder seinen Entschluß schriftlich und sigilirt dem Intendanten übergeben. Der Weber, welcher wie Sie wissen gewiß in den traurigsten Umständen ist, übergab solches: ›Bei meinen zerrütteten Umständen bin, so sehnlichst ich es auch wünsche, nicht im Stande gnädigster Herrschaft nach München zu folgen.‹ Bevor dies geschah, war eine große Accademie bey Hofe und da mußte die arme Weberin den Arm ihrer Feinde empfinden: sie sang diesmal nicht! Wer Ursach davon ist weiß man nicht. Nach der Hand war aber eine Accademie bei Hrn. v. Gemmingen, Graf Seeau war auch dabei. Sie sang 2 Arien von mir und hatte das Glück trotz den welschen Hundsfüttern [dem Singpersonal von München] zu gefallen. Diese infamen Cujone sprengen noch immer aus, daß sie gänzlich im Singen zurückginge. Der Cannabich aber, als die Arien geendigt waren, sagte zu ihr: Mademoiselle, ich wünsche daß Sie auf diese Art noch mehr zurückgehen möchten! Morgen werde ich Hrn. Mozart schreiben und es ihm anrühmen. – Nun die Hauptsache ist halt, daß, wenn der Krieg nicht schon ausgebrochen wäre, der Hof sich nach München gezogen hätte; Graf Seeau, der die Weberin absolument haben will, alles angewendet hätte daß sie mitkommen kann, und folglich Hoffnung gewesen ware, daß die ganze Familie in bessere Umstände gesetzt würde. Nun ist aber Alles wieder still wegen der Münchner Reise und die armen Leute können wieder lange her warten, und ihre Schulden werden alle Tage beträchtlicher. Wenn ich ihnen nur helfen könnte! Liebster Vater! ich recommandire sie Ihnen von ganzem Herzen. Wenn sie unterdessen nur auf etliche Jahre 1000 fl. zu genießen hätten.« Darauf führt ihm der Vater allerdings zu Gemüth, daß sein Sorgen für Webers unnütz sei, so lange er nicht für sich und die Seinigen gesorgt habe (27. Aug. 1778). Er meint auch, weder Wolfgang werde für Weber noch dieser für sich selbst etwas Vortheilhaftes ausdenken, wenn nicht andere Leute hülfen; wäre Weber gescheut, so hätte er seinen Gläubigern vorgestellt, daß es ihr Vortheil sei ihn nach München ziehen zu lassen (3. Sept. 1778).


17 Vater und Sohn verfolgen in ihren Briefen, der erstere besonders ausführlich den Gang der politischen und militärischen Ereignisse und theilen sich mancherlei Nachrichten mit. Auch nach dieser Seite ist der Briefwechsel für ein Detailstudium jener Zeit nicht ohne Interesse, das hier natürlich fern liegt.


18 Eine Schwester des Erzbischofs M. Franziska, welche mit Olivier Grafen von Wallis vermählt gewesen war, hatte ihre Wohnung in dem Seitentract der erzbischöflichen Residenz gegenüber dem Dom und repräsentirte in seiner Hofhaltung.


19 Vgl. I S. 429f.


20 Vgl. I S. 56f.


21 Schon früher (9. Juli) schrieb er: »Der Kapellmeister Bach wird auch bald hier seyn, ich glaube, er wird eine Opera schreiben. Die Franzosen sind und bleiben halt Eseln, sie können nichts, sie müssen Zuflucht zu Fremden nehmen.«


22 Grimm berichtet über dieselbe (corr. litt. X p. 236f.): L'Amadis de Mr. Bach, désiré depuis si long-temps pour renouveler la guerre entre les Gluckistes et les Piccinistes, ou pour les mettre enfin d'accord, a paru pour la premiere fois ce mardi 14 [Décembre 1779], et n'a point rempli notre attente. Le style de Mr. Bach est d'une harmonie pure et soutenue; son orchestre a de la richesse et de la grace; mais s'il est toujours assez bien, il n'est jamais mieux: et l'on ne peut dissimuler que, dans cet ouvrage au moins, l'ensemble de sa composition manque de chaleur et d'effet. Les Gluckistes ont trouvé qu'il n'avait ni l'originalité de Gluck, ni ses sublimes élans; les Piccinistes, que son charme n'avait ni le charme, ni la variété de la mélodie de Piccini, et les Lullistes et les Ramistes, grands faiseurs de points, ont décidé qu'il nous fallait un pont à l'Opéra, qu'on n'y passerait point le bac etc.


23 Wir sehen, wie übel er es Vogler nahm daß er sich geringschätzig über Bach äußerte (Beil. XII); und von Wien schrieb er seinem Vater (10. April 1782): »Sie werden wohl schon wissen daß der Engländer Bach gestorben ist? Schade für die musikalische Welt!«


24 Höchst charakteristisch ist es, wie ihn hier in dem Erguß seines natürlichen Gefühls die Erinnerung an die Ermahnungen seines Vaters überschleicht, daß man den Freundschaftsversicherungen und Lobeserhebungen anderer, namentlich der Kunstgenossen nicht trauen dürfe; und man sieht, wie wenig sie über sein Herz vermochten, wenn sein Verstand sie auch anerkannte.


25 Es waren zwei Marschälle des Namens, der Herzog und der Graf de Noailles; welcher von beiden gemeint sei ist mir nicht bekannt. Der erstere war der Vater der Gräfin de Tessé, der Gönnerin des Knaben Mozart (I S. 52), und hatte wie sie Interesse für Litteratur und Kunst (Lomenie Beaumarchais I p. 206f.).


26 Tenducci, geb. in Siena um 1736, wurde, nachdem er zuerst in Italien aufgetreten war 1738 in London engagirt, hielt sich dann eine Zeitlang in Schottland und Irland auf, und spielte darauf in London als erster Sänger eine glänzende Rolle; vgl. Busby Gesch. der Musik II S. 402.


27 Auch diese Composition ist ganz unbekannt geblieben.


28 Anton Paris war der dritte Hoforganist in Salzburg.


29 Der Thronfolger, nachmalige König Max I.


30 Das war ein Hauptpunkt für Wolfgang, auf den der Vater auch später wieder zurückkommt (24. Sept. 1778). »Vormals warst Du eigentlich nichts als Geiger, und das als Concertmeister; nun bist Du Concertmeister und Hoforganist und die Hauptsache ist das Accompagnement beim Clavier. Das Violinspielen bey der ersten Sinfonie wirst Du wohl auch als Liebhaber, sowie der Erzbischof selbst und itzt alle Cavaliers die mitspielen, Dir nicht zur Schande rechnen. Hr. Haydn ist doch ein Mann, dem Du seine Verdienste in der Musik nicht absprechen wirst; ist er deßwegen als Concertmeister ein Hofbratschgeiger, weil er bey den kleinen Musiken die Viola spielt? Das thut man zur Unterhaltung – und ich wette darauf, ehe Du Deine Compositionen verhudeln läßt, Du greiffest selbst zu.« Er tröstet ihn auch damit daß die Musiken bei Hof nur kurz sind, von 7 Uhr bis 81/4, da meistens nur vier Stücke gemacht würden, eine Sinfonie, eine Arie, eine Sinfonie oder Concert und eine Arie (17. Sept. 1778).


31 Aloysia erhielt einen Gehalt von 1000 fl., der Vater 400 fl. und als Souffleur noch 200 fl., wie Mozart nachher in Mannheim erfuhr.


32 Joseph Michl, in Neumarkt 1745 geboren, wurde in München im Seminar erzogen und widmete sich ganz der Musik. Nachdem er bei Kammerloher in Freising seine Studien gemacht hatte, ernannte ihn Maximilian III zum Kammercompositeur. Er schrieb im Jahr 1776 die Oper Il trionfo di Clelia, welche mit großem Beifall aufgenommen wurde. Wir sahen (I S. 239), daß Leop. Mozart gehofft hatte, daß die Oper dieses Jahrs seinem Sohne übertragen werden möchte, und die fehlgeschlagene Erwartung wird sein Urtheil nicht grade milder gestimmt haben. Michl componirte dann auch mehrere deutsche Opern mit günstigem Erfolg. Karl Theodor versetzte ihn 1778 in Ruhestand; er zog sich zuerst in das Kloster Weiern, später nach Neumarkt zurück, wo er 1810 starb.


33 Er hatte an Le Gros die Sinfonie concertante und die beiden in Paris geschriebenen Symphonien verkauft; die aus Salzburg mitgebrachten waren nicht nach Pariser Geschmack. Dem Stecher seiner Sonaten hoffte er für baares Geld seine drei Clavierconcerte (Beil. X, 103–105), und wo möglich die sechs schweren Claviersonaten (I S. 611f.) zu verkaufen. Ob es gelungen sei weiß ich nicht, gestochen scheinen sie wenigstens nicht zu sein. Der Vater gab ihm noch den guten Rath sich mit den Pariser Verlegern auch für die Zukunft die Verbindung zu sichern. »Noch eine Sache« schrieb er (3. Sept. 1778) »mußt Du nicht außer Acht lassen. Du mußt die Namen und Adressen der besten Musikhändler, die Etwas kaufen, um graviren zu lassen, mit Dir nehmen, sonderheitlich desjenigen, der Dir Deine Clavier-Sonaten abgekauft hat, damit Du mit ihm correspendiren kannst. Auf diese Art wird es eben so viel seyn, als wenn Du in Paris wärest; man kann mit ihnen handeln, sodann die Composition einem Kaufmann oder Freunde einschicken, der es dem Musik-Verleger gegen baare Bezahlung ausliefert, und so kannst Du alle Jahre 15 oder 29 Louisd'or von Paris beziehen und Deinen Namen aller Orten theils mehr bekannt machen, theils in der gemachten Bekanntschaft erhalten. Frage den Baron von Grimm, ob ich nicht Recht habe.«


34 Der Koffer kam noch vor Wolfgang in Salzburg an; da die goldne Uhr der Mutter fehlte, fragte Leop. Mozart bei ihm an, ob sie etwa studirt habe. »Wegen der Uhr haben Sie es errathen«, lautete die Antwort (18. Dec. 1778) »die hat studirt, habe aber nicht mehr als 5 Louisdor dafür bekommen können.« Auch berichtete er daß er die Uhr vom Churfürsten (S. 119) und die Steinerluhr für eine Pariser Uhr zu 20 Louisdor gegeben habe.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 2, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Geistliche Oden und Lieder

Geistliche Oden und Lieder

Diese »Oden für das Herz« mögen erbaulich auf den Leser wirken und den »Geschmack an der Religion mehren« und die »Herzen in fromme Empfindung« versetzen, wünscht sich der Autor. Gellerts lyrisches Hauptwerk war 1757 ein beachtlicher Publikumserfolg.

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon