23.

Enttäuscht und leidend kehrte Mozart um die Mitte September nach Wien zurück um seine Zeit zwischen den Arbeiten, welche die Vollendung und Inscenesetzung der Zauberflöte verlangte1, und dem Requiem zu theilen. Am 28 September vollendete er die Ouverture und den Marsch der die Einleitung zum zweiten Aufzug bildet, am 30 Sept. war nach vielen Proben, welche von dem damals noch sehr jungen [591] Kapellmeister Henneberger geleitet worden waren, die erste Aufführung, bei welcher Mozart selbst am Flügel dirigirte, während Süßmaier umwandte2. Der Erfolg [592] war anfangs keineswegs so groß als man erwartete und nach dem ersten Akt soll Mozart blaß und bestürzt zu Schikaneder auf die Bühne gekommen sein, der ihn zu trösten suchte. Im Verlauf des zweiten Aufzugs erholte das Publicum sich von seiner Ueberraschung und am Schluß wurde Mozart herausgerufen. Er hatte sich versteckt, man mußte ihn suchen und nur mit Mühe ließ er sich bereden vor dem Publicum zu erscheinen – gewiß nicht aus Bescheidenheit, denn glänzende Erfolge waren ihm ja nichts Unerhörtes, sondern aus Stolz, weil er mit der Art wie man seine Musik gewürdigt hatte unzufrieden war3. Bei der zweiten Aufführung am folgenden Tag dirigirte er wieder, von da an übergab er die Direction an Henneberger4. Schikaneder ließ indessen nicht nach mit Wiederholungen und mit jeder derselben steigerte [593] sich der Beifall; sehr bald wurde die Zauberflöte eine Zugoper, wie man sich keiner ähnlichen erinnerte. Im October wurde sie vier und zwanzigmal aufgeführt, am 23 Nov. 1792 kündigte Schikaneder die hundertste, am 22 Oct. 1795 die zweihundertste Vorstellung derselben an5.

Schikaneder6, der außer seinen Possen, die allerdings vorherrschten, auch Opern zur Aufführung brachte, sowohl ältere theilweise übersetzte als auch neu componirte7, hatte im Jahr 1791 mit der von Gieseke nach Wieland bearbeiteten, von Wranitzky8 componirten romantisch-komischen Oper Oberon König der Elfen einen bedeutenden Erfolg gehabt. Die glänzende Ausstattung durch Decorationen, Costume und Maschinerien, die Befriedigung, mit welcher man Wielands allgemein bewundertes und beliebtes Gedicht auf das Theater verpflanzt sah, erhöheten das Interesse, das die leichte und gefällige Musik an sich schwerlich in dem Maße gefunden haben würde; rasch wanderte die Oper [594] über die deutschen Bühnen, wurde allenthalben der Liebling des Publicums, und machte geraume Zeit der Zauberflöte den Sieg streitig9. Um sich eine ähnliche Wirkung zu sichern nahm Schikaneder den Stoff seiner neuen Oper aus dem Mährchen Lulu oder die Zauberflöte aus Wielands Dschinnistan10. Der Inhalt desselben ist in der Kürze folgender.

Im Königreiche Korassan wohnt in einem alten Zauberschlosse die gute Fee Perifirime, die strahlende Fee genannt. Auf einer Jagd kommt Prinz Lulu, Sohn des Königs von Korassan, in die Nähe des gewöhnlich gemiedenen Schlosses, wo ihm die Fee in vollem Glanz erscheint und hohen Lohn verbeißt, wenn er nach ihrem Geheiß handeln wolle. Sie eröffnet ihm, daß der böse Zauberer Dilsenghuin ihr mit Hülfe einer treulosen Dienerin Barsine ihren kostbarsten Talisman, einen vergoldeten Feuerstahl entwendet habe, dem die Geister aller Elemente und Weltgegenden gehorchen, so daß jeder damit geschlagene Funke ein mächtiger, dem Besitzer dienstbarer Geist werde; nur ein Jüngling, dessen reines Herz die Macht der Liebe noch nicht empfunden, könne den Talisman durch List wieder [595] für sie gewinnen. Sie bezeichnet Lulu als ihren Retter und verspricht ihm, wenn er sich der Aufgabe unterziehen wolle, das Beste was sie habe. Dies ist ihre und Sabalems, des Königs von Kaschmir, schöne Tochter Sidi, welche der Zauberer ebenfalls in seine Gewalt gebracht hat und mit seiner Zärtlichkeit quält, deren sie sich nur durch die ihr verliehene Gabe erwehrt, jeder fremden Gewalt zu widerstehen, so lange ihr Herz von Liebe frei bleibt. Die Fee entsendet Lulu mit zwei Zaubergaben, einer Flöte, welche jedes Hörers Hetz gewinnt und jede Leidenschaft nach Belieben zu erregen und zu besänftigen vermag, und einem Ring, durch dessen Umdrehen der Besitzer jede Gestalt annehmen kann und durch dessen Wegwerfen die Fee selbst zur Hülfe herbeigerufen wird.

So ausgerüstet nähert sich Lulu in der Gestalt eines Greises der Felsenburg des Zauberers, lockt durch sein Flötenspiel erst die Thiere des Waldes, dann den Zauberer zu sich, der ihn in seine Burg nimmt um die spröde Schöne zur Zärtlichkeit zu stimmen. Lulu gewinnt das Vertrauen des Zauberers und seines Sohnes mit Barsine, des Zwerges Barka, aber auch die Liebe der schönen Sidi; es gelingt ihm bei einem Gastmahl jene beiden einzuschläfern und sich des Feuerstahls zu bemeistern. Mit Hülfe der Geister, zuletzt durch das Erscheinen der Fee, überwindet er alle Gefahren und Hindernisse, die ihm der Zauberer bereitet, der zuletzt in einen Uhu verwandelt mit seinem zum Käuzchen umgewandelten Sohn entflieht. Die Fee zerstört die Felsenburg und bringt auf ihrem Wolkenwagen die Liebenden in ihr Schloß, wo die Könige von Korassan und Kaschmir ihren Bund segnen11.

[596] Im Beginn von Schikaneders Oper wird der »japonische« Prinz Tamino auf der Jagd von einer großen Schlange verfolgt, er fällt bewußtlos hin, und drei Damen der sternflammenden Königin tödten das Ungethüm. Als er wieder erwacht, kommt der Vogelfänger Papageno herbei, die lustige Person der Oper, in herkömmlicher Weise neben dem ernsthaften, tapfern Liebhaber – der freilich hier nicht sehr heldenmäßig auftritt – der gutmüthige, genußsüchtige, schwatzhafte und furchtsame Genosse, in dessen Federncostum wohl noch die Reminiscenzen von Schikaneders Vogelkomödie zu erkennen sind. Er giebt sich gegen Tamino für den Drachentödter aus, wird aber für sein Renommiren von den verschleierten Damen, die wieder zum Vorschein kommen, mit einem Schloß vor dem Munde bestraft, während sie dem Prinzen das Bildniß einer schönen Jungfrau übergeben, das ihn mit der heftigsten Liebe erfüllt. Als er erfährt daß sie Pamina, die Tochter der sternflammenden Königin, und von einem mächtigen bösen Dämon ihr entrissen ist, schwört er sie aus der Gewalt desselben zu befreien, worauf die Königin selbst erscheint und ihm, wenn er ihre Tochter errette, die Hand derselben zusagt. Die Damen befehlen hierauf Papageno, welchem sie das Schloß vom Munde nehmen, Tamino in die Burg des Zauberers Sarastro zu begleiten, wozu er sich trotz seines Widerstrebens bereit finden muß, und übergeben als Schutzmittel Tamino eine Flöte, Papageno ein Glockenspiel, auch verheißen sie daß »drei Knäbchen, jung, schön, hold und weise«, sie als Führer umschweben werden12.

In der Burg Sarastros wird Pamina, welche sich den [597] lüsternen Zumuthungen ihres Aufsehers und Peinigers, des Mohren Monostatos, durch die Flucht hat entziehen wollen, von diesem wieder zurückgebracht und gefesselt. Papageno schleicht sich herein, er erschrickt vor dem Mohren wie dieser vor dem gefiederten Menschen, beide laufen vor einander fort. Als Papageno sich wieder hereinwagt, findet er Pamina allein und berichtet ihr, daß Prinz Tamino mit ihm im Auftrag seiner Mutter gekommen sei um sie zu befreien, und freudig eilen sie ihn aufzusuchen.

Bis hieher entspricht die Anlage im Wesentlichen den Voraussetzungen des Mährchens, man gewahrt wohl Modificationen welche im Einzelnen mit Personen und Situationen im dramatischen Interesse vorgenommen sind, allein man ist berechtigt eine dem Gange des Mährchens entsprechende Entwickelung zu erwarten. Als aber Schikaneder soweit in seiner Bearbeitung vorgeschritten war, erfuhr er daß auf dem Leopoldstädter Theater, das ihm auch sonst vielfache Concurrenz machte, eine nach demselben Mährchen bearbeitete Oper zur Aufführung bereit sei.

Im Jahr 1781 hatte Marinelli sein neuerbautes Theater in der Leopoldstadt eröffnet, welches seinen eigentlichen Wirkungskreis in der Volksposse fand13. Zwar wurden auf demselben auch Opern gegeben, theils Uebersetzungen beliebter italiänischer Opern, theils deutsche, unter denen das Sonnenfest der Braminen großen Zulauf fand, und nachdem die deutsche Oper des Nationaltheaters ihre kurze Blüthenzeit gehabt hatte, konnte das Vorstadttheater mit Erfolg eine Concurrenz unternehmen; allein das eigentliche Element dieses Theaters waren die Kasperliaden. [598] Der Komiker Laroche hatte die Rolle des Kasperl, der in grader Linie vom Hanswurst abstammte, geschaffen und man wurde nicht satt ihn in den verschiedensten Umgebungen und Situationen seinen derben Spaß treiben zu sehen, wobei denn auch ein guter Theil des Hanswurst-Repertoires in zeitgemäßer Umgestaltung wieder ins Leben gerufen wurde. Wie früher Hanswurst mit Hexen und Zauberern vielfach in Berührung getreten war, so wurde nun auch Kasperl in diese Gesellschaft gebracht, die nur durch den von Frankreich aus und besonders durch Wieland allgemein verbreiteten Geschmack für orientalische Feenmährchen ebenfalls eine etwas andere Haltung und Färbung angenommen hatte. In diesen Kasperliaden spielte nun auch das Volkslied seine Rolle, und wie damals die Musik mehr und mehr in den Vordergrund trat wurden aus den Singspielen14 allmählich komische Zauberopern, besonders da das Leopoldstädter Theater an Wenzel Müller15 einen Componisten besaß, [599] der für die volksmäßige lustige Musik etwas ähnliches leistete, wie Laroche als Schauspieler. Mit seiner Musik wurde am 3 März 1791 Kaspar der Vogelkrämer von Hensler und am 8 Juni Kaspar der Fagottist oder die Zauberzither, »ein Maschinen-Singspiel in drei Aufzügen« aufgeführt, wozu der Schauspieler Joach. Perinet den Text nach Lulu bearbeitet hatte.

Im Gange der Handlung folgt das Stück dem Mährchen allerdings ziemlich genau, welches im Dialog sogar soweit es irgend anging wörtlich benutzt ist, nichts desto weniger ist es eine Travestie desselben von einer so platten Gemeinheit, daß der Text der Zauberflöte dagegen gehalten eine entschiedene Superiorität behauptet. Die Hauptrolle spielt Kaspar Bita, welcher dem Prinzen Armidoro als Diener beigegeben ist. Sie verirren sich auf der Jagd zur Fee Perifirime, welche sie zum Zauberer Bosphoro entsendet und dem Prinzen eine mit den Kräften der Zauberflöte ausgerüstete Zither verleiht, Kaspar aber durch einen kleinen Geist Pizichi, der wiederholt als Helfer in der Noth erscheint, ein Zauberfagott überreichen läßt, das zu höchst bedenklichen Späßen Veranlassung giebt. Die Zauberkraft des Ringes, welche den Prinzen bald als Greis bald als Jüngling erscheinen läßt, ist sehr naiv benutzt, indem nur an die Phantasie des Zuschauers appellirt wird die Wirkung je nach Bedürfniß vorauszusetzen. Dem Zauberer ist ein Dickwanst Zumio beigegeben, der die Mädchen beaufsichtigt und in Palmire, die Gespielin der schönen Sidi verliebt ist, welche dann zu Kaspar in ein ähnliches Verhältniß tritt. Nachdem Armidoro und Kaspar durch ihre Zauberinstrumente die Zuneigung Bosphoros und Zumios erworben und in die Burg Eingang gefunden haben, gewinnen sie die Liebe der Mädchen, aber nicht ohne Mißtrauen und Eifersucht[600] bei den Männern zu erregen, die sich ihrer zu entledigen suchen um die Instrumente in ihren Besitz zu bekommen. Aus einem Sturm, den Bosphoros Geister bei einer Wasserfahrt erregen, rettet sie Perifirime, der Versuch sie zu vergiften mißlingt durch Pizichis Warnungen, endlich werden beim Abendessen alle durch die Zauberinstrumente eingeschläfert und Armidoro bemächtigt sich des Feuerstahls, der ihm die Geister unterthänig macht, worauf Perifirime erscheint, Bosphoro bestraft und die Liebenden in ihren Palast zurückführt. Abgesehen von Kaspars drastischen Späßen fehlt es nicht an effectvollen Situationen verschiedenster Art, durch welche für die Schaulust nicht minder als für die Lachlust gesorgt ist, zum Theil geben sie auch zu größeren Musikstücken Veranlassung. So wird die Oper mit einem großen Jägerchor eröffnet und der erste Akt schließt damit daß das Gefolge des Prinzen, das ihn ängstlich sucht und ruft, durch mancherlei Zauberspuk geängstigt wird16; das Spinnerlied, die Wasserfahrt mit dem Ungewitter, der Chor der Geister welche mit Zumio Ball spielen sind musikalisch nicht undankbare Situationen. Der Componist erhebt sich freilich nicht oft über das Niveau des Textes, in einigen Liedern und Walzern hat er den derben Volkston nicht übel getroffen ohne doch den frischen Humor zu erreichen, der ihm sonst nicht selten geglückt ist; überall wo die Musik einen höheren Schwung nehmen müßte um den Hörer über die Misere des Stücks herauszuheben bleibt sie trivial im Ausdruck und in der technischen Behandlung, obgleich sie durch Anwendung großer Formen in Bravurarien und namentlich in der reichlichen Verwendung der Instrumentalmittel keineswegs ohne [601] Prätension ist. Trotz aller dieser Mängel, oder vielmehr wohl zum guten Theil durch dieselben trafen Stück, Musik und Darsteller den Geschmack des Publicums vollkommen, die Oper machte außerordentliches Glück und erlebte in wenigen Jahren 125 Vorstellungen17.

Einem solchen Erfolg gegenüber konnte Schikaneder es nicht wagen mit einer Oper aufzutreten, die denselben Inhalt hatte; um von den Vorbereitungen die bereits gemacht waren soviel wie möglich zu retten beschloß er die Pointe umzukehren und aus dem bösen Zauberer einen edlen Weisen zu machen, der Tamino für sich gewinnt, ihn zu höherer Weisheit und Tugend leitet und durch die Hand der Pamina belohnt. Diese neue Wendung wurde nun aber auch zugleich im Interesse der Freimaurerei benutzt. Die veränderte politische Richtung der Regierung unter Leopold II hatte dem Freimaurerorden nicht allein die Gunst entzogen, welche ihm bis dahin geschenkt worden war, sondern er wurde schon als ein Hauptorgan des politischen und religiösen Liberalismus verdächtigt und angefeindet. Eine Verherrlichung desselben von der Bühne herab durch eine Darstellung, welche die Symbolik seiner Gebräuche in ein glänzendes Licht stellte und die sittliche Tendenz seiner Ansichten rechtfertigte, so daß dem Eingeweihten die Befriedigung eines geheimen Einverständnisses, dem Ungeweihten neben reichlichem Sinnengenuß auch die Ahnung einer tieferen Bedeutung gewährt wurde, mußte daher als eine liberale Parteidemonstration die weder den Orden selbst noch einzelne Personen [602] bloßstellte sehr zeitgemäß erscheinen18. Ob Schikaneder selbst diesen Gedanken faßte, ob vielleicht vom Orden aus ein bestimmter Einfluß sich geltend machte ist nicht zu ermitteln, die Ausführung des Plans soll hauptsächlich von Joh. Georg Karl Ludw. Gieseke herrühren, der aus Braunschweig gebürtig als relegirter Student nach Wien gekommen war, und als Schauspieler und Chorist auf dem Schikanederschen Theater sein Leben fristete. Er war nicht ohne Talent und Bildung, hatte damals schon den Text zu Wranitzkys Oberon gemacht und bereicherte auch später das Repertoire Schikaneders mit einer Reihe theils übersetzter theils eigener Stücke. Schikaneder, der auch sonst bei seinen Stücken sich fremder Hülfe gern bediente19, benutzte Giesekes Arbeit als Grundlage, änderte darin nach Belieben, setzte namentlich die Figuren Papagenos und Papagenas hinein, und nahm schließlich die Autorschaft für sich in Anspruch20.

Wie weit nach der Abänderung des Plans auch mit dem [603] ersten Theil Veränderungen vorgenommen sind ist nicht anzugeben; im Einzelnen mag wohl retouchirt sein, wesentliche Verbesserungen sind nicht gemacht, sonst würden die auffallendsten Inconsequenzen und Widersprüche entfernt worden sein. Denn mit dem ersten Finale finden wir uns jetzt zu unserem größten Erstaunen in einer ganz neuen Welt. Die drei Knaben führen Tamino in einen Hain, in welchem die Tempel der Weisheit, der Vernunft und Natur stehen, ermahnen ihn standhaft, duldsam und verschwiegen zu sein und lassen ihn allein. Von einem Priester erfährt er daß Sarastro im Weisheitstempel herrsche und Pamina aus edlen Gründen, die ihm aber noch ein Geheimniß bleiben müßten, ihrer Mutter entrissen habe, auch ihm werde alles klar wer den


sobald dich führt der Freundschaft Hand

ins Heiligthum zum engen Band.


Nachdem unsichtbare Stimmen ihn getröstet und versichert haben daß Pamina lebe, ergreift er vor Freuden seine Zauberflöte, deren Ton Thiere aller Arten herbeilockt. Auf Papagenos Signal eilt er diesen aufzusuchen, der mit Pamina herbeikommt aber von Monostatos und seinen Sklaven überrascht wird; da nimmt Papageno zu seinem Glockenspiel seine Zuflucht, das alle unwiderstehlich tanzen und singen macht. Kaum sind sie dadurch von ihren Aufpassern befreit, als unter einem feierlichen Marsch und Chor Sarastro auf einem von sechs Löwen gezogenen Wagen von der Jagd zurückkehrt. Pamina bekennt ihm knieend daß sie vor den Liebesanträgen des Mohren habe fliehen wollen und bittet ihn um die Freiheit zu ihrer Mutter zurückzukehren; diese versagt ihr zwar Sarastro, aber er verzeiht ihr mit der moralischen Sentenz


[604] ein Mann muß eure Herzen leiten,

denn ohne ihn pflegt jedes Weib

aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten.


Indem führt Monostatos den von ihm eingefangenen Tamino herbei; sowie dieser Pamina erblickt, stürzt er auf sie zu und beide halten sich zärtlich umarmt. Zum Lohn erhält der Mohr wider sein Verhoffen »nur sieben und siebzig Sohlenstreich« von Sarastro dictirt, der zugleich befiehlt die Fremdlinge in den Prüfungstempel einzuführen und ihre Häupter zu bedecken, damit sie erst gereinigt werden.

Wenn man hier noch die Spuren der alten Anlage erkennt – denn die Wirkungen der Zauberinstrumente, der böse Mohr, selbst der Löwenwagen gehören offenbar nicht ursprünglich in den Weisheitstempel –, so ist man im zweiten Akt ganz auf freimaurerischen Boden versetzt. Sarastro erklärt in der Versammlung der 18 (3×6) eingeweihten Diener der großen Götter Isis und Osiris21, daß der tugendhafte Prinz Tamino an der Pforte des Tempels wandle und ins Heiligthum des größten Lichts zu blicken wünsche; er rühmt ihm auf die Frage der Eingeweihten Tugend, Verschwiegenheit, Wohlthätigkeit nach und dankt der Versammlung, die ihm durch dreimaliges Blasen in ihre Hörner zustimmt, gerührt im Namen der Menschheit. Denn wenn Tamino mit Pamina vereinigt zu den Eingeweihten gehört, wird er das Vorurtheil welches durch Blendwerk und Aberglauben besonders [605] durch ihre Feindin, die Königin der Nacht22, gegen sie erregt ist und ihren festen »Tempelbau« zu zerstören sucht, zerstreuen und der Tugend Lohn, dem Laster aber Strafe sein. Zwar macht ihn »der Sprecher« auf die Strenge der Prüfungen aufmerksam, er sei Prinz – »noch mehr, er ist Mensch«, – er könne denselben erliegen – »dann ist er Osiris und. Isis gegeben und wird der Götter Freuden früher fühlen als wir.« Tamino und Papageno sollen in den Vorhof des Tempels eingeführt werden und der Sprecher soll kraft seines »heiligen Amts« als »Vertheidiger der Wahrheit« beide die Pflicht der Menschheit und die Macht der Götter erkennen lehren. Eine feierliche Anrufung an Isis und Osiris dem neuen Paar den Geist der Weisheit zu verleihen und sie in der Prüfung zu stärken und zu schützen schließt diese Scene, welche bis auf Ceremoniel und Schlagwörter freimaurerischen Charakter trägt.

Die Prüfungen beginnen, nachdem Tamino erklärt hat, daß er, von Freundschaft und Liebe getrieben, zu jeder Prüfung bereit sei um die Weisheitslehre und Pamina zu erwerben, Papageno um ein ihm ganz gleiches schönes Weibchen Papagena zu gewinnen sich gleichfalls zu einem Versuch verstanden hat; wobei denn vernehmlich genug darauf hingedeutet wird, daß in Tamino die edlere auf das Hohe gerichtete, in Papageno die beschränkte sinnliche Seite der menschlichen Natur ausgedrückt werde. Die [606] erste Prüfung ist die der Schweigsamkeit. Kaum sind sie in der Finsterniß allein, als die drei Damen der Königin der Nacht aufsteigen und ihre Furcht zu erregen suchen, was ihnen bei Papageno leicht gelingt, den der standhafte Tamino mit Mühe vom Plaudern zurückhält. Die Damen verschwinden auf den Ruf der Priester; der Sprecher belobt Tamino und verhüllt ihnen wieder das Haupt um »die Wanderschaft« (III S. 409) fortzusetzen.

Monostatos findet Pamina schlafend im Garten und ist eben im Begriff sie zu küssen, als die Königin der Nacht erscheint, Pamina weckt und ihr einen Dolch mit dem Befehl übergiebt sie an Sarastro zu rächen, der von Paminas Vater bei dessen Tode den siebenfachen Sonnenkreis der Eingeweihten und mit ihm den Talisman aller Macht erhalten hat, welche sie zu erlangen gehofft hatte; nur durch Sarastros Tod könne Pamina ihre Freiheit, Taminos Leben und die Liebe der Mutter erlangen. Monostatos, der gelauscht hat, entwindet Pamina den Dolch und droht sie zu verrathen, wenn sie ihm nicht ihre Liebe schenken wolle; auf ihre Weigerung versucht er sie zu tödten, als Sarastro hinzutritt, Pamina befreiet und ihr verspricht, an ihrer Mutter die edelste Rache durch das Glück der Tochter zu nehmen.

Tamino und Papageno werden in eine Halle geführt um dort schweigend zu harren bis Posaunenton sie ruft. Papageno kann nicht umhin mit einer Alten zu schwatzen, die ihm ein Glas Wasser bringt und zu seinem Entsetzen ihn ihren Geliebten nennt; ein furchtbarer Donner erschreckt ihn und er erholt sich erst wieder, als die drei Knaben ihm einen reich bestellten Tisch bringen, indem sie unter erneueter Warnung zu schweigen ihnen die Flöte und das Glockenspiel zurückgeben. Während er ißt, kommt Pamina, welche [607] Taminos Schweigen für einen Beweis ansieht daß er sie nicht mehr liebe, aber selbst durch ihre Klagen ihn nicht zum Reden bringt. Nach diesem Beweise von Standhaftigkeit wird er in die Versammlung der Eingeweihten geleitet, wo ihm Sarastro verkündet daß er noch zwei gefährliche Wege zu wandeln habe; man führt Pamina herein um ihm das letzte Lebewohl zu sagen, und zu ihrem größten Schmerz verweigert er auch jetzt noch mit ihr zu reden.

Papageno wird nunmehr vom Sprecher angekündigt, daß er zwar von der verdienten Strafe für sein Plaudern befreit werden, aber auch »das himmlische Vergnügen der Eingeweihten« nie fühlen solle. Damit ist dieser ganz zufrieden und wünscht sich nur einen Becher Wein und »ein Mädchen oder Weibchen«; die Alte erscheint und verwandelt sich in die junge Papagena um im selben Augenblick ihm entzogen zu werden.

Pamina, welche durch Taminos angebliche Abneigung in tiefe Schwermuth versenkt sich selbst erdolchen will, wird durch die drei Knaben zurückgehalten, welche sie trösten und sie Tamino zuzuführen versprechen. Dieser wird so eben von zwei geharnischten Männern mit der Anweisung


Der welcher wandelt diese Straße voll Beschwerden

wird rein durch Wasser Feuer Luft und Erden;

wenn er des Todes Schrecken überwinden kann,

schwingt er sich aus der Erde himmelan.

Erleuchtet wird er dann im Stande sein

sich den Mysterien der Isis ganz zu weihn.


zu den Schreckenspforten geleitet um den gefahrvollen Weg durch Feuer und Wasser anzutreten, als Pamina herbeieilt, der nun gestattet wird mit ihm diese Prüfungen zu unternehmen, welche sie unter dem Schall der Zauberflöte glücklich bestehen und dann von den Eingeweihten im Tempel mit feierlichem Jubel begrüßt werden. Papageno aber trostlos über [608] den Verlust seiner Papagena die er vergebens herbeiruft ist im Begriff sich zu erhängen, als die drei Knaben erscheinen und ihn an sein Glockenspiel erinnern, dessen Klang Papagena ihm wieder zuführt und durch ihren Besitz sein Glück vollständig macht. Indessen ist die Königin der Nacht mit ihren Damen von Monostatos geführt in das Heiligthum eingedrungen und verspricht demselben, wenn er ihr zum Sieg verhelfe, die Hand Paminas; allein ein furchtbares Unwetter verjagt sie, Tamino und Pamina in priesterlicher Tracht werden durch Sarastro im Kreise der Eingeweihten vereinigt:


die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht,

zernichten der Heuchler erschlichene Macht.


Es ist nicht nöthig an diesem Opernbuch Kritik zu üben, das geringe Interesse, welches die Handlung einflößt, die Inconsequenzen und Unwahrscheinlichkeiten sowohl in den Charakteren wie in den Situationen liegen klar zu Tage, der Dialog ist trivial und der versificirte Theil elende Reimerei, die nicht gebessert wird durch einzelne Abänderungen, wie man sie in Textbüchern und leider auch in der gestochnen Partitur vorgenommen hat. Daneben läßt sich aber große Bühnengewandtheit nicht verkennen, Schikaneder verstand es das große Publicum durch Zusammenstellung und Abwechslung mannigfacher theatralischer Effecte zu spannen und zu unterhalten, wie dies nicht allein der unerhörte lang andauernde und weit verbreitete Beifall des Publicums, sondern auch das Zeugniß eines großen Dichters23 und der unverkennbare Einfluß auf die Decorationsoper [609] bis auf den heutigen Tag beweisen. Wenn nun auch nicht zu leugnen ist daß es Mozarts Musik ist, welcher die Zauberflöte den Zauber verdankt, welchen sie damals wie heute über Jung und Alt, Gebildete und Ungebildete, mit dem Text, seinen Späßen und Geheimnissen und trotz derselben ausübt, so muß man doch zugestehen daß das Stück, wieviel ihm auch zu einem dramatischen Kunstwerke fehlt, doch dem Componisten für musikalische Darstellung vielfache und dankbare [610] Gelegenheit giebt. Wie hoch oder wie gering man aber auch den Werth der freimaurerischen Ansichten, welche hier in die Mysterien der Isis »hineingeheimnisset« sind, anschlagen mag, für Mozart, den wir als einen eifrigen Freimaurer haben kennen lernen, waren sie ohne Zweifel ein Motiv diese Partie mit tiefem Ernst aufzufassen, und die hohe Würde, der leuchtende Glanz, wodurch die Musik die Symbolik dieser Mysterien verklärt hat, haben sicherlich in seiner innigen Hingebung an die freimaurerischen Ideen ihren Grund.

Einen für die Eingeweihten deutlichen Hinweis darauf gab er in der Ouverture24 auf eine Art, die deutlich zeigt, wie er Anspielungen auf freimaurerische Symbolik und künstlerische Impulse zu unterscheiden wußte. Sie wird eröffnet durch ein kurzes Adagio, dessen feierliche Klänge die Erwartung einer bedeutenden Erscheinung von hohem Ernst erregen; die Posaunen, welche dem vollen Chor der Blasinstrumente zugesetzt sind, geben diesen Accorden einen Glanz und eine Fülle, wie man sie damals noch nicht gehört hatte. Das Allegro beginnt mit einem regelmäßigen Fugato über das Thema


23.

[611] dessen erste Takte an die von Clementi vor Kaiser Joseph gespielte Sonate (III S. 52)


23.

so bestimmt erinnern, daß man kaum bezweifeln kann, es sei eine bewußte Reminiscenz. Was ihn bewogen haben könne den alten Wettstreit gewissermaßen aufzunehmen und auf einem anderen Gebiet auszufechten läßt sich nicht sagen; indessen genügt die veränderte Rhythmisirung und die Fortbildung des Motivs, ganz abgesehen von der Ausführung desselben, um jeden Gedanken an eine Entlehnung aus Noth zu entfernen25. Nach dem regelmäßigen vierten Eintritt des ganzen Motivs beginnt ein freies Spiel mit einzelnen Theilen desselben und der Gegenmotive in den verschiedensten Nuancen des Ausdrucks, mit einer Leichtigkeit und Eleganz [612] welche keinen Gedanken an die contrapunktische Technik aufkommen läßt und nur die Vorstellung einer heiteren lebhaften Thätigkeit und eines wahrhaft leuchtenden Glanzes hervorruft. Nachdem mit einem wunderbaren Crescendo der Satz in der Dominante vollständig abgeschlossen ist, folgen von Pausen unterbrochen dreimal drei Accorde, nur von den Blasinstrumenten in mächtiger Steigerung vorgetragen26


23.

Es sind dieselben, welche nachher in der Versammlung der Eingeweihten ertönen, als Zeichen daß Tamino aufgenommen und zu den Prüfungen zugelassen werden solle, und in demselben sehr markirten Rhythmus wird in den Freimaurerlogen durch Klopfen oder auf andere Weise das zur Prüfung angemeldete Mitglied begrüßt27. Während der [613] Musikalische in diesen Accorden nur den feierlich mahnenden Ruf hört, der die Aufmerksamkeit spannt auf das was kommen wird, erinnern sie den Eingeweihten an die Prüfungen welche der Aufzunehmende zu bestehen hat um zum Licht vorzudringen. In dem nun folgenden Allegro wird das erste Thema wieder aufgenommen, aber nicht in regelmäßiger Fugenform, sondern in ungemein kunstvoller contrapunktischer Behandlung der verschiedenen Motive meistens in der Engführung durchgearbeitet. Schon diese Form der thematischen Bearbeitung macht bei weitem mehr den Eindruck eines zwar kräftigen und lebendigen aber mit Schwierigkeit und Mühe ringenden Bestrebens, derselbe wird aber noch sehr durch die Harmonie verstärkt, welche sich fast nur in den Molltonarten bewegt und durch überraschende Wendungen den düstern Charakter fast bis zum Aengstigenden steigert. Erst nach dem Eintritt der Haupttonart bricht die Klarheit wieder hervor, die sich dann allmählich zu dem prachtvollsten Glanz steigert, der zwar kurz vor dem Schluß durch einige frappante Schläge getrübt wild, aber nur um desto heller aufzuflammen, so daß man in einem wahren[614] Lichtmeer zu schwimmen glaubt28. Mag der Contrapunktiker an diesem unübertroffenen Meisterwerk deutscher Instrumentalmusik die gelehrte Arbeit und die geistige Herrschaft die mit allen Mitteln der Technik spielt bewundern, mag der Freimaurer sich an der Feinheit erfreuen, mit welcher der mystische Gedanke in das musikalische Gewand eingekleidet ist: der Triumph des genialen Künstlers ist es ein Kunstwerk geschaffen zu haben, welches, von der Gelehrsamkeit der Arbeit und dem Tiefsinn der Gedanken ganz abgesehen, als ein musikalisches Ganze auf den musikalischen Sinn unwiderstehlich wirkt, ihn zu angeregter Thätigkeit belebt und zu einer freudigen heiteren Klarheit erhebt29.

Daß Mozart die strenge musikalische Form für seine Einleitung in der bestimmten Absicht gewählt habe um auf den Ernst hinzudeuten, mit welchem er die Tendenz dieser Oper [615] auffaßte geht auch daraus hervor daß er sie da wieder anwendet, wo der feierliche Moment der Prüfung eintritt. Das Auftreten der geharnischten Männer, welche Tamino die oben mitgetheilten Worte, die als Inschrift in eine Pyramide eingegraben sind, einschärfen ehe er seinen gefährlichen Weg durch die Elemente antritt, wild nach einigen feierlichen einleitenden Takten durch einen imitirten Satz der Saiteninstrumente


23.

angekündigt, welcher in stetiger Durchführung als figurirte Begleitung zu dem Gesang der Männer beibehalten wird; der Cantus firmus aber, welchen beide im Einklang in der Octave, unterstützt durch Flöte, Oboe, Fagotts und Posaunen, vortragen ist die alte Choralmelodie »Ach Gott vom Himmel sieh darein« unverändert bis auf die Theilung der halben Noten in Viertelnoten, wo es der Text verlangte, und die von Mozart hinzugesetzte Schlußzeile30. Auch wer [616] die contrapunktische Kunst, mit welcher dieser Satz gearbeitet [617] ist, nicht bewundern kann31 und nicht ahnt daß er eine alte Kirchenmelodie hört32, wird den Eindruck eines tiefen Ernstes, einer mystischen auf ein dunkles Geheimniß hinweisenden Feierlichkeit empfangen, und eben dieser ist es, welchen Mozart der dramatischen Situation gemäß hervorbringen wollte und mit diesen musikalischen Mitteln aufs glücklichste erreicht.

Ganz abgesehen von dieser bestimmten Form hat aber Mozart es verstanden der Musik, welche sich auf die Mysterien und die Eingeweihten bezieht, einen ganz eigenthümlichen Charakter von Feierlichkeit zu geben, der bei einer sehr mannigfachen Nuancirung von mildem Einst bis zu leuchtender Verklärung im Wesentlichen mit merkwürdiger Consequenz festgehalten wird. In dieses Gebiet gehören auch die drei Knaben, welche zwar nach der oben erklärten Inconsequenz des Stücks von der Königin der Nacht ausgesendet werden, aber im Verlauf der Handlung sich als die sichtbaren Genien des Geheimbundes erweisen. Bereits im Quintett (6)33 nimmt die Musik bei der Ankündigung [618] des Geleits, das sie Tamino und Papageno geben werden, einen fremdartigen Ausdruck an, zu welchem der harmonische und rhythmische Bau34 ebenso wie die Instrumentation35 zusammenwirken, der auf die wirkliche Erscheinung derselben hindeutet. Der marschähnliche Satz, mit welchem sie zu Anfang des ersten Finale Tamino zu den Pforten des Heiligthums führen, erfüllt die im Vorigen erregten Erwartungen vollständig. Schon die Klangwirkung ist eine ganz außergewöhnliche, die hellen Knabenstimmen, von den Saiteninstrumenten ohne Contrabässe unterstützt, werden durch die vollen, leise angeschlagenen Accorde der Posaunen und gedämpften Trompeten und Pauken getragen und ein lang ausgehaltenes g der Flöten und Clarinetten breitet ein mildes Licht wie einen Nimbus über das Ganze. Die dreifache Mahnung »sei standhaft, duldsam und verschwiegen«, welche von den festen gehaltenen Tönen der [619] Blasinstrumente nachgerufen wird, steigert den feierlich bewegten Marsch, dessen Rhythmus sie unterbricht, zu hoher Würde und Kraft; die wenigen Takte welche Tamino singt lassen den ganz ungewöhnlichen Charakter dieser Erscheinung noch mehr hervortreten und mit der Wiederholung des Gesanges der Knaben wird der schon gewonnene Eindruck einer höheren Welt in der wir uns bewegen sollen nur lebhafter und fester. Eine solche Einleitung war nöthig um dem nun folgenden langen Recitativ, in welchem Tamino in seinem Vorurtheil gegen Sarastros Weisheit und Tugend durch den einen der eingeweihten Priester allmählich erschüttert und zweifelhaft gemacht wird, die rechte Grundlage und Haltung zu geben. In dem lebendigen, echt dramatischen Ausdruck, der die Gegensätze eines bewegten Gesprächs scharf bezeichnet und dabei doch den Grundton eines ruhigen Ernstes, welchen die ganze Umgebung, die würdige Gestalt des Priesters verlangen, festhält, sucht dieses Recitativ seines Gleichen; den Höhepunkt erreicht ihre Unterredung in der tröstlichen Verheißung des Priesters, die Decke werde schwinden


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welche noch zweimal wiederkehrt von unsichtbaren Männerstimmen und Posaunenaccorden gehoben, so daß sie die Bedeutung eines Orakels erhält, wozu dieser Ausdruck von Feierlichkeit, in dem sich die Gefühle der Rührung und Erhebung vereinigen, ungemein passend ist. So zeigt sich auch hier, wie das Bedürfniß einer musikalischen zum Abschluß führenden Steigerung mit der dramatischen Situation [620] ebenso wohl zusammenfällt als mit der mystischen Symbolik, die auch hier nicht zu verkennen ist. Indessen wird man hier nur bis an das Portal des Tempels geführt; Tamino ist, durch die Versicherung daß Pamina lebe getröstet und neu belebt, von der Weisheitslehre der Eingeweihten noch weit entfernt und nur von dem Gefühl der Liebe durchdrungen. Sowie er dieses lebhaft und innig ausspricht, wird der musikalische Ausdruck freier, leichter bewegt, insofern er die rein persönliche Empfindung wiedergiebt, ohne alle Beziehung auf jenen mystischen Hintergrund, und indem so zunächst der feierliche Ernst abgestreift wird, treten wir dem heiteren und jovialen Lebenselement unvermerkt wieder näher. Daß dabei auch die Zauberflöte ihre Rolle spielt und die lauschenden Thiere um Tamino versammelt hat allerdings mit der Situation wie sie vor uns liegt so wenig zu schaffen als mit der verborgenen Weisheit des Stücks, sondern ist aus dem ursprünglichen Mährchen stehen geblieben. Wahrscheinlich verdanken wir es Mozarts Abneigung gegen die Flöte (II S. 269), wohl auch dem Maaße der Virtuosität des Tenoristen Schack, der selbst Flöte blies, daß hier wie später die Flöte nur in sehr bescheidener Weise als Soloinstrument sich geltend macht, die schon deshalb nicht wie anderswo obligate Instrumente kunstreich angewendet werden konnte, weil ja Tamino selbst auf der Flöte spielen soll, die also nur in den Pausen des Gesanges, nicht mit diesem zugleich sich vernehmen lassen kann. Hier ist es eine liedartige, etwas frei behandelte Cantilene, zu welcher die Flöte die mäßig verzierten Ritornells und Zwischenspiele übernimmt; später während des Aufenthalts in dem dunklen Gewölbe hat Mozart das Flötenspiel ganz der Fantasie des Flötisten anheimgegeben, und nur während der Feuer- und Wasserprobe bläst die Flöte die Melodie eines feierlichen langsamen [621] Marsches, welcher durch die eigenthümliche Begleitung leise angeschlagener Accorde der Posaunen, Hörner, Trompeten und Pauken einen wunderbaren, fast unheimlichen Charakter bekommt36.

Die drei Knaben treten der durchgehenden Zahlensymbolik gemäß dreimal auf. Nachdem sie Tamino eingeführt haben, erscheinen sie ihm und Papageno, die im dunklen Gewölbe schweigend harren, und bringen ihnen zum Trost und zur Erquickung nicht nur die Flöte mit dem Glockenspiel, sondern auch Trank und Speise. Demgemäß ist auch dis musikalische Charakteristik leichter und heiterer, und Mozart, der den läppischen Worten nichts entnehmen konnte, hat sich an die Vorstellung einer lustigen lieblichen Erscheinung gehalten und einen kurzen Satz (17) von außerordentlicher Grazie und Anmuth geschaffen, dessen herzlicher Gesang durch die zierliche Violinfigur37 wie beflügelt wird, während die hellen Eintritte der Flöten und Fagotts zu dem vorherrschenden Saitenquartett den Charakter einer zarten Leichtigkeit eigenthümlich hervorheben.

Die dritte Erscheinung hat wiederum einen feierlicheren Charakter, die Knaben verkündigen (22) daß bald »der Aberglaube schwinden und der weise Mann siegen werde«; der musikalische Ausdruck nähert sich im Charakter der Melodie [622] und des Rhythmus dem ersten Satz38, die Instrumentation ist wie es sich hier schickt weniger glänzend, aber die Klangfarbe der combinirten Clarinetten Hörner und Fagotts hat eine ganz bestimmte Bedeutsamkeit erhalten39. Ihre Aufgabe ist Pamina vom Selbstmorde zurückzuhalten und zu trösten; indem sie dadurch in den Fortgang der Handlung verflochten werden, treten sie nothwendig aus dem geschlossenen Zauberkreis allegorischer Gestalten heraus und müssen sich vermenschlichen, wozu noch die musikalische Forderung hinzutritt daß sie sich der Pamina unterzuordnen haben; es kann daher nicht fehlen daß sie im Verlauf dieser Scene zwar nicht ihren eigentlichen Charakter aufgeben, aber um etwas herabstimmen um ihn biegsamer, beweglicher zu machen. Mit richtigem Takt hat Mozart es verschmäht an einer bestimmten äußerlichen Charakteristik derselben z.B. durch Instrumentation, harmonische und rhythmische Wendungen, streng festzuhalten, er folgt vielmehr hinsichtlich der Ausdrucksmittel ganz frei der Bewegung der Situation, an welcher sie Theil nehmen, versteht es aber sehr wohl an geeigneter Stelle ihre Eigenthümlichkeit scharf hervortreten zu lassen. Pamina wird dagegen von dem Augenblick an, wo sie dem Zureden der Knaben nachgiebt, ihnen näher gerückt, und so erhält das Ensemble, mit welchem diese Scene schließt, einen gehobeneren, edleren Ausdruck als den der [623] rein subjectiven Empfindung ihrer Sehnsucht nach dem Geliebten.

Eine ganz andere Art von erhebender Feierlichkeit spricht sich in den Scenen aus, in welchen Sara stro und die Eingeweihten ihr Wesen treiben. Darauf hingedeutet wird im ersten Finale, wo aber alles einen exoterischen Charakter hat. Der Marsch und Chor, mit welchem Sarastro empfangen, der Schlußchor, in welchem die Tugend und Gerechtigkeit des göttlichen Weisen gepriesen wird, zeichnen sich neben dem hellen Glanz und der lebendigen Heiterkeit nicht weniger durch Kraft und feierliche Haltung aus; ihnen durchaus entsprechend sind die Chöre, durch welche zum Schluß Tamino und Pamina nach überstandnen Prüfungen willkommen geheißen und der Sieg der Stärke gepriesen wird, den Schönheit und Weisheit krönen. Es ist der Charakter der Festlichkeit, welcher in denselben ausgeprägt ist, die sich glänzend und heiter, aber als eine aus edlem und kräftigem Streben hervorgehende, gehobene Stimmung offenbart, wie dies auch die Textworte anzudeuten suchen. Diese Chöre erheben sich schon durch Umfang und Behandlungsweise gar sehr über die damals gewöhnlichen leichten Opernchöre40, ungleich mehr aber durch die Bedeutung und Würde ihres Ausdrucks, welche durch die reiche Instrumentation glänzend hervorgehoben wird, der namentlich das Hinzutreten der Posaunen einen eigenthümlichen, damals der Oper fremden Charakter von hoher Feierlichkeit und Pracht verleiht. Und dennoch treten diese Chöre in keiner Weise aus dem Rahmen der Oper heraus, nirgends geht das Bestreben über dieselbe [624] hinaus auf ein Höheres hinzudeuten so weit, daß die Grenzen des Kunstwerks überschritten würden41.

Der esoterische Charakter der Mysterien kommt im zweiten Akt zur Geltung. Ein feierlicher sanfter Marsch (10) leitet die Versammlung der Geweihten auf die würdigste Weise ein. Eine ahnungsvolle Stimmung, die von einer milden Wehmuth angehaucht ist ohne weich zu werden und sich zum Schluß zu einer gewissen Energie erhebt, durchdringt diesen wundervollen Satz, der schon durch seine Klangfarbe einen unbeschreiblich rührenden Eindruck macht. Die Verbindung der Bassethörner mit den Fagotts bringt einen weichen, gedämpften Klang hervor, der durch eine Flöte heller und milder wird, während die vollen Accorde der Hörner und Posaunen demselben Macht und Fülle geben, ohne ihn laut und hart zu machen; die Saiteninstrumente vermitteln diese Elemente zur Einheit42. Dieselbe Klangfarbe um einige Nuancen tiefer schattirt – indem die Flöte weggelassen ist und von den Saiteninstrumenten nur die Bratschen und Violoncells [625] angewendet sind – rückt das darauf folgende Gebet (11) an Isis und Osiris in eine geheimnißvolle Dämmerung, aus welcher die einfache, ernst innige Melodie der kräftigen Baßstimme um so tröstender und eindringlicher hervorklingt, deren Schlußsatz vom Männerchor bekräftigend wiederholt wird, wobei es von unbeschreiblicher Wirkung ist, wenn der charakterische Gang des Sarastro


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eine Octave höher in die Mittelstimme verlegt erscheint. Die ernste Fassung, die wahrhaft religiöse Stimmung, welche sich in diesem Gebet ausspricht, genügt um zu beweisen, wie ernst Mozart, der Gott für das Glück dankte durch die Freimaurerei den Tod als den Schlüssel zur wahren Glückseligkeit kennen zu lernen (III S. 270), den tieferen Sinn auffaßte und auszudrücken sich bestrebte, welchen er in diesen Symbolen und Aussprüchen fand.

Wenn sich das Duett der beiden Priester (12), in welchem Tamino und Papageno ermahnt werden sich vor Weibertücken zu bewahren, in keiner Weise auf gleicher Höhe hält, und erst in den Schlußtakten bei den Worten »Tod und Verzweiflung war sein Lohn«, welche das Nachspiel nachdrücklichst hervorhebt, einen imposanteren Charakter annimmt, so liegt das hauptsächlich in den Worten, die nicht mit Gravität vorgetragen werden konnten ohne gradezu komisch zu werden; Mozart hat sie deshalb als einen freundschaftlichen Rath behandelt, nicht als priesterlichen Ausspruch43.

[626] Dagegen hat der zweite Priesterchor (19), welcher Tamino nach überstandner erster Prüfung begrüßt, ganz die hohe Würde und Feierlichkeit des ersten; wenn gleich Zweifel und Sorge jetzt beseitigt sind, so ist doch diese ruhige Zuversicht noch weit entfernt von der jubelnden Freude mit welcher der Sieger am Ziel begrüßt wird. Der Ausdruck dieser freudig gehobenen Stimmung erhält durch die männlich ernste Fassung einen unbeschreiblichen Charakter von Reinheit und Hoheit, der in einer anderen Weise klärt und erhebt als der tiefe Ausdruck des innigen Mitgefühls, welcher im ersten Chor hervortritt. Die Instrumentation in zweckgemäßer Modification unterstützt wiederum diesen Eindruck auf das trefflichste. Posaunen und Hörner halten den Ton des feierlich Imposanten fest, der durch die hinzutretenden Trompeten und die statt der Bassethörner gebrauchten Flöten und Oboen in der Mittellage heller und glänzender wird, wogegen die Saiteninstrumente durch die vorwiegend tiefe Lage mit einer eigenthümlichen Kraft einen ernsten Charakter geben. Richtige Einsicht bewährt Mozart auch durch die angemessene Kürze dieses Chors wie aller Musikstücke, welche diesen feierlich mystischen Ton anschlagen; in sich geschlossen und gerundet machen sie nicht allein einen mächtigen Eindruck sondern befriedigen auch die angeregte Stimmung, ohne durch zu lange Anspannung zu ermüden und den Reiz der ungewöhnlichen Charakteristik abzustumpfen.

Sarastro zeigt sich nicht allein in seiner hohenpriesterlichen Würde, obgleich er dieselbe nie ganz ablegt, sondern kehrt auch die gemüthliche Seite immer mehr hervor. So tritt gleich bei seiner ersten Erscheinung im Finale, wo zwar der Charakter der Instrumentation44 schon auf jene Feierlichkeit [627] hindeutet, das Väterliche vorwiegend heraus; der Situation gemäß bewegt sich auch der musikalische Ausdruck ganz frei, ohne Beziehung auf etwas symbolisch Typisches. Ihren eigentlichen Ausdruck erhält diese gemüthliche Natur in der Arie (16) »In diesen heiligen Hallen«45, bei der man wie bei manchem anderen Stück der Zauberflöte erst vergessen muß, wie oft man sie hat mißhandeln hören, um sich den ursprünglichen Eindruck rein zu vergegenwärtigen. Schon der einfache Charakter der Instrumentation, die leichte Behandlung einer liedartigen Cavatine beweist daß es hier nicht auf feierliche priesterliche Würde angelegt ist, der väterliche Freund spricht, von dem Gefühl edler Menschlichkeit bewegt, tröstende Worte zu dem jungen Mädchen das ihm vertrauet46. Mozart, der überzeugt war daß der Freimaurerorden in der That zu echter Menschenliebe und wahrer Freundschaft leite, hat mit aller Wärme und Innigkeit, und so einfach und schön, als könnte es eben nicht anders ausgedrückt werden, nicht die erbauliche Predigt des Textes in Musik gebracht, sondern dem edlen und hohen menschlichen Gefühl, auf welches er sie in seinem Herzen zurückführte, den reinsten und edelsten künstlerischen Ausdruck gegeben.

[628] Lebhafter spricht Sarastro eben diesen Charakter in dem herrlichen Terzett (20) aus, das durch seine Theilnahme den eigenthümlichen Charakter von hoher Ruhe bei einer lebhaft bewegten Situation erhält, die übrigens, wie wenige sonst in dieser Oper, wahrhaft dramatisch und musikalisch angelegt ist. Pamina wird hereingeführt um von Tamino, ehe er die letzten schweren Prüfungen antritt, Abschied zu nehmen; auch dies ist eine Prüfung, denn ihrer aufgeregten Stimmung soll er eine Fassung und Zurückhaltung entgegensetzen, welche sie als Mangel an Zärtlichkeit noch schmerzlicher empfindet, und selbst dadurch darf er sich nicht hinreißen lassen; zwischen ihnen steht Sarastro tröstend und an die Pflicht mahnend, wie eine höhere Macht die beider Geschick lenkt. Die Aufgabe diese widerstrebenden Elemente des leidenschaftlichen Schmerzes, des tiefen durch festen Willen bezwungenen Gefühls, der unbeugsamen ernsten Mahnung zu einem Ganzen zu verschmelzen hat Mozart dadurch gelöst daß es ihm gelungen ist den musikalischen Ausdruck der Empfindung der Theilnahme und des Mitgefühls, welche alle drei innig mit einander verbindet, zu dem alles durchdringenden Grundton zu machen, daß er wie das belebende Blut durch alle Adern strömt und in jeder Bewegung als das treibende Element erscheint47. Die [629] Contraste scharf hervorzuheben war die leichtere Aufgabe; Pamina und Sarastro stehen einander schroff gegenüber, Tamino der Situation gemäß bald dieser bald jener Seite mehr zugewandt bildet eine natürliche Vermittelung; es ist musikalisch äußerst günstig daß auch das Verhältniß der Stimmen diesen Bedingungen so genau entspricht, wie der naturgemäße Fortschritt der Empfindungen der Forderung einer musikalischen Steigerung. Daß nun für jede Nuance immer der treffendste Ausdruck durch die einfachste oder künstlichere musikalische Form wie von selbst sich einstellt, daß der Zuhörer sich forttragen läßt in dem Gefühl, als finde seine eigene Empfindung dort ihren wahren Ausdruck, das ist der schönste Beweis tiefer Auffassung und vollendeter Darstellung. Die überaus einfachen äußeren Mittel, welche Mozart hier den sonst so reichen und sein berechneten Orchesterkräften gegenüber anwendet, zeigen nicht allein wie viel er mit wie wenigem auszurichten vermochte, sondern wie richtig er fühlte daß der Ausdruck eines rein psychischen Vorganges eines besonderen Colorits nicht bedürfe48.

Die Partie des Sarastro, welche alle Mittel einer eigentlichen tiefen Baßstimme zur Geltung bringt49, war nach [630] einer anderen Seite hin eine neue Schöpfung wie die des Osmin. Hatte diese im Buffo der italiänischen Oper ein Vorbild gehabt, so ist Sarastro ohne eigentlichen Vorgänger, denn die Anstandsrollen welche in der italiänischen Oper den Bassisten zufielen sind damit so wenig zu vergleichen als Baritonpartien wie Almaviva und Don Giovanni. Dem leidenschaftlichen Charakter derselben grade entgegengesetzt ist die männliche Würde und ernste Ruhe des Weisen und des Herrschers, welche durch Sarastro repräsentirt wird, und die für die musikalische Darstellung sehr viel weniger dankbar sein würde, wenn nicht Mozart, der hier seine echt deutsche Natur bewährt, auf die Quelle derselben im Gemüth zurückgegangen wäre. Ganz unverkennbar ist die so stark hervortretende Gemüthlichkeit, die einem hohen Idealismus in manchen Beziehungen Abbruch thun kann, eine eigenthümliche Aeußerung des deutschen Charakters und wird auch durch die fremdartige Symbolik nicht wesentlich geändert. Für den schlichten, herzlichen Ausdruck dieser leidenschaftslosen, aber innigen Empfindung des Guten und Edlen, des Wohlwollens und Vertrauens, wie sie das Gemüth eines durch den Ernst des Lebens gereiften Mannes hegt, bildete Mozart das musikalische Organ in der kräftigen sonoren Baßstimme aus und gewann damit ein neues wesentliches Element der dramatisch-musikalischen Charakteristik.

Das Hineintragen der Freimaurer-Mysterien in das alte Mährchen hat auf die Entwickelung der handelnden Personen, die dadurch in ihrer freien Bewegung gehemmt werden, keinen guten Einfluß geübt, besonders ist Tamino [631] dadurch zu Schaden gekommen. Zwar tritt er gleich zu Ansang nicht eben heldenmäßig auf, allein er zeigt sich als einen lebhaft empfindenden Jüngling, der entschlossen ist durch Kampf und Gefahr dem Recht den Sieg und sich die Geliebte zu gewinnen. Nach dem ursprünglichen Gang der Handlung würde er nun auch Gefahren zu bestehen haben, in denen er Kraft und Muth beweisen muß; jetzt wird er auf eine uns nicht recht begreifliche Weise zum Glauben an Sarastro bekehrt, und daß seine Prüfungen hauptsächlich im Schweigen bestehen ist für ihn als Tenoristen und Liebhaber gleich ungünstig, da es nicht einmal zu einem rechten Liebesduett kommt; der dunkle Keller und das Wandeln durch Feuer und Wasser sind für den Zuschauer nicht sonderlich ängstigend und das lobenswerthe Streben nach Tugend und Weisheit ist zu abstract um lebhaft zu interessiren. Und dennoch hat Mozart nach diesen farblosen Umrissen die lebenswarme Gestalt eines von jugendlicher Begeisterung für alles Edle erfüllten, in schwärmerischer idealer Liebe erglühenden Jünglings mit Meisterhand gebildet. Gleich in der ersten Arie (4) ist der Ton angeschlagen der durch das Ganze hindurchklingt. Daß beim Anblick eines schönen Frauenbildes die Liebe unwiderstehlich sich eines Herzens bemächtigt, das nun wie mit einem Schlage umgewandelt und zu einem neuen Leben erweckt ist, das mögen wir dem Wort des Dichters glauben, die Töne des Musikers, wenn er die rechten findet, tragen das Wunder in die Seele des Zuhörers daß er es in sich mit erlebt. Und wie hat Mozart diese Töne getroffen. Nachdem das Orchester zweimal wie aufgeseufzt hat, strömt aus voller Brust wie eine beseligende Verkündigung


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[632] Aber dieser erste beglückende Eindruck ruft unruhige Gefühle hervor50, Zweifel und sehnsüchtige Wünsche, deren Erfüllung ihm so sicher wird als das Gefühl welches ihn durchströmt. Die Entwickelung dieses einen starken Gefühls durch seine verschiedenen Momente bedingt die Form der musikalischen Darstellung, welche ganz einfach jeder einzelnen Wendung folgt, den Faden abbricht, wieder ansetzt, ohne in eine längere Melodie auszuströmen; vielmehr ist das ganze Stück eine einzige, aus verschiedenen ebenmäßig gebildeten Phrasen wohl gegliederte Cantilene, die nur zum Schluß ein zu Anfang berührtes Motiv wieder aufnimmt51. Es leuchtet ein, wie sehr diese freiere Gestaltung hier am Ort ist, wo ein freier Erguß der plötzlich angeregten Empfindung wiederzugeben war, und die Reinheit und die Fülle des zuerst in einer Jünglingsbrust erwachenden Gefühls der Liebe ist nie schöner [633] und inniger ausgedrückt. Stürmische Leidenschaft, heiß verlangende Begierde sind dem bis dahin von keiner Liebe berührten Jüngling fremd, und so ist auch die Mäßigung, welche später Taminos hervortritt, schon hier eine durch die natürliche Entwickelung gebotene. Ungemein charakteristisch ist sodann das schon vorher besprochene schöne Recitativ, in welchem die ideale warme Begeisterung und der edle Sinn des verständigen Jünglings gleichmäßig ausgesprochen werden, so daß der ruhigere Ausdruck der schon geläuterten Liebesempfindung einen trefflichen durchaus berechtigten Abschluß bildet52.

Das Liebesverhältniß selbst erhält durch den weiteren Gang des Stücks, indem es eingeordnet wird in den Kreis der Mysterien und sogar den Prüfungen dienen muß, einen [634] eigenthümlichen Charakter53. Pamina54, welche anfangs Papageno gegenüber sich nur als ein muntres, lebhaftes junges Mädchen äußert und ihre eigentliche höhere Natur zu entfalten keine Gelegenheit findet, zeigt sich in ihrer wahren Gestalt erst, als sie Sarastro mit edlem Stolz und Freimuth entgegentritt, wo sie in wenigen ausdrucksvollen und schönen Zügen als ein durch hohe Würde und inniges Gefühl ihm ebenbürtiges Wesen dargestellt wird. Nur ein flüchtiger Moment ist es, in welchem die Liebenden einander zuerst sehen und von einem unwiderstehlichen Zuge getrieben sich in die Arme stürzen; der Ausdruck dieses hoch auflodernden Gefühls ist mit so einfachen Mitteln bewirkt und reiht sich musikalisch so genau in den ganzen Satz ein, dessen Grundton doch ein ganz verschiedener ist, daß man über den mächtigen Eindruck eines tief aus dem Herzen dringenden Jubels den diese einfachen Töne hervorbringen erstaunt. [635] Tamino und Pamina werden darauf sogleich getrennt und erst gegen den Schluß der Oper wieder vereinigt.

Wenn Tamino das beglückende Gefühl der in der Jünglingsbrust mit ahnungsvoller Begeisterung erwachenden Liebe ausdrückt, so ist dagegen die Qual eines in ihrer Liebe durch Zweifel beunruhigten zarten Mädchenherzens Pamina zugefallen. Der Funke, der beim Anblick Taminos in ihre Seele fällt, ist zu einer unauslöschlichen Flamme aufgelodert; durch sein abweisendes Schweigen im Innersten getroffen, wird sie an seiner Liebe irre und sieht nun jede Hoffnung auf Glück und Frieden schwinden. Den tiefen Schmerz eines brechenden Herzens wiederzugeben ist für die Musik keine schwierige Aufgabe, und je schärfere Accente sie setzen darf, um so leichter wird dieselbe. Allein nicht bloß ohne alle starken Drucker mit der größten Wahrheit und Innigkeit einen tiefen Seelenschmerz, sondern auch das eigenthümliche Gefühl eines Mädchens auszudrücken, das einen ähnlichen Schmerz nie empfunden hat, das so eben durch den mächtigen Pulsschlag der Liebe ihr eigenes Herz hat kennen lernen, welches ihr im selben Augenblick grausam zerrissen wird, das ist die Leistung des Meisters, wie wir sie in der Arie (18) »Ach ich fühls« vor uns haben55. Hier spricht nur der Schmerz, bittrer Schmerz; noch wird die Erinnerung an früheres Glück nicht zu einem wehmüthigen Genuß, aber der Stachel dieses Schmerzes ist auch noch nicht geschärft durch die Erinnerung an frühere durchgekämpfte Qualen, er kennt sich selbst noch nicht, nicht seine [636] Macht nicht seine Grenzen, alle Empfindung hört auf in der einen: er liebt mich nicht und alles Glück ist hin! Diese Empfindung ist ebenso fern von brütender Dumpfheit wie von aufschreiender Verzweiflung, sie ist das ungetrübte Gefühl des Wehs, welches ein jugendliches Gemüth noch rein zu empfinden vermag, und ist in ihrem Ausdruck so klar, so rein und spiegelhell, wie eine unschuldige junge Seele, die in den unbewachten Aeußerungen ihres Schmerzgefühles dem theilnehmenden Beobachter die Tiefe des Innern rückhaltslos erschließt. Vereinigt sich der ganze Zauber der reizend knospenden Jungfräulichkeit mit der Offenheit und Wahrheit eines unschuldigen Herzens im Aussprechen dieses tiefsten Seelenschmerzes, so blüht eine wahrhaft rührende Schönheit vor uns auf, deren musikalische Wiedergabe wohl nur Mozart so gelungen ist. Form und Mittel der Darstellung sind wiederum die einfachsten. Auch hier folgt der Gesang der Bewegung der Empfindungen in einem ungestörten Fluß ohne bestimmt abgeschlossne Motive hervortreten zu lassen; nur das ist wieder ein sehr seiner Zug daß dieselbe ausdrucksvolle Phrase, welche bei den Worten »nimmer kehrt ihr Wonnestunden meinem Herzen mehr zurück« in Dur aufgetreten war, zum Schluß mit den Worten »so wird Ruh im Tode sein« in Moll wiederkehrt. Die Singstimme tritt ganz in den Vordergrund, die Saiteninstrumente halten in der einfachsten Weise Harmonie und Rhythmus fest, einzelne Blasinstrumente (Flöte, Oboe, Fagott) lassen hie und da einen schmerzlichen Accent schärfer hervortreten; nur im Nachspiel wild das Orchester selbständig und drückt den quälenden Schmerz durch die syncopirten Rhythmen und chromatische Bewegung ergreifend aus56.

[637] Unter dem Eindruck dieser schmerzlichen Empfindung erfolgt dann die vorübergehende Begegnung der Liebenden vor Sarastro und den Eingeweihten welche in dem schon besprochnen Terzett (20) zur Darstellung kommt. Pamina, in der die Besorgniß vor den Gefahren welche dem Geliebten drohen sich zu dem Zweifel ob sie seine Liebe noch besitze gesellt, tritt in ihrer Aufregung in den Vordergrund und bestimmt wesentlich den Charakter des Tonstücks nach einer Seite hin; ihre Unruhe wird durch die tröstlichen Versicherungen Sarastros und Taminos nicht beschwichtigt; erst als der Abschied wirklich herannaht, vereinigt sich Tamino, der bis dahin auch musikalisch neben Sarastro stand, mit ihr. Nun steigert sich der Ausdruck ihres Gefühls in einer Weise, daß die Herbigkeit des Schmerzes gemildert und geklärt wird, je inniger sie sich ihm verbunden fühlt, und dem immer stärker andrängenden Treiben des Sarastro gegenüber schließen sich beide nur um so fester zusammen57. Die einzelnen Bewegungen in diesem Wellenschlage der Empfindungen sind mit außerordentlicher Feinheit und Tiefe wiedergegeben, wie wenn auf den leidenschaftlichen Ausbruch Paminas


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[638] auch Tamino seinen Schmerz nicht unterdrücken kann, so daß sie getheilt zwischen Freude und Schmerz ihm zuruft, während Sarastro fortdrängt


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oder wenn in der unvergleichlich schönen Stelle zum Schluß


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[639] die Töne wie die Herzen der Liebenden einander nachzueilen und zur innigsten Verschmelzung entgegenzustreben scheinen. Auch hier ist es wiederum bewundernswerth, mit welcher Sicherheit die gewöhnlichen Mittel musikalischer Darstellung am rechten Flecke angewandt sind um eine ungewöhnliche Wirkung hervorzubringen58; namentlich um durch die musikalisch interessante freie Stimmführung zugleich den dramatisch charakteristischen Ausdruck hervorzubringen.

Anstatt beruhigt zu sein durch diese Begegnung wird Pamina, sowie sie sich selbst überlassen ist, nur heftiger von Zweifeln bestürmt. Immer gewisser wird es ihr daß Tamino sie nicht mehr liebt und von aller Hoffnung verlassen ergreift sie den Dolch, welchen ihre Mutter ihr gegeben hat Sarastro zu ermorden, um ihrem eigenen Leben ein Ende zu machen. So finden wir sie zu Anfang des zweiten Finales »halb wahnwitzig« von den drei Knaben behütet. Es ist schon bemerkt, wie die Gegenwart derselben den leidenschaftlichen Ausdruck der Verzweiflung mäßigt, ferner hat Mozart wohl beachtet daß die Selbstmordsgedanken eines jungen Mädchens in ihrem ersten Liebeskummer anderer Art sind als eines durch lange Noth und schwere Kämpfe zu einem solchen Entschluß getriebenen Unglücklichen. Der Ausdruck ihres Schmerzes ist nicht mehr bloß klagend, er ist energisch und entschlossen, aber sie spricht ihn mit derselben Unbefangenheit, mit derselben Hingebung an dies eine Gefühl aus, wie es nur [640] jugendlichen Gemüthern eigen ist, die auch den Schmerz nicht überwinden sondern von ihm überwunden sein wollen; von Ueberlegung, von Kampf mit sich selbst ist keine Spur, das Aeußerste des Schmerzes erscheint unwillkührlich, als das Naturgemäße. Daher hat auch der musikalische Ausdruck bei größter Schärfe und Nachdrücklichkeit die vollste Klarheit und kommt nirgend in Gefahr zu verzerren; das Bild des lieblichen, unschuldigen jungen Mädchens bleibt unversehrt, und dieses wirkt auf das Gemüth des Zuhörers beruhigender als der Beistand der drei Knaben. Der Situation gemäß ist hier die Bewegung der Singstimme ganz frei, vorwiegend declamatorisch ohne doch den melodischen Charakter ganz aufzugeben59, die Zwischenreden der [641] drei Knaben halten den ganzen Satz fest in seinen Fugen. Auch das ist wohl begründet, daß Pamina der beruhigenden Versicherung der Knaben zwar leicht und gern Glauben schenkt, aber nun nicht in lauten Jubel ausbricht sondern in Freude und Sehnsucht zu Tamino verlangt, wobei ein innig weicher Ton angeschlagen ist


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der weit nachklingend durch die neuere Musik zieht60. Das höhere Element der Genien giebt dem Gefühl eine idealere Richtung, dem Ausdruck einen edleren Schwung, wodurch auch die unmittelbar folgende feierliche Prüfungsscene vorbereitet ist. Tamino, der entschlossen ist den gefährlichen Weg zu wandeln, wird durch Paminas Nahen, welche nun mit ihm die Prüfung bestehen darf, freudig überrascht. Das [642] Wiedersehen der Liebenden unter solchen Umständen, in dieser Umgebung, nimmt nothwendig einen eigenthümlichen Charakter an. Jede Regung irdischer Leidenschaft verstummt angesichts der Gefahr welche sie zu bestehen haben, als deren höchster Preis die Einweihung in die Mysterien erscheint, durch welche ihre Liebe erst gerechtfertigt, ihr Besitz dauernd gegründet sein wird. Die Grundstimmung der Liebenden ist daher in diesem Augenblick eine hochernste, feierliche, deren Ausdruck gehoben wird durch die Betheiligung der ernsten Wächter des Heiligthums, welche so eben erst dessen Satzung verkündigt haben. Das unwiderstehlich hervorbrechende Gefühl der Neigung aber, deren Innigkeit und Herzlichkeit nicht geschwächt, sondern geläutert und erhoben ist, giebt dem Ausdruck des Feierlichen einen tiefgemüthlichen, menschlichen Gehalt, und die jugendlich frische, anmuthige Individualität der Liebenden einen unbeschreiblich süßen Reiz, weil der Meister es vermochte alle diese Elemente zu einem lebendigen Ganzen zu verschmelzen, wie wir es in diesem Ensemblesatz mit Bewunderung genießen.

Ein solches Liebespaar, so ganz ideal und schwärmerisch in seinen Gefühlen, vermag seinen deutschen Ursprung und Charakter nicht zu verleugnen; nichts ähnliches wird man in den italiänischen Opern Mozarts finden, und auch Belmont und Constanze, obwohl ihrem Wesen nach von gleicher Natur, zeigen doch mehr von der menschlichen Leidenschaft. Mozart hat dafür auch eine andere Weise des Ausdrucks gefunden, nicht allein durch die freiere Gestaltung der Formen, sondern hauptsächlich indem er den Ton traf, der das deutsche Gefühl in seiner stillen und gefaßten Innigkeit und Wärme einfach und wahr wiedergiebt, der das idealistische Element desselben ohne Sentimentalität und Weichlichkeit ausdrückt.

[643] Den Vertretern einer edleren Menschlichkeit, wie Sarastro, Tamino und Pamina sie darstellen, gegenüber repräsentirt die Königin der Nacht das feindselige, rachsüchtige Princip. Daß sie ursprünglich zu der entgegengesetzten Rolle bestimmt war haben wir gesehen, und auch in der Art ihres Auftretens sind davon noch die deutlichen Spuren zu gewahren. Zu Anfang nämlich lernen wir sie nur als die tief gekränkte Mutter und die prächtige Herrscherin kennen und auch die musikalische Charakteristik deutet durch nichts auf ihre finstere und furchtbare Natur hin, was nicht fehlen könnte, wenn sie als solche hätte aufgefaßt werden sollen. Eine feierliche Einleitung kündigt, in einem mächtigen Crescendo aufsteigend während »die Berge sich auseinander theilen« die königliche Erscheinung an61. Auf[644] ein kurzes Recitativ folgt eine Arie in zwei Sätzen (5), die einzige in der Oper von dieser ausgeführteren Form, wozu vielleicht die hergebrachte Meinung von dem vornehmeren Charakter derselben etwas beigetragen hat. Der erste, offenbar langsamere Satz – er ist im Original ohne Tempobezeichnung – drückt in sehr einfacher und ergreifender Weise den Schmerz der Mutter aus, welcher man die Tochter geraubt hat, aber ohne in irgend einer Weise ein übermenschliches Wesen, sei es die gute Fee oder die Königin der Nacht, bestimmt zu charakterisiren. Ungleich schwächer ist das Allegro, denn nach einigen Takten von energischem Ausdruck verläuft es in eine lange Coloratur von ganz instrumentalem Charakter, an der nur auffallend ist daß solche, bis zum hohen


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gehende Passagen einer Sopranstimme zugemuthet werden. Offenbar hatte Mozart hier wiederum [645] aus Gefälligkeit gegen die »geläufige Gurgel« seiner ältesten Schwägerin, Mad. Hofer (III S. 140. 279ff.), die Arie geopfert. Daß eine Schwester von Aloysia Weber eine fabelhafte Höhe besaß kann man sich allenfalls denken; merkwürdig aber ist es daß Schröder, der sie im selben Jahr 1791 als Oberon sah, von ihr sagt (Meyer, Schröder II, 1 S. 85): »eine sehr unangenehme Sängerin, hat nicht Höhe genug zu dieser Rolle und erquickt sie; dabei reißt sie den Mund auf wie Stephanie d.ä.« Jedenfalls hat sie sich etwas darauf zu Gute gethan und mag auch einem Theil des Publicums damit imponirt haben; Mozart hat ihr ein noch größeres Opfer mit der zweiten Arie (15) gebracht, in welcher die Königin der Nacht ihrer Tochter Rache an Sarastro zu nehmen befiehlt. Die Anlage derselben ist frei und groß, der Ausdruck der leidenschaftlichsten Erbitterung gewaltig, die beiden Haupttheile musikalisch bedeutend und dramatisch charakteristisch, der Schluß wahrhaft pathetisch und überraschend, die durchaus hohe Lage der Singstimme gegenüber der starken und grell gefärbten Instrumentation von eigenthümlicher Wirkung – und Mozart hat es über sich gewinnen können eine solche Arie, die ein Muster hochpathetischer Darstellung sein könnte, durch zwei lange Coloraturpartien zu entstellen, welche zwischen die eigentlichen Theile der Arie eingeschoben sind, und nicht nur die Wirkung derselben aufheben sondern an sich, namentlich die wiederum bis zum


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steigenden Staccatostellen, unnatürlich und geschmacklos sind.

Dieser sternflammenden Königin dienen drei Damen zum Gefolge, welche aber von der furchtbaren Natur derselben nichts verrathen. Es ist nicht allein unverkennbar daß [646] sie ursprünglich als wohlwollende gute Feen gedacht waren, sondern die Art wie die Oper sie auffaßt hat etwas von Wielands oder Musäus Schalkhaftigkeit, wenn auch nicht ihre Feinheit und Grazie; was sie von dieser besitzen, verdanken sie lediglich Mozart. Gleich in der Introduction stellen sie sich so dar. Tamino stürzt in angstvoller Flucht vor einer furchtbaren Schlange62, welche durch das Orchester sehr lebendig ausgedrückt wird, auf die Bühne; in dem Augenblick, wo er besinnungslos zusammenstürzt, erscheinen die drei Damen und erlegen das Ungethüm63. Allein indem sie sich den schönen Jüngling betrachten fühlen alle eine [647] Regung der Zärtlichkeit, jede will bei ihm bleiben und die anderen mit der Botschaft zur Königin schicken; darüber gerathen sie in Streit, der endlich dadurch geschlichtet wild daß alle drei gehen, und mit einem zärtlichen Lebewohl verlassen sie den ohnmächtigen Tamino. In drei ziemlich ausgeführten Sätzen von verschiedenem Charakter, die sich sehr angemessen steigern, ist diese Situation mit ebensoviel Lebhaftigkeit als guter Laune ausgeführt, und obwohl diese Damen sich nicht als höhere Wesen verrathen, so bewegen sie sich mit soviel natürlicher Anmuth, daß die nicht grade sein angelegte Situation einen ungestört heiteren Eindruck macht64.

In ähnlicher Weise, obgleich nicht so lebhaft weil sie nicht allein sind, äußern sich die Damen in dem Quintett (6), in welchem sie Papageno von seinem Schloß befreien, ihm und Tamino Flöte und Glockenspiel überreichen und schließlich die Begleitung der drei Knaben versprechen. Man sieht, es sind auch hier noch wohlthätige Wesen welche schützende Wundergaben verleihen, allein eine höhere Natur wird auch hier erst da angedeutet, wo sie der[648] drei Knaben erwähnen, und hier weist der fremdartige geheimnißvolle Ton vielmehr auf die Knaben und ihre Beziehung zu den Mysterien hin. Uebrigens hat ihre neckende Vertraulichkeit Papageno und ihre galante Höflichkeit Tamino gegenüber durchaus den Charakter eines heiteren bürgerlichen Verkehrs und demgemäß hält auch die Musik durchweg einen gemüthlichen und jovialen Ton fest, der sich nur da über den einer leichten und lebendigen Conversation erhebt, wo die Verleihung der Wundergaben das Interesse höher spannt, aber mit einer großen Frische und Natürlichkeit einen außerordentlichen Reiz des Wohlklangs vereinigt.

Im zweiten Quintett (13) treten dieselben Damen allerdings als Widersacherinnen der Geweihten auf, aber ihr Charakter ist bereits so festgestellt daß sie auch hier nicht in futchtbarer Gestalt erscheinen können; sie haben die fraubasenhafte Aufgabe Tamino und Papageno zum Schwatzen zu verleiten und durch Einflüsterungen am Orden irre zu machen, was ihnen bei Papageno leicht gelingt, während Tamino sie zurückweist und jenen bei seiner Pflicht erhält. Es kam also auch hier nicht darauf an ein unheimlich düsteres Gemälde zu entwerfen, sondern das komische Moment der Situation nach den verschiedenen Richtungen hin ohne Uebertreibung zur Geltung zu bringen. Den Mittelpunkt bildet natürlich Papageno, den seine Schwatzhaftigkeit und Furchtsamkeit den Damen zuwendet, während er nur durch den Respect vor Tamino in Schranken gehalten wird, die Damen scheinen auch mehr Unterhaltung zu suchen als einen ernstlichen Zweck zu verfolgen, und so erhält selbst Taminos ehrenfeste Standhaftigkeit in dieser Umgebung unwillkührlich einen komischen Anstrich. Das Ganze trägt daher denselben leichten und heiteren Charakter, der den Damen auch vorher eigen war, erhebt sich aber nicht zu [649] einzelnen Momenten von solcher Bedeutung wie das erste Quartett; um so größer wirkt zum Schluß der Contrast der gewaltigen Accorde, unter welchen die Damen von den Geweihten verjagt mit einem Angstschrei verschwinden, Papageno zu Boden sinkt.

Die eigenthümliche musikalische Wirkung dieser Musikstücke beruht wesentlich auf dem Geschick, mit welchem die drei Frauenstimmen benutzt sind, welche richtig gestellt einen ebenso kräftigen als hellen Klang entwickeln. Es kam daher darauf an theils die einzelnen Sätze so anzulegen und die Motive so zu bilden, daß eine lebendige Bewegung und charakteristische Ablösung der Stimmen Statt findet – eine Kunst, die besonders in der Introduction auf mannigfache Art zur Geltung gebracht ist –, theils da wo sie zusammentreten die Stimmen in die jedesmal wirksamste Lage zu bringen und um die sonst unvermeidliche Monotonie der verwandten Stimmen zu vermeiden die einzelnen charakteristisch zu führen. Es ist interessant im Detail zu beobachten, wie sinnreich und geschickt immer neue Vortheile benutzt sind um die rechte Wirkung zu erzielen; ein durchgehendes Mittel ist die selbständige Führung der tiefen Stimme, welche meistens ihren eigenen Gang geht, während die beiden höheren Stimmen näher zusammenhalten, dadurch entsteht eine bestimmte, leicht faßliche Gliederung und charakteristische Lebendigkeit zugleich mit dem ergiebigsten Klange65. Wo die Männerstimmen hinzutreten erweitern sich natürlich die Combinationen theils durch Gegensätze theils in der Vereinigung, wovon namentlich das erste Quintett die schönsten und [650] reichsten Beispiele bietet. Auch die Instrumentation hebt in eigenthümlicher Weise die Wirkung der Singstimmen hervor. Im Ganzen ist sie der Natur der Sache nach leicht gehalten; um aber eine feste Grundlage zu bieten gehen häufig beide Geigen mit der dritten Stimme anstatt des Basses, während Blasinstrumente die oberen Stimmen unterstützen, wodurch eine eigenthümlich leichte, helle und doch kräftige Klangfarbe hervorgebracht wird. Uebrigens zeigt sich auch hier die größte Mannigfaltigkeit in der Nuancirung der Instrumentation; man darf nur das Allegretto 6/8 in der Introduction mit den beiden anderen Sätzen derselben vergleichen, oder im ersten Quintett die Stellen »Bekämen doch die Lügner alle«, »o so eine Flöte«, »Silberglöckchen« und schließlich die Ankündigung der drei Knaben darauf ansehen, um sich zu überzeugen, wie reiche Mittel der feinsten Charakteristik und wirksamsten Steigerung in der Instrumentation angewendet sind und wie sich das Orchester stets mit den Singstimmen zu einem eigenthümlichen neuen Wohllaut vereinigt.

Zum Gefolge der Königin der Nacht gehört seinem Wesen nach auch der Mohr Monostatos, der nur durch die oft berührte Inconsequenz in der Umgebung des Sarastro geblieben ist und nun, damit auch die Figur des Verräthers am Orden nicht fehle, zum Ueberläufer gemacht ist. Er tritt nicht bedeutend hervor, weder im Terzett (7), in welchem er Pamina bedroht und dann vor Papageno erschreckt davon läuft, noch im ersten Finale, wo ihn erst Papageno tanzen und nachher Sarastro prügeln läßt. Aber er hat im zweiten Aufzug, als er Pamina schlafend überrascht, ein Lied (14) zu singen, welches ohne die Grenzen eines einfachen Liedes irgendwie zu überschreiten, ein Meisterstück psychologisch-dramatischer Charakteristik ausmacht. [651] Man glaubt zu fühlen wie die lüsterne Sinnlichkeit das Blut heiß durch die Adern jagt daß alle Nerven zittern, wenn man diese ganz leise rastlos fortrieselnde, prickelnde Musik hört, in der Melodie und Instrumentation auf merkwürdige Weise einander heben66.

Am schärfsten charakterisirt ist das Reich der Nacht bei dem letzten Auftreten, als die Königin mit ihren Damen von Monostatos geführt ins Heiligthum sich einschleicht um Rache zu üben. Das Motiv, welches dem Satz zu Grunde liegt


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ist ebenso bezeichnend für das unheimliche Heranschleichen als es geeignet ist für eine harmonische Durchführung, welche der Situation folgt, und der Anruf an die Königin der Nacht nimmt einen Ausdruck von düsterer Feierlichkeit an, der gegen den würdigen Einst der Eingeweihten sehr charakteristisch absticht.

Als das dritte Element neben den Geweihten und dem Reich der Nacht tritt Papageno auf. Auch die unvermeidliche Figur des lustigen Dieners bekam durch die Einführung der freimaurerischen Beziehungen eine etwas andere Färbung; die hauptsächlich an ihm hervortretenden Eigenschaften der Sinnlichkeit, Furchtsamkeit und Schwatzhaftigkeit, auf welchen die komische Wirkung beruht, machen ihn hier den [652] höheren Anforderungen und den Prüfungen der Eingeweihten gegenüber zum Typus des natürlichen Menschen, der ohne edlere Regungen zu spüren, sich durch sinnliche Genüsse befriedigt fühlt. Vielleicht hat man es diesen Anschauungen zu danken, wenn Papageno um ihn nur überhaupt in diese Verbindung bringen zu können sich bei weitem weniger gemein und geschmacklos zeigt als die meisten Kasperles und diesem verwandte Gestalten jener Zeit. Zwar ist er nur ein Spaßmacher, der sich von seinem Witz und echtem Humor in weiter Entfernung hält, allein seine Späße sind bei großer Einfalt gesund und natürlich und hängen unverkennbar mit einer Seite deutscher Sinnes- und Gemüthsart zusammen, die in ihrer Beschränktheit doch sehr mächtig ist, und es erklärlich macht wie Papageno der Liebling eines großen Theils des Publicums wurde und geblieben ist. Wenn auch Schikaneder, der sich diese Rolle auf seinen Leib zuschnitt, und sich später an dem Frontespice des neuen Schauspielhauses auf der Wieden, das er vom Ertrage der Zauberflöte erbaute, als Papageno darstellte, am Erfolg seinen Antheil hat, so fällt das wesentliche Verdienst auch hier Mozart zu, der es verstand der gemüthlichen Lustigkeit, wie sie unserem Volk eigen ist, den musikalischen Ausdruck in künstlerisch ausgebildeter Form so glücklich zu verleihen, daß was er dem Volk abgelauscht hatte von diesem bereitwillig wieder aufgenommen wurde. Denn daß Schikaneder ihm auch bei den Melodien geholfen haben soll, wird Niemand so verstehen, als sei er Mozarts Erfindungskraft zu Hülfe gekommen, am wenigsten wer eingesehen hat, daß eine einfache Melodie, ein einfaches Lied nicht ohne große und bewußte Kunst vollendet wird, und daß nicht das Gemeine und Rohe volksthümlich wird, sondern in schlichter Einfalt das Wahre und Schöne.

[653] Papageno zeigt sich zunächst in seinen Liedern, welche die echte Weise des deutschen Volksliedes seinem lustigen Charakter nach wiedergeben, munter und gutmüthig, ohne eine Spur leidenschaftlicher Erregung, ohne einen Schatten von Wehmuth, der ungetrübte Ausdruck des Wohlseins im behaglichen Genuß. Das erste Lied (3) »der Vogelfänger bin ich ja«, ist in seiner ganzen Anlage und Ausführung ungemein einfach, aber von einer äußerst glücklichen, unmittelbar eingehenden Melodie; die Begleitung erhält durch die Hörner, die hier wie im zweiten Lied mit ihren natürlichen Tönen und Gängen hervortreten, etwas recht Frisches und einen besonderen Spaß machen noch die Zwischenspiele der Rohrpfeife – nach ihm auch Papagenoflöte genannt –


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und des antwortenden Orchesters, welche später öfter wiederkehren. Das zweite (21) hat zwei durch Takt und Tempo unterschiedene Theile, ist aber übrigens ebenso einfach liedmäßig behandelt und trägt denselben Charakter behaglicher Lustigkeit, der die Grundlage seiner Popularität ist, wie jenes erste Lied; hat Schikaneder den glücklichen Impuls zu der musikalischen Conception gegeben (S. 564), so ist Mozart in der runden und präcisen Ausführung nicht zurückgeblieben. Die Begleitung hat hier eine eigenthümliche Zuthat durch das Glockenspiel Papagenos erhalten –, »eine Maschine wie ein hölzernes Gelächter« heißt es im Textbuch, istromento d'acciajo nennt Mozart es in der Partitur67[654] das sich ebenfalls in Ritornells und Zwischenspielen vernehmen läßt, mit leichten Variationen bei den verschiedenen Strophen. Dies Instrument war zuerst im ersten Finale laut geworden, wo Papageno dadurch die Sklaven des Monostatos zum Tanzen und Singen bringt. Dort tritt es in den Vordergrund, indem es die Melodie allein führt, die nur von den Saiteninstrumenten pizzicato begleitet wird, auch der Chor, der bald dazu einfällt, hat mehr den Charakter einer Begleitung welche Harmonie und Rhythmus hervorhebt; das Ganze ist bei der harmlosesten Einfachheit von allerliebstem Effect68. Zum drittenmal bewährt das Glockenspiel [655] seine Macht – auch die Zauberflöte wird dreimal gespielt – im letzten Finale, wo es dem verzweifelnden Papageno seine Papagena herbeirufen hilft. Die Natur des Instruments bedingt große Einfachheit der klavier- oder harfenartigen Behandlung69, die außer leichten Melodien und Accorden vorwiegend arpeggirend ist.

Die Hauptscene für Papageno ist im letzten Finale, wo er, nachdem ihm die kaum gesehene Papagena wieder entrissen ist, vor Liebeskummer endlich den Entschluß faßt sich das Leben zu nehmen – das Gegenstück zu der pathetischen Scene der verzweifelnden Pamina. Der Ausdruck der Gutmüthigkeit und einer, wenn auch nicht edlen, doch wahren Empfindung, welcher die musikalische Darstellung beherrscht, läßt die komische Situation nicht zu einer possenhaften werden. Die Behaglichkeit Papagenos ist einer lebhaften Unruhe gewichen, seine Noth und sein Schmerz spricht sich mit starken Accenten aus, zum Theil stärkeren als Mozart sie in ernsten Situationen anzuwenden pflegt; aber das Ganze hat den unverwüstlichen Charakter von Jovialität behalten, den eine solche Natur wie Papageno auch in der Noth nicht verläugnen kann, wie ein Kind bei aller Ernsthaftigkeit mit [656] der es seinen Herzenskummer ausdrückt dem Erwachsnen ein Lächeln abnöthigt. Dies Doppelwesen drückt z.B. die Violinfigur


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sehr charakteristisch aus, die in ihren schmerzhaften Windungen doch auch etwas Spielendes hat, das sofort hervortritt, wo sie sich in Durtonarten bewegt. Die Form dieser langen Scene ist ganz frei; ohne Takt und Tempo zu ändern geht die musikalische Darstellung den einzelnen Momenten der Empfindung genau nach, wobei declamatorische Stellen den meistens langgesponnenen melodischen Faden mitunter wirksam unterbrechen, am geeigneten Ort werden auch bezeichnende Wendungen wiederholt um das Ganze fester zusammenzuhalten. So kehrt die besonders durch die Führung der Mittelstimme charakteristische Stelle


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dreimal wieder mit den Worten »drum geschieht es mir schon recht!« »Sterben macht der Lieb' ein End«, und »Papageno frisch hinauf, ende deinen Lebenslauf!« Indessen wird dadurch weder die Rondo- noch sonst eine eigentliche Arienform hervorgebracht, das Ganze behält einen entschieden liedartigen Charakter. Erst am Ende, als es wirklich ans Hängen gehen soll, tritt langsameres Tempo und ein so düsteres Moll ein, als würde es nun der bitterste Ernst. Da stellen sich[657] die drei Knaben hülfreich ein und erinnern ihn an sein Glockenspiel; auf der Stelle belebt dies seinen Muth und indem er dasselbe erklingen läßt, ruft er mit der Zuversicht einer kindlich herzlichen Freude sein Mädchen herbei70. Als er sich auf die Aufforderung der Knaben umsieht, steht sie da, und nun betrachten sich die beiden gefiederten Menschen mit Staunen und Freude, kommen allmählich näher, bis sie einander um den Hals fallen. Der komische Einfall dies durch das abgebrochene Pa-pa-pa, welches sie anfangs langsam, dann mit steigender Schnelligkeit einander entgegenrufen, bis sie mit Papageno! und Papagena! sich umarmen soll von Schikaneder ausgegangen sein71. Daß das Gefühl des Glücks welches sie in ihrer Wiedervereinigung empfinden sich sofort in der Vorfreude über viele bevorstehende kleine Papagenos und Papagenas ausspricht, sollte wohl nicht bloß ein scherzhafter Charakterzug unbefangener Naturmenschen sein, sondern auf die aus der Ehe hervorgehende Elternfreude [658] als das »höchste der Gefühle« hinweisen; denn ursprünglich schloß das Duett mit den Worten


wenn dann die Kleinen um sie spielen

die Eltern gleiche Freude fühlen,

sich ihres Ebenbildes freun,

o, welch ein Glück kann größer sein?72


Mozart hat sie nicht componirt, offenbar, weil ihm hier die moralische Betrachtung nicht angemessen schien; er hat statt dessen eine wahrhaft kindliche Freude, die von sinnlichen Gelüsten gar nicht berührt ist, sondern in Luft und Scherz ihr volles Genüge findet, so lebendig und natürlich ausgedrückt, daß man mit den lustigen Leuten lustig werden muß. Hier ist denn auch das Mittel des raschen Sprechens am rechten Ort gründlich angewendet; wenn Papageno bis dahin fast nie hat zu Wort kommen können, hier läßt er seiner Zunge freien Lauf nach Herzenslust und seine neugewonnene Hälfte giebt ihm darin nichts nach, um die Wette treibt einer den andern vorwärts und kaum wissen sie ein Ende zu finden.

Das Gegenstück ist das Duett welches Papageno mit Pamina singt, nachdem er sie benachrichtigt hat daß Tamino von Liebe erfüllt zu ihrer Befreiung gekommen sei (8). Den Gedanken daß wahre Liebe Mann und Weib durch die [659] innigste Vereinigung der Gottheit näher führe, wie ungeschickt er auch ausgedrückt ist, hatte Mozart feierlich und würdig ausdrücken zu müssen geglaubt, aber Schikaneder verlangte grade hier etwas ganz Populäres. Er hatte nicht Unrecht, denn Papagenos Sphäre ist die einer natürlich einfachen Empfindung, nicht der aufgeklärten Moral, auch Pamina ist ein unerfahrnes junges Mädchen, die nur ihren Gefühlen folgt, und es entspricht der Situation daß sie in den durch Papageno angeschlagenen Ton einstimmt. Der große Stil wäre also nicht am Ort; obgleich man auch fragen kann, ob die ganze Betrachtung am Ort sei. Es wurde Mozart nicht leicht Schikaneder hier zu befriedigen, der jeden neuen Versuch schön aber zu gelehrt fand; erst beim dritten- oder nach anderer Erzählung beim fünftenmal73 traf Mozart den einfachen Ton warmer Empfindung, der nach Schikaneders Urtheil Jedermanns Ohr und Herz gewinnen mußte74. Er täuschte sich nicht; bei der ersten Aufführung war dies Duett das erste Stück welches Beifall fand, und ein Kritiker75 der sich ärgerte daß »das Gemozarte« im Jahr 1793 noch kein Ende genommen hatte, sah mit Verdruß »in Concerten sich die Köpfchen der Damen wiegen wie Mohnköpfe auf leichtem [660] Stengel, wenn das poetisch unsinnige Ding gesungen wurde: Mann und Weib und Weib und Mann (macht netto vier) reichen an die Gottheit an«76.

Es ist in der Natur wohl begründet daß eine Individualität wie die Papagenos durch ihre naive Gutmüthigkeit und Jovialität Einfluß auf die Personen äußert, mit welchen sie in Berührung tritt, sie ruft ein gewisses Entgegenkommen und, wo es nöthig ist, ein unbewußtes Herabsteigen unwillkührlich hervor und dies muß auch in der musikalischen Darstellung sich geltend machen. Wo Papageno auftritt, mag er lustig oder bekümmert sein, wird ein Ton herzlicher Gemüthlichkeit angeschlagen, der unwiderstehlich mit sich fortzieht. Am nächsten steht ihm durch Unbefangenheit der Empfindung Pamina, welche erst allmählich zum Bewußtsein ihrer höheren und edleren Natur kommt; daher sie wie in dem eben genannten Duett so auch im ersten Finale auf der Flucht sich im Ausdruck der von beiden getheilten Empfindung von Papageno nicht unterscheidet; eine markirte Charakteristik [661] ihrer Individualität würde den Totaleindruck beeinträchtigen ohne der psychologischen Wahrheit Gewinn zu bringen. Allein beim Nahen des Sarastro scheiden sie sich; während Pamina sich hier in stolzem Selbstgefühl aufrichtet, äußert Papageno auf die lebhafteste Art seine Angst, die ihn überhaupt am leichtesten aus seinem Gleichmuth bringt, wie sie ihm auch im ersten Quintett (6) sehr energische Aeußerungen entlockt, als er den Auftrag erhält Tamino nach Sarastros Burg zu geleiten. Im zweiten Quintett (13) wird seine Furcht durch Taminos Gegenwart gedämpft und der Verdruß nicht sprechen zu dürfen und nicht schweigen zu können gewinnt die Oberhand, wodurch er noch mehr als im ersten die Hauptperson der Situation bildet und den Charakter des Musikstücks wesentlich bestimmt.

Wenn in der Zauberflöte eine Person deutschen Charakter verräth, so ist es Papageno; trotz seines Federkleides ist dieser Naturmensch vom Wirbel bis zur Zehe ein wahrer Deutscher. Was ihn von den komischen Personen der opera buffa, namentlich von Leporello, der ihm äußerlich betrachtet am nächsten zu stehen scheint, wesentlich unterscheidet ist die Gemüthlichkeit, das unter allen Umständen naiv und offen hervorbrechende Gefühl, welche ebensosehr die Grundlage seines Charakters ausmachen wie sie jenen ganz, oder wenigstens insoweit fehlt daß die Individualität nicht dadurch bedingt wird. Die komische Wirkung Papagenos beruht im Grunde auf dem Contrast, in welchen ihn der Mangel an edlerer und seiner Bildung zu den von Natur vornehmeren und höher strebenden Menschen setzt, mit denen er in Verkehr kommt, und hier treten neben der guten Gemüthsanlage auch manche Züge hervor, die nicht ursprünglicher Einfalt sondern der Vernachlässigung der Cultur angehören, wie sie z.B. dem typisch gefaßten Handwerksburschen eigen sind, und die nur [662] zu leicht in rohe Gemeinheit ausarten. Die musikalische Charakteristik, welche in Papageno eine ganz neue Schöpfung hervorbrachte – denn Osmin ist aus einer ganz verschiedenen Grundanlage seines Wesens auch zu einer ganz verschiedenen Gestalt ausgebildet –, hat denselben vor allem jener untergeordneten Region, in welcher die Kasperles sich bewegten, dadurch gänzlich entrückt, daß sie einzig und allein auf das Gemüth zurückging und die unwillkührlichen, unmittelbaren Aeußerungen eines natürlichen wenn auch nicht edlen Gefühls, wie sie die Situation jedesmal hervorruft, in ihrer ganzen treuherzigen Einfachheit wiedergab. So wurde der musikalische Ausdruck ein im besten Sinne volksthümlicher, weil er nicht auf zufällige Einzelnheiten, am wenigsten auf solche die das wahre Wesen entstellen, gegründet ist, sondern auf das was im Herzen und Gemüth des Volks echt und wahr ist und nun durch die Seele und die Hand des Künstlers zur lebendigen Erscheinung wiedergeboren wird. Das schon wiederholt betonte deutsche Gepräge der musikalischen Form zeigt sich daher am allerfaßlichsten im Papageno, nirgends tritt die bereits (S. 23f.) angedeutete Verwandtschaft der Melodienbildung mit der in Mozarts Instrumentalcompositionen vorherrschenden so auffallend zu Tage wie in dieser Partie. Dabei zeigt sich aber außer dem allgemeinen durch die Natur der Sache bedingten Charakter des Liedhaften nirgends ein Bedürfniß durch Herbeiziehen bestimmter Formen, etwa des sonst beliebten Walzers oder anderer Tänze oder scharf ausgeprägter Wendungen nationaler Gesangsweisen, noch äußerliche Hülfsmittel der Charakteristik zu gewinnen. Alles was an hergebrachte, durch die italiänische Oper ausgebildete Formen erinnert ist vermieden und jeder fremde Einfluß abgeschnitten, dann aber rein aus deutscher Empfindung heraus die Form nach [663] Maaßgabe der allgemeinen die musikalische Gestaltung bedingenden Gesetze und der Forderungen der jedesmaligen Situation frei gebildet.

Dieses echt deutsche Wesen der geistigen und musikalischen Auffassung ist uns ebenso wie die daraus hervorgehende Freiheit in der Behandlung der Form, welche namentlich das engste Anschließen an die dramatische Bewegung zur Folge hat, auch bei der Betrachtung der meisten Hauptpersonen, von denen nur die Königin der Nacht zum Theil eine Ausnahme machte, entgegengetreten und offenbart sich schließlich als dasjenige, welches den eigenthümlichen Charakter der Zauberflöte als einer echt deutschen Oper begründet. Sie schließt sich an die Entführung an, indem sie den durchgehenden Grundton deutscher Empfindungsweise mit ihr gemein hat, aber sie führt nach zwei Seiten hin das dort Begonnene weiter. Wenn es damals darauf ankam das deutsche Singspiel aus seiner untergeordneten Sphäre auf eine Stufe mit der eigentlichen Oper zu erheben und die großen ausgebildeten Formen der letzteren dort heimisch zu machen, so war jetzt die Aufgabe von da aus zu eigenthümlichen dem einfachsten Ausdruck des Gefühls entsprechenden und für die dramatische Charakteristik volle Freiheit gewährenden Formen zu gelangen, und hierin ist Mozart in der Zauberflöte sehr weit vorgeschritten. Wir finden hier gar keine Arien nach hergebrachtem Zuschnitt außer den beiden Arien der Königin der Nacht, und wenn man die Weise, mit welcher in Così fan tutte und mehr noch im Titus die Arienform leichter und knapper behandelt ist, damit vergleicht, so wird man hier eine ganz andere Organisation der Arien wahrnehmen, welche weder auf eine Durchführung von Motiven noch auf das Rondo zurückgeht, sondern eine freie Erweiterung und Ausführung des Liedes ist. Auch in [664] den Ensemblesätzen tritt diese Freiheit der Gestaltung hervor, wie sie an dem schönen Terzett (20) schon nachgewiesen ist und besonders im ersten Quintett (6) klar wird, wo mit dem Verlauf der Handlung immer eine neue musikalische Gruppe eintritt, die in sich abgerundet doch nur ein Glied in der ganzen Kette bildet. Mehr geschlossen in der Form ist das zweite Quintett (13), wo die Damen mit ihren Versuchen Tamino und Papageno zum Plaudern zu bringen den natürlichen Mittelpunkt bilden, von welchem aus auch die musikalische Gliederung sich organisirt. Am meisten tritt die Freiheit der Bewegung in den Finales hervor; hier besonders macht sich die von Goethe gerühmte Kunst durch Gegensätze zu wirken geltend. Was die dramatische Anlage betrifft, so stehen sie allerdings hinter den Finales von Figaro, Don Giovanni, auch Così fan tutte bedeutend zurück; es ist nicht eine von einem Punkt ausgehende, mit Energie durch alle Verwickelungen forttreibende Handlung, welche sich vor uns entfaltet, sondern eine Reihe bunter Scenen, die durch den Faden der Begebenheit nur locker zusammengehalten werden und mehr durch den Wechsel der Situationen als die Stetigkeit ihres Fortschritts Interesse erwecken sollen. Die musikalische Gestaltung mußte daher auch mit größerer Freiheit verfahren um dieser raschen Bewegung zu folgen, im Einzelnen knapper zuschneiden und schärfer charakterisiren, nur selten bot sich die Gelegenheit durch die Durchführung eines bestimmten Motivs einen festgeschlossenen Satz, wie sie in den italiänischen Finales so häufig sind, zu bilden z.B. im ersten Finale das Allegro mit dessen Eintritt Monostatos Tamino hereinführt, im zweiten der Satz in welchem die Königin der Nacht auftritt. Diese wesentlich veränderte Behandlung läßt uns vor allen die unglaubliche Fruchtbarkeit Mozarts an neuen, ansprechenden [665] und charakteristischen Melodien bewundern, welche ihm für jede neue Situation immer wieder zu Gebote stehen; denn wer im Einzelnen nachgeht, wird erstaunen, wie selten Mozart sich mit einer bloßen Wendung begnügt, wie verschwenderisch er mit eigenthümlichen, völlig ausgebildeten musikalischen Motiven ist. Nicht minder bewundernswerth ist die Sicherheit und Geschicklichkeit, mit welcher er die verschiedensten Mittel der musikalischen Technik zu benutzen weiß sowohl um der Ausführung Leben und Interesse zu geben, als auch bei der größten Freiheit der Ausführung immer einen musikalisch fest gegliederten, deshalb leicht übersehbaren und faßlichen Organismus herzustellen. Im Innersten aber werden alle diese Einzelnheiten zusammengehalten durch die Einheit der künstlerischen Stimmung welche sie zu einem Ganzen macht.

Dies führt auf den zweiten Punkt in welchem die Zauberflöte über die Entführung hinausgeht. Während jene sich in einem sehr engen Kreis nicht bloß weniger Personen sondern auch der Situationen und Stimmungen hält, umfaßt die Zauberflöte ein weites Gebiet sehr verschiedenartiger Erscheinungen. An der eigentlichen Handlung betheiligen sich zwar auch hier nur wenige Personen, und die Situationen sind mehr mannigfaltig als in streng dramatischer Entwickelung aus einem Kernpunkt abgeleitet, allein neben menschlichen Empfindungen und Leidenschaften, welche in verschiedener Weise und Richtung zu wirksamer Darstellung gebracht werden, treten die Elemente des Wunderbaren und des Mystischen als neue und eigenthümliche hinzu. Das Mährchen, dem der Text entlehnt ist, eröffnet das Reich der Feen und der Geister, welchem die Königin der Nacht mit ihren Damen, auch Papageno seiner äußeren Erscheinung nach angehören. Dies tritt aber zurück, nachdem [666] das mystische Element sich geltend gemacht hat, in der Handlung wie in der musikalischen Charakteristik. Eine eigenthümlich phantastische Welt zur Anschauung zu bringen, in welcher die Feen sich bewegen, und ihrer Erscheinung ein ganz besonderes Colorit zu geben – wie später von Weber und Mendelssohn das Elfenreich charakteristisch ausgebildet ist – hat Mozart nicht beabsichtigt. Man hob damals im Mährchen nicht sowohl das Phantastische hervor, als daß man mit Bewußtsein Empfindungen und Anschauungen der Gegenwart hineintrug und dadurch, oft nicht ohne Ironie, im Mährchen ein Spiegelbild derselben gewann. Demnach ist auch die Königin der Nacht als Königin, als trauernde Mutter, als rachsüchtiges Weib aufgefaßt, und ihre Damen haben ihre Mitgift von Koketterie und Schwatzhaftigkeit bekommen. Dies weibliche Element tritt auch in der musikalischen Behandlung mehr hervor als das übernatürliche; die eigenthümliche Charakteristik der drei Damen beruht sichtlich auf den Bedingungen der rein musikalischen Darstellung. Die Aufgabe drei Sopranstimmen wirksam zur Geltung zu bringen, so daß sie ein eng zusammengehöriges Ganze bilden und doch individuelles Leben verrathen, rief eine eigenthümliche Behandlung derselben hervor, die wiederum eine besondere Verwendung des unterstützenden Orchesters nach sich zog; so entstand denn eine eigenthümliche und charakteristische Gesammtwirkung, auch ohne die Absicht etwas specifisch Feenhaftes hervorzubringen, wie man auch daraus abnehmen kann, daß keine typisch wiederkehrende Darstellungsmittel dabei angewendet sind. Ganz anders sind die drei Knaben behandelt, deren überirdische Erscheinung mit allen Mitteln musikalischer Charakteristik dargestellt ist, allein sie bilden auch den durch den Operntext freilich übel genug vermittelten Uebergang in die [667] mystische Region. Wie sehr nun Mozart bestrebt gewesen ist allem was dieser angehört den Charakter der Feierlichkeit, des Ernstes und der Innigkeit zu geben, wie er mit vollem Herzen und voller Ueberzeugung das Höchste und Edelste durch seine Kunst zu verklären sich bemühte, und wie vollständig der Erfolg war das ist bereits im Einzelnen nachgewiesen. Wir erkennen hierin aber nicht allein individuelle Ansicht und Empfindung; für das tiefe Bedürfniß geistige Aufklärung und sittliche Ausbildung in unzertrennlichem Verein, eine auf die andere gegründet, zu gewinnen suchte nicht Mozart allein in der Freimaurerei Befriedigung, die allgemeine und tiefgreifende Theilnahme für dieselbe war ein charakteristisches Zeichen der Zeit und ihrer Bewegung, und deutscher Sinn und deutsche Gemüthsart spricht sich auch in der Art, wie die Freimaurerei erfaßt, ausgebildet und angewendet wurde, vernehmlich aus. Mozart stand also auch hier auf nationalem Boden, grade das der Intention nach Edelste und Beste und der künstlerischen Darstellung nach Höchste und Bedeutendste ist echt deutsch empfunden, und je tiefer der Künstler sich in seinem Inneren angeregt fühlte, um so stärker und unmittelbarer hat er dem musikalischen Ausdruck den Charakter des Deutschen aufgeprägt. So ist es auch nicht zufällig daß er um den Moment des feierlichsten Ernstes zu bezeichnen eine alte deutsche Choralmelodie und eine Weise sie zu behandeln gewählt hat, welche ebenfalls in Deutschland heimisch war77. Es ist ein [668] Glück, daß die musikalische Darstellung das rationalistische Element, welches in dem allegorisirenden Wesen so erkältend wirkt, ihrer Natur nach bei Seite lassen mußte und allein aus dem tief bewegten und feierlich gestimmten Gefühl ihre Impulse schöpft. Hierin ist offenbar die Grundlage der musikalischen Schöpfung, von hier aus geht ein höherer Geist durch das Ganze, der auch dem an sich Unbedeutenden, dem Naiven und dem Lustigen einen Ausdruck giebt, welcher auch diese Elemente als dem Ganzen zugehörige empfinden läßt.

Allerdings hat das symbolische Wesen, welches überall so tief eingreift, auch darin seinen Einfluß gezeigt daß es die Schärfe der individuellen Charakteristik abstumpft. Dies offenbart sich schon in der Handlung, indem die Thaten welche man erwartet zu Prüfungen weiden. Die Chöre der Eingeweihten, welche eine so wichtige Stelle einnehmen, repräsentiren eine Allgemeinheit; auch die drei Damen, so wie die drei Knaben sind keine selbständigen Personen, sondern jede Gruppe bildet erst das Individuum, das wiederum eine Vorstellung repräsentirt; selbst die handelnden Personen haben durch die enge Beziehung auf eine Idee mehr von typischem Charakter bekommen als für die lebendigste [669] dramatische Charakteristik wünschenswerth ist78. In welchem Grade Mozart durch seine auch hier sich nirgend verleugnende Gabe treffender Charakteristik diese Schwierigkeiten überwunden und Situationen wie Personen lebendig und in greifbarer Anschaulichkeit hingestellt hat ist bereits im Einzelnen besprochen. Daß die Natur des dramatischen Stoffes und der dramatischen Behandlung im Figaro und Don Giovanni, theilweise auch in Così fan tutte und der Entführung, vielfach stärkeren Ausdruck der Leidenschaft, feinere Detailausführung und schärferes Hervorheben einzelner Züge erforderlich machte, während in der Zauberflöte mehr der Gesammtton hervortritt, ist unverkennbar, beweist aber zunächst nur daß Mozart jede Aufgabe in ihrer Eigenthümlichkeit erfaßte und ausführte79.

Einen bestimmenden Einfluß auf den musikalischen Ausdruck hatte natürlich vor allen der Umstand daß deutsche Worte zu Grunde lagen. Wie elend auch die Verse sind, so daß man meistens von der Fassung absehen und den Sinn der eigentlich ausgedrückt werden sollte heraussuchen muß um Mozarts Musik zu begreifen, so bilden sie doch die Basis für die musikalische Gestaltung. Die italiänische Opernpoesie, durch die lange Tradition geschult, führte durch ihre abgerundeten, [670] festen Gebilde unwillkührlich auch den Componisten zu den überlieferten Formen hin, die deutschen Verse ließen ihm freie Hand, weil sie ihm ein zwar vielfältig rohes, aber ebendeshalb keine bestimmte Form voraussetzendes Material darboten. Es ist bemerkenswerth daß das in den italiänischen Opern häufig angewandte Mittel der Charakteristik, die bildlichen Ausdrücke der Poesie, wo sie musikalisch wiederzugeben sind, namentlich durch Malerei der Instrumente hervorzuheben, in der Zauberflöte fast gar nicht vorkommt. Dies liegt zum Theil in der Verschiedenheit des poetischen Ausdrucks im Italiänischen und Deutschen, mehr wohl darin daß der sinnliche Klang der italiänischen Sprache den musikalischen Ausdruck energischer provocirt, am meisten darin daß in der deutschen Sprache das declamatorische Element richtiger Betonung und Verbindung dem deutschen Componisten nothwendig als die Grundlage des richtigen musikalischen Ausdrucks gelten mußte. Auch in dieser Beziehung ist die Zauberflöte der Entführung weit überlegen. Wenn man das Einzelne verfolgt – wobei freilich nur der Originaltext maaßgebend sein kann, der in der gestochnen Partitur wie in manchen Klavierauszügen willkührlich geändert ist –, so sieht man leicht, mit welcher Sorgfalt Mozart vor allem richtig und ausdrucksvoll zu declamiren, namentlich auch zu interpungiren bemüht ist.80 Einen ausschließlichen [671] Einfluß einem Element einzuräumen das nur mitzuwirken berechtigt ist wurde Mozart durch seine musikalische Natur bewahrt, die Melodie behielt ihr ungeschmälertes Recht, aber nur selten haben ihre Anforderungen das declamatorische Element zurücktreten lassen, kaum sind sie jemals damit in Widerspruch getreten; dagegen kann man an unzähligen Stellen wahrnehmen, wie grade dies genaue Beobachten des rhetorischen und declamatorischen Accents die eigenthümliche musikalische Fassung im Einzelnen und die freie Behandlung der Form hervorgerufen hat.

Eine ganz neue Stellung nimmt die Zauberflöte auch durch die Behandlung des Orchesters ein. Es ist nicht wie im Figaro und Don Giovanni mit der seinen Detailausführung einzelner Züge zur Vollendung der psychologischen Charakteristik angewendet, es ist auch nicht mit dem vorwiegenden Behagen am sinnlichen Wohlklange ausgebildet wie in Così fan tutte, es spielt hier gewissermaßen eine doppelte Rolle. In dem Theil der Oper, welcher vorwiegend rein menschliche Empfindungen darstellt zeichnet die Instrumentation sich in keiner hervorstechenden Weise aus. Es ist frei und selbständig in der Bewegung den Singstimmen gegenüber, aber leicht und durchsichtig gehalten, auch die Klangfarben sind mannigfaltig nuancirt der Situation und dem Charakter gemäß, aber sie sind in ihrer Mischung einfach, anspruchslos, bei weitem nicht so auf Reiz berechnet wie in Così fan tutte; kurz der Gesammtton des Orchesters ist, da wo es das gewöhnliche Thun und Treiben der Menschen darzustellen gilt, der welcher durch Mozarts Kunst der gewohnte geworden war. Wo aber das mystische Element hervortritt, da nimmt das Orchester einen ganz veränderten Charakter an. Hier kommen nicht allein ungewöhnliche Mittel, wie Posaunen und Bassethörner, zur [672] Anwendung, sondern durch verschiedene Combinationen und Mischungen wird ein fremdartiges Klangwesen hervorgerufen, das bei den reichsten Nuancirungen und der feinsten Abstufung von ernster Wehmuth bis zum leuchtenden Glanz doch den Grundton des Feierlichen und Erhabenen festhält, daß der Zuhörer sich in einer dem gewöhnlichen Treiben entrückten Sphäre gebannt fühlt. Hier sind nicht allein ungeahnte Kräfte des Orchesters in Wirksamkeit gesetzt, sondern die Macht desselben durch das Colorit zu charakterisiren war zuerst im Großen zur Geltung gebracht worden, und die Zauberflöte ist der Ausgangspunkt für alles was unsere nach dieser Seite hin so erfindungsreiche Musik geleistet hat. Nur darf man nicht vergessen daß das instrumentale Colorit bei Mozart ein Mittel neben anderen ist um die künstlerische Idee zur vollen Geltung zu bringen, nirgend den Anspruch macht diese allein auszudrücken oder gar sie zu vertreten.

Daß die Zauberflöte in ihrer ganzen musikalischen Conception, der Stimmung und Auffassung und der formalen Gestaltung nach echt deutsch ist, und daß die deutsche Oper in derselben zuerst alle Mittel der ausgebildeten Kunst mit Freiheit und Meisterschaft auf ihrem eigensten Gebiet zur Anwendung bringt, das giebt ihr die ganz eigenthümliche Bedeutung und Stellung auch unter Mozarts Opern81. Hat er in seinen italiänischen Opern das Erbtheil einer langen Tradition [673] übernommen und durch eigenthümliche Ausbildung gewissermaßen zum Abschluß gebracht, so tritt er mit der Zauberflöte auf die Schwelle der Zukunft und erschließt das Heiligthum der nationalen Kunst seinem Volke. Dieses verstand ihn, denn unmittelbar und allgemein drang die Zauberflöte ins Volk ein, wie wohl nie vorher ein musikalisches Kunstwerk und behauptet noch heute seinen Platz, und in welchem Maaße grade die Zauberflöte auf die Fortbildung der deutschen Musik eingewirkt hat das kann Niemand entgehen, der für die Entwickelung der Kunst ein Auge hat82.

Es ist überflüssig eine Statistik der Aufführungen der Zauberflöte in Deutschland zu geben; von Wien aus, wo sich allmählich alle Theater derselben bemächtigten83, ging [674] sie in wenigen Jahren über alle Bühnen, große wie kleine84, und machte rasch Mozarts Namen, namentlich auch in Norddeutschland,[675] populär85. Wie allgemein die Gunst war, welche sie fand, mag Goethe bezeugen, dessen Hermann, der einfache Bürgerssohn eines Landstädtchens, von einem Besuch beim Nachbarn erzählt


Minchen saß am Klavier; es war der Vater zugegen,

hörte die Töchterchen singen, und war entzückt und in Laune.

Manches verstand ich nicht, was in den Liedern gesagt war;

aber ich hörte viel von Pamina, viel von Tamino,

und ich wollte doch auch nicht stumm sein! Sobald sie geendet,

fragt' ich dem Texte nach, und nach den beiden Personen.

Alle schwiegen darauf und lächelten; aber der Vater

sagte: nicht wahr, mein Freund, er kennt nur Adam und Eva?


und Tieck, der im gestiefelten Kater den Besänftiger mit dem Glockenspiel und den Decorationen der Zauberflöte das empörte Publicum jedesmal zum allgemeinen Beifall hinreißen läßt. Noch heute sind Sarastro und Tamino unerläßliche Gast- und Proberollen, leider auch die Königin der Nacht für Sängerinnen vom hohen f; ist auch die Pracht der Decorationen und Maschinerien längst weit überboten und das Interesse an der Freimaurertendenz, das anfangs mitgewirkt [676] haben mag, nicht mehr lebendig, so ist doch die Zauberflöte auch jetzt noch im eigentlichen Sinne populär.

Auch in holländischer86, schwedischer87, dänischer88, polnischer89 Uebersetzung hat sie Glück gemacht; daß in Italien diese »musica scelerata ohne alle Melodie« noch weniger durchdringen konnte als Mozarts übrige Opern ist begreiflich, eben weil sie so echt deutsch ist90. Erklärlich ist es auch daß sie in London, wo sie im Jahr 1819 zuerst italiänisch91, dann 1837 in englischer Bearbeitung92, im Jahr 1840 von einer deutschen Gesellschaft deutsch93 gegeben wurde, auf der Bühne nur mäßig gefiel, während seit langer Zeit die einzelnen Musikstücke allgemein bekannt und beliebt sind94.

In eigenthümlicher Verunstaltung wurde die Zauberflöte im Jahr 1801 in Paris durch Lachnith unter dem Titel Les mystères d'Isis eingeführt95. Das Stück war gänzlich umgeändert, indem alles Wunderbare, z.B. die Zauberflöte selbst, und alles Komische herausgebracht, Papageno z.B. in einen weisen Schäfer Bochoris verwandelt war; natürlich wurde ein guter Theil der Musik dadurch gradezu parodirt, anderes mußte fortbleiben oder wurde ohne solchen Grund weggelassen z.B. das zweite Quintett, das Terzett, [677] der Chor »O Isis«, die Arie der Pamina u.a.m. Dieser Ausfall wurde ersetzt durch eingelegte Stücke aus anderen Mozartschen Opern, z.B. die Champagner-Arie aus Don Giovanni, welche als Duett, eine Arie aus Titus, welche ebenfalls als Duett verarbeitet war und mehr der Art. An der Musik selbst war ebenfalls die größte Willkür geübt. Der Schlußchor mit Sarastros Recitativ machte den Anfang der Oper, dann folgte das Terzett »Seid uns zum zweitenmal willkommen« von sechs Priesterinnen gesungen, hierauf ein Chor aus Titus (15) und nun die ursprüngliche Introduction. Monostatos Lied ward von Papagena (Mona), die erste Arie der Königin der Nacht von Pamina gesungen und das Duett »Bei Männern« ist zum Terzett gemacht. Es läßt sich danach denken wie sehr durch Zusetzen, Streichen, Aendern von Melodie und Harmonie im Einzelnen die Mozartsche Musik entstellt wurde. Die Aufführung rief eine lebhafte Gährung unter Kritikern und Liebhabern hervor96; nicht bloß Deutsche protestirten gegen die völlige Zerstörung eines einheitlichen Ganzen97, ein eingehender Aufsatz im Moniteur (1801 N. 337) wies das Ungehörige einer solchen Bearbeitung nach, deren Vertheidigung merkwürdig genug Cramer98 übernahm. Man nannte die Oper les misères d'ici, und sprach von der opération des dérangeur Lachnith99. Aber alle waren einig über die Vorzüglichkeit der [678] Ballets und Decorationen, des theatralischen Arrangements einzelner Scenen, die vortreffliche Ausführung durch Orchester und Chöre100, und dadurch ist wie es scheint bewirkt daß bis auf die neueste Zeit dies Ungeheuer in Paris auf der Bühne geblieben ist101.

Fußnoten

1 Der Chor »O Isis und Osiris«, die Papagenolieder, welche Schikaneder sich vorbehalten hatte, und das zweite Finale sollen seit dem 12 Sept. geschrieben sein (Treitschke Orpheus 1841 S. 246. Monatsschr. f. Theat. u. Mus. 1857 S. 445).


2 Al. Fuchs hat den ersten Theaterzettel abdrucken lassen (Wien. Mus. Ztg. 1842 S. 57 wiederholt A. M. Z. XLIV S. 366), der folgendermaßen lautet:

»Heute Freitag 30 Sept. 1791 werden die Schauspieler in dem k.k. privil. Theater auf der Wieden die Ehre haben aufzuführen zum erstenmale


Die Zauberflöte.

Eine große Oper in zwei Acten von Emanuel Schikaneder.

Personen


Sarastro Hr. Gerl

Tamino Hr. Schack

Sprecher Hr. Winter (Jos. Schuster)

Erster Priester Hr. Schikaneder d.ä.

Zweiter Priester Hr. Kistler (Weiß)

Dritter Priester Hr. Moll

Königin der Nacht Mad. Hofer

Pamina, ihre Tochter Mlle. Gottlieb

Erste Damen Mlle. Klöpfer

Zweite Damen Mlle. Hofmann

(Mad. Haselböck)

Dritte Damen Mad. Schack (Mad. Gerl)

Papageno Hr. Schikaneder d.j.

Ein altes Weib Mad. Gerl

Monostatos, ein Mohr Hr. Nouseul

Erster Sklav Hr. Gieseke (Helmböck)

Zweiter Sklav Hr. Frasel (Strassier)

Dritter Sklav Hr. Starke (Trittenwein).


Die Musik ist von Hrn. Wolfgang Amade Mozart, Capellmeister und wirklichem k.k. Kammercompositeur. Hr. Mozart wird aus Hochachtung für ein gnädiges und verehrungswürdiges Publicum und aus Freundschaft für den Verfasser des Stückes das Orchester heute selbst dirigiren.

Die Bücher von der Oper, die mit zwei Kupferstichen versehen sind, wo Hr. Schikaneder in der Rolle als Papageno nach wahrem Costum gestochen ist, werden bei der Theaterkasse für 30 kr. verkauft.

Hr. Gayl Theatermaler und Hr. Neßthaler als Decorateur schmeicheln sich nach dem vorgeschriebenen Plane des Stückes mit möglichstem Künstlerfleiß gearbeitet zu haben.«

Die drei Genien wurden von Nanette Schi kaneder, Matth. Tuscher und Handlgruber gespielt, an die Stelle des zweiten trat Frz. Maurer, der vier Jahre darauf den Sarastro sang. Die in Klammern beigesetzten Namen beruhen auf den Mittheilungen Treitschkes (Orph. S. 246f.); wahrscheinlich wurde bei diesen Rollen mitunter gewechselt.


3 Vgl. N. Ztschr. f. Mus. XLV S. 43. Daß Haydn durch seinen Beifall Mozart tröstete ist eine falsche Sage (Wien. Mus. Ztg. 1842 S. 58), da er in London war. Aber Schenck erzählt in seiner Autobiographie, welche Al. Fuchs handschriftlich besaß, daß er bei der ersten Aufführung einen Platz im Orchester hatte, und nach der Ouverture außer sich vor Entzücken bis an den Dirigentenstuhl kroch, Mozarts Hand ergriff und sie küßte, der mit der Rechten forttaktirend ihn freundlich ansah und ihm die Wange streichelte.


4 Unter dem 9 Oct. wird berichtet (mus. Wochenbl. S. 79): »Die neue Maschinenkomödie, die Zauberflöte, mit Musik von unserm Kapellm. Mozart, die mit großen Kosten und vieler Pracht in den Dekorationen gegeben wird, findet den gehofften Beifall nicht, weil der Inhalt und die Sprache des Stücks gar zu schlecht sind.« Die Aufführung war wohl auch daran Schuld, wenigstens im Jahr 1793 wurde »Mozarts treffliche Musik auf dem Theater des Schikaneder so genothzüchtigt daß man vor dem Jammer davon laufen möchte« (Berl. mus. Ztg. 1793 S. 142).


5 Treitschke (Orph. S. 248) bemerkt berichtigend, die Zauberflöte wäre damals zum hundert fünf und dreißigstenmal aufgeführt.


6 Ich habe auch für die hier berührten Verhältnisse mannichfache Belehrung meinem Freunde Dr. L. v. Sonnleithner zu danken.


7 Neue Opern für Schikaneders Theater waren


1789 Una cosa rara, zweiter Theil, Musik von Ben. Schack.

Das unvermuthete Seefest, Mus. von Joh. Schenck.

1790 Das Schlaraffenland, Mus. von Ben. Schack und Frz. Gerl.

Das Singspiel ohne Titel, Mus. von Joh. Schenck.

Die Wienerzeitung, Mus. von Ben. Schack.

1791 Oberon, Mus. von Paul Wranitzky.

Der Erndtekranz, Mus. von Joh. Schenck.

Die Zauberflöte.


8 Paul Wranitzky, geb. 1756 in Mähren, erhielt eine geistliche und musikalische Bildung und widmete sich in Wien, wohin er 1776 kam, ganz der Musik; er wurde 1785 Musikdirector bei der deutschen Oper und starb als solcher 1808. Vgl. Riehl mus. Charakterköpfe S. 244ff.


9 Wranitzkys Oberon wurde zuerst 1790 in Frankfurt bei der Kaiserkrönung mit großem Beifall gegeben. Schröder sah auf seiner Reise im Frühling 1791 diese Oper in Frankfurt, Mannheim, Wien und berichtet über die Aufführungen (Meyer, Schröder II, 1 S. 64. 76. 85), im October wurde sie in Hamburg gegeben (eb. S. 97). In Berlin, wo sie im Februar 1792 auf die Bühne kam, erfuhr sie eine strenge Kritik (mus. Wochenbl. S. 157f.). Auch später wurde sie noch mitunter wieder aufgenommen und ältere Dilettanten zogen sie dem Weberschen Oberon vor (A. M. Z. XXXI S. 643).


10 Der dritte Band dieser Sammlung von Mährchen erschien 1789. Der Verfasser von Lulu ist nach der Vorrede der Verfasser der Palmblätter, also – da Herder nicht gemeint sein kann – Liebeskind.


11 Das Mährchen ist später von Güntelberg zu einer dänischen Oper Lulu bearbeitet, die Kuhlau componirte (A. M. Z. XXX S. 540).


12 Diese drei hülfreichen Knaben mit ihren Sprüchen sind aus einem anderen Mährchen im dritten Theil des Dschinnistan »die klugen Knaben« entlehnt.


13 Devrient Gesch. der deutschen Schauspielkunst III S. 141ff. A. M. Z. XXIV S. 265ff. Meyer, Schröder, I S. 359f.


14 Dahin gehörte z.B. Kasperls Ehrentag, ein dialogirtes Feenmährchen mit Maschinen und Gesang von Hensler im Jahr 1789 aufgeführt, wo der Antheil der Musik sich auf einige kleine Chöre und die Begleitung bei dem Erscheinen überirdischer Wesen beschränkte.


15 Wenzel Müller, geb. 1767 zu Tyrnau, wurde 1783 Musikdirector am Theater in Brünn, wo damals ein reges musikalisches Leben war (Gyrowetz Selbstbiogr. S. 8f.), und nahm 1786 die gleiche Stellung am Marinellischen Theater ein, das er mit Opern in unerschöpflicher Fülle versah. Als seine Tochter, später Mad. Grünbaum, 1808 in Prag als erste Sängerin engagirt worden war, berief man ihn als Kapellmeister dorthin, allein er fühlte sich dort nicht am Platz und kehrte 1813 wieder nach Wien in seine alte Stellung und zu seiner alten Thätigkeit zurück. Er starb in Baden 1835. Außer vielen anderen Compositionen hatte er 227 Werke für die Bühne geschrieben, von denen manche wie das neue Sonntagskind, die Schwestern von Prag, die Teufelsmühle, bis zum Alpenkönig und Menschenfeind die Geschichte der komischen Volksoper in Wien bezeichnen. A. M. Z. XXXVII S. 783f. Riehl musik. Charakterköpfe S. 3ff.


16 Zur Charakteristik des Textes mag als ein harmloses Beispiel dienen daß auf die Rufe des Chors Armidoro! Kaspar Bita! das Echo antwortet d'oro! ita!


17 Die nächste Folge davon war daß im Jahr 1792 Pizichi oder Fortsetzung Kaspars des Fagottisten von Perinet und Wenzel Müller auf die Bühne kam, ähnlichen Zulauf fand und vom Verfasser »aus Dankbarkeit dem besten Publicum« gewidmet wurde.


18 Goethe sagt von seiner Helena (Gespr. m. Eckermann I S. 317): »Wenn es nur so ist, daß die Menge der Zuschauer Freude an der Erscheinung hat; dem Eingeweihten wird zugleich der höhere Sinn nicht entgehen, wie es ja auch bei der Zauberflöte und anderen Dingen der Fall ist.«


19 Pater Cantes, Cooperator bei den Paulanern auf der Wieden, soll aus Liebhaberei zu Schikaneders Opern die Gesänge verfertigt haben (Monatschr. f. Theat. u. Mus. III S. 444).


20 Daß Gieseke einen Hauptantheil an dem Text der Zauberflöte habe bestätigte mir auch Neukomm, der denselben als Schauspieler auf der Wieden gekannt hatte. Cornet erzählte, wie Seyfried im Jahr 1818 in einem Professor aus Dublin, der mit einer naturhistorischen Sammlung nach Wien gekommen war, den ehemaligen Choristen Gieseke erkannte und von ihm erfuhr, daß er der Hauptverfasser der Zauberflöte sei und aus Furcht wegen seiner Freimaurerei Unannehmlichkeiten zu erfahren Wien verlassen habe (Illustr. Familienbuch des öst. Lloyd II S. 119).


21 Die wesentlichen Züge des Ceremoniels, auch die Prüfungen mit Enthaltsamkeit und Schweigen, das Wandeln durch Wasser und Feuer finden sich bei Apuleius im Bericht über Lucius Einweihung in die Mysterien der Isis (met. IX, 21ff.). Bekanntlich hat man den Ursprung des Freimaurerordens auch in ägyptischen Mysterien gefunden und wenigstens in manchen Logen auch einzelnes Symbolische daher abgeleitet; vgl. Berl. Litt. u. Theater-Zeitg. 1783 S. 741ff.


22 Nicht allein der oft betonte Gegensatz zwischen Nacht und Licht, auch das Fernhalten der Frauen, die nicht nach »Wesen forschen sollen die dem weiblichen Geiste unbegreiflich sind« und nur unter der Führung weiser Männer ihre Bestimmung erreichen können, verräth freimaurerischen Charakter. Vgl. eine Vorlesung über den Nutzen der Geheimnisse in einer Loge gehalten an die Frauen, warum diesen der Orden verschlossen und geheim bleiben müsse (Teutsch. Mercur 1786 III S. 59ff.).


23 Eckermann Gespräche mit Goethe III S. 17f.: »Wir sprachen sodann über den Text der Zauberflöte, wo von Goethe die Fortsetzung gemacht, aber noch keinen Componisten gefunden hat, um den Gegenstand gehörig zu behandeln. Er giebt zu, daß der bekannte erste Theil voller Unwahrscheinlichkeiten und Spaße sei, die nicht jeder zurechtzulegen und zu würdigen wisse; aber man müsse doch auf alle Fälle dem Autor zugestehen, daß er im hohen Grade die Kunst verstanden habe durch Contraste zu wirken und große theatralische Effecte herbeizuführen.« Goethe machte, als er mit der Fortsetzung beschäftigt war, von der bekanntlich nur Bruchstucke fertig geworden sind, Wranitzky in einem Brief vom 24 Jan. 1796, den Treitschke bekannt gemacht hat (Orpheus S. 252) folgende Eröffnungen: »Der große Beifall, den die Zauberflöte erhielt, und die Schwierigkeit ein Stück zu schreiben das mit ihr wetteifern könnte, hat mich auf den Gedanken gebracht aus ihr selbst die Motive zu einer neuen Arbeit zu nehmen, um sowohl dem Publico auf dem Wege seiner Liebhaberei zu begegnen als auch den Schauspielern und Theaterdirectionen die Aufführung eines neuen und complizirten Stücks zu erleichtern. Ich glaubte meine Absicht am besten erreichen zu können, indem ich einen zweiten Theil der Zauberflöte schriebe; die Personen sind alle bekannt, die Schauspieler auf diese Charaktere geübt, und man kann ohne Uebertreibung, da man das erste Stück schon vor sich hat, die Situationen und Verhältnisse steigern und einem solchen Stücke viel Leben und Interesse geben. In wie ferne ich meine Absicht erreicht habe muß die Wirkung zeigen. Damit dieses Stück sogleich durch ganz Deutschland ausgebreitet werden könne, habe ich es so eingerichtet daß die Decorationen und Kleider der ersten Zauberflöte beinahe hinreichen, um auch den zweiten Theil zu geben; wollte eine Direction mehr darauf verwenden, so würde der Effect noch größer sein, ob ich gleich wünsche daß selbst durch die Decorationen die Erinnerung an die erste Zauberflöte immer gefesselt bleibe.« Er schreibt Wranitzky, daß es ihm sehr angenehm sein werde mit einem so geschickten Manne in Connexion zu kommen, und daß er gesucht habe »für den Componisten das weiteste Feld zu eröffnen und von der höchsten Empfindung bis zum leichtesten Scherz sich durch alle Dichtungsarten durchzuwinden« (vgl. Briefw. zw. Schiller u. Göthe 468ff. m. Zelter I S. 16f. II S. 93f. 106).


24 Die Partitur der Ouverture ist von André in einem genauen Abdruck des Originals, so daß die Abänderungen und Nachträge als solche zu erkennen sind, herausgegeben. Das Autograph der Oper, über welche Schnyder von Wartensee berichtet hat (N. Ztschr. f. Mus. XLV S. 41ff.), ist vollständig, auch mit den wenigen Extrablättern, bei André (Verz. 46); wie bei allen Mozartschen Partituren ist jede Nummer für sich geschrieben, zuerst die Singstimmen mit dem Baß notirt und die Instrumentation später nachgetragen. Gestochen ist die Partitur, im Ganzen correct, bei Simrock in Bonn.


25 In der Cäcilia (XX S. 132f.) ist das Thema einer Symphonie zu J. H. Collos Cantate Lazarus Auferstehung (Leipz. 1779) mitgetheilt


23.

in welchem Jeder auf den ersten Blick Anklänge an das Motiv unserer Ouverture erkennen werde – was mir kaum so scheint – während man darauf schwören möchte, daß Mozart die Cantate nicht gekannt habe.


26 Vgl. Marx Lehre v. d. mus. Kompos. IV S. 181ff.


27 Dadurch ist auch der wiederholt aufgeworfene Zweifel, ob nicht der zweite und dritte Accord zu binden sei, beseitigt (Allg. Wiener Mus. Ztg. 1842 S. 521. Niederrh. Mus. Ztg. 1856 S. 68. 89f. N. Ztschr. f. Mus. XLV S. 41), wie denn auch André im Vorbericht seiner Ausgabe darauf hinwies daß dieses »dem profanen Publicum nicht verständliche« feierliche Einleitungsadagio »an welches sich grade nur diese nunmehr gleichsam mystisch beginnende Bearbeitung anschließen konnte« durch die Bindung ganz entstellt werde. Noch schärfer hat Winter den Rhythmus accentuirt im Labyrinth, dem zweiten Theil der Zauberflöte, dessen Ouverture mit den Accorden


23.

beginnt, welche ähnlich mehrmals wiederkehren.


28 Nicht ohne Grund kommt auch Oulibicheff, der dieser Ouverture eine ausführliche Betrachtung gewidmet hat (III p. 400ff.), immer wieder auf die Vorstellung von Licht und Glanz zurück, welche unwiderstehlich durch dieselbe im Hörer hervorgerufen wird, wie dies unzweifelhaft von Mozart beabsichtigt war.


29 In Kochs Journal der Tonkunst (1795 I S. 103) wird Klage geführt, daß selbst der würdigste Gegenstand der Kunst, die Fuge, in gangbaren komischen Operetten herabgewürdigt werde. Männer von Geschmack und Geistesbildung hätten die Fuge nur da angewendet, wo es die Würde des Gegenstandes erlaubte, weshalb Graun nur zu seinem Cato in Utica eine Fuge zum Einleitungssatz gewählt habe. »Würden solche Männer« heißt es dann »sich wohl je haben bereden lassen zu glauben daß man noch in dem gegenwärtigen Jahrhunderte dieses höchste Meisterstück der Kunst vor einer Oper würde paradieren sehen, die halb komisch und halb ernsthaft sein soll und in welcher, um vermuthlich im ernsthaften Theile derselben das Wunderbare recht handgreiflich zu machen Narren und Weise mit dem Thierreich und allen Elementen gepaart ein Chaos bilden und in einer, die Dichtkunst unserer Zeit entehrenden Einkleidung sowohl dem guten Geschmack als selbst der gesunden Vernunft den Krieg ankündigen.«


30 Auf die Anwendung der alten Choralmelodie hat zuerst Rochlitz aufmerksam gemacht, nur nennt er den Choral »Aus tiefer Noth schrei ich zu dir« (A. M. Z. I S. 148f. vgl. S. 179, wo er den Irrthum verbessert), sowie Gerber (N. Lex. III S. 496) »Christ unser Herr zum Jordan kam« angiebt, und Zelter (Briefw. III S. 415. IV S. 354) »Wenn wir in höchsten Nöthen«; Verwechslungen, die wohl erklärlich und öfter berichtigt sind (Cäcilia VIII S. 134. A. M. Z. XLVIII S. 481). Die von Mozart behandelte uralte Melodie ist dem Liede »Ach Gott vom Himmel sieh darein« schon seit 1524 eigen (Winterfeld evang. Kirchengesang I Beil. 14. II S. VII. Tucher Schatz des evang. Kirchengesanges Mel. 236); er lernte sie ohne Zweifel aus Kirnbergers Kunst des reinen Satzes kennen, wo sie zweimal als Cantus firmus bearbeitet ist (I S. 237ff.). Dies kann man daraus abnehmen daß dort wie bei Mozart die Anfangsnote der zweiten Zeile statt


23.

um eine Terz erhöhet ist


23.

und daß ein von Mozart mit eingeflochtenes Motiv an ein von Kirnberger (eb. S. 243) bei der Bearbeitung des Chorals »Es woll uns Gott genädig sein« benutztes


23.

offenbar erinnert, wie auch Stadler (Nachtrag S. 12f.) bemerkte. Daß ihn die Melodie als Cantus firmus zu contrapunktischer Bearbeitung anzog beweist ein in der Notenbeilage VIII mitgetheiltes Skizzenblatt auf der k.k. Hofbibliothek in Wien, welches den Anfang einer anderen vierstimmigen Bearbeitung desselben enthält, die sich noch enger an Kirnberger anschließt. Nach der Mittheilung von Al. Fuchs (Wien. Mus. Ztg. 1842 S. 58) wäre dies das erste Musikstück, welches Mozart zur Oper entworfen hätte, womit wohl nur gesagt sein kann daß er eine fertige contrapunktische Arbeit dafür benutzt hätte. In der Originalpartitur ist der Satz zwar im Zusammenhange des ganzen Finale fortgeschrieben, aber man kann an der anfangs zierlichen, immer flüchtiger werdenden Handschrift deutlich sehen, daß er nach einer fertigen Skizze abgeschrieben ist.


31 Marx, der mit Recht diesen figurirten Choral nicht als eine eigentliche Choralfuge gelten läßt, macht auf den sinnreichen und ihrem Zweck entsprechenden Charakter dieser Figuralarbeit aufmerksam (Lehre v. der mus. Kompos. II S. 536f. 568).


32 Ob in der Wahl dieses Liedes noch eine besondere Freimaurerweisheit steckt kann ich nicht sagen; bemerkenswerth scheint daß auch in der maurerischen Trauermusik ein figurirter Cantus firmus angebracht ist (III S. 417). In Andrés handschriftlichem Verzeichniß sind (R) zwei Choräle »O Gottes Lamm« und »Als aus Egypten Israel« aufgeführt, Melodie und Baß von Mozarts Hand geschrieben; vielleicht bezogen sie sich auf ähnliche Studien.


33 Nach einer bekannten Anekdote (Nissen S. 559f.) bemerkte man bei Mozarts letzter Anwesenheit in Prag daß er einige Tage lang während des Billardspielens im Kaffehause ein Motiv mit hm hm leise vor sich hinsang, während andere spielten flüchtige Blicke in ein Buch warf das er bei sich trug und dann fortspielte; zu großem Erstaunen spielte er bald darauf in Duscheks Hause seinen Freunden dies Quintett vor, das mit dem ihnen so bekannt gewordenen Motiv beginnt. Es gehört mithin zu den Nummern, welche Mozart zuletzt componirt hat.


34 C. F. Becker hat (Hausmusik S. 37) auf einen Satz aus Joh. Kuhnaus 1696 erschienenen frischen Clavierfrüchten hingewiesen, dessen Thema mit dem Mozartschen Motiv eine auffallende Aehnlichkeit verrathe; dagegen hat Faißt (Cäcilia XXV S. 150) darauf aufmerksam gemacht daß diese Aehnlichkeit verschwinde, sobald man erwäge daß bei Kuhnau die melodisch geführte, von Mozarts Begleitungsfigur verschiedene Unterstimme das eigentliche Thema des fugirten Satzes sei, welches die an und für sich bedeutungslosen Oberstimmen nur harmonisch begleiten, während bei Mozart grade umgekehrt die Oberstimmen nach Melodie und Rhythmus die Hauptsache sind.


35 Zu dem von Mozart so selten gebrauchten Pizzicato der Saiteninstrumente treten Clarinetten – statt der bis dahin gebrauchten Oboen Fagotts und Hörner hinzu; zum Schluß beim Lebewohl, wo von den Knaben nicht mehr die Rede ist, lassen sich die Oboen wieder hören.


36 In dieser eigenthümlichen Zusammenstellung erkennt man eine Reminiscenz an die Stücke für Trompeten und Flöten, welche Mozart einst in Salzburg geschrieben hatte (I S. 586f.).


37 In der gestochnen Partitur ist sie S. 227 Takt 4 und 5 weggeblieben, die in der ersten Violine so zu schreiben sind


23.

38 Schaul fragt (Briefe üb. Geschmack S. 50f.), ob sich der Ansang dieses Finales, dem er eine schöne Melodie zugesteht, mit der gefunden Vernunft vertrüge, da drei kleine Knaben in so schweren Halbtönen singen müßten, daß es einem geübten Sänger schwer werde sie rein zu treffen.


39 Nicht ohne Absicht begleiten sie in dem Recitativ des ersten Finales Taminos Worte »der Lieb' und Tugend Heiligthum«, wo Mozart anfangs Flöten gewählt, dann aber mit Clarinetten vertauscht hat, die erst hier wieder eintreten.


40 Die Chöre im Idomeneo, durch ihre dramatische Bedeutung theilweise denen in der Zauberflöte noch überlegen (II S. 469ff.), stehen in der italiänischen Oper jener Zeit einzig in ihrer Art da.


41 Es ist schon darauf hingewiesen (II S. 395f.) daß eine gewisse Analogie mit den Chören zu König Thamos bestehe, die aber als selbständige Musikstücke in großer Ausführlichkeit behandelt sind, während hier außer der reiferen und höheren Formenschönheit auch die knappe Concentration der Kraft den vollendeten Meister zeigt.


42 Man erzählt daß Mozart einem Bekannten auf den Vorwurf, dieser Marsch sei aus Glucks Alceste (I sc. 3) gestohlen, lachend erwiedert habe, das sei ja nicht möglich, da er in dieser noch stehe. Es ist wohl denkbar daß er auf solche Art einen Zudringlichen abfertigte; denn in der That ist hier an eine nähere Uebereinstimmung als in dem treffenden Ausdruck einer sanften feierlichen Stimmung nicht zu denken. Andere haben auf die Aehnlichkeit mit dem letzten Marsch in Idomeneo (25, II S. 482) hingewiesen, und in gewissem Sinn könnte man den Marsch der Zauberflöte als eine Wiederaufnahme des dort angedeuteten Motivs betrachten, allein ohne daß er aufhört eine neue, durchaus originale Schöpfung zu sein.


43 Mozart hat das Tempo mit Allegretto bezeichnet, eine andere, wie es scheint, gleichzeitige Hand von welcher auch sonst manches zur Notiz des Dirigenten hineingeschrieben ist, hat statt dessen Andante gesetzt.


44 Hier zuerst werden die Bassethörner gebraucht.


45 Das Tempo war ursprünglich Andantino sostenuto, welches Mozart selbst mit Larghetto vertauscht hat.


46 Dagegen heißt es in einem Aufsatz über das Charakteristische der Tonarten (A. M. Z. XXVII S. 228): »Mozart hat zu dem Gesange Sarastros ›In diesen heiligen Hallen‹ das schreiende, helle, brennend gelbeE-dur gewählt und hier also das Feierliche auf seinen höchsten Pol getrieben. Der Gang der Melodie, die Art der Begleitung bewirken daß es sich vom Charakter des Priesterlichen, Esoterischen nicht losreißt; es ist ein Gesang, in welchem Höhe und Tiefe, wie im Charakter der Tonart durch die Instrumentirung, so auch in dem Gange der Singstimme vermahlt sind. Der Effect möchte dem zu vergleichen sein, wenn der Clerus einer Regel mit schwarzem Ordenskleid am hohen Fest auf einmal in gold- und silberglänzenden, farbenhellen Meßgewändern vor den Altar tritt.«


47 Die unruhige Bewegung, welche in der Situation herrscht, ist auf wunderbare Weise durch die durchgehende Begleitungsfigur


23.

wiedergegeben, welche auf den ersten Blick gewöhnlich erscheint, aber in der tiefen Lage von Bratschen, Violoncells und Fagotts vorgetragen, eine außerordentliche Macht hat und ein athemloses Treiben ausdrückt. Im ersten Takt war ursprünglich diese Figur auch den Geigen gegeben


23.

ist aber ausradirt und an ihre Stelle die nachschlagenden Viertel gesetzt, zu offenbarem Gewinn. Mozart ließ, wie ein Ohrenzeuge berichtet (A. M. Z. XVII S. 571) das erste Achtel dieser Figur etwas markiren und nahm das Tempo des Terzetts beinahe noch einmal so schnell als man später, durch die Bezeichnung Andante moderato verleitet, es zu nehmen sich gewöhnt hat. Bei Mozart, wie bei älteren Componisten, ist Andante (»in gehender Bewegung«) keineswegs schlechthin Bezeichnung eines langsamen Tempos.


48 Siebigke giebt eine ausführliche Analyse dieses Terzetts (Mozart S. 38ff.).


49 Franz Gerl, für den diese Rolle geschrieben ist, hatte den Ruf eines vortrefflichen Bassisten (Meyer, Schröder II, 1 S. 85f.), und versuchte sich auch als Componist in Gemeinschaft mit Schack. Seit 1795 war er in Brünn, wo mehrere von ihm componirte Operetten mit Beifall gegeben wurden, und kam später nach Mannheim, wo er gestorben ist.


50 Die ausdrucksvolle Phrase


23.

ist ganz ähnlich im Andante der G-moll Symphonie; es ist nicht ohne Interesse die Verschiedenheit in der Anwendung zu beobachten.


51 Es ist einer von jenen seinen Zügen daß dieselbe melodische Wendung, welche nach den ersten Ausrufungen mit den Worten »mein Herz mit neuer Regung füllt« beruhigend eintritt, nachher mit den Worten, »und ewig wäre sie dann mein« wiederkehrt um das Ganze abzuschließen.


52 Benedict Schack, für welchen die Partie des Tamino geschrieben ist, wurde 1758 zu Mirowitz in Böhmen geboren, erhielt in Prag und Wien neben der musikalischen auch eine wissenschaftliche Vorbildung und studirte Medicin, bis er 1780 einem Ruf als Director an die Kapelle des Fürsten Carolath folgte. Nachdem diese 1784 aufgelöst war, trat er als Sänger bei Schikaneders Gesellschaft ein und componirte für dieselbe mehrere Opern früher in Regensburg und später auch in Wien. Hier wurde er mit Mozart befreundet und verkehrte viel mit ihm. Wenn Mozart zu ihm kam um ihn zum Spazierengehen abzuholen, pflegte er sich, während Schack sich ankleidete, an dessen Schreibtisch zu setzen und in seine Opern hie und da ein Stück hineinzucomponiren. Schack wußte von ihm eine Menge Züge zu erzählen, »die dessen Kunst- und häusliches Leben schildern und die gutmüthige Seele enthüllen«, die leider Niemand aufbewahrt hat. Im Jahr 1793 ging er als Tenorist nach Gratz und von da 1796 nach München, wo er 1826 gestorben ist. Gerühmt wird seine schöne metallreiche biegsame echte Tenorstimme, sein auf vollkommne Kunsteinsicht gegründeter trefflicher Vortrag, während er durchaus kein Schauspieler war. Lipowsky Baier. Musik-Lex. S. 297ff. A. M. Z. XXIX S. 519ff. Meyer, Schröder II, 1 S. 85.


53 Auf die hohe Würde der Ehe, durch welche die Liebe ihre sittliche Bedeutung erhalte, und den Frauen ihr wahrer Wirkungskreis angewiesen werde, wird mehrfach hingedeutet, und offenbar sind die vielberufenen lächerlichen Verse


ihr (der Liebe) Zweck zeigt deutlich an,

nichts edlers sei als Weib und Mann;

Mann und Weib und Weib und Mann

reichen an die Götter an


in diesem Sinn gemeint, wie falsch auch der Ausdruck dieser elenden Reimereien ist. Die Hauptsache, wie Tamino durch seine Aufnahme in die Mysterien auch Pamina gewinne, wie Pamina dazu komme mit ihm die Prüfungen zu theilen, wird freilich nicht klar gemacht, weil das Liebesabenteuer ursprünglich nichts mit denselben zu schaffen hat.


54 Anna Gottlieb, geb. in Wien 1774, sang schon 1786 im Figaro die Barberina (S. 214), dann engagirte sie Schikaneder; im Jahr 1792 ging sie als erste Sängerin an das Leopoldstädter Theater. Sie nahm noch an dem Mozartfest in Salzburg im Jahre 1842 und dem Jubiläum im Jahr 1856 in Wien Theil, und ist dort bald nachher gestorben.


55 Die Bemerkung G. Webers (A. M. Z. XVII S. 247ff.), daß das Tempo dieser Arie meistens dem Sinn der Situation und der Composition ganz entgegen als ein zu langsames genommen werde, bestätigte der schon genannte Zeitgenosse Mozarts mit Berufung auf dessen eigene Direction (ebend. S. 571). Auch hier täuschte die Bezeichnung Andante.


56 Den graden Gegensatz zu dieser Arie bildet die Gartenarie im Figaro (S. 226ff.) und doch offenbart sich in beiden eine tiefliegende innere Verwandtschaft. Dort ist es der reinste Ausdruck der glücklichen Liebe die den ganzen Menschen ohne eine störende Empfindung sanft durchströmt, hier der unvermischte Ausdruck des Schmerzes über das entschwundene Liebesglück; dort eine Wollust athmende Sommernacht, hier ein im klaren Wasserspiegel zitternder Mondschein, aber in der Wahrheit, Reinheit und Schönheit der musikalischen Wiedergabe spricht sich unverkennbar die Seele und die Hand desselben Künstlers aus.


57 Auch die unruhige Begleitungsfigur geräth hier anfangs ins Stocken und macht dann den drängenden gleichmäßig nachschlagenden Platz.


58 Es ist interessant zu sehen wie die rhythmische Bewegung des Anfangs


23.

den Impuls für die Gestaltung des ganzen Musikstücks giebt.


59 An einer Stelle (S. 270 der Part.) hat Mozart eine Aenderung vorgenommen, die, wie es scheint, nur durch das Uebersehen einiger Zeilen im Textbuch veranlaßt worden ist. Ursprünglich war geschrieben:


Mutter, durch


23.

da er aber sah daß er drei Zeilen übersprungen hatte, strich er die eingeklammerten Takte, welche gar nicht instrumentirt sind, aus und setzte auf einem eingelegten Blatt an die Stelle was jetzt gedruckt ist.


60 Die leise nachschlagenden Accorde – welche in dieser Art häufig in der Zauberflöte angewendet sind – waren anfangs den Saiteninstrumenten gegeben; bei der Ausführung strich Mozart sie dort und theilte sie den Flöten und Clarinetten zu.


61 Es ist darauf hingewiesen (Cäcilia XX S. 133) daß dieses Ritornell mit der Stelle in Bendas Ariadne, welche den Sonnenaufgang begleitet


23.

23.

auffallende Aehnlichkeit hat. Mozart kannte und schätzte, wie wir wissen (II S. 328ff.) Bendas Ariadne, es ist also wohl möglich daß ihm diese Stelle vorschwebte; mit Bewußtsein benutzt hat er sie schwerlich, auf jeden Fall die Wirkung bedeutend gesteigert.


62 Ursprünglich stand im Text »dem grimmigen Löwen zum Opfer erkoren – schon nahet er sich«; erst später hat Mozart die listige Schlange an die Stelle gesetzt. In den fliegenden Blättern für Musik (I S. 441ff.) wird die Schilderung dieser Schlange mit der in Webers Euryanthe verglichen, beiden gleiche Wahrheit des Ausdrucks, Mozart der Vorzug der Anmuth zugesprochen. Vermuthlich würde man auch die Löwennatur in der Musik nachweisen können, denn Mozart ist es wohl nur auf den Ausdruck der Flucht vor dem nachsetzenden Thier angekommen.


63 Es ist schon bemerkt (III S. 451) daß Mozart ursprünglich Trompeten und Pauken von Anfang her angewandt hatte, dann dieselben strich um sie mit dem Auftreten der Damen einfallen zu lassen. Auf einem Extrablatt sind die in der gedruckten Partitur S. 34 T. 2 fehlenden Takte


23.

notirt.


64 Die Originalpartitur zeigt die Spuren einer von Mozart vorgenommenen Kürzung, indem nach dem vierzehnten Takt, vor dem Schluß der Introduktion (S. 54 T. 4) eine Stelle weggestrichen ist, welche zum Theil als Cadenza bezeichnet ist. Schnyder von Wartensee, der das was in der Partitur steht mitgetheilt hat (N. Ztschr. f. Mus. XLV S. 42), ist entgangen daß in derselben noch etwas mehr ausgefallen ist und daß Al. Fuchs die vollständige Cadenz nach einer alten Abschrift bekannt gemacht hatte (Allg. Wiener Mus. Ztg. 1841 S. 244), wonach sie in der Notenbeilage IX wiederholt ist. Er berichtet daß ein Musiker ihm als Augenzeuge erzählte, wie Mozart in einer Probe entrüstet über das fortwährende Mißlingen der schwierigen Cadenz dieselbe endlich gestrichen habe. Die Partitur zeigt daß Mozart bei der Ausführung der Instrumentation schon die Cadenz getilgt hatte, denn die später eingetragenen Stimmen überspringen dieselbe.


65 Die Partien der drei Knaben sind in ähnlicher Weise behandelt, doch ist hier die Ausführung ungleich einfacher, wie dies der Sache entspricht.


66 Marx (Kompositionslehre IV S. 541f.) hat mit Recht auf die drastische Wirkung der nur hier angewandten Piccoloflöte aufmerksam gemacht, welche in der raschen Figur mit der Flöte und Violine zusammengeht. Auch die zitternde Sechzehntelbewegung der Saiteninstrumente und die starken Accente der Clarinetten und Fagotts tragen wesentlich zur Charakteristik bei. Uebrigens hatte Mozart das Tempo anfangs mit Allegretto bezeichnet und dann Allegro gesetzt.


67 Der berühmte Contrabassist Pischlberger, nach Treitschke Kapellm. Henneberg, »behämmerte« das Instrument hinter den Coulissen. – Im Organ für kirchl. Tonkunst (1857 N. 1 S. 2f.) ist folgender Brief Mozarts nach der Wiener Mus. Ztg. 1856 abgedruckt, welchen Karl Mozart dem Kapellmeister Zawertel beim 35 Linienregiment geschenkt habe.


»Liebstes, bestes Weibchen. Nun ging ich auf das Theater bei der Arie des Papageno mit dem Glockenspiel, weil ich heute so einen Trieb fühlte es selbst zu spielen. Da machte ich nun den Spaß, wie Schikaneder eine Haltung hat, so machte ich ein Arpeggio – der erschrak – schaute in die Scene und sah mich – als es das zweitemal kam machte ich es nicht – nun hielte er und wollte gar nicht mehr weiter – ich errieth seinen Gedanken und machte wieder einen Accord – dann schlug er auf das Glockenspiel und sagte: halts Maul alles lachte dann – Ich glaube daß viele durch diesen Spaß das erste- mal erfuhren daß er das Instrument nicht selbst schlägt. – Samstags Nachts um halb 11 Uhr.«


Was Mozart veranlaßt hat seiner Frau, die damals in Wien war, diese kleine Begebenheit schriftlich mitzutheilen dürfte schwer zu errathen sein.


68 In der Pariser Verballhornung der Zauberflöte, von welcher noch die Rede sein wird, ist diese Scene zu einem ganz besonderen Effect verarbeitet worden. Der edle Schäfer Bochoris, in den Papageno verwandelt worden ist, singt dies Lied um die Wächter zu bewegen Pamina frei zu geben »und setzt dadurch die zwölf dienenden Mohren und den Wächter nach und nach in eine so originell komische und wollüstige Bewegung, daß sie während seines flehenden Gesanges einen äußerst charakteristischen pantomimischen Tanz voll Neugier und Entzücken um ihn her formiren. Dazu fallt der Chor der Wächter ein, zwischen dem Lais mit seiner schönen Stimme fortfährt lieblich zu singen, und das von Entzücken übernommene betäubte schwarze Wächterchor liegt in malerischen Gruppen zu seinen Füßen. Es ist nicht möglich« setzt Reichardt der diese Scene beschreibt (Vertraute Briefe aus Paris I S. 438f.) hinzu »sich etwas pikanteres und vollkommneres in der Composition und Ausführung zu denken.« Auch machte sie solchen Eindruck daß sie, was dort noch nie vorgekommen war, wiederholt werden mußte (A. M. Z. IV S. 72). Die Umarbeitung der Musik, welche dadurch nöthig wurde, ist mitgetheilt A. M. Z. IV Beil. I.


69 Bei einer im Juni 1793 in Godesberg veranstalteten Aufführung der Zauberflöte hatte Neefe statt des Glockenspiels ein Stahlklavier machen lassen, das gute Wirkung that (Berl. mus. Ztg. 1793 S. 151).


70 Im Ritornell weicht die gestochene Partitur (S. 327 Takt 5) in einer charakteristischen Note vom Original ab, in welchem


23.

anstatt


23.

geschrieben ist.


71 Nach Castellis Mittheilung (III. Familienbuch 1852 II S. 119), die sich auf den Bericht des Bassisten Seb. Mayer gründet, riefen die beiden nach Mozarts ursprünglicher Composition staunend aus: »Papageno! Papagena!« Da habe Schikaneder bei der Probe ins Orchester hinuntergerufen: »Du, Mozart, das ist nichts; da muß die Musik mehr Staunen ausdrücken. Beide müssen sich erst stumm anblicken, dann muß Papageno anfangen: ›Pa-pa-pa-pa‹, Papagena muß das wiederholen, bis endlich beide entzückt ›Papageno! Papagena!‹ ausrufen.« Daß Mozart das Duett auf Schikaneders Begehr umarbeitete beweist das S. 564 abgedruckte Billet und jener mag eine solche Anregung gegeben haben, nur kann sie nicht in die Zeit der Proben gefallen sein, weil das Duett in der Originalpartitur im Zusammenhange des ganzen Finales fortgeschrieben ist; es kann sich nur um frühere Entwürfe handeln.


72 Angedeutet wurde dies schon durch die Worte, mit welchen die Knaben Papagena zu Papageno hinführen:


Komm her, du holdes, liebes Weibchen!

dem Mann sollst du dein Herzchen weihn.

Er wird dich lieben, süßes Weibchen,

dein Vater, Freund und Bruder sein;

sei dieses Mannes Eigenthum!


Mozart hat auch diese weggelassen, weil sie die Handlung störend aufhalten und ernsthafte Mahnungen hier nicht die rechte Wirkung machen würden; wie er denn mit richtigem Takt in dieser Scene überhaupt die Knaben möglichst zurücktreten läßt.


73 »Hr. Schikaneder hat es sich zur Gewohnheit gemacht in jede seiner Opern hineinzupfuschen, den Tonsetzern manchmal die besten Stellen wegzustreichen und schlechte dafür hinzusetzen. Selbst Mozart mußte sich bei der Verfertigung der Zauberflöte seiner Kritik aussetzen und hatte nicht wenig Verdruß dabei auszustehen. Z. B. das Duett ›Bei Männern‹ mußte er fünfmal componiren ehe es ihm gut war« (A. M. Z. I S. 448).


74 Es ist schon bemerkt (III S. 450) daß Mozart bei eiligem Niederschreiben nicht allein zu Anfang die Blasinstrumente auszufüllen vergaß, sondern auch die Takte falsch abtheilte, was er später änderte, indem er alle Taktstriche nicht ausradirte, wie dort gesagt ist, sondern ausstrich und die richtigen hinzusetzte.


75 Berl. mus. Zeitg. 1793 S. 148.


76 Kapellmeister Trübensee in Prag, welcher als Oboist in Schikaneders Orchester angestellt war, erzählte Schnyder von Wartensee, daß eine verworfene Composition dieses Duetts in großem Stil bei den späteren Aufführungen abwechselnd mit der jetzt bekannten aufgeführt und auf dem Theaterzettel angekündigt worden sei »mit dem alten Duett« oder »mit dem neuen Duett« (N. Ztschr. f. Mus. XLV S. 43). Bei der ersten Aufführung der Zauberflöte in dem neuen Theater an der Wien im Jahr 1802 setzte Schikaneder folgende Erklärung auf den Zettel (Allg. Wiener Mus. Ztg. 1842 S. 58): »Da ich so glücklich war Mozarts Freundschaft zu besitzen und er aus wahrer Bruderliebe zu mir auf mein originelles Werk seine Meistertöne setzte, so werde ich heute das verehrungswürdige Publicum mit zwei, mir allein hinterlassenen Musikstücken von Mozarts Composition vielleicht angenehm überraschen.« Eins derselben mag jenes anfangs verworfene Duett gewesen sein, über das andere ist nicht einmal eine Vermuthung gestattet, da in Wien jede Tradition spurlos verschwunden ist.


77 Diese Stelle ist dadurch bezeichnend daß sie das Wunderbare, wie das Wandeln durch die Elemente, als etwas Symbolisches deutlich erkennen läßt, wie denn die allegorische Auffassung der Mysterien das Uebernatürliche, mit welchem sie fortwährend in Beziehung gesetzt sind, von einer anderen Seite her ins Bereich des Menschlichen zieht wie die ironisirende des Mährchenhaften. Dadurch unterscheidet sich die künstlerische Darstellung des Wunderbaren in der Zauberflöte sehr bestimmt von der verwandten im Don Giovanni. Dort ist die Erscheinung des Geistes ein wirkliches Wunder, eine Thatsache, die als solche geglaubt werden muß, die künstlerisch nur durch den vollkommnen Ausdruck der Empfindungen schauerlichen Entsetzens, welche die Vorstellung einer solchen Erscheinung hervorruft, zur Wahrheit gemacht werden kann, wie sie durch dieselben bedingt ist. In der Zauberflöte dagegen soll durch das Wunderbare auf das unter demselben verborgene Geheimniß hingedeutet und das Gemüth zu einer staunenden Ehrfurcht gestimmt werden. Daher im Don Giovanni die furchtbarste Realität der künstlerischen Darstellung, die in der Zauberflöte bald einen mildernden Schleier bald einen leuchtenden Glanz über das Wunderbare ausbreitet.


78 Hotho hat dieses Moment näher entwickelt (Vorstudien S. 79ff.), aber wie mir scheint zu einseitig hervorgehoben und eine Abnahme der Kraft individueller Charakteristik in Mozart angenommen, wofür ich keinen ausreichenden Grund finde.


79 Auch hier ist es Mozart nicht in den Sinn gekommen das fremde Local, in welches die mährchenhafte Begebenheit versetzt wird, musikalisch besonders zu charakterisiren, wie er in der Entführung türkisches Costum angewendet hat. Allein dort kam es darauf an einzelne Personen zu charakterisiren, während hier das Ganze hätte orientalisirt werden müssen, was ihm so wenig einfiel als Figaro oder Don Giovanni zu hispanisiren.


80 Mitunter hat ihn dies Bestreben zu weit geführt; so ist z.B. in der bekannten Stelle Sarastros


23.

das doch zu stark accentuirt, auch wenn es der Sänger nicht, wie nur zu oft, vollends zur Karikatur macht.


81 Beethoven erklärte nach Seyfrieds Angabe (Beethovens Studien Anhang S. 21) die Zauberflöte für Mozarts größtes Werk, denn hier erst zeige er sich als deutscher Meister. Schindler fügt hinzu (Biogr. II S. 164f. 322), er habe sie so hochgehalten, weil fast jede Gattung vom Liede bis zum Choral und der Fuge darin zur Anwendung komme. Erwägt man daß dies Lob in Beethovens Munde nur auf die geistige Kraft gehen konnte, die den Reichthum der verschiedensten Formen zu einem künstlerischen, aus der Idee gebornen Ganzen zu gestalten vermochte, so überzeugt man sich, wie tief eingehend er sie würdigte.


82 Eine Folge des Beifalls den die Zauberflöte fand waren die Nachahmungen, welche die Theater auf der Wieden und in der Leopoldstadt lieferten. »Alles wird auf diesen Theatern gezaubert«, sagt ein Berichterstatter der Berl. mus. Ztg. (1793 S. 142) »so hat man z.B. die Zauberflöte, den Zauberring, den Zauberpfeil, den Zauberspiegel, die Zauberkrone und andere dergleichen elende Zaubereien mehr, bei deren Ansehen und Anhören sich einem das Inwendige umkehren möchte. Text und Musik tanzen ihren kläglichen Reihen neben einander – die Zauberflöte ausgenommen –, so daß man nicht weiß, ob der Dichter den Compositeur oder dieser jenen an Schmiererei habe übertreffen wollen. Dazu kommt noch daß diese miserablen Producte noch miserabler vorgestellt werden.« Der Zauberflöte auffallend ähnlich war die Oper Babylons Pyramiden von Schikaneder, deren erster Act von Gallus (S. 147), der zweite von Winter componirt war, welche zuerst am 23 Oct. 1797 aufgeführt wurde (A. M. Z. I S. 72ff. 447f.). Im Jahr darauf folgte dann das Labyrinth oder der Kampf der Elemente, als zweiter Theil der Zauberflöte angekündigt, von Schikaneder und Winter (A. M. Z. II S. 811ff.), im Jahr 1806 auch in Berlin mit großer Pracht gegeben (A. M. Z. V S. 778. 794. Zelter Briefw. I S. 74ff.). Von Goethes Plan die Zauber flöte fortzusetzen ist schon (S. 609f.) die Rede gewesen.


83 Im Februar 1801 wurde die Zauberflöte auf dem Kärnthnerthortheater mit neuen Decorationen von Sacchetti gegeben (A. M. Z. III S. 484. Ztg. f. d. eleg. Welt 1801 N. 40 S. 315ff.); Schikaneder war gar nicht genannt. Dies rief einige derbe Pamphlets in Knittelversen hervor »Mozart und Schikaneder, ein theatralisches Gespräch über die Aufführung der Zauberflöte im Stadttheater, in Knittelversen von **. Wien 1801« (Ztg. f. d. eleg. Welt 1801 N. 41 S. 326ff.) und »Mozarts Traum nach Anhörung seiner Oper die Zauberflöte im Stadttheater, Jupitern und Schikanedern erzählt im Olymp in Knittelversen von F. H. v. TZ. Wien 1801«. Schikaneders Antwort war eine glänzend ausgestattete Aufführung der Zauberflöte in seinem neuen Theater an der Wien, die er als Papageno mit den Worten empfahl


Der Papageno ist zwar da,

doch singt er noch nicht hopsasa;

nach eurem Urtheil bloß allein

wird er sich seines Sieges freun.

Versprochen hab ich zwar schon lang

der Zauberflöte Sang und Klang,

doch Maler, Schneider, Maschinist

erheischten diese lange Frist.


Auch scheute er sich nicht die mangelhafte Maschinerie des andern Theaters grotesk zu parodiren (Treitschke Orpheus S. 248. A. M. Z. III S. 484). Der Zulauf war ungeheuer, aber da er sich auch arge Dinge erlaubt hatte, z.B. das Quintett auszulassen, für Dlle. Wittmann eine Arie einzulegen, erfuhr er ebenfalls die Kritik der Knittelverse in einem Pamphlet, »Jupiter, Mozart und Schikaneder, nach der ersten Vorstellung der Zauberflöte im neuen Theater an der Wien, Wien 1802.« Im Nov. 1810 versuchte sich auch das Leopoldstädter Theater an der Zauberflöte (A. M. Z. XII S. 1057), im Jahr 1812 aber unternahmen die Theater am Kärnthnerthor und an der Wien einen förmlichen Wettstreit um die glänzendste Aufführung der Zauberflöte (A. M. Z. XIV S. 558ff. Treitschke Orpheus S. 249f.).


84 In Berlin wurde die Zauberflöte zuerst am 12 Mai 1794 in der glänzendsten Ausstattung (Reichardt vertr. Briefe aus Paris I S. 163) und mit einem Erfolg gegeben, der das Uebergewicht der deutschen Oper über die italiänische dort entschied (Schneider Gesch. d. Oper S. 63f.). Nach längerer Pause wurde sie im Jahr 1811 wieder aufgenommen (A. M. Z. XIII S. 845) und 1816 mit zwölf neuen Decorationen, von denen sich ihrer vier schon ansehen ließen, wie Zelter meinte (Briefw. m. Goethe II S. 214), und neu besetzt gegeben (A. M. Z. XVIII S. 105). Am 12 Mai 1844 wurde das Jubiläum der ersten Aufführung gefeiert (A. M. Z. XLVI S. 443). Auch in Hamburg kam die »lang ersehnte Zauberflöte« erst am 19 Nov. 1794 auf die Bühne und mußte sich über Oberon und Sonnenfest der Braminen den Sieg erkämpfen (Meyer, Schröder II, 1 S. 115).


85 Als Curiosität mag erwähnt werden daß in Braunschweig die Zauberflöte in französischer Uebersetzung (A. M. Z. VII S. 208) und in Dresden seit 1794 (A. M. Z. I S. 341) in italiänischer Bearbeitung (Treitschke Orpheus S. 250f.) gegeben wurde bis zum Jahr 1818, wo C. M. v. Weber sie zuerst deutsch mit großer Sorgfalt und zu eigener Befriedigung (Cäcilia VIII S. 170) aufführte (A. M. Z. XX S. 839ff.).


86 A. M. Z. XIV S. 239.


87 A. M. Z. XIV S. 593ff. 804. 864.


88 A. M. Z. XXXI S. 820.


89 A. M. Z. XIV S. 327.


90 Ein Versuch in Mailand im Jahr 1816 hatte einen zweifelhaften (A. M. Z. XVIII S. 346f. 485. XIX S. 190), ein zweiter in Florenz 1818 entschieden ungünstigen Erfolg (A. M. Z. XXI S. 42).


91 Parke mus. mem. II p. 140.


92 Hogarth mem. of the opera II p. 193.


93 A. M. Z. XLII S. 736. XLIV S. 610.


94 A. M. Z. III S. 335. Hogarth a. a. O.


95 Eine nähere Analyse von einem deutschen Künstler findet sich A. M. Z. IV S. 69ff.


96 A. M. Z. IV S. 47.


97 Reichardt vertr. Briefe aus Paris I S. 162ff. 457ff. Solger nachgel. Schr. I S. 69ff. Engel Journal de Paris 1801 N. 346.


98 Cramer anecd. sur Mozart p. 18ff. vgl. Ztg. f. d. eleg. Welt 1801 N. 101.


99 Eines Abends als er einer Aufführung beiwohnte, rief er im Entzücken über sein Werk aus: c'en est fait ... je ne veux plus composer d'opéra ... je ne ferais jamais rien des mieux (Castil-Blaze l'acad. imp. de mus. II p. 86).


100 Ebenso einig waren die deutschen Beurtheiler daß von den Solisten nur Mr. Lais und Mlle. Armand Lob verdienten.


101 A. M. Z. XX S. 858. XXXIII S. 82ff. 142f. Im Jahr 1829 fand die deutsche Aufführung der Zauber flöte in Paris großen Beifall (A. M. Z. XXXI S. 466).


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1.
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