[110] Siebenzehntes Schreiben.

Nachrichten von Straßburg.

Mein Herr!


Von Rastadt bis Stollhofen ist eine einfache Post, unb vom letzten Orte das Land bis Straßburg sehr angenehm und fruchtbar, was sonderlich den Rübenwachs anlanget. Rand links: Fort Kehl. Kehl wird von Straßburg eine halbe Post gerechnet, und auf der Brücke zahlt man am französischen Zollhause für jeden Coffre sechs Kreuzer.

Straßburg ist eine alte und große Stadt, der es aber an schönen Häusern mangelt. Rand links: Straßburgische Fortificationen. Man braucht sieben Vierthelstunden, um sie auf ihrem Walle zu umgehen. Dieser ist einer von den schönsten, die man sehen kann, und durchgehends mit Alleen, so bisweilen doppelt und dreyfach sind, besetzet. Man legt itzt etliche neue Werke auf der Seitedes Kehlerweges an, wodurch die Stadt mit der Citadelle genauer verknüpfet wird, und müssen die Bürger die dazwischen gelegenen Felder und Wiesen dazu hergeben. Die Bezahlung ist ihnen dafür versprochen; wie weit sie aber werde gehalten werden, muß die Zeit lehren. Gleich nach Wegnehmung dieser Stadt (so im Jahre 1681 geschehen) mußten die Bürger auch einen Theil ihrer fruchtbaren Felder zu den neuen Befestigungen hergeben, davon ein Theil noch nicht bezahlet ist, und wer etwas bekommen hat, mit der Hälfte des Werthes fürlieb nehmen müssen. Noch kürzlich hat ein Ingenieur nach einer mühsamen Arbeit von etlichen Jahren die ganze Stadt mitallen und jeden Häusern ins Kleine so deutlich gebracht, daß man fast alle Fenster und Schornsteine darinnen bemerken kann. Dieser Plan von Holze nahm einen großen Saal ein, und ist nun nach Paris gebracht worden.[110]

Die neuangelegte Citadelle an der Seite des Rheins liegt sowohl als die übrige Stadt ganz eben, und fallen ihre Befestigungswerke wenig in die Augen. Rand rechts: Citadelle. Man kann Kehl darausbeschießen, und wird das alte Gewehr, so man im Jahre 1681 der Bürgerschaft abgenommen, auch darinnen aufgehoben. Die Nähe des Rheins, welcher in dieser Gegend etliche morastige Inseln machet, verursachet eine ungesunde Luft in der Citadelle, in welcher deswegen die meiste Zeit des Jahres Krankheiten regieren. Sie dienet anitzt gleichsam zur Schule für mehr als hundert Cadets, die in der Mathematik und dem Festungsbaue unterwiesen werden. Rand rechts: Unterweisung der Cadets. Das angebohrne Feuer der Nation nebst dem flüchtigen Wesen der wilden Jugend, welches die Franzosen sehr spät ablegen, machet, daß diese Leute stets viele Händel unter sich und noch mehr mit andern anfangen, daher sie in der Citadelle als eingesperret leben, und nur etliche zugleich herausgelassen werden. Uebrigens haben sie hier eine erwünschte Gelegenheit etwas zu lernen, nicht nur wegen der guten Meister, die sich unter so vielen Ingenieurs hier finden, sondern auch weil zu Straßburg und in der Nähe, als zu Landau, Fort Louis, Brisach etc. fast alle Arten von Fortificationen, die Vauban, Cohorn und andere in dieser Wissenschaft berühmte Leute, angegeben und erfunden haben, vor Augen liegen. Die Besatzung von Straßburg beläuft sich gemeiniglich auf acht bis zehn tausend Mann, und wird den Officieren monatlich etwas an ihrem Gehalte abgezogen zu Unterhaltung der Komödie. Rand rechts: Komödie. Dafür gehen sie allezeit frey in das Parterre: und glaubet man aus triftigen Ursachen ihnen diesen Zeitvertreib geschafft zu haben, weil dadurch viele andere Unordnungen und schädlichere Zusammenkünfte, welche bey einer so großen Menge nicht fehlen können, unterbrochen werden. Es geschieht auch zuweilen, daß eine Gesellschaft von Officieren sich vereiniget, eines berühmten Autors Komödie oder Trauerspiel selbst vorzustellen, wie itzt die Officiere des Regiments von Picardie unternommen haben, und zwar mit besserm Fortgange, als dessen der Ritterorden sich zu erfreuen hatte, welcher neulich von einigen unter ihnen aufgerichtet worden. Die Glieder desselben nenneten sich Chevaliers de la Providence: die Regeln ihrer Stiftung brachten mit sich, daß alles gemein unter ihnen seyn, jede nützliche Sache, die einer doppelt hatte, dem andern bedürftigen Ordensbruder gegeben, alles überflüßige aber verbrannt werden sollte. Rand rechts: Chimärischer Orden de la Providence. Man kann aber leicht erachten, daß wenige reiche Leute sich in diesen Orden begeben haben, und wie das ganze löbliche Werk nicht lange bestehen können.

Durch die Stadt fließt die Preusche, und außen herum die Ill. Die Sitten und Gewohnheiten der Einwohner ändern sich mit der Zeit. Die Trachten der straßburgischen Jungfern mit ihren kostbaren Hüten, so über der Stirne breit sind, auf beyden Seiten aber in lange Spitzen laufen, nebst den vielen Falten in ihren Röcken, kommen sehr ab, und die jungen Leute richten sich nach den französischen Moden. Rand rechts: Itzige straßburger Trachten.

Der Münster oder die bischöfliche Kirche ist das vornehmste, so in der Stadt zu besehen vorkömmt. Rand rechts: Der Münster. Sie wurde gleich nach der Uebergabe der Stadtden Evangelischen genommen und den Römischkatholischen eingeräumet, für welches gute Werk der Bischof Franz Ego von Fürstenberg, den König in Frankreich, als er diese Kirche selbst in Augenschein nahm, unter andern mit dieser Schriftstelle bewillkommete: Herr, nun lässest du deinen Diener im Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen. Ich überlasse andern zu entscheiden, welches Compliment am meisten mit der Religion streite, dieses itzt angeführte, oder die Ausdrückungen, deren sich Herr Daucourt von eben dieser Uebergabe der Stadt Straßburg bedienete, in der Rede, welche er bey seiner Aufnahme in die Academie Françoise den 19 Novemb. 1683 hielt. Rand rechts: Blasphemische Schmeicheleyen gegen Ludwig den vierzehnten. Seine Worte sind folgende: Louis a dit, Que Strasbourg se soumette;& Strasbourg s'est soumis. Puissance plus qu'humaine,[111] & qui ne peut être comparée qu'a celle qui, en creant le monde, a dit,Quela Lumiere soit faite PROBLEM la Lumiere, fût faite. (Recueil des Harang. prononcées par MM. de l'Acad. François, dans leurs Receptions, p. 388, edit. de Paris, 1698, 4.) Die Grundsteine dieser Kirche liegen im Wasser und einer Thonerde. Noch vor wenigen Jahren konnte man mit einem Kahne in den untersten Gewölbern herum fahren; allein itziger Zeit ist der Eingang vermauert. Das sämmtliche Gebäude ist im Jahre 1449 fertig worden, und haben die Protestanten keinen Theil an der spöttischen Bildhauerarbeit, so noch vor wenigen Jahren in der Kirche an den Gesimsen zu sehen war, und Affen, Esel, Schweine etc. im Mönchenhabite bey der Messe, desgleichen auch einen Mönch, der sich bey einer liegenden Nonne gar ungeziemender Freyheiten gebrauchet, vorstellte, anitzt aber guten theils weggenommen ist. Rand links: Satirische Bedhauerarbeit wider die Mönche. Ich lasse dahin gestellt seyn, ob die Handwerksleute vor sich dergleichen Erlaubniß genommen, oder ob dieClerici seculares auf diese Art einige Rache nehmen wollen an den Mönchen, welche ihnen allenthalben Eintrag thaten. Der Kirchenornat, welchen Ludwig der vierzehnte hieher verehret, ist sehr kostbar. Rand links: Kirchenornat. Fünfzig Personen sollen eilf Jahre lang daran gearbeitet haben, und die Unkosten sich auf sechsmal hundert tausend Thaler belaufen. Es gehören außer den dreyfachen Meßgewanden und Bekleidungen des Altars sechs große silberne Leuchter dazu, an deren jedem ein starker Mann zu tragen hat, und ein Crucifix, welches doppelt so schwer ist. Das sämmtliche Gewicht dieser sieben Stücke beträgt sechszehnhundert Mark.

Der Kanzel gegen über ist ein Ziehbrunnen, bey welchem man im Heidenthume die Opfer gewaschen haben soll1. Rand links: Brunnen in der Kirche. Derb. Remigius weihete ihn zur Zeit Clodoväi zum Taufwasser, welches man bis zur Reformation daraus genommen und sogar auf die benachbarten Dörfer geholet hat. Das Wasser desselben ist gut und rein, auch steht heut zu Tage jedem frey, davon in der Kirche zu trinken, oder es in die Häuser holen zu lassen.

Man besieht ferner in dieser Kirche die große Uhr mit den mancherley Bewegungen der Planeten; das gemeine Volk belustiget sich an denen Bildern, die hervortreten und an dem Hahne, welcher zuletzt, wie wohl mit gar heiserer Stimme, krehet. Rand links: Künstliches Uhrwerk. Ich lasse dieses unter den Künsten des ehrwürdigen Alterthums eher gelten, als dasjenige Uhrwerk, so ich ehemals in des König Ludwigs des vierzehnten Zimmer zu Versailles beobachtet, über dessen einer Seite ein silberner Adler zitterte und bebete, wenn der gegen über stehende Hahn beym Glockenschlage einer jeden Stunde krehete. Rand links: Wie sich Ludwig der vierzehnte von Schmeicheleyen einnehmen lassen. Ob eine solche Kleinigkeit und prahlende Verhöhnung seines Feindes mit der wahren Großmüthigkeit bestehen könne, überlasse ich anderer Urtheilen. Wenn die Satire einen Staat, der einen Löwen im Wapen führet, betroffen hätte: so möchte man der Erfindung noch etwas zu gut halten, weil die Alten, obgleich fälschlich, glaubten, es fürchte sichder Löwe vordem Hahnengeschreye. Bey einem ernstlichen Verfahren der Krone Frankreich gegen den vermeyntlichen Nachfolger Petri auf dem päbstlichen Stuhle könnte eine in etwas veränderte Erfindung gleichfalls Statt haben, und den in sich gehenden oder weinenden Petrum abbilden, zumal da vermuthlich die ganze Erfindung, den Hahn mit seinem Krehen hie und da auf Uhrwerken anzubringen, aus der evangeligelischen[112] Geschichte des Leidens Christi genommen worden. Allein, daß der Adler, welcher insgemein als der König aller Vögel angesehen wird, vor dem Krehen eines Hahns erzittere, hat weder in der Physik, noch in einer obgleich auf Vorurtheilen beruhenden symbolischen Vorstellung einigen Grund: und kann eine dergleichen Erfindung nur solchen Gemüthern gefallen, die mit der Schwachheit Ludwigs des vierzehnten eine Uebereinstimmung haben, als welcher in Ansehung der Schmeicheleyen dergestalt verblendet war, daß er in Opern und Prologis von Schauspielen seine eigene aufs höchste getriebene Lobsprüche mitzusingen pflegte, und selbst nach dem harten Frieden, wozu ihn die Königinn Anna im Jahre 1713 zwang, befahl, oder wenigstens gestattete, daß unter seinen Augen eine ihn vorstellende marmorne Statue, die noch heut zu Tage in der Orangerie zu Versailles steht, verfertiget und daran die hochmüthige Inscription gesetzet wurde:


Pace beat totum qui bello terruit Orbem.


Der Thurm des Münsters ist billig unter die höchsten von Europa zu rechnen. Rand rechts: Thurm. Mit der obersten Krone sind ohngefähr sechs hundert und vier und funfzig Stuffen in allen zu zählen, deren geometrische Höhe etliche von fünfhundert und vier und siebenzig Schuhen, andere aber nur von fünf hundert angeben. Wenn man drey hundert und fünf und zwanzig Staffeln gestiegen ist, kömmt man auf einen großen Platz, woselbst in einem steinernen Troge Wasser stets bereit gehalten wird, auf den Fall, daß oben etwan Feuer entstehen sollte. Das Erdbeben, so sich den 3 Aug. 1728 allhier und durch ganz Schwaben spüren lassen, hat dieses Wasser drey bis vier Fuß in die Höhe und sechszehn bis achtzehn Schuhe weit auf die Seite heraus geschmissen, weswegen ein besonderes Denkmaal auf der letzten Stelle aufgerichtet werden soll. Rand rechts: Erdbeben 1728. Man hatte nach gemeldtem Erdbeben dem gemeinen Manne weis gemacht und sogar in diegedruckten Zeitungen setzen lassen, daß die ganze Münsterkirche durch den ersten Stoß des Erdbebens drey Schritte vorwärts gerücket, durch den andern aber in ihren ersten Platz wieder versetzet worden sey. Oben auf dem Umgange der Kirche wird auch das metallene Kräuselhorn gezeigt, und alle Nächte zweymal zur Schmach und Schande der Juden geblasen, weil sie im Jahre 1349 die Stadt verrathen wollten, und ein Horn hatten machen lassen, den Feinden dadurch eine Losung zu geben, wenn sie den Angriff thun sollten. Rand rechts: Kräuselhorn auf dem Thurme. Die große Glocke in dem Münster wiegt zweyhundert und vier Zentner, und eine andere, so die Silberglocke genennt wird, weil sie meist von Silber seyn soll, sechs und vierzig Zentner. Rand rechts: Silberne Glocke. Letztere wird außer ganz besondern Freudenbezeugungen nur zweymal im Jahre geläutet, nämlich am St. Johannistage bey Anfange der Messe, und vierzehn Tage hernach bey Endigung derselben.

Das Hospital der Stadt, so vor etlichen Jahren abgebrannt ist, wird nun wiederprächtig gebauet, und hat man linker Hand beym Eingange an dem alten Orte diejenige erhabene Figur wieder eingemauert, so in der Mitte wie eine mittelmäßige Canonenkugel anzusehen, im Umfange aber mit vielen sich ausbreitenden Adern versehen ist. Rand rechts: Hospital Etliche halten sie für eine Abbildung der großen Pestbeule, welche einsmals ein Kranker in diesem Spitale[113] gehabt haben soll; andere für eine Spinne, die man im Weinkeller gefunden habe; und die eine Nachricht scheint so unglaublich als die andere.

In dem Keller verwahret man noch alte Weine vom Jahre 1472, 1519 und 1525. Rand links: Alte Weine. Der mittelste von diesen Weinen wird zu einem historischen Andenken der Würtemberger- und der letzte der Baurenkrieg genennet. Wie man vorgiebt, so kann keiner von diesen dreyen Weinen aufgefüllet werden, weil sich in jedem Fasse eine dicke Haut um den Wein angesetzet und alle Oeffnung benommen habe, auch über dieses der Wein selbst ganz schwarz werde, sobald man etliche Tropfen von anderm Weine darunter mische. Er schmeckt nicht viel besser als saure Lauge, und wenn man einen Tropfen davon in die Hand reibet, so bleibt der Geruch, ungeachtet alles Waschens, viele Stunden lang in derselben. Man giebt den Reisenden für einen Gulden Trankgeld von jeder Art nur etliche Tropfen zu kosten; und weil in jedem Fasse noch acht Ohmen seyn sollen, so kann man leicht erachten, daß in den drey gemeldten Fässern noch manche hundert Gulden Trankgelder für den Kellermeister stecken müssen.

Unter die merkwürdigen Gebäude der Stadt gehöret das königliche Invalidenhaus, und das Jesuitercollegium, in welchem letzten eine schöne Bibliothek und etliche gesammlete Alterthümer zu sehen sind. Rand links: Invalidenhaus. Rand links: Jesuitercollegium. Die Akademie hat auch einen guten Vorrath von Büchern, welche man unter vorgeschriebenen Versicherungen gelehnt bekommen kann. Rand links: Akademie. Itziger Zeit sind die berühmtesten Professores in Facultate Theologica, D. Silberrath und Fröreisen; in Juridica, D. Link, Scherz und Bökler; in Medica, Scheit, Salzmann und Bökler etc. In der Historie und Beredsamkeit hat Schöpflin wenige seines gleichen, und kann sich die gelehrte Welt noch vielen Vortheil von seinem Fleiße und künftigen Werken versprechen.

Das Theatrum Anatomicum verdienet gesehen zu werden; und der medicinische Garten soll nach dem leydenischen und parisischen der beste seyn. Rand links: Theatrum Medicinischer Garten.

Auf dem Pfennigthurme ist das Archiv der Stadt, und unter andern ein pergamenen Diploma vom Kaiser Karln dem vierten; unter welchem eben dergleichen Siegel zu finden, wie an der güldenen Bulle zu Frankfurt hängt, ausgenommen, daß das straßburgische nicht von Golde ist. Rand links: Archiv. Hier wird auch die große Fahne aufgehoben, von welcher in der Streitigkeit wegendes Reichsfähndrichamtes oftmalige Erwähnung geschieht. Rand links: Sturmfahne. Sie ist achtehalb Ellen hoch, siebentehalb Ellen breit und für achtzig Ducaten werth Gold daran. Vermuthlich ist sie nur eine Fahne der Stadt Straßburg insbesondere gewesen, und niemals als eine Hauptfahne des ganzen deutschen Heeres angesehen worden.

Ehemals wurde zu Straßburg in der St. Michaelskapelle ein von Metalle gegossenes zwo bis drey Ellen hohes Bild verwahret und Kruzmanna genennet. Rand links: Götzenbild Kruzmanna. Seine Gestalt kam der Vorstellung Herkules sehr nahe, und ist in dem sehr raren Büchlein des M. Ose &[114] SCHADAEI Ausführliche Beschreibung des Münsters zu Straßburg (gedruckt im Jahre 1617, 4.), im Holzschnitte zu sehen, wie solchen der Baumeister Daniel Specklin mit eigener Hand gezeichnet hinterlassen hat; wiewohl im Abzeichnen ein Fehler vorgefallen seyn muß, indem man aus Specklins Collectaneis MStis sieht, daß die Keule in der rechten, und der Schild in der linken Hand seyn soll. Im Jahre 1525 wurde dieses Bild nebst andern auf die Seite gethan; wo es aber nachdem hingekommen, ist ungewiß. Der P. Montfaucon versicherte mich einsmals, daß es an den Louvois geschenkt worden, und nun zu Issy in einem Gartenhause des Marschall d'Estrées stehe; Herr Prof. Kuhn aber widersprach diesem Vorgeben, indem er behauptete, daß das Stück, so in Issy zu sehen, und von einem aus dem Rathe der Funfzehner an Louvois verkaufet worden, falsch und nachgemachet sey.

HeliseusROESLIN, in Descriptione Vosagi, c. 12. meldet aus einem alten Chronico MSto, daß ehemals Mars zu Straßburg einen Tempel gehabt habe. Ich halte dieses Bild für eine ordentliche Vorstellung des Herkules mit der Keule und Löwenhaut, so übrigens mit den heidnischen Götzen der alten Deutschen keine Gemeinschaft hat2. Der Name Kruzmann, welchen ihm das gemeine Volk gegeben, kömmt entweder von Kruazen, cruozon; welches vorzeiten kämpfen, grüßen, herausfordern hieß, wie Franc. IVNIVSad Willeram. p. 157, und SCHILTERadKÖNIGSHOFIIChron. Alsat p. 551 zeigen: ist also Kruzmann so viel als Hercules provocator, oder es bedeutet überhaupt einen großen Mann. Das z. wurde ehemals häufig für das heutige s. gesetzet, z. E. unzern Gruz, erzam etc. Gruoz und scone wird auch von WILLERAMOin Cantico Canticorum für groß und schöne gebraucht.

Bey dem Herrn von Rathsamshausen findet man ein gutes Raritätenkabinet, und bey vielen andern Liebhabern schöne Sammlungen von alten und neuen Münzen. Rand rechts: Kabinet von Rathsamshausen.

Ich bin noch zu rechter Zeit hieher gekommen, um das Dankfest und Feuerwerk, so wegen des, den 4ten Sept. gebohrnen Dauphin angestellet worden, mit anzusehen. Rand rechts: Festin wegen Geburt des Dauphin. Es wurde dazu das Gerüste auf der Preusch verfertiget und ganze Wagen voll Sonnen herbeygeführet. Denn diese nebst dem Herkules in der Wiege mußten zu den meisten Devisen und Umschriften Gelegenheit geben, worunter wenige von sinnreicher Erfindung anzutreffen waren. An einem besondern Orte lief Wein für die Soldaten, und an einem andern für die Bürgerschaft. Nachmittags wurden die Canonen um die Stadt gelöset, und als es dunkel wurde, illuminirte man den untern Theil des Gerüstes vom Feuerwerke, und der obere Theil wurde auf einmal durch eine aus dem Gouvernement langsam kommende Sonne in Licht und Feuer gebracht. Das Wetter war still, und thaten sowohl die Feuer- und Wasserkugeln, als die Räder und vielen großen Racketen ihre erwünschte Wirkung. Dem einzigen kaiserlichen General und Commendanten zu Kehl, Baron von Roth, begegnete ein verdrießlicher Zufall, welchen etliche Franzosen nicht ermangelnals eine Anzeigung des künftigen[115] Glückes ihres Dauphin wider seine Nachbarn auszudeuten. Die erste Rackete, so durch die obgemeldte Sonne auf dem Gerüste angezündet wurde, an statt daß sie in die Höhe steigen sollte, fuhr (weil sie vielleicht nicht recht angebunden war) gegen das Gebäude vom Gouvernement zu, daselbst vor des Prinzen von Birkenfeld Gesichte vorbey, und dem dabey stehenden Generale von Roth mit solcher Gewalt an den Backen, daß seine Kleidung gleich voll Blut wurde, und er sich wegtragen lassen mußte. Rand links:Omen wider die Deutsche. Nach dem Feuerwerke wurde die ganze Pyramide des Münsterthurms illuminiret, welches sehr wohl anzusehen war; in dem Gouvernement aber wurde Tafel und ein Ball gehalten.

Gouverneur von Elsaß ist der alte Marschall d'Uxelles, und in seiner Abwesenheit der Comte du Bourg, welcher gern von der Campagne wider den General Mercy vom Jahre 1709 sprechen höret, auch derselben sein Glück meistentheils zu danken hat. Rand links: Histoire amoureuse des Marschall d'Uxelles. Mademoiselle Scheindar. Der Marschall d'Uxelles war ein solcher Liebhaber des weiblichen Geschlechtes, daß er auch sein Herz auf lange Zeit an des hiesigen Schinders Tochter geschenkt hatte. Diese war von sonderbarer Schönheit, und schämten sich viele andere Leute von vornehmem Stande nicht, um ihre Gunst sich zu bewerben. Die Franzosen meynten, die Benennung ihres Vaters wäre ein Familienname, und nennten sie daher mit gebrochener Aussprache Mademoiselle Scheindar. Ehe sie noch recht in Ruf kam, traf sie der Oberste von Helmstädt, so vor der Stadt spazieren ritt, auf einem Wagen fahrend an; ihr schönes Gesicht fiel ihm in die Augen, also, daß er sich mit ihr in ein Gespräch einließ, und weil er ohnedem nicht gar blöde war, endlich um die Erlaubniß anhielt, mit ihr in die Stadt zu fahren. Als er im Absteigen vom Pferde begriffen, fragte er noch zu seinem Glücke, wem er denn die Ehre haben würde Gesellschaft zu leisten? und die Nymphe vertrauete ihm offenherzig, daß sie des Schinders zu Straßburg Tochter sey; worauf er, wie leicht zu erachten, unter anderm Vorwande seinen ersten Entschluß geändert, und sich dadurch vielen Spöttereyen entzogen hat. Eine nicht gar ungleiche Begebenheit ist dem Herrn v. ... begegnet, als er nicht weit von der Stadt N. ritt, und eine am Wege sitzende junge Weibesperson, welche sich in heißen Thränen badete, erblickte. Ein nicht häßliches Gesicht, so er an ihr wahrnahm, bewegte ihn vom Pferde zu steigen und sich ihr zu nähern. Er bezeugte ihr sein Mitleiden, suchte ihr Trost zuzusprechen, und fing schon an ihr zu liebkosen, als sie auf langes Fragen nach der Ursache ihrer vielen Thränen endlich gestund, sie käme den Augenblick aus des Henkers Händen, welcher ihr den öffentlichen Staupbesen gegeben, und fehle es ihr also nicht an Ursache betrübt zu seyn. Herr v. ... hat solches nach langen Jahren an gute Freunde erzählet; man kann sich aber leicht einbilden, daß er damals, nach solcher empfangenen Nachricht nicht gewartet habe, bis jemand gekommen, der ihn in so schöner Gesellschaft angetroffen und die Sache weiter ausgebracht hätte. Hier füge ich nur noch hinzu, was dem Oberstlieutenant N. wiederfahren, der sich in eine unbekannte junge Person verliebte, die nebst einer nicht unangenehmen Gestalt eine gute Erziehung hatte, und in der Geographie, Historie, Malen und Sprachen nicht unerfahren war. Er hielt bey ihr um das Jawort an, und als sie durch andere Vorstellungen ihn von seinem Entschlusse nicht abwendig machen konnte, entdeckte sie ihm endlich ihre Herkunft, wie ihr Vater ein reicher Schweinschneider sey, der sie an einem Orte, wo man sie nicht kennete, erziehen ließ. Die Beständigkeit des Oberstlieutenants überwand auch diese bittere Wahrheit, und ob er gleich darüber einige Händel mit andern Officiers bekam, auch endlich selbst abgedankt wurde, so tröstete er sich doch damit, daß er eine Frau gefunden, die Verstand, Tugend, und, als eine einzige Tochter, viel Geld hatte.


Ich bin – – –

Straßburg, den 19 Sept. 1729.

Fußnoten

1 Die alten deutschen und nordischen Völker sahen das Waschen der Opfer als ein wesentliches Stück des äußern Gottesdienstes an. Sie sorgten daher, daß die Opferstäte einen Brunnen in der Nähe hatten, und schrieben demselben eine große Heiligkeit zu. Von den Brunnen der Hertha redet Tacitus Germ. c. 40; und den heiligen Brunnen der Cimbrer beschreibtWORMIVSmonum. Dan. l. V, p. 285, und Arnkiel in der cimbrischheidnischen Religion Th. I, c. 23, 30. Von dem upsalischen Brunnen erzählet Adam von Bremen daß er ein Werkzeug der unmenschlichen Menschenopferung gewesen sey: Ibi etiam est fons, ubi sacrificia paganorum solent exerceri, & homo vivus inmergi. Doch muthmaßet Scheffer Vpsal. antiqu. c. 10, p. 139, daß die schon vorher getödtete Menschen nur im Brunnen abgewaschen worden. Die Isländer nennen einen solchen Brunnen blotkelda.RVDBECK. Atlant. Tom. II, c. 5; ARNGRIM. rer. Island. p. 62.


2 Es ist unleugbar, daß diejenigen deutschen Provinzen, welche den herrschsüchtigen Römern am nächsten gelegen waren, einige Spuren der Gleichheit des Götzendienstes aufweisen können. Wenigstens gaben sich die Römer allenur ersinnliche Mühe, solche Gleichheit zu befördern, weil sie dieses als ein bequemes Mittel ansahen, ihre Oberherrschaft zu befestigen. Romanis inprinis sollemne erat, schreibt Keyßler antiqu. Sept. p. 186; devictarum gentium numina cum suis commiscere: vel quia quidquid ubique deorum erat, a gente orbis pene terrarum victrice coli vellent videri, unde peregrina etiam sacra Romæ plane interdicta erant: vel quia levissimis indiciis decepti re vera sua numina sibi cernere videbantur: vel denique quia lubenti animo sua interpretatione subveniebaut, ut in communionem facrorum venirent cum populis armis subactis, quos eo facilius hac ratione jugum Romanorum admissuros existimabant, probe gnari, quantam vim in vulgi animis habeat religio. Wenn man dieses erwäget; so wird man sich über den straßburgischen Herkules nicht verwundern dürfen. Ganz anders aberwar es mit dem inneren Deutschlande beschaffen. Es sieht in Wahrheit unsern Vatern gar nicht ähnlich, daß sie die Religionsgebräuche der Römer nachgeahmet; es sind vielmehr Spuren vorhanden, daß die abgöttischen Römer den Götzendienst der Deutschen nachgeäffet haben. Wir wollen abermals Keyßlern aus seinen Alterthümern reden lassen S. 287: Quod autem præcipuum est, Romani ipsi sacra Germanorum avide complectebantur, vel quod interpretatione quadam sæpius incongrua Romana faciebant: vel cœca superstitione inducti, cui nil tam abjectum ac imbecille, in quo compellente necessitate præsidium non putet collocandum: vel denique ut hac sacrorum veluti communione eo facilius jugo adsuescerent, quod vix æquo animo patiebantur libertatis tenacissimi.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 116.
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