[238] Drey und dreyßigstes Schreiben.

Von der Piemonteser Charakter, Handlung und Manufacturen.

Mein Herr!


Von dem humeur und der Lebensart der Savoyarden habe ich demselben zu anderer Zeit schon Bericht abgestattet, und komme ich itzt auf die Piemonteser, von welchen ich keinesweges die Vergleichung oder Parallele, welche selbst ein in hiesigem Lande gebohrner neulich gemacht hat, behaupten will, nämlich: es verhielten sich beyde Nationen also gegen einander, daß unter zehn Piemontesern vielleicht ein ehrlicher Mann sey, und unter zehn Savoyarden vielleicht ein Taugenichts oder Betrüger. Rand links: Charakter der Piemonteser. Dieses ist aber gewiß, daß die Piemonteser überaus listigen Verstand besitzen, und zu wünschen wäre, daß ihr fertiger und scharfsinniger Kopf allezeit zum Guten angewendet würde. Auch der Misbrauch desselben geschieht gemeiniglich mit so wohl ausgesonnenen Umständen und Intriguen, daß man sich über ihren fähigen Geist höchlich verwundern muß. Rand links: Exempel der piemontesischen List. Im Jahre 1695 kam ein Piemonteser unter dem Namen eines Grafen von Caraffa nach Wien, addressirte sich in geheim an die kaiserlichen Minister, bey welchen er vorgab, wie er von dem Herzoge in wichtigen Geschäfften abgefertiget sey, wegen welcher er mit ihnen zu handeln habe, ohne daß der französische Hof etwas davon innen werden dürfte. Er zeigte sein Creditiv, in welchem er des Herzogs Siegel und Unterschrift künstlich nachgemachet hatte. Die Sachen giengen nach seinem Wunsche. In kurzer Zeit gab er sich mit weniger Scheu für einen savoyischen Extraordinairgesandten aus, besuchte öfters die kaiserlichen Staatsräthe und alle vornehme Gesellschaften:[238] ja als einsmals am kaiserlichen Hofe Kabinetmusik war, und der Trabantenhauptmann ihn nicht einlassen wollen, foderte er im Namen seines Herrn Satisfaction, und der Hauptmann mußte ihn um Vergebung bitten. Eine von seinen ersten Sorgen war, wie er sich bey den Jesuiten, die bey Hofe vieles galten, in gutes Ansehen setzen möchte. In dieser Absicht besah er ihre Kirche, und da er ste wegen des vorgewandten Unvermögens des Ordens noch nicht ausgebauet fand, fragte er: wie viel Geld noch dazu vonnöthen sey? Man zeigte ihm einen Ueberschlag von zweytausend Louis d'or. Der falsche Caraffa bezeugte: wie er jederzeit ein Freund ihrer Gesellschaft gewesen, undes ihm dannenher sehr lieb sey, hier eine geringe Gelegenheit zu finden, da er solches an den Tag legen könnte; sie möchten in dem Baue der Kirchen fortfahren, zu dessen Beytrag er ihnen noch selbigen Tages zweytausend Louis ins Kloster schickte. Nach einiger Zeit mußte er fürchten, daß das Geheimniß endlich auskommen möchte: um also seine Person nicht umsonst gespielt zu haben, gieng er herum und bath viele vornehme Damen auf eine Abendmahlzeit und einen Ball. Man sagte ihm allenthalben zu: er wußte aber bey jeder Person eine Ursache seines Mistrauens vorzuwenden, und wie man ihm schon etliche mal das Wort nicht gehalten habe; daß er endlich jede überredete, ihm ein Pfand zur Versicherung ihres gethanen Versprechens einzuliefern. Die eine gab ihm einen Ring, die andere eine Schnur Perlen, von der dritten bekam er Ohrengehänge, von der vierten eine goldene Uhr, und dergleichen Dinge mehr, dergestalt, daß diese mit vielem Scherz aufgenommene Pfänder über zwölftausend Thaler an Werth betrugen. An dem bestimmten Abend komen die Gäste an; allein man kann sich leicht einbilden, mit was verschiedenen Gemüthsbewegungen man endlich entdeckte, daß man mit einem Spitzbuben zu thun gehabt, welcher sich nun unsichtbar gemacht hatte. Die Jesuiten hatten sich ihrer gemachten Beute auch wenig zu erfreuen. Wenige Tage vor seiner Abreise stellt sich dieser Betrüger vor dem kaiserlichen Beichtvater auf einmal traurig an; und auf geschehenes Befragen nach der Ursache, vertrauete er ihm mit dem größten Geheimnisse: daß es ihm itzt an Geld mangele, zu einer Zeit, da es mit den Sachen seines Herzogs nur darauf noch ankäme, daß acht tausend Louisdor gleich bey der Hand seyn möchten, um selbst am kaiserlichen Hofe angewandt zu werden. Die Jesuiten, welche kurz vorher umsonst eine große Summe von ihm gezogen hatten, trugen kein Bedenken, ihm gleich die acht tausend Louis zu verschaffen, und mit diesem Zehrpfenninge ließ er sichs gefallen, seinen Abschied zu nehmen. Nach etlichen Jahren fiel er bey ganz anderer Gelegenheit dem Herzoge von Savoyen in die Hände, welcher ihm im Gefängnisse den Kopf vor die Füße legen ließ. Hier in Turin hat man mich versichert, es sey das Urtheil gemildert, und er zu ewiger Gefangenschaft verurtheilet worden, weil ihn sein Advocat mit großer Beredsamkeit aus der Regula Juris: quod excellens in arte non debeat mori, vertheidiget habe.

Eine außerordentliche Probe, wie weit die Kräfte des menschlichen Verstandes und sonderlich des Gedächtnisses gehen können, hat man in Turin an dem Pater Sacchieri, der vor kurzer Zeit gestorben ist, erlebet. Rand rechts: Unglaubliches Gedächtniß des P. Sacchieri. Er war in der altiori Geometria und des LEIBNITIIAnalysi insinitorum wohl erfahren: und wenn er einmal mit Bedacht ein gedrucktes Blatt überlesen hatte, machte es ihm hernach keine Mühe, solches auswendig vorwärts und hinterwärts zu wiederholen. Jede Predigt, so nicht über eine Stunde gewähret hatte, und von ihm angehöret worden war, konnte ohne Anstoß in eben der Ordnung von ihm nochmals gehalten werden; obgleich die italienischen Predigten weniger als andere an einander zu hängen scheinen, wegen der kurzen Realien, Maximen und sinnreichen Sentenzen, womit sie angefüllet sind. Er war im Stande mit drey verschiedenen Personen zu gleicher Zeit im[239] Schach zu spielen, ohne daß er auf eines von diesen dreyen Spielen selbst sah. Es brauchte weiter nichts, als daß ihm sein Bevollmächtigter sagte, was der Gegenpart für einen Stein gezogen hatte, damit Sacchieri auf seiner Seite befehlen konnte, was man dagegen zu setzen habe, unterdessen daß er selbst die anwesende Gesellschaft mit Gesprächen unterhielt. Fiel etwan ein Zweifel vor, auf welchem Platze dieser oder jener Stein stehen müsse: so wußte er alle sowohl von ihm als seinem Gegenpart vom Anfange des Spiels gethanene Züge wieder herzusagen, und auf diese Art den eigentlichen Stand und Platz des Steins oder der Piece unstreitig zu entscheiden. Diese ungemeine Geschicklichkeit im Schachspiele scheint mir fast das größte Exempel zu seyn, was man noch von wunderwürdigen Gedächtnissen beybringen mögen, und kann ich desfalls mich auf Zeugen berufen, deren Treueund Redlichkeit nicht weniger als ihr vornehmer Standan der Wahrheit ihrer Erzählung keinen Zweifel zuläßt.

Es ist aber ein witziger Verstand nicht nur bey vornehmen und gelehrten, sondern auch bey ganz gemeinen Leuten in Piemont zu finden: wozu vielleicht außer dem wärmern und italienischen Climate die Nachbarschaft der französischen Nation und ihr Aufenthalt, den sie theils als Freunde, theils als Feinde in den piemontesischen Landen öfters genommen, vieles geholfen hat. Rand links: Einfalt der Einwohner zu Aosta. Der Mangel dieser beyden Umstände machet, daß man von der Zahl der verschmitzten Unterthanen des Königs die Einwohner der Gebirge von Aosta ausnehmen muß, welche fast gar nicht aus ihren Thälern kommen, und theils kaumglauben, daß außer ihnen noch eine bewohnte Welt sey. Sie haben fast alle Kröpfe, welche man auch an ihren Pferden, Hunden etc. findet1, daher zu glauben ist, daß das Wasser viele Schuld daran habe. Die Einwohner aber sind ihrer dergestalt gewohnt, daß sie einen Kropf für nichts häßliches halten. Man erzählet ihnen zum Possen, daß einsmals eine fremde Frauenperson, die keinen Kropf gehabt, in dieses Thal und in eine Kirchenversammlung, als eben Predigt gehalten wurde, gekommen sey. Sobald man sie erblicket, sey alle Andacht durch das Aufsehen und entstandene Gelächter gestöret worden. Der Prediger selbst, nachdem er sich nach der Ursache dieses Lärmens umgesehen, habe des Lachens sich nicht enthalten können, bald aber seine geistliche Ernsthaftigkeit wieder angenommen, und den Zuhörern vorgestellt: es sey ihnen zwar nicht gänzlich zu verdenken, was sie gethan hätten, allein über natürliche Gebrechen seines Nächsten müsse man sich nicht kitzeln und lachen. Ein Christ nehme bey solchem Zufalle vielmehr Gelegenheit, dem Himmel zu danken für das mehrere, so er ihm gegeben, als daß er höhnisch seyn sollte, wenn Gott solche Gabe dem Nebenmenschen versaget habe.

Was die Lebensart der Damen in Turin anlangt, so ist solche sehr frey, sie sprechen viel mit Mannspersonen, und lachen so viel und ausgelassen, daß man an andern Orten leichtlich etwas dawider zu sagen haben würde. Rand links: Lebensart der Damen in Turin. Jede hat ihren Liebhaber und Unterhändler ihrer Liebeshändel, mit welchem sie in Assembleen sich unterhält. Allein für Fremde, die nicht sehr großes Geld verzehren wollen, ist wenig zu thun, und keine sonderliche Bekanntschaft zu hoffen. Der Ehrgeiz und die Begierde gelobt zu werden, machet, daß sie ihnen aufs höflichste begegnen, vor ihnen, wenn sie in Gesellschaften kommen, aufstehen, auch mit ihnen vom Wetter, der Oper und dergleichen Dingen reden; dabey aber bleibt es. Wie sie gegen einen Fremden in der ersten Woche gewesen, so sind sie auch nach einem Viertheljahre, und vergringert sich vielmehr der höfliche Umgang, wenn sie vermuthen, man bleibe lange am Hofe oder in der Stadt. Rand links: Piemontesische Syrache. Sie sprechen wenig französisch und meistentheils ihr piemontesisch, welches ein Mischmasch von der französischen und italienischen Sprache ist.[240]

Viele Wörter sind ganz französisch, werden aber ausgesprochen, wie sie geschrieben stehen, z. E.le lait, die Milch, wird ausgesprochen laït, und gleiche Bewandniß hat es mit fait und vielen andern Wörtern.

Piemont hat einen großen Handel mit seiner Seide, welche wegen ihrer Feine und Stärke für die beste in Italien gehalten wird. Rand rechts: Seidenhandel in Piemont. Alle seidene Waaren werden in Turin so gut gemacht, als irgendwo, nur die glacées und draps dor oder d'argent ausgenommen, welche den französischen noch nicht beykommen. Mancher Bauer in Piemont verkauft jährlich vier bis fünf Rubbs (deren jeder fünf und zwanzig Pfunde hat) Seide, die von den Coques oder Gehäusen noch nicht abgesponnen ist, und kostet das Pfund solcher Coques zwanzig bis fünf und zwanzig Sols. Diese Gehäuse werden auf warm Wasser geworfen, da sich dann der Faden leichtlich löset, und bis aufs letzte Ende ohne Mühe abgewickelt wird. Drey bis vier solcher Fäden werden zugleich abgewunden, und machen zusammen den ersten zarten Faden, der zur Arbeit gebraucht wird. Von der seinen Seide kostet das Pfund ohngefähr einen Louis d'or. Wenn die Fäden gekocht werden, verlieren sie ihre gelbe Farbe, und werden weiß. Etliche Gehäuse kommen nicht zur Reise, wenn nämlich der Wurm oder Putkern stirbt und nicht auskriecht. Diese werden in ein großes hölzernes Gefäß zusammen gethan und die Würmer mit den Füßen ausgetreten; solche Seide aber kann nicht sein gesponnen werden, und wird nur zu Futterzeuge verbrauchet. Rand rechts: Warum in Turin keine Seidenwürmer? In Turin dürfen keine Seidenwürmer (nämlich in Menge) unterhalten werden: weil man solche Zucht für ungesund hält, und glaubt, daß durch die vielen Veränderungen, Gährungen und einigermaßen durch die Verfaulung des Wurms die Luft mit üblen Ausdünstungen angefüllet werde, welche in der Stadt nicht so leicht als auf dem Lande sich zertheilen. Nach denen gefährlichen und ansteckenden Fiebern, welche im Jahre 1709 zu Pesaro regieret hatten, und nach des päbstlichen Leibmedici Joh. Mariä Lancisii Urtheile von dem ausgetretenen und nachmals faulenden Gewässer ihren Ursprung hatten, wurde unter andern zu mehrerer Sicherheit auf das zukünftige und um die Luft desto reiner zu erhalten, daselbst verordnet, daß niemand die in ihren Schalen eingehüllete Seidenwürmer in Backöfen, welche hernach zum Brodtbacken gebrauchet würden, trocknen sollte. Es wurde gleichfalls verbothen, sie in Kesseln auszukochen, wo man nicht tiefe Graben und Löcher habe, in welche hernach die garstige Materie könnte gebracht werden. Ferner sollten die todten Würmer vor der Abkochung aus der Schale genommen und nicht mit gekocht werden, auch sowohl das gestorbene Gewürme als die todten Papillons nicht in den Stadtgraben, wenn solcher ohne Wasser ist, geworfen, sondern beym Pharo ins Meer gebracht werden. Man rechnet nach der Zahl der weißen Maulbeerbäume, wie viel Würmer man ohngefähr unterhalten könne. Die Würmer, so von einer einzigen Unze Saamen kommen, fressen achtzig bis hundert und vierzig Rubbs Maulbeerblätter, nachdem das Wetter ist; denn wenn es warm ist, so zehren sie nicht so viel, als bey kühler Witterung. Wenn man die Blätter kaufen muß, kostet der Ruhh oder fünf und zwanzig Pfund zehn bis fünf und zwanzig Sols. Die Papillons paaren sich, sobald sie aus dem Gehäuse gekrochen, nach acht oder zehn Tagen legen sie ihren Saamen, und sterben alsdann. Den Saamen hebt man den Winter über auf, bis die Knospen an den Maulbeerbäumen hervorkommen, da solche Eyer zwischen zwo Matelats geleget und durch die allmähliche Wärme innerhalb vierzig Tagen ausgebrütet werden. Etliche Frauenpersonen geben ihnen in kürzerer Zeit die benöthigte Hitze, indem sie gedachte Eyer in papiernen Düten vor ihrem Busen tragen. Die piemontesischen Edelleute halten auf dem Lande viele Seidenwürmer, und geben solche ihren Bauern unter gewissen Bedingungen zu warten; weil sie[241] wegen der frischen Luft, die ihnen immer in großen Kammern gegeben werden muß, und wegen der fleißigen Fütterung viele Mühe und Aufsicht erfodern. Der Edelmann liefert den Saamen oder die Eyer der Seidenwürmer (davon die Unze in Piemont drittehalb bis fünf Livres kostet) nebst den benöthigten Maulbeerblättern, und zieht dafür die Hälfte der Seide. Eine Unze Saamen trägt, wenn die daraus hervorkommende Würmer gut arbeiten, vier Rubbs Rollen oder Gehäuse, von welchen die Seide noch nicht abgesponnen ist. Es ist zu verwundern, daß man in Deutschland nicht mehrere Sorge trägt, die Seide zu ziehen, und auf solche Art viele Tonnen Goldes im Lande zu behalten. Frankreich hätte in diesem Stücke seinen Nachbarn billig zu einem guten Exempel dienen sollen, nachdem die unter Heinrich dem vierten angelegte Seidenwürmerzucht und Seidenmanufacturen solchem Königreiche unglaublichen Vortheil gebracht haben. Die Engländer, so einen großen Theil ihrer Seide bisher aus Persien bekommen, und solche mit der italienischen Seide vermischet haben, erkennen wohl, was ihnen für Nutzen zuwachsen würde, wenn sie eigene Seide hätten, und durch den Zusatz der persianischen (welche aller andern vorgezogen wird) in den Seidenmanufacturen dasjenige thun könnten, was ihnen in Ansehung der Tuchfabriken vermittelst Vermischung eines geringen Theils spanischer Wolle mit derjenigen, welche England selbst hervorbringet, so wohl gelinget. In Italien selbst werden die englischen Seidenwaaren für besser gehalten und theurer bezahlt, als die italienischen: und wenn die Kaufleute zu Neapolis ihre seidene Strümpfe und andere dergleichen Waaren gar sonderlich herausstreichen wollen, so geben sie solche für englische Manufacturen aus. Die fremde Seide hat bisher den Engländern jährlich bey viermal hundert und fünftausend Pfund Sterling gekostet, von welchen ein guter Theil im Lande bleiben könnte, wenn die Wartung der Seidenwürmer in diesem Königreiche ihr Aufnehmen erreichete. Der Anfang ist an etlichen Orten gemacht, und muß die Zeit lehren, was die Sache für einen Fortgang gewinnen werde. Indessen schicket man anitzo auch Leute mit Eyern von Seidenwürmern nach Georgien in America, um daselbst ihr Heil damit zu versuchen. Alle dergleichen Dinge müssen erst probiret werden, ehe man sie als unmöglich verwerfe. Die Römer werden vor alten Zeiten gleichfalls nicht geglaubet haben, daß in ihrem Lande Seide hervorgebracht werden könnte. Als Alexander der große sich Meister von Persien gemacht, wurde das seidene Zeug erst in Griechenland bekannt, und von dannen kam es nach Italien, wiewohl so theuer, daß es dem Golde gleich geachtet wurde2, weil die Persianer einzig und allein damit handelten, auch weder Eyer noch Würmer aus dem Lande ließen. Daher kam es auch, daß die alten Griechen und Römer wenig von dem Ursprunge der Seide wußten, und in den Gedanken stunden, es wachse dieselbe unmittelbar auf den Bäumen. Ganzseidenes Gewand (Holosericum) wurde nur von Damen getragen3. Die vornehmsten Männer behalfen sich mit dem halbseidenen oderSubserico: und Heliogabal war der erste, so sich desHoloserici bediente4. Zu Zeiten des Kaiser Justinians versuchte man, ob nicht die Seidenwürmer lebendig nach Konstantinopel gebracht werden könnten, es gieng aber nicht an; worauf zween deswegen abgeschickte Mönche einen Versuch mit den Eyern thaten5, mit so gutem Fortgange, daß von dieser konstantinopolitanischen Colonie sich alle übrige europäische Seidenwürmer und Fabriken herzuschreiben haben. Bis gegen die Mitte des zwölften Jahrhunderts hatten die Römer[242] und andere Europäer keine andern seidenen Zeuge, als die sie aus den griechischen Fabriken bekamen. Nachdem aber Roger der erste König von Sicilien, um das Jahr 1138 mit einer Flotte von drey- und zweyrudrigen Schiffen, welche man Galeas oder Sagittas (wovon der Namen Saiquen herkömmt) nennte, eine Landung in Griechenland gethan, und Korinth, Theben, Athen etc. erobert und geplündert, führte er unter denen Gefangenen viele Seidenweber hinweg, welche er nach Palermo bringen und daselbst seinen Leuten ihre Kunst bey bringen ließ. Von hieraus breitete sie sich in Italien aus, wie davon OTTO FRISINGENSISde Gestis Friderici, lib. I, c. 33 Nachricht giebt. Lächerlich ist es, wenn etliche Naturkündiger vorgeben wollen, es wachsen die Seidenwürmer aus dem Fleische, wenn solches nur mit Maulbeerblättern zugedeckt wäre. Maden werden mit der Zeit hervorkommen, und diese sich wieder in Fliegen verwandeln, wie bey allem Fleische, zu welchem die Schweißfliegen haben kommen können, geschieht; die Hoffnung aber Seidenwürmer daraus zu ziehen, ist gewißlich umsonst, wo nicht etwan einige Eyer davon an den Blättern klebend gewesen. In Deutschland steht man in dem Vorurtheile, die weißen Maulbeerbäume könnten die starken Winter nicht aushalten: da doch die Erfahrung an allen Orten, wo man die Sache versuchet, das Gegentheil gewiesen hat. Im Gegentheile wäre fast zu sagen, daß die Seidenwürmer in Deutschland mehr von der Hitze zu befürchten hätten; wider welche jedoch allenfalls die sogenannte Pompe d'Hesse, durch welche man ihnen frische Luft geben könnte, gute Dienste thun würde. In Italien kommen die Maulbeerblätter gar früh hervor, und ist die erste Zucht vorbey, ehe die starke Hitze des Sommers einfällt. In Deutschland aber kriechen die Würmer öfters aus, ehe man Maulbeerblätter hat, wodurch dann die ganze Zucht verlohren geht. Diesem Uebel vorzubauen, und damit die Eyer nicht lebendig werden, ehe man mit dem gehörigen Futter versehen ist, müßte der Saamen entweder in einem Kusser zwischen weißer Leinwand (welche die Eigenschaft zu kühlen an sich hat) geleget, oder in einem wohl verwahrten Glase, durch welches keine Feuchtigkeit dringen kann, in einen Brunnen gehängt werden.

Wo man nicht mit Maulbeerbäumen versehen ist, pflegt man die Seidenwürmer mit Salat zu füttern; wobey zu beobachten, daß solcher ganz jung oder nur von vier bis fünf Blättern, wie auch allezeit recht trocken und ohne Nässe seyn müsse. Daß übrigens dieClimata auch des nordlichen Deutschlandes zu der ordentlichen Zucht der Seidenwürmer nicht ungeschickt seyn, kann man augenscheinlich in Berlin sehen, woselbst die weißen Maulbeerbäume wider die Strenge der schärfsten Winter ausgehalten haben, und die durch eigene Anstalten gesammelte Seide es vieler andern an Feinigkeit und Stärke zuvor thut.

Ein anderes Mittel, wodurch die piemontesischen Bauern vieles Geld verdienen, sind die Trüffel, welche so häufig in dieser Gegend gefunden werden, daß man Piemont gleichsam das Vaterland derselben nennen könnte. Rand rechts: Trüffelgraben. Man hat mich versichert, daß mancher Bauer in einem Jahre sechszig bis siebenzig Thaler mit Ausgrabung solcher Frucht verdiene. Die Trüffel sind von dreyerley Art, schwarze, weiße und roth-marmorirte. Wenn sie schön und groß sind, gilt hier das Pfund funfzig Sols bis drey Livres; mit ihrer zunehmenden Größe steigt aber auch der Preis des Pfundes. Zu Casal ist vor wenigen Wochen eine Trüffel, die zwölf Pfund gewogen hat, für vier Louisd'or verkaufet worden. Vor etlichen Jahren wurde der Prinzeßinn von Piemont eine Trüffel von der Größe der äußersten Rundung eines Tellers präsentiret, welche durchaus gut und vierzehn Pfund schwer war.

Man findet nun auch in allen Provinzen Deutschlandes Trüffel, und müssen die Liebhaber dieses Gerichtes dem geheimen Rath, Baron von Forstner vielen Dank wissen, weil[243] er sie in Deutschland zuerst entdeckt, und zu Aufsuchung derselben abgerichtete Hunde mit aus Piemont gebracht hat. Rand rechts: Wie solche in Deutschland bekannt worden. Ich habe solches sowohl anderwärts, als auch von dem Marquis d' Angrogna, Maitre de Ceremonies am turinischen Hofe, an welchem wie auch bey dem Könige das Andenken dieses großen Mannes noch in vielem Ruhme ist. Er führte damals den Erbprinzen von Würtemberg als Oberhofmeister, und gab Anlaß, daßdem Prinzen zweene solche wohl abgerichtete Hunde geschenkt wurden, welche nebstz weenen Wind- und zweenen Dachshunden vor einem kleinen metallenen Gestücke zogen, das der Herzog von Savoyen damals mit einer andern kleinen Canone dem Prinzen beym Abschiede verehrte. Diese letztere wurde von sechs großen Schafen mit verguldeten Hörnern gezogen. Auf beyden war das würtembergische Wapen gegossen, und wurden sie nebst einem Trüffeljäger nach Hause gesendet. Wenn man die Trüffeln kochet, und das Wasser (sonderlich mit den abgeschnittenen Schalen) auf gute Erde schüttet, so wachsen hernach an solchem Orte Trüffeln hervor, ohne Zweifel aus dem mit Wasser und den Schalen hingeworfenen Saamen. Das zu Trüffeln bequeme Erdreich muß schwarz und locker seyn, worauf auch Dornen, Büchen und Eichen wachsen. Die Hunde gewöhnt man zu ihrer Nachsuchung dadurch, daß man ihnen sonderlich des Morgens, wenn sie hungrig sind, und ehe man mit ihnen ausgeht, etwas vom Brodte, so in Trüffelöl getauchet ist, zu fressen giebt. Um dieses letztere aber zu haben, kochet man nur Trüffeln in Baumöl ab. Hat der Hund eine Trüffel entdeckt, so giebt man ihm ein wenig Brodt, und dadurch wird er leichtlich völlig abgerichtet. Etliche neuere Gelehrte sind solche Liebhaber dieser Frucht gewesen, daß sie auch die 1 Mos. 30, 14. Hohel. 7, 13. gemeldte Dudaim für Trüffel ausgegeben haben.

Zum Wohlseyn des piemontesischen Landes trägt der reiche Weinwachs in allen Gegenden vieles bey. Rand links: Weinwachs in Piemont. Diese Weine sind wie alle italienische sehr süße, so lange sie neu sind, absonderlich die weißen. Man hat aber vom rothen Weine eine Art, welche öfters nur allzuviel von der Süße abgeht, und Vino brusco genennt wird. Man hält ihn gesund für fette Leute, gleichwie der süße oder Vino amabile den Magern angerathen wird. In Wirthshäusern sind die Weine überhaupt schlecht, und darf man daraus von dem Landgewächse nicht urtheilen, wie denn sonderlich um Alexandria herum sehr gute Weine wachsen. In dem itzigen Herbste ist die Weinlese so reichlich gewesen, daß als neulich ein Bauer von drey deutschen Meilen her mit einem Fuder frischen Wein nach Turin kam, er solchen so wohlfeil weglassen mußte, daß nach Abzug des Accises, der Fütterung für die Ochsen und seiner eigenen Zehrung, er nicht mehr als acht Sols übrig nach Hause brachte. Insbesondere wächst auch auf den fruchtbaren montferratischen Gebirgen eine große Menge Wein.

Alle Gegenden in Piemont sind fruchtbar und häufig mit Alleen von Nuß-Kastanien- oder Maulbeerbäumen besetzt. Rand links: Fruchtbarkeit des Landes. Des Winters liebt das gemeine Volk große Kastanien oder Marons, welche in einen Ofen geschüttet, und wenn sie recht heiß sind, in rothem Weine gekühlet, nachmals aber wieder im Ofen getrocknet werden. Man nennt sie biscuits, und ißt sie kalt. Das schönste Land, welches der König bis itzt noch hat, ist die Gegend von Turin bis Coni, die wenige ihres gleichen hat. Rand links: Buxbaum-Wälder. Der Marquis von Coudray hat zwo Stunden von Geneve einen Buxbaumwald von zweyhundert Morgen, darinnen Stämme von solcher Dicke sind, daß ein Mann sie kaum umfassen kann. Vor einigen Jahren wurden etliche Morgen davon umgehauen, und aus dem Holze vier und zwanzigtausend Speciesthaler gelöset. Der Buxbaum wächst in Savoyen so häufig, daß man die Kehrbesen davon macht, wie man das Birkenholz in Deutschland dazu braucht, und in Piemont die Stengel vom türkischen Korne, welche ausgebreitet und gebunden werden. Rand links: Viehzucht. Die Viehzucht bringt gleichfalls[244] vieles Geld, nämlich bey drey Millionen, wie etliche nachrechnen, jährlich ins Land, und werden viele Ochsen in das Mayländische verkaufet. Gemeine Maulesel werden in Savoyen gezogen: was aber etwas sonderliches seyn soll, kömmt aus Neapolis, Sicilien, und sonderlich aus Auvergne, und zwar im hohen Preise, weil man für das Stück vierzig bis funfzig Pistolen zahlet.

Betreffend die itzt im Lande gänge Münzsorten, so gilt der Louis d'or oder eine spanische Pistole sechszehn Livres und fünf Sols. Rand rechts: Münzsorten. Nennt man aber schlechthin eine Pistole, so werden darunter funfzehn Livres verstanden.

Der Ducate gilt neun Livres.

Der Zecchino neun Livres dreyzehntehalb Sols.

Der silberne französische Dreykronenthaler gilt fünf Livres; die andern mit dem kleinen Wapen vier Livres.

Der mayländische Filippo vier Livres dreyzehn und ein Drittel Sols, und nach mayländischem Gelde sieben Livres, weil die Proportion der mayländischen und piemontesischen Livres ist, wie drey zu zweyen.

Ein Livre ist zwanzig Sols.

Ein Douson dreyzehntehalb Sols.

Eine Parabajole ein Zweydrittel Sols, also daß ihrer drey gerade fünf Sols ausmachen.

Hiebey hat man noch Fünssolsstücke, und doppelte Deniers, deren sechse einen Sol gelten.

Fußnoten

1 IVVENAL. Quis tumidum guttur in Alpibus miratur?


2 Vid. VOPISCVSin Aureliano.


3 TACITVSAnnal. II. Flav. VOPISCVSin vita Taciti Imperat.


4 ÆlinsLAMPRIDIVSin vita Heliogabali: Primus Romanorum holoserica veste usus fertur, cum jam subserica in usu essent.


5 PROCOP. de bello Goth. p. 345.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 245.
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