Die Vier und Zwanzig ersten Jahre von Mozarts Leben.

Assentior: nil tam facile in animos teneros atque molles influere quam hujus hominis sonos, quorum dici vix potest, quanta sit vis in utramque partem. Namque et incitat languentes, et languefacit excitatos, et tum remittit animos, tum contrahit.

CICERO.


Ist auch unseren Bergen die Nachtigall versagt, so hat uns Gott mit dem herrlichsten Sänger der Welt, Mozarten, ersetzt.

Lorenz Hübner,

in der Oberdeutschen Litteraturzeitung.


Nur Jener, dessen Tonwerke nach schon vierzig Jahren, statt zu veralten, gleichfalls immer mehr noch entzücken werden, möge mit Mozart um den Vorrang rechten.

Hoffbauer.


Unter den berühmten Namen, die für alle Zeiten in der Geschichte der deutschen Musik glänzen werden, steht oben an Johannes Chrisostomus Wolfgang Amad. (Gottlieb) Mozart.

Sehr wahr und treffend spricht Herr Hofrath Rochlitz, in dem Jahrg. 1798 der Leipz. music. Zeit.: »Es ist das Schicksal ausgezeichneter Männer von jeher gewesen, dass sich der Haufe gemeiner, von allen Seiten beschränkter Geister gleichsam in Masse gegen sie vereinigt, um, wenn es ihnen nicht gelingt, jenen Genie's das Verdienstliche und Ausgezeichnete[1] ihrer Werke wegzudemonstriren oder wegzuwitzeln, wenigstens irgend eine schwache Seite, die jeder grosse Mann, da er doch immer Mensch bleibt, hat, hervorzusuchen, aufzustutzen, hie und da Manches aus eigenem Schatze des Herzens hinzu zu thun, nun das Ganze emsig bekannt zu machen, und dann lächelnd oder prahlend auszurufen: Adam ist worden wie unser Einer! So ging es auch dem wackern M., so lange er lebte, und so geht es ihm grösstentheils noch. Man hört seine vortrefflichen Compositionen, kann dem gewaltigen Eindrucke derselben nicht widerstehen, kann diesen sich selbst und Andern nicht ableugnen, bricht desshalb allenfalls in ein allgemeines Lob und gleichfalls im Allgemeinen hin und her gezerrtes Geschwätz darüber aus – welches Beydes M. selbst fast so bitter wie Schurkerey hasste – knüpft aber immer und ewig Bemerkungen daran, wie: Sollte man's glauben, dass ein solcher Mann doch übrigens Zeitlebens ein Kind war? und dergl. Freylich gab M. bey seinem liberalen Leben, bey seinem nur allzu offenen Charakter, bey seiner Verachtung alles Geschwätzes über ihn, – einer Verachtung, welche zu tief war, als dass er jemals etwas Anderes hätte thun, als darüber lachen sollen – Gelegenheit zu solchen Urtheilen. Seit einigen Jahren hat die Biographie Mozarts in Schlichtegrolls Nekrolog, wo es denn doch gewiss Zeit und Ort gewesen wäre, den Mann ganz und zwar mehr in seinem öffentlichen als Privatleben darzustellen – noch mehr zur Verbreitung solcher kleinlicher Anekdoten beygetragen, und diesen sogar[2] eine dauerhafte Haltung und ziemliche Autorität verschafft; indess Mozart's künstlerische Verdienste fast einzig mit einem allgemeinen himmelhohen Lobe abgefertigt werden. Dieses ist nicht gegen den wackern Herausgeber dieses Werks gesagt; ich weiss – dieser thut Alles, um sein Institut seinem Zwecke so nahe zu bringen, als es – in Deutschland möglich ist: sondern gegen Mozart's nähere Bekannte und gegen Kenner und Verehrer seiner Verdienste spreche ich, die dem Herausgeber des Nekrologs nichts weiter gaben und geben wollten. Ich behaupte hiermit nicht, dass die kleine Sammlung zusammen gereiheter Anekdoten, welche dort die Stelle einer Biographie des Künstlers einnimmt, offenbare Unwahrheiten enthalte: aber wie viel kömmt nicht auf die Art der Dar stellung selbst solcher kleinen Züge an? auf den Zweck des Erzählers – blos zu unterhalten oder zu bekehren u.s.w.? Man braucht wahrlich einen Mann nicht vorsätzlich verläumden zu wollen; ja man braucht sogar der Wahrheit der Thatsachen kein Jota wissentlich zu vergeben: und kann dennoch aus weiss –, wenn auch nicht schwarz, doch schmutzig grau machen. Und dann, was eine Hauptsache ist: sind denn Anekdoten aus dem Privatleben eines Mannes für die Welt, eines grossen Künstlers, das Wichtigste, was man von ihm zu sagen hat? Ist es denn nicht eben so gehässig als kleinlich (ich spreche hier nicht mehr gegen den Nekrolog), sich, wie bey Mozart so oft der Fall war – in eines bedeutenden Mannes Bekanntschaft zu drängen; sich von ihm freundschaftlich aufgenommen,[3] unterhalten, vergnügt zu sehen; dabey im Hinterhalte zu liegen und ihm irgend eine Schwachheit abzulauern, dann davon zu ziehen, freudig über den gethanen Fund, und diesen nun mit grosser Herrlichkeit der Welt aufzutischen? Ja, ich setze hinzu: dürfen wir einen Mann von so eigenen Kräften und so eigener Thätigkeit, einen Mann, der so einzig in seiner Ideen- und Phantasieen-Welt lebte, einen Mann, dessen Geist, eben weil und damit er das werden und seyn konnte, was er ward und war, nur in seiner Kunst weben, nur hier Befriedigung, nur hier wahres Interesse finden konnte, dagegen Alles, was im weitesten Sinne des Wortes Verhältniss heisst, vernachlässigen, verachten musste – dürfen wir einen solchen Mann nach dem Maassstabe beurtheilen, der mit Recht für uns mittelmässige Leutchen zum Richtscheit dient? Duo dum faciunt idem, non est idem.« So spricht Herr Hofrath Rochlitz, welcher Mozart in Leipzig kennen lernte, an den meisten Gesellschaften, in die er dort kam, und die von der Art waren, dass sich Etwas mit den Leuten anfangen liess, wie sich M. ausdrückte, Theil gehabt, und später die Bekanntschaft seiner Wittwe und einiger vertrauter Freunde M.'s gemacht hatte.

Wem, der jemals bey den Harmonieen dieses grossen Tonkünstlers sich bald in süsse Empfindungen verloren gefühlt, bald den unerschöpflichen Reichthum seiner Ideen bewundert hat, und die Gewalt, mit der er das Gebiet seiner Kunst in ihrem weiten Umfange beherrschte; wem also von allen Kennern und Freunden der Musik muss es nicht[4] willkommen seyn, etwas von der merkwürdigen Lebensgeschichte dieses früh entwickelten, grossen und originellen Genie's zu hören! Wer von allen diesen wird es nicht denjenigen seiner Freunde, die seit frühen Jahren Zeugen seines bewunderungswürdigen Talentes, und des unerhört schnellen Ganges der Entwickelung desselben waren, recht warm und innig danken, dass sie den Freunden der süssesten unter allen Künsten das Vergnügen nicht haben vorenthalten wollen, den Zauberer, der ihnen so manche frohe Stunde verschönert, so manche trübe erheitert hat, in der Geschichte seiner Kindheit und Jugend, die leider die Geschichte seines ganzen Lebens ist, näher kennen zu lernen? –

Der Mensch, mit wunderähnlichen Gaben und Fertigkeiten von der Natur beschenkt, ist selten ein allgemeines Muster zur Nachahmung für Andere. So wie seine Vollkommenheiten uns Uebrigen unerreichbar sind, so können auch seine Fehler nicht zu unserer Entschuldigung gereichen. Um sich brauchbare Regeln für das praktische Leben als Mensch im Allgemeinen abzuziehen, und durch Aufmerksamkeit auf Beyspiele sich dem erreichbaren Grade der Ausbildung unserer Natur zu nähern, müssen wir nicht jene seltenen Menschen zum Muster auswählen; sondern vielmehr Geister von mittleren Gaben, die aber diese Anlagen gleichförmig und vorsichtig ausgebildet haben, und denen wir es gleich zu thun hoffen dürfen.

Aber unbeschreiblich schätzbar und wichtig bleibt ungeachtet dessen dennoch das Andenken jener Menschen mit seltenen Kräften und Anlagen zu einzelnen[5] Fertigkeiten. Sie sind Phänomene, die man anstaunt, und deren treue Abbildungen der Forscher der Menschennatur als unschätzbare Kabinettstücke ansieht, zu denen er oft zurückkehrt, um an ihnen den unbegrenzten Umfang des menschlichen Geistes zu bewundern. Zu ihnen gehört Mozart, ein Wunder eines früh reifen Talents; man würde das, was von ihm erzählt wird, kaum glauben können, wenn er nicht unser Zeitgenosse gewesen wäre, und wenn diese Erstaunen erregenden Züge nicht von so vielen Menschen bestätiget würden.

Der genaue Zusammenhang, der zwischen den Schicksalen Mozarts mit denen seines Vaters Statt findet, und durch welchen er sich schon ein bleibendes Denkmal seines Ruhmes und seiner Verdienste gestiftet hat, und dazu die Bildung seines Sohnes, erfordert eine Erwähnung des Letztern.

Der Vater dieses ausserordentlichen Genie's, Leopold Mozart, Vice-Kapellmeister, Violinist und Anführer des Orchesters in der Fürst-Erzbischöflichen Kapelle zu Salzburg, geboren zu Augsburg den 14. December 1719, gestorben zu Salzburg am 28. May 1787, war der Sohn eines Buchbinders, und trat, nachdem er die Jurisprudenz in Salzburg studirt hatte, dann Kammerdiener bey dem Grafen von Thurn, Domherrn daselbst, gewesen war, endlich 1743 in erwähnten Dienst; denn der Fürst machte ihn zu seinem Hofmusicus, weil er sich ganz der Tonkunst widmete und die Violine besonders schön spielte.

In dieser Kapelle waren bis in die spätesten Zeiten der Unabhängigkeit des Landes eine Menge ausgezeichneter[6] Künstler, z.B. Eberlin, Michael Haydn, Adlgasser u.m.A.

Die Fürsten, und noch der letzte unter ihnen, besoldeten sie unglaublich schlecht.

Was sie anzog und hielt, war die, obgleich geringe, Versorgung der Wittwe, die Umgebung des Hofes und das behagliche und wohlfeile Leben.

Im J. 1762 wurde er Vice-Kapellmeister. Er beschäftigte sich neben seinem Dienste am Hofe und in der Metropolitankirche mit Unterweisung auf der Violine und mit Componiren. Seit 1743 hat er sich von jeder Seite um die Musik verdient gemacht; erstlich als Schriftsteller, dann als Componist, und durch die vortreffliche und ehrenvolle musikalische Erziehung seines Sohnes und seiner Tochter. Wie viele Ehre erwarb er sich auf der grossen Reise mit seinen Kindern. In Paris verewigte man sie alle drey durch einen Kupferstich, auf welchem der Sohn den Flügel, der Vater hinter ihm die Violine spielt, indem die daneben stehende Tochter singt, mit folgender Inschrift:


L. Mozart, père de Marianne Mozart, virtuose âgée de onze ans, et de J.C. Wolfgang Mozart, compositeur et Maître de Musique, âgé de sept ans.


Im Jahre 1756 liess er zu Augsburg auf seine Kosten drucken: Versuch einer gründlichen Violinschule, mit vier Kupfertafeln sammt einer Tabelle versehen u.s.w. Sie ist ins Französische und Holländische übersetzt. Eine 2te und 3te Auflage sind 1770 und 1792 zu Augsburg herausgekommen. Späterhin ist das Werk bey Kühnel in Leipzig unter dem Titel: Violinschule, oder[7] Anweisung, die Violine zu spielen; neu umgearbeitete Ausgabe von Neukomm (mit der Lehre vom guten Vortrage) herausgekommen.

Man findet in diesem Werke den gründlichen und geschickten Virtuosen, den vernünftigen und methodischen Lehrmeister und den gelehrten Musicus. Schubart sagt von demselben: »Durch dieses Buch, das in sehr gutem Deutsch und mit tiefer Einsicht abgefasst ist, hat er sich ein grosses Verdienst erworben. Die Beyspiele sind trefflich gewählt, und seine Applicatur ist nichts weniger als pedantisch. Er neigt sich zwar zur Tartini'schen Schule, lässt aber doch dem Schüler mehr Freyheit in der Bogenlenkung, als dieser.«

Nach dem Zeugnisse der grössten Meister ist das Werk von dem ausgebreitetsten Nutzen gewesen; die trefflichsten Violinisten, die Deutschland in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts besessen, sind durch dasselbe gebildet worden.

Kurz, er war einer von denen, welchen die Ehre vorbehalten war, die ersten Urheber einer geläuterten Methodologie in der ausübenden Kunst zu werden.

Schubart sagt ferner von ihm: »Er hat die Musik in Salzburg auf einen trefflichen Fuss gestellt. Selbst ist er auch als Componist ehrenvoll bekannt. Sein Styl ist etwas altväterisch, aber gründlich und voll contrapunktischer Einsicht. Seine Kirchenstücke sind von grösserm Werthe als seine Kammerstücke.«

Von seinen vielen mit Beyfall aufgenommenen praktischen Werken sind blos 6 Violin-Trios,[8] die er 1740 selbst in Kupfer radirt hat, herausgekommen, und 1759 zwölf Clavierstücke zu Augsburg, unter dem Titel: Der Morgen und der Abend, den Einwohnern von Salzburg melodisch und harmonisch angekündigt. Es sind diess diejenigen zwölf Stücke, welche das sogenannte Hornwerk, oder vielmehr Orgelwerk, auf der Festung Hohen-Salzburg Morgens und Abends spielt.

Im Manuscript waren hingegen von ihm zwölf Oratorien und andere Kirchensachen, eine Menge theatralischer Werke, worunter die Semiramis und die verstellte Gärtnerin bekannt sind, auch Pantomimen und eine grosse Anzahl von Symphonien, über 30 grosse Serenaden, eine Menge Concerte für Blasinstrumente und noch mehr Trios u.s.w.


Im neuen Künstler-Lexikon ist folgender Zusatz: »Noch hat man von ihm folgende Compositionen: Bastien und Bastienne, eine Operette; la Cantatrice ed il Poeta, Intermezzo zu zwey Personen; musikalische Schlittenfahrt (arrangirt für Pianoforte bey Kühnel in Leipzig).«


Aber auch durch Unterricht hat er viele Künstler und Künstlerinnen gebildet; denn die Zeit, die ihm seine Amtsgeschäfte übrig liessen, widmete er dem Unterricht in der Composition und auf der Violine.

Seine fleissige Correspondenz mit seiner Familie lässt ihn als einen Mann von vielen vortrefflichen Eigenschaften erkennen. Es charakterisirt ihn auch, dass er an Gellert, den protestantischen andächtigen[9] Dichter, einen Brief geschrieben hat, der ihm folgende Antwort zuzog:


»Hochedler, Hochzuverehrender Herr!


Ich müsste sehr unempfindlich seyn, wenn mich die ausserordentliche Gewogenheit, mit der Sie mich ehren, nicht hätte rühren sollen; und ich würde der undankbarste Mann seyn, wenn ich Ihren so freundschaftlichen Brief ohne Erkenntlichkeit hätte lesen können. Nein, mein werthester Herr, ich nehme Ihre Liebe und Ihre Freundschaft mit eben der Aufrichtigkeit an, mit der Sie mir sie anbieten, und ich nehme sie nicht allein an, sondern ich bitte Sie darum, und will mich bemühen, sie zu verdienen, je weniger ich sie vielleicht noch verdienet habe. Ich werde oft unruhig, wenn ich sehe, dass mir meine Schriften die Gewogenheit so vieler rechtschaffenen Leute zuwege bringen; denn ich will diess Glück nicht allein erlangen, sondern auch behaupten; und dazu gehören noch mehr Verdienste, als ich habe. – Also lesen Sie meine Schriften gern, hochzuverehrender Herr, und ermuntern auch Ihre Freunde, sie zu lesen? Diese Belohnung, wie ich Ihnen aufrichtig sage, habe ich von dem Orte, aus dem ich sie erhalte, ohne Eigenliebe kaum hoffen können. Wie glücklich bin ich, wenn ich glauben darf, dass ich zur Erhaltung des Geschmacks und der guten Sitten auch ausser meinem Vaterlande etwas beytrage! Hat der Christ, eines von meinen letzten Gedichten, auch Ihren Beyfall? Ich beantworte mir diese Frage beynahe mit Ja. Sein Inhalt, Ihr edler Charakter, den Sie, ohne es zu wissen, in Ihrem Briefe mir entworfen[10] haben, und meine redliche Absicht, scheinen mir dieses Ja zu erlauben. –«

»Ich würde mehr mit Ihnen reden, wenn ich nicht im Begriffe stände, in die Carlsbad zu reisen, dahin mich die elendeste Krankheit, ich meyne die Hypochondrie, ruft. Möchte es doch Gott gefallen, mich von diesem Orte, den er für so viele tausend Kranke gesegnet hat, und an dem ich schon vor dem Jahre oft mit Thränen und Heiterkeit des Geistes gebetet habe, mich, sage ich, gesünder zurückzubringen, als ich dahin reise! Doch vielleicht wünsche ich zu viel, vielleicht gar etwas, das mir nicht gut seyn würde. Begleiten Sie mich indessen mit Ihren Wünschen, werthester Herr. Bin ich im Stande, Ihnen hier in Leipzig, es sey worinne es wolle, zu dienen: so will ich Ihnen beweisen, dass ich des Vertrauens, das Sie in mich setzen, nicht unwerth bin. Allen Ihren Freunden, wenn sie Ihnen gleichen (und wie sollten Sie Freunde haben, die Ihnen nicht ähnlich wären?), empfehle ich mich bestens; Ihnen aber danke ich nochmals für den schönen, beredten und empfindungsvollen Brief, mit dem Sie mich erfreuet haben, und bin mit der vollkommensten Hochachtung


Euer Hochedl.

gehorsamster Diener

Christian Fürchtegott Gellert.«


P.S. Der Herr Professor Formey in Berlin hat einen kleinen Roman von mir, Leben der schwedischen Gräfin, in das Französische schön übersetzt, wenn Sie vielleicht dieses Werk lesen wollen.
[11]

Ein Zeichen von der Achtung, welche er sogar in der Ferne genoss, ist, dass der erste der kritischen Briefe über die Tonkunst, die in Berlin 1759 und 1760 herausgegeben wurden, an ihn, der damals noch Geiger in der Salzburgischen Kapelle war (Hof-Componist wird er in der Ueberschrift genannt, hiess aber nicht so zu Salzburg), gerichtet war. Der Brief nimmt acht Quartseiten ein. Es wird ihm darin gemeldet, dass eine Gesellschaft dieses musikalische Wochenblatt schreiben will, und dass diese Briefe immer an Personen von Verdienst gerichtet werden sollen (so wie sie es auch wirklich an Emanuel und Friedemann Bach, Kirnberger, Marpurg, Zachariä, Benda). Konnte, heisst es, die Gesellschaft bey diesem Vorsatze einen glücklichern Anfang als mit Ihnen machen?

In seinen Briefen an die Frau und den Sohn schildert er sich am besten. In Salzburg wird er als satyrischer Humorist charakterisirt. Die Briefe bezeugen dieses auch. Man muss das Glück unsers Mozarts erkennen, dass ihm das Schicksal einen Vater gab, der selbst mehr als gemeiner Musiker, ein durch allerley Studien gebildeter Kopf war, und als solcher die frühen Regungen des Genie's erkannte, und sie nicht durch sein Verfahren unterdrückte, sondern sie zu befördern wusste.

Leopold Mozart war mit Anna Bertlina (geboren den 25. Dec. 1720), Pflege-Tochter von St. Gilgen, seit dem 21. Nov. 1743 verheirathet; Beyde waren von einer so vortheilhaften Körpergestalt, dass man sie zu ihrer Zeit für das schönste Ehepaar in Salzburg hielt.[12]

Er zeugte sieben Kinder, aber nur zwey blieben am Leben; ein Mädchen und ein Knabe. Der Sohn, der im J. 1756 am 27. Jänner geboren ward, hiess Johannes Chrysostomus Wolfgang Gottlieb oder Amadeus1, und die Schwester, die älter war, geboren 1751 den 29. August, hiess Maria Anna. Der Vater hatte bisher jede Stunde, die er dem starken Hofdienste abkargen konnte, bey seiner schlechten Besoldung, der Composition und dem Unterrichte im Violinspielen weihen müssen. Freudig mit ächtem Künstlerstolze gab er Beydes auf, als er die trefflichen Anlagen seiner Kinder zur Musik bemerkte, und sorgte ausschliesslich für ihre Bildung.

Der Vater, aufmerksam auf die frühzeitigen Talente seines Sohnes, übernahm seine Bildung und Erziehung bereits in den Jahren, wo man den Geist der Kinder in Unthätigkeit schlummern lässt.

Der Shakespeare der Musik hat Eines gemein mit Mengs, so drückt sich Hornmayer aus, Eines, was nicht Vielen zu Theil geworden ist: dass der Götterfunke des Genie's, in den Tiefen seiner kindlichen Seele verborgen, mit allem Fleisse einer planmässigen, sorgsamen Erziehung ausgebildet wurde. Nicht in Torquato Tasso hat sich der Dichtkunst heiliges Feuer früher und entschiedener geäussert, als bey Mozart die Spuren seines musikalischen Genie's. Die er sten Eindrücke, die sein Ohr auffasste, waren Harmonieen und Gesang; die Musik die ersten[13] Begriffe, die sich in seine Seele ergossen. So und überall kamen die gründlichen Kenntnisse des Vaters dem aufkeimenden Talente entgegen.

Die Tochter, die älter als der Sohn war, entsprach der väterlichen Unterweisung so gut, dass sie in der Folge bey den Reisen der Familie die Bewunderung, die man dem Sohne zollte, durch ihre Geschicklichkeit theilte. Sie machte 1762 bis 1768 mit ihrem Vater und Bruder die grosse Reise nach Frankreich, Holland, England, Wien. In den Jahren ihres ledigen Standes, die sie im väterlichen Hause zubrachte, gab sie einigen jungen Frauenzimmern der Stadt Salzburg Unterricht im Clavierspielen. Sie verehelichte sich dann 1784 mit Freyherrn Johann Baptist von Berchtold zu Sonnenburg, Salzburgischem Hofrath und Pfleger zu St. Gilgen, wo sie in anspruchsloser Stille ganz den schönen Pflichten der Gattin und der Mutter lebte, und gegen 20 Jahre glücklich verheirathet war. Als Wittwe begab sie sich 1801 wieder in ihre Geburtsstadt Salzburg zurück, und ertheilte Unterricht im Clavierspiele, welchen sie auch noch gegenwärtig (1826) in ihrem 76sten Lebensjahre nicht ganz aufgegeben hat. Viele und sehr vortreffliche Schülerinnen sind aus ihrer Schule hervorgegangen, und noch jetzt findet man dort die geschickten Schülerinnen der Nanette Mozart durch Nettigkeit, Präcision und wahre Applicatur vor allen Uebrigen heraus.

Der Sohn war damals drey Jahre alt, als der Vater seine siebenjährige Tochter auf dem Claviere zu unterweisen anfing. Der Knabe zeigte schon da sein ausserordentliches Talent. Er unterhielt sich oft[14] lange beym Clavier mit Zusammensuchen und Anschlagen der Terzen, und war entzückt, wenn es ihm glückte, ein harmonisches Intervall zu treffen. Als vierjähriger Knabe behielt er immer die brillantesten Solostellen der Concerte im Gedächtnisse. Im vierten Jahre seines Alters fing sein Vater gleichsam zum Scherze spielend an, ihm einige Menuets und andere Stücke2 zu lehren. Zu einer Menuett brauchte er eine halbe Stunde, zu einem grössern Stück eine Stunde, um es zu lernen, und es dann mit der vollkommensten Nettigkeit und mit dem festesten Takte zu spielen. Von nun an machte er solche Fortschritte, dass er in seinem fünften Jahre schon kleine Stücke componirte, die er seinem Vater vorspielte und von diesem zu Papier bringen liess.3

In der Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung (1817) schreibt Professor Fröhlich auf Anlass der grossen Symphonie Voglers: »Eine eigene Richtung der Denk- und besonders der Gefühlskraft hat jedes Genie als eine reiche Mitgabe von der Natur erhalten. Die Art hingegen, wie sich beyde entwickeln und ausbilden, ja sogar oft eine eigene Wendung derselben, hängt häufig von den Lebensverhältnissen des Künstlers ab. Recensent hat das Buch gesehen, worin die ersten Stücke, welche Mozart,[15] dieser Heros der Tonkunst, in seinem vierten Jahre lernte, nebst den ersten eigenen Versuchen desselben in seinem fünften Jahre, von seiner eigenen Hand geschrieben (nicht alle), enthalten sind. So wenig Interesse für die Kunst selbst diese kleinen Arbeiten von wenigen Zeilen haben mögen, so zeigt sich doch darin die eigenthümliche Richtung dieses grossen Geistes, angeregt durch jene in seinen Uebungsstücken enthaltene Form, welche er aber mit seiner Eigenheit in diesen ersten Versuchen gestaltete, und dann, in der Folge, bis zu der erstaunenswerthen Höhe ausbildete.«

Vor der Zeit, ehe er Musik kannte, war er, seinem lebhaften Temperamente nach, für jede Kinderey, wenn sie nur mit einem wenigen Witze gewürzt war, so empfänglich, dass er darüber Essen und Trinken und alles Andere vergessen konnte. Ueberall zeigte sich ein liebendes, zärtliches, lebhaftes Gefühl in ihm, so dass er die Personen, die sich mit ihm abgaben, oft zehnmal an einem Tage fragte, ob sie ihn lieb hätten? und wenn man es ihm im Scherze verneinte, sogleich die hellen Thränen im Auge zeigte. Aber von der Zeit an, wo er mit der Musik bekannt wurde, verlor er allen Geschmack an den gewöhnlichen Spielen und Zerstreuungen der Kindheit, und wenn ihm ja noch diese Zeitvertreibe gefallen sollten, so mussten sie mit Musik begleitet seyn. Wenn z.B. er und ein gewisser Freund4[16] vom Hause, der sich viel mit ihm abgab, Spielzeug aus einem Zimmer in's andere trugen, musste allemal derjenige von beyden, der leer ging, einen Marsch dazu singen, oder auf der Geige spielen. Sein Tonsinn behielt nun die Oberherrschaft.

Er war in diesen Jahren überaus gelehrig, und er begriff zu gleicher Zeit auch andere Wissenschaften; so machte ihn der mit dem Ton- und Farbensinne so innig verbundene Zahlensinn in der Folge zu einen der geübtesten Rechenmeister, welcher Wissenschaft er sich eine Zeit lang mit demselben umfassenden Eifer wie der Tonkunst widmete, so dass er darüber alles Andere, selbst die Musik, auf einige Zeit zu vergessen schien. Als er z.B. rechnen lernte, waren Tisch, Sessel, Wände, ja sogar der Fussboden von ihm mit Kreide voll Ziffern geschrieben. Er war im Ganzen voll Feuer, und hing jedem Gegenstande leicht an; er würde daher in Gefahr gewesen seyn, auf schädliche Abwege zu gerathen, wenn ihn nicht seine treffliche Erziehung dafür geschützt hätte. Aber bald war es wiederum die Musik, von der seine Seele voll war, und mit der er sich unablässlich beschäftigte. Mit Riesenschritten ging er darin vorwärts, so dass selbst sein Vater, der doch täglich um ihn war und jede Stufe der Fortbildung bemerken konnte, oft davon überrascht und darüber, wie über ein Wunder, in Erstaunen gesetzt wurde.

Ja, wunderbar waren seine Anlagen, und die Entwickelung und Aeusserung seines Genie's schritt den grössten Erwartungen vor. In der That war die ausserordentliche Fertigkeit, die er auf dem Claviere[17] besass, und die tiefe Einsicht in die Kunst, in einem Alter, wo Kinder sonst noch gewöhnlich keinen Kunsttrieb äussern, erstaunend und über alle Vorstellung. Was man ihn lehren wollte, davon schien sein Geist dunkle Ahnungen gehabt zu haben, die zur völligen Deutlichkeit nur einer Erinnerung bedurften.

Unser Mozart hatte als Knabe noch keine Kenntnisse der Composition, gleichwohl verfiel er auf den Gedanken, ein Clavierconcert zu componiren. Konnte er auch kein wirkliches Kunstproduct liefern, so zeigte er doch einen kindischen Versuch für das, was er werde leisten können, wenn seinem Talente die Regeln der Kunst zu Hülfe kämen. Er strich aus, wischste und klekste so lange an dem Machwerke, bis er glaubte es vollendet zu haben. Als sein Vater aus der Kirche mit einem Freunde nach Hause zurück kam, trafen sie den kleinen Wolfgang mit der Feder beschäftigt an. Was machst Du denn da? fragte ihn sein Vater.

Wolfg. Ein Concert für das Clavier; der erste Theil ist bald fertig.

Vater. Lass sehen, das muss was Sauberes seyn.

Wolfg. Nein, es ist noch nicht fertig.

Der Vater nahm es ihm weg und zeigte seinem Freunde diess Geschreibsel, das man vor Klecksen kaum lesen konnte, indem es grösstentheils auf ausgewischte Dintenflecke hingeschrieben war; denn der Kleine hatte allemal mit der Feder bis auf den Grund des Dintenfasses getaucht, und so musste denn der Feder immer ein Fleck entfallen, den er dann mit der flachen Hand wieder auswischte und immer wieder[18] darauf fortschrieb. Beyde Freunde lachten anfangs über diesen Galimathias von Noten. Als aber der Vater die Composition selbst mit Aufmerksamkeit betrachtete, blieb sein Blick lange starr auf das Blatt geheftet, bis endlich helle Thränen, Thränen der Bewunderung und der Freude, seinen Augen entfielen. Es waren nämlich Gedanken darin bemerkbar, die weit über seine Jahre gingen. »Sehen Sie, Freund,« sagte er mit Rührung und Lächeln, »wie Alles richtig und nach der Regel gesetzt ist; nur kann man es nicht brauchen, weil es so ausserordentlich schwer ist, dass es kein Mensch zu spielen im Stande wäre.« – »Dafür,« fiel der kleine Wolfgang ein, »ist es auch ein Concert; man muss so lange exerciren, bis man es herausbringt. Sehen Sie, so muss es gehen.« Er fing nun an zu spielen, konnte aber auch nur so viel herausbringen, dass man sah, welches seine Ideen gewesen waren. Denn er hatte sich damals den Begriff gebildet, dass Concert spielen und Mirakel wirken einerley seyn müsse; darum war sein Aufsatz von zwar grösstentheils richtigen, aber so schwer zusammengesetzten Noten, dass es selbst jedem Meister unmöglich war, sie zu spielen. Uebrigens war das Concert mit Trompeten und Pauken und Allem, was sich blasen und geigen lässt, besetzt.

Zu dieser Zeit hatte es der Knabe in der Musik schon so weit gebracht, dass der Vater ohne Bedenken auch das Ausland zum Zeugen der ausserordentlichen Talente seines Sohnes machen konnte.

Fußnoten

1 Auf dem Titel seiner ersten Werke in Paris und London heisst er J.G. Wolfgang; später ist er Wolfgang Amadeus geworden.


2 Von diesen, die der Vater in ein eigenes Buch schrieb, besitze ich zwölf daraus abgeschrieben.


3 Von diesen besitze ich aus demselben Buche fünf, wovon die älteste vom Jänner 1762 und noch drey grössere aus dem Jahre 1763. Die Schwester besitzt das ganze Buch und bewahret diese kostbare Reliquie auf.


4 Andreas Schachtner, Hoftrompeter in Salzburg, der auch ein wissenschaftlich gebildeter Mann und vorzüglich guter Dichter war.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Biographie W.A. Mozart's. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991].
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