[219] Dreyßigstes Schreiben.

Beschreibung der Stadt Turin.

Mein Herr!


Den Anfang, das Aufnehmen und die Historie der Stadt Turin hat der berühmte EmanuelTHESAVRVS italienisch in zween Folianten beschrieben. Rand rechts: Der Stadt Turin Größe, und Anzahl der Einwohner. Daß sie wohl befestiget sey, hat die in unserm Jahrhunderte ausgestandene Belagerung zur Genüge bewiesen. Die Wälle und Werke sind auswärts alle gemauert, viele auch nebst den Schießscharten[219] innen gegen die Stadt zu. Man brauchet anderthalb Stunden den Wall zu um, gehen; man muß aber mit einem Zettel vom Commendanten versehen seyn, wenn man auf solchem spazieren gehen will. Dieses ist leicht zu erhalten; das Billet gilt hernach so oft man sich dessen gebrauchen will, und kann man dergleichen auch von guten Freunden gelehnt bekommen. Der Wall ist angenehm und die Aussicht vortrefflich, sonderlich von derPorte neuve an nach der Porte du Pô und la Porte de la Venerie oder de la Cour. Ueber dem Po hat man la Vigne de Madame Royale, das auf einem Hügel gelegene Kapucinerkloster, la Vigne de la Princesse, die Kirche Superga und eine Menge Lusthäuser, womit diese Berge gleichsam bedecket sind, im Gesichte. Von der Porte de Suse sieht man nichts als Gebirge, welche den meisten Theil des Jahres über mit Schnee bedeckt sind. Die Stadt ist nicht gar groß, aber volkreich, und versichert mich jemand, bey dem Marquis del Borgo aus einem Verzeichnisse, so dieser dem Könige jährlich überreichen muß, gesehen zu haben, daß die Anzahl aller Einwohner von Turin zu Ende des Jahres 1728 sich auf vier und funfzig tausend und sechs hundert belaufen. Das Unglück des einen pflegt öfters der Vortheil des andern zu seyn. Durch die Pest von Marseille und der umliegenden Gegend hat sich Turin viel aufgenommen, indem bey solcher Gelegenheit vielerley Manufacturen sich hieher gezogen, welche sonst in Turin gar nicht, oder in wenigerm Aufnehmen waren. Itzt zählet man in der Stadt acht und vierzig Kirchen und Klöster, und siebenzehn außer den Mauern in der Nähe. Geistliche Schutzherren der Stadt sind Franciscus de Sales, Franciscus di Paola, Philippus Neri, S. Antonius de Padua, S. Secundus und S. Valerius, deren Festtage mit besonderm Eifer gefeyert werden. Rand links: Schönheit der Stadt Turin. Von der Stadt habe ich noch keinen guten Grundriß gefunden, und ist auch derjenige, welchen Bodenehr in Augspurg davon verfertiget, ganz falsch; seine andere Karte aber von der umliegenden Gegend desto besser. Wenn man fortfährt, wie der Anfang gemacht ist, so wird diese Stadt ohnfehlbar, was die Straßen anlangt, die schönste von Europa werden, und weis ich weder in Italien noch Frankreich, England, Holland und Deutschland eine, die ihr anitzo darinnen gleich käme. Ich rede aber von der neuen Stadt, worinnen die königlichen Palläste sind, und vor andern die Rüe neuve nebst der Rüe du Pô verdienen gesehen zu werden. Rand links: Rüe neuve. Aus dem Thore des königlichen Schlosses sieht man über den Schloßplatz und la Place de St. Charles durch die Rüe neuve zur Porte neuve ein tausend und sieben hundert gemeine Schritte in gerader Linie hinaus. Die gemeldeten Plätze sind mit Galerien vor dem untersten Stockwerke versehen, also daß man im größten Regen trocken herum gehen kann. Die neue Straße ist achtzehn Schritte breit, die Häuser vier Stockwerke hoch, und jedes seinem gegenüberstehenden an der Größe (welche wenigstens hundert Schritte in die Länge ausmachet) völlig gleich. Auf diese Art zählt man von dem Ausgange des Platzes vor dem Schlosse, wo die Rüe neuve anfängt, bis zum Eingange des Platzes de S. Charles auf jeder Seite nur drey Gebäude, und die Länge derselben zusammen machet doch über vier hundert und drey und zwanzig Schritte aus. Der innere Schloßhof ist hundert und drey und vierzig Schritte lang; la Place du Chateau zwey hundert und sieben und neunzig; die Straße zwischen diesem Platze und S. Charles vier hundert und drey und zwanzig; la Place de S. Charles zwey hundert und vier und achtzig; die fernere Straße vier hundert und sieben und funfzig, und der freye Platz bis zum Thore hundert Schritte. Der berühmte Baumeister Bernini soll gestanden haben, daß diese Straße ihres Gleichen in Italien nicht habe; indessen wollte ich ihr doch wegen der Annehmlichkeit die Rüe du Pô vorziehen. Rand links: Rüe du Pô. Diese ist zwar nur tausend ein hundert gemeine Schritte lang, und ihre Häuser nur drey Stockwerke hoch; allein sie hat sechs bis acht[220] Schritte mehr in der Breite, alle Häuser sind einander gleich und jedes davon so lang, bis eine Querstraße einen Abschnitt macht. Die à la Place du Chateau angefangenen hohen und schön gewölbten Galerien continuiren in gerader Linie auf beyden Seiten der Straße an den Kaufläden dergestalt, daß man bey dem schlimmsten Wetter mit Luft darunter spazieren geht. Rand rechts: Inscription an der Porte du Pô. Vor dem Thore innen der Stadt machen die Häuser ein schönes Amphitheater. Auswärts liest man über dem Thore:


Ambitum Urbis

Ad Eridani ripas ampliorem

Carolus Emanuel II.

Dum vitam & Regnum clauderet, inchoavit,

Maria Joanna Baptista

Dum Filius regno adolesceret, auxit,

Victor Amadeus

Dum Regnum iniret, absolvit.

Æterno Trium Principum beneficio

Æternum Monumentum grata Civitas posuit.

Anno MDCLXXX.


Es ist in der That diese Straße ein so prächtiges Werk, daß sie dergleichen Ueberschrift wohl verdienet, und einer elenden Tadelsucht zugeschrieben werden muß, daß ein Spanier bey Lesung derselben sich der Spottrede gebrauchet: Tres Reyes para una puerto; drey Könige oder Prinzen hätten an einem Thore genug zu bauen gehabt.

Man ist Willens vom Schloßplatze bis an die Pforte von Susa eine Straße zu ziehen welche der Rüe du Pô ähnlich werden soll. Rand rechts: Künftige Veränderungen der Stadt Dieses aber wird vieles Umschmeißen der Häuser erfodern, weil itztgedachter Theil der Stadt in Ansehung der engen Straßen uno alten Häuser noch der schlechteste ist. Man arbeitet auch wirklich an einem großen Platze, der einem Amphitheater gleichen wird, und an einer neuen Straße vor der Pfortede la Venerie oder de la Cour oder de la Victoire, welches alles eines ist. Die alten Gebäude werden niedergerissen, und bauen die Eigenthumsherren auf eigene Kosten das innerste der Häuser, wie sie wollen, das äußerste aber nach dem vorgeschriebenen Maaße und Modell, damit alles seine in die Augen fallende Gleichheit habe. Wollen oder können die Eigenthumsherren nicht bauen, so kauft ihnen der Vicaire (oder Lieutenant der Policey) im Namen der Stadt ihr Haus und den Platz ab, wie solche unparteyisch geschätzt werden. Weil auf diese Art das Publicum oder die Stadt am meisten trägt und entgelten muß: so machet der König die Sache vorher mit den Vorstehern derselben aus.

Hinter dem königlichen Schlosse auf der Seite der Kirche de S. Jean wird an einem großen Platze gearbeitet. Der daselbst gelegene alte herzogliche Pallast kömmt ganz weg; die Kirche soll auch an einen andern Ort und in die Mitte des Platzes versetzt werden: und weil alsdann die Hofkapelle oder la Chapelle du S. Suaire, zu klein seyn wird, soll sie ungeachtet der großen Geldsummen, welche sie gekostet hat, abgenommen und größer gebauet werden.

Die schönsten Gebäude in der Stadt sind le Palais du Comte Paësane, so funfzig tausend Louisd'or gekostet hat, du Comte de Gouarene à la place Caroline, du Marquis de Graneri, le College der Seminaire des Jesuites, l'Hospital de S. Jean, le Palais de Carignan, welchen P. Guarini (der auch die Venerie zu ändern angefangen) angegeben hat, vieler andern zu geschweigen, die um die Porte de Suse und in der Gegend der Place Caroline[221] stehen oder neu aufgeführet werden. Rand rechts: Palläste der Stadt. Zu solcher kostbaren Zierde der Stadt trägt nicht wenig bey, daß jeder, der sein Haus neu aufbauen und vergrößern will, seinen Nachbarn, wenn er ein Haus von geringerm Werthe als das neue werden soll, besitzt, zwingen kann, ihm solches oder einen dazu gehörigen Platz für billigen Preis zu überlassen. Rand links: Reinigung der Stadt durch Canäle. Der Reinlichkeit der Straßen hat man auf eine wohl ausgesonnene Weise Rath geschaffet. Zwischen der Citadelle und der Porte de Suse wird das Wasser als ein Bach aus der Doire durch eine Wasserleitung über die Stadtgräben in die Stadt gebracht, und hernach nach Gefallen vertheilet, dergestalt, daß es durch alle Straßen laufen und die Unreinigkeiten wegspühlen kann. Dieser Bach hilft auch, wenn man des Winters den Schnee von den Gassen haben, und ihn nicht etwan zu des Kronprinzen Schlittenfahrt liegen lassen will.

Zur nächtlichen Sicherheit und Zierde hat man angefangen des Winters in den Strassen an Stricken (die quer über gehen) Laternen auszuhängen; allein sie helfen noch wenig zur Helle und Beleuchtung der Gassen, weil man kaum alle funfzig bis achtzig Schritte eine Laterne antrifft. Rand links: Laternen.

Was die geistlichen Gebäude der Stadt betrifft: so sind solchein Vergleichung mit den andern nur mittelmäßig, weil Turin erst unter zwo Regierungen groß und volkreich geworden. Die Stadt Asti war sonst besser, daher sie auch größere, obgleich nach gothischer Art erbauete Kirchen hat.

Die Kapelle von St. Lorenz nächst beym Schlosse, ist die schönste in Turin, und der Bau davon vom P. Guarini angegeben. Rand links: Kapelle von St. Lorenz. Sie hat ein hohes Gewölbe und gute marmorne Statuen. Das Tabernakel oder Gehäuse, worinnen die Monstranz auf dem hohen Altare aufgehoben wird, besteht aus schönen braunen kleinen Marmorseulen, und das innere Kästchen aus Lapide Lazuli.

Die Chapelle de la Ste. Trinité, nicht weit davon, ist etwas kleiner, aber wohl ausgezieret, mit einer hohen Cuppola, schönem Altare und vieler Marmorarbeit von allerley Farben. Rand links: Chapelle de la Ste. Trinité. Bey dieser Kapelle ist eine reiche Stiftung für die Pilgrime.

Die Kapelle ad Corpus Christi steht am Kräutermarkte, und ist wegen des daselbst geschehenen Wunders merkwürdig. Rand links: Kapelle ad Corpus Christi. Im Jahre 1453 hatten die Savoyarden Exiles geplündert, und kam unter der Beute auch eine geweihete Hostie mit nach Turin. Sie war nebst andern Sachen auf einen Esel gepackt, welcher, da er auf diese Stelle kom, sich zur Erde beugte und nicht weiter zu bringen war. Rand links: Begebenheit mit einer Hostie. Indem solches vorgieng, eröffneten sich die auf ihn gepackten Kisten von sich selbst, die Oblate hob sich in die Höhe und schwebte vor aller Welt Augen in der Luft, bis der damalige Bischof kam, in dessen heilige Hände sie sich herunter gelassen, und in diese Kirche gebracht worden. Im Jahre 1598 hat die Stadt, da allenthalben inder Nachbarschaft die Pestregierte, diese Kirche inwendig mit schönen Marmorseulen und Statuen, und von außen mit einer guten Façade bauen lassen.

Die Jesuiten suchen aller Orten mit ihren schönen Gebäuden es den andern zuvor zu thun: und ist also kein Wunder, daß auch hier ihre Kirche, ob sie gleich etwas dunkel, dennoch wegen der schönen Frescomalerey und Marmorarbeit, eine von den schönsten ist. Rand links: Jesuiterkirche. Das daran gelegene Collegium (welches von ihrem prächtigen Seminario unterschieden) ist groß, und von vierzig bis funfzig Patribus bewohnt. Sie haben bey fünftausend Pistolen jährliche Einkünfte in der Stadt; wie viel ihnen aber der König lassen werde, muß die Zeit lehren. Dieses Collegium ist der Zeit nach das andere, so in Piemont für die Jesuiten gestiftet worden. Ihre erste Einrichtung war zu Montjois.[222]

La Consola gehöret gleichfalls in die Zahl der schönen Kirchen zu Turin. Rand rechts: Kirchela Consola. Sie hat ein wunderthätiges Marienbild, daher die innerste Kapelle mit einer Menge von silbernen Gelübden behänget ist.

Die Kirche von St. Philipp ist schön, wird aber in Ansehung des hellen Gewölbes und der trefflichen Frescogemälde von der Kirche St. Thomä übertroffen. Rand rechts: St. Philipp.

Die Franciscanerkirche à la Place de S. Charles, ist von außen mit schönen Statuen und Pyramiden gezieret. Rand rechts: Franciscanerkirche. Derselben gegenüber soll ein gleiches Gebäude, und in die Mitte des Platzes ein schöner Brunnen kommen.

In dem Kloster der Minimes de Francesco di Paolo, in der Rüe du Pô, ist eine schöne und wohl eingerichtete Apotheke. Dergleichen haben auch etliche andere Mönchorden, als die Carmeliter, Kapuciner al monte, die Franciscaner à la Madonna de Angelis und die Augustiner von S. Charles.

Nahe vordem Po-Thore rechter Hand auf einer Höhe liegt das eine Kapuzinerkloster, woraus man eine schöne Aussicht über die Stadt und die ganze Gegend hat. Rand rechts: Kapuzinerkloster. Die Kirche hat nichts besonders. Linker Hand beym Eingange ist die in Marmor gehauene Grabschrift Alexandri Montii Marchionis Farilliani in lateinischer Sprache, aber schlecht gesetzt, und voller gezwungener Redensarten. Auf der andern Seite der Po-Brücke, eine halbe Stunde von der Stadt, ist die Kapelle nôtre Dame de Pilone, in welcher viele schlechte Gemälde nebst silbernen gelobten Bildern aufgehängt sind. Rand rechts: Nôtre Dame de Pilone. Begebenheit mit einem Mägdchen, so in den Po gefallen. Unter jenen stellet eines vor, wie die heil. Maria einem in den Po gefallenen Mägdchen erscheint, mit der Unterschrift:


Quod

Margaritha Molar puella undecennis

Inter proximi molendini rotas & vortices

Per horam submersa

Deipara V. apparente incolumis evaserit

In primi monumentum miraculi

Grata fidelium pietas

Ecclesiam hanc excitavit Anno D. MDCXLIV.


Man weis, was vor drey Jahren zu Ulm mit einem Kinde sich zugetragen hat, indem solches in die Donau gefallen, durch etliche Mühlräder getrieben, durch den Fluß weit weggeführt und endlich doch noch frisch und gesund erhalten worden, welchen Zufall man auch vermittelst eines Kupferstiches bey gutem Andenken zu erhalten gesucht hat.

Unter die löblichen Anstalten, so ich in Turin finde, rechne ich vornehmlich die fünf Hospitäler für arme, kranke und elende Leute. Ueber das Hôpital du Roy ist itzt der Comte de Provana als Gouverneur gesetzt, und zween Hofmedici, so alle Viertheljahre umwechseln, haben die Aufsicht wegen der Arzeneyen und Besuchung der Kranken. Rand rechts: L'Hopital du Roy. Ueber dieses ist ein geistlicher Aufseher, der Sorge trägt für den Unterricht in der Religion und für die Bereitung zu einem seligen Ende. Es werden hierinnen keine unheilbare Kranke, oder solche Leute, die Arm und Beine verlohren, aufgenommen, sondern Personen, von welchen Hoffnung ist, daß sie durch den Gebrauch der Arzeneyen vielleicht wieder zu ihrer vorigen Gesundheit gelangen können: und kömmt diese Beyhülfe auch niemanden zu statten, der nicht in des Königs Diensten oder unter der Schweizerwache steht. Gemeiniglich findet man vierzig bis funfzig Patienten darinnen.

Das größte und schönste Hospital ist das vom St. Johann, nicht weit vom Place Caroline am Walle. Rand rechts: Anstalten in dem Hôpital de S. Jean. Weil man gefunden, daß viele ledige Frauenpersonen, die auf verbothenen[223] Wegen schwanger worden, öfters aus Armuth und Mangel des zum Wochenbette benöthigten Vermögens die Kinder umbringen: so werden alle dergleichen verunglückte Jungfern nebst andern ehrlichen und armen schwangern Frauen darinnen aufgenommen. Kürzlich waren deren an der Zahl zwanzig vorhanden, nebst vierhundert Bastarten, Fündlingen und Waisenkindern; desgleichen hundert incurabten und zweyhundert andern Kranken, die wieder genesen können. Die kleinen Kinder werden zum Seidespinnen und anderer Arbeit angehalten, bis sie ein Handwerk lernen können. Das unterste Stockwerk ist für die Mannspersonen und das obere für das weibliche Geschlecht. Beyde sind sehr hoch, also, daß das Gebäude von außen die Höhe von drey Stockwerken hat. Jeder Kranke hat ein mit Vorhängen versehenes Bette sur sich allein; und stehen sie weit auseinander in Kreuzgängen, in deren Mitte der Altar solchergestalt angeleget ist, daß alle und jede Patienten denselben sehen können. Wenn das Gebäude ganz fertig, wird es das schönste in seiner Art von ganz Italien werden; ja es ist es schon anitzo, indem das Frontispicium hundert und achtzig gemeine Schritte lang, und so prächtig erbauet ist, daß es zur façade eines fürstlichen Schlosses dienen könnte. Es hat drey Thore, und stehen über dem Haupteingange die Worte: Saluti pauperum temporali; Divitum æternæ apermm. Die Aufsicht über dieses heilsame Werk haben zween Abgeordnete des Capittels St. Johannis, und zween aus den siebenzig Conseillers der Stadt (die mit den Einkünften und der Policey der Stadt zu thun haben, da indessen der Senat, welcher aus vier Präsidenten und vierzehn Senatoren besteht, mit bürgerlichen und peinlichen Processen beschäfftiget ist). Diese gemeldten vier Deputirte werden jährlich erwählt, und öfters in ihrer Bedienung beybehalten. Bey dem Hospitale sind ferner zween Medici, ein Apotheker mit vier Gehülfen; zween Chirurgi mit zwölf Gesellen, welche die Kranken warten, ihnen die Arzeneyen geben, und sonst sorgen, daß sie recht verpfleget werden. Wegen der Weibspersonen sind vier Oberaufseherinnen bestellt, und unter ihnen zwölf Mägde, um die Kranken vom weiblichen Geschlechte zu bedienen. Nächst diesen finden sich zwo Hebammen, und unter ihnen vier angehende Helferinnen, die zu dieser Wissenschaft angelehrt werden. Ferner sind bey diesem Hospitale vier Wäscherinnen, vier Beichtväter und zween Aufseher auf die Haushaltung. Die jährlichen Einkünfte sind veränderlich, obgleich die meisten aus versicherten Orten kommen: insgemein belaufen sie sich auf dreyßigtausend ecûs, oder hundert und zwanzigtausend Livres de Piemont, bisweilen auch wohl auf zehntausend Pistolen.

Eine von den trefflichsten Anstalten der Stadt Turin ist la Charité oder die Verpflegung der Armen, welche einen großen Theil der Rüe du Pô einnimmt, und sehr große Einkünfte hat, sowohl von den Hausmiethen der vielen Gebäude, so ihr in dieser Gegend zugehören, als von dem Zuschusse der Bürger, welche eigenwillig jährliche Summen an Geld und Geldeswerth unterzeichnen. Rand links: Anstalten des Armenhauses la Charité. Der König giebt jährlich dreyhundert Säcke Korn dazu, deren drey auf den jährlichen Unterhalt einer Person an Brodte gerechnet werden. In diesem Hause sind gemeiniglich zweytausend und öfters bis dreytausend Bettler, welche man von den Straßen wegnimmt, und zur Arbeit von mancherley Fabriken anhält; jung und alt von beyderley Geschlechte finden hier ein Mittel wider den Müßiggang, wofür sie ihren Unterhalt, besondere Versorgung, wenn sie krank oder alt werden, und doppelte Kleidung haben. Vierzig Soldaten, die blau gekleidet und mit rothen Bandelieren versehen sind, gehen täglich in der Stadt vertheilt herum, um die müßigen Bettler aufzusuchen. Sind diese Fremde, so werden sie das erstemal mit Gefängnisse gestraft undaus der Stadt gewiesen; erwischt man sie zum andernmale, so werden sie mit längerm Gefängnisse bestraft, gegeißelt und[224] aus dem Lande gejagt; diejenigen aber, welche aus dem Lande sind, werden in itztgedachte Charité gebracht. Das Hauptgebäude besteht aus zween viereckigen Höfen, die mit Galerien umgeben sind. Der eine ist für das männliche Geschlecht, der andere für das weibliche. Jedes speiset in seinem besondern Saale, etliche hundert auf einmal, also daß sie einander zwey bis dreymal ablösen, und hat jede Person ihre Suppe, Brodt, Käse etc. mit einer zinnernen Kanne voll Wein. Jedes Geschlecht hat auch seine besondere Zeit die Messe zu hören, und sind sie von den übrigen Leuten, die daselbst in die Kirche gehen wollen, durch ein eisern Gitter abgesondert. Die Kirche ist sehenswürdig wegen des Gewölbes und der Himmelfahrt Mariä, welche der berühmte Chevalier Daniel (von welchem die Frescoarbeit in des Königs Galerie zu Turin ist) gemalet hat. In den untersten Gängen der beyden Höfe stehen die Brustbilder der Wohlthäter und Wohlthäterinnen, von Marmor oder Gipse, mit zierlichen lateinischen Beyschriften.

Die guten Anstalten wegen des Tollhauses vergißt ein Fremder auchnicht zu besehen. Rand rechts: Tollhaus. Exempel einer sonderbaren Thorheit. Es ist in demselben itzt eines vornehmen Generals und Ambassadeurs Vetter, der sich einbildet, er sey ein rechtmäßiger Sohn Ludwigs des vierzehnten, weil seine Mutter (wie er vorgiebt) nicht nur eine Maitresse des itztgedachten Königs, sondern auch ordentlich an ihn verheirathet gewesen. Er will mit aller Gewalt königliche Apanage haben, einen großen Hof halten: und weil dieses nicht geschieht, so tobet er, will nicht beichten, reißt seine Kleider, und was er von geistlichen Bildern erwischen kann, in Stücken; daher man genöthiget worden, ihn hieher zu bringen. Er hat seine eigene Kammer mit einem kleinen Gange zum spazierengehen, und sein Bruder unterhält ihn hier für achthundert Livres de Piemont.

Um alle Theurung des Holzes im Winter zu verhüten, und damit die Bauern den Preis desselben nicht nach Gefallen steigern mögen, hat die Stadt à la Place Caroline vier große Magazine für Holz und Kohlen angelegt, woraus man um einen gesetzten billigen Preis kaufen kann, wenn der Bauer höher hinaus will. Rand rechts: Holzmagazin.

Der König erkundiget sich fleißig, ob über die Policeygesetze gehalten werde: und weis man, daß er ehemals bisweilen ganz allein in einem Mantel eingehüllt herumgegangen, um zu sehen, was desfalls in der Stadt vorfalle. Rand rechts: Des Königs Aufsicht über die Policey. Einsmals nahm er von einem Becker ein schlecht und zu klein gebackenes Brodt mit, brachte es vor den Senat, um es examiniren zu lassen. Der Becker schob die Schuld auf die starke Auflage, so man unter dem Thore vom Mehle geben müßte: und da er nicht gänzlich unrechthaben mochte, ließ der König alsbald darinnen eine Veränderung machen und den Accis vergringern.

Nachdem ich erzählet, was mir in Turin als gut und schön vorgekommen: so wird mir auch erlaubt seyn, meine Gedanken über dasjenige, was mir daselbst misgefallen, zu eröffnen. Rand rechts: Dicke Luft in Turin. Dahin rechne ich erstlich die vielen und beständigen Nebel, welche im Herbste und Winter aus dem Po und andern Gewässern aufsteigen, die Luft dunkel und feucht machen, und nicht anders als ungesund seyn können. Diese starken Nebel spüret man vornehmlich in der Stadt, und hat man öfters über schlimmes und Regenwetter zu klagen, indessen daß zu Rivoli die schönste helle Luft ist.

Hiezu kömmt ferner das trübe und schwere Wasser, so man in den meisten Schöpfbrunnen der Stadt findet, und vornehmlich deswegen schlecht ist, weil man die Brunnen nicht reinlich hält, sondern öfters todte Katzen und andern Unrath hinein werfen läßt. Rand rechts: Schlechtes Trinkwasser. Vor der Porte du Pô, nach den Kapuzinern hin, ist ein verschlossener Brunnen, der das beste Trinkwasser giebt.[225]

Zum dritten wäre nöthig, daß die Policey in Ansehung der Wirthshäuser besser eingerichtet würde, und ein Einsehen geschehe, damit die Fremden besser bedienet, und nicht so sehr übersetzet würden. Rand links: Schlechte Wirthshäuser. Man speiset in ganz Italien nirgend so schlecht als in Turin, ob es gleich einerley Geld kostet. Das Land bringt gute Weine im Ueberflusse, man bekömmt aber in Wirthshäusern das elendeste Getränk, wo man es nicht außerordentlich theuer bezahlen will. Absonderlich sind die Katholiken in Fasttagen übel daran. Der Po ist zwar fischreich genug, und fängt man darinnen Hechte, Karpen, Parsen, gute Forellen, auch Störe von achtzig bis hundert Pfunden (wiewohl sie am besten sind, wenn sie jung und nur zwanzig bis fünf und zwanzig Pfund wiegen), allein die Wirthe wollen keine Unkosten an frische Fische wenden, und muß man sich also mit schlechten eingesalzenen Sardellen, marinirten, geböcketten und getrockneten Fischen, oder mit dem allgemeinen Nothessen, nämlich mit Eyerkuchen behelfen.

Viertens gefällt mir nicht die Art ihrer Begräbnisse. Rand links: Was beyden Begräbnissen auszusetzen. Man trägt häufig die Todten in Proceßionen zu Grabe, da sie frey und ohne Deckel eines Sarges liegen, also daß man nicht nur ein schlechtes Spectakel vor sich hat, wenn die Leute an Maasern, Blattern und dergleichen Krankheiten gestorben sind, sondern dergleichen Anblick leicht einen gefährlichen Eindruck bey schwangern Weibern oder solchen Personen, welche besagte Krankheiten noch nicht gehabt haben, erwecken kann. Die vermummeten Confraternitäten, die den Todten öfters begleiten, und von denen man nichts als die Augen sieht, machen einen zwar fürchterlichen, übrigens aber gar schlechten Aufzug. Es ist auch unangenehm, daß man bey regierenden schlimmen Krankheiten in den Kirchen oftmals drey bis vier Leichname unbedeckt den ganzen Tag liegen findet. Rand links: Ueble Gewohnheit in die Kirchen zu begraben. Die Vornehmen haben ihre Erbbegräbnisse in den Kirchen und Kapellen, die Armen aber werden in ihren Pfarrkirchen funfzig bis hundert und funfzig in ein Loch ohne Sarg geleget. Nun geht man zwar zu diesen tiefen Gruben aus der Kirche durch etliche Gewölber und Thüren; allein dieses kann nicht verhindern, daß nicht vieler un. gesunder Gestank und Ausdünstung sich durch die Kirchen ausbreite1. Ich weis, daß dieses Uebel den turinischen Kirchen nicht eigen, sondern mit den meisten großen Städten, sonderlich unter den Katholiken, gemein sey; allein es ist solches dennoch eine Sache, die mit der gesunden Vernunft streitet, und billig einen Ekel bey allen Menschen erwecken sollte. Mir gefallen desfalls die Gedanken des im 1710ten Jahre verstorbenen berühmten Medici undAnatomici zu Löwen, Philipp Verheyen, welche er in seiner Grabschrift mit folgenden Worten hat ausdrucken lassen:
[226]

Phil. Verheyen, Medicinæ D. & Prof. partem sui materialem hic in Cœmeterio condi voluit, ne templum dehonestaret, aut nocivis halitibus inficeret. Requiescat in pace.


Endlich misfällt mir die Freyheit, welche die Charlatans und Quacksalber, wie in den übrigen Theilen von Italien, also auch hier haben, die Leute um ihr Geld und öfters zugleich um ihre Gesundheit zu bringen. Rand rechts: Freyheit der Charlatans. Es ist zwar in den Verordnungen der turinischen Akademie allen dergleichen Leuten bey hoher Strafe untersaget, einige Arzeneymittel ohne Erlaubniß des Protomedici im Lande auszutheilen; allein es wimmelt dennoch alles voll Marktschreyer, und muß man entweder beym Protomedicat gar freygebig mit der Erlaubniß seyn, oder diese Landlaufer geben bey der Probe ganz andere Arzeney an, als sie hernach dem gemeinen Volke verkaufen. A la Place du Chateau sind stets etliche Theater für solche Quacksalber aufgerichtet, und suchen sie mit Musik, Affen- und Possenspielen sich mehrern Zulauf zu verschaffen2. Rand rechts: Vermessene Reden derselben. Es ist kaum zu glauben, was für Betheurungen diese Bösewichte bey Lobung ihrer Salbadereyen brauchen. Vor wenig Tagen hörte ich einen ohngefähr auf folgenden Ton anfangen: Gelobet sey der Herr Jesus Christus, von welchem ich nichts mehr verlange, als daß er nach seiner Gerechtigkeit am jüngsten Gerichte also mit mir verfahre, wie ich heute mit euch handeln will; ich setze meine Haab und Gut aus Liebe für eure Gesundheit zu; allein der Teufel, der nichts Gutes leiden kann, verblendet eure Augen, daß ihr etliche Sols für hundert Scudi ansehet, und dadurch euer und eures Nächsten Heil, so ihr mit geringen Mitteln befördern könnet, verabsäumet; nehme ich einen Häller von euch nicht mit gutem Gewissen, so wünsche ich, daß ich euer Geld in der höllischen Quaal ewig schlucken müsse etc. Dieses elenden Schreyers Universalmedicin bestund in zweyen Pulvern, womit er die Schlagflüsse, hinfallende Sucht, Magenweh, Kopfweh, Schwindsucht und Wassersucht vertrieb, und kosteten beyde nicht mehr als eine Parabajole oder neun Pfenninge, woraus man urtheilen kann, was für herrliche Dinge zu dieser Arzeney genommen seyn müssen. Keine sind bescheidener als die Zahnbrecher, welche insgemein versichern, daß sie con adjuto di Santa Apollonia, welche die Schutzheiliginn über die Zähne ist, den Zahn glücklich heraus reißen wollen3. Bey der oftmaligen Nennung der heil. Apollonia nehmen sowohl die Herren Aerzte, als die umstehenden Zuhörer allezeit den Hut sehr andächtig vom Haupte.

Fußnoten

1 Den Ursprung der unartigen Gewohnheit von den Begräbnissen in den Kirchen muß man ohnzweifel unter den Heiden suchen, welche die Gebeine ihrer Todten den heiligen Wäldern anzuvertrauen pflegten.Nulli certa domus, lucis habitamus opacis.

VIRGIL.

Wenn es wahr ist, was Lactanz und Eusebius behaupten, daß die Tempel aus Begräbnissen entstanden sind: so hat diese Gewohnheit ein großes Alterthum vor sich. Die Mönche haben sich derselben zu ihrem großen Vortheile zu bedienen gewußt. STRAVCHde antiqu. funer. rit. c. 2, §. 5: Hanc emungendæ pecuniæ artem invenerant monachi, ut homines in cucullis monachorum & prope altare sepeliri debere impevitibus magna iniecta est superstitio, se hominum esse beatissimos, si in illis locis sepelirentur, quæ monachorum ridiculis cerimoniis fuerint consecrata.


2 Den Possenreißern fehlet es zwar in keinem Lande an Zulaufe; allein sie finden solchen sonderlich an der italienischen, als einer dem Müßiggange sehr ergebenen Nation. Man nennet sie Maccaroni von dem Essen einer Art Nudeln, aus welchen die Italiener viel Wesens machen. Die Harlekins haben in gar vielen Ländern ihre Benennung von solchen Speisen, die daselbst vor andern geliebet werden Dieses zeigt außer itzt gemeldtem Exempel, der Franzosen Jean Potage, der Holländer Harengspecs, der Engländer Jack Puddings und der Deutschen Hans Wurst. Ich lasse dahin gestellet seyn, ob sie wegen ihrer Schmaruzerey dergleichen Ehrentitel davon getragen haben, oder weil man insgemein dergleichen Narren so lieb hat, daß man sie, wie im Sprüchworte gesaget wird, fressen möchte.


3 Viele Glieder haben ihre besondere Schutzheilige. St. Agatha ist es von den Brüsten, St. Blasius von der Gurgel etc. Jener versprach sich und bethete: S. Guttur, rogo te, ut liberes me a malo Blasii. Manche dieser Heiligen scheinen dieses Jus Patronatus bloß dem Laute ihres Namens zu danken zu haben: und rechnet man billig dahin, wenn St. Clara wider die Augenflüsse, St. Stapinus wider das Podagra, und St. Pankratius (aus welchem das gemeine Volk St. Crampatium machet) wider den Krampf und die Krankheiten der Nerven angerufen wird. Bey den Heiden hatte Mercurius die Schutzgerechtigkeit über die Füße, Minerva über die Finger, und Apollo über die Augen.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 227.
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