XI.
(1823.)

Das Jahr 1823 stellt sich als eines der productivsten und musikalisch bedeutsamsten in Schubert's Erdenwallen dar. Er brachte diese Zeit in Wien zu, rastlos schöpferischer Thätigkeit hingegeben, von welcher mehrere große Werke verschiedener Art beredtes Zeugniß geben.

Die im Lied schon früher bewährte Meisterschaft findet in neuen Gesängen herrlichen Ausdruck, und als ihre schönste Blüthe treibt nunmehr der Liederkranz: »Die schöne Müllerin« farbenprächtig, duftend herauf. Deßgleichen gehören unseres Tondichters reifste und gelungenste Arbeiten auf dem dramatisch-musikalischen Gebiet und zwar die Musik zu dem Drama »Rosamunde« von Helmina Chezy, die Oper »Fierrabras« und ohne Zweifel auch die Operette: »Der häusliche Krieg« (Die Verschwornen) eben dieser Zeit an.

Helmina Chezy1, eine damals vielgelesene Schriftstellerin, der jetzigen Generation aber fast nur noch als Verfasserin[281] des Textbuches zu Weber's »Euryanthe« im Gedächtnisse, stattete im Sommer 1823 der österreichischen Residenzstadt, wo sie einige Freunde ihrer novellistischen Muse zählte, den ersten Besuch ab. Die wunderliche Frau hatte eigentlich die Absicht gehabt, von Dresden, ihrem letzten Aufenthaltsort, sich wieder dem Norden zuzuwenden; da aber bei 'der Abreise der preußische Paß in der Handtasche nicht zu finden war, wohl aber der österreichische zum Vorschein kam, beauftragte Helmina, diesen Umstand für einen Ausspruch des Schicksals haltend, den Kutscher, über Prag nach Wien zu fahren. Ihr Aufenthalt daselbst währte nur einige Tage; sie begab sich mit ihren beiden Söhnen Wilhelm und Max zum Curgebrauch nach dem nahegelegenen Baden, wo sie in dem Hause eines Grafen O'Donnel Wohnung nahm.

In Baden schrieb Helmina das Drama: »Rosamunde«. Ein junger Freund, Namens Kupelwieser (Bruder des Malers Leopold K. und Verfasser des Textbuches von »Fierrabras«), bat sie nämlich um ein dramatisches Gedicht, welches Franz Schubert in Musik setzen sollte. Das Theaterstück war bestimmt, als Beneficevorstellung des Fräulein M. Neumann[282] (später verehelichte Lukas), einer hübschen Schauspielerin am Theater an der Wien, zu welcher Kupelwieser eine zärtliche Neigung hegte, gegeben zu werden. Die Heldin, welche sich Helmina auserkor, zählt nicht zu den geschichtlich bekannten Personen dieses Namens, sondern ist eine erfundene Prinzessin von Cypern und der Grundgedanke einem spanischen Drama entlehnt. Die Arbeit wurde in fünf2 Tagen zu Stande gebracht und sofort an Wilhelm Vogel3, damals Director des Theaters an der Wien, gesendet.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Geschmacksrichtung, welche in diesem Musentempel der Vorstadt vorwaltete, einem Unternehmen, wie ein solches von Frau Chezy mit Beihilfe Schubert's gewagt wurde, nicht eben günstig gewesen ist. Inhaber des Theaters war Graf Ferdinand Palffy, Leiter und unbedingter Beherrscher desselben der besagte Vogel, dessen Einfluß auf das Institut schon darum auf das Entschiedenste hervortrat, weil er das Theater mit Lustspielen und Dramen eigener Erzeugung zu versorgen wußte, die das naive, schaulustige Publicum in hohem Grad befriedigten4.[283] So war denn auch, ohne daß Chezy davon wußte, ebenfalls zum Benefice des Frln. Neumann bereits »Der böse Krollo« aus Vogel's Feder geflossen, ein Spektakelstück von jener drastischen Wirkung, für welche die Besucher der Vorstadttheater von jeher große Empfänglichkeit gezeigt haben. »Krollo« folgte später auf »Rosamunde« und trug alsbald über die Cyprische Prinzessin den Sieg davon. Helmina, welcher diese Zustände nicht unbekannt bleiben konnten, übergab mit einem gewissen Gefühl[284] von Bangigkeit5 ihre Dichtung dem Componisten; dieser goß in gewohnter Unbefangenheit den Strom schöner Melodien über das Textbuch aus, die auch von dem einsichtsvolleren Theil des Publicums gleich in der ersten Vorstellung gewürdigt und mit rauschendem Beifall aufgenommen wurden.

Die erste Aufführung des mit Chören, Orchestermusik und Tänzen ausgestatteten Schauspieles fand am 20. December 1823 statt6. Der Inhalt der Handlung ist folgender:

Einer väterlichen Grille wegen ward die Fürstin Rosamunde im Hirtenstande erzogen. Nach vollendetem achtzehnten Jahre soll ihre Aja allem Volke ihren Stand entdecken und sie die Regierung antreten. Am 3. Juni ist der Termin um.[285] Manches Wundersame kettet sich an diese Begebenheit, worunter auch die Ankunft des Prinzen von Candia, der von Kindheit an mit Rosamunden verlobt, nach Empfang eines geheimnißvollen Briefes nach Cypern eilt, aber an er Küste Schiffbruch leidet und sich ganz allein rettet. Fulgentius, der Statthalter von Cypern, hat unterdessen 16 Jahre lang auf Cypern regiert, und er ist des Herrschens so wenig müde, daß er die Nachricht von dem Dasein der todtgeglaubten Rosamunde gar unliebsam vernimmt. Diese hat bereits den verkleideten Prinzen von Candia gesehen, und beide erkennen sich durch einen geheimsympathetischen Zug der Romantik als das für einander bestimmte Paar. Der Prinz, der sich nicht zu erkennen geben will, um die Treue seiner Geliebten zu prüfen, und vielleicht auch, weil alle seine Reisegefährten ertrunken sind und er auf keine Unterstützung rechnen kann – tritt in die Dienste des Fulgentius und gewinnt sein Vertrauen, da er seine Tochter aus Räuberhänden befreit. So weit ginge nun alles nach Wunsch; aber – Fulgentius selbst verliebt sich rasend in Rosamunde und da sie diese Glut nicht erwidern kann, verfolgt er sie mit eben so grimmigem Haß, beschuldigt sie, den Ueberfall seiner Tochter veranlaßt zu haben und läßt sie in's Gefängniß werfen. Damit noch nicht zufrieden, tüncht er einen Brief mit dem stärksten auf der Stelle tödtenden Gift und befiehlt dem verkleideten Prinzen, den er in das Geheimniß dieses Mordes einweiht, den Brief Rosamunden zu übergeben. Diese hat inzwischen Mittel gefunden zu entkommen, sie kehrt in die Hütte ihrer alten Pflegerin zurück. Dort findet sie der Prinz von Candia und theilt ihr des Fulgentius Mordanschlag mit. Zu allem Unglück wird das liebende Pärchen von Fulgentius überrascht und würde[286] übel wegkommen, wenn nicht der Prinz den Tyrannen überredete, Rosamunde sei bei dem ersten Anblick des vergifteten Briefes in Wahnsinn verfallen, eine Nothlüge, welche die verständige Geliebte durch ihre Gesten unterstützt. Der leichtgläubige Fulgentius überläßt nun noch seinem Vertrauten die Sorge um Rosamunden und abermals scheint sich Alles zum Guten zu wenden. Nun kommt aber ein Brief vom Bürgermeister Albanus (dies ist, beiläufig gesagt, der Mann, welcher den geheimnißvollen Brief an den Prinzen von Candia geschrieben und alljährlich am 2. Juni im Hause der Aja den Geburtstag der Prinzessin ausgerufen), der mit Fulgentius' Regiment gleichfalls unzufrieden ist. Unglücklicher Weise überrascht dieser den Prinzen abermals bei Lesung dieses Briefes; nun hat die Leichtgläubigkeit ein Ende; es ist um das Leben des falschen Vertrauten geschehen, er soll den Brief ausliefern und – sterben; der Prinz aber will leben und heiraten, gibt daher mit rascher Besonnenheit statt Albanus' Schreiben den Giftbrief an Fulgentius; dieser steckt die Nase hinein und – stirbt.

Der musikalische Theil besteht aus Gesangs- und Instrumentalstücken. Zu den ersteren zählt eine Romanze (in F-Moll 6/8 für Alt), ein einfach schönes Strofenlied von echt Schubert'schem Gepräge, und drei Chöre: Ein Jäger-, ein Hirten- und ein Geisterchor, von welchen der erste (D-Dur 6/8 für gemischte Stimmen) frisch und melodiös gehalten ist, ohne bedeutend zu sein; der zweitgenannte (vierstimmig B-Dur 2/4) durch Lieblichkeit und namentlich den reizenden Mittelsatz einen wohlthuenden Eindruck macht, wogegen der Geistergesang (für vier Männerstimmen D-Dur 4/4)[287] sich als ein ernstes tiefsinniges Musikstück darstellt7. Die Instrumentalsätze sind nach der Aussage competenter Beurtheiler, welche den damaligen Aufführungen beigewohnt haben, zum großen Theil schön und bedeutend, so daß eine Wiederbelebung des musikalischen Theiles von »Rosamunde« – falls sich dieser noch complet vorfindet, im Concertsaal angezeigt erschiene.

Als Ouverture wurde die von Schubert zu »Alfonso und Estrella« componirte aufgeführt, die derart gefiel, daß sie (wie Herr Josef Hüttenbrenner behauptet) zwei Mal wiederholt werden mußte. Auch die »Romanze«, von Frau Vogel gesungen, und einer der Chöre (wohl der Jägerchor?) fanden lebhaften Beifall, wie denn überhaupt Schubert diesmal sich eines freundlicheren Entgegenkommens erfreute, als dies bei seinen früheren dramatisch-musikalischen Versuchen der Fall war. Es bestand nämlich damals schon eine geschlossene Phalanx von Schubertianern, die es als Ehrensache ansahen, für den genialen Tondichter in die Schranken zu treten.

Daß die künstlerische Freiheit und Eigenthümlichkeit in Schubert's Musik, die in der Jetztzeit so anregend wirkt, damals als »Bizarrerie« ausgelegt und getadelt wurde, darf nach den Erfahrungen, welche in dieser Beziehung zu[288] allen Zeiten gemacht worden sind, nicht Wunder nehmen8. Aehnliches begab sich ja auch in unseren Tagen.

Uebrigens erlebte das Schauspiel, da es ungeachtet der hübschen Musik langweilig befunden wurde, nur ein Paar Vorstellungen, um dem lebensfähigeren »bösen Krollo« Platz zu machen9, der durch glänzende Ausstattung und das drastische Spiel der Darstellenden die von Director Vogel gewünschte Anziehungskraft in der That auf das Publikum ausübte10.[289]

Ueber die Aufführung der »Rosamunde« ließ die Verfasserin des Textes am 13. Jänner 1824 in die »Wiener Zeitschrift« folgende überschwängliche Erklärung einrücken:

»Das Orchester that Wunder; es hatte Schubert's herrliche Musik nur zwei Mal und in einer einzigen Probe durchspielen können, und führte die Ouverture und die meisten übrigen Nummern mit Präcision und Liebe aus. Ein majestätischer Strom als süß verklärender Spiegel der Dichtung durch ihre Verschlingungen dahin wallend, großartig, rein melodiös, innig und unnennbar rührend und tief, riß die[290] Gewalt der Töne alle Gemüther hin. Ja selbst, wenn sich Mitglieder des Publikums, das seit diesem Herbst an der Wien auf Wölfe und Leoparden Jagd macht, in die ›Rosamunde‹ hinein verirrt hätten, und selbst, wenn ein antimelodischer Parteigeist sich in die Masse der Zuhörer geschlichen, dieser Strom des Wohllautes hätte alles besiegt.


Wien, 4. Jänner 1824.

H. Chezy.«


Die zweite große Oper, und wenn man die unvollendet gebliebenen: »Die Bürgschaft« und »Sakontala« einbezieht, die vierte, ist »Fierrabras«, heroisch-romantische Oper in drei Aufzügen. Auch diese war bestimmt, im Theater aufgeführt zu werden. Das Textbuch wurde im Jahre 1822 über Auftrag der damaligen Hoftheater-Administration (Barbaja) von Josef Kupelwieser (derzeit Secretär im Josefstädter Theater, der mir das Factum mittheilte) verfaßt11, und demselben ein angemessenes Honorar zugesichert. Da jedoch in dem zweiten darauffolgenden Jahre die Administration aufgelöst wurde12, war weder von einer Aufführung der[291] Oper noch von einer Honorirung des Textbuches mehr die Rede. Die Musik componirte Schubert in Wien, wie es scheint zum großen Theil im väterlichen Hause in der Rossau.

Von der Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der er arbeitete, gibt die Partitur dieser Oper abermals ein glänzendes Zeugniß. Kaum hatte er das Textbuch in Händen, so ergossen sich auch seine Melodien unaufhaltsam stromartig über dasselbe, und wenn die auf der Partitur-Abschrift befindliche Zeitangabe richtig ist, so hat er den ersten, über 300 Seiten ausfüllenden Act in sieben Tagen componirt.

Die ganze Oper (an 1000 Seiten der geschriebenen Partitur ausfüllend) vollendete er in dem Zeitraume vom 23. Mai bis 26. September, also innerhalb vier Monaten. Dabei fand er noch Luft und Muße, eine Operette, Lieder und Clavierstücke zu componiren.

Die Handlung der Oper (die gleich jener von »Fernando« »die Freunde von Salamanka«, »Claudine von Villabella« und »Alfonso und Estrella« auf spanischem Boden spielt) ist folgende:

König Carl hat in blutiger Schlacht den Maurenfürsten besiegt und dessen Sohn Fierrabras gefangen genommen. Letzterer war vier Jahre früher mit seiner Schwester Florinde in Rom gewesen, sah daselbst Emma, die Tochter König Carl's, ohne jedoch zu wissen, wer sie sei, und erglüht seit jener Zeit für sie in Liebe. Florinde aber erblickte Roland, einen Ritter aus Emma's Gefolge, und – glücklicher als Fierrabras – fand sie ihre Neigung zu ihm erwidert. Beide Theile verließen dann die heilige Stadt, um in ihre Heimat zurückzukehren, Fierrabras mit dem Vorsatze, den Glauben seiner Väter abzuschwören.[292]

Die gefangenen Mauren werden dem Könige vorgeführt; Fierrabras erblickt unter den Anwesenden Emma, von welcher er nun durch Eginhardt, einen Ritter an Carl's Hof, erfährt, daß sie die Tochter von seines Vaters Besieger sei. Ritter Eginhardt, von seinem Herrn auserwählt, mit der Gesandtschaft zu ziehen, welche dem Maurenfürsten die Friedensbedingungen zu übergeben hat, erscheint in dem Garten des hellerleuchteten Schlosses mit einer Laute, um in der Stille der Nacht Emma, seiner Geliebten, den Scheidegruß zu bringen. Diese tritt während des Gesanges auf den Balkon, verschwindet aber bald wieder; das Thor des Schlosses öffnet sich und Eginhardt wird eingelassen. Gleich darauf kommt Fierrabras, der, stutzig gemacht durch eine im Innern des Hauses vor sich gehende Bewegung und den Ruf von Leuten, die Jemanden zu suchen scheinen, bei Seite tritt, um das Ende abzuwarten. Plötzlich öffnet sich die Pforte; Emma geleitet Eginhardt heraus und bedeckt den Fliehenden mit ihrem Schleier. Da tritt ihnen Fierrabras entgegen, bereit, die verletzte Ehre des Hauses mit seinem Schwerte zu rächen. Auf Emma's Flehen aber läßt er Eginhardt seine Flucht ungestört fortsetzen und bietet mit edler Resignation der (von ihm geliebten) Königstochter den Arm, um sie in das Schloß zurückzuführen. König Carl tritt aber eben mit seinem Gefolge zur Pforte heraus, und als er seine Tochter am Arme des Mauren erblickt, erfaßt ihn Grimm über das verletzte Gastrecht, und er befiehlt seinem Getreuen Eginhardt (um dessen Liebe zu Emma er nichts weiß) den Fierrabras in den Kerker zu werfen. Dieser opfert sich für seinen Rivalen und wird in Fesseln abgeführt. Mittlerweile sammeln sich die zu dem Gesandtschaftszug bestimmten Ritter, um mit Fahnen, Palmen und anderen Friedens-Symbolen[293] nach dem Hoflager des Maurenfürsten zu ziehen. Damit schließt der erste Act.

Der Anfang des zweiten Actes führt uns die Ritter, die eben die Grenze des Heimatlandes überschritten haben, wieder vor. Eginhardt und Roland senden dem Vaterland in einem herzlichen Gesange, der dann von dem Chor der Ritter aufgenommen wird, ihre Abschiedsgrüße zu.

Eginhardt, der den Genossen träumerisch nachgefolgt war und den es mächtig nach der Heimat zurückzieht, wird von den Rittern auf seinen Wunsch zurückgelassen und ihm bedeutet, in dem Falle, als ihm Gefahr drohen sollte, in das Horn zu stoßen, damit die Freunde ihm zu Hilfe eilen könnten. Kaum sind diese fortgezogen, so erscheinen Mauren, die Eginhardt gefangen nehmen und mit sich fortschleppen. Die auf das Hornsignal herbeieilenden Ritter zerstreuen sich nach allen Seiten hin, um ihn aufzusuchen. Eginhardt wird in das Hoflager des Maurenfürsten gebracht, der ihn um das Schicksal seines Sohnes befragt, und als er vernimmt, daß dieser im Kerker schmachte, der ganzen Frankenbrut den Untergang schwört. – Florinde erfährt, daß Roland mit unter den Abgesandten sich befinde. Die Ritter langen an, Roland verkündiget dem Fürsten, daß sein Heer geschlagen und Fierrabras den Christenglauben angenommen habe. Der Maurenfürst flucht seinem Sohne und befiehlt, die Abgesandten in den Thurm zu sperren, um sie der Rache seiner Krieger preiszugeben. Florinde beschließt, Roland und seine Freunde zu retten. Sie eilt, in der einen Hand das Schwert, in der andern eine Leuchte haltend, in das finstere Gemach, in welchem sich die Ritter befinden, um diese von dem drohenden Ueberfall der Mauren zu benachrichtigen. Bald ertönt[294] das Wirbeln der Trommeln, der Ruf der Trompete und das Feldgeschrei der Feinde. Die Ritter wehren sich mit in der Eile zusammengerafften Waffen. Roland und Eginhardt unternehmen es, sich durch die Feinde zu den Ihrigen durchzuschlagen, um dann mit deren Hilfe den Thurm zu entsetzen. Eginhardt gelingt es, auf dem Rosse eines gefallenen Mauren der Grenze zuzujagen; Roland wird gefangen.

Der dritte Act beginnt wieder in König Carl's Schloß. Emma ist mit den Jungfrauen beschäftigt, den Heimkehrenden Kränze zu winden. König Carl tritt zu ihnen, und seine Tochter, gemartert von Gewissensbissen über das Schicksal ihres Retters Fierrabras, bekennt dem Vater ihre Liebe zu Eginhardt und den von diesem begangenen Verrath. Fierrabras wird sogleich in Freiheit gesetzt. Eginhardt stürzt herein, erzählt, was im Maurenlager vorgegangen und fleht um Hilfe. Carl befiehlt, daß alle Waffenfähigen zum Zug gegen den Feind sich rüsten sollen und bedeutet Eginhardt, die Freunde zu retten, wenn er sein verwirktes Leben wieder erringen wolle.

Die Ritter halten sich noch unbesiegt im Thurm, auf nahe Hilfe hoffend. Da errichten die Mauren einen Holzstoß, um Roland zu verbrennen. Florinde, als sie die Schreckensscene von der Zinne aus sieht, steckt ihren Schleier an eine Lanze und gibt den Mauren das Zeichen, daß sie das Bollwerk übergeben wolle.

Die Pforte öffnet sich; Florinde und die Ritter treten heraus. Die Tochter des Maurenfürsten stürzt ihrem Vater zu Füßen und bekennt ihm ihre Liebe zu Roland. Er aber befiehlt, sie und die Ritter dem Tode zu weihen.[295]

Da stürzt Brutamonte mit der Botschaft herbei, daß das Frankenheer in vollem Anmarsch sei. Die Mauren dringen mit gezückten Säbeln auf die Ritter ein; schon aber stürmen Eginhardt und Fierrabras voran; Roland entreißt Florinde ihrem Vater, der sie in den Thurm zurückführen will und ist eben im Begriff, den Maurenfürsten zu durchbohren, als Fierrabras den schon gehobenen Arm aufhält, ihm zurufend, daß er seines Vaters schonen möge. König Carl und Emma erscheinen: der überwundene Maurenfürst wird aufgefordert, den Zwist zu enden; Eginhardt sinkt dem Könige zu Füßen. Dieser verzeiht und führt ihm Emma als seine Braut zu; der Maurenfürst aber, durch die Fürsprache des Sohnes erweicht, legt Florinden's Hand in jene Roland's; Fierrabras erbittet sich von König Carl, von nun an seinen siegreichen Fahnen folgen zu dürfen; mit allgemeinem Jubelchor schließt die Oper.

Der musikalische Theil enthält nebst der Ouverture13 23 Musikstücke. Erstere ist ein interessantes, echt Schubert'sches Orchesterstück von ernstem Charakter, beginnend mit einer Introduction (in F, Andante 3/4), an welche sich das Thema anschließt (F-moll, Allegro ma non troppo 4/4), das, immer wieder auftauchend, einem rothen Faden gleich die Ouverture durchzieht.

Die Oper beginnt mit einem Chor der in dem königlichen Schloß in Emma's Gemach mit Spinnen beschäftigten Hoffräuleins (Andantino C-Dur 6/8). Eine Solostimme führt den Gesang weiter, worauf der Chor die erste Strofe wieder[296] aufnimmt. Nach kurzem gesprochenem Dialog singt Emma dieselbe Melodie (in G-Moll), der Chor schließt sodann mit dem Eingangslied (in C-Moll) das Musikstück ab14, welches, melodiös und liederartig gehalten, der Situation wohl entspricht.

Auf diesen ersten Chor folgt abermals ein Chor, der die Sieger bekränzenden Jungfrauen, sodann ein in knapper Form gehaltenes, nicht eben bedeutendes Liebesduett zwischen Emma und Eginhardt (Andantino As-Dur 3/4).

Die Scene verwandelt sich in den Prunksaal des königlichen Schlosses. Es ertönt ein Marsch (Allegro mod. [297] D-Dur 4/4) und nach diesem der kräftige Chor der Ritter15, zu welchem der Gesang der Weiber und Jungfrauen (als Mittelsatz) ein gar liebliches Gegenspiel bildet16. Beide Chöre vereinigen sich schließlich zum allgemeinen Chor, worauf noch einmal der Marsch erklingt.

Folgen nun Recitative des von Würde und Salbung triefenden König Carl, Wechselchöre, diese von hoher Schönheit, und ein allgemeiner Chor, sodann Recitative des Fierrabras und Roland und ein reizender Chor der Jungfrauen mit Sopran-Solo17. (Andantino A-Dur 6/8). Es entwickelt sich hierauf ein Ensemble, an welchem der König,[298] Roland, Ogier, Fierrabras, Eginhardt, Emma und die Ritter theilnehmen.

Der Eingangsmarsch und Chor läßt sich abermals vernehmen; diesem folgt ein Duett Roland's mit Fierrabras (Allegro moestoso con sforza A-Dur 4/4), melodiös, aber nicht bedeutend, und das Finale. Dasselbe beginnt mit Eginhardt's Abschiedsständchen vor der Schloßterrasse, einem in dem üblichen Romanzenton gehaltenen Gesangsstück (Andante A-Moll 4/4). Unheilverkündende Accorde begleiten das Auftreten des Fierrabras, der in einem Recitativ und einer durch schöne Begleitung sich auszeichnenden Arie sein Mißgeschick beklagt.

Da regt sich's in dem Flügel des königlichen Schlosses; der Ruf: »Wo ist sie?« »Verfolget die Spuren« u.s.f. schlägt an sein Ohr, und es beginnt von da an eine Reihe dramatisch bewegter Scenen, gehoben durch den Glanz durchaus schöner, ausdrucksvoller Musik. Auch das darauf folgende Terzett und ein von diesem durch Recitative und eine Arie Emma's geschiedenes Quartett sind Musikstücke von hohem musikalischem Werth. Der Hornruf ertönt; er ist für die Ritter das Zeichen zum Aufbruch. Der Wechselgesang der Ritter und Reisige (Allegro vivave C-Dur 4/4), aus welchem sich ein Soloquartett18 (Emma, König, Eginhardt[299] und Fierrabras), trefflich gearbeitet, heraushebt, schließt effectvoll den ersten Act.

Der zweite Act beginnt mit einem liedartigen Wechselgesang Roland's und Eginhardt's (Andantino C-Dur 4/4), die dem Vaterland den Scheideblick zuwerfen. Der Chor der Ritter wiederholt die melodische Weise. Diese ziehen ab; aus der Ferne ertönt der Marsch der herannahenden Mauren (Allegro vivace F-Dur), ein charakteristisches Tonstück. Eginhardt stoßt in's Horn und sein Ruf wird von den Freunden erwiedert. Der kräftige wilde Gesang der Mauren19, die in dem Hornsignal Verrath wittern, droht dem Verräther mit dem Tod. Nachdem sie Eginhardt mit sich genommen, ertönt abermals Hörnerschall, die Ritter kehren zurück, um den Zurückgebliebenen aufzusuchen; der nun folgende Chor (Allegro[300] molto vivace F-Dur 6/8) bildet ein bewegtes, interessant gearbeitetes Musikstück. Noch schöner und bedeutender aber ist das darauf folgende Duett zwischen Florinde und Maragond mit obligater Cellobegleitung20 (Andante con moto As-Dur).

An dieses reiht sich ein Terzett (der Admiral, Florinde und Eginhardt Andante con moto Es-Dur 4/4), sodann der Chor der in das Maurenlager einziehenden, den Frieden preisenden Ritter (Allegro mod. E-Dur 4/4), ein Terzett zwischen Florinde, Roland und dem Admiral, an welchem die Ritter und Mauren abwechselnd im Chor theilnehmen, eine leidenschaftlich gehaltene Arie Florindens (Allegro furioso), welche die verrätherisch gefangen gehaltenen Ritter zu befreien beschließt, und das Finale. Die im Innern des Thurmes versammelten Ritter geben ihren schmerzlichen Gefühlen in einem einfach-schönen Vocalchor Ausdruck. Auf diesen folgen Recitative, ein Duett Roland's und Florindens mit Begleitung des Chors und nun abermals ein schöner, religiös gehaltener Gesang der Ritter. Von da an beginnt Orchestermusik und Melodram (in tempo d'Allegro). Von allen Seiten ertönen Schlachtsignale; außerhalb des Thurmes entbrennt der Kampf; Roland und Eginhardt schlagen sich mit dem Ruf: »Für Treue, Lieb' und Vaterland« durch die Feinde. Ihnen antwortet der Chor der Ritter. Hierauf folgt Melodram mit Schlachtgetümmel und der Schlußgesang der Ritter:
[301]

Muth und Besinnung schwinden,

Ein düstres Todesgrau'n

Läßt mich nur Qualen finden,

Zerstört ist mein Vertrau'n.


Der dritte Act beginnt – gleich dem ersten – mit einem Chor der im königlichen Schloß versammelten, Kränze windenden Jungfrauen, aus welchem ebenfalls wieder die Solostimme Emma's sich heraushebt.

Auf diesen folgt ein Duett des Königs und seiner Tochter, Recitative und ein zärtliches Terzett (Emma, Eginhardt, Fierrabras), in welchem Eginhardt sich von der Geliebten verabschiedet (Allegro mod. C-Dur 3/4).

Die Scene verwandelt sich in das Innere des Thurmes, der von den Mauren belagert wird. Die Ritter sind um Florinden beschäftigt. Die nun folgende Arie der Letztgenannten mit Begleitung des Chores (Andante con Motto F-Moll 2/4), ein einfach schöner Klagegesang, ist eines der gelungensten Musikstücke der Oper21. – Es ertönt aus der Nähe ein Trauermarsch, an diesen reiht sich noch weiters Orchestermusik an und folgt sodann eine lebhaft[302] bewegte dramatische Scene (Florinde und die Ritter), in welcher Florinde das Oeffnen der Thurmthore befiehlt und die Ritter mit dem Freunde zu sterben verlangen. Ihnen antwortet der wilde energische Chor der Mauren22, Ensemble (tempo di marcia D-Moll 4/4), von den Schlägen des großen Beckens begleitet. Florinde stürzt in die Arme ihres Vaters; folgen nun Recitative und ein Ensemble (Admiral, Florinde, Chor der Ritter und Mauren), endlich das Finale (Allegro mod. B-Dur 4/4). Kriegerische Signale ertönen; diesen reihen sich an Recitative, ein kurzer Chor der Ritter, abermals Recitativstellen von Chorstellen unterbrochen, und der Schlußgesang mit Soloquartett (Allegro vivace 2/4):


Vereint durch Bruderbande

Gedeiht nur Menschenglück,

Es weilt im Vaterlande

So gern' der Söhne Blick.


Das Textbuch dieser Oper gehört jener Gattung der »heroisch-romantischen« an, in welchen Tapferkeit und Edelmuth[303] um die Palme ringen. Alle darin Auftretenden sind mehr oder weniger Helden, mit Ausnahme des ganz passiven Fierrabras, der doch der Oper seinen Namen leiht, in der That aber darin eine klägliche Rolle spielt. Seine Opferfreudigkeit ist eine grenzenlose; – dankt er doch dem Könige, als ihn dieser (anstatt des Eginhardt) einsperren läßt. Uebrigens fehlt es dem Stück nicht an Prunk, kriegerischen Aufzügen, Waffenlärm und Waffenthaten, welchen gegenüber Emma und der Frauenchor das sanfte lyrische Element vertreten. Die liedartige Weise tritt auch in dieser Oper da und dort hervor; immerhin aber ist dem Componisten Gelegenheit zu dramatisch-musikalischer Entfaltung geboten, welche sich Schubert nicht entgehen ließ. Die Männerchöre sind von kräftiger Färbung und namentlich jene der Mauren von nationalem Charakter. Der Gesang wechselt mit gesprochenem Dialog, und diesem ist – sowie auch dem Melodram und Recitativen – eine nicht unbedeutende Stelle eingeräumt.

Zur Aufführung im Theater ist die Oper nicht gelangt; einige Jahre nach Franzens Tod führte sein Bruder Ferdinand Bruchstücke daraus in seinen Concerten auf; im Jahre 1858 wurden in einem Concert des Wiener Männergesang-Vereines die Ouverture, die erste Scene des zweiten Actes (für Tenor, Baß und Männerchor) und die Scene im Thurm (für Sopran und Chor) aus dem dritten Act, und im Jahre 1862 der Vocalchor: »O theures Vaterland« aus dem zweiten Act in gelungener Weise und mit Beifall aufgeführt.

Der Oper »Alfonso und Estrella« gegenüber befände sich »Fierrabras« – wenn je eine Darstellung desselben auf der Bühne beabsichtigt werden sollte – insoferne im Nachtheil, als der gesprochene Dialog darin eine breite unerquickliche Rolle[304] spielt, während die erstgenannte Oper an Stelle desselben Recitative enthält. Hier müßte vor Allem durch Kürzung und Verbesserung der Textworte oder Einschaltung neu dazu componirter Recitative gründliche Abhülfe getroffen werden. Dann aber möchte man geneigt sein, dieser Oper der zweckmäßigeren Gruppirung der Musikstücke und der lebendigeren dramatisch wirksameren Handlung wegen mit mehr Zuversicht einen Bühnenerfolg vorherzusagen, als dem lyrisch-einförmigen Drama »Alfonso«.

Noch ist eines zwar klein geformten, aber zierlichen und lustig glitzernden Juweles zu gedenken, welches in Gestalt einer Operette vor einigen Jahren in dem Schubert'schen »Schatzkästchen« aufgefunden und aus diesem herausgehoben wurde.

In dem achten Jahrgang der von J.F. Castelli veröffentlichten »dramatischen Sträuschen«23 findet sich unter anderen zumeist dem Französischen entlehnten Stücken auch die einactige Oper »Die Verschwornen« enthalten. Der Verfasser schrieb zu derselben nachstehendes Vorwort:

»Die Klage der deutschen Tonsetzer geht meistens dahin: ›Ja; wir möchten gerne Opern in Musik setzen, schafft uns nur Texte dazu!‹ Hier ist einer, meine Herren! – Wollen Sie ihn mit Tönen begleiten, so bitte ich meine Worte auch etwas gelten zu lassen und der Verständlichkeit der Intrigue nicht zu schaden, indem Sie Rouladen der musikalischen Charakteristik vorziehen. Ich glaube, die Oper müsse eine dramatische Handlung mit Musik begleitet – nicht eine Musik mit darunter gelegtem Texte sein, und der Totaleindruck gilt meinem[305] Erachten nach mehr, als einem einzelnen Sänger Gelegenheit geben, seine Gurgelfertigkeit zu zeigen. – Laßt uns etwas für die eigentliche deutsche Oper thun, meine Herren!«

Dieses Vorwort, welches in dem Jahrgang 1823 der »Sträuschen« zu lesen ist, während das Singspiel nach der auf einer Abschrift der Originalpartitur befindlichen Angabe bereits im Jahre 1819 componirt sein soll, legte die Vermuthung nahe, es habe der Verfasser des Textes gar nicht darum gewußt, daß seine Verse bereits in musikalisches Gewand gekleidet seien, und zwar von keinem Geringeren als von Franz Schubert. Castelli erinnerte sich noch im Greisenalter, einstens vernommen zu haben, daß der ihm persönlich bekannte Schubert die Composition seiner Operette in Angriff genommen habe24. Da aber diese niemals zur Aufführung gelangt und ihm überdieß zugeraunt worden sei, der Componist habe den Humor des Dichters gar nicht aufgefaßt, sondern ein sentimental-düsteres Tongemälde geschaffen, so sei ihm auch jedes weitere Interesse daran entschwunden. Ueber den Zeitpunkt der Entstehung des Singspieles konnte er nach so langer Zeit in keiner Weise mehr Aufschluß geben25.

Auffallend bleibt es, daß Ferdinand Schubert (der doch die Jahreszahl 1819 auf die von ihm verfaßte Copie gesetzt[306] zu haben scheint) in seinen Aufzeichnungen allenthalben das Jahr 1823 als Entstehungszeit der Operette hinstellt. Für diese spätere Periode, mit welcher so recht die Blüthezeit der Schaffenskraft unseres Tondichters beginnt, spricht aber auch der musikalische Gehalt des Singspieles26.

Ein charakteristischer Zug Schubert's ist es, daß er gegen den Verfasser des Textes auch nicht mit Einer Silbe seiner Composition Erwähnung that, welche Zurückhaltung der alte Castelli damit vergelten zu wollen schien, daß er nach der ersten Aufführung des musikalischen Theiles der Operette im Concertsaal die unbegreifliche Behauptung wagte: Es könne[307] nicht die ganze Musik von Schubert herrühren! Bezüglich der Auffassung des Textes aber fühlte er sich von seinem Vorurtheil gründlich geheilt.

Der ursprüngliche Titel: »Die Verschwornen« wurde von der in den Zwanziger Jahren waltenden Censursbehörde beanständet und sofort in den minder Gefahrdrohenden: »Der häusliche Krieg« umgewandelt.

Die Operette besteht aus eilf Musikstücken verschiedener Art, welche durch gesprochenen Dialog voneinander geschieden sind. Die Handlung des Stückes – im Grunde nichts anderes als eine Uebersetzung der »Lisistrate« von Aristofanes in das Wienerisch-Mittelalterliche faßt sich in Folgendem zusammen:

Graf Heribert von Lüdenstein, Bannerherr, Astolf von Reisenberg, Garold von Nummen, Friedrich von Trausdorf, Lehensmänner des Heribert, und mit ihnen viele Ritter sind in den heiligen Krieg gegen die Saracenen gezogen. Ihre Frauen: Ludmilla, Helena, Luitgarde, Kamilla und jene der übrigen Ritter trauern um die Männer und sehnen sich nach ihrer endlichen Rückkehr. Ludmilla, aufgebracht darüber, daß ihr Mann, das Gebot der Ehre der Pflicht der Liebe voranstellend, sie auf so lange Zeit verlassen konnte, entbietet die Frauen aller jener Ritter, die ebenfalls in den Krieg gezogen sind, auf ihr Schloß, um sie dahin zu bestimmen, daß sie den Männern bei ihrer Rückkehr in die Heimat mit Gleichgiltigkeit und Kälte entgegentreten möchten. Der Page des Grafen, Udolin, der den zurückkehrenden Rittern vorausgeeilt war, er fährt durch Isella, Zofe der Gräfin und seine Geliebte, diesen Verschwörungsplan und wohnt in Frauenkleidern der entscheidenden Frauensitzung bei. Ludmilla's Vorschlag wird einstimmig angenommen. Die Ritter langen[308] im Schlosse an. Udolin verräth seinem Herrn das Vorhaben der Frauen. Schnell ist von den Rittern der Entschluß gefaßt, die List mit gleichen Waffen zu bekämpfen und den gleichgiltig scheinenden Frauen mit noch größerer Kälte zu begegnen. In dem Saale des Schlosses treffen die Ritter mit ihren Frauen zusammen; die Verstellung wird von beiden Theilen auf's beste durchgeführt, nur daß die Ritter, ohne ihre Frauen auch nur begrüßt zu haben, alsbald in den Prunksaal ziehen, um dort ihr Trinkgelage abzuhalten. Die Gräfin ist bestürzt über das Benehmen ihres Gatten, die übrigen Frauen fangen bereits an, ihr über die angezettelte Verschwörung Vorwürfe zu machen. Da kommt Isella und berichtet der Gräfin, ihr Gemahl habe bei der Tafel den Humpen erhoben, den Krieg und Kriegsruhm leben lassen und beigefügt: »Nur kurze Zeit wollen wir hier ausruhen, dann geht es wieder hin auf's Feld der Ehre zu neuen Lorbeern. Bis dahin laßt uns keine Gemeinschaft mit unsern Ehefrauen pflegen.« – Die Bestürzung Ludmilla's und der übrigen Frauen erreicht ihren Höhepunkt. Der Zustand fängt an, unerträglich zu werden; schon begehrt die Gräfin eine geheime Unterredung mit dem Grafen; die übrigen Frauen bestehen ebenfalls auf der Zusammenkunft mit ihren Männern. Helene kommt, die Erste, mit Astolf zusammen; die Gräfin ahnt, daß ihre Sache verrathen sei, sie tritt ihrem Gemahl liebevoll entgegen, und dieser, kaum mehr im Stande, seinen Gefühlen Einhalt zu thun, rettet sich nur noch durch die Lüge, daß ein fürchterlicher Schwur ihn und seine Waffengefährten binde, wieder in's Feld zurückzukehren. Er sagt der Gräfin ein letztes Lebewohl und entfernt sich. Udolin und Isella treten ein. Ersterer vertraut der Gräfin,[309] die Ritter, einstmals von Sarazenen umringt und ohne Hoffnung zu entkommen, hätten das Gelübde abgelegt, für den Fall ihrer Rettung noch einen Feldzug zu unternehmen und ihren Ehefrauen nicht den kleinsten Beweis von Zuneigung zu geben, außer wenn diese aus Liebe zu ihnen die Rüstung anzögen und mit ihnen für den Glauben fechten würden. Die Gräfin erklärt, daß sie dies nie thun werde. Isella nimmt eine Rüstung von der Wand und bekleidet sie damit, doch nur aus Scherz, wie sie vorgibt. Der Graf erscheint; gerührt von dem Anblick seiner Frau, ruft er die Ritter herbei; die Gräfin will die Waffen wieder ablegen, da erscheinen aber auch die übrigen Frauen in Waffenschmuck und zwingen ihre Anführerin, ebenfalls so zu bleiben. Die Männer geben sich nun besiegt, der Graf erklärt die Geschichte von dem Gelübde als erfunden; Isella und Udolin reichen sich die Hand zum Bunde.

Die von Schubert componirte Musik enthält: ein Duett zwischen Isella (Sopran) und Udolin (Tenor)27 (Allegro A-Dur 4/4); eine Romanze der Helene (Moderato F-Moll 6/8), einen Chor der Rittersfrauen (Allegro mod. C-Dur 4/4), aus mehreren in Tonart und Rhythmus verschiedenen Theilen bestehend; den Verschwörungschor der Frauen (Allegro D-Moll 4/4) mit einem Schlußsatz (Andantino D-Dur 6/8), einen Marsch und Chor der Ritter (Allegro mod. H-Moll 4/4), einen Chor der Ritter (Allegro mod. Es-Dur 4/4), einen Chor der Ritter und Frauen (Andantino C-Dur 3/4) und ein Duett zwischen[310] dem Grafen und der Gräfin (F-Dur 4/4), ein Duett zwischen Astolf und Helene (Andantino B-Dur 3/8) mit dem Schlußsatz (Allegro vivace 2/4), eine Ariette des Grafen (Allegro mod. A-Dur 2/4), eine Ariette der Gräfin (Allegro mod. C-Dur 2/4) und das Finale (Allegro giusto D-Dur 4/4), dieses mehrere durch Tonart und Rhythmus geschiedene Theile enthaltend, von welchen sich der Marsch und Chor der Frauen (G-Dur 4/4), das Solo der Gräfin mit Begleitung des Männer- und Frauenchores (Andante C-Dur 4/4) und der Schlußchor (Allegro mod. C-Dur 6/8) herausheben.

Dieses reizende Singspiel gewährt schon darum ein erhöhtes Interesse, weil mit demselben in neuester Zeit der Reigen in der Vorführung von Schubert's dramatisch-musikalischen Leistungen eröffnet und der erste Impuls zu weiteren Versuchen nach dieser Richtung hin gegeben wurde.

Nachdem die Operette über vierzig Jahre in Gesellschaft anderer Kleinodien ungekannt und unbenützt geruht hatte, wurde der musikalische Theil derselben am 1. März 1861 in Wien zum ersten Mal in einem Musikvereinsconcert einer zahlreichen, mit gespannter Aufmerksamkeit lauschenden Zuhörerschaft mit glänzendem Erfolge vorgeführt28. Die Frische und Anmuth der Melodien, verbunden mit trefflicher Charakterisierung[311] der Personen des Stückes, wirkte in eben dem Maße anregend, als die Sicherheit und Leichtigkeit in Behandlung des Vocalen und Instrumentalen in so Manchen, die an Schubert's Begabung nach dieser Seite hin gezweifelt, freudiges Erstaunen hervorrief. Unser Tondichter zeigte sich übrigens auch hier vorzugsweise als großer Lyriker. Der zu Grunde gelegte Text gibt keine Veranlassung zu eigentlich dramatischen Effecten, wenn auch Einzelheiten, wie beispielsweise das Finale, den aufrichtigsten Neid noch lebender Tonsetzer erregen dürften. Es zieht da ein Liederspiel von eilf Nummern an uns vorüber, deren eine reizender ist als die andere29.

Was die Aufführung der »Verschwornen« im Theater anbelangt, so hat die freie Reichsstadt am Main der Vaterstadt des Componisten den Rang abgelaufen. In Frankfurt gelangte die Oper bereits am 29. August 1861 mit bestem Erfolg zur ersten Darstellung, welcher bald darauf noch weitere folgten30.[312]

In Wien wurde sie am 19. October 1861 zum ersten Mal im Hofoperntheater gegeben. Die Aufführung des musikalischen Theiles erwies sich zwar der im Concertsaal vorausgegangenen nicht ebenbürtig, die Aufnahme der Novität seitens des Publikums war aber eine sehr günstige. Daß »Die Verschwornen« sich demungeachtet nur kurze Zeit auf dem Repertoir hielten, ist Verhältnissen zuzuschreiben, die mit dem inneren Werth der Schubert'schen Composition nichts[313] zu schaffen haben, sondern in den ökonomischen Verhältnissen des Theaters und dem Verlangen des Publikums, den ganzen Abend durch eine größere Opernvorstellung ausgefüllt zu sehen, ihre naheliegende Erklärung finden31.

In neuester Zeit (October 1862) wurde das Singspiel auch im Hoftheater zu München32 und in Salzburg zur[314] Darstellung gebracht, wo es sich ebenfalls eines durchgreifenden Erfolges zu erfreuen hatte. – –

Wie schon erwähnt, gehört auch der reizende Liederkranz: »Die schöne Müllerin« dem hier behandelten Zeitabschnitte an.

Eines Tages besuchte Schubert den Privatsecretär des Grafen Seczenyi, Herrn Benedict Randhartiger33 (derzeit k.k. Hofkapellmeister), mit welchem er in freundschaftlichem Verkehr stand. Kaum hatte er das Zimmer betreten, als der Secretär zum Grafen beschieden wurde. Er entfernte sich sofort, dem Tondichter bedeutend, daß er binnen kurzem zurück sein werde. Franz trat an den Schreibtisch, fand da einen Band Gedichte liegen, von denen er das eine und andere durchlas, steckte das Buch zu sich und ging fort, ohne[315] Randhartinger's Rückkehr abzuwarten. Dieser vermißte alsbald nach seiner Zurückkunft die Gedichtsammlung und begab sich des anderen Tages zu Schubert, um das Buch abzuholen. Franz entschuldigte seine eigenmächtige Handlung mit dem Interesse, welches ihm die Gedichte eingeflößt hätten, und zum Beweis, daß er das Buch nicht fruchtlos mit sich genommen habe, präsentirte er dem erstaunten Secretär die Composition der ersten »Müllerlieder«, die er zum Theil in der Nachtzeit vollendet hatte.

Einen merkwürdigen Beleg seiner selbst durch körperliche Leiden nicht zu hemmenden Productionskraft gibt die verbürgte Thatsache, daß Franz mehrere »Müllerlieder« und das Lied »Der Einsame« in siechem Zustand im Spital niedergeschrieben hat34.

Von Liedern entstanden um diese Zeit noch: »Viola«, »Der zürnende Barde«, »Drang in die Ferne«, »Pilgerweise«, »Auf dem Wasser zu singen«, »Du bist die Ruh«, »Geheimniß« und »Der Zwerg« (eigentlich »Treubruch«), Fragment eines Gedichtes von H. Collin, durchweg dem Schönsten angehörend, was Schubert im Lied geschaffen. Namentlich ist »Der Zwerg« als eine der ergreifendsten, dramatisch belebten Compositionen anerkannt, ein Meisterstück, welches der Tondichter, von seinem Verleger zur Ablieferung eines Liedes gedrängt, ohne jegliche Vorbereitung in aller Eile auf das Papier hinwühlte, indem er gleichzeitig an dem Gespräch eines Bekannten35 theilnahm,[316] der gekommen war, ihn zu einem Spaziergang abzuholen – ein würdiges Seitenstück zu der Ruhe und Sammlung, mit welcher Mozart mitten im Hauslärm die herrlichen Ensemblestücke in der »Hochzeit des Figaro« niederschrieb.

Noch entstanden in diesem Jahr eine Sonate für Clavier und Arpeggione (unveröffentlicht) und die schöne Sonate in A-Moll36 (op. 143).

Nachdem Schubert schon früher zum Ehrenmitglied des Gratzer Musikvereins ernannt worden war, wurde ihm und Vogl – wahrscheinlich auf Anregung des damals als Secretär beim Musikverein in Linz fungirenden Albert Stadler – nunmehr auch die Anerkennung zu Theil, als Ehrenmitglieder des dortigen Musikvereins aufgenommen zu werden.

1

Wilhelmine Christine Chezy, geb. v. Klencke, Enkelin der Louise Karschin, erblickte 1783 zu Berlin das Licht der Welt und verheiratete sich 1805 mit dem französischen Orientalisten Antoine Leonhard Chezy in Paris, welche Ehe 1810 wieder gelöst wurde. Helmine verließ sofort Frankreich mit ihren beiden Söhnen Wilhelm und Max, und nahm in verschiedenen deutschen Städten bald kürzeren, bald längeren Aufenthalt, ausschließlich schriftstellerischen Arbeiten lebend. Nach mannigfachen Kreuz- und Querzügen durch Deutschland kam die ruhelose Frau im Jahre 1823 nach Wien, wo sie bis 1828 verweilte, während dieser Zeit aber größere Ausflüge, namentlich in die oberösterreichischen Gebirge unternahm. Ihre Selbstbiografie erschien kurze Zeit vor ihrem Tode unter dem Titel: »Unvergessenes, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben«, Leipzig bei Brockhaus 1858, 2 Theile. In neuester Zeit (1863) veröffentlichte ihr Sohn Wilhelm: »Erinnerungen aus meinem Leben«. Beider Memoiren sind hier als Quellen benützt.

2

Dieser auffallend kurzen Frist erwähnt Wilhelm Chezy.

3

Er pflegte sich William Vogel zu nennen, soll aus Carlsruhe gewesen und dort in den Vierziger Jahren im Elend gestorben sein.

4

Helmina Chezy spricht sich darüber in den »Denkwürdigkeiten« folgendermaßen aus: »Graf Palffy überließ dem Director Vogel vollständig die Theaterleitung, da dieser sein Publicum genau kannte und wußte, was er ihm bieten konnte, um es zu befriedigen. Er war hauptsächlich darauf bedacht, Cassestücke zu liefern, die eine Zeitlang vorhielten und den Saal füllten. Zogen sie nicht mehr, so wurden sie durch neue ersetzt. Ein arger Bösewicht war dabei obligat, dazu noch eine Hand voll Liebesjammer, ein mächtiger Retter und Beschützer, ein paar Knalleffecte und das Drama gefiel. Der Autor empfing, gleichviel ob das Stück ansprach oder nicht, 100 fl. C.M. Erschien das Publicum nur spärlich, so behalf man sich mit Comparserieen und anderen Lockmitteln.« Wilhelm Chezy ergänzt diese Schilderung in Nachstehendem: »Das Theater an der Wien zeichnete sich damals vorzüglich durch die Vollendung seiner mechanischen Hülfsmittel aus. Versenkungen, Flugwerke, Verwandlungen der Gestalten gingen mit seltener Meisterschaft vor sich. Das Stück, welches im Winter 1823–24 im Theater an der Wien noch am besten zog, war ein Melodram, ›der Wolfsbrunnen‹, welches die Sage vom Belustigungsort dieses Namens bei Heidelberg behandelte. Das Schauspiel war ein sogenanntes Viehstück, nämlich eines, worin ein Thier eine bedeutende Rolle spielte, und dieses Thier nicht durch ein Wesen seines eigenen Geschlechtes, sondern durch einen Menschen vertreten war. Der Wolf wurde mit Meisterschaft unter solchem Beifalle gespielt, daß schon nach der zweiten Vorstellung der Künstler darauf bestand, auf dem Zettel genannt zu werden, sonst würde er nicht mehr auftreten. Seinem Verlangen ward willfahrt.« – Von W. Vogel heißt es ebenda: »Im Jahre 1823, als er den Regentenstab am Gestade des schmutzigen Wienflüßchens führte, war er ein alternder Mann von kränklichem Aussehen und mit einer Harthörigkeit behaftet, welcher er, beiläufig bemerkt, mit bewundernswerther Klugheit die beste Seite abzugewinnen verstand. Wenn er nämlich etwas nicht gern hörte, so steigerte sich die Harthörigkeit zur Taubheit, die allem Schreien unzugänglich blieb. Wenn er etwas nicht hören sollte, fügte sich's nicht gar zu selten, daß sein Uebel plötzlich nachließ.«

5

»Ich fühlte es,« sagt Chezy in ihren Aufzeichnungen, »daß die Dichtung nicht an ihrem Platz war, denn das Theater an der Wien hatte sein eigenes Publicum, und für dieses hätte ich nichts schreiben können, da ich es gar nicht kannte.«

6

Am 18. Dec. 1823 erschien in den belletristischen Blättern von Wien folgende Anzeige; »Frau Helmine v. Chezy hat der Direction des k.k. priv. Theaters an der Wien ein neues Drama mit Chören: ›Rosamunda von Cypern‹ übergeben. Die Musik hiezu ist von dem rühmlich bekannten talentvollen Tonsetzer Herrn Franz Schubert, und die erste Samstag den 20. December stattfindende Vorstellung desselben wurde der Schauspielerin dieses Theaters, Dlle. Neumann, von der Direction als Benefice bewilligt. Die Namen der Dichterin und des Compositeurs sichern dieser Künstlerin durch die getroffene Wahl die würdevolle Aufnahme eines Werkes, welches an Gediegenheit mit Recht den vorzüglicheren neuerer Zeit angereiht zu werden verdient.« – Der Theaterzettel kündigte an: »Rosamunde Fürstin von Cypern. Romantisches Schauspiel in vier Aufzügen mit Chören, Musikbegleitung und Tänzen, von Helmina Chezy, geb. Freiin Klencke. Musik von Herrn Schubert.«

7

Die oben erwähnten Gesangsstücke sind mit Clavierbegleitung, der Geistergesang auch mit Horn- und Posaunenbegleitung bei Diabelli als op. 26 im Stich erschienen. Auch sind die Chöre in Wien mehrmals zur öffentlichen Aufführung gelangt. Eine Abschrift eines Theiles der Instrumentalmusik des ersten Actes besitzt Dr. Schneider, das Original der Balletmusik (Nr. 2 u. 9) der Musikalienhändler Spina in Wien.

8

So schrieb damals ein Kritiker (in der Zeitschrift »Der Sammler«): »Herr Schubert zeigt in seiner Composition Originalität, leider aber auch Bizarrerie. Der junge Mann steht in der Entwickelungsperiode, wir wünschen, daß sie glücklich von statten gehe. Diesmal erhielt er des Beifalls zu viel, möge er sich in Zukunft nie über das zu wenig beklagen können.« Dagegen bemerkt Chezy (in den »Denkwürdigkeiten meines Lebens«), der schließliche Nichterfolg der »Rosamunde« sei zum Theil auch dadurch herbeigeführt worden, daß sich Schubert anläßlich der Euryanthe-Aufführung mit Weber entzweit, und die Anhänger des letzteren, gegen Schubert aufgebracht, entweder von der Vorstellung der »Rosamunde« weggeblieben seien oder durch ihre Anwesenheit, so viel sie konnten, geschadet hätten.

9

Chezy meint, die dritte Vorstellung der »Rosamunde« würde dem Stück alle Anerkennung verschafft haben, »aber der böse Krollo gab es nicht zu, daß sie gegeben wurde.« Demnach wäre das Schauspiel nur zweimal aufgeführt, und dann für immer zurückgelegt worden.

10

»Im Allgemeinen (bemerkt Chezy in den ›Denkwürdigkeiten‹) waren die Wiener so wohlwollend gegen mich, daß ich den geringen Erfolg meines Stückes bald verschmerzte. Die ›Rosamunde‹ war sehr dürftig ausgestattet worden. Madame Vogel als Aja konnte wenig wirken. Das Publikum sieht zwar gerne Mütter in den besten Jahren, aber sie sollen jung aussehen. Es hört gerne Romanzen von Schubert, und hat dies namentlich bei der meinigen allgemein bewiesen, aber sie erfordert eine frische Stimme. Mad. Vogel sang sie brav und die Begleitung mit Blasinstrumenten konnte ihre Wirkung nicht verfehlen. Fulvius hätte nicht glücklicher gewählt werden können, es war Hr. Rott. Das Talent des Frl. Neumann war erst im Aufblühen.« – Wilhelm Chezy sagt von Madame Vogel: »Wie ihr Mann unscheinbar, leibarm, war die Frau füllreich und stattlich, er ein dürrer Zaunpfahl, sie ein Stückfaß, er bleich und fahl, sie glühend roth, er kränklich, sie strotzend von Gesundheit, obschon längst über die Jugend hinaus. Auf der Bühne, wo sie ältere Rollen mit vielem Geschick spielte, sah sie noch vortrefflich aus, natürlich durch die Anwendung der bekannten Mittel, von denen eines wirklich heroisch war. Ich habe die Anwendungen desselben mehr als einmal in der Garderobe des Theaters mit angesehen. Das Stückfaß legte sich ein Mieder an von urwüchsig starkem Zwilch mit Stahlschienen, starkem Fischbein, wohlbeschlagenen Schnürlöchern und neuen Schnüren aus gezwirntem Hanf, die von zwei handfesten Hausknechten zusammen gezogen wurden. Wenn die beiden vierschrötigen Oesterreicher aus Leibeskräften das Mieder zuzogen, jeder ein Knie an eine der ungeheuern Hüften gestemmt, glaubte man eine Folterkammer und eine Hexe vor sich zu erblicken. Es gehörte in der That auch einige Hexerei dazu, daß die so grausam eingezwängte Masse athmen, sich bewegen und sprechen konnte, was sie ganz leidlich fertig brachte.«

11

Auf dem in der Theaterbibliothek befindlichen Manuscript-Textbuch steht geschrieben:

»pres. Wien 22. Juli 1823.

Letacha,

k.k. Polizei-Obercommissär als Theater-Censor.

Fierrabras, heroisch-romantische Oper in drei Acten. – Für das k.k. Hofoperntheater nächst dem Kärnthnerthor censurirt. – Wien am 21. Juli 1823.«

12

Barbajas Pachtung und die damit vereinigte Administration des Theaters an der Wien endete am 31. März 1825. Darauf folgte Carl's Gastspiel und dessen Theaterpacht.

13

Das Manuscript der Ouverture besitzt die Verlagshandlung Spina in Wien.

14

Chor.

Der runde Silberfaden

Läuft sinnig durch die Hand

Zum Frommen wie zum Schaden

Webt sich ein Liebespfand.

Solo.

Wie er die Welt begrüßet

Der Säugling neu belebt,

Die Hülle ihn umfließet,

Von Spinnerhand gewebt.

Chor (erste Strofe).

Solo.

Zur Hülle selbst im Grabe,

Zur Klag' im Treuebruch

Webt sich als Spinnergabe

Von Spinnerhand gewebt u.s.w.

Chor (erste Strofe).

15

Ritter.

Zu hohen Ruhmespforten

Klimmt er auf schroffem Gleis (sic),

Nicht fröhnt er hohlen Worten,

Die That nur ist sein Preis.

16

Frauen.

Den Sieger laßt uns schmücken

Von frischem Kranz umlaubt (sic)

Muth strahlet aus den Blicken

Der Lorbeer um das Haupt!

17

Emma.

Der Landestöchter fromme Pflichten

Weih'n Edler Dir die Heldenzier;

Mir war des Amtes zu verrichten,

Ich reich' für sie den Kranz nur dir.

Chor.

Vaterhuld und milder Sinn

Schmückt den hohen Helden,

Seiner Tugenden Gewinn

Bleibt der Dank der Welten.

18

Emma, Eginhardt und Fierrabras.

Dulden nur und Schweigen

Ziemt um solchen Preis,

Und kein Blick darf zeigen,

Was die Seele weiß.

Carl.

Ernst und Strenge zeigen

Ist mein Pflichtgeheiß

Vor des Frevlers Zeugen

Werd' der Schmach er preis (sic).

Chor.

Fort zum Siegesreigen,

Fort auf sein Machtgeheiß,

Eures Ruhmes Zeugen

Bringt des Finders Preis.

19

Chor der Mauren.

Was mag der Ruf bedeuten?

Seid wohl auf eurer Hut,

Mög' er Verrath bedeuten,

So ströme bald sein Blut.

20

Florinde.

Weit über Glanz und Erdenschimmer

Ragt meiner Wünsche hohes Ziel,

Und jedem Glück entsag' ich immer,

Lohnt mich der Liebe süß Gefühl u.s.w.

21

Florinde.

Des Jammers herbe Qualen

Erfüllen dieses Herz,

Zum Grabe muß er wallen,

O unnennbarer Schmerz! u.s.f.

Chor (als Mittelsatz).

Laß dein Vertrau'n nicht schwinden,

Noch leuchtet uns ein Hoffnungsstrahl,

Noch kann sich Rettung finden,

Und spurlos flieht der Leiden Qual.

Florinde.

Und seines Todes Wunde

Bringt mir Verderben auch.

Chor.

Des Herzens tiefste Wunde

Heilt froher Hoffnung Hauch.

22

Mauren.

Der Rache Opfer fallen,

Vergeblich war ihr Droh'n,

Bald wird die Luft erschallen,

Empfangen sie den Lohn.

23

Sie erschienen im Verlag bei Wallishausser in Wien.

24

Einer kurzen Unterredung entnommen, welche ich mit Castelli unmittelbar nach der Aufführung der Operette im Concertsaal gepflogen habe.

25

Diesen Aufschluß würde ohne Zweifel die Originalpartitur geben, auf welcher Schubert in gewohnter Weise den Tag der Inangriffnahme und der Beendigung des Werkes bezeichnet haben wird. Das Autograf liegt aber nicht vor und ist wahrscheinlich zu gleich mit anderen Schubert'schen Compositionen von Ferdinand Schubert verkauft worden.

26

Bauernfeld verlegt in seiner 1829 verfaßten »Skizze« die Entstehungszeit der Operette in das Jahr 1824; Josef Hüttenbrenner will mit Bestimmtheit wissen, daß ihm Schubert »Die Verschwornen« erst 1824 oder 1825 auf dem Clavier vorgespielt habe, und er erinnert sich um so lebhafter daran, da der Componist selbst an seiner Musik Gefallen fand und die Aufführung der Oper auf dem Theater wünschte, zu welchem Ende auch er und Hüttenbrenner mehrmals Schritte (doch immer vergeblich) gethan haben. Auf einem Zettel (im Besitz des letzteren) findet sich folgende Notiz aus dem Jahre 1824: »Der häusliche Krieg, beim Vater componirt, censurirt und für die Aufführung im Hofoperntheater passirt.« Ein Schreiben von Schubert an Kupelwieser aus dem Jahre 1824 erwähnt der Operette. – In einem Aufsatz in der »Augsb. Allg. Ztg.«, welcher im October 1862 anläßlich der Aufführung der »Verschwornen« in München erschien, hieß es unter Anderm: »Ein Jahr, nachdem Schubert seine Arbeit (die Operette) bei der Wiener Oper eingereicht hatte, hielt er die Zeit für reif, um sich nach dem Schicksal seines Werkes Erkundigungen zu erlauben. Darauf erhielt er die Partitur aus der Theater-Bibliothek zurück, gerollt, geknüpft und eingeschlagen, kurz in demselben Zustand, wie er sie vor 13 Monaten der beurtheilenden Weisheit zu Handen gegeben hatte.« Ob und wie viel an der Sache Wahres, ist mir nicht bekannt geworden; J. Hüttenbrenner erinnert sich nicht eines solchen Vorfalls.

27

Der Part des Pagen Udolin ist im Duett (Nr. 1) für Tenor, in den übrigen Musikstücken für Sopran componirt.

28

Die Aufführung im Concertsaal leitete der artist. Director des Musikvereines Herr Johann Herbeck, welchem überhaupt die Bekanntschaft mit der Operette zu verdanken war. Es sangen darin: Frl. Hofmann (Gräfin), Frl. Ottilie Hauer (Helene), Frl. Bertl (Isella), Hr. Mayerhofer (Graf) und Hr. Olschbauer (Udolin und Astolf). Bei der zweiten Aufführung (22. März) übernahm die Hofopernsängerin Frl. Kraus die Rolle der Gräfin und der Hofopernsänger Hr. Walther die Tenorpartie.

29

Im Frühjahr 1862 erschien bei Spina ein von Dr. Schneider verfaßter Clavierauszug mit und ohne Text, und noch andere Arrangements der Operette.

30

Die erste Anzeige von der Aufführung enthielt das »Frankfurter Museum«, welches sich dahin aussprach, daß das reizende Werkchen, dessen süße Musik den weichen Schmelz südlicher Weisen mit dem energischen Charakter deutscher Klänge auf's wunderbarste vereinige, von Seite der Kritik und des Publikums die freundlichste Aufnahme gefunden und als eine wesentliche Bereicherung des Repertoirs gepriesen werde. »Die Musik«, heißt es weiter, »ist so sein, duftig, anmuthig und reizend, wie man es nur von dem berühmten vielseitigem Liedersänger erwarten darf. Eine Nummer ist schöner als die andere. Die Oper war mit bemerkenswerthem Geschick in Scene gesetzt. Der Schauplatz war sehr hübsch arrangirt. Die Mitwirkenden gaben sich alle Mühe; man fühlte heraus, daß sie Freude an dem Werke haben. Der Beifall war ein lebhafter.« – In den »Didaskalien« des Frankfurter Journal's wurde des theatralischen Ereignisses in folgender Weise gedacht: »Mit dem ›Häuslichen Krieg‹, einer hinterlassenen einactigen Oper von dem genialen Liedercomponisten Franz Schubert (Text von Castelli), hat unsere Direction einen guten Griff gethan. Das anmuthige Tonwerk ist bereits zweimal mit entschiedenem Beifall gegeben und dürfte sich dauernd auf unserem Repertoir erhalten. Das hiesige Theater ist das erste, welches die Operette zur Aufführung bringt, nachdem dieselbe im Frühjahr d. J. durch eine Concert-Aufführung der ›Gesellschaft der Musikfreunde‹ in Wien zuerst bekannt geworden. Die Veranlassung zur Composition dieser Oper dürfte wohl das Vorwort sein, das Castelli bei der Veröffentlichung eines ›Die Verschwornen‹ betitelten Operntextes diesem voransetzte. Es waren 42 Jahre nöthig, um dieser Tondichtung von ausgesprochenem innerem Werthe den Weg zur Bühne zu bahnen, während indeß so vieles Gehaltlose über dieselbe geschritten ist. Der Castelli'sche Text lädt zu einer charakteristischen und dramatisch lebensvollen musikalischen Behandlung in jeder Hinsicht ein; seine Handlung ist reich an drastischen Momenten. Schubert hat es verstanden, die vielen lyrischen, sentimentalen und komischen Situationen, welche der Text bietet, mit seinem Gefühle auszubeuten: die Musik ist von der lebhaftesten dramatischen Bewegung, von seltenem Melodienreichthum, frisch, stimmungsvoll und originell. Jede einzelne Nummer hat ihre eigenen Reize.«

31

»Der häusliche Krieg« wurde in Verbindung mit einem Tanzdivertissement oder einer zweiten Operette gegeben. – Im Hofoperntheater in Wien sang Frl. Fischer die Isella und Herr Erl den Astolf; die übrige Besetzung war jene der zweiten Concertaufführung.

32

Die Vorführung der Operette in München veranlaßte einen Musikreferenten in der »Augsb. Allg. Zeitung« zu folgenden, theils allgemeinen, theils speciell auf Schubert Bezug habenden Betrachtungen, deren bezeichnendste Stellen hier herausgehoben erscheinen:

»Der Galgenhumor der Impotenz – heißt es da – welcher nicht selten in der literarischen wie musikalischen Kritik das Wort zu ergreifen sich berufen glaubt, liebt es, vor allen andern Argumenten gegen uneigennützige höhere Geistesthätigkeit den Hinweis auf die geringschätzige Gleichgiltigkeit zu führen, mit welcher solche Bestrebungen von maßgebender Seite, von der sie Aneiferung oder Unterstützung empfangen sollten, aufgenommen wurden. Und mancher, der auf Meisters Worte zu schwören erzogen ist, nimmt häufig für ein Zeichen der heutigen Zeit, was Gemeinfehler des Menschengeschlechtes seit Menschengedenken ist. Nach der Erfahrung der Geschichte kann man behaupten, daß bei keiner Kunst das Urtheil der Zeitgenossen so große, so langsam überwindliche Mühe habe, den Leistungen der Muse gerecht zu werden, als bei der Kunst der Musik. Das Erdenwallen der großen deutschen Tondichter, woferne sie nicht, wie Gluck und Händel, bei fremden Völkern ihr Glück zu machen wußten, gehört theils zu den trübseligsten, theils zu den bescheidensten Erfahrungen, welche das fleischgewordene Genie in den bunten Verhältnissen des bürgerlichen Lebens zu machen hatte. Auch für Franz Schubert, den letzten von den großen Meistern, welche durch die Kunst der Töne den Ruhm des deutschen Volkes vor andern erhöhten, konnte von der thatkräftigen Ermunterung, welche seinem Genie von maßgebender Seite wiederfahren, bittere Geschichten sagen. Früh, viel zu früh für die Verehrung seines Schaffens, kaum in's Mannesalter getreten, starb der reichbegabte Wiener, und Jahrzehente mußten vergehen, ehe eine Gesellschaft emsiger Dilettanten dem vergrabenen Spiel die langentbehrte Ehre der ersten Aufführung und den Bühnen von Beruf das Zeichen gab, daß sie durch das fertige Renommée des zu den Classikern versammelten Schubert gedeckt, kein kühnes Wagniß mehr unternehmen, wenn sie den ›häuslichen Krieg‹ vor die Lampen brächten. – Gleichsam aus einer andern Welt, aus einer Welt, die nicht mehr die des musikalischen Schaffens von heute ist, klangen diese einfachen, zartsinnigen, herzergreifenden Weisen, diese Fülle melodischen Reichthums, diese zierlich sorgsame Instrumentirung, diese fromme priesterliche Thatäußerung einer sich selbst noch heilighaltenden Kunst, welche die glorreichen Effecte eines Meyerbeer und R. Wagner noch nicht erfahren hat.«

33

Der Gewährsmann dieser Entstehungsgeschichte der ersten »Müllerlieder«.

34

Darüber findet sich noch eine nähere Andeutung in der später folgenden »Charakteristik«.

35

Es war dies ebenfalls Randhartinger, der Gewährsmann obiger Erzählung.

36

Von den Verlegern Mendelssohn gewidmet.

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865, S. 280-317.
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