[67] Eilftes Schreiben.

Beschreibung der Stadt Ulm, und des umliegenden Schwabenlandes.

Mein Herr!


Der Weg von Augspurg nach Ulm ist meist sandig, und die zweyte Postwegen der Hol- und Knippelwege beschwerlich, daher man auf diesen neun kleinen Meilen eben so viele völlige Stunden zubringt.

Ulm ist (gegen die andern benachbarten Städte zu rechnen) wohl befestiget, und habe ich diese besondere Gewohnheit hier gefunden, daß man Fremde nicht auf den Wall gehen läßt, bevor sie einen Gulden bezahlet haben. Rand rechts: Fortification von Ulm. Er ist auch allen Bürgern verschlossen, und denen Patricien oder deren guten Freunden allein offen, welches nicht sowohl der Furcht vor Kundschaftern zuzuschreiben ist, als dem Eigennutze, indem die Patricii die Einkünfte des[67] Heues und der Baumfrüchte auf dem Walle unter sich theilen, und ungern etwas davon missen oder verderben lassen wollen.

Der Thurm vom Münster ist vier hundert und eine Stuffen hoch, und die Aussicht davon vortrefflich, weil die ganze Gegend eben ist. Rand links: Münster. Im Jahre 1492 ist der Kaiser Maximilian der erste, bis auf einen der obern Umgänge gestiegen, wie die in der Mauer eingegrabene Schrift bezeuget. Man erzählet dabey, daß er sich mit dem einen Fuße nächst an den Rand der Mauer gestellet, und mit dem andern einen Kreis in der freyen Lust gemachet habe. Wegen Feuersgefahr, sonderlich vom Blitze, stehen hin und wieder auf dem Thurme und unter dem Dache der Kirche drey und sechszig große kupferne mit Wasser angefüllte Kessel. Es sind auch in der Kirche etliche Züge, dadurch man die Lebensmittel und andere nöthige Dinge für die Wächter auf dem Thurme in die Höhe zieht.

Zu Anfange dieses Jahrhunderts stund die Stadt einen harten Stoß aus, indem sich die churbayerischen Völker mit List des sogenannten Gänsethurms, und so gleich auch, als ihr Hinterhalt von einer mit Bäumen bewachsenen Höhe dazu kam, des ganzen Platzes bemächtigten. Rand links: Occupation der Stadt von Bayern. Die Sache erlangte endlich nach den Schlachten vom Schellenberg und Höchstädt wieder ein anderes Ansehen, und Ulm kam nach einer kurzen Belagerung wieder zu seiner alten Freyheit. Rand links: Medaillen. Damals ließ die Stadt eine viereckigte Münze prägen, auf deren einer Seite das ulmische Wapen zu sehen war, mit der Umschrift: Moneta argentea Reip. Ulmensis; auf der andern zeigte sich ein doppelter Adler, nebst den Worten: Da Pacem nobis Domine. 1704.

Eine auf ihre Befreyung geprägte Medaille stellt das Brustbild des Generalfeldmarschalls von Thüngen vor, in einem Kürasse, samt der Ordenskette des königlichen preußischen Ritterordens, und der Umschrift: HANS CARL Liber Baro de THÜNGEN Sacræ Cæsareæ Majestatis Generalis Campi Mareschallus. Auf der andern Seite zeiget sich dieser General im römischen Habite, mit einer hasta pura in der Hand, und begleitet von der Tapferkeit, welche ihm einen Lorberkranz aufsetzet. Vor ihm steht eine mit einer Städtekrone gezierte Weibesperson, die ihm die Hand biethet und für ihre Erledigung danket. Neben ihr ist auf einem Piedestal (in welchem sich das ulmische Wapen zeiget) ein Kranz von Eichenlaube zu sehen, womit bey den alten Römern diejenigen beehret wurden, welche das Vaterland oder eine große Anzahl der Bürgerschaft errettet hatten. Im gemeldten Kranze liest man die Worte:


OB CIVES SERVATOS.


Die Ueberschrift ist:


ADSERTORI LIBERTATIS.


Die Unterschrift:


VLMA GALLIS EREPTA d. 13. SEPT. 1704.


In der Randschrift hat man auf des Generals von Thüngen Alter mit folgenden, aus dem VIRGILIO,Æeid. lib. IX. genommenen Worten gezielet:


– – – NON TARDA SENECTVS

DEBILITAT VIRES ANIMI MVTATQVE VIGOREM


Ich kann nicht umhin noch einer kleinen silbernen Münze zu gedenken, welche auf der einen Seite die Worte hat:
[68]

AVGVSTA Auf der andern:

VINDELICOR.

D. XIV. DEC. MDCCIII. VLMA

IN ANGVSTIISAB

INOPINATOOVI OVI

EXSVIBVSQ.

ANGVSTIISQ.LIBERATA

LIBERATA XIII. SEPT.

D. XIV. AVG. M D CC IV.

MDCCIV.


Vermuthlich sollen die Worte oüi oüi in der dritten Zeile sowohl auf das Grunzen der Schweine, als auf das französische Bejahungswort zielen. Die Bayern werden von ihren Nachbarn öfters wegen ihrer starken Schweinezucht vexiret, und ist leicht zu glauben, daß die vierte Zeile auf sie gemünzet, und beyde damals im Bündnisse stehende Nationen, der Franzosen und Bayern zusammengesetzet worden sind.

Wer der Erfinder dieser Vorstellung sey, ist mir so unbekannt, als der Ort, wo die Medaille gepräget worden. Rand rechts: Schimpfliche Medaillen auf große Herren. Indessen ist und bleibt es eine unbesonnene Verwägenheit, die mit der Ehrerbiethung, welche man großen Herren schuldig ist, wenn sie auch unsere offenbare Feinde werden, aufs äußerste streitet. Hätte Mademoiselle Neu – – le auch sonst nichts begangen, das mit der Bescheidenheit und klugen Aufführung nicht wohl bestehen kann: so ist doch dieses zu ihrem Nachtheile genug, daß sie im Jahre 1713 zu Utrecht eine Schaumünze, wiewohl nur dreymal abprägen lassen, auf welcher Saint Jean der Königinn Anna im Schooße liegt, und zwar mit aufgedeckten posterioribus, gegen welche die Gesandten von Frankreich und Savoyen, gleichsam in die Wette mit der Nase eilen, mit einer dabey gesetzten abgeschmackten Ueberschrift. Jedoch ist einem Deutschen eine solche Unbescheidenheit weniger für gut zu halten, als einer unter den Holländern erzogenen und lebenden Person, als deren gemeines Volk, von Jugend auf, von Monarchen mit schlechter Ehrerbiethung spricht, und in der Meynung steht, daß alle Veränderungen in der Welt, Ein- und Absetzungen der Könige, Krieg und Frieden, von ihnen allein, als Schiedsrichtern herkommen. Aus einer solchen Gemüthsbeschaffenheit ist auch der grobe satirische Kupferstich geflossen, welcher in Holland nach der Seeschlacht bey la Hogue zum Vorschein gekommen, und einen holländischen Seemann vorstellet, wie er mit seinem Ruder die ganze französische Flotte wegschlägt, nebst der lächerlichen Ueberschrift: Canaille uyt the Canal. Giebt es irgend viele kluge und verständige Leute, so ist solches gewiß in Holland, von diesen aber rede ich nicht, sondern bin vielmehr versichert, daß sie solche ungezähmte Freyheit niemals gut heißen werden.

Um aber wieder auf die Unruhen hiesiger Lande zu kommen: so hatte Churbayern dem schwäbischen Kreise damals, so zu sagen, das Messer an die Kehle gesetzet; und mit Franken würde es auch nicht wohl abgelaufen seyn, wo die Alliirten nicht den heilsamen Entschluß gefasset hätten, das Feuer, noch ehe es in völlige Glut ausschlagen könnte, zu dämpfen, und dem Churfürsten von Bayern auf den Hals zu gehen. Rand rechts: Anecdote wegen der Campagne wider Bayern. Dieser Anschlag kam ursprünglich von dem großen Minister des churbraunschweig- und fürstl. zellischen Hofes, dem Freyherrn von Bernstorf her, welcher dem englischen Ministerio vorstellete, wie Deutschland niemals im Stande seyn würde, wider den auswärtigen Feind oder die Krone Frankreich seine Kräfte recht zu brauchen, so lange ihm gleichsam das Herz nicht frey gemacht würde. Der Prinz[69] Eugenius, Marleborough, Heinsius und etliche wenige andere wußten um das Geheimniß: und als die englischen und holländischen Völker nach den obern Landen sich zu bewegen anfingen, glaubte jedermann, sie würden am Rheinstrom wider Frankreich gebrauchet werden. Der Herr von R—n führte damals die Feder unter dem Premierminister von Bernstorf, wußte also um den geheimen Anschlag, und gedachte einen großen Vortheil, vornehmlich aber die Reputation, daß die wichtigsten Sachen durch seine Hände giengen, zu erjagen, vermittelst einer wichtigen Wette, bey welcher er behauptete, Landau würde in dem damaligen Jahre nicht belagert werden, wie doch jedermann glaubte. Die Sache aber lief anders, als er sich vermuthet hatte. Der Anschlag, wovon er gewußt und worauf er sich verlassen hatte, wurde durch die herrlichen Siege bey Donawerth und Höchstädt so glücklich und mit solcher Geschwindigkeit ausgeführet, daß die Kaiserlichen noch in demselbigen Jahre Landau wegnehmen konnten, und R—n also die Wette bezahlen mußte, bey welcher er mehr auf einen eiteln Ruhm, als auf die politische Klugheit und nöthige Vorsicht in Verbergung seines Geheimnisses gesehen hatte.

Uebrigens ist die Stadt Ulm bey weitem nicht mehr, was sie sonst war, da man sagte: Rand links: Lebensart in den Reichsstädten. Die Herren von Ulm, die Kaufleute von Nürnberg, und die Bürger von Augs purg, und da niemand etwas einzuwenden hatte wider die bekannten Verse:


Venediger Macht, Augspurger Pracht,

Nürnberger Witz, Straßburger Geschütz,

Ulmer Geld, Behält den Preis in der ganzen Welt.


Es ist aber die Stadt Ulm nicht die einzige in hiesigen Gegenden, welche an ihrem Vermögen große Abnahme erlitten hat, sondern es stimmen viele andere Reichs- und Kreisstädte mit ihr einerley Klage an. Indessen habe ich doch bey andern Reisen in diesen Ländern bemerket, daß, je kleiner und geringer die Reichsstädte sind, desto lustiger lebt man mit Gastereyen, Kränzchen, Schlittenfahrten und andern geldfressenden Ergötzungen darauf los, ohne sich wegen des künftigen und allgemeinen Besten graue Haare wachsen zu lassen. Es ist nicht ohne, daß die benachbarten mächtigern Stände sie bisweilen aus der Schlafsucht in etwas erwecken: allein weil sie sich bey ihrer gerechten Sache auf den Beystand ihrer Mitglieder und einen günstigen Richter verlassen können; so ziehen diejenigen, so am Steuerruder sitzen, sich solches nicht sehr zu Gemüthe. Rand links: Bedrückung der reichsfreyen Ritterschaft in Schwaben. Es lehret auch die Erfahrung, daß die Reichsstädte ihre Gerechtsame noch mit wenigerm Verdruß und Kränkung bisher erhalten haben, als die fränkische und schwäbische reichsfreye Ritterschaft, welche seit kurzen Zeiten gar schwere Ungewitter über sich hat müssen ergehen lassen. Der Haß, welchen einige Fürsten wider sie gefasset hatten, gieng so weit, daß ein sicherer Hofprediger den Gesang: O heilger Geist kehr bey uns ein, nicht mehr durfte singen lassen, wegen der darinnen vorkommenden Worte:


Laß uns dein' edle Salbungskraft

Empfinden, und zur Ritterschaft

Dadurch gestärket werden.
[70]

Wobey ich mich erinnere derjenigen Engländer, welche unter Cromwel, aus Haß gegen die Monarchie, in dem Vaterunser nicht mehr bethen wollten, zukomme dein Reich, sondern dafür setzten, zukomme deine Republik. Bey der vor kurzer Zeit befürchteten harten Versuchung, und da verschiedene mächtige deutsche Fürsten im Jahre 1713 in ein Verbindniß wider sie getreten waren, hatte die reichsfreye Ritterschaft dem Könige von Großbritannien, George dem ersten, vieles zu danken, als welcher dem kaiserlichen Hofe, in Ansehung des allenfalls zu erwartenden kräftigen Beystandes, eine solche Erklärung thun ließ, wie besagter Hof und der Adel es nur wünschen mochten. Der kaiserliche Minister, Graf von Sinzendorf, trieb die Sache durch den Herrn von Huldenberg; und als sie nach Wunsche gieng, nahm diesen die schwäbische Ritterschaft zur Dankbarkeit unter ihre Mitglieder auf. etc.


Ulm, den 6. Jul.

1729.

Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 67-71.
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