IV.

Species facti.

Wien.


Nachdem viele des hiesigen Adels sowohl durch auswärtige Nachrichten als durch eigne Untersuchung und angestellte Proben von dem außerordentlichen Talente meines Sohnes überzeugt waren, wurde es durchgehends als eine der bewunderungswürdigsten Begebenheiten dieser und der vorigen Zeiten angesehen, wenn ein Knabe von zwölf Jahren eine Oper schreiben und selbst dirigiren sollte. Eine gelehrte Schrift aus Paris bestärkte diese Meinung, indem solche, nach einer ausführlichen Beschreibung des Genies meines Sohnes, behauptet: es wäre kein Zweifel, dieses Kind werde in einem Alter von zwölf Jahren auf einem oder dem andern Theater Italiens eine Oper schreiben1. Und Jedermann glaubte, ein Deutscher müsse solch einen Ruhm nur seinem Vaterlande vorbehalten. Ich wurde hierzu einhellig aufgemuntert. Ich folgte der allgemeinen Stimme, und der holländische Gesandte, Herr Graf von Degenfeld war der erste, welcher dem Theaterimpressarius Affligio den Vorschlag machte, weil ihm die Fähigkeit des Knaben schon von Holland aus bekannt war. Der Sänger Carattoli war der zweite, der es dem Affligio vortrug. Und die Sache ward bey dem Leibmedicus Laugier in Gegenwart des jungen Baron von Swieten und der zwei Sänger Carattoli und Caribaldi mlt dem Impressarius beschlossen, um so mehr als Alle, sonderbar die zwei Sänger, mit größten Ausdruck behaupteten, daß eine auch sehr mittelmäßige Musik von einem so jungen Knaben wegen des außerordentlich wunderbaren, und schon um dieses Kind im Orchester beim Clavier sein Werk dirigiren zu sehen, die ganze Stadt ins Theater ziehen müsse. Ich ließ also meinen Sohn schreiben.

[166] Sobald der erste Act fertig war, bat ich den Carattoli selbst, solchen zu hören, und zu beurtheilen, um mich sicher zu stellen. Er kam, und seine Verwunderung war so groß, daß er gleich den folgenden Tag wieder bei mir erschien, und den Caribaldi mit sich brachte. Caribaldi nicht weniger erstaunt, führte ein paar Tage darauf den Poggi zu mir. Alle zeigten einen so ungemeinen Beifall, daß sie alle auf mein wiederholtes Fragen: ob sie wohl glaubten, daß es gut wäre? ob sie dafür hielten, daß er fortfahren sollte? sich über mein Mißtrauen ärgerten, und öfters mit vieler Bewegung ausriefen: Cosa! Come! Questo è un portento! Questa opera andrà alle stelle. E una meraviglia. Non dubiti, che scrivi avanti! avanti! sammt einer Menge anderer Ausdrücke. Das Nämliche sagte mir Carattoli in seinem eigenen Zimmer.

Durch den Beifall der Sänger eines erwünschten Erfolgs versichert, ließ ich meinen Sohn in der Arbeit fortfahren, bat aber auch den Leibmedicus Laugier, mit dem Impressarius der Bezahlung halber in meinem Namen Richtigkeit zu machen. Cs geschahe, und Affligio versprach 100 Ducaten. Um nun meinen theuren Aufenthalt in Wien zu verkürzen, machte ich damals den Antrag, daß die Oper noch vor der Abreise Sr. Majestät nach Ungarn aufgeführt werden möchte. Allein einige Abänderungen, die der Poet im Texte zu machen hatte, hemmten die Composition; und Affligio erklärte sich, daß er solche auf die Zurückkunft Seiner Majestät wolle aufführen lassen.

Nun lag die Oper schon einige Wochen fertig. Man fing zu copiren an, und der erste Act wurde den Sängern, gleich darauf der zweite, ausgetheilt, da unterdessen mein Sohn eine und die andere Arie, ja sogar das Finale des ersten Acts bei verschiedenen Gelegenheiten der Noblesse beim Clavier produciren mußte, welche von Allen bewundert worden, davon bei dem Fürsten von Kaunitz Affligio selbst Augen-und Ohrenzeuge war.

Nun sollten die Proben ihren Anfang nehmen. Allein, wie hätte ich dieses vermuthen sollen! hier nahmen auch die Verfolgungen gegen meinen Sohn ihren Anfang.

Es geschieht sehr selten, daß eine Oper gleich bei der ersten Probe vollkommen gut ausfallen, und nicht hin und wieder eine Abänderung erleiden sollte. Eben deswegen pflegt man Anfangs beim Flügel allein, und bis nicht die Sänger ihre Parthien, besonders die Finalen wohl zusammen studirt haben, niemals mit allen Instrumenten zu probiren. Doch hier geschah das Gegentheil. [167] Die Rollen waren noch nicht genug studirt, es war keine Probe der Sänger beim Clavier gemacht, die Finalen nicht zusammen studirt; und dennoch nahm man die Probe des ersten Acts mit dem ganzen Orchester vor, um nur der Sache gleich Anfangs ein geringes und verwirrtes Ansehen zu geben.

Niemand, der zugegen war, wird es eine Probe nennen, ohne darüber zu erröthen. Das lieblose Betragen derjenigen, denen es ihr Gewissen sagen wird, will ich nicht anführen, Gott mag es ihnen verzeihen!

Nach der Probe sagte mir Affligio: es wäre gut; doch da ein und anderes zu hoch wäre, so müßte da und dort einige Veränderung gemacht werden; ich möchte nur mit den Sängern sprechen: und da Se. Majestät schon in zwölf Tagen hier wären, so wolle er die Oper in vier, längstens sechs Wochen aufführen, damit man Zeit habe, Alles in gute Ordnung zu bringen, ich solle mich darüber gar nicht aufhalten; er sei Mann von seinem Worte; und werde in Allem sein Versprechen halten; es sei nichts neues; auch bei andern Opern gingen Veränderungen vor.

Es wurde demnach dasjenige, was die Sänger verlangten, abgeändert, und in dem ersten Acte zwei neue Arien gemacht, unterdessen aber im Theater La Caschina2 aufgeführt.

Nun war die bestimmte Zeit verflossen, und ich hörte, Affligio habe abermals eine andere Oper austheilen lassen. Es ging sogar die Rede, Affligio werde die Oper gar nicht aufführen; er hatte sich verlauten lassen, die Sänger könnten sie nicht singen. – Und diese hatten sie vorher nicht nur gut geheißen, sondern auch bis in den Himmel erhoben.

Um mich auch wider dieses Geschwätz sicher zu stellen, mußte mein Sohn bei dem jungen Baron von Swieten in Gegenwart des Grafen von Spork, des Duca di Braganza und anderer Musikverständigen die ganze Oper beim Clavier produciren. Alle verwunderten sich höchstens über das Vorgeben des Affligio und der Sänger: Alle waren sehr gerührt und erklärten einhellig, daß ein so unchristliches, unwahrhaftes und boshaftes Vorgeben nicht zu begreifen wäre; daß sie diese Oper mancher italiänischen vorzögen, und daß, statt ein solches himmlisches Talent zu ermuntern,[168] eine Kabale dahinter stecke, welche sichtbarlich nur dahin abziele, dem unschuldigen Knaben den Weg zu seiner verdienten Ehre und Glück abzuschneiden.

Ich begab mich zu dem Impressarius, um die wahre Beschaffenheit der Sachen zu erfahren. Dieser sagte mir: er wäre niemals dagegen, die Oper aufzuführen; ich werde es ihm aber nicht verdenken, wenn er auf sein Interesse sehe; man hätte ihm einigen Zweifel beigebracht, daß die Oper vielleicht nicht gefallen möchte; er habe die Caschina und wolle nun auch die Buona figliuola3 probiren lassen; dann aber gleich des Knaben Oper aufführen; sollte sie nicht, wie er wünsche, gefallen, so wäre er wenigstens mit zwei andern Opern schon versehen. Ich schützte meinen bereits langen Aufenthalt vor, und dessen Verlängerung. Er erwiederte: Ei was! acht Tage mehr oder weniger! Ich lasse sie dann gleich vornehmen. Bei diesem blieb es nun. Des Carattoli Arien waren geändert, mit Caribaldi Alles richtig gemacht, desgleichen mit Poggi und Laschi. Jeder versicherte mich insbesondere: er hätte nichts einzuwenden; alles käme lediglich auf den Affligio an. Inzwischen verflossen mehr als vier Wochen. Der Copist sagte mir, er habe noch keine Ordre, die veränderten Arien abzuschreiben; und da ich bei der Hauptprobe der Buona figliuola vernahm, Affligio wollte wieder eine andere Oper vornehmen, stellte ich ihn selbst zur Rede. Hierauf gab er in meiner und des Poeten Coltellini Gegenwart dem Copisten Befehl, daß Alles in zwei Tagen ausgetheilt und die Oper längstens in 14 Tagen mit dem Orchester probirt werden sollte.

Allein die Feinde des armen Kindes (wer sie immer sind) haben es abermals hintertrieben. An dem nämlichen Tage bekam der Copist Befehl, mit dem Schreiben einzuhalten. Und in ein paar Tagen erfuhr ich, Affligio hätte nun beschlossen die Oper des Knaben gar nicht auf das Theater zu geben. Ich wollte Gewißheit in der Sache haben, ging zu ihm, und erhielt den Bescheid: Er hätte die Sänger zusammen berufen, diese geständen ein, daß die Oper zwar unvergleichlich componirt, aber nicht theatralisch wäre, und folglich von ihnen nicht könnte aufgeführt werden. Diese Rede war mir unbegreiflich. Denn sollten wohl die Sänger wirklich wagen, dasjenige, ohne schamroth zu werden, zu verachten, was sie bisher bis an die Sterne erhoben, zu [169] welchem sie den Knaben selbst aufgemuntert, und was sie dem Affligio selbst als gut angepriesen haben? Ich antwortete ihm: er könnte nicht verlangen, daß der Knabe die große Mühe, eine Oper zu schreiben, umsonst unternommen habe. Ich erinnerte ihn seines Accordes. Ich gab ihm zu verstehen, daß er uns vier Monate herumgezogen, und uns in mehr als 160 Ducaten Unkosten gebracht habe. Ich erinnerte ihn der von mir versäumten Zeit, und versicherte ihm, daß ich mich sowohl der 100 Ducaten, die er mit dem Leibmedicus Laugier accordirt hätte, als übrigen Unkosten halber an ihn halten werde. Auf diese meine billige Forderung ertheilte er mir eine unverständliche Antwort, die seine Verlegenheit verrieth, mit der er sich, ich weiß nicht wie, von der ganzen Sache loszumachen suchte, bis er endlich mich mit den schändlichst lieblosen Ausdrücken verließ: wenn ich den Knaben wollte prostituirt haben, so werde er die Oper belachen und auspfeifen lassen. Coltellini hörte dieses Alles.

Dieß wäre also der Lohn, der meinem Sohne für seine große Bemühung, eine Oper zu schreiben, davon sein Original 558 Seiten beträgt, für die versäumte Zeit und die gemachten Unkosten angeboten wird! Und wo bliebe endlich, was mir am meisten am Herzen liegt, die Ehre und der Ruhm meines Sohnes, da ich nun nicht mehr wagen darf, auf die Vorstellung der Oper zu dringen, nachdem man mir deutlich genug zu verstehen gegeben hat, daß man sich alle Mühe geben würde, solche elend genug zu produciren; daß man ferner bald vorgiebt, die Composition sei nicht zu singen, bald, sie sei nicht theatralisch, bald, sie sei nicht nach dem Texte, bald, er wäre nicht fähig gewesen, eine solche Musik zu schreiben, und was derlei albernes und sich selbst widersprechendes Geschwätz immer ist, welches doch Alles bei einer genauen Untersuchung der musikalischen Kräfte meines Kindes, – um welche ich hauptsächlich zu seiner Ehre angelegentlichst und allerunterthänigst bitte – zur Schande der neidischen und ehrenräuberischen Verläumder, wie ein Rauch verschwinden und Jeder man überzeugen wird, daß es lediglich dahin abziele, ein unschuldiges Geschöpf, dem Gott ein außerordentliches Talent verliehen, welches andere Nationen bewundert und aufgemuntert haben, in der Hauptstadt seines deutschen Vaterlandes zu unterdrücken und unglücklich zu machen.

Fußnoten

1 S. oben S. 153ff.


2 Etwa La Cassina von Galuppi? Sie wurde mit Piccinis Buona figliuola im Jahr 1766 in Italien gegeben. Hiller wöchentl. Nachr. II S. 14. Mein Freund D. Leop. Sonnleithner macht mich darauf aufmerksam daß mit La Caschina Piccinis La Cecchina ossia la buona figliola und mit der S. 169 genannten Buona figliola der zweite Theil La buona figliola maritata gemeint sei.


3 Die beliebte Oper von Piccini; vgl. Heinse Werke III S. 193f.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 623.
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