§. 5.

[254] Man muß also nicht Solospielen, bevor man nicht recht gut accompagniren kann. Man muß vorher alle Veränderungen des Bogenstriches genau zu machen wissen; man muß das Schwache und Starke am rechten Orte und mit rechtem Maase anzubringen verstehen; man muß lernen die Charakters der Stücke unterscheiden, und alle Passagen nach ihrem erforderlichen eigenen Geschmacke[254] vortragen, und mit einem Worte, man muß eher vieler geschickten Leute Arbeit richtig und zierlich lesen können, ehe man anfängt Concerte und Solo zu spielen. Man kennet es gleich an dem Gemälde, ob derjenige der es verfertiget hat ein Meister im Zeichnen ist: gleichwie mancher sein Solo vernunftiger spielen würde, wenn er iemals eine Sinfonie oder ein Trio nach dem darinnen erforderlichen guten Geschmacke vorzutragen, oder eine Arie mit dem rechten Affecte und nach dem derselben eigenen Charaktere zu accompagniren gelernet hätte. Ich will mich bemühen einige kurze Regeln herzusetzen, deren man sich bey der Aufführung einer Musik mit Nutzen bedienen kann.

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 254-255.
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