[Biographie]

Wer mit antheilvollem Blick den Erscheinungen des Musiklebens folgt, dem kann die Wahrnehmung nicht entgehen, daß das Wort des Dichters: »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst«, mehr auf die Vergangenheit denn auf die Gegenwart Anwendung leidet. Die neuere Tonkunst ist ernst, so ernst geworden, wie die Geister derer, die sie schufen und die uns in ihr eigenes Spiegelbild zurückließen. Vor dem Ernst des Lebens wich die Heiterkeit der Kunst zurück, und sie, die eine Verklärung des Lebens ist und sein soll, sucht ihre Bestimmung nicht länger darin, über diesen Lebensernst lächelnd hinweg zu täuschen; sie erfaßt denselben vielmehr in seiner ganzen Tiefe, um ihm ein erhöhtes Dasein im Kunstwerk zu verleihen. Widerspruch, Kampf und Schmerz, die mehr als Glück und Lust den Inhalt des Menschenlebens bilden, wurden nun, wenn auch selbstverständlich in eine idealere Sphäre emporgehoben und in eine versöhnende Beleuchtung gerückt, mehr und mehr auch der Inhalt der tönenden Kunst. Wie weit sind wir doch von dem harmlosen Frohsinn, der liebenswürdigen Unschuld und Naivetät abseits gekommen, die aus Joseph Haydn's Schöpfungen sprechen! Wie fern steht unser heutiges bewußtes Schaffen doch der spielseligen Anmuth des alten[257] Meisters und seiner optimistischen Lebensauffassung! Und dennoch, wie gern erquicken wir uns an all' der hellen Daseinslust, der endlosen Frühlingswonne und -Sonne, die uns aus seinen Tönen entgegen klingt und leuchtet! Was Wunder, feierte nicht die Kunst selber in ihnen einen neuen Frühling? Aus der streng abgeschlossenen reinen Kunstsphäre Händel's und Bach's trat sie mit Haydn in die freie Wirklichkeit, aus heiligen Kirchenhallen hinaus in Natur und Welt. Nicht mehr Gott und Ewigkeit, als das ersehnte Ziel der leidumdrängten Menschenseele, sondern der Mensch selbst, sein Leben, Lieben und Leiden, ward nun ihr Ausgangs-und Mittelpunkt. Von ihrer Erhabenheit stieg die Tonkunst zur Anmuth hernieder; sie schmiegte sich dem Empfinden, Bedürfen und Genießen des Einzelnen freundlich an, und ihre Fesseln legte sie ab. An Stelle der strengen Zucht der Form trat jetzt, nach Vollendung des formellen Bildungsprocesses, die freie Kunst mit dem Recht persönlicher Lebensäußerung. Die Individualität verlangt nun nach Geltung. Traulich-gemüthlich, wie die keines Anderen vor ihm, berührte Joseph Haydn's schlichte Tonsprache Herzen und Sinne. Heiter und natürlich, maßvoll und wahrhaftig, voll Phantasiereichthum, Kunstgewandtheit und Originalität, übernahm und erfüllte er als Schöpfer der modernen Instrumentalmusik seine Sendung. Mit dem neuen poetischen Lebensinhalt, den er ihr zuführte, gab er ihr zu gleich die Grundlage, auf der sie sich zu ungeahnter Formenmannigfaltigkeit entfaltete. Die Gattungen Symphonie und Quartett ehren in ihm ihren eigentlichen Begründer und Bildner; war er doch der Erste, der die freie thematische Arbeit im Gegensatz zum gebundenen Contrapunkt als den eigentlichen fruchtbaren Keim des compositorischen Schaffens für die Instrumentalmusik erkannte und demgemäß in[258] umfassender Weise anwandte. Der Sonatensatz in seiner heutigen Form ist in der Hauptsache durch ihn festgestellt worden. Auch den Organismus des Orchesters hat er zuerst systematisch, nach dem Klangvermögen der einzelnen Instrumente verwenden gelehrt.

So wurde er der Bahnbereiter Mozart's und Beethoven's, während er – obgleich seine eigentliche Begabung eben auf Seite des Instrumentalen lag – auch in seinen Oratorien Werke von unvergänglicher und dabei wunderbar populärer Wirkung hinterließ. Als Kind des Volks verstand er populär zu sein, in künstlerischer, ewig mustergültiger Gestalt Volksthümliches zu geben. Schlicht und natürlich, sich selber treu, sang er, als Jüngling wie als Greis mit dem Kindergemüthe, aus der Fülle seines eignen warmen Herzens heraus, und was er sang, fand ein Echo in Anderer Herzen. Er hatte das Glück, alsbald verstanden zu werden – ein Glück, das ihm selbst Mozart und Beethoven beneiden durften. Er reichte nicht an die Größe des Componisten des »Don Juan« und der Jupitersymphonie und noch weniger an die des Schöpfers der Neunten heran, er war ein Genius bescheideneren Gepräges. Wie der Sonnenschein, der Vogelsang, der Frühling in der Natur, so war er. Alle freuten sich seiner und Jeder versteht und liebt ihn.

Rohrau, ein nahe der ungarischen Grenze in Niederösterreich bei Bruck an der Leitha gelegener Marktflecken, ist Joseph Haydn's Geburtsort. Dort stand, laut Beethoven's Worten »in einer schlechten Bauernhütte« des großen Mannes Wiege. Der Tag, der ihm das Leben schenkte, war nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Das Kirchenbuch sagt nur, daß er am 1. April 1732 die heilige Taufe empfing. Haydn selbst bezeichnete bald den 31. März, bald den 1. April als seinen Geburtstag. Da[259] aber die Taufhandlung in der Regel am Tag nach der Geburt zu erfolgen pflegte, darf es wol, auch wenn man die beste Lösung der widersprechenden Angaben dadurch findet, daß man die Nacht vom 31. März zum 1. April als seine Geburtszeit vermuthet, bei der ziemlich allgemein verbreiteten Annahme des 31. März verbleiben. Die Ehe seiner Eltern, des Wagnermeisters Matthias Haydn und seiner Frau Maria geb. Koller, eines Marktrichters Tochter, war mit zwölf Kindern gesegnet, von denen jedoch sechs bald nach der Geburt wieder starben. Joseph, oder Franz Joseph, wie sein vollständiger Name lautete, war das zweitgeborene Kind. Er erbte von den einfachen, aber streng rechtlichen Eltern den Sinn für Religiosität, Thätigkeit, Ordnungsliebe und Sparsamkeit. Daneben auch die Liebe zur Musik. Der Vater, der mit einer leidlichen Tenorstimme begabt war, hatte auf der Wanderschaft die Harfe klimpern gelernt. Auf ihr begleitete er die Lieder, die er mit seiner Frau gemeinsam an Festtagen oder nach gethaner Arbeit sang. Bald betheiligten sich auch die Kleinen an der schlichten Hausmusik, und der fünfjährige Joseph überraschte dabei durch sein musikalisches Gehör und eine hübsche Stimme, ja er sang, wie er später in seiner für »Das gelehrte Oesterreich« geschriebenen Selbstbiographie1 erzählte, »dem Vater alle seine simplen kurzen Stücke ordentlich nach.« Das erregte bei den Freunden und Bekannten nicht geringe Bewunderung; als er aber einst, das Geigenspiel des Schulmeisters nachahmend, beim Gesang der Eltern mit einem Stecken auf seinem linken Arme auf und nieder strich und dabei das richtigste[260] Tactgefühl bekundete, da meinte ein zum Besuch anwesender Verwandter mit dem ihn gleichfalls beobachtenden Schulmeister im Bunde, daß der Knabe zum Musiker geboren sei. Hatte ihn die Mutter auch dem geistlichen Beruf zu erziehen gedacht, dem Vater lag die Musik zu warm am Herzen, als daß er dem Vorschlag des Verwandten, ihm Joseph nach Hainburg, wo er Schulrector und Chorregent war, mitzugeben, seine Zustimmung versagt hätte. Zuerst, so entschied er, solle er's mit der Kunst versuchen – der geistliche Stand bliebe ihm ja noch immer offen. So verließ denn der Knabe, fünf Jahre alt, schon Elternhaus und Heimat, um nie anders als besuchsweise mehr dahin zurück zu kehren. Die Erinnerung an die Kindheit und die bescheidene Stätte seiner Geburt blieb gleichwol bis in's hohe Alter in ihm lebendig. Liebevoll gedachte er allezeit der Seinen, und die Worte: »Ich lebe weniger für mich als für meine armen Verwandten, denen ich nach meinem Tode etwas zu hinterlassen wünsche«, bethätigte er in edler Weise. Ja auch des Pfarrers, des Schullehrers und der Schulkinder vergaß er nicht in seinem letzten Willen. Als er aber, hochgefeiert von London zurückkehrend, im Jahre 1795 seine Heimat Rohrau und ein ihm daselbst im Park des Grafen Harrach errichtetes Denkmal besuchte, da kniete er beim Eintritt in die väterliche Wohnstube nieder, um die Schwelle zu küssen, und mit Rührung wies er auf die Ofenbank hin, auf der er einst seine frühesten Kunstübungen begonnen.

Bei seinem »Herrn Vetter,« dem Schulrector Frankh in Hainburg, einem tüchtigen aber strengen Lehrer, lernte Haydn, seinen eigenen Angaben zufolge, »die musikalischen Anfangsgründe sammt anderen jugendlichen Nothwendigkeiten«, und »Gott der Allmächtige, welchem ich alleinig so unermessene Gnade zu danken habe«, sagt er, »gab[261] mir besonders in der Musik so viele Leichtigkeit; indem ich schon in meinem sechsten Jahre ganz dreist einige Messen auf dem Chor herabsang und auch etwas auf dem Clavier und Violin spielte.« Der ihm befreundete Griesinger2 – der Erste, dem wir nebst Dies3 und Carpani4 eingehendere Mittheilungen über Haydn's Leben danken, welche C.F. Pohl neuerdings durch die werthvollen Resultate seiner Forschungen wesentlich vervollständigte5, während Reißmann6, sich auf diese stützend, sich mehr mit Haydn's Werken befaßt – erzählt, daß Joseph Unterricht im Lesen und Schreiben, im Katechismus, im Singen und fast in allen Blas- und Saiteninstrumenten, sogar im Paukenschlagen erhalten habe. Von der praktischen Art des Unterrichts wird uns eine charakteristische Probe mitgetheilt. Es war in der Kreuzwoche, in der besonders viel Processionen abgehalten wurden. Namentlich sollte der heilige Florianstag, der 4. Juni, wie alljährlich mit Hochamt und Opfergang festlich begangen werden. Da bereitete der Tod eines seiner Musikanten, des Paukenschlägers, dem Rector arge Verlegenheit. Kein Ersatzmann wollte sich finden. So griff denn Frankh in seiner Noth zu dem kleinen »Sepperl«, er sollte in aller Eile die Pauke schlagen lernen. Schnell zeigt er ihm die nöthigen Handgriffe und überläßt ihn dann seinem Eifer. Der Knabe nimmt einen Mehlkorb, wie man ihn beim Brodbacken benutzte, überspannt ihn mit einem Tuch und beginnt, nachdem er das improvisirte Instrument auf einen Sessel gestellt, so munter darauf los zu pauken,[262] daß er der Wolken Mehls nicht achtet, die um ihn her die Luft erfüllen. Als dann der Lehrer herbeikommt, giebt es wol einen Verweis – doch der Paukenschläger ist fertig, der Procession steht nichts mehr im Wege. Nur reichte leider der kleine Künstler nicht an die Größe des bisherigen Paukenträgers hinan. Man mußte einen kleineren Mann dazu ausfindig machen. Da aber das Unglück wollte, daß dieser mit einem Höcker behaftet war, erregte die Paukengruppe inmitten des feierlichen Umgangs bedenkliche Heiterkeit. So gewann Haydn mit diesem ersten Debut praktische Kenntniß von einem Instrument, das er zuerst nach seiner vollen Individualität und zu freien künstlerischen Zwecken in der Instrumentalmusik verwendete. In seinen Symphonien spielt die Pauke bekanntlich keine unwesentliche Rolle. Er selber aber ließ sich gern als Paukenvirtuose loben.

In mancher Beziehung vermißte Joseph indessen schmerzlich das Elternhaus. Um Reinlichkeit und Ordnung, die ihm dort »zur zweiten Natur« geworden – der Kleine trug schon damals »der Reinlichkeit wegen« eine Perücke – war es im Schulhaus schlimm bestellt. »Ich mußte«, berichtet er, »mit Schmerzen wahrnehmen, daß die Unreinlichkeit den Meister spielte, und ob ich mir gleich auf meine kleine Person viel einbildete, so konnte ich doch nicht verhindern, daß auf meinem Kleide nicht dann und wann Spuren der Unsauberkeit sichtbar wurden, die mich auf das empfindlichste beschämten – ich war ein kleiner Igel!« Trotz alledem hielt Haydn das Andenken seines ersten Lehrmeisters, dessen Tochter und Schwiegersohn er auch in seinem Testament bedachte, zeitlebens in Ehren. »Ich verdanke es diesem Manne noch im Grabe«, sagte er öfters, »daß er mich zu so vielerlei angehalten hat, wenn ich gleich dabei mehr Prügel als zu essen bekam.«[263]

Zwei Jahre hatte, Joseph in Hainburg zugebracht, da führte das gute Glück den kaiserlichen Hofcompositeur und Domcapellmeister zu St. Stephan in Wien, Georg Reutter, in das Städtchen. Um stimm- und musikbegabte Sängerknaben für das seiner Leitung unterstellte Capellhaus anzuwerben, war er auf Reisen gegangen und hierher gekommen. Nun hörte er in dem ihm vom Pfarrer vorgeführten Kirchenchor »von ungefähr« auch des siebenjährigen Joseph »schwache, doch angenehme Stimme.« Er ließ ihn rufen und die nöthige Singprobe ablegen. »Büberl«, fragte er ihn endlich, »kannst du auch einen Triller schlagen?« »Nein!« lautete die Antwort; »das kann ja selbst mein Herr Vetter nicht!« Lachend zeigte ihm Reutter, wie er es machen solle, und schlug ihm selbst einen Triller vor. Der Knabe versuchte es, ein, zwei Mal ihn nachzuahmen – der dritte Versuch gelang dermaßen, daß Reutter erfreut ausrief: »Bravo, du bleibst bei mir!« und den geschickten Sänger mit einem blanken Siebzehner belohnte. Mit dem Versprechen, nach erfolgter Zustimmung der Eltern, den Sepperl mit vollendetem achten Jahre zu sich nach Wien zu nehmen und für sein weiteres Fortkommen zu sorgen, schied er. Die Einwilligung aus Rohrau ließ nicht auf sich warten, und der beglückte Joseph bereitete sich nun mit Feuereifer auf den künftigen Sängerberuf vor.

Dem Achtjährigen erschloß sich 1740 in der That der ersehnte Zutritt in das Capellhaus: die mit der Wiener Stephanskirche verbundene Cantorei, die ihm zehn Jahre lang eine Heimat gewährte. Obwol den ähnlichen Anstalten an der Thomasschule zu Leipzig oder der Kreuzschule zu Dresden an Ruf und Bedeutung nachstehend, bot sie nicht nur Tausenden mit Gewährung einer ausreichenden musikalischen Ausbildung die Grundlage ihrer Existenz, sie erwarb sich auch um Förderung der Musikpflege[264] im Allgemeinen große Verdienste. Gemeinsam mit den Lehrern wohnten die Sängerknaben, sechs an der Zahl, in der Cantorei und genossen hier auf Kosten der Stadt vollständigen Unterhalt. Allerdings ging es dabei ziemlich knapp zu, so daß die bürgerlichen Festlichkeiten, zu denen man die Capellschüler häufig herbeirief, diesen mit ihren Tafelfreuden zwiefach willkommen waren. Auch Haydn, dessen Appetit mit seinem Wachsthum gleichen Schritt hielt, verdoppelte, nachdem er den Vortheil derartiger Einladungen erst kennen gelernt hatte, seinen Fleiß, um als geschickter Sänger möglichst gekannt und verwandt zu werden. Auswärtige Aufführungen aller Art nahmen neben dem sehr ausgedehnten Gottesdienste die Knaben vielfältig in Anspruch und schränkten die Zeit für ihre eigentlichen Studien ein. Der Unterricht erstreckte sich außer Musik, bescheiden genug, auf Schreiben und Rechnea Latein und Religion. Regelmäßige, systematische Unterweisung hat Haydn nie empfangen. Er blieb, gleich seinem Bruder Michael, der einige Jahre nach ihm in das Capellhaus eintrat und ihm als Aelterem zur Führung anvertraut ward, zumeist sich selber überlassen und sein eigener Lehrmeister. Im Gesang wurde Joseph der Schüler Adam Gegenbauer's und Ignaz Finsterbusch's; auch auf der Violine genoß er, wie es scheint, des Ersteren Belehrung. Er selbst rühmte, daß er »nebst dem Studiren der Singkunst, das Clavier und die Violine von sehr guten Meistern erlernte.« »Ich war auf keinem Instrument ein Hexenmeister«, sagt er, »aber ich kannte die Kraft und Wirkung aller; ich war kein schlechter Clavierspieler und Sänger und konnte auch ein Concert auf der Violine vortragen.« Auch daß er »sowohl bei St. Stephan als bei Hof mit großem Beifall« gesungen habe, betonte er gern. Auf das Studium des Gesanges, für das ihm wol auch Reutter's Gattin, die[265] vortreffliche Hofsängerin Therese geb. Holzhauser, vorbildlich wurde, legte er besonderen Werth und tadelte es, daß so viele Tonmeister componirten, ohne etwas davon zu verstehen. »Das Singen«, so meinte er, »sei beinahe unter die verlorenen Künste zu rechnen, und anstatt des Gesanges lasse man die Instrumente dominiren.« Er selbst freilich verstand auch als Instrumentalcomponist immer gesangmäßig, melodiös zu schreiben.

Compositionsunterricht wurde im Capellhause nicht ertheilt. Nur zwei Lectionen erinnerte sich Haydn, so erzählt Griesinger, von Reutter empfangen zu haben. Der verschiedentliche Aemter auf seinen Schultern tragende, bei Hofe trotz mäßiger Leistungen sehr beliebte Hofcapellmeister pflegte sich's mit seinen Capellschülern leicht zu machen. So wagte sich der Knabe auf eignen Antrieb an's Componiren. Jedes Blatt Papier, dessen er habhaft werden konnte, beschrieb er mit Notenlinien und -Köpfen; denn er meinte, »es sei schon recht, wenn nur das Papier hübsch voll sei.« Dabei überraschte ihn Reutter einst über einem zwölf- und mehrstimmigen »Salve regina.« Der kleine Componist wurde tüchtig ausgelacht. »O du dummes Büberl«, hieß es, »sind dir denn zwei Stimmen nicht genug?« Aber er empfing wenigstens den guten Rath, die Vespern und Motetten, die in der Kirche aufgeführt wurden, zu variiren, und Reutter sah ihm dann die Arbeiten durch. Von theoretischen Werken bildeten Fux' »Gradus ad parnassum« und Mattheson's »Vollkommener Capellmeister« den Gegenstand seiner eifrigsten Studien. Am gewinnreichsten aber waren und blieben für ihn die praktischen Uebungen. Er selbst sagt nach Rochlitz7: »Ich habe in der Composition Andere mehr gehört als studirt. Ich habe aber[266] das Schönste und Beste in allen Gattungen gehört, was es in meiner Zeit zu hören gab. Und dessen war in Wien viel, o wie viel! Da merkte ich nur auf und suchte mir zu Nutze zu machen, was auf mich besonders gewirkt hatte und was mir als vorzüglich erschien. Nur daß ich es nirgends blos nachmachte. So ist nach und nach, was ich wußte und konnte, gewachsen.« Hört man nicht auch den vielgestaltigen Einfluß der im strengen a-capella-Stil gehaltenen Messen von Fux sowol, als der mehr auf das Melodische gerichteten Compositionen Caldara's, Palotta's, Tuma's und Reutter's aus Haydn's Kirchenwerken heraus? Freilich, er war voll unermüdlicher Lernbegier, der blonde Knabe. »Das Talent lag in mir, dadurch und durch vielen Fleiß schritt ich vorwärts«, konnte er sagen, und den Sängerknaben von St. Stephan erzählte er zur Aufmunterung ihres Eifers noch als Greis: »Wenn meine Kameraden spielten, nahm ich mein Clavierl unter den Arm und ging damit auf den Boden, um ungestörter mich auf selbem üben zu können. Wenn ich Solo sang, bekam ich immer vom Bäcker dort neben der Stephanskirche ein Kipfel zum Geschenk. Seid nur recht brav und fleißig und vergeßt nie auf Gott!«

Sein Capellmeister war denn auch von seinen Leistungen so zufrieden gestellt, daß er dem Vater, der sich nach der Aufführung seines Sepperl erkundigte, erklärte: wenn er auch zwölf Söhne hätte, er wolle für sie alle sorgen. Nichtsdestoweniger vergaß er bald das gegebene Versprechen. Als die Mutation seiner Stimme Joseph's Verwendbarkeit als Solist unthunlich machte und Maria Theresia selber ihn bedeutete, des jungen Haydn Gesang sei mehr ein Krähen zu nennen, wartete er nur auf eine Gelegenheit, um den ihm lästig Gewordenen zu entfernen. Und sie kam bald genug durch Joseph's eigene Schuld. Trotz[267] seiner achtzehn Jahre noch immer zu Neckereien und losen Streichen geneigt, benutzte der Letztere eine neue Papierscheere, durch die das Inventar der Schule vermehrt worden war, um einem vor ihm sitzenden Mitschüler den Zopf abzuschneiden. Der strenge Reutter verurtheilte ihn zu Stockschlägen auf die flache Hand. Vergebens flehte der junge Uebelthäter um Abwendung der entehrenden Strafe und erbot sich, lieber gleich das Capellhaus zu verlassen. »Da hilft nichts«, gab man ihm rauh zur Antwort, »du wirst zuerst geprügelt und dann – marsch!«

Und so geschah es. Arm, seines einzigen bisherigen Besitzes, seiner Stimme, beraubt, hungrig, mit leerer Tasche und abgenutzten Kleidern, sah sich Haydn an einem Novemberabend des Jahres 1749 unbarmherzig hinausgestoßen in das fremde Getriebe der großen Stadt. Hülf- und freundlos irrte er umher, sich endlich erschöpft auf einer Bank unter freiem Himmel ein kühles Nachtlager suchend. Der Gedanke, in die Heimat, das Elternhaus zurückzukehren, stieg wol in ihm auf. Aber was wurde dann, so fragte er sich, aus seiner Kunst, ohne die er nicht leben konnte und wollte? In seiner Noth fand ihn ein Bekannter: ein Tenorist Spangler, der Chorist in der Michaelerkirche und Erzieher in einem Privathause war. Trotz der kümmerlichen Verhältnisse, in denen er selber lebte, nahm er sich mitleidig des Verlassenen an und sorgte, daß in der bescheidenen Dachkammer, die er selbst mit Weib und Kind bewohnte, auch Jener noch Platz fand. Doch nur ein Obdach vermochte er ihm zu geben; den Unterhalt mußte sich Joseph selber zu gewinnen suchen. Und das war schwer. Der Kampf um's Dasein begann; keiner der Dornen seines Berufs blieb seiner Jugend erspart. Gleichwol mahnte die Mutter, die von ihrem alten Lieblingsplane nicht lassen woll te,[268] ihn vergeblich, im geistlichen Stande seine Zuflucht zu suchen. Er konnte trotz seines frommen Gemüthes kein Geistlicher werden. Seine Seele gehörte der Musik. Nur in einem Moment bitterster Noth und Trostlosigkeit regte sich in ihm der Entschluß, in den Orden der Serviten zu treten, um wenigstens nicht mehr Hunger leiden zu müssen. Aber sein glückliches Temperament, sein natürlicher Humor siegte über die melancholischen Anwandlungen; er überlegte sich's doch anders und hungerte lieber, der Kunst zu Liebe, weiter.

So gut es eben gehen konnte, schlug er sich durch's Leben. Er geigte bei den verschiedensten Gelegenheitsmusiken, spielte auch wol zum Tanze auf, besorgte Arrangements für allerhand Instrumente. Flink war er bei der Hand, wo es etwas zu verdienen gab, und Wien bot zum Glück dazu mannigfaltigste Gelegenheit. Die Musikaufführungen in den zahlreichen Kirchen, die Menge von Privat- und Tanzorchestern, die damals beliebten Nachtmusiken, bei denen man, nicht wie in Italien oder Spanien nur ein von einer Guitarre oder Mandore begleitetes Lied, sondern Vocal-Terzette und -Quartette, ja ganze große Orchester-Symphonien aufführte, gewährten einer Fülle von musikalischen Kräften Verwendung. Auch Haydn erwarb sich auf diese Weise mindestens das Nothdürftigste. So verging der Winter. Immer auf neue Erwerbsquellen sinnend, unternimmt er im Frühjahr eine Wallfahrt nach dem steyrischen Mariazell. Dort bittet er den Chormeister, ein paar Motetten seiner Composition, die er mitgebracht, in der Kirche singen zu lassen. Der Wunsch wird ihm abgeschlagen; aber er hilft sich durch List. Wie von ungefähr mischt er sich anderen Tages auf dem Chor unter die Sänger und sucht den Solisten zu überreden, ihm für ein »Siebzehnerl« seinen Part zu überlassen. Als dieser aus Furcht vor[269] dem Lehrer mit seiner Zustimmung zögert, wartet er nur den Eintritt des Solos ab, um dem überraschten Sänger urplötzlich das Notenblatt aus der Hand zu ziehen und es statt seiner abzusingen. Verwundert lauscht der Chor, und der Dirigent entschuldigt sich höflich ob seiner rauhen Abfertigung am gestrigen Tage. Ja auch die geistlichen Herren erkundigen sich nach dem fremden Solisten und laden ihn zur Tafel. Acht Tage genießt er ihre Gastfreundschaft; dann kehrt er wohlgesättigt und mit einer für ihn gesammelten kleinen Summe Geldes beschenkt, nach Wien zurück.

Bei Spangler kann er indessen nicht länger bleiben. Dessen Familie hat sich vermehrt; er ist in ein anderes Stadtviertel gezogen. Es bleibt Haydn nichts anderes übrig, er muß sich den Luxus einer eigenen Wohnung gestatten. Aber wie die nöthigen Mittel dazu beschaffen? Da führt ihm in seiner Bedrängniß und »äußersten Noth« der Himmel wiederum eine mitleidige Seele zu. Ein mildthätiger Mann, Buchholz mit Namen, leiht ihm zinslos 150 Gulden. So war er wenigstens eine Zeit lang vor Mangel geschützt. Wie werthvoll ihm aber dieser Liebesdienst war, das sprach er noch fünfzig Jahre später in seinem Testamente aus, wo er der Enkelin seines Wohlthäters für die ihm einst von Jenem geliehene, längst zurückgezahlte Summe durch ein Vermächtniß von 100 Gulden dankte. Ein Dachkämmerlein im sogenannten alten Michaelerhause am Kohlmarkt wurde nun gemiethet. War's auch im Winter droben, wo es keinen Ofen gab, so eisig kalt, daß ihm in der Nacht gar häufig sein Waschwasser gefror und er sich in der Frühe selber am Brunnen bedienen mußte – seine Kunstbegeisterung wurde dadurch nicht abgekühlt. Ein altes wurmstichiges Clavier war mit ihm unter dem Dache eingezogen. Bei ihm, dem theilnehmenden Freund in Lust und Leid, beneidete[270] er, wie er selber sagte, »keinen König um sein Glück.« Nun konnte er, was in der Enge des Zusammenlebens mit Spangler nicht möglich gewesen war, doch auch seine Studien wieder vornehmen. Er übte sich fleißig auch in Violinspiel und Composition. An einem geregelten Plane freilich gebrach es ihm, und vielfach mußte er selbst die späten Nachtstunden zu Hülfe nehmen. Von den Resultaten solch nächtiger Studien ist uns nur seine erste Messe bekannt geworden, die er zu Anfang der fünfziger Jahre schrieb. Ob sie vielleicht ein Nachklang seiner Mariazeller Wallfahrt war? Als warm und lebendig empfunden mußte sie ihn, trotz ihrer grammatikalischen Schnitzer und Ungelenkigkeiten, jedenfalls selber noch nach fünfzig Jahren anmuthen; denn als sie ihm 1805 unvermuthet wieder in die Hände fiel, hatte er an ihrer »Melodie« und dem »jugendlichen Feuer« seine helle Freude und umkleidete sie voll liebevoller Sorgfalt mit einem neuen Instrumentalgewand. Vieles Andere, was ohne Zweifel zum Gebrauch beim Unterricht entstand, wanderte in Abschriften von Hand zu Hand, um endlich spurlos verloren zu gehen. Der Musikalienhandel lag zu jener Zeit noch im Argen. Ein eigentlicher Musikverlag existirte in Wien noch nicht. Buchhändler, Buchbinder, Copisten, Kupferstecher vertrieben daselbst meist geschriebene Musikalien, die in Kupfer gestochenen kamen als eine Art Luxusartikel von auswärts her. Am Ende nahmen die Componisten, wie Haydn bei seinen Claviersonaten (1784), die Herausgabe selber in die Hand. Ihr Eigenthumsrecht jedoch respectirte Niemand; durch Nachdruck und Abschriften schädigte man dasselbe fortwährend in ungenirtester Weise. So verbreiteten sich auch Haydn's Arbeiten, ohne daß ihm die Früchte derselben zukamen. Und wie sehr hätte er doch ihrer bedurft! Denn die Clavierlectionen, die man ihm anfangs mit nur zwei[271] Gulden monatlich lohnte, dünkten ihm ein saueres Brod. »Mit Unterrichtung der Jugend«, klagt er in seiner Selbstbiographie, »mußte ich mich ganzer acht Jahre kummerhaft herumschleppen (durch dieses elende Brod gehen viele Genie zu Grunde, da ihnen die Zeit zum Studiren mangelt). Die Erfahrung traff mich leider selbst, ich würde das wenige nie erworben haben, wenn ich meinen Compositions-Eyfer nicht Nachts fortgesetzt hätte.« Und anderwärts äußerte er: »Junge Leute werden an meinem Beispiele sehen können, daß aus dem Nichts doch Etwas werden kann. Was ich aber bin, ist Alles ein Werk der dringendsten Noth.«

So dunkel und sonnenlos verlief der Lebensfrühling des Meisters, aus dessen Kunst uns ein ewiger Frühlingssonnenschein, eine endlose Klang- und Daseinsfreude entgegen lächelt! Zum Glück half die Heiterkeit der Jugend, die liebenswürdige Leichtlebigkeit seines echt österreichischen Naturells ihm auch jetzt wieder Noth und Armuth tragen. Alle Trübsal, die er erduldete, konnte den ihm angeborenen Frohsinn nicht ertödten, und wie er schon ehemals im Capellhause seiner Schalksnatur freien Lauf ließ, so hören wir auch jetzt wieder von allerhand Schelmenstreichen erzählen. Eines Tages kam es ihm bei, eine Anzahl ihm befreundeter Musiker zu einer Nachtmusik zu laden. Im »tiefen Graben« – einer tief gelegenen Straße Wiens – versammelte man sich. Von da aus vertheilte Haydn die Genossen nach den verschiedensten Richtungen: auch auf der »hohen Brücke« oben ward ein Paukenschläger aufgestellt. Um was es sich eigentlich handele, wußte Keiner; jeder Einzelne hatte nur die Weisung empfangen, auf ein gegebenes Zeichen irgend ein Musikstück anzustimmen. Ein wahres Höllenconcert ging los, mit dem sich das Schimpfen und Schreien der unsanft aus ihrem Schlafe aufgescheuchten Straßenbewohner[272] vermischte. Als aber die im »tiefen Graben« selbst stationirte »Rumor-Wache«, die damalige Polizei, schleunigst anrückte, war die Lärmbande bereits nach allen Seiten auseinander gestoben. Nur der schwer bewegliche Pauker und ein Geiger wurden noch aufgegriffen und mußten für die Uebrigen im Arreste büßen – den Rädelsführer und Anstifter der nächtlichen Ruhestörung jedoch verriethen sie nicht.

Erkennen wir nicht aus derlei Jugendzügen das Bild des Künstlers wieder, dessen Menuette und Finales von Jovialität und einem neckischen Humor überströmen, wie ihn die deutsche Musik bis dahin noch nicht kannte?

Von entscheidender Bedeutung für Haydn's ganze Entwicklung und künstlerische Richtung wurde ihm die Bekanntschaft eines Werkes, das ihm das gute Glück gerade zu jener Zeit in die Hände spielte: Philipp Emanuel Bach's Sonaten. »Da kam ich«, sagt er selbst, »nicht mehr von meinem Clavier hinweg, bis die Sonaten durchgespielt waren. Und wer mich gründlich kennt, der muß finden, daß ich dem Emanuel Bach sehr Vieles verdanke, daß ich ihn verstanden und fleißig studirt habe; er ließ mir auch selbst einmal darüber ein Compliment machen.« In der That hatte Bach, nachdem ihm Haydn's Werke bekannt geworden, von ihm gesagt: »er sei der Einzige, der seine Schriften ganz verstanden habe und Gebrauch davon zu machen wisse.« Umso thörichter mußte demnach die später auftretende Beschuldigung erscheinen, daß Haydn, aus Rache für ihm von Bach widerfahrene Feindseligkeiten, in seinen Sonaten dessen Stil copirt und carikirt habe. Bach selbst erklärte denn auch im »Hamburger Correspondenten« (1785, No. 150) u. A.: »Nach meinen Nachrichten von Wien muß ich glauben, daß dieser würdige Mann, dessen Arbeiten mir noch immer sehr viel Vergnügen machen, eben so gewiß mein Freund sei wie[273] ich der seinige.« Haydn aber suchte und fand von Anbeginn in Bach's Werken Stärkung und Aufrichtung auch in trüben Stunden. »Ich spielte mir dieselben zu meinem Vergnügen unzählige Mal vor, besonders auch wenn ich mich von Sorgen gedrückt oder muthlos fühlte, und immer bin ich da erheitert und in guter Stimmung vom Instrumente weggegangen.«

Eine neue Weise in Wahrheit stimmte Emanuel Bach's Claviermusik an. Aus dem strengen gebundenen Stil, in dem sein Vater, der große Sebastian, und seine Zeit ihren gemäßesten Ausdruck gefunden, leitete sie in eine dem veränderten Zeitgeist entsprechende freiere Schreibart hinüber. Sie bezeichnet den Uebergang aus der Kirche in die Welt, aus der Gelehrsamkeit zur Geselligkeit. Sie ist nur der Vorbote eines erst mit Haydn voll in's Leben tretenden Tonfrühlings; aber seinen Odem spüren wir schon in der schwungvollen Frische der Empfindung, der unbefangenen Heiterkeit und Lebendigkeit des Gefühlsausdruckes. An Stelle der alten contrapunktischen kommt nun die sogenannte »galante« Schreibweise zu ihrem Recht. Ein helleres Klangcolorit, ein durchsichtigerer Tonsatz, ein gewisses dichterisch freies Wesen macht sich geltend. Vom Objectiven geht jetzt der Kunstausdruck zum Subjectiven über. »Ein Musikus kann nicht anders rühren, er sei denn selbst gerührt«, sagt Bach für sich selbst bezeichnend, und an anderer Stelle: »Mich däucht die Musik müsse vornehmlich das Herz rühren.« Nur ein Bahnbereiter war Philipp Emanuel Bach Joseph Haydn gegenüber; doch ohne ihn hätte dieser wol kaum den Weg zu seiner eigenen Größe gefunden. Das freiere Wesen, dem er in der Tonkunst wesentlich zum Durchbruch verhalf, die Arbeit, die er durch Verwerthung der von seinem großen Vater begründeten Technik und Erweiterung der durch Johann Kuhnau und Domenico Scarlatti entwickelten[274] Form an der Sonate und der Vervollkommnung des Clavierspiels überhaupt vollbracht, sie machen den norddeutschen Künstler zum unmittelbaren Vorgänger des herrlichen Wiener Meisters, der gerade im einheitlichen Ausbau des Sonatensatzes Wichtigstes leistete.

So ging denn Haydn, der des Segens einer systematischen Ausbildung ganz entbehrte und in der Wahl seiner Lehrmittel fast nur vom Zufall geleitet ward, durch eine günstige Fügung bei dem in die Schule, der ihm das seiner Individualität und Bestimmung Angemessenste zu lehren vermochte. Auch Bach's epochemachendes theoretisch-praktisches Werk: »Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen«, machte er sich eifrig nutzbar. Er nennt es »das beste, gründlichste und nützlichste, welches als Lehrbuch je erschien.« Gleicherweise priesen es später auch Mozart und Beethoven; ja der Erstere sagt von Emanuel Bach geradezu: »Er ist der Vater, wir sind die Buben!«

Für sein Vorwärtskommen im Violinspiel mochte Haydn namentlich der Umgang mit dem ihm befreundeten Dittersdorf förderlich sein. Beides, Geigenspiel und Composition, konnte er bei seiner öfteren Mitwirkung in Orchestern, namentlich bei den Nachtmusiken verwerthen. »Gassatim gehen« nannte er derlei musikalische Nachtwanderungen, bei denen irgend einer beliebten Persönlichkeit auf Bestellung Anderer oder aus eigenem Antrieb gehuldigt wurde. Für einen derartigen Zweck schrieb Haydn unter Anderem ein Quintett. Eine andere Gelegenheitscomposition führte ihm den ersten Operntext in die Hände. Als er einmal mit einigen Kameraden der schönen Frau des beliebten Komikers Kurz, der das Publicum im alten Kärnthnerthor-Theater als »Bernardon« belustigte, ein Ständchen brachte, zeigte sich der Gatte der Gefeierten für den Componisten der eben[275] gehörten Musik so interessirt, daß er Haydn sofort zu sich einlud und ihm den Antrag zur Composition einer neuen Operndichtung von ihm stellte. So entstand die zweiactige komische Oper: »Der neue krumme Teufel« und eine im Zusammenhang mit ihr aufgeführte Kinder-Pantomime: »Arlequin, der neue Abgott Ram in Amerika.« Seine Arbeit wurde Haydn mit 25– nach anderer Lesart mit nur 2– Ducaten gelohnt; »wegen beleidigender Anzüglichkeiten im Texte« aber wurde die Oper, obgleich sie gefiel, nach nur zweimaliger Aufführung verboten. Nachmals in Prag, Berlin und andernorts aufgeführt, ist die Partitur gleichwol spurlos verschwunden. Auch beschäftigte Kurz den Tonsetzer nicht zum zweiten Male. Und zu seinem Heil! Denn nicht die Localposse war das entsprechende Feld für Haydn's Thätigkeit, und wenn auch die Berührung mit der derben Komik des alten Wiener Volksschauspiels ihm vielleicht zuerst Sinn und Einbildungskraft für Darstellung des Lebendigen, Charakteristischen in der Musik schärfte, in edlerer Gestalt sollte er den deutschen Volkshumor in seiner Kunst vertreten.

»Ich schriebe fleißig, doch nicht ganz gegründet«, sagt Haydn in seiner Selbstbiographie, »bis ich endlich die Gnade hatte, von dem berühmten Herrn Porpora (so dazumal in Wien war) die ächten Fundamente der setzkunft zu erlehrnen.« Er war bisher, die kargen Anweisungen Reutter's im Capellhause abgerechnet, nur Autodidact, auf Beobachtung, Fleiß und Instinct angewiesen gewesen; nun endlich sah er sich unter Führung eines tüchtigen Lehrers geborgen. Sein guter Stern hatte ihn in's Michaelerhaus geführt. Dort, wo er die höchsten Regionen bewohnte, hatte auch Metastasio, der berühmte Operndichter und kaiserliche Hofpoet, mit einer ihm nahe befreundeten Familie Martines gemeinsam[276] sein Quartier.8 Er mochte auf den armen Musiker im Dachstübchen über ihm aufmerksam geworden sein und engagirte ihn als Clavierlehrer für seinen Liebling, die zehnjährige Marianne Martines, deren Ausbildung er selber leitete. Sie wurde außerdem in der Composition durch Hasse, im Gesang durch Porpora unterrichtet, und hierbei mußte Haydn auch als Begleiter dienen. Er erhielt während dreier Jahre, so lange seine Thätigkeit währte, dafür freie Kost im Hause des Dichters und hatte zugleich den Vortheil, nicht allein mit der italienischen Sprache und der ausgezeichneten Gesangmethode des gefeierten welschen Sangmeisters und Componisten – der Größen wie Farinelli, Caffarelli, Porporino zu seinen Schülern zählte – vertraut zu werden, sondern auch von Porpora selber weitere Anleitung in der Composition zu empfangen. Dabei behandelte der alte heftige Maestro seinen demüthigen Jünger freilich rauh und roh genug. Scheltworte und Rippenstöße gab es häufig zu erdulden; ja drei Monate hindurch hatte er bei dem schlimmen Alten sogar Bedientendienste zu versehen. Aber um seiner Kunst willen ertrug er Alles; »denn«, heißt es, »ich profitirte im Gesang, in der Composition und in der italienischen Sprache sehr viel.« Die Klippe, dabei in's Fahrwasser der Welschen zu gerathen, umschiffte er glücklich, ob er auch später eine Anzahl italienischer Opern schrieb, die er anderen gleichzeitigen musikalischen Bühnenwerken an Werth keineswegs nachstellte. Er gewann den Italienern nur das ab, was ihm für die eigene Richtung taugte: die feinere Phrasirung der Melodie und durchsichtigere Klarheit[277] der Harmonie, den Sinn für die reine Linie, die Eurhythmie des Aufbaus, wie Nohl9 es nennt, die ihn das bisherige verschnörkelte Wesen, das noch bei Ph. Emanuel Bach üppig wuchert, in den Hintergrund drängen und auf ein bescheideneres Maß verweisen läßt. Liegt die frühere deutsche Instrumentalmusik noch unter dem Bann einer gewissen Sprödigkeit und schwerfälligen Steifheit, so wird sie durch Haydn zur Grazie und Natürlichkeit, zur lichtvollen Schönheit geführt.

Das Heimatland der Schönheit und der Kunst, Italien, zwar schaute er nie mit eigenen Augen, und vergeblich traf ihn die Aufforderung Gluck's zu einer Reise dahin. Was er jedoch für seinen speciellen Entwicklungsgang von dort bedurfte, das kam über die Alpen zu ihm herüber, er brauchte es nicht erst jenseits derselben zu suchen. Und wie auch hätte sich der Arme, der unablässig mit der Noth des Lebens rang, den Luxus einer Reise nach dem Süden gewähren können? Er nahm es schon dankbar genug hin, daß sich ihm ein Sommeraufenthalt in der Nähe Wiens eröffnete. Mit Porpora, der auch die Geliebte des venetianischen Botschafters Correr im Gesang unterrichtete und sich dabei Haydn's als Begleiter bediente, theilte er den Sommer über deren Aufenthalt in dem der ungarischen Grenze nahe gelegenen Bad Mannersdorf, dem damaligen Ischl der vornehmen Welt. Wie der Hof und die Aristokratie daselbst mit Vorliebe verweilte, so fanden sich auch Künstler gern dort ein, und Haydn, der auch bei den Soiréen des musikliebenden Prinzen von Hildburghausen des Oefteren als Accompagnateur am Clavier mitwirkte, kam da mit Bonno, Wagenseil, Gluck u. A. in Berührung. In ein näheres Verhältniß zu Letzterem trat er[278] augenscheinlich nie; durch Burney, den englischen Musikreisenden, aber wissen wir wenigstens, daß Haydn'sche Quartette in Gluck's Haus zur Aufführung kamen. Der große Meister des gesungenen Dramas ging demnach, so weit ihre Wege und Ziele, wie Charaktere und Naturanlagen auseinander gingen, doch nicht theilnahmlos am Schöpfer des Quartetts und der Symphonie vorüber, der hinwiederum auch Gluck in seiner Bedeutung zu schätzen verstand, wie er gleicherweise Händel und Mozart, Emanuel Bach und Cherubini in ihren verschiedenen Leistungen warm zu würdigen wußte.

Allmälig besserten sich inzwischen Haydn's Verhältnisse. Durch Geiger-, Sänger- und Organistendienste in der Kirche bei den barmherzigen Brüdern, zu St. Stephan und in der gräflich Haugwitz'schen Capelle half er sich, außer den gewohnten Lectionen, die sich jetzt auch auf Theorieschüler erstreckten und ihm statt mit zwei nun mit fünf Gulden monatlich honorirt wurden, weiter. Dazu lag er mit dem ihm eigenen Fleiß und Eifer theoretischen Studien ob. Durch Mattheson's und Marpurg's Werke und hauptsächlich Fux' Gradus ad Parnassum, dem er classischen Werth beimaß, war er fortwährend um Mehrung seiner Kenntnisse bemüht. Andere als musikalische Bücher kamen zu der Zeit gar nicht in seine Hände. Reichte der Tag zu Allem, was er ihm abforderte, nicht aus, so machte er die Nacht zum Tage. Er gewöhnte sich frühzeitig daran, regelmäßig 16 bis 18 Stunden täglich der Arbeit zu widmen, und hielt, auch nachdem er längst zur Berühmtheit gelangt war, an dieser Gewohnheit fest.

In hohem Grade folgenreich wurde für ihn in dieser Zeit die Bekanntschaft mit einem begüterten Musikfreund, dem k.k. Truchseß und Regierungsrath von Fürnberg. Dieser, der ihn öfters nach seiner Besitzung Weinzirl[279] einlud, um mit ihm zu musiciren, gab ihm, nachdem er ihm bereits einige Streich-Trios verdankte, die Anregung, sich auch einmal im Quartettsatze zu versuchen. So schrieb er sein erstes Streichquartett in B-dur, das sogleich solch lebhaften Anklang fand, daß er, dadurch angefeuert, ihm in kurzen Zwischenräumen noch weitere siebzehn Werke gleichen Genres folgen ließ. Durch diesen wie er sagt »ganz zufälligen Umstand« wurde er auf eine Kunstgattung hingeführt, die er mit genialer Hand zuerst derart selbstschöpferisch ausbildete, daß eine der herrlichsten Blüten deutscher Kunst daraus erwuchs.

Er war nicht der Erste, der für vier Instrumente schrieb. Viele Andere waren ihm, seit die Kammermusik an Ausbreitung gewann, hierin vorangegangen. Ihre künstlerische Grundlage aber empfing die Gattung erst durch seine Hand. Was er von Philipp Emanuel Bach und seinen Sonaten erlernt, das trug hier seine ersten Früchte. Wie die Sonate aus Uebertragung der Form der italienischen Ouverture oder Opern-Symphonie (zwei bewegte Sätze, die durch einen kurzen langsamen auseinander gehalten werden, d.i. Allegro, Grave, Allegro) auf das Clavier entstanden war, so übertrug er ihre durch Bach des Weiteren entwickelte Form nun wieder auf das Quartett. Das bei dem Letztgenannten, seinem Vorbild, noch Unvollkommene aber bildet er zu einem einheitlichen Organismus aus.

Die freie thematische Arbeit, die an Stelle des künstlichen doppelten Contrapunktes dabei, der Natur der Sonate angemessen, das Feld behauptet, wird jetzt der eigentlich treibende Keim und Kernpunkt des Ganzen. Ein eigener geräumiger Schauplatz wird ihr im sogenannten Durchführungstheil des ersten Satzes, den Haydn breiter und bedeutender gestaltet, zugewiesen. Das Adagio wird vertieft, gesanglich beredter; das Finale,[280] meist in Form des von dem Franzosen Couperin ausgebildeten Rondos, voll übersprudelnder Laune behandelt. Zur Aufnahme eines vierten Satzes (dem sich hier und dort gar ein fünfter und sechster gesellt) muß sich der Rahmen erweitern. Als Erbtheil der mehr und mehr verschwindenden Suite wird die Menuett noch dazwischen geschoben; ja sie tritt mehrfach sogar doppelt und immer mit einem reizvoll originellen, fast durchgehends im Gegensatz zu ihrer Munterkeit ernsthaft gefärbten Trio auf. Dem Humor erscheint damit eine feste Stelle in Haydn's Kunstwerk eingeräumt. Auch die harmonische Construction der Sätze wird eine bestimmtere; das Dominantverhältniß, dem zufolge der Durchführungstheil in der Dominant-Tonart des Hauptsatzes zu stehen kommt, tritt in volle Kraft, dem künstlerischen Princip des Gegensatzes entsprechend, das sich im gesammten Aufbau, bei aller symmetrischen Ordnung und Gliederung geltend macht. Dabei erscheint die Selbständigkeit der einzelnen Instrumente allenthalben gewahrt. Aus dem tönenden Ganzen schauen uns vier verschiedene Individualitäten, jede mit ihrem eigenen Wesen und Angesicht an. So hatte Haydn mit genialer Sicherheit frühzeitig von einer Kunstart Besitz ergriffen, die sich als der natürliche Ausdruck seiner musikalischen Stimmung erwies und deren Grundform er später mit gleichem Glück auch auf den Orchester- und Clavierstil übertrug. Denn im Instrumentalen war sein Genius zu Hause. Die Vocalmusik hatte er bereits zu höchster Blüte entwickelt vorgefunden; hier blieb ihm nach Bach und Händel, oder nach Seiten der Oper über Gluck hinaus keine Aufgabe zu lösen. Die Instrumentalformen hingegen, die weit, weit hinter der Ausbildung jener zurückgeblieben und zum wesentlichen Theil erst in ihren Grundlagen festgestellt waren, harrten noch einer sie in ihrer Vielgestaltigkeit[281] energisch zusammenfassenden, organisch ausgestaltenden und vollendenden Hand. Noch war ein eigentlicher Orchesterstil bisher nicht gewonnen. Auch auf Behandlung der Instrumente übte die Vocalmusik, die in ihren einfacheren Gebilden ohnehin neben Tänzen und Märschen das Repertoire der Orchester vielfach speiste, ihren Einfluß. So drängte zur Ausbildung eines selbständigen Instrumentalstils die gesammte Musikpraxis hin, und in der Aufnahme dieser Mission erfüllte Haydn seine Sendung. Sie lag ihm, dem schlichten Kind des Volkes, dem auf die Realität des Lebens fortwährend Hingewiesenen, um so näher, als die Instrumentalkunst im Gegensatz zu der gern dem Höchsten, Uebersinnlichen zugewandten Vocalmusik, zunächst mehr an realem Boden haftete und ihren Inhalt von Natur und Welt empfing. Gerade volksthümliche Elemente nahm Haydn in sein Kunstwerk auf, aber er erhob sie mit diesem in eine reinere höhere Sphäre. So blieb er immer faßlich, immer einfach in seinem Ausdruck; doch Dank seinem Gemüths- und Erfindungsreichthum allzeit vor Trivialität bewahrt. Die natürliche Harmonie seines Wesens, der Nimbus des Genius adeln auch seine schlichtesten Weisen.

Nicht durchgängig zwar halten sich die ersten achtzehn Streichquartette Haydn's an die strenge Quartettform; der entsprechende Stil derselben jedoch ist gefunden, und weit überragen sie an Eigenthümlichkeit und Bedeutung eine Anzahl von Streich-Trios, die zur selben Zeit ihren Ursprung fanden. Das eine der Quartette (das fünfte in B-dur) hat übrigens schon einen symphonischen Anstrich, ja in sechs Scherzandi, die er für 2 Hörner, 2 Oboen, 1 Flöte, 2 Violinen und Baß schrieb, lassen sich schon die Vorläufer seiner Symphonien erkennen. Sie wagen sich nicht über engste Grenzen hinaus; aber sie offenbaren bei abgerundeter Form, wirksamer Instrumentalbehandlung[282] und bisweilen interessanter Rhythmik den liebenswürdig heiteren, unbefangenen Charakter, der schon Haydn's Quartette so anziehend machte. War es ein Wunder, wenn die Zahl ihrer Freunde im Umsehen wuchs? Freilich es fehlte auch nicht an Eiferern, die über »Herabwürdigung der Musik zu komischen Tändeleien« schalten und dem Componisten alles ernstere Streben rundweg absprachen. Wie zu allen Zeiten, so bemühte sich auch dazumal eine verständnißlose Kritik, den Genius zu meistern und das Große mit dem Maßstab des Kleinen zu messen; aber der Künstler lauscht zum Glück mehr auf die innere Stimme als auf das, was von außen her an sein Ohr klingt. Unbekümmert ging Haydn seinen Weg weiter. Einige Divertimenti für fünf und mehr Instrumente – mehr der leichten Unterhaltung geltende, der Suite verwandte Stücke – fallen noch in jene Zeit. Bald sollte er in einem neuen Wirkungskreise vor größeren Aufgaben stehen.

Seine Einnahmen hatten sich mittlerweile vermehrt. Er zählte jetzt selbst die Gräfin Thun, in der er eine theilnehmende Gönnerin fand, zu seinen Schülerinnen im Clavierspiel und Gesang. In eine erträglichere Wohnung war er denn auch übergesiedelt; doch traf ihn hier das Mißgeschick, durch diebische Hand seiner geringen Habseligkeiten beraubt zu werden. Der Vater, den er in seiner Verlegenheit um Hülfe anging, vermochte ihm nur einen Siebzehner (etwa 50 Pfennige nach unserem Gelde) beizusteuern; doch sah er durch die Freigebigkeit seiner Freunde seinen Verlust bald wieder ersetzt. Sein jüngerer Bruder Michael hatte es indeß längst vor ihm zu einer festen Anstellung gebracht; er war bereits 1757 beim Bischof von Großwardein, Graf Firmian, als Capellmeister in Amt und Würden getreten. Nun endlich, es war im Jahre 1759, bot sich auch[283] Joseph, wie er sagt, »durch Recommendation« Fürnberg's, bei welchem er »besondere Gnade genoß«, bei dem böhmischen Grafen Morzin eine Stelle als Musikdirector und Kammer-Compositeur mit 200 Gulden Gehalt neben freier Kost und Wohnung.

Von jeher hatte der böhmische wie der österreichische Adel die Tonkunst in besonderen Schutz und Pflege genommen. Zu denen, die sich eine eigene Capelle hielten, gehörte auch Graf Morzin, der im Winter in Wien, im Sommer auf seinen Gütern bei Pilsen lebte, seine Musiker aber nur in Lukavec, seinem Lieblingsaufenthalt, beschäftigte. Eben dort fand auch Haydn die Stätte seiner Thätigkeit und that den ersten Schritt auf einer Bahn, auf der er unvergänglichen Ruhm zu ernten bestimmt war. Er schrieb 1759 seine erste Symphonie. Wer das anspruchslose, in knappesten Formen gestaltete, kaum zehn Minuten zur Aufführung in Anspruch nehmende Werk10 heute hörte, würde kaum geneigt sein, ihm eine tiefere Bedeutung zuzusprechen, dafern er den Verhältnissen und Voraussetzungen, unter denen es entstand, unvertraut gegenübersteht. Was aber bot die Symphonie überhaupt zu jener Zeit, als Haydn sich zuerst mit ihr befaßte? Der die Oper oder ein mehrstimmiges Gesangstück11 einleitende Orchestersatz trug zuerst diesen Namen. Er bestand in der Regel aus drei zusammenhängenden Sätzen, und zwar in Frankreich nach der durch Lully eingeführten Form, aus zwei, einen bewegteren einrahmenden, langsamen Theilen (Grave, Allegro, Grave), während in Italien durch Scarlatti das umgekehrte Verhältniß (Allegro, Grave,[284] Allegro) festgestellt wurde. Erst allmälig gelangte die Symphonie zur Selbständigkeit und wurde in Italien durch Sammartini, – den Lehrer Gluck's, der die bei den Allegrosätze vom Grave trennte und sie selbständiger erweiterte, auch das Orchester mannigfacher verwendete – in Deutschland durch die Componisten der Mannheimer Capelle, Stamitz, Cannabich, weiter entwickelt. An zahlreichen Erzeugnissen der Gattung fehlte es nicht. Jomelli, Gluck, Dittersdorf, Graun, Hasse, Adam Hiller, Leopold Mozart, Stamitz, der Gründer der Mannheimer Schule, und viele Andere schrieben und veröffentlichten Symphonien. Einen aus der thematischen Arbeit lebendig heraustreibenden einheitlichen Organismus aber hatten sie Alle ihnen nicht zu geben gewußt. Den verlieh ihnen erst Haydn und darum wurde er der eigentliche Schöpfer der Symphonie, und seine orchestralen Thaten eroberten sich die Welt, indeß die der Anderen vor ihm vergessen und begraben wurden.

Wie er seiner Neuschöpfung des Quartetts im Wesentlichen die Formen der Emanuel Bach'schen Claviersonate zu Grunde gelegt hatte, so baute er auf dem gleichen Fundament nun auch sein orchestrales Kunstwerk auf. Aus dem ersten, dem Allegrosatz der Haydn'schen Symphonie, der meist in zwei Theile zerfällt, heben sich drei Gruppen hervor. Die erste, die Themagruppe, bringt das den Charakter des Satzes kundgebende Hauptthema, dem ein zweites als Nebenthema contrastirend entgegentritt. Freie Mittelglieder verbinden beide mit einander und leiten in die Dominant- oder Parallel-Tonart über, in welcher der erste Theil abschließt. Die mit dem zweiten Theil auftretende Durchführungsgruppe verarbeitet die im Hauptsatz gegebenen Motive auf's Mannigfaltigste. Sie gewährt der thematischen Gestaltungskraft des Componisten weiten Spielraum, um endlich zur dritten, der[285] Repetitionsgruppe, überzugehen, welche nun, in die Haupttonart zurückkehrend, die bisher vorgeführten Gedanken noch einmal zusammenfaßt.

Den zweiten oder Mittelsatz, das Adagio, Andante oder Allegretto, gestaltet Haydn auf äußerst mannigfaltige Weise. Dabei bedient er sich mit Vorliebe des Gegensatzes von Dur und Moll. Für die Anlage ist hier das Lied oder die Operncavatine vorbildlich. Gern auch wählt er die Variationenform, in der er Meister ist. Aus dem schlichten Liede aber erwächst in immer vertiefterer Ausführung das hochpoetische Adagio, das in seiner Vollendung sich als echt deutsche Schöpfung darstellt und zur Aussprache des innersten Gemüthslebens vorzugsweise geeignet erweist.

In dem meist rasch bewegten Schlußsatz herrscht die heitere Stimmung vor. Hier, wo der Tonsetzer am liebsten die Rondoform herbeiruft, deren wiederkehrende Couplets seinem unerschöpflichen Witz und Humor willkommene Gelegenheit zu immer neuen piquanten Wendungen geben, treibt er sein neckischstes Spiel und erscheint in seinem eigentlichsten Element. Hier lebt, sprüht und sprudelt Alles voll unvergänglicher Jugendlust, und wenn manches Andere, was der Meister uns geschenkt, mit der Zeit alt und blaß geworden, seine Finales athmen eine unwiderstehliche Frische und Lebenskraft. Da ist Alles beredt, selbst die Pausen, und was da singt und klingt, läßt auch den Grämlichsten oder Traurigsten wenigstens für eine kurze Spanne Zeit seines Harms vergessen. Nicht zu Höhepunkten dramatischer Wirkung gipfeln sie sich. Nicht an den Schlußsätzen gewaltigster Art, wie sie Beethoven, der Meister der Meister, aufgebaut, wollen sie sich selbstverständlich messen, wie sie sich den vollkommensten Gebilden instrumentaler Kunst nicht zu vergleichen streben. Der Schöpfer der Gattung konnte nicht zugleich[286] auch ihr Vollender sein. Nicht das Höchste und Tiefste der Ideen und Empfindungen der Menschheit auszusprechen war Joseph Haydn gegeben; das vermochten erst Andere auf dem von ihm gelegten Grunde. Freundliche Bilder und Stimmungen spiegeln seine Symphonien wieder. »Eine ideale Sprache der Wahrheit, in ihren Theilen nothwendig zusammenhängend und lebendig«, nennt sie Goethe. »Sie sind vielleicht zu überbieten, aber nicht zu übertreffen.« Und was Richard Wagner im Hinblick auf dieselben sagt, wenn er von der heiteren jugendlichen Frische der sich darin bewegenden rhythmischen Tanzmelodie und dem sie durchdringenden warmen Hauch wirklichen menschlich freudigen Lebens redet12, das gilt vornehmlich von seinen Finales und Menuetts. Nicht selten in Haydn's früheren symphonischen Schöpfungen werden letztere beide auch als ein und dasselbe verstanden; das heißt der Schlußsatz trägt bei Symphonien, denen die Menuett fehlt, gleichsam um für den Ausfall derselben zu entschädigen, die Bezeichnung Tempo di Menuetto an der Stirn. Denn der frohmüthige Wiener Meister liebte die Menuett und wies ihr in dem ursprünglich dreisätzigen Orchesterwerk bleibend die Stelle eines vierten Satzes an, die Beethoven später für sein Scherzo in Anspruch nahm. Meist fügt er es hinter dem zweiten Satze ein, zuweilen auch läßt er es dem ersten folgen; aber er erachtet es als ein so wichtiges Glied innerhalb des symphonischen Rahmens, daß er, wo er denselben knapper gestaltet und auf die dreisätzige Form zurückgreift, lieber das Adagio als die Menuett entbehren mag; recht im Gegensatz zu Mozart, der, wo er seine Symphonie dreitheilig construirt, als Sänger der Liebe und des Herzens, vielmehr dem Adagio den Vorzug giebt.[287]

Ihren eigenthümlichen typischen Charakter innerhalb des neuen instrumentalen Kunstwerks empfing die Menuett durch Haydn. Er entkleidete sie, den Tanz der vornehmen Welt, wie Otto Jahn sagt, ihrer aristokratischen Würde, verlegte sie in eine bürgerliche Sphäre und verlieh ihr eine ihr ursprünglich fremde volksthümliche Heiterkeit und gemüthliche Jovialität, dabei aber zugleich eine wahrhaft künstlerische Gestaltung. Die erfinderische Kraft, mit der er sich selbst in dieser so einfachen Form immer neu und abwechslungsreich zeigt, ist in der That um so staunenerregender, als die Musikstücke dieser Gattung bei ihm, nach den Worten seines Biographen Pohl, zu Tausenden zählen.

Wie nach Seiten des Formellen und Ideellen, gab Haydn auch nach Seiten des Colorits, des Instrumentalen der Symphonie eine neue Gestalt. Nicht wie bisher nach vocalen Gesetzen, sondern ihrem eigenthümlichen Wesen und Klangvermögen gemäß verwendet er die Instrumente. Schon Sebastian Bach zwar hatte die eigenartige Farbe einzelner derselben, wie der Oboe, der Trompete, des Violoncellos, der Geige, namentlich für Ausschmückung seiner Arien und Chöre mannigfach zu benutzen gewußt; für Mehrung und charakteristische Verwerthung der orchestralen Kräfte zu dramatischen Zwecken hatte auch Gluck gewirkt: die Anordnung und Verwendung der Instrumente je nach ihrer besonderen Technik und Eigenthümlichkeit im Gesammtorchester, die Gliederung dieses Letzteren zu einem lebendigen Organismus war jedoch erst Haydn's Werk. Allmälig nur konnte sich dieselbe auch unter seiner Hand herausbilden. Nach und nach erst erweiterten sich die bescheidenen Mittel der ihm zu Gebote stehenden Capelle, und zu den doppelt besetzten Violinen, dem Hörner- und Oboenpaar, mit dem er sich zunächst bescheiden mußte, gesellten sich[288] dann Flöten, Fagotte, Clarinetten, Trompeten und Pauken. Ein in Holz- und Messinginstrumente getheilter Bläserchor tritt nun dem Mittelpunkt des Orchesterkörpers, dem Streicherchor, gegenüber, und auch die Schlaginstrumente, die Pauken, greifen munter ein.

So gestaltete Haydn mit den neuen Instrumentalformen auch den neuen Instrumentalstil. Mit seiner ersten Symphonie that er freilich erst den ersten Schritt dazu. Aber schon dieser ist als Fortschritt über das von ihm Vorgefundene hinaus bezeichnend. Klar und sicher in ihrer Anlage, von anregender melodischer Erfindung, voll Maß und Symmetrie weist sie in ihrer knappen Fassung und geflügelten Leichtigkeit schon auf die Meisternähe Haydn's hin.

Auch eine Reihe Divertimenti für fünf bis neun Instrumente schrieb Haydn für Morzin. Im Uebrigen fällt in die Zeit seiner ersten Capellmeisterthätigkeit nur noch ein Ereigniß von Wichtigkeit für ihn – er verheiratete sich. Zwei Schwestern waren, als Haydn im Herbst 1760 für den Winter wieder nach Wien zu rückkehrte und daselbst Unterricht ertheilte, seine Schülerinnen geworden: die Töchter eines Perückenmachers Keller, der ihn früher öfters unterstützt hatte. Für die jüngere faßte er eine lebhafte Neigung und bot ihr seine Hand, obgleich er sich, wie alle vom Grafen Morzin angestellten Musiker, hatte verpflichten müssen, so lange er in seinem Dienste stehe, unverheiratet zu bleiben. Doch die Geliebte verschloß sich seinen Wünschen. Sie trat in's Kloster zu den Nicolaierinnen und nahm den Schleier. Dem Vater, der an dem soliden Künstler Wohlgefallen fand, kam das ungelegen genug. Er wollte sich den erwünschten Schwiegersohn nicht entgehen lassen und überredete Haydn, die ältere Schwester zur Frau zu nehmen. Das dankbare Herz des Letzteren mochte ihn[289] den Wünschen des Alten geneigt machen, kurz am 26. November 1760 ward die 31 jährige Maria Anna Keller dem 28 jährigen Musiker zu St. Stephan angetraut. Er hatte sich mit ihr eine schlimme Gefährtin gewonnen, die das Glück von seinem Hause fern hielt. »Ein unverträgliches, zanksüchtiges, herzloses, verschwenderisches und bigottes Weib, eine keifende Xantippe«, nennt sie Pohl, sein Biograph, indem er hinzufügt: »Nur ein Charakter wie der seinige vermochte das traurige Los einer solchen, obendrein kinderlosen Ehe zu ertragen.« Und Griesinger erzählt, daß »Haydn seiner Frau sorgfältig seine Einkünfte verbergen mußte, weil sie den Auf wand liebte, dabei bigott war, die Geistlichen fleißig zu Tische lud, viele Messen lesen ließ und zu milden Beiträgen bereitwilliger war, als es ihre Lage gestattete.« Als er sich aber einst bei Haydn erkundigte, wie eine von ihm erwiesene Gefälligkeit, für die er selbst nichts annehmen wollte, seiner Frau erstattet werden könnte, entgegnete der Meister: »Die verdient nichts, und ihr ist es gleichgültig, ob ihr Mann ein Schuster oder ein Künstler ist.« Gleichwol verschmähte sie nicht, die Kunst ihres Mannes in Anspruch zu nehmen, um sich den ihr befreundeten Geistlichen gefällig zu zeigen, und eben hieraus wol erklärt sich der Ursprung so vieler kleineren Kirchencompositionen Haydn's, die namentlich in österreichischen Klöstern verbreitet sind. Sein Bestes allerdings legte er nicht in derlei ihm abgedrungenen Arbeiten nieder; mit Tonstücken ziemlich leicht wiegenden Werthes fand er sich den frommen Wünschen der Gattin gegenüber ab. In boshafter Weise war sie beflissen, ihn zu ärgern. Seine Partituren verbrauchte sie, seinem eifrigen Einspruch zum Trotz, zu Papilloten, Pasteten-Unterlagen und dergleichen, und manches Manuscript mag der barbarischen Laune des bösen Weibes zum[290] Opfer gefallen sein. »Quella bestia infernale« nennt er sie in einem 1792 von London aus geschriebenen Briefe und erzählt, daß er sie nur durch die Drohung, nicht wieder nach Hause zu kommen, zur Vernunft gebracht habe. Ja, noch im Jahre 1805, nachdem ihr endlicher Tod ihm die schmerzlich ersehnte Ruhe gebracht, zeigte er dem Geiger Baillot ihr Bild mit den Worten: »Das ist meine Frau; sie hat mich oft in Wuth gebracht!« Am Ende hatte er die grausame Qual nicht länger ertragen. Ihre letzten Lebensjahre lebte sie von ihm getrennt in Baden, wo er sie einem befreundeten Schullehrer in Pflege gegeben. Dort starb sie im März des Jahres 1800. Schwer fürwahr mochte die Harmonie, der Seelenfrieden, dessen wir uns in Haydn's Werken freuen, errungen sein!

Ob dem Grafen Morzin inzwischen die Heirat seines Musikdirectors bekannt wurde oder verheimlicht blieb, wir wissen es nicht. Von dieser Seite wenigstens aber blieben ihm die verhängnißvollen Folgen seines Schrittes erspart. Dafür trat eine andere unvorhergesehene Wendung ein. Zerrüttete Vermögensverhältnisse zwangen den Grafen zur Auflösung seiner Capelle. Auch Haydn ward verabschiedet. Eine glückliche Fügung jedoch wollte es, daß der regierende Fürst Esterhazy kurz zuvor, gelegentlich eines Besuches bei Morzin, Compositionen seines Musikdirectors gehört und an ihnen besonderen Geschmack gefunden hatte. Er erkannte in ihm, dessen Name bereits in weitere Kreise drang, eine geeignete Kraft für seine eigene Capelle und fesselte ihn noch im Jahre 1761 als zweiten Capellmeister an sein Haus, dem er fortan bis an sein Lebensende in treuem Dienste angehören sollte.

Eisenstadt in Ungarn, die unsern Oedenburg und der österreichischen Grenze gelegene Residenz der Fürsten[291] Esterhazy, ward nun zunächst der ausschließliche, weiterhin wenigstens zeitweise Aufenthalt Haydn's. Eifrige Musikliebe war im fürstlichen Hause heimisch und erblich; auch der regierende Fürst Paul Anton spielte selbst mehrere Instrumente. Der Stand der Haydn's Leitung unterstellten Capelle war gleichwol, als er dieselbe übernahm, keineswegs bedeutend. Drei Violinisten, ein Cellist und Contrabassist, einige von der Feldmusik zur Verfügung stehende Bläser und ein aus zwei Sopranen, einem Alt, zwei Tenoren und einem Baß bestehender Kirchenchor: das waren die bescheidenen Kräfte, die dem neuen Capellmeister zu Gebote standen. Doch wurden sie gleich nach seinem Antritt durch eine Anzahl neuer Bläser und Geiger ergänzt; auch hatten, nach Sitte damaliger Zeit, Beamten oder Diener, die zu singen oder ein Instrument zu spielen verstanden, bei den Aufführungen mitzuwirken. Als Vicecapellmeister wurde Haydn zuvörderst erst angestellt, da der bisherige Orchesterführer Gregorius Werner, obwol er, – wie die für Haydn am 1. Mai 1761 ausgefertigte »Convention und Verhaltungsnorma« sagt – »hohen Alters und Kränklichkeit halber nicht wol im Stande ist, seiner Pflicht gehörig nachzukommen, er dennoch in Ansehung seiner langjährigen, treu und emsig geleisteten Dienste als Ober-Capellmeister verbleibt.« Betreffs der Kirchenmusik war Haydn ihm subordinirt; die Leitung aller übrigen Aufführungen dagegen lag ihm selbständig ob. Nicht allein für die künstlerischen Leistungen, auch für das sittliche und ordnungsgemäße Verhalten seiner Musiker wird er verantwortlich gemacht. Er soll, laut der »Verhaltungsnorma«, nicht weniger als Dirigent, Componist, Instrumentalist, Lehrer, Richter und Aufseher zugleich sein. Im Uebrigen aber erwartet man von dem »ehrliebenden Hausoffizier eines fürstlichen Hofstaates, daß er das[292] Orchester auf solchem Fuß und in so guter Ordnung erhalte, daß es ihm zur Ehre gereiche und er sich der ferneren fürstlichen Gnade würdig mache.«

Die Erfüllung dieser Erwartung blieb Haydn in Wahrheit nicht schuldig. Die Capelle sah unter ihm ihre glänzendsten Tage, und die von ihm für sie geschriebenen Compositionen begannen gar bald ihren Weltlauf. Befremdet und verstimmt sah der alte Capellmeister Werner den neuen Geist neben sich einziehen. Er, der Mann der orthodoxen alten contrapunktischen Schule, verstand das freie Wesen der neuen Kunst nicht, die jung und lebensfroh emporwuchs. Ein »Modehausl« und »G'sanglmacher« dünkte ihm der Meister, der neben ihm wirkend, einem ihm fremden Ideale folgte und frisch und freudig aus voller Brust heraussang. An allen Enden fühlte er sich ihm gegenüber zurückgesetzt und in seinem Ansehen vor der Capelle vollends geschädigt, als nach dem im März 1762 erfolgenden Tode des Fürsten Paul Anton dessen zur Regierung gelangender Bruder Nicolaus den Gehalt des Vicecapellmeisters dergestalt erhöhte, daß er – Haydn bezog 782 Gulden 30 Kreuzer – nahezu das Doppelte von dem des Obercapellmeisters betrug. Dazu noch den immer weiter um sich greifenden compositorischen Erfolg seines jungen Collegen, dessen Symphonien und Divertimenti, Trios und Quartette bereits in Druck und Abschrift von Leipzig und Paris, Amsterdam und London, den damaligen Hauptvertriebsplätzen für Musikalien, allüberall hin verbreitet wurden! Gern schloß der alte Mann endlich im März 1766 die müden Augen, die widerwillig dem ihm unverständlichen Musikwesen zugeschaut hatten, und überließ Haydn nun auch der Form nach die alleinige Herrschaft über die Capelle, die er in der That schon seit Jahren besessen hatte.

Erheblich hatten sich ohnehin des Letzteren Verpflichtungen[293] seit dem Regierungsantritt des Fürsten Nicolaus gemehrt. Dieser, ein echter österreichischer Cavalier, glänzend in seiner Erscheinung, vornehm in seinen Neigungen, voll Großmuth, Herzensgüte und Wohlwollen, ließ sich als leidenschaftlicher Musikfreund alsbald die wesentliche Erweiterung seiner Capelle angelegen sein. Größere Orchesteraufführungen, Kammermusik und dramatische Kunst sollten jetzt in den Kreis ihrer Wirksamkeit hereingezogen werden und in den Vordergrund treten. Wie sehr dieser Wunsch seines Gebieters Haydn's eigener Neigung, dem Orchester größere Aufgaben zu stellen, entgegenkam, darauf weist schon seine erste für Esterhazy 1761 geschriebene Symphonie in C-dur, »Le midi«, hin, die mit ihrer breiten fünfsätzigen Anlage und ihrem beredten, dramatisch gehaltenen Geigenrecitativ ihrer Zeit weit vorausgreift und schon an die Beethoven'sche Weise anklingt. Das Engagement des trefflichen Violinisten Tomasini mochte ihn zur Einführung einer Sologeige in seiner Symphonie veranlaßt haben, wie er auch den Eintritt zweier neuer Waldhornisten mit Composition eines Hornconcertes (D-dur, 1762) feierte. Die Symphonie »Le midi« erhielt dann noch in »Le matin« und »Le soir« ihre Gegenstücke; denn der Fürst hatte ihm die vier Tageszeiten zum Thema einer Composition gegeben. Ueberdem regte ihn der Verkehr mit den neu gewonnenen trefflichen Künstlern mannigfach an. Mit Tomasini, der ihm wie kein Anderer »seine Quartette zu Dank spielte« und für den er eins seiner Violinconcerte schrieb; desgleichen mit dem Cellisten Weigl und dessen Gattin, einer vorzüglichen Sängerin, deren Sohn Joseph – den späteren Hofcapellmeister und Componisten der »Schweizerfamilie« – er aus der Taufe hob, nicht minder mit dem Tenoristen Friberth trat er in nahen freundschaftlichen Verkehr. In Letzterem fand er nicht nur einen sehr[294] schätzenswerthen Sänger, sondern auch den Dichter mehrerer seiner Operntexte. Denn zum ersten Mal seit seinem »krummen Teufel« sah er sich wieder auf dramatische Aufgaben hingewiesen.

Im Glashause des Schloßgartens wurde eine Bühne aufgeschlagen, ein Theatermaler beschäftigt, und »welsche Komödianten« herbeigerufen. Für den nöthigen Musikbedarf mußte eben der Capellmeister sorgen. So entstanden die italienischen Singspiele: »La Marchesa Nepola«, »La vedova«, »Il dottore«, »Lo sganarello«, denen gelegentlich der Vermählung des jungen Fürsten Anton mit der Comtesse Erdödy 1762 das Schäferspiel »Acide e Galatea« folgte. Eine ganze Reihe welscher und deutscher Opern wurde im Laufe der Jahre von Haydn für das Theater des Fürsten, dem in dem neuerbauten prächtigen Schlosse Esterhaz am Neusiedler See eine eigene Stätte errichtet ward, geschrieben. »La canterina« (1766), »Lo speziale« (1768), »Le pescatrici« (1770), »Philemon und Baucis«, »L'infedeltà delusa«, »Hexenschabbes« (1773), »L'incontro improviso« (1775), »Il mondo della luna«, »Genoveva« (1777), »Dido« (1778), »La vera costanza«, »Der Aepfeldieb« (1779), »La fedeltà premiata«, »Der Götterrath« (1780), »Orlando paladino«, »Armida« (1784), »L'isola disabitata« (1785), »Die Feuersbrunst«, »L'infedeltà fedele« die als Marionettenopern, komische oder heroische Dramen bezeichnet werden, brachten Haydn vielfach mit der Bühne in Verbindung. Die Oper »La vera costanza« hatte er ursprünglich, einer Aufforderung zufolge, für das Wiener Hoftheater geschrieben. Als man ihm aber seitens der Regie das Recht der Stimmenvertheilung streitig machen wollte, erklärte er kurz und bündig: »Ich weiß was und für wen ich schrieb«, und wandte sich mit seiner Beschwerde an Kaiser Joseph.[295] Dieser gab ihm Recht, stieß jedoch bei seinen Vermittlungsversuchen auf derartigen Widerstand, daß der Componist schließlich lieber auf die Aufführung verzichten, als noch länger »gegen die Cabalen kämpfen« mochte und mit seiner Partitur nach seinem friedlichen Esterhaz zurückreiste. Ihm ward die Genugthuung, daß Kaiser Joseph daselbst ihrer ersten Aufführung beiwohnte. »Haydn hatte«, sagt Griesinger, »von seinen Opern im Ganzen eine gute Meinung. Er glaubte, daß er bei seinen guten Fundamenten im Gesang und in der Instrumentalbegleitung ein vorzüglicher Operncompositeur geworden wäre, wenn er das Glück gehabt hätte nach Italien zu kommen.« Uns darf es heute wol scheinen, als habe das Schicksal es gut mit ihm gemeint, wenn es ihn von der Laufbahn des Operncomponisten fern hielt. Sein Beruf und seine Größe lagen auf instrumentalem Gebiet. Gerade in dieser Richtung aber war seine Stellung bei Esterhazy seiner Entwickelung überaus günstig. Denn nur durch die lebendige Praxis konnte er dahin gelangen, Orchesterstil und -Formen neu zu organisiren. Er selber äußerte darum auch dankbar: »Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden; ich erhielt Beifall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen; ich war von der Welt abgesondert, Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen und so mußte ich original werden.« Ward ihm aber hin und wieder die Abgeschiedenheit fühlbar und richtete sich sein sehnsüchtiger Blick immer wieder nach dem fernen Süden, dem alten Ziel seiner Wünsche, so gebot ein Wort, ein ihm in zarter Weise ertheiltes Geschenk rasch seiner Sehnsucht Einhalt, und fester denn zuvor hielt er an seinem Herrn, mit dem ihn[296] das herzlichste Verhältniß verband und bei dem er, wie er in seiner Selbstbiographie sagt, »zu leben und zu sterben wünschte.«

An Beweisen seines Wohlwollens ließ es Fürst Nicolaus, der Haydn der sympathischste der vier Fürsten war, denen er nahezu ein halbes Jahrhundert lang seine Dienste widmete, nicht fehlen. Als das kleine Haus, das sein Capellmeister in Eisenstadt besaß, zweimal sammt allem Hausrath niederbrannte, ließ der Fürst es beide Male wieder neu aufbauen und einrichten. Ebenso erwies sich der Letztere bei den häufigen Geldverlegenheiten, die Haydn trotz seiner einfachen Lebensweise durch den verschwenderischen Sinn seiner Frau bereitet wurden, hülfreich. Als nach dem Tode von Haydn's Vater, dem ein zusammenstürzender Holzstoß mehrere Rippen zerbrach, Haydn seinen jüngsten Bruder Johann – die Mutter war ihm schon lange gestorben – zu sich nach Eisenstadt nahm, ließ ihn der Fürst trotz geringer Leistungen eine Anstellung im Kirchenchor finden. Wie sehr aber kam neben seiner Fürsorge auch seine anregende Theilnahme der Schaffenslust des Künstlers fort und fort zu Gute! So reihte sich eine Symphonie und Cassation an die andere. In den Jahren 1762–1766 entstanden etwa 30 Symphonien. Auch Divertimenti und Sonaten, Trios und Quartette und Kirchenstücke folgten sich in ungezählter Menge. Allein für das Baryton, ein jetzt längst außer Brauch gekommenes und durch das Violoncello verdrängtes Saiteninstrument, das der Fürst mit großer Vorliebe spielte, schrieb er nicht weniger als 175 Compositionen, die meist über den Werth bloßer Gelegenheitsmusik hinausgehen und ihm als Vorstudien zu größeren Werken dienten. Da der Fürst behauptete, daß man auf dem Baryton nur in einer Tonart spielen könne, machte Haydn sich in halbjährigen nächtlichen[297] Uebungen heimlich mit der schwierigen Technik des Instrumentes vertraut, um seinen Herrn eines Tages damit zu überraschen, daß er in mehreren Tonarten vor ihm spielte. Statt des erwarteten Lobes aber vernahm er nur die Worte: »Haydn, das muß Er besser wissen!« Und er verstand, wie er selber erzählte, den darin ausgesprochenen Vorwurf, daß er nicht als ausübender Virtuos, sondern als Capellmeister seinen Ruhm zu suchen habe und sich der während eines halben Jahres vernachlässigten Composition wieder zuwenden solle.

Er kannte, trotz aller Bescheidenheit und so weit er von Ehr- und Ruhmsucht entfernt war, seinen eigenen Werth und die Verantwortlichkeit seiner Begabung, die er, seinem frommen Gemüth gemäß, als ein von oben empfangenes Gut dankbar schätzte. Als einst sein Fürst, der Nachfolger jenes ersten Nicolaus, sich während einer Generalprobe wiederholten Tadel gestattete, erwiderte er im Vollgefühl seiner Capellmeister- und Künstlerwürde: »Fürstliche Durchlaucht! dies zu verstehen ist meine Sache!« Schmeichelei war ihm zuwider und wo sie ihm gegenüber laut wurde, wies er sie schroff zurück, so gütig und wohlwollend sonst sein Wesen war. »Man mag mir's ansehen, daß ich's mit Jedermann gut meine«, sagte er selber. Und in der That blickte ihm das gütevolle warme Herz sprechend genug aus den dunkelgrauen Augen. Schön hatte die Natur weder seine kurze, starkgebaute Gestalt noch seine Gesichtszüge gebildet. Die etwas herbe Energie der letzteren zwar milderte im Gespräch der Ausdruck der Augen und ein anmuthiges Lächeln. Die breite, edelgewölbte Stirn aber verdeckte die wunderlich tief, bis nahe an die Augenbraunen herab getragene Perücke, die der Meister sammt dem Zopf beharrlich und unverändert bis an sein Ende trug. Er selbst hielt sich für häßlich und äußerte noch in seinem[298] Alter, er begreife nicht, daß er in seinem Leben von manchem schönen Weibe geliebt worden sei. Doch blieb er für Frauenschönheit allezeit empfänglich und immer bereit, ihr auf seine Weise durch ein artiges Wort und dergl. zu huldigen. Seine eigene unglückselige Wahl ließ er dem weiblichen Geschlecht nicht entgelten. Der Muthwille seiner Jugend war längst einer ruhigen, bedächtigen Haltung gewichen. Laut lachen hörte man ihn nie; gleichwol liebte er es, dem Gespräche eine launige Wendung zu geben. Er hatte einen scharfen Blick für das Komische, und wie liebenswürdig gab sich der humoristische Zug seiner Natur im Leben wie im künstlerischen Schaffen kund! Ein redender Beweis dessen ist seine »Abschiedssymphonie«. Man erzählt meist als Anlaß derselben, Fürst Esterhazy habe seine Capelle entlassen wollen und sei nur durch diese musikalischhumoristische Bittschrift seines Capellmeisters zur Nichtausführung seines Entschlusses bewogen worden. Doch hatte es damit, laut unsern Gewährsmännern Griesinger und Dies, eine andere Bewandtniß. Seit 1766 hatte der Fürst seinen Hofhalt den Sommer über nach seinem neuen Schlosse Esterhaz verlegt, und sechs Monate hindurch mußten ihm die Capellmusiker dahin folgen, indeß ihre Frauen daheim in Eisenstadt zurückblieben. Die Trennung war den jungen Ehemännern unbequem; sie zählten Tage und Stunden bis zur Heimkehr. Der Fürst mochte das wissen und gab, wol um sich einen Scherz zu machen, den Befehl, diesmal den Aufenthalt um zwei Monate zu verlängern. Groß war nun die Verzweiflung der zärtlichen Musikanten und sie bestürmten ihren Capellmeister, Rath zu schaffen. Sie selber freilich waren völlig rath- und hülflos. Er aber, der immer Hülfbereite, wußte mit dem Instinct des Genies schnell Auskunft und sann sich eine originelle[299] musikalische Ueberraschung für Fürst Nicolaus aus. An einem der nächsten Abende bricht plötzlich mitten im Feuer einer leidenschaftlichen Musik eine Stimme ab; der Spieler legt die Noten still zusammen, löscht die Lichter am Pulte aus und geht davon. Bald darauf verstummt eine zweite Stimme und der Spieler entfernt sich. Eine dritte und vierte Stimme folgt; alle löschen die Lichter aus und nehmen die Instrumente mit sich fort. Dunkel und immer leerer wird es im Orchester. Der Fürst und alle Anwesenden schweigen verwundert. Endlich löscht auch der Vorletzte, Haydn selbst, die Lichter aus und verschwindet. Nur der erste Geiger bleibt. Absichtlich hatte Haydn ihn zurück behalten, weil der Fürst sein Spiel besonders liebte und so gleichsam gezwungen wurde, das Ende abzuwarten. Nun kam es zum Schlusse; die letzten Lichter verloschen, auch Tomasini ging. Der Fürst stand auf. »Wenn sie alle gehen, so müssen wir auch gehen«, meinte er. Zum Capellmeister aber, der sich mit den Musikern im Vorzimmer versammelt hatte, sagte er lächelnd: »Haydn, ich habe es verstanden; morgen können die Herren reisen.«

Bestimmte Ideen schwebten Haydn oft beim Schaffen vor und verlangten nach tonkünstlerischer Gestaltung. Er selbst erzählte Griesinger, daß er in seinen Symphonien öfters »moralische Charaktere« geschildert habe. In einer seiner ältesten sei »die Idee herrschend, wie Gott mit einem verstockten Sünder spricht, ihn bittet sich zu bessern, der Sünder aber in seinem Leichtsinn den Ermahnungen nicht Gehör giebt.« Am Clavier dichtete er immer seine Werke. »Ich setzte mich hin«, so hören wir ihn, »fing an zu phantasiren, je nachdem mein Gemüth traurig oder fröhlich, ernst oder tändelnd gestimmt war. Hatte ich eine Idee erhascht, so ging mein ganzes Bestreben dahin, sie den Regeln der Kunst gemäß auszuführen,[300] und zu souteniren. So suchte ich mir zu helfen, und das ist es, was so vielen unserer neuen Componisten fehlt; sie reihen ein Stückchen an das andere, sie brechen ab, wenn sie kaum angefangen haben: aber es bleibt auch nichts im Herzen sitzen, wenn man es angehört hat.« Er selbst schuf immer aus einem Guß. Correcturen finden sich in seinen rein und deutlich geschriebenen, seine natürliche Sauberkeit verrathenden Partituren selten; erst wenn er »seiner Sache gewiß« war, nahm er die Feder in die Hand. Dabei machte er sich die Arbeit nicht leicht. Gründliches Studium, gewissenhafte Selbstkritik gingen ihr voran, und wo er sich eine Freiheit gegen die Regel erlaubte, wußte er sehr wohl warum. Er war, wie er selbst sagt, »kein Geschwindschreiber und componirte immer mit Bedächtigkeit und Fleiß; solche Arbeiten sind aber auch für die Dauer, und einem Kenner verräth sich das sogleich aus der Partitur.« Daß er trotzdem eine solch unglaubliche Fülle von Werken schuf, dankte er dem unerschöpflichen Reichthum an Ideen, den er in sich trug, und der maßvoll-haushälterischen Art, in der er mit demselben schaltete. Er ist immer neu und wiederholt sich fast nie, aber er vergeudet auch nichts von seinem Schatze und weiß immer zur rechten Zeit das Ende zu finden.

Schon in einem Bericht der »Wiener Zeitung« vom Jahre 1766 hatte man Haydn den »Liebling seiner Nation« genannt und ihn den hervorragendsten derzeitigen Componisten der Kaiserstadt beigezählt. Die nächstfolgenden Jahrzehnte verbreiteten seinen Namen vollends weithin in alle Welt. Von allen Seiten kamen ihm Anträge von Verlegern zu, denen er seine Bedingungen vorschreiben durfte. Er hätte sich eines behaglichen Auskommens freuen können, hätte seine schlimme Frau ihn nicht immer schnell wieder um alles Erworbene gebracht.[301] Dennoch dachte er, um ihre Zukunft zu sichern, dem Wiener Pensionsverein für Tonkünstlerwittwen, der jetzt den Namen »Haydn« führt, beizutreten. Er hatte zu diesem Zweck das Oratorium »Il ritorno di Tobia« geschrieben und die vorgeschriebene Einzahlung geleistet. Als man ihm aber hinterdrein noch die Verpflichtung auferlegen wollte, auf beliebiges Verlangen der Gesellschaft bestimmte Compositionen zu liefern, widrigenfalls er »cassirt« werden könne, lehnte sich sein Künstlerstolz energisch gegen eine derartige Drohung auf. Seinen schon geleisteten Beitrag zurückfordernd, schrieb er: »Bester Freund, ich bin ein Mann von zu vieler Empfindung, als daß ich beständig der Gefahr sollte ausgesetzt sein, cassirt zu werden. Die freien Künste und die so schöne Wissenschaft der Composition dulden keine Handwerksfesseln. Frei muß das Gemüth und die Seele sein!« – Später, nachdem Haydn's englischer Aufenthalt mehr denn je zuvor die Welt mit seinem Ruhm erfüllte, erkannte die Gesellschaft eine Ehre darin, den Künstler aus eigenem Antrieb unter ihre Mitglieder aufzunehmen.

Für die Academia filarmonica in Modena, die ihn 1780 zu ihrem Mitglied ernannt hatte, schuf er seine »Isola disabitata.« Dem König von Preußen brachte er (1782) durch Widmung seiner sechs schönen Streichquartette op. 50, in denen er schon seine ganze Meisterschaft entfaltet, eine Huldigung dar und wurde dafür mit einem Brillantringe belohnt, den er mit besonderer Vorliebe trug.

Von einem Domherrn in Cadix erhielt er um das Jahr 1785 die Aufforderung, eine Instrumentalmusik über die sieben Worte des Erlösers am Kreuze zu setzen, die jedesmal, nachdem der Bischof von der Kanzel aus eins der betreffenden Worte gesprochen und erläutert hatte, während seines darauf folgenden stummen Gebetes[302] eintreten und gewissermaßen die letzte Deutung und musikalische Weihe hinzubringen sollte. So entstanden jene sieben Adagios, die wir als Quartette kennen und die er selbst zu seinen gelungensten Arbeiten zählte. Ein deutscher Text wurde ihnen erst viele Jahre später durch einen Passauer Domherrn untergelegt und das Werk dann (1801) als Oratorium veröffentlicht.

Später denn als Quartett- und Symphonie-Componist gelangte Haydn als Claviercomponist zur Entwickelung. Doch führten ihn auch hier Begabung und Fleiß zum rechten Ziele. War im Gegensatz zur alten contrapunktischen Behandlung mit Philipp Emanuel Bach ein durchsichtiger zweistimmiger Tonsatz aufgetreten, so band sich Haydn bei seinem Claviersatz an gar keine bestimmte Stimmenzahl. Dessen eigenster Natur gemäß, behandelte er das Instrument mehr accordisch; er bediente sich je nach der beabsichtigten Klangwirkung bald einer mehr, bald einer minder vollen Harmonie und bemächtigte sich, durch die Fortschritte im Pianofortebau hierbei vielfältig unterstützt, der sich ihm darbietenden Spiel- und Klangfülle des Claviers, damit zu einem neuen Stil gelangend. Nicht eine so glänzende Claviertechnik wie Mozart war ihm eigen, und mit dessen Concerten begehren sich die fünfzehn, welche Haydn hinterließ, nicht zu messen. Glanz- und Bravourstücke zu schaffen, wollte seiner schlichten Natur nicht recht gelingen. In seinen Sonaten und Trios aber schwingt er sich zuweilen über Mozart hinweg, um sich direct in die Nachbarschaft des größten Sonatendichters zu stellen, der freilich Haydn's bescheidenen Bau in mächtige Dimensionen übertrug und ihn, der bisher nur einen allgemeineren Inhalt in sich aufgenommen, zum Ausdruck tiefster Seelenerlebnisse machte. In der Cis-moll- und der As-dur den beiden C-dur-Sonaten (Nr. 16 und 29 der Härtel'schen Ausgabe), auch[303] den genialen F-moll-Variationen u. A. rührt sich schon etwas wie Beethoven'sches Leben. Da ist nichts, was, wie in den Concerten, die Spuren des Alters und des Ueberlebten trüge. Diese Sonaten prangen noch in jugendlicher Frische, die die Zeit ihnen nicht nehmen kann, da ihr Schöpfer einen besten Theil seines Selbst in ihnen niederlegte. Mag es sein, daß das klangreichere Wesen, die größeren Verhältnisse von Streichquartett und Orchester, deren Stil und Formen er zuerst festgestellt und organisirt hatte, seiner Individualität mehr als das sprödere Clavier entsprachen: auf jedem dieser Gebiete jedoch bewährte er seine sichere Meisterschaft. Neuschöpferisch, grundlegend, hat er sich hier wie dort unsterbliche Verdienste erworben.

In so bunter Fülle verbreiteten sich allmälig Haydn's Werke, daß sich Bedenken regten, ob auch Alles, was unter seinem Namen umlief, sich wirklich der Ehre seiner Autorschaft rühmen dürfe, wie er denn später auch Manches als ihm untergeschoben bezeichnete. In großer Anzahl wurden zumal seine Symphonien in Pariser Berliner, Wiener und anderen Ausgaben bekannt, unter, ihnen die erwähnte Abschiedssymphonie in Fis-moll (Paris, op. 24), die sechs für großes Orchester geschriebenen Symphonien mit der als »Roxelane« bezeichneten (Berlin, op. 18), die sich ganz besonderer Beliebtheit erfreuten, desgl. die drei mit der »Laudon«-Symphonie (Berlin, op. 20) und die Pariser Sechszahl (op. 51, Berlin op. 28), deren erster Trompeten, Hörner und Pauken ein für Haydn besonders glänzendes Klangcolorit geben. Immer sicherer hatte sich seine Orchestertechnik, Dank der lebendigen Praxis, zu der ihn seine Stellung in Eisenstadt und Esterhazy hinführte, entwickelt. Ueber die Mittel der einzelnen Instrumente hatte er sich allmälig eine absolute Herrschaft angeeignet – hatte er doch fast[304] für alle Instrumente auch Concerte, 28 an der Zahl, geschrieben – und mit genialer Hand wußte er sie, ihrem Charakter gemäß, allenthalben zu verwenden und zu verwerthen. Neben der fortwährenden praktischen Uebung gereichte ihm hierbei des jungen Mozart Vorbild zum wesentlichen Vortheil. Mit diesem, der ihn von Kindheit an durch seine Werke kannte und liebte und seit 1781 in Wien seinen Aufenthalt genommen hatte, brachte ihn seine öftere Anwesenheit in der Hauptstadt in Berührung. Wie aber Mozart, als er seinem »Papa« Haydn seine sechs Quartette widmete und ihn bat, ihnen »Vater, Führer und Freund« zu sein, es aussprach, daß er »erst von Haydn gelernt habe, wie man Quartette schreiben müsse«, so versäumte auch der ältere Meister nicht, von ihm, dem jüngeren, noch zu lernen. Dieser, der frühzeitig auf seinen Reisen zu Mannheim und München, Paris und London die ausgezeichnetsten Orchester kennen gelernt und studirt hatte, wurde bezüglich einer kühneren Instrumentation und selbständigeren Behandlung der Blasinstrumente namentlich für ihn von Einfluß. Er bringt es zugleich aber auch mit sich, daß mit der Vervollkommnung des Ausdruckes auch der Inhalt an Bedeutsamkeit gewinnt. So tauschten sie Beide als echte Künstler in neidloser Freundschaft ihre Reichthümer aus, Einer an des Anderen Größe zur eigensten vollen Meisterhöhe sich aufrichtend.

»Keiner kann Alles, schäkern und erschüttern, Lachen erregen und tiefste Rührung und Alles gleich gut als Joseph Haydn«, sagte Mozart, und wie Haydn wiederum von ihm dachte, dafür dient ein Brief als Zeuge, den er im December 1787 schrieb, als er nach Aufführung des »Don Juan« die Aufforderung, eine komische Oper für Prag zu schreiben, ablehnte. »Ich hätte«, heißt es darin, »noch viel zu wagen, indem der große Mozart[305] schwerlich jemanden andern zur Seite haben kann. Denn könnt' ich jedem Musikfreunde, besonders aber den Großen, die unnachahmlichen Arbeiten Mozart's so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde: so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen. Prag soll den theuern Mann festhalten – aber auch belohnen; denn ohne dieses ist die Geschichte großer Genien traurig, und giebt der Nachwelt wenig Aufmunterung zum ferneren Bestreben, weswegen leider so viel hoffnungsvolle Geister darnieder liegen. Mich zürnet es, daß dieser einzige Mozart noch nicht bei einem kaiserlichen oder königlichen Hofe engagirt ist! Verzeihen Sie, wenn ich aus dem Geleise komme: ich habe den Mann zu lieb.«

Drei Jahrzehnte nahezu waren dahingegangen, seit Haydn in Eisenstadt eingezogen war. Der Ruf der durch ihn zu hoher Blüte gebrachten Capelle war weit über die Grenzen der Monarchie gedrungen, Künstler und Große strömten herbei, um die gepriesenen Leistungen mit eigenen Ohren zu hören. Auch Haydn's schöpferische Thaten hatten in weitesten Kreisen nicht allein Eingang, sondern auch Nachahmung gefunden, und die erhöhte Pflege der Instrumentalmusik in Familie und Haus, wie ein förmlicher Umschwung des öffentlichen Concertlebens war ihr bedeutungsreiches Ergebniß. Auf die Dauer indeß ward es dem großen Meister innerhalb der Verhältnisse des kleinen Fürstenhofes doch zu eng: es verlangte ihn, an der Entwicklung des Kunstlebens draußen Antheil zu nehmen. Gleichwol sah er sich, da der Fürst das Wiener Leben nicht liebte und sich ebenso wenig von sei nem Capellmeister trennen wollte, immer ausschließlicher an die ländliche Stille gebannt; hatte er doch seinem Herrn bis an's Ende treu zu dienen[306] gelobt. Umsonst sehnte er sich nach Freiheit. Fester denn je fand er sich an ihn gebunden, als er nach dem im Februar 1790 erfolgenden Tode der Fürstin in tiefe Schwermuth versank: Haydn's Kunst ward ihm jetzt erst völlig unentbehrlich. Doch nicht lang überlebte der greise Fürst den Verlust der Gattin: schon am 28. September folgte er ihr in die Ewigkeit nach. Seinem treuen Capellmeister hatte er in seinem Testament eine lebenslängliche Pension von jährlich tausend Gulden ausgesetzt. Sein Sohn, Fürst Paul Anton, entließ zwar die Capelle, erhöhte aber Haydn's Pension noch um 400 Gulden (zu denen sein Nachfolger später noch weitere 600 fügte) und legte ihm nur die Verpflichtung auf, seinen Titel als Esterhazh'scher Capellmeister fortzuführen. Jetzt war Haydn frei. Er siedelte, einen ihm von anderer Seite zugehenden Antrag in Rücksicht auf Esterhazy ablehnend, nach Wien über.

Kaum ist er dort, als durch Salomon, einen deutschen, in England ansässigen Violinisten und Concertunternehmer, die Einladung zu einer Reise nach London an ihn ergeht. Sein Alter, seine Unerfahrenheit im Reisen, die Unkenntniß der fremden Sprache machen ihn bedenklich; doch Salomon weiß seinen Einwänden zu begegnen. Im Hinblick auf die engen Verhältnisse, in denen er zeitlebens gelebt, erscheinen ihm auch die Einkünfte, die der Londoner Vermittler ihm verheißt, eine Summe von mindestens 5000 Gulden, verlockend genug. Er schlägt, da auch sein Fürst die Zustimmung nicht versagt, am Ende ein; trotz allen Abrathens Anderer und der Bedenken Mozart's, daß er zu alt sei und namentlich zu wenig Sprachen rede. »Ich bin noch munter und bei guten Kräften, und meine Sprache versteht man durch die ganze Welt«, lautet die ruhig sichere Entscheidung des 58 jährigen Meisters. So nimmt er Abschied von[307] dem jungen Freund, den trübe Todesahnungen überkommen, verkauft sein Haus in Eisenstadt und begiebt sich am 15. December 1790 wohlgemuth auf die Reise.

In Bonn schon läßt ihn der Kurfürst Maximilian Franz von Cöln, Kaiser Joseph's jüngster Bruder, auf der Durchreise durch Aufführung einer seiner Messen feiern. Freudige Bewegung erregt seine Ankunft in London. Seine sonnige Musik hatte ja auch in dem ernsten, nebelverhangenen England längst eine Heimat gefunden. »Bei einem Concert, das er auf Einladung besucht, wird er mit Jubel durch den Saal zum Orchester geführt und, wie er seiner musikalischen Freundin, Frau von Genzinger in Wien schreibt13, allda angeäffet und mit einer Menge englischer Complimenten bewundert.« Musiker und Musikfreunde drängten sich allerwärts in seine Nähe, und Burney, der bekannte Musikschriftsteller, feierte ihn öffentlich mit einem Gedicht. Vergebens suchten die Unternehmer der aristokratischen »Professional concerts«, da sie den ruhmgekrönten deutschen Künstler nicht für sich gewinnen konnten, gegen ihn und Salomon zu intriguiren. Schon das erste Concert verlief mit glänzendem Erfolge, der sich bei den nächsten nur noch steigerte. »Nie vielleicht hatten wir einen reicheren musikalischen Genuß«, heißt es im »Morning chronicle«. Eine italienische Oper »Orfeo ed Euridice«, die Haydn im Auftrag für London geschrieben und nahezu vollendet hatte, kam allerdings nicht zur Aufführung, da der König seine Erlaubniß zur Eröffnung des neuen Theaters, für welches dieselbe bestimmt war und dessen Bau man ohne Zustimmung der Regierung unternommen hatte, verweigerte. Da Haydn indeß durch Deponirung der ausbedungenen 5000 Gulden[308] von vornherein gesichert war, erwuchs ihm mindestens aus dem unerwarteten Zwischenfall kein pecuniärer Verlust. Er kehrte vielmehr, nachdem er, den Sommer über auf dem Lande verweilend, noch eine zweite Saison hindurch mit gleich glücklichen Resultaten, trotz der gefürchteten Rivalität Pleyel's, in London thätig gewesen war, im Juli 1792 mit einem Reinertrag von 12000 Gulden nach Wien zurück. Neue mächtige Anregungen, wie er sie auch namentlich der von ihm miterlebten großen Händel-Feier in der Westminster-Abtei dankte, und ein durch die großartigeren Verhältnisse ihm erschlossener erweiterter Gesichtskreis waren zum Anderen der Gewinn, den er mit sich heimbrachte.

Mit Verleihung einer seltenen Auszeichnung auch hatte England seiner Verehrung für den deutschen Meister genug gethan: die Universität Oxford hatte ihn zum Doctor der Musik ernannt. Mit dem Doctorgewand, einem schwarzseidenen Mantel mit viereckiger Quastenmütze, bekleidet, von allen Seiten bei dem der Feierlichkeit folgenden Concert stürmisch begrüßt, rief er, den Saum seines Mantels emporhaltend, ein lautes »I thank you« aus, dem allgemeiner Beifall antwortete. Zum Lohn für die wenigen Worte machte man ihm galant das Compliment, daß er ein vortreffliches Englisch spreche. Zu all dem Ruhm und materiellen Gewinn, den Ehren und Auszeichnungen, die er sich in England erworben, aber gesellte sich noch Eines: die Liebe einer Frau, die – ihr Name war Mistreß Schröter – laut ihrem eigenen Ausspruch, »das Glück seiner Bekanntschaft als eine der höchsten Segnungen ihres Lebens betrachtete.« »Mein Herz war und ist voll Zärtlichkeit für Sie, doch keine Sprache vermag nur halbwegs die Liebe und Zuneigung auszudrücken, die ich für Sie fühle. Mit jedem Tage meines Lebens sind Sie mir theurer.« So lesen[309] wir in einem ihrer, uns durch Pohl14 bekannt gewordenen Briefe, die der Meister bei seinen kostbarsten Kleinodien aufbewahrte, und an anderer Stelle: »In Wahrheit, mein Theuerster, keine Zunge vermag den Dank auszudrücken, den ich für den unbegrenzten Genuß empfinde, welchen Ihre Musik mir verschafft.« Freilich sie, die ihm mit »unverbrüchlichster Anhänglichkeit« ergeben war, zählte bereits, gleich Haydn selber, sechzig Jahre; aber sie war, nach seinem Geständniß, »noch eine schöne und liebenswürdige Frau, die er, wäre er ledig gewesen, sehr leicht geheiratet hätte.« Welch lästige Fessel er indessen trug, daran erinnerte ihn gerade in England ein Brief seiner Frau, darin sie ihn um 2000 Gulden zum Ankauf eines kleinen Hauses anging, das sie als »Wittwensitz« zu bewohnen gedachte. Haydn sandte ihr die verlangte Summe nicht. Als ihm aber nach seiner Heimkehr nach Wien das in der Vorstadt Gumpendorf gelegene Häuschen in seiner »einsam stillen Lage« gefiel, kaufte er es und ließ es später durch ein zweites Stockwerk ausbauen. Es wurde die Ruhestätte seines Alters, in deren Frieden er seine Frau fast um ein Jahrzehnt überlebte.

Seinen Liebling Mozart fand Haydn, als er Wien wiedersah, nicht mehr unter den Lebenden. »Die Nachwelt bekommt nicht in hundert Jahren wieder so ein Talent«, klagte er – und doch ward eben jetzt ein noch höher und gewaltiger gearteter Genius ihm selber zum Schüler bestellt: der 22jährige Beethoven ward vom Kurfürsten von Cöln nach Wien gesandt, um seines Unterrichtes theilhaftig zu werden. Doch die Beiden verstanden einander nicht recht. Haydn strebte den kühnen Geist seines Jüngers, der sich schon im dritten Trio seines [310] op. 1 erkennbar Bahn brach, in zahmere Pfade zu leiten, und Beethoven mißtraute im stürmischen Drang seines Genies dem alten Mann, der selber ein Neuerer gewesen war, und dem seine jungen Thaten doch nun bedenklich und revolutionär schienen. So trennten sich bald ihre Wege – Haydn ging im Januar 1794 zum andern Male nach England, und sein großer Schüler, den er erst mit sich zu nehmen gedachte, wählte sich einen anderen Führer. Diesmal hatte Haydn in London keine neidischen Angriffe zu erdulden, keine Rivalität zu bestehen. Nichts verkürzte und schmälerte seine Triumphe. Wie einst Händel, nach dessen Hingang seine Tonmuse die ersten nachhaltigen Erfolge in England errang, verkehrte er viel bei Hofe und in der Aristokratie. Selbst dauernd hätte man ihn gern an das Inselreich gefesselt, und König und Königin selber versuchten an ihm ihre Ueberredungskünste. Der Oesterreicher aber wollte seine liebe Heimat nicht verlassen; aus dem lärmenden Getriebe der Weltstadt zog es ihn nach seinem stillen Haus in Wien zurück. Nachdem er sich soviel erworben, um das Alter ohne Sorgen herankommen zu sehen, sagte er England Lebewohl.

Den goldenen Früchten, die ihm ein mehr als anderthalbjähriger Aufenthalt daselbst eingebracht hatte, entsprach die künstlerische Ausbeute. Zwölf Symphonien, eine concertante Symphonie, sechs Quartette, zehn Sonaten, 154 schottische Lieder, den Chor: »Der Sturm« und zahlreiche Gesänge, Tänze, Märsche und dergl. hat er außer der Oper »Orfeo« in England geschaffen. Seine bedeutendsten symphonischen Thaten sind darin inbegriffen. Diese Londoner Symphonien – unter ihnen die besonders beliebten mit dem »Pauckenschlag« (in England »the surprise« genannt), mit dem »Paukenwirbel« und die »Militairsymphonie« – bezeichnen[311] in ihrem größeren, vertiefteren Charakter den Gipfel seines instrumentalen Meisterthums. Auch in Quartett und Sonate, hinsichtlich Letzterer wol Clementi's Behandlung der Claviertechnik anregend für ihn wurde, holte sich Haydn's Genius in England die letzten musikalischen Weihen. Und gleicherweise empfing er den Impuls zu Composition eines Oratoriums, der dort seit Händel beliebtesten und volksthümlichsten Musikgattung, in dem Lande, das zwar nicht seinen ihm schon längst zuerkannten Ruhm erst begründet, wol aber ihn freigebiger als ein anderes mit Lorbeeren gekrönt und seine Triumphe noch klangvoller und weltkundiger denn zuvor gemacht hatte.

Ein englisches Gedicht, »Die Schöpfung« von Lindley, war Haydn als geeigneter Text von Salomon übergeben worden. Da er jedoch der Sprache nicht genügend mächtig war, übernahm der ihm bekannte kaiserliche Bibliotheksdirector Baron van Swieten Uebersetzung und Bearbeitung. Als Secretair einer Adelsgesellschaft, welche – die klangreichen Namen Schwarzenberg, Liechtenstein, Esterhazy, Lobkowitz, Auersperg, Kinsky, Lichnowsky, Trautmannsdorf, Apponyi, Erdödy, Czernin, Harrach etc. an der Spitze – in dem schönen Saal der Hofbibliothek alljährlich größere Musikaufführungen veranstaltete, zeigte er dafür besonderes Interesse. Auf seine Anregung auch vereinbarte die Gesellschaft mit dem Meister die Composition des Textes für ein Honorar von 500 Ducaten. Mit ungeheurem Beifall ward das neue Oratorium zuerst im fürstlich Schwarzenberg'schen Palais und sodann, am 19. März 1799 im Burgtheater zur Aufführung gebracht. An Popularität fand es unter allen oratorischen Werken nicht seines Gleichen. Haydn hatte auf dem Gebiet der Vocalmusik, mit Ausnahme seiner sehr beliebten schottischen Lieder[312] und vor allem des 1797 componirten Kaiserliedes (»Gott erhalte Franz den Kaiser«), der schönsten aller Volkshymnen, bisher wenig Erfolg gehabt. Weder in seinen Opern, in denen er die landläufigen Wege wandelt, noch in seinen Messen und anderen Kirchenstücken hatte er Hervorragendes, Eigenthümliches geboten. Der eigentliche Kirchenstil blieb ihm fremd. Seine nicht sonderlich tief angelegte Natur gehörte ganz und voll dem Leben an, und wenn seine Frömmigkeit auch sicher eine wahre und aufrichtige war, eine wirklich selbstschöpferische war sie nicht. Er war ein guter Katholik, der seiner Kirche in Treue anhing, und das »In nomine Domini«, womit er keine seiner Arbeiten zu beginnen versäumte, kam ihm ohne Frage aus innerstem Gemüthe; doch im wahrhaft kirchlichen Geiste zu schaffen war ihm nicht gegeben. »Ich weiß es nicht anders zu machen«, erwiderte er auf den Vorwurf, daß seine Kirchenmusik des rechten Ernstes entbehre; »wie ich's habe, so gebe ich's. Wenn ich an Gott denke, ist mein Herz so voll Freude, daß mir die Noten wie von der Spule laufen. Und da mir Gott ein fröhlich Herz gegeben hat, so wird er mir's schon verzeihen, wenn ich ihm fröhlich diene.«

Solch naiver heiterer Gott- und Weltanschauung bot besser als jeder religiöse Text die musikalische Darstellung der »Schöpfung« Genüge. Mit ganzer Seele war Haydn bei seinem Werke: »Ich war nie so fromm«, sagt er, »als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete. Täglich fiel ich auf meine Knie nieder und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte.« Es ist weit entfernt von der Erhabenheit und hehren Größe der Händel'schen Oratorien, ohne die es doch nimmer entstanden wäre und an deren Vorgängerschaft mancher breiter ausgeführter Chorsatz gemahnt. Statt des dramatischen[313] Pathos hält es einen rein lyrischen Charakter fest. Dabei tritt ein naturmalerisches Element in den Vordergrund, dessen Darstellungsmaterial Haydn selbst durch Mehrung und Ausbeutung des Instrumentalvermögens erst gewonnen hatte, und das in der echt künstlerischen Weise seiner Behandlung wol alle ästhetischen Bedenken dagegen beschwichtigen kann. Lebendiger, das ist gewiß, konnte des Tondichters Individualität in all ihrer Unschuld und Natürlichkeit, ihrer heiteren Innigkeit nirgend zum Ausdruck kommen als in diesem Werke. Und er ließ ihm bald ein anderes, verwandter Natur folgen, das wiederum im Auftrag der Adelsgesellschaft und unter Betheiligung van Swieten's (als Textbearbeiter eines Gedichtes von Thomson) entstand. Im Schwarzenberg'schen Palais hörte man am 24. April 1801 »Die Jahreszeiten« zum ersten Male und mit einem Erfolg, der in Kürze zwei Wiederholungen nach sich zog. Haydn selbst stellte die »Schöpfung« über dies zweite Werk, das sie auch zumal in textlicher Beziehung hinter sich zurück läßt. Des Tondichters eigenstes Gepräge trägt es aber nicht minder; die Poesie der Natur, das Leben und Weben in Wald und Flur, das Haydn in ländlicher Stille so oft belauscht hatte, klingen darin aus; denn lieber das Außen- als das Innenleben spiegelt er in Tönen wieder. Mehr als andere seiner Werke haben »Schöpfung« und »Jahreszeiten«, die von Wien aus über Paris und London ihren Rundlauf durch die Welt begannen, ihren Meister populär gemacht und seinen Wohlstand befestigt. Hören wir noch heute eines oder das andere, so gemahnen sie uns wie ein verlorenes Friedensparadies, dessen selige Leidenschaftslosigkeit weit, weit hinter uns zurückliegt Licht und Sonnenschein im Gemüthe verbreiten ist ihr gesegneter Beruf, und in herrlicher Weise erfüllt hat sich, was einst ihr Urheber[314] in Bezug auf die »Schöpfung« in einem Briefe (1802) ausgesprochen: »Oft wenn ich mit Hindernissen aller Art rang, wenn oft die Kräfte sanken und mir es schwer ward, in der angetretenen Laufbahn zu verharren, flüsterte mir ein geheimes Gefühl zu: es giebt hienieden so wenige der frohen und zufriedenen Menschen, überall verfolgt sie Kummer und Sorge; vielleicht wird deine Arbeit bisweilen eine Quelle, aus welcher der Sorgenvolle auf einige Augenblicke seine Erholung schöpft.«

Manches noch schuf er. Das Kaiserquartett, op. 76, mit den Variationen über das Kaiserlied – das beliebteste und verbreitetste seiner Quartette – u. A. zeitigte noch sein Lebensabend. Das Letzte, was er vollendete, waren die zwei Quartettsätze, die als 82. Quartett (es war vielmehr das 83.), oder auch als op. 103 veröffentlicht worden sind. Zum Abschluß des Ganzen gebrach ihm die Kraft. Drei Jahre lang – von 1803 bis 1806 – ließ er es, auf die Gunst einer besseren Stunde hoffend, liegen. Aber er vermochte seine Gedanken nicht mehr zu sammeln. So gab er am Ende das Bruchstück, über dessen Andante schon die Weihe des Abschieds liegt, in Druck und fügte, an Stelle des fehlenden Allegro, den Anfang eines seiner »Drei-und vierstimmigen Gesänge« hinzu, den er auch als Visitenkarte stechen ließ: »Hin ist alle meine Kraft, alt und schwach bin ich.« »Es ist mein letztes Kind«, sagte er; »aber es sieht mir doch noch ähnlich.« Und in Bezug auf seine Werke im Allgemeinen meinte er bescheiden: »Sunt mala mixta bonis«, es sind wohl und übel gerathene Kinder; aber er glaubte doch »seine Schuldigkeit gethan zu haben« und hoffte, »daß er nicht ganz sterben werde.« Gern hätte er noch weiter gearbeitet. »Sein Fach sei grenzenlos«, äußerte er an seinem 74. Geburtstag zu Griesinger. »Das, was in der Musik noch geschehen[315] könne, sei weit größer als das, was darin geschehen sei; ihm schwebten öfters Ideen vor, wodurch seine Kunst noch viel weiter gebracht werden könnte, aber seine physischen Kräfte erlaubten es ihm nicht mehr, an die Ausführung zu schreiten.« Auch zu Kalkbrenner sprach er aus, wie traurig es sei, daß der Mensch stets sterben müsse, ohne erreichen zu können, was er erstrebe.

Der Welt aber hatte er genug gethan. Huldigungen über Huldigungen trug namentlich die »Schöpfung« dem greisen Tonsetzer ein. Das Pariser Conservatoire, das Institut de France und zahlreiche musikalische Gesellschaften des In- und Auslandes ernannten ihn zu ihrem Mitglied und ließen als Zeichen ihrer Verehrung Medaillen auf ihn prägen. Auch Wien blieb nicht zurück. Nachdem ihm 1803 für Aufführung seiner Werke zu Gunsten des Bürgerspitals die große goldene Medaille verliehen worden war, auf die er besonderen Werth legte, ertheilte man ihm im darauffolgenden Jahre auch das Ehrenbürgerrecht.

Einen höchsten Ehrentag noch feierte er am 27. März 1808 bei einer im Universitätssaal stattfindenden großen Aufführung der »Schöpfung«. Unter Trompeten- und Paukenschall ward er auf einem Lehnstuhl in die Mitte des Saals vor das Orchester getragen. Da hörte er, an der Seite der Fürstin Esterhazy sitzend, von Freunden, Künstlern und Vornehmen umringt, sein liebstes Werk zum letzten Male. Ein deutsches und ein italienisches Huldigungsgedicht wurden ihm überreicht und unter die Anwesenden vertheilt. Salieri dirigirte, und »nie«, sagt Carpani, »wurde die ›Schöpfung‹ mit mehr Leben aufgeführt und mit größerer Begeisterung gehört.« Bei der berühmten Stelle: »Es ward Licht« brachen die Zuhörer wie gewöhnlich in lauten Beifall aus. Haydn machte eine Bewegung mit den Händen gen Himmel und[316] sagte: »Es kommt von dort!« Rührung überwältigte ihn, er mußte sich nach Schluß des ersten Theils wegtragen lassen. Die Hände dankend und segnend ausgebreitet, schied er.

Körper- und Geisteskräfte schwanden ihm mehr und mehr. Sich auf sein Ende vorbereitend, hatte er bereits 1806 sein Testament gemacht und darin Niemand aus der Heimat oder seiner gegenwärtigen Umgebung vergessen, so Viele ihrer waren. Seinen treuen Diener Elßler, den Vater der gefeierten Tänzerinnen, der ihn sorglichst pflegte und ihm endlich auch die Augen zudrücken sollte, hatte er mit 6000 Gulden bedacht.

Schwere Sorgen bereitete ihm bei seiner innigen Anhänglichkeit an Kaiser und Vaterland noch in seinem letzten Lebensjahre 1809 der Krieg, den Oesterreich mit Frankreich führte. »Der unglückliche Krieg drückt mich noch ganz zu Boden«, wiederholte er oft mit thränendem Auge. Am Morgen des 10. Mai war man eben beschäftigt, ihn anzukleiden, als Kanonenschüsse das Anrücken eines französischen Armeecorps vor der seiner Wohnung nahe gelegenen Mariahilfer Linie ankündigten. »Kinder, fürchtet euch nicht, wo Haydn ist, kann euch kein Unglück treffen!« rief er mit lauter Stimme seinen bestürzten Leuten zu. Aber dem schwachen Körper konnte sein Wille nicht mehr gebieten: er verfiel in Convulsionen. Von dieser Stunde an nahm seine physische Schwäche zu; dennoch spielte er täglich sein Kaiserlied, ja am 26. Mai sogar dreimal hinter einander, mit einem Ausdruck, »über den er sich selbst wunderte.« Am Abend desselben Tages klagte er über Kopfschmerzen und Frost. Die herbeigerufenen Aerzte konnten keine Hülfe mehr bringen. In einem Zustand schmerzloser Betäubung war er am 31. Mai 1809 in der Frühe gegen ein Uhr sanft entschlummert.[317]

Die Unruhen des Kriegs verhinderten eine allgemeinere Theilnahme an seiner Leichenfeier; doch kündigten die französischen Behörden in ehrenvollster Weise den Tod des großen Meisters in der »Wiener Zeitung« an, und bei der Feier, die am 15. Juni zu seinem Gedächtniß in der Schottenkirche, unter Aufführung von Mozart's Requiem abgehalten wurde, betheiligte sich auch die französische Generalität sammt den angesehensten Künstlern und Bewohnern Wiens. Haydn's irdische Reste bettete man zunächst im Gottesacker vor der Hundsthurmer Linie zur Ruhe. Elf Jahre später, am 6. November 1820 wurden sie nach Eisenstadt übergeführt. Der Denkstein, der seit 1814 seine Grabstätte bezeichnet, trägt außer seinem Namen, Geburts- und Todesjahr, einen Kanon von Neukomm als Inschrift: Non omnis moriar. Eine größere Gedenktafel erinnert in der Pfarrkirche zu Eisenstadt an den Meister, der alle Uebergänge in der neueren Musikgeschichte von Bach und Händel auf Gluck, Mozart und Beethoven mit erlebt und vermitteln geholfen, der die Weltherrschaft der deutschen Instrumentalmusik begründet hat. Mit ihm ging der »größte Humorist« der Tonkunst schlafen.[318]

Quelle:
La Mara (d.i.: Marie Lipsius): Musikalische Studienköpfe: Vierter Band: Classiker. Mit einer Lichtdruck-Tafel, Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1880., S. 255,319,432.
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