[85] Vierzehntes Schreiben.

Nachricht von einigen die Gelehrsamkeit und Wissenschaften betreffenden Dingen im Herzogthume Würtemberg.

Mein Herr!


Da Sie sich nach dem Zustande der Gelehrsamkeit in hiesigem Lande erkundigen: so habe ich vor allen Dingen diejenigen löblichen Anstalten zu rühmen, welche vorgekehrt werden, um gute Theologos zu ziehen; und ob es gleich nicht möglich ist, alles zu einer Vollkommenheit zu zwingen, so getraue mir doch leicht zu behaupten, daß in keiner protestantischen deutschen Provinz, nach Proportion der Größe, so viele gelehrte und geschickte Prediger seyn, als in dem würtembergischen Herzogthume. Rand links: Treffliches Seminarium Theologorum im Würtembergischen. Die Sache verdienet wohl, daß man nachforsche, wie solches herrliche Vorrecht erhalten werde. Schon in den Trivialschulen untersuchet man die Fähigkeit der Knaben, welche geistlich studiren wollen, oder von den Aeltern dazu vorgestellt und gewidmet werden; man giebt auf ihren Fleiß und zunehmende Erkenntniß etliche Jahre lang Achtung, da sie denn anfänglich petentes, und hernach exspectantes genennet werden. Außer denen examinibus, die jede Obrigkeit in ihren Stadtschulen etlichemal des Jahres anstellt, reisen auch jährlich zween Scholarchen auf herzoglichen Befehl im Lande herum, und untersuchen den Zustand der Schulen. Findet sich nun bey dergleichen Untersuchung etliche Jahre lang, daß diese oder jene Knaben in ihrer Anfangs gegebenen Hoffnung fortfahren und wohl zunehmen: so kommen sie zwey bis drey Jahre hinter einander unter das jährliche Examen der Consistorialräthe zu Stutgard, und wenn sie tüchtig erfunden worden, zuerst in eines von den zweyen Klöstern Blaubeuern und Denkendorf. Bey solcher Gelegenheit verbinden sie sich, dem Hause Würtemberg mit der Zeit sowohl inn- als außerhalb Landes beständig zu dienen, und wenn sie sich etwan übel aufführen und der verhofften Dienste unwürdig machen würden, dem Landsherrn die Unkosten zu erstatten, welche jährlich auf funfzig Gulden gerechnet werden. Ein solcher Mensch heißt Rejectus, und ist zu unterscheiden von einem Dimisso, der keine Unkosten erstattet, und mit Einwilligung des Landsherrn in fremde Dienste tritt. Im Falle, daß die Aeltern zu der üblen Aufführung eines Rejecti Ursache und Anlaß gegeben haben, müssen die aufgewandte Unkosten alsbald von ihnen erstattet werden; sind sie aber unschuldig, so ist von der Zeit der Exclusion die Erbportion aus der Aeltern Vermögen, der fürstlichen Kirchencasse verhaftet, und dringt man etwa nach der Aeltern Tode auf die wirkliche Wiedererstattung. Wegen dieses Artikels stellen nicht nur diejenigen, so in die Stipendia eingenommen werden sollen, sondern auch ihre Aeltern eine Obligation von sich. In obgemeldten untern Klöstern bleiben die jungen Leute zwey Jahre, in welcher Zeit sie in den Sprachen und andern Grundwissenschaften unterrichtet werden. Nach Verlauf solcher Zeit kommen sie in höhere Klöster, nämlich aus Blaubeuern nach Bebenhausen, und aus Denkendorf nach Maulbrunn.[86]

Diese promotiones geschehen jährlich, aber wechselsweise, und nachdem jeder junge Mensch wieder zwey Jahre lang in einem von solchen höhern Klöstern zugebracht hat: so kommen sie erst in das große Stipendium zu Tübingen, in welches auch junge Leute aus dem stutgardischen Gymnasio eingenommen werden. Die Klosterpräceptores sind geschickte und gelehrte Leute, aus welchen man mit der Zeit Professores, Speciales und endlich Prälaten machen kann. Die Jugend hat in den Klöstern das Essen, Licht, Holz, Wäsche, Wohnung, Arzneyen, Papier, den meisten Theil der Kleidung, und jährlich zwey Paar Schuhe frey. In dem Stipendio zu Tübingen (welches vorzeiten ein Augustinerkloster gewesen) zahlen sie für die Wohnung und das Essen nichts, und bekommen alle Viertheljahre einen Thaler und ein Buch Papier. In den fünf gemeldten Orten sind zweymal des Jahrs Vacanzen, nämlich zwo Wochen lang zu Ostern, und drey Wochen im Herbste. In den vier Klöstern bleibt zu solchen Zeiten kaum ein einziger junger Mensch, jeder reiset zu seinen Verwandten oder Bekannten, und an statt eines Zehrpfennings werden jedem so viele Groschen, als er Meilen nach Hause zu reisen hat, ausgezahlet. Die Zahl der jungen Leute ist in jedem Kloster auf fünf und zwanzig gesetzet. Gleichwie gemeiniglich alle zwey Jahre eine Colonie aus den untern Klöstern in die zwey obern abgeht: so erfolgen auch aus diesen die Promotionen wechselsweise in das tübingische Stipendium; in welches also, wenn man diejenigen, so aus dem stutgardischen Gymnasio aufgenommen werden, oder sonst bisweilen ex gratia hinzu gefüget werden, mitrechnet, alle Jahre ungefähr dreyßig neue Mitglieder kommen, welches beynahe auch die Anzahl derjenigen ist, welche daraus zu wirklichen geistlichen Bedienungen jährlich gezogen werden, oder sonst abgehen. Hier heißen die neuen Ankömmlinge das erste Jahr Novitii, und müssen sie in dem Contubernio (da mehrere beysammen auf einer Kammer sind) das Einheizen, Wasser zum Waschen, und dergleichen Dinge, jedoch mit guter Maße und ohne die geringste Spur von einemPenalismo, besorgen. Die ersten zwey Jahre bringen sie noch mit der Philosophie zu, disputiren öfters dar über, und legen diejenigen Proben ab, welche nöthig sind, um den Gradum Magistri zu erlangen. Nach diesen wenden sie ihren Fleiß etliche Jahre auf die Theologie, theils unter den Professoren der Universität und des Stipendii, theils unter den gelehrtesten Häuptern ihrer Gesellschaft, welche Repetentes genennet werden, und sowohl mehr Geldeinnahme als bessers Speisen haben. Endlich lassen sie sich vom Consistorio zu Stutgard examiniren, und für tüchtig erklären, alle Actus ministeriales zu verrichten, undVicarios abzugeben, wenn ein Prediger auf dem Lande krank, oder eine Pfarre ledig wird. Dergleichen Vicariatsverwaltung geschieht auf Befehl der Vorgesetzten oder des Consistorii, und bekömmt der Magister im ersten Falle von dem Pastore, dessen Stelle er vertritt, außer der freyen Wohnung und Unterhalt, wöchentlich einen halben Gulden, im andern Falle aber von einer Dorfpfarre wöchentlich dritthalb Gulden. Alle Viertheljahre werden im Stipendio die Leges öffentlich abgelesen. Alle Viertheljahre muß auch von den Stipendiaten an das Consistorium ein von den Repetenten ausgefertigtes und denen Superattendentibus unterschriebenes Zeugniß, woraus man von ihrem Aufenthalte, Fleiße und übriger Lebensart urtheilen kann, eingeschickt werden. Mit denen, so nicht Magistri sind, müssen die Repetentes fleißige Lectiones repetitorias in der Philologie und Philosophie halten; und wie weit die Auditores[87] sich solcher Gelegenheit zu Nutze gemacht, zeugen die öffentlichen Examina, welche alle Viertheljahre angestellet werden. Einmal in jeder Woche wird in Gegenwart der Vorsteher von den Repetenten ein Locus theologicus mit den sämmtlichen Magistris, so in Classen vertheilet sind, examinirt und durchgegangen. Diesem Exercitio wohnt öfters der Kanzler der Universität bey. Die Vorsteher des Stipendii sind zween Superattendentes und der Magister Domus. Dieser ist ein Professor Philosophiæ; jene aber werden aus den Professoribus Theologlæ genommen.

Das tübingische Stipendium ist also diejenige Baumschule1, woraus man allezeit tüchtige Leute zu Besetzung der geistlichen Aemter nehmen kann; und weil es ihnen so wenig an Zeit als Gelegenheit mangelt, so sieht man hier gar viele junge Theologen, welche neben ihrem Hauptwerke sich auf andere angenehme Wissenschaften, als fremde Sprachen, Mathematik, Geographie, politische und gelehrte Historie, Physik etc. legen, wodurch nicht nur ihr Verstand geschärfet, sondern auch ihr Umgang beliebter gemacht wird, zumal da der Herzog beständig etliche davon auf Reisen unterhält, welche Umstände alle zusammen genommen, nothwendig ganz andere Leute machen, als man von ihrem Stande an vielen andern Orten antrifft. Mit denenjenigen, welche auf dem Lande in Vicareyen beschäfftiget sind, kann man im tübingischen Stipendio beständig dreyhundert Studiosos Theologlæ rechnen, auf deren Fleiß und gute Aufführung wohl Acht gegeben wird. Sie werden täglich zweymal in guter Ordnung und mit guten Gerichten gespeiset, und wechseln sie mit den Predigten, welche in währenden Mahlzeiten täglich gehalten werden. Mein Herr kann leicht glauben, daß die Unterhaltung so vieler Gebäude an gemeldten fünf Orten, die Besoldung so vieler Professoren, Aufseher, Präceptorum, die Ausgaben, so die Tafel, Weine, Kleidung für vier bis fünf hundert Personen, und andere Dinge, welche zu diesem Werke erfodert werden, dem Herzoge oder dem Lande jährlich mehr als funfzig tausend Thlr. zu stehen kommen: allein es ist solches meines Erachtens eine von den besten Ausgaben, wovon nicht nur das hiesige Land, sondern auch das Christenthum überhaupt großen Nutzen ziehen kann. Weil auch die Unkosten dazu aus den eingezogenen Klöstern genommen werden: so kann man in diesem Puncte nicht sagen, daß die Stiftungen unserer Vorfahren zu andern Dingen, als wozu sie ursprünglich gewidmet sind, angewendet werden2. Als eine besondere Sache habe ich die Erbpfarre zu Bulach im Würtembergischen angesehen, welche[88] bey der Grücklerischen Familie beständig bleibt, wie sich solches der Stammvater, so zu Anfange der Reformation gelebt, und diese im Lande befördert hat, ausgedungen hat. Rand links: Erbpfarre.

Nach den alten Verordnungen, die in der Cynosura Ducatus Wurtenbergici enthalten sind, sollten die geistlichen Bedienungen vom Consistorio allein vergeben werden; Rand rechts: Besetzung der geistlichen Bedienungen. nachdem man aber seit verschiedenen Jahren gar viele dabey eingerissene Misbräuche bemerket, indem öfters zu den besten Pfarren nur Verwandte der Herren Consistorialräthe, oder Leute, welche in ihre Familien heirathen wollen, oder auch wohl andere Mittel sich zu recommendiren gewußt, genommen worden: so hat der Herzog für rathsam erachtet, die Gewalt des Consistorii in diesem Stücke zu beschneiden, und hält man es anitzt solcher Gestalt, daß der Herzog allein die Specialate, Prälaturen und Abteyen vergiebt; zu den niedrigen Pfarren aber schlägt das Consistorium drey tüchtige Personen vor, woraus das Collegium der geheimen Räthe eine erwählet. Uebrigens sind die geistlichen Bedienungen dieses Landes nicht sehr einträglich. Eine Pfarre, so jährlich dreyhundert Gulden Einkünfte hat, wird schon für sehr gut gehalten. Ein Prälat bringt es gemeiniglich nicht höher als auf siebenhundert Gulden.

Mein Herr verwundert sich in seinem letzten Schreiben, daß nichts mehr von solchen Schriften, die das Unionswesen unter den Protestanten betreffen, so von einigen tübingischen Theologen hauptsächlich zu unserer Zeit wieder angefangen und getrieben worden, zum Vorscheine komme. Rand rechts: Tübingische Unionsschriften. Die Feinde des Herrn Kanzlers Pfaff, deren er nicht wenige hat, geben vor, er sey nun ruhig, weil er dasjenige erhalten, was er gesuchet habe. Andere glauben, der Hof habe nicht rathsam gefunden, daß die Sache mit der angefangenen Hitze fortgesetzt würde, weil einige katholische Minister eines mächtigen Hofes diese Union den Römisch-katholischen für nachtheilig angesehen, und deswegen zu verstehen gegeben, es würde ihnen lieber seyn, und ein mehreres gutes Vernehmen erwecken, wenn man an dieser Sache nicht so viel Theil nehme. Der Herr Kanzler Pfaff selbst schiebt die Schuld darauf, daß die protestantischen Höfe ihm zu Ausführung der gethanen Vorschläge nicht besser unter die Arme gegriffen hätten, sowohl durch scharfe Verordnungen gegen die widerspänstigen alten Geistlichen, als auch auf dem Reichstage, da ihn viele Gesandtschaften des kräftigen Beystandes ihrer Stände versichert, und ihn hernach hätten stecken lassen. Ich unterstehe mich nicht, zu beurtheilen, welche von diesen dreyen angegebenen Ursachen die rechte, und ob sie[89] vielleicht alle drey wahr, oder auch alle drey falsch seyn. Dieses einzige setze nur hinzu, daß der Herr Kanzler Pfaff einem sichern großen Staatsmanne zu viel thue, wenn er glaubet, dieser sey ihm gänzlich zuwider gewesen: weil ich im Stande bin, zu versichern, daß solcher vornehme Mann nur das hitzige Verfahren misbilligte, und dafür hielt, die äußerliche Einigkeit mit einer andern Partey sey zu theuer erkaufet, wenn solche nicht anders, als mit Verfolgung vieler Leute in seiner eigenen Kirche, welche bona fide anderer Meynung seyn können, müsse erhalten werden. Meynungen und Ueberzeugungen des Gemüthes lassen sich nicht durch äußerliche Zwangmittel einprägen. Es giebt sowohl unter den reformirten als evangelischen Geistlichen harte Köpfe, und bey den letzten auch so vernünftige und billige Leute, als bey den ersten, welches sich noch vor weniger Zeit geäußert zu E. da ein mit der Post gekommener Studiosus Theologlæ sterbenskrank wurde, und vor seinem Ende in Ermangelung eines reformirten Geistlichen das evangelische Ministerium ersuchen ließ, daß sie ihm das heilige Abendmahl, was den Leib Christi anlangt, in ordentlichem Brodte reichen möchten, welches auch geschehen ist. In dem Hessencasselischen, und zwar in der Classe von Escheweg hat Augustinus von Steuben, ein evangelischer Priester, nun schon über zwanzig Jahre lang zugleich eine evangelische und zwo reformirte Gemeinen versehen, in aller Eintracht und Friede, wie sein Vorfahrer, ein reformirter Prediger, gleichfalls lange Zeit gethan hatte. Wenn jener bey dem Convent und Liebesmahl der eschewegischen Classe (welche aus zwanzig reformirten und sechs evangelischen Predigern besteht) aus Scherz bisweilen gefragt wurde, von was für einer Religion er sey? antwortete er: Ich bin ein guter Christ, ihr andern aber seyd Sectirer.

Zu Tübingen müssen alle Professoren, von was Facultät sie auch sind, die Formulam Concordiæ unterschreiben. Rand links: Unterschrift der Formulæ Concordiæ. Herr N. hat unterzeichnet: Divinis veritatibus in hoc libro contentis subscribo. Es ist zwar wahr, daß man auf diese Art auch den Alkoran unterschreiben kann; allein vielleicht ist es doch rathsamer, solche allgemeine Ausdrückungen zuzulassen, als die Gewissen mit menschlichen Regeln mehr und mehr zu belästigen, und die Zahl der Heuchler oder Meyneidigen zu vergrößern. Nach den Landsgesetzen müßten im würtembergischen Herzogthume alle geistliche und weltliche Bediente, vom Obersten bis zum Untersten, bey Antretung ihrer Bedienung die Formulam Concordiæ unterschreiben; allein man sieht seit einigen Jahren nicht gar genau darauf: Man versichert mich, daß der Herr – – – ob er gleich beständig der reformirten Religion zugethan bleibt, dennoch kein Bedenken getragen, besagtes symbolisches Buch zu unterzeichnen3.

Ehemals wurden die Jesuiten von Rotenburg (welcher Ort zwo Stunden von Tübingen liegt) zu den theologischen öffentlichen Disputationen nach Tübingen eingeladen; sie sind aber überdrüßig worden, ferner mehr zu kommen, nachdem folgende Umstände vorgefallen. Rand links: Ehemalige lächerliche Disputation mit den rotenburgischen Jesuiten. Der Prof. Müller präsidirte bey einer solchen Handlung, und wurde von den Jesuiten mit ihren metaphysischen Distinctionen und Subtilitäten dergestalt in die Enge getrieben, daß er sich wenig mehr zu helfen wußte, und die Zuhörer fürchteten, es möchte endlich auf eine öffentliche Beschimpfung des Herrn Präsidis ablaufen, welche ihnen allerseits schlechte Ehre[90] bringen würde. In solcher Angst laufen etliche zu D. O. und stellen ihm die allgemeine Noth und Gefahr vor. Dieser war nicht angekleidet, der gerechte Eifer aber gegen die Widersacher machte, daß er in Eile die Kleider und den Mantel um sich warf, und als ein zum Kampfe begieriger Falk in vollem Fluge dem Collegio zueilete. Er zog bey seinem Eintritte in das Auditorium noch die Strümpfe in die Höhe, als er hörte, wie der eine von den zween abgeordneten Jesuiten mit einer Freudigkeit, welche nur die gewisse Hoffnung des schon meist erfochtenen Sieges geben kann, redete. Die Stimme dieses Opponenten war allein kräftig genug, den D. O. in solche Hitze zu setzen, daß er schon von weitem rief: Mentiris, Jesuita, mentiris! Sobald er seinen Platz eingenommen, fragte er erst weislich, worüber man disputire, und was der Jesuite für einen Einwurf gemacht habe? Der Kampf erhub sich sodann von neuem; die Jesuiten wendeten alle Kräfte des Verstandes und der Lunge an, den einmal erhaltenen Vortheil nicht wieder zu verlieren; und auf der andern Seite wirkte die Gefahr und bevorstehende Schande, seinen abgesagten Feind in den Thoren des Platzes, der vertheidiget werden sollte, gänzlich obsiegen zu sehen, einen solchen Muth und fast verzweifelte Gegenwehr, daß Boileau in Verfertigung seines Heldengedichtes vom Lutrin, manches noch viel glücklicher würde ausgedrückt haben, wenn er diesem Zweykampfe vorher hätte gegenwärtig beywohnen können. Die Sache bekam bald ein anders Ansehen, weil D. O. die scholastischen Waffen so gut zu gebrauchen wußte, als die Jesuiten, welche endlich gezwungen wurden, auch nach dem Ausspruche der unparteyischen Zuhörer, solchermaßen das Feld zu räumen, daß sie sich auch in nachfolgenden Zeiten nicht mehr entschliessen wollen, auf dem Kampfplatze wieder zu erscheinen.

Unter den Raritäten der tübingischen Universitätsbibliothek werden über siebentausend Predigten gezeiget, welche der berühmte Crusius in deutscher Sprache gehöret, und ex tempore griechisch nachgeschrieben hat.

Der Hofkaplan Gramlich, welcher sowohl durch seine nützliche und gelehrte Schriften, als einige merkwürdige Umstände seines Lebens bekannt ist, hat vor kurzer Zeit das Irdische mit dem Ewigen verwechselt. Rand rechts: Von Herrn Gramlich. Als ein Knabe bekam er durch Muthwillen anderer Spielkameraden eine Bohne in das Ohr, welche so lange darinnen blieb, bis sie endlich Wurzeln schlug, und nicht ohne große Lebensgefahr heraus gebracht wurde. Bey zunehmenden Jahren setzte sich ein Gewächs in seinem Munde an, von der Größe eines Hühnereyes, daran er endlich würde haben ersticken müssen, wenn man es nicht mit glüenden Eisen ausgebrennet hätte. Diese Cur hat er über ein Viertheljahr lang ausgestanden, und über sechshundert glüende Eisen in den Mund bekommen; bey welcher Gelegenheit er ein Gelübde gethan, Gott inskünftige bey wieder erhaltener Gesundheit, sowohl mit einem frommen Leben, als mit dem Munde im Predigtamte zu preisen.

Der gelehrte Consistorialrath Datt, nach welchem mein Herr sich erkundiget, ist den 24 Febr. 1722 gestorben, und hat auch mit seinem Beyspiele bewiesen, daß kein Prophet in seinem Lande etwas gelte. Rand rechts: Datt. Er hat schöne Vermehrungen zu seinem trefflichen Werke, de[91] Pace publica, hinterlassen, die aber nach seinem Tode von Handen gekommen, ohne daß man noch eigentlich erfahren können, wo sie nunstecken.

Dero ehemaliger guter Freund, der P. O. ist gleichfalls erst vor etlichen Jahren den Weg alles Fleisches gegangen, ein Mann, der so besondern Schicksalen und Veränderungen in seinem Leben unterworfen gewesen, daß man wenig Exempel seines gleichen finden wird, und wüßte ich ihm niemanden besser an die Seite zu setzen, als den berühmten Caramuel4. Rand links: Parallele zwischen P. O. und Caramuel. So wohl in Hof- und politischen, als gelehrten und geistlichen, ja so gar Kriegsbedienungen hat P. O. seine Geschicklichkeit sehen lassen: und ob ich ihn gleich nicht gern als ein Muster eines christlichen Helden vorstellen möchte; so hat er dennoch manches Uebel noch verhütet, und einsmals einer Dame, so in das ordentliche Kirchengebeth, gleichwie der Herzog, eingeschlossen zu werden verlangte, mit vieler Dreistigkeit geantwortet: es sey solches überflüßig, und sie schon darinnen begriffen, nämlich in der Bitte des Vaterunsers: Erlöse uns vom Uebel.

Bey der Nachricht von dem Zustande der Gelehrsamkeit in hiesigen Landen, kann ich nicht mit Stillschweigen vorbeygehen die Ritterschule, welche der Mag. Rand links: Ritterschule zu Eslingen. Müller, mit Zuschuß einiger reichsfreyen ritterschaftlichen Cantons in Eslingen, drey Stunden von Ludwigsburg, und sechs von Tübingen, angeleget hat. Sie ist zwar bey weitem noch nicht in dem Stande, in welchen sie kommen kann, indessen habe ich doch schon sechs und zwanzig junge Edelleute daselbst angetroffen, welche in der lateinischen und französischen Sprache, Historie, Geographie, Mathematik, Musik, Tanzen, Fechten, und mit der Zeit auch in den Anfangsgründen des bürgerlichen Rechts unterwiesen werden. Die Person giebt für Information, Holz, Licht, Wohnung, Wäsche und Tisch jährlich nicht mehr als einhundert Thaler; und muß allein die Menge der Jugend machen, daß dergleichen Unternehmen ohne Schaden fortgesetzet werde: welches indessen auch itzt schon nicht mit allzuguten Augen sowohl von der Akademie zu Tübingen und den würtembergischen Consistorialibus wegen des Gymnasii zu Stutgard, als auch von solchen herzoglichen Ministern, die dem reichsfreyen Adel nicht allzugünstig sind, angesehen wird5. Die Stadt Eslingen ist schlecht; man sieht aber daselbst ein schönes Ritterhaus, und ein Rathhaus, das nach neuer Art gebauet, und nach dem augspurgischen für das schönste in Deutschland angegeben wird.


Ich bin – – –

Tübingen, den 20. Aug. 1729.

Fußnoten

1 Die Geschichte belehren uns, daß die Wichtigkeit des öffentlichen Lehramts allen Völkern in die Augen geleuchtet habe. An die Heiden will ich itzo nicht gedenken, ob wir gleichbey ihnen die häufigsten Spuren einer aufmerksamen Beschäfftigung antreffen können. Was waren die Schulen der Propheten unter dem jüdischen Volke anders als Pflanzschulen des öffentlichen Lehramts? Und was hatte die erste Stiftung der Kloster in den mittlern Zeiten für einen andern Endzweck, als die Zubereitung solcher Personen, welche die heiligsten Wahrheiten unsers seligmachenden Glaubens andern mit Nutzen anpreisen sollten? Neque enim, schreibt HOSPINIAN. de orig. templ. l. III, c. 5, priscorum monasteria erant latibula ignavorum fucorum & ventri, hoc est, luxui omnibusque voluptatibus deditorum hominum, ut hodie pleraque sunt, sed potius scholæ, in quibus artes & philosophia una cum theologia &vera religione pietateque tradebantur, eam maxime ob caussam, ut semper docti etc. idonei viri in promtu essent, quos ecclesiis præficere possent. Nachdem die Wahrheiten unsers Glaubens durch die gesegnete Reformation in ihrer ersten Lauterkeit wieder hergestellet worden, ist diese Sorge ebenfalls nicht eine der letzten gewesen. Vielleicht aber sind unsre Zeiten Schuld daran, daß der löbliche Endzweck der milden Stifter nicht allemal glücklich genug erreichet wird.


2 Die alten Stiftungen enthalten gemeiniglich fürchterliche Drohungen für diejenigen, welche die ursprüngliche Absicht der Stifter zu vereiteln suchen würden. Man hat daherin den ersten Zeiten der Reformation, so viel möglich, dafür gesorget, daß die Klöster und andre milde Stiftungen in wohleingerichtete Schulen verwandelt würden. Selbst die meisten ältern Akademien haben ihre Einkünfte den Klöstern zu danken. Doch hat man nicht verhindern können, daß nicht vieles zu Kammergütern geschlagen worden, obgleich die kläglichen Früchte solcher Veräußerungen sich öfters gar zu deutlich geoffenbaret. Der ehemalige lutherische Abt zu Michaelstein, M. Henning Brosenius, führet hierüber in seinem auro tolosano sehr bittre Klagen. Ich will den Titel seiner nunmehr rar gewordenen Schrift hiehersetzen: Aurum Tolosanum oder Unterricht von geistlichen und weltlichen Kirchengütern, auch vom Fluch und Strafe, so der Kirchenraub nach sich ziehe, Halberstadt 1637, 4. Die römische Geistlichkeit hat zwar ungleich größere Wachsamkeit bewiesen: jedoch aber auch nicht alle Veräußerungen verhindern können. Die neuesten öffentlichen Nachrichten aus Frankreich enthalten ein für die römische Clerisey unangenehmes Beyspiel. Der König verbiethet nicht nur, neue Stiftungen ohne besondere Erlaubniß zu machen, sondern wendet auch die seit dem Jahre 1666 gemachte dazu an, die Schulden der Krone zu tilgen, und bestätiget bloß diejenigen Stiftungen, welche diesen Namen in strengstem Verstande führen.


3 Beyden betrübten Spaltungen, welche in der evangelischen Kirche wegen der Unterschrift dieses symbolischen Buchs unglücklicher Weise entstanden sind, haben sich die streitenden Parteyen in den neuern Zeiten gemeiniglich durch quia und quatenus voneinander unterschieden. Schade ist es nur, daß viele unter denen, welche am meisten wider die Formulam Concordiæ sprudeln, die größeste Unwissenheit verrathen. Sind uns nicht Beyspiele von Männern bekannt, welche allerhand falsche Lehren, Widersprüche und andre Ungereimtheiten tadeln, ohne dieses Buch jemals gelesen zu haben? Die ältesten Nachrichten haben Hospinian in concordia discorde, und Hutter in der entgegengesetzten concordia concorde gesammlet, denen Löscher im dritten Theile der ausführlichen Historie der Religionsbewegungen c. 5 und 9 beyzufügen ist. Die Schicksale dieses Buchs in den Herzogthümern Schleswig und Holstein haben die Verfasser des vierten Theils der dänischen Bibliothek sehr glaubwürdig und zuverläßig beschrieben.


4 Dieser Caramnel war zu Madrit gebohren von einer deutschen Mutter, und hatte zum Vater einen Niederländer. Nachdem er seine Studia zurück gelegt, wurde er ein Cistertiensermönch und bald darauf Abt zu Moelrose und Dissenburg; ferner Abbas superior der Benedictiner zu Wien und Prag, hienächst ein Soldat, und in solchen Kriegsdiensten wider die Schweden Capitain über eine Compagnie zu Fuße; nach diesem Oberaufseher über die Befestigungs-Werke und Ingenieurs in Böhmen; bey dieser Bedienung aber blieb er nicht, sondern starb endlich als Bischof von Vigevano. Er war wegen seines scharfsinnigen Verstandes in so großem Ruhme, daß; als er einsmals an einem Orte, wo man ihn nicht kannte, bey Gelegenheit einer öffentlichen Disputation einen gelehrten Mönch sehr in die Enge trieb, dieser endlich aus Ungeduld und Beschämung mit den Worten herausfuhr: Aut Diabolus es, aut Caramuel. Ein gleiches wird vom Petro Lombardo erzählet.


5 Diese Ritterschule ist im Jahre 1732 wieder eingegangen, als Herr M. Müller nach Worms berufen worden.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 92.
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