[154] Zwey und zwanzigstes Schreiben.

Reise durch Savoyen und über den Mont Senis.

Mein Herr!


Die Reise von Geneve nach Italien kann man nicht wohl anders fortsetzen als in Sedien. Rand links: Fuhrwerk von Sedien. Dieses Fuhrwerk besteht in einem halben Verdecke, worinnen zwo Personen neben einander sitzen, und zween Kusser hinten aufgepackt werden können. Es hat nur zwey Räder, und von den zweyen davor gespannten Pferden geht das eine, nämlich das Handpferd, zwischen den zween Bäumen, und hat also die meiste Arbeit zu thun. Man sagt insgemein, zu einer guten Sedie würde erfodert, daß die Brancards oder Tragbäume in Venedig, die Räder in Genua, und das dazu benöthigte Eisenwerk in Mayland verfertiget seyn. Wagen von vier Rädern würden nicht ohne große Mühe durch Savoyen zu bringen seyn, wegen der vielen rauhen Steine, auch engen und kurzen Wendungen, welche häufig in den bergichten Wegen vorkommen. Weil man oftmals in Geneve dergleichen Sedien findet, welche nach Turin zurück gehen, so kann die ganze Ausgabe für eine Sedie mit Essen und Trinken nebst den Unkosten der Maulesel und Träger über den Mont Senis mit acht oder neun Pistolen bestritten werden. Rand links: Gelegenheit nach Turin zu reisen. Es ist hier noch nöthig, daß man die Verkostung und Nachtlager mit eindinge, weil man sonst von den Wirthen sehr übersetzt wird, da hingegen die Postknechte den Preis des Weins und aller Eßwaaren wissen, und von den Wirthen wegen der beständigen Einkehre mehr geschonet werden. Rand links: Tractamente in den Wirthshäusern. In den übrigen Theilen[154] von Italien ist dergleichen nicht nöthig, und nur die Vorsicht zu gebrauchen, daß man vorher dem Wirthe sage, man wolle al pasta speisen, welches Mittags dreyßig Sols de Piemont oderdrey Paoli, und des Abends mit Bette und Kammer vierzig Sols oder vier Paoli auf eine Person beträgt. Für einen Diener wird die Hälfte bezahlt. Läßt man sich al conto tractiren, so bekömmt man selten besseres Essen, und die Wirthe machen doch die Rechnung nach Belieben. Die ordentlichen Tractamente in Savoyen sind wie in Italien, und bestehen gemeiniglich in einer Suppe, abgekochten oder gebratenen Hühnern, Tauben, Reiße, gebratenen Lebern, Kastanien, Butter, Käse und etwas Obst. Mit den Fasttägen ist man am übelsten daran, weil alte marinirte Fische eines von den Hauptessen ausmachen. Der savoyische Wein ist sehr dunkelroth und hat etwas herbes an sich. Man findet zwar auch süße Weine, so Vini amabili genennt werden; allein sie sind nicht gesund, und thut man besser bey dem Vino brusco zubleiben. Die Weine singen am Necker in diesem Jahre schon um die Mitte des Septembers an reif zu werden, und vermuthete ich nicht anders, als daß um die itzige Zeit die Weinlese in Italien schon vorbey seyn müsse; allein ich fand es anders, und die Leute waren sowohl in Savoyen als Piemont und Mayland noch in der Mitte des Octobers damit beschäfftiget. Rand rechts: Weinlese in Italien.

Man bringt auf der Reise von Geneve bis Turin sechs bis sieben Tage zu. Rand rechts: Gränze von Geneve. Eine Vierthelstunde von Geneve fließt die Arve, welche auf dieser Seite die Gränze zwischen der Republik Geneve und dem Herzogthume Savoyen machet. So bald man über den Fluß, so wird am savoyischen Zolle alles, was man unterwegens von beschwerlicher Durchsuchung befreyet haben will, verpitschieret und erst zu Novalese besichtiget.

Die großen Gebirge, Montagnes maudites genannt, und dann ferner nach Anecy zu, les Glacieres, läßt man linker Hand liegen. Rand rechts: Montagnes maudites. Sie sind von Geneve etwan drey Tagereisen entfernet, und stets mit Schnee und Eisschollen als mit großen Felsensteinen bedeckt; daher diejenigen, so in den Klüften der Gebirge und Felsen Cristal de Roche oder Bergkrystall, sammeln, dieselbe öfters nicht ohne Lebensgefahr besteigen. Rand rechts: Cristal de Roche. Es fehlet nicht an Gelehrten, welche der Meynung sind, als entstehe der Krystall aus dem Eise1. Nicht nur Seneca, Plinius und St. Augustin unter den Alten, sondern auch Cardanus und P. Fournier unter den Neuern, haben sich für diese Verwandlung des Eises erkläret. Allein zu geschweigen, daß man andern Edelgesteinen, als dem Diamanten, Chrysolit, Topas etc. mit eben solchem Rechte diesen Ursprung zuschreiben müßte: so haben die Vertheidiger gemeldter irrigen Meynung nicht gewußt, oder bedacht, daß Krystall auch in sehr warmen Ländern, wie zum[155] Exempel in der Insel Cypern und vielen heißen Gegenden von Asien gezeuget werde. Nach ihrer Meynung würde folgen, daß um Nova Zembla herum große Berge von klarem Krystalle zu finden seyn müßten.

Es sind wenig Provinzen in Deutschland, welche nicht Krystalle hervor bringen, ob sie gleich nicht diejenige Größe haben, so zu guter Verarbeitung erfodert wird. Noch ver wenig Jahren hat man auch in dem Canton Bern bey den Alpen eine Mine entdeckt, da vieler Krystall gefunden wird. Rand links: Krystallminen in der Schweiz. An einem andern Orte dieses Cantons ist schwarzer Krystall zu haben, aber in geringern und wenigern Stücken. Die Höhe des obgedachten Gebirges Montagne maudite, wird in der Perpendicularlinie bis auf den Horizont des Genfersees wenigstens von zweytausend Klaftern oder toise de France, gerechnet, welche zwölftausend achthundert und sechszehn englische Schuhe, oder über zwo englische Meilen austragen. Der Genfersee liegt nach seiner Fläche des Wassers vierhundert sechs und zwanzig toises de France (deren jede von sechs Fuß ist) höher als der Horizont oder le niveau des mittelländischen Meeres.

Aus diesen Gebirgen und sonderlich aus den Montagnes de Faucigny, sammelt sich und entspringt die Arve, welche eines Büchsenschusses weit von der Stadt Geneve in die Rhone fällt, und wegen der itztberührten Umstände, nach dem Unterschiede der Jahreszeiten, sehr bald fällt bald anwächst. Rand links: Fluß Arve. Sie führet einigen Goldsand, allein nicht in solcher Menge, daß dadurch die zu dessen Sammlung erfoderte mühsame Arbeit genug bezahlet würde, und bringt es eine Person des Tages höchstens auf einen Vierthelthaler. Rand links: Armselige Lebensart der hiesigen Einwohner. In den Dörfern dieser Gegend trifft man in den meisten Jahreszeiten nur Weiber an. Die Männer und junge Mannspersonen sind des Jahres kaum zween oder drey Monate zu Hause, weil sie wegen der Armuth ihres Vaterlandes das Brodt in der Fremde mit Schornsteinfegen, Herumtragen der Murmelthiere etc. verdienen und etwas davon nach Hause bringen müssen. Die Männer kommen zu einerley Jahreszeit nach Hause, und gehen zugleich wieder aus dem Lande, daher es kömmt, daß die Weiber dieses Striches Landes fast alle zu gleicher Zeit in die Wochen kommen. Rand links: Frauen kommen zu einerley Zeit in die Wochen. Die erste Tagreise von Geneve nach Turin ist wegen der bergichten und steinichten Wege sehr beschwerlich, und das Land mit Einwohnern wenig besetzt. Die Wallnußbäume sind hier so häufig, als in der Schweiz. Zu Marlie, vierthalb Stunden von Geneve, fand ich die ersten papierenen Fenster, welche in Italien so gemein sind, daß man selbige auch in theils herzoglichen Pallästen zu schlechtem Vergnügen des Auges antrifft. Rand links: Papierene Fenster. Dieses Papier ist mit Oele getränkt sowohl zu mehrerer Durchsichtigkeit, als um das Eindringen der äußern Luft, die an vielen Orten sonderlich bey Nachtzeiten sehr ungesund ist, zu verhindern. Rand links: Nutzen des Oeltränkens. Denn daß das Oel diese Wirkung habe, kann man bey einem Barometer zeigen. So lange dieser oben wohl verwahret ist, fällt das darinnen enthaltene Quecksilber nicht anders oder tiefer als die ordentliche Veränderung des Wetters mit sich bringet. Kann aber die Luft durch die Materie, womit es oben bedeckt ist, durchdringen, so läuft das Quecksilber unten fast ganz heraus. Durch dieses Mittel kann man bemerken, ob und in was für einem Grade die äußere Luft durch einen Körper oder eine Materie dringe. Das trockne[156] Papier hält sie gar nicht auf, wohl aber das nasse, sonderlich wenn es mit Oele gerieben ist. Daß aber in Italien die papierene Fenster sehr gemein sind, mag außer der itztgemeldten Abhaltung der Luft auch daher kommen, daß das Glas daselbst theuerer als in vielen andern Ländern ist, auch in der heißen Sommerzeit die Zimmer durch die auf Glasscheiben fallende Sonnenstralen allzusehr erhitzet werden.

Rumeli liegt vierthalb Stunden von Marlie. Auf halbem Wege läßt man linker Hand die hohen Schneegebirge und die an einem schönen See gelegene bischöfliche Residenz Anecy liegen. Rand rechts: Anecy. An diesem Orte soll wegen der trefflichen Aussichten und guten Gesellschaften wohl zu leben seyn. In Savoyen spricht jedermann Französisch, die Namen der Städte und Dörfer sind auch meistentheils französisch; das Gemüth aber und der humeur der Nation ist mehr deutsch, und unterscheiden sie sich von ihren Nachbarn gegen Süden und Westen durch die sogenannte alte deutsche Redlichkeit, welche vielleicht durch die Armuth des Landes sehr befördert und erhalten wird. Rand rechts: Sprache und Charakter der Savoyarden. Ein Bauer, der ein Paar Ochsen, zwey Pferde, vier Kühe, etliche Ziegen und Schafe bey etwas Acker hat, wird für reich gehalten. Rand rechts: Lebensart. Ihr Brodt ist von Haber, worunter die reichern etwas Kornmehl mischen, damit es besser zusammen halte. Milch und gutes Wasser ist ihr Trank; Käse, Butter, Wallnüsse, Gartengewächse, nebst dem Fleische, so sie von ihrer Viehzucht ersparen können, sind ihre Speisen, wiewohl das letzte wenigen zu Theile wird, und sie vielmehr etwas von ihrem Viehe jährlich verkaufen müssen, um die übrige Nothdurft des menschlichen Lebens besser bestreiten zu können. Bey dieser Lebensart sind die Leute von fröhlichem Gemüthe, haben guten Appetit, eine viel frischere und gesundere Farbe als die Piemonteser, (sonderlich was das Frauenvolk anlangt) sie werden sehr alt: und weil sie dabey so fruchtbar sind, daß das Land nicht genugsame Lebensmittel zu Unterhaltung seiner Einwohner hervor bringen würde, wenn sie alle zu Hause bleiben wollten; so ist kein Wunder, daß sie ihre Kinder aus dem Lande schicken, um mit Murmelthieren, Schuhputzen, Schornsteinfegen oder auf andere Art ihr Brodt zu gewinnen. In Paris rechnet man an jungen und alten über achtzehntausend Savoyarden, davon die jungen mit Schuhputzen sich forthelfen, und des Winters bey vierzig bis sechszig in einer Stube beysammen schlafen. Des Sommers ist jeder erhabener Stein an den Häusern und Thüren zu einem Kopfküssen gut genug. Sie sind ehrlich, und kann man ihnen Gold zu wechseln anvertrauen. Wenn sie es so weit gebracht, daß sie sich einen kleinen Kram zulegen können, so haben sie gewonnen, und bringen sie es gemeiniglich hernach sehr weit in ihrem Vermögen. Der reiche Wechsler und Finanzier, Croizat, dessen Tochter an den Grafen von Evreux, aus dem Hause Bouillon verheirathet worden, ist einer aus der Zahl solcher Jungen gewesen. Insgemein bleibt so viel Liebe für ihr Vaterland bey ihnen zurück, daß sie wieder in ihre Heimat kehren, wenn sie etwas vor sich gebracht haben. Jährlich geht hie und da ein alter Kerl durch die Dörfer, und sammelt die jungen Knaben, um sie aus dem Lande zu führen, weswegen man ihn gar wohl mit dem hamelischen Rattenfänger vergleichen könnte2. Oftmals sind die Kinder, welche man ihm mitgiebt, noch so klein, daß sie in Korben weggetragen werden. Dabey bringt er von andern Landsleuten[157] aus Paris, Lion etc. Briefe an die Aeltern, Verwandte und gute Freunde mit, bisweilen auch etwas Geld, Nadeln und dergleichen Kleinigkeiten zum Geschenke, welches die alten Einwohner anfrischet, ihm neue Colonien anzuvertrauen, bey deren Wanderschaft er denn auch einen kleinen Vortheil, und wenigstens, so lange er in Savoyen herum zieht, das Essen und Trinken frey hat.

Was ich hier von der Armuth des Landes angemerket habe, geht vornehmlich auf die Bergsavoyarden. Denn übrigens fehlet es nicht an fruchtbaren Thälern, in welchen viel Getraide und Wein wächst, auch gute Viehzucht ist. Die meisten Ochsen und Kühe, so man in Piemont und Mayland hat, kommen aus Savoyen. Man bringt sie noch jung über die Berge, und unterscheidet sie leicht an der weißen Farbe von dem einheimischen Hornviehe. Man zieht in Savoyen auch viele Maulesel, so außer Landes verkaufet werden.

Drey Lienes von Rumeli liegt die Stadt Aix, welche wegen ihrer warmen Bäder berühmt ist. Rand links: Warme Bader zu Aix. Die Freyheit zu baden hat jedermann umsonst, und bezahlet man nur einem Bader oderFrotteur, deren etliche desfalls privilegiret sind. Das unterste Bad hat einen schweflichten Geschmack, und kömmt aus sehr starken Quellen. Das obere hat keinen Geschmack, und hat Madame Royale ein wenig unter demselben ein großes offenes Bad bauen lassen, welches aber schon wieder eingeht. Kein Fisch oder anderes Thier lebet in diesem warmen Wasser: wenn Fremde aber das Bad besehen, so schwimmen garstige schwarzgelbe Jungen eine gute Zeit als Frösche unter dem Wasser herum, welche durch solche schöne Uebungen von den Reisenden etwas zu erbetteln suchen. Die Farbe des Wassers ist hell und grün. Man sieht auch zu Aix einen meist verfallenen Triumphbogen, der sich noch von römischen Zeiten herschreibt.

Chambery, die Hauptstadt von Savoyen, liegt zwoLieües, oder zwo starke Stunden hinter Aix in einem angenehmen Thale. Rand links: Chambery. Sie ist ziemlich groß, hat aber für Reisende nichts sonderliches aufzuweisen, als etwan den Springbrunnen auf dem Markte, auf welchem vier Hunde das Wasser aus den Mäulern von sich sprützen. Die Schloßkirche oder Chapelle de St. Michel hat eine schöne Façade mit großen Statuen und schönen Seulen.

Zwo starke deutsche Meilen von Chambery, nicht weit vom See Bourget, ist ein Brunnen, der augenscheinlich mit einem kleinen Geräusche bald ab bald zunimmt, und[158] zwar zu ungleichen Zeiten. Rand links: La Fontaine de Merveille. Nach Ostern ist diese Ebbe und Fluth bisweilen in einer Stunde sechsmal, zu andern trocknern Zeiten nur ein oder zweymal3, fast wie PLINIVSLib. IV, Ep. 30. von einer Quelle in der Gegend von Como berichtet. Die gemeldte savoyische kömmt aus einem Felsen heraus, und wird la Fontaine de Merveille genennt. Wie die Drückung der Luft in einem unterirdischen Siphone diese Veränderung zuwege bringen könne, überlasse ich andern zu untersuchen: und hat man davon etliche andere Abwechselungen der Quellen dieser Gegend zu unterscheiden, welche bisweilen mehr, bisweilen weniger Wasser hervor bringen, und also in ihren Behältnissen steigen oder fallen, ohne weder mit der Ebbe und Fluth der offenbaren See eine Gemeinschaft zu haben, noch so kurz und vielfältig hinter einander, wie in derfontaine de Merveille geschieht, sich zu äußern. Rand rechts: Steigen und Fallen der herumliegenden Quellen. Denn was allhier in vielen Quellen zu geschehen pflegt, kömmt von dem Steigen oder Fallen der Rhone, welches durch den Zufluß vom Schnee- und Regenwasser verursachet wird. Wenn in diesem Flusse hohes Wasser ist, so werden die kleinern Bäche dadurch zurück gedränget, und durch derselben Restagnation oder Aufschwellung, auch mit der Zeit erfolgenden Abfluß die Quellen zugleich vermehret oder verringert. Dieses sieht man auf gleiche Weise in dem See Bourget, von welchem ich nur dieses hinzuthue, daß darinnen ein in andern Gegenden unbekannter Fisch, Lavaret genannt, welcher öfters vier bis fünf Pfunde schwer ist, gefangen wird, woraus man zu Chambery wegen seines guten Geschmackes viel Wesens machet.

Drey Lieües von Chambery liegt das ehemals wegen seiner Befestigungswerke (die itzt aber ganz zerstöret sind) berühmte Montmelian, und dreyLieües weiter Aigues-belles. Rand rechts: Montmelian. Eine halbe Stunde vor diesem letzten Orte fängt ein enges Thal an, aus welchem man nicht eher kömmt, als bis man den Mont Senis erreichet hat. La Chambre liegt vier Lieües weiter, und sind die Wege in diesen Gegenden oftmals gefährlich, weil bey Regenwetter sich große Steine von den Höhen los machen und herabrollen. Rand rechts: La Chambre. Theils Gebirge waren um diese Zeit schon wieder oben mit Schnee bedecket. Vor S. Jean de Morienne, so zwoLieüse von la Chambre liegt, hat man den rauhen und steinichten Wegen zu helfen gesucht, und unter andern eine große, hohe, gepflasterte steinerne Brücke über ein enges Thal geführet; Rand rechts: Schlimme Wege. allein es fehlet doch gar viel, daß man bey denen entsetzlichen Gebirgen, die man hier, sowohl was die Höhe als Eigenschaft der sich daran lagernden Wolken, den tirolischen ähnlich findet,[159] auch der guten Wege von Tirol sich zu erfreuen hätte. Man kömmt über einen Fluß oder Bach des Tages fünf bis sechs mal, und fährt bald auf dieser bald jener Seite des Thals an steilen Felsen hin, die sonderlich eine Vierthelstunde vor St. Michel gar steil und eng zusammen laufen. Itztgedachte hohe Klippen bestehen nicht aus einem einzigen festen Steine, wie andere Felsen, sondern aus vielen großen Lasten, welche nicht fest aneinander hängen, sondern unordentlich über einander liegen, und bey Regen- und Sturmwetter leichtlich losgerissen werden. Ich habe deren etliche unten im Wege liegend angetroffen, deren einer einen ganzen Wagen würde bedeckt haben. Sie verlegten die Straße dergestalt, daß man auf der Seite ausbeugen mußte, und der Postillion, so diese Reise fast wöchentlich that, versicherte, daß sie nur seit wenig Tagen herabgestürzet wären. Wo das Thal ein wenig sich erweitert, sind kleine Weingärten angelegt, und mit niedrigen Mauern von zusammen gelesenen Steinen als mit einer Brustwehre umfasset.

Rechter Hand bey St. Michel sind etliche Berge artig anzusehen, weil sie sehr hoch hinauf und so weit der Schnee es zuläßt, mit Feldern und Wiesen bebauet sind. Rand links: Dungung der Berge. Weil kein Fuhrwerk hinauf gebracht werden kann, so müssen meistentheils die Weiber oder die Esel die Dunge dahin tragen. Der Wein kann in so rauhen Gegenden nicht sonderlich seyn, doch wird der von Montmelian noch für den besten des Landes gehalten.

Zu St. Michel logirt man sehr wohl in einem an der Landstraße gelegenen weitläuftigen Gebäude, welches vor diesem einem von Adel gehöret hat, von ihm aber zuletzt wegen der vielen Unkosten, die ihm das Wasser verursachet, nicht mehr erhalten werden konnte. Rand links: St. Michel. Ueber den Thüren der Gemächer sind vielerley gute Lehren zu lesen, unter welchen ich folgende angemerket:


Mors ipsa cum venerit vincitur, si, priusquam venerit, semper timeatur. GREGOR.

Priusquam incipias consulto, & ubi consulueris, mature facto opus est. SALLVST.

Virtuti modicum, vitio nil sufficit. PETRARCH.

Satius est deesse aliquid hæredibus de fortunis, quam tibi de salute. Card. BONA.

Plus est bene institui, quam bene nasci. ERASM.


Bey einem Bette:


Læta venire Venus, tristis abire solet.OWEN.


Es wäre zu wünschen, daß in allen Wirthshäusern etwas wäre, womit die Reisenden ihre Zeit nützlich zubringen könnten, wenn sie auf ihr eigen Essen oder auf die Fütterung der Pferde lange zu warten haben. Denn die Einfälle, so die jungen Leute zu ihrem Andenken den Fensterscheiben einverleiben, laufen gemeiniglich auf abgeschmackte Possen oder Lüderlichkeiten hinaus.

Die letzten Kriege haben auch St. Victor um alle Befestigungswerke gebracht, und sind hie und da nur etliche alte Thürme stehen geblieben. Von St. Victor bis Modane sind drey bis vier Lieües, welche ihr gutes und schlimmes haben. Eines Theils fährt man immer an dem Flusse Arc, der über Lanebourg an der Seite des Mont Senis mit seinen ersten Quellen entspringt, und hernach in die Isere, so bey Montmelian vorbey fließt, sich ergießt. Rand links: Cascaden des Flusses Arc. Das beständige Fallen und die Cascade, welche der schnelllaufende Fluß Arc machet, zeugen genug von der Höhe des Landes, welche immer zunimmt, bis man endlich an den Fuß des Mont Senis kömmt. Der schäumende Fluß sieht wegen seiner grünen Farbe, worinnen das Weiße strudelt, überaus schön aus; die Cascaden, welche er über die von beyden Seiten der Berge abgerollete großen Steine machet, sind oftmals so artig, als wenn sie mit vieler Kunst verfertiget worden wären. Hiezu kommen die von beyden Seiten der Berge[160] herunter stürzende Bäche und starke Quellen, welche sowohl wegen ihrer Silberfarbe als wegen des starken Geräusches nicht anders als angenehm fallen können. Hingegen ist der Weg allenthalben schmal und theils so abhängig, daß man zu mehrerer Sicherheit etlichemal auszusteigen pfleget. Rand rechts: Schlimme Wege. Rand rechts: Reise über den Mont Senis. Ein wenig vor S. André geht der Weg über eine Höhe, da man ihm an etlichen Orten mit Mauerwerke geholfen, und hernach ein wiewohl sehr schwaches Geländer von Holze gezogen hat, also daß diese Gegend dem Passe bey Cismone im untern Theile von Tirol sehr ähnlich sieht. Dieser Weg aber wird verdrießlich gemacht durch die hohen steilen Felsen, deren abgesonderte Stücke alle Augenblicke den Einfall drohen, und denenjenigen folgen wollen, welche schon die Straße unsicher gemacht haben. Modane, S. André, Termignon und Lanebourg sind schlechte Oerter. Rand rechts: Lanebourg. In dem letzten macht man die Anstalten um über den Mont Senis oder Cenis zu kommen: und da man zu solcher Reise vollkommen fünf Stunden nöthig hat, so thut man wohl, daß man solche Morgens oder gegen Mittag unternehme; weil man schlechte Herberge finden würde, wenn man wegen einiger zustoßenden Hindernisse gezwungen werden sollte, über Nacht oben auf dem Berge à la Ramasse oder à la grande Croix zu bleiben. Zu Lanebourg nimmt man Maulesel bis à la grande Croix. Die Bagage und Sedien, so auseinander genommen werden, kommen auf Maul- und andere Esel. Die Vetturini haben gemeiniglich auf jeder Seite des Berges ihre Sedien stehen, und also nicht nöthig, daß sie sich Unkosten und Mühe mit Ueberbringung ihres Fuhrwerkes machen. Die Pferde neh men sie mit sich, welche durch solche oftmalige Reisen die Wege über das Gebirge so gut kennen lernen, als die einheimischen Maulesel, dergestalt, daß man sie ganz frey zwischen Lanebourg und Novalese gehen lassen kann. Von la grande Croix bis Novalese lassen sich die Reisenden durch die aus Lanebourg mitgenommene Träger tragen. Wenn man von Piemont kömmt, reitet man gleichfalls auf Mauleseln von Novalese den steilen Berg hinauf bis à la grande Croix, und ferner über die Ebene bis à la Ramasse, da die novaleser Träger den Reisenden aufnehmen und nach Lanebourg bringen. Berg-unter gehen die Esel nicht so sicher, man sitzt auch nicht so wohl darauf, wie Berg-an, daher man gezwungen ist, sich tragen zu lassen. In dem Wirthshause zu Chambery hatte ich Bekanntschaft gemacht mit einem gelehrten Franciscaner, welcher von Turin kam, und sich ein Gewissen gemacht hatte, sich von Menschen tragen zu lassen, weil solches seiner Meynung nach mit derjenigen Gleichheit stritte, so von Natur zwischen allen Menschen gestiftet sey, und so viel möglich beybehalten werden müßte. In dieser Absicht hatte er den Weg von der Ramasse bis nach Lanebourg zu Fuße gethan; er versicherte aber, daß dieses nicht mehr geschehen sollte, weil er wegen der großen Steile des Berges sich öfters kaum habe halten können, daß er nicht ins Laufen und Fallen gerathen. Er hatte auf gedachte Art nicht ohne mühsame Lebensgefahr den Weg zurück gelegt, welcher doch viel leichter ist, als der vonGrande Croix nach Novalese, der gefährlichere Klippen und ungleich mehrere große Felsensteine hat.

Lanebourg liegt dergestalt in den Bergen, und hat sonderlich gegen Morgen und Mittag den Mont Senis so nahe vor sich liegend, daß die Einwohner vom Ende des Novembers an bis den 17 Jenner nichts von der Sonne zu sehen bekommen. Den 17 Jenner erblicken sie solche erst wieder an den Spitzen der Berge. Bey Lanebourg läßt man linker Hand den mit Schnee oben ganz bedeckten und sehr hohen Berg Bonaise liegen, auf welchem des Sommers die Jäger den Gemsen nachzustellen pflegen. Rand rechts: Berg Bonaise. Man rechnet von Lanebourg bis auf die Höhe des Mont Senis, welche man zu besteigen hat, eine Lieüe, und braucht man eine starke Stunde dazu. Die zwo Lieües, die man hernach in einer Fläche bis à la grande[161] Croix zu reiten hat, nehmen über anderthalb Stunden weg, und den Berg hinunter sind noch zwoLienes zurück zu legen, nämlich eine bis nach Fertiere, und die andere gar nach Novalese.

Des Winters, wenn Schnee liegt, durchreiset man die obere Ebene des Mont Senis mit Schlitten, vor welche ein Pferd und ein Maulesel gespannet sind. Den Berg hinunter von la grande Croix bis Novalese muß man sich allezeit, auch des Winters, tragen lassen, weil die großen Steine, krumme löcherichte Wege und gefährliche Præcipitia den Gebrauch des Schlittens nicht erlauben. Ein anders aber ist es, wenn man des Winters vom Mont Senis hinunter nach Lanebourg will. Denn gleich an dem Platze, wo der Berg sich abwärts neiget, ist ein Haus, la Ramasse genannt, woselbst man sich in einen Schlitten setzet, und mit solcher Geschwindigkeit hinunter fährt, daß einem fast der Odem ausbleibt, und man innerhalb sieben oder acht Minuten in Lanebourg ist. Rand links: Curieuse Schlittenfahrt. Auf einem solchen Schlitten sitzen nur zwo Personen, der Reisende und der Führer, welcher den vördern Platz einnimmt, und mit einem Stocke den Lauf regieret. Auf jeder Seite hat er eine eiserne Kette, welche er als Anker fallen läßt, wenn der Schlitten langsamer gehen oder still stehen soll. Dieses heißen sie sowohl als das Tragen auf Sesseln, ramasser les gens, aller à ramasse. Etliche Passagiers, sonderlich Engländer und Deutsche, wenn sie diesen letztgedachten Weg zurück gelegt haben, lassen sich mit Mauleseln von Lanebourg wieder hinauf bringen, um noch einmal der Luft dieser Schlittenfahrt zu genießen, und à la ramasse zu passiren. Der Reitweg von Lanebourg auf den Berg geht immer schlangenweise; die Maulthiere und Esel verfehlen ihn niemals, sie wissen die besten Gänge mit Vermeidung der Steine auszusuchen, und darf man sie nur sicher gehen lassen. Zu itztgedachter Reise nimmt man meistens verschnittene Maulesel, weil die Hengste, wenn sie den Stuten in diesen engen Wegen begegneten, leicht Lärmen anfangen und daraus Unglück für die Reitende entstehen könnte. Ein guter Maulesel kostet hier neun bis dreyzehn Pistolen.

Damit die Fremden von den Einwohnern nicht übersetzt werden mögen, ist eine besondere königliche Verordnung herausgekommen, welche insgemein in den Posthäusern angeschlagen ist. Rand links: Reglement wegen der Unkosten.

Vor etlichen Jahren soll ein Engländer diese Reise gethan haben, der zwey und zwanzig Rubs oder fünfhundert und funfzig Pfund wog4, und zwölf Trägerbrauchte. Rand links: Passage eines dicken Engländers. Einem jeden Träger, der über die Taxe etwas erpressen will, ist ein Ecû d'or au soleil oder achthalb Livres Strafe gesetzet. Indessen betteln sie doch allezeit um Trankgelder, und dieses oftmals auf grobe Manier. Am besten ist es, daß man den Vetturino für alles sorgen lasse, und alle diese Unkosten in den schriftlichen Contract, welchen man desfalls in Geneve oder Turin aufsetzet, mit einrücke, weil es sonst immer Zank giebt, und ein solcher einheimischer Mensch es noch wohlfeiler, als im Reglement der Preis gesetzet ist, haben kann.

Die Einwohner der Gebirge um und auf dem Berge Senis heißen Marrons oder[162] Marronniers, ohne daß man etwas gewisses von dem Ursprunge dieses Namens melden kann. Rand links: Ursprung Etliche leiten sie von gewissen maurischen Seeräubern her, welche unter der Regierung des Kaisers Leonis Philosophi auf der Küste von Provence Schiffbruch erlitten, und sich in die Alpen begeben, allwo sie lange Zeit von Raubereyen gelebet haben. Rand rechts: des Namens Marroñiers Das Thal von Maurienne soll ihr vornehmster Sammelplatz gewesen seyn, und von ihnen seine Benennung erhalten haben; endlich sollen sie sich vertheilet, und nach und nach ihre wilde Lebensart abgeleget haben. Hieraus versteht man, was in den Landkarten dieser Gegend heiße la Descente des Marronniers. Denn von Lanebourg bis Novalese sind zween Wege, der alte und neue. Letzterer ist zwar schlimmer, aber dabey kürzer, und derjenige, welchen man itzt mit den Mauleseln und Trägern nimmt. Man sollte meynen, daß alle Mannspersonen von Novalese und Lanebourg die Schwindsucht haben müßten, wegen des mühsamen Tragens und Bergsteigens, so sie fast täglich verrichten müssen. Rand rechts: Lebensart der Einwohner. In unsern deutschen Städten beschweren sich die Sänftenträger, wenn sie eine starke Person nur etliche hundert Schritte weit tragen sollen. Hier aber nahmen wir unsere Träger aus Lanebourg mit, welche ohne schweren Odem den hohen Berg eine Stunde lang, ohne auszuruhen, gerade zu als Katzen hinauf kletterten, und in der obern Ebene von zwoen Stunden uns wieder zuvorkamen. So bald sie die Tragsessel in Ordnung gebracht, welches wenig Minuten ausmachte, trugen sie die Gesellschaft über die schlimmsten Wege zwo ganzer Stunden, ohne daß sie mehr als viermal (und zwar dieses jedesmal nur gar kurze Zeit lang) ausruheten. Alles dieses machet die Gewohnheit und harte Lebensart, bey welcher viele derselben hundert Jahre alt werden. Ihr ordentlich Getränke ist Milch, und trinken sie selten Wein. Um desto sicherer zu gehen, haben siekeine Absätzeanden Schuhen, unddie Sohlen mit Wachse und Harze geschmieret. Die Maschine, worauf die Reisenden Berg-ab getragen werden, ist eine Art von Strohstühlen, so eine kleine Rückenlehne, zwo Seitenlehnen und keine Füße hat, an deren Statt ein kleines Brett mit Stricken vornen fest gemachet ist, worauf die Füße desjenigen, der auf dem Stuhle sitzt, ohne weit herab zu hängen, ruhen können. Der Sitz ist mit Baste und Stricken ausgeflochten, wird auf zwo Tragstangen fest gebunden, und als eine Sänfte an breiten ledernen Riemen getragen.

Die Fläche, über welche man oben auf dem Mont Senis reiset, ist eigentlich ein unebenes langes Thal, zwischen sehr hohen Bergen, die auch des Sommers auf ihren Gipfeln mit Schnee bedeckt sind. Rand rechts: Ebene auf dem Mont Senis. Im Winter und Frühlinge, so lange der Schnee hoch liegt, rollen oftmals große Lasten davon in das Thal, und machen die Reise dadurch nicht wenig gefährlich. Es ist aber dergleichen auch bey andern Wegen über die Alpen zu befürchten5. Man hat bemerket, daß die Leute, welche mit solchen Schneeballen bedeckt werden, ohne große Kälte und Hunger etliche Tage bey Leben bleiben, und oftmals Hülfe von benachbarten Dörfern abwarten können. Es hatte zu Anfange des Octobers auch hier auf dieser erhabenen Ebene schon geschneyet, der Schnee aber war nicht liegen blieben. Hie und da[163] sind Hütten gebauet für die Hirten, die im Sommer ihr Vieh allhier weiden, weil in den Monaten Julius, August und September schönes Gras und vielerley Blumen auf dieser Höhe hervor kommen. So hoch auch diese Gegend liegt, so ist sie doch des Sommers vom Donnerwetter nicht frey, hat auch eine große Beschwerlichkeit von starken Nebeln, die bisweilen unvermuthet einfallen, und oftmals vier bis sechs Tage anhalten. Rand links: Donnerwetter und Nebel auf den Bergen. Auf diesen Gebirgen giebt es viele Gemsen, und im Buschwerke rechter Hand Wölfe. Rand links: Thiere auf dem Mont Senis. Den Bären ist es oben zu kalt, und wenn sie ihren Weg aus Piemont nach Savoyen nehmen, streichen sie nur durch, ohne sich aufzuhalten. Murmelthiere sind hier in großer Anzahl und keine angenehmen Gäste. Rand links: Murmelthiere. Sie fressen das Gras ab, und verderben die Wiesen durch die Hölen und Gänge, so sie unter der Erde machen. Acht oder neun Monate lang schlafen sie, und liegen alsdann fünf; sechs und mehrere beysammen in einem Loche.

Es fehlet hier auch nicht an Hafen, weil sie niemand schießt. Rand links: Jagden. Kein Jäger oder Edelmann wohnet in der Nähe herum, allen Unterthanen ist seit fünf oder sechs Jahren das Gewehr genommen, und der einzige Priester à la grande Croix hat das Recht in dieser Gegend zu jagen. Rand links: Großer See. Auf dem halben Wege dieser Höhe findet man einen See, der eine Stunde im Umfange hat, und in der Mitte fast unergründlich seyn soll. Er hat schöne und große Forellen bis auf sechszehn Pfund schwer, und gilt das Pfund zehn Sols. Ehemals stund an seinem Ufer ein kleiner Pallast, welchen der Herzog Victor Amadeus der erste, im Jahre 1619 in Eil hatte erbauen lassen, um seine aus Frankreich kommende Braut Christine, des Königes Heinrichs des vierten Tochter, hier zu bewirthen und ausruhen zu lassen; bey welcher Gelegenheit auch nicht ohne große Kosten eine Seeschlacht von zwölf Schiffen auf diesem See vorgestellet wurde. Rand links: Seebataille darauf.

An Wasser kann es besagtem See niemals mangeln, weil von denen sehr hohen und rauhen Gebirgen, welche zu beyden Seiten liegen, und oben allezeit mit Schnee und öfters auch mit Wolken bedeckt sind, beständige Quellen herablaufen, und zwar mit solcher Menge des Wassers, daß aus dem See selbst wieder ein Bach sich ergießt, der auf der Seite von Novalese an dem Wege der Marronniers, nebst andern starken Quellen, die ihn bald vergrößern, mit den angenehmsten Fällen und Cascaden herab stürzet. Rand links: Fluß Semar auf dem Berge. Dieses währet bey zwo Stunden weit. Bis Fertiere hat man diesen Fluß zur linken, hernach aber zur rechten Hand. Etliche nennen ihn Semar, andere St. Nicolai, und fällt er unter Susa in die petite Doire, welche man nach der hiesigen Landesaussprache Deura nennet.

La grande Croix liegt an der Seite gegen Piemont, wo sich die hohe Fläche des Mont Senis endiget, und der Weg anfängt Berg-unter zu gehen. Rand links:La grande Croix. Man findet hier nichts als ein Wirthshaus und eine Kapelle, in welcher auch diejenigen begraben werden, so auf diesem Gebirge von Schnee oder Kälte bey schlimmer Jahreszeit umkommen, und einen Rosenkranz oder ein anderes Anzeichen des römischkatholischen Glaubens auf dem Leibe oder in der Tasche haben.

Das hölzerne Kreuz, so nächst beym Hause aufgerichtet ist, scheidet Piemont und Savoyen von einander, und auf diese Art liegt solches Wirthshaus in beyden Ländern. Rand links: Gränze von Savoyen. Nachdem unsere Gesellschaft hier Tragsessel genommen, und über etliche sehr gefährliche Oerter. gebracht worden war, kamen wir in eine kleine mit hohen Klippen umgebene Ebene, la Plaine de S. Nicola genannt, woselbst man noch die von zusammen gelesenen Steinen aufgeworfene Brustwehren sieht, hinter welchen in dem letzten Kriege beyderseits Truppen sich gesetzet hatten. Rand links: La Plaine de S. Nicola. Von der Seite nach Lanebourg suchten die Franzosen einzudringen, und die Deutschen behaupteten ihren Platz auf der Seite von Novalese. In gedachter Ebene giengen[164] wir etliche hundert Schritte zu Fuße, bis wir an den großen Wasserfall des Baches Semar kamen, dessen Grund so tief und die Gewalt des darein stürzenden Wassers so stark ist, daß nichts von demjenigen, was hinein fällt, wieder zum Vorscheine kömmt, wie es noch im vorigen Winter mit einem beladenen Maulesel sich zugetragen hat. Rand rechts: Cascade

Fertiere liegt auf halbem Wege zwischen la grande Croix und Novalese, meines Erachtens in eben der Höhe des Bodens als Lanebourg; woraus zu urtheilen ist, wie viel niedriger Piemont als die andere savoyische Seite nächst vor dem Mont Senis liege. Rand rechts: Fertiere. Rand rechts: Niedrige Lage von Piemont. Man fängt schon von Chambery an stets höher zu kommen, welches sonderlich aus dem schnellen Laufe und den vielen Fällen des Flusses Arc zu ermessen ist.

Zur linken Hand zwischen Fertiere und Novalese läßt man den Berg Rochemelon liegen, der unter allen italienischen Alpen für den höchsten gehalten wird. Rand rechts: Hohes Gebirge Rochemelon. Er scheint zwar von hier aus mit dem allernächsten Anfange des Gebirges an einander zu hängen; es ist aber ein großes Thal dazwischen, und braucht man einen ganzen Tag um hinauf zu steigen. Ich sah ihn anfänglich bis an seinen Gipfel ganz hell, es währte aber keine halbe Vierthelstunde, so war er in einer Wolke eingehüllet.


– – – caligat in altis

Obtutus saxis, abeuntque in nubila montes.


Diese Abwechselung geschieht gar oft, und läuft man Gefahr nach einer mühsamen Besteigung des Berges zu einer solchen Zeit hinauf zu kommen, da man lange auf helles Wetter warten muß. Bey klarer Luft aber wird die Mühe wohl bezahlt durch eine herrliche Aussicht über Mayland, Trevigo, Venedig etc. und sind etliche auf die Gedanken gekommen, es sey dieses das Gebirge, von welchem Annibal seiner Armee die Herrlichkeiten Italiens habe übersehen lassen. Rand rechts: Aussicht davon. Wenn man auf der Höhe eine Flinte losschießt, giebt sie keinen rechten Knall von sich, sondern nur ein kleines Geprassel, als wenn man Holz von einander bricht. Ehemals soll das Bild Jupiters oben auf dem Rochemelon gestanden haben; itzt ist eine Statue der heiligen Mariä daselbst aufgerichtet, und jährlich wird am fünften August eine Messe dabey gelesen, wozu bey tausend Menschen aus aller Nachbarschaft sich sammeln, ob man gleich gezwungen ist, noch bey dieser Jahreszeit hie und da über Schnee und Eisschollen zu klettern, und wenigstens eine Nacht auf dem Berge zuzubringen, da man denn auf der bloßen Erde und Steinen mit Decken und Mänteln sich wider den Frost wohl zu bewahren hat.

Zwischen Fertiere und Novalese muß man etlichemal von der strohernen Portechaise absteigen, und vierzig bis funfzig Schritte zu Fuße wandern, nicht sowohl wegen der gefährlichen Wege, als wegen des engen Steiges zwischen denen hohen Bruchsteinen, zwischen welchen die vielen und kurzen Krümmen verursachen, daß mit den Tragsesseln auf ihren langen Stangen nicht wohl umzuwenden ist. Die Träger nehmen alsdann die Sessel auf die Achseln, oder tragen sie, weil sie ledig sind, sehr hoch. Einer von diesen Orten heißt le Pas de Diable. Rand rechts: Le Pas de Diable. Uebrigens ist oftmals der Weg, worauf die Leute gehen, kaum eines Fußes breit, und auf den Seiten zeigen sich große Præcipitia oder Abgründe. Es geschah zwar etlichemal, daß einige von unsern Trägern stolperten und zur Erde fielen; allein es wiederfuhr solches an Orten, da wenig Gefahr war, und ist in solchen Fällen das rathsamste, daß man sich gleich zur Erde werfe. Uebrigens tragen diese Kerl sehr sanft: und weil wir einen hellen guten Tag hatten, so kam mir diese ganze Tagreise nicht anders als angenehm vor. Die Bagage gelangte eine Stunde später als die übrige Gesellschaft nach Novalese, und wurde gleich nach der Doüane gebracht. Rand rechts: Doüane zu Novalese. Der Zöllner, der unsere Kusser an dem ersten[165] savoyischen Zollhause bey Geneve versiegelt hatte, war damit so schlecht umgegangen, daß schon am ersten Tage der dünne Bindfaden, welchen er zum Siegel und Plumbiren gebraucht hatte, entzwey war. Dieses zu verbergen waren allerley Künste nöthig, wozu die Nacht gute Dienste leistete, sonst hätten wir viele Ungelegenheiten und Verdruß darüber haben können, sonderlich da in Savoyen und Piemont alles aufs genaueste durchgesuchet wird, und man nicht mit kleinen Geschenken abkommen kann, wie in vielen andern Orten, sonderlich im Mayländischen, da das Visitiren in einer puren Betteley besteht. Vornehmlich hat man sich in des Königs von Sardinien Landen vor der Einführung des Schnupftobacks und fremder neuer Waaren wohl zu hüten.

Novalese ist ein schlechter Ort, und der Weg nach Suse in einem so abhängenden und steinichten Thale, daß er sehr beschwerlich zu fahren ist, und sich viele Leute auch in dieser Gegend noch auf Tragsesseln fortbringen lassen.

Susa liegt eine starke Stunde von Novalese, und kömmt man vorher an das Fort la Brunette, welches erst seit funfzehn Jahren angeleget ist, und seines gleichen in der ganzen Welt nicht hat. Rand links: Fort Brunette. Es besteht aus acht Bastionen, und ist mit allen seinen Außenwerken in Felsen gegraben. Alle Communicationen zwischen den Bastionen und an dern Werken gehen durch pure Felsen unter der Erde, und sind von solcher Breite, daß große Wagen und schwere Canonen, vor welche viele Pferde gespannet sind, dadurch bequem und sicher von einem Orte zum andern gebracht werden können. Man sieht von der ganzen Festung kein einziges Gebäude, und von der Besatzung niemanden als etliche wenige Schildwachten. Alles Geschütze und alle Minen können gegen diesen festen und aus einem einzigen Stücke bestehenden Felsen nichts ausrichten, und zweytausend Mann, wenn sie mit Lebensmitteln wohl versehen sind, vertheidigen ihn gegen ein ganzes Kriegesheer. Man macht keine Schwierigkeit, Fremde hinein zu lassen: und wenn man von Turin kömmt, erhält man leichtlich vom General Rehbinder den dazu benöthigten schriftlichen Befehl an den Commendanten. Diese Festung beschießt zwey Thäler. Nahe zur rechten Hand auf einem Felsen liegt die Citadelle von Suse, so aber itzt aller Befestigungswerke beraubet ist. Rand links: Susa. Im Thale fließt die Doira, und gleich daran zur Rechten liegt die Stadt Susa, welche kaum eine halbe Vierthelstunde von der Brunette entfernet ist. Susa ist klein und sieht sehr zerstöret aus. Von ihren Befestigungswerken ist nichts mehr übrig. Sie ist ohnstreitig das alte Segusium, wie noch viele vorhandene Inscriptionen bezeugen, davon der Marquis Scipio Maffei einige nach Turin in das Gebäude der Akademie hat bringen lassen. Mit der Veränderung des Namens Segusium ist es nicht anders zugegangen, als mit Foro Julio, woraus mit der Zeit Friaul gemacht worden ist. Der Triumphbogen zu Susa, welcher von den Zeiten des Kaisers Augusti übrig geblieben, ist in dem Nouveau Theatre de Piemont & Savoye, vornehmlich aber in des obgedachten MaffeiHistoria Diplomatica, welche im Jahre 1727 zu Mantua in Quart herausgekommen, weitläuftig beschrieben und in Kupfer gestochen worden. Rand links: Triumphbogen. Die daran befindliche Schrift liest Maffei folgendermaßen6:


Imp. Caesari. Augusto. Divi. F. Pon

tifici. maximo. Tribunicia. Potes

tate. XV. Imp. XIII. M. Julius. Regis

Donni. F. Cottius. Praesectus civita

tium. quae. subscriptae. sunt.[166]

Segoviorum. Segusinorum. Belacorum

Caturigum. Medullorum. Tebaviorum

Adanatium. Savincatium. Egdiniorum

Veaminiorum. Venisamorum. Iriorum

Esubianorum. Ovadiavium. et. civita

tes. quae. sub. eo. praefecto. fue

runt.


Was das obenerwähnte Nouveau Theatre de Piemont & Savoye anlanget: so besteht solches aus zween großen Regalfolianten, welche die Beschreibung und Abzeichnungen aller Schlösser und Städte von diesen Ländern geben. Rand rechts: Nouveau Theatre de Piemont. Der größte Fehler daran ist dieser, daß es vieles zu schön zeichnet und manche Gebäude und Straßen vorstellet, die noch nicht in der Welt zu finden sind, auch vielleicht niemals zu Stande kommen werden. Das Werk ist im Jahre 1725 zu Amsterdam gedruckt, und kostet in Turin über hundert und funfzig Livres de Piemont.

Von Susa aus wird der Weg gut, das Thal erweitert sich, und sieht man schönes mit vielen Nußbäumen bepflanztes Ackerland, gute Wiesen und vielen Weinwachs. Rand rechts: Schöne Gegend.

Bussolens liegt vierthalb Lieües von Novalese, und ist dieser schlechte Ort auch mit in itztgedachtem Theater, wie viele andere, die es nicht verdienen, abgezeichnet. Von hieraus läßt man linker Hand ein altes ruinirtes Schloß, St. Joire genannt, liegen, und ferner rechter Hand, auf einem hohen Berge, eine große Kirche, St. Michel, woselbst ein Einsiedler wohnet. Rand rechts: St. Michel in Piemont. Dieses war vorzeiten ein berühmtes Kloster, und der große Kriegsheld, Prinz Eugen zieht noch die Einkünfte eines Abtes davon.

Veillane ist vier Stunden von Bussolens gelegen, und hat man daselbst eine schöne Aussicht nach Superga, einer auf einem hohen Berge anderthalb Lieües über Turin hinaus neu angelegten Kirche. Rand rechts: Veillane. Eine Stunde von Veillane liegt das königliche Lustschloß Rivoli, von welchem Turin noch drey kleine Stunden entfernet ist. Man kann sich keinen angenehmern Weg einbilden, als dieser letztere ist, wegen seiner geraden Allee, worinnen sechs Wagen einander ausweichen können. Rand rechts: Allee von Rivoli. Die Bäume von beyden Seiten sind noch jung, weil in währender letzten Belagerung alle Bäume in dieser ganzen Gegend von den Franzosen ausgerottet worden. Zu Anfange der Allee, von Susa her, liegt das Schloß Rivoli auf einer Höhe, und auf der andern Seite endiget sich diese Allee an der Stadt Turin, über deren einem Theile die Linie des Gesichtes gerade auf Superga zugeht. Die Allee von Mecheln nach Löwen hat zwar auch ihre Schönheiten und eine Länge von drey Stunden, allein sie ist viel ungleicher und bergichter als diese turinische.

Ehe ich schließe, muß ich noch einiger Fehler der Landkarten, so ich auf dieser Reise bemerket, erwähnen, und finden sie sich insonderheit in der homannischen Karte, deren Titel ist: Reglæ Celsitudinis Sabaudicæ Status. Rand rechts: Fehler der geographischen Karten.

I. Muß der Fluß Isere also gezeichnet werden, daß er näher vor Montmelian vorbey fließt.

II. Setzt Homann den Namendes Flusses, der in die Isere fällt, nur bey seiner Quelle, und dazu unrecht, weil er nicht Arx, sondern Arc beißt.

III. Dieser Fluß Arc muß bis unter Aigresvelles beständig zwischen hohen Bergen gezeichnet werden.

IV. Der Mont Senis währt von Lanebourg bis Novalese.

V. Die Weite zwischen Lanebourg und Novalese wird von Homann und etlichen andern[167] zu sehr verlängert. Man rechnet zwar fünf Lieües und braucht fünf starke Stunden dazu; allein nur zwo davon sind oben auf dem Gebirge in der Ebene. Eine Stunde hat man von Lanebourg hinauf zu reiten, und zwo vonGrande Croix über die steilesten Wege hinunter nach Novalese. Diese drey letztgemeldten Lieües können im Durchschnitte oder Profil des Berges wenig austragen.

VI. La Posta, ein einzeln Haus, liegt schon auf dem Berge Senis, linker Hand des Weges.

VII. Der See liegt gleichfalls oben in der Ebene, und zwar rechter Hand des Weges, hinter dem Hospital, und näher nach Novalese als nach Lanebourg zu, welches alles sich in der Karte anders verhält.

VIII. Der Fluß Semar, so aus diesem See entspringt, ist in den wenigsten Karten benannt. Er fließt bis unter Susa in lauter engen Thälern, welche in den Karten nicht ausgedrückt sind.

IX. Die homannische Karte setzet Novalese und Susa viel zu weit auseinander, weil nur eine Lieüe oder Stunde dazwischen ist.

X. Le Fort Brunette muß noch hinein gezeichnet werden, von Novalese gerechnet linker Hand, nahe vor Susa.

XI. Im Gegentheile setzet diese Karte Bussolens gar zu nahe an Susa, da sie doch drey Lieües und dazu in einer Ebene voneinander entfernet sind.

XII. Die Karte zeichnet den Weg von Bussolens nach Turin durch St. Joire; man kömmt aber nicht dadurch, sondern läßt es auf einer guten Weite linker Hand liegen.

XIII. Die Abtey St. Michelin Piemont muß auf einem hohen Berge gezeichnet werden.

XIV. Der Weg von Rivoli bis Turin ist auch nicht recht vorgestellet, weil er eine gerade Allee ausmachen muß, die zwar bey Turin sich endet, aber mit dem point de Vüe, von Rivoli aus, auf Superga stößt und etwas weniges von der Stadt Turin (die in Ansehung dieser Aussicht, größten theils rechter Hand liegt) berühret; also, daß Rivoli, ein kleiner Theil der Stadt und die auf einem hohen Berge liegende Kirche Superga in einer geraden Linie zu stehen kommen, wie übrigens diese Lage in der Karte des Homanns wohl beobachtet ist.

XV. Diese Karte setzt in dem angränzenden mayländischen Striche Landes Olegio (denn also muß es heißen, und nicht Olezo) zu nahe an Novara, indem es fünfthalb Lieües de France oder Stunden, und von Sesti wenig über zwo Lieües oder sieben italienische Meilen entfernet ist.

XVI. Der Fluß, welcher nahe an Tortona fließt, heißt nicht Scrivia, sondern Scrinia.

Des gelehrten Augustinermönchs, P. Placide, sehr lange geographische Karte vom Laufe des Po, die im Jahre 1703 herausgekommen, hat zwar viele Fehler, verdienet aber noch zur Zeit vielen andern vorgezogen zu werden.


Ich bin – – –

Turin, den 11 October 1729.

Fußnoten

1 Plinius hat bey Beschreibung des Bergkrystalls mehr als einen Fehler begangen. Zu seinen Irrthümern hatdie griechische Benennung, welche vermöge der Abstammung corpus ex gelu contractum bedeutet, die nächste Veranlassung gegeben. Wir wollen ihn sebst reden-lassen hist. nat. l. XXXVII, c. 2: Contraria huic caussa crystallum facit, gelu vehementiore concreto. Non aliubi certe reperitur, quam ubi maxime hibernæ nives rigent: glaciem esse certum est, unde & Græci nomen dedere. Die Anzahl der Unrichtigkeiten wird in den gleich folgenden gemehret:oriens & hanc mittit, sed indicæ nulla præfertur.GARCIASabHORTO, welcher viele Jahre hindurch Vicekönig in Indien gewesen, widerspricht ihm ins Angesicht in hist. arom. & simplic. l. I, c. 47. p. 171: Nullo autem ex prædictis loco crystallus invenitur, quemadmodum nec per universam Indiam. Die Verwandlung des Eises in Krystall widerlegt sogar der Augenschein. Denn das Krystall entsteht nur in den Ritzen und Hölen der Berge. Es ist folglich unmöglich, daß es irgendwo in der Welt ganze Krystallberge geben könne. In Wahrheit! Jul. Cäs. Scaliger hat sich überflüßige Mühe gegeben, da er den Träumen des Cardanus so ernstlich widersprochen hat. Die Erfahrungen der gelehrten Deutschen werden durch die Anmerkungen der Schweden bestätiget. Karl Linnäus, diese Zierde der upsalischen hohen Schule, unterrichtet uns von dem Ursprunge der Krystalle, de Crystallorum generatione p. 12: communes apud nos crystalli sunt, quæ a quarzo & spato construuntur. Er führet zugleich folgende Unterscheidungskennzeichen an: Crystalli quarzosæ sunt pellucidæ, fragmentis angulatis, acutis, inæqualibus, quæ chalybe percussæ dant scintillas. Hæ uti ipsum quarzum in saxis aliisque petris generantur. Crystalli spatosæ sunt subdiaphanæ fragmentis rhombeis, quæ rasuram admittunt, chalybeque percussæ nullas produnt scintillas. Generantur in montibus calcareis, seu marmoreis. So richtig diese Erfahrungen neuerer Naturkündiger sind, so muß man doch auch den Alten Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß sie nicht alle an dem fabelhaften Ursprunge des Krystalls Antheil genommen haben. Zum Beyspiele dienet Anselmus BOZTIVSdeBOOTin hist. gemmar. & lapid. l. II, c. 73, p. 220: Numquam aqua in crystallum mutari potest, sine tamen aqua non generatur. Solvi enim terræ tenuissima portio ab aqua debet, aut illi aliunde missa commisceri, quæ recedente aqua tum primum in crystallum concrescit. Si crystallus ex aqua congelata constaret, igne solveretur, ac aqueæ partes igne consumerentur, quod non sit experienti.


2 Der Herr Prediger Fein zu Hameln hat vor nicht gar langer Zeit in einer eigenen Schrift bewiesen, daß eine wahre Geschichte zu der berüchtigten Fabel von dem hamelischen Rattenfänger Gelegenheit gegeben habe. Hier ist der Titel seiner Schrift: Entlarvte Fabel von dem Ausgange der hamelischen Kinder, eine nähere Entdeckung der dahinter verborgenen wahren Geschichte, Hannov. 1749, 4. Man sollte glauben, daß die ausgepeitschte Legende hinfort keine neue Streitigkeiten erregen werde. Im vorigen Jahrhunderte wurde noch sehr scharf gefochten. M. Samuel Erich machte den Anfang mit seinem exitu Hamelensi, 1654, in 8. Er suchte die Wahrheit einer Sache zu behaupten, welche alle Unterscheidungszeichen eines Weibermährchens an sich hatte. Er berief sich auf das Stadebuch des hamelischen Rathhauses, auf die Gemälde eines Kirchenfensters, auf die Jahrzahl der hamelischen Einwohner, und auf die Abstammung der sächsischen Siebenbürger. Seine Schrift wurde nicht nur 1690 aufs neue abgedruckt, sondern auch 1657 und 1662 ins Lateinische übersetzet. Die Scheingründe dieses Mannes entkräftete Martin Schook in fabula Hamelensi, 1662, in 12, und setzte seinem Gegner sowohl das Stillschweigen der bewährtesten Geschichtschreiber, als auch den widersprechenden Vortrag der leichtgläubigen Schriftsteller entgegen. Bald darauf trat ein lübeckischer Prediger, Franz Wörger, auf den Kampfplatz mit seiner historia Hamelensi contraMartin. SCHOOKIVM, in 12, und raffte aufs neue allerhand kümmerliche Beweisgründe zusammen. Im Jahre 1671 vertheidigte der Professor Liebhard zu Baireuth eine Abhandlung de fabuloso liberorum Hamelensium egressu. Und noch in eben dem Jahre wollte M. Theodor Kirchmaier zu Wittenberg in seiner Abhandlung de inauspicato liberorum Hamelensium egressu an einem Zeugen der Wahrheitzum Ritter werden. So geschäfftig waren damals die gelehrten Federn in einer Streitigkeit, deren Entscheidung man billig dem richterlichen Ausspruche der ehrwürdigen Matronen überlassen sollte.


3 Ein eben so merkwürdiger Brunnen ist in dem berner Gebiethe in dem Häßljthal in der Alp Engstlen anzutreffen, welcher in der Hälfte des Monats May zu fließen anfängt, bis zu der Hälfte des Augustmonats. Herr Scheuchzer ertheilet uns davon die sichersten Nachrichten, und versichert, daß er bey seiner Gegenwart den 18ten August nicht mehr geflossen habe, in itin. Alpin. I, p. 26 sq. Dieser Engstler Brunnen fließt Vormittags um 8 Uhr, und Nachmittags um 4 Uhr. Die Dauer des Flusses pflegt eine bis zwo Stunden anzuhalten, nachdem viel oder wenig Schnee geschmolzen ist. Der Prof Jak. Hermann hat uns diese Begebenheit begreiflich zu machen gesuchet, und gezeiget, daß ein sipho naturalis mit seinem erure breviori in den felsichten Wasserhalter reiche, durch sein crus longius aber dem gesammelten Wasser den Ausgang verstatte. In der Zeit, da der Brunnen fließt, ist in der Schweiz die größte Hitze, welche den Schnee in den Gebirgen schmelzt. Das in der Nacht gesammelte Wasser fließt Vormittags: und was die Tageshitze geschmolzen, fließt Nachmittags. Man lese Scheuchzern Naturwissenschaft Th. II, c. 23, §. 31, tab. VI, sig. 18; desselben iter alpin. V, p.405 squ. und Joh. Henr. MÜLLERcolleg. exper. p. 98, tab. V, fig. 66. Aus den angeführten Erfahrungen laßt sich die Begebenheit der Fontaine de Merveille am richtigsten erklären. Man stelle sich vor, daß das crus siphonis longius noch in zwo oder drey Nebenröhren oder Wassergänge zertheilet sey, deren Diameter zwey oder dreymal größer ist, als der Diameter des Ganges, welcher das Wasser zur Fontaine führet; so wird begreiflich, daß durch eine solche divisionem cruris longioris in ductus laterales majoris diametri & brevioris mensuræ, das Wasser allezeit geschwinder und häufiger durch die weiten und kürzern Wassergänge ausdringen, hingegen aber langsamer und sparsamer durch einen engen und langen Wassergang abfließen müsse, weil diesem letztern durch die Seitengänge vieles Wasser schon entgangen, mithin die Heftigkeit des durch den langen und engen Wassergang fließenden Wassers gar sehr unterbrochen und geschwächet worden. Es gehöret folglich einige Zeit dazu, daß sich das Wasser wieder sammeln, und die zwo oder drey Nebenröhren des cruris longioris an dem natürlichen Heber füllen könne. Bey der Fontaine de Merveille werden zehn Minuten Zeit erfodert, daher sie in einer Stunde sechsmal fließt.


4 Vor ohngefähr zwölf Jahren starb zu Göttingen der königliche Gerichtsschulze, so fünf Zentner wog. Zu Durlach in der Pfarrkirche war vor dem Brande folgende Grabschrift zu lesen: Anno 1565. d. 4. Nov. siarb Franz Erhard von Ulm, der fromme, redliche und grosse Stattschreiber, welches Cörper bey nahe 6. Centner gewogen.A1


5 Vor ohngefähr fünf und zwanzig Jahren kam ein savoyischer Bothe auf dem St. Bernhardsberge im Schnee um, und wurde erst nach dreyen Jahren noch ganz gefroren gefunden. Rand rechts: Passage über St. Bernhard. Er hatte eine Uhr für die Herzoginn von Savoyen bey sich, welche ohne Schaden blieben war, und sobald sie aufgezogen wurde, ordentlich gieng. Die Herzoginn zeigte sie öfters den Fremden mit Erzählung dieses sonderbaren Zufalles.


6 Conf. MAFFEIVerona Illustr. P. I, p. 357.


A1 Diesem redlichen und großen Stadtschreiber ist jener acht und zwanzigjährige Engländer aus Lincoln andie Seite zu setzen, welcher bey Gelegenheit seines Ochsenhandels ein gut Stück Fleisch zu essen gelernet hatte. Er verzehrte täglich achtzehn Pfund Rindfleisch, und starb im Jahre 1724 vor dem dreyssigsten Jahre des Alters, nachdem er eine Witwe mit sieben Kindern hinterlassen hatte. Seine Länge war sechs Fuß und vier Zoll, die Dicke siebenzehn Fuß, und die ungeheure Last seines Körpers wog fünf hundert und achtzig Pfund. Siehe die breßlanischen Sammlungen im 30 B. a. d. 530 S.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 168.
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