Zehnter Abschnitt.

»Die Zauberflöte.«

1790–1791.

»Wer immer strebend sich bemüht,

Den können wir erlösen.«


Am 26. Januar 1790 wurde »Così fan tutte« mit trefflicher Besetzung aller Rollen, deren Physiognomie zum großen Teile wiederum auf die Persönlichkeit der Darsteller sich gründete, im Kärnthnertor-Theater gegeben. Wir sind über diese Aufführung wie über die Entstehung der Oper durchaus ohne nähere Nachrichten. Der Erfolg scheint nicht unbedeutend gewesen zu sein, denn es fand in diesem Jahre noch eine Reihe von Aufführungen statt. War doch das Stück ganz nach Art der damals beliebten Opera buffa verfaßt, und die entzückend lieblich dahinfließende Musik mutete dem Zuhörer nicht jenes ernste Aufmerken zu, das »Figaro« und »Don Juan« erforderten. Allein eben das Gepräge der Zeit, welches der Text und mit ihm manche Einzelheiten der Musik an sich tragen, war es, was die Oper schon bald fast ganz von der Bühne verdrängte, und bis jetzt hat keiner der vielen Versuche, das Textbuch den Anforderungen der Bühne entsprechend zu machen, zu einem durchschlagenden Erfolg geführt, während die Musik von jedem die Kunst wirklich Verstehenden nach wie vor geliebt und hochgepriesen wird, denn sie hat etwas von der Venus von Medici und ihrem »feuchten Blick«.

Auch diesmal gewann Mozart nicht die Vorteile, die er sich von seiner angestrengten Arbeit gehofft hatte. Nicht einmal der Kaiser sollte der Aufführung beiwohnen und hören, was sein Befehl neues Herrliches hervorgerufen hatte. Er war[465] bereits zur Zeit der ersten Aufführung krank, und nach drei Wochen, am 20. Februar, starb er, ohne dauernd für eine bessere Lebenslage seines Hofkompositeurs gesorgt zu haben. Die letzten Jahre Josephs waren durch mancherlei bittere Erfahrungen getrübt. Sein guter Wille, dem Volke bessere Zustände zu bereiten, scheiterte an dem Widerstand eben dieses Volkes, das sich mit Recht auch eine Tyrannei des Besseren nicht gefallen lassen wollte. Dazu kamen dann die ärgerlichsten Verwicklungen mit fremden Mächten, so daß am Ende mit der inneren Vergrämung selbst die Neigung zu seiner Lieblingskunst in dem edlen Monarchen mehr und mehr erstarb. Er hatte andere Dinge zu denken, als wie er einem Musiker lohnen sollte, der es nicht einmal verstand, an sein Können, an seine Verdienste unausgesetzt zu erinnern, und obendrein kam seine Umgebung, die, soweit sie aus Musikern bestand, Mozart nicht aufkommen lassen durfte, ohne selbst in ihrer Existenz gefährdet zu sein, seiner mit den Jahren zunehmenden Neigung zur Sparsamkeit entgegen, so daß Mozart auf seinem niedrigen Gehalt stehen blieb.

Seine Lage war in diesem Frühjahr drückender als je. Ueberhaupt setzte das Jahr 1790 allen bisherigen Bedrängnissen die Krone auf, und ihnen schrieb der Meister selbst es zu, daß er so wenig zu schaffen vermochte. Es giebt in Mozarts Leben kein Jahr, welches eine so geringe Anzahl von Kompositionen aufweist. Da ist es begreiflich, wenn im April wieder einer jener betrübenden Briefe an den Freund Puchberg erfolgt: »Sie haben Recht, liebster Freund, wenn Sie mich keiner Antwort würdigen! meine Zudringlichkeit ist zu groß. Nur bitte ich Sie meine Umstände von allen Seiten zu betrachten, meine warme Freundschaft und mein Zutrauen zu Ihnen zu bedauern und zu verzeihen! Wollen und können Sie mich aber aus einer augenblicklichen Verlegenheit reißen, so thun Sie es Gott zu Liebe; – was Sie immer entbehren können, wird mir angenehm seyn. Vergessen Sie ganz meine Zudringlichkeit, wenn[466] es Ihnen möglich ist, und verzeihen Sie mir. Morgen Freitag hat mich Graf Haddick gebeten, ihn des Stadlers Quintett (für Clarinette) und das Trio, so ich für Sie geschrieben, hören zu lassen; ich bin so frei, Sie dazu einzuladen. Hering (ein dilettirender Bankier) wird es spielen. Ich würde selbst zu Ihnen gekommen seyn, um mündlich mit Ihnen zu sprechen, allein mein Kopf ist wegen rheumatischer Schmerzen ganz eingebunden, welche mir meine Lage noch fühlbarer machen. Noch einmal, helfen Sie mir nach Ihrer Möglichkeit nur für diesen Augenblick – und verzeihen Sie mir.«

Die Wellen schlugen ihm bereits über dem Haupte zusammen, es war der äußeren Verwirrung und eigenen Schwäche kaum noch zu widerstehen. Sie war zu tief eingerissen und des Meisters Sinnen bereits zu sehr ganz auf die höchsten Dinge gerichtet, als daß hier noch ein Einhalt möglich gewesen wäre. Kleine Vorschüsse wie die »25. fl. in Bancozetteln«, die Puchberg als an ihn gesandt auf den Brief notiert hat, konnten den völlig zerrütteten Verhältnissen nicht mehr aufhelfen, auch große hätten es nicht vermocht. Und bald fiel der unglückliche Mann ganz in die Hände der Wucherer, die ihm das mühsam abgerungene Darlehn gar zur Hälfte in Waren aufzudringen wußten. Allein gerade die wachsende Not, die er dann nach menschlich begreiflicher Weise manchmal in einem reicheren Genießen zu vergessen suchte und so erst recht erhöhte, brachte am Ende einen unerträglichen Zwiespalt in sein Inneres, welches ja trotz des holden Leichtsinns der echten Künstlernatur einen tiefen Ernst, einen wahren Sinn für des Lebens Bestand in sich barg. Sie erzeugte gewaltige Erschütterungen und zuletzt einen Umschlag in seinem ganzen Wesen. Er, der den zerfleischenden Sirenenarmen des Ideals nicht mehr zu entrinnen vermochte, vielmehr jetzt erst recht in der Wonne der schaffenden Phantasie schwelgte, fand endlich durch die totale und rückhaltlose Hingebung an das Ideal selbst seine Erlösung, seine Versöhnung.[467] Er lernte durch die volle Hingabe seiner selbst das Leben überwinden. Es liegt etwas Tragisches in diesem Schicksal, wie in dem Lebenswege jedes großen Mannes. Indem er unbekümmert um das gewöhnliche Dasein nur dem folgt, was ihm als das höchste Dasein erscheint, zerstört er all sein Leben, ja sogar seine leibliche Existenz. Mozart ahnte bereits das Nahen seiner Auflösung, und nun begann die Idee, die in ihm lebte und wirkte, erst recht ihre unaufhaltsame, ja ungestüme Tätigkeit. Rastlos strebte er seinem Ziele zu: er hatte in seiner Seele Tiefen das Urbild aller Schönheit erschaut, er eilte ihm nach, ihm zu, bis er entseelt in seine Arme sank.

Freilich ganz und gar vernachlässigte er sein äußeres Leben auch jetzt nicht. Das waren nur die Gedanken der Nacht, die durch seinen Geist gingen, wenn mit leisem Flügelschlage über seinem Haupt der Vogel des Todes die schwarzen Schwingen regte. Er hatte ja ein liebes Weib, hatte einen Sohn, und ihnen zulieb wollte er gern leben, gern das arbeiten, was tägliches Brot einbrachte. So läßt er denn auch jetzt, als sein kaiserlicher Gönner, der ihm so wenig gebührend gelohnt, gestorben war, nicht nach, sich die Gunst des neuen Kaisers zu erwerben. Leopold II. war am 13. März 1790 in der Hauptstadt seines Reiches eingetroffen, und Mozart strebte nun sogleich, von ihm die zweite Kapellmeisterstelle am Kärnthnertortheater zu erlangen. Der erste Kapellmeister, der alte Joseph Bonno (1710–1788), war bereits vor zwei Jahren gestorben und Salieri in seine Stelle gerückt. An Salieris Statt war noch niemand berufen worden. So verfaßte Mozart ein Konzept, das äußerst flüchtig hingeworfen und wahrscheinlich an den Erzherzog Franz, den nachherigen Kaiser, gerichtet ist:


»Ew. Königl. Hoheit.


Ich bin so kühn, Ew. K.H. in aller Ehrfurcht zu bitten bey Sr. Maj. dem Könige die gnädigste Fürsprache in Betreff meiner[468] unterth. Bitte an Allerhöchst dieselben zu führen. Eifer nach Ruhm, Liebe zur Thätigkeit und Ueberzeugung meiner Kenntnisse heißen es mich wagen, um eine zweyte Kapellmeistersstelle zu bitten, besonders da der sehr geschickte Kapellmeister Salieri sich nie dem Kirchenstyl gewidmet hat, ich aber von Jugend auf mir diesen Styl ganz eigen gemacht habe. Der wenige Ruhm, den mir die Welt meines Spiels wegen auf dem Pianoforte gegeben, ermuntert mich auch um die Gnade zu bitten, mir die Königl. Familie zum musikalischen Unterricht allergnädigst anzuvertrauen. Ganz überzeugt, daß ich mich an den würdigsten und für mich besonders gnädigen Mittler gewendet habe, lebe ich in der besten Zuversicht und werde mich sicher bestreben durch Thätigkeit Eyfer Treue und ... stets darzuthun« u.s.w.

Die Bittschrift wurde auch abgesandt. Wir erfahren das aus einem Briefe an Puchberg, auf den er am 17. Mai 150 fl. erhielt. Auch dieser Brief ist der Mitteilung wert. Denn wenn es auch stets derselbe unerquickliche Inhalt ist, immer wieder enthüllt sich aus seinen Worten der reine, edle Sinn des Schreibers. Er schreibt:


»Allerliebster Freund und Ordensbruder.


Sie werden ohne Zweifel von Ihren Leuten vernommen haben, daß ich gestern bey Ihnen war, und (nach Ihrer Erlaubniß) uneingeladen bei Ihnen speisen wollte. Sie wissen meine Umstände, kurz – ich bin, da ich keine wahren Freunde finde, gezwungen bey Wucherern Geld aufzunehmen; da es aber Zeit braucht, um unter dieser unchristlichen Classe Menschen, doch noch die christlichsten aufzusuchen und zu finden, so bin ich dermalen so entblößt, daß ich Sie liebster Freund um Alles in der Welt bitten muß, mir mit Ihrem Entbehrlichsten beizustehen. Wenn ich wie ich hoffe in 8 oder 14 Tagen das Geld bekomme, so werde ich Ihnen gleich das mir jetzt gelehnte wieder zurückzahlen. Mit dem, was ich Ihnen schon so lang ausständig bin, muß ich Sie[469] leider noch bitten Geduld zu haben. Wenn Sie wüßten, was mir das Alles für Kummer und Sorge macht! Es hat mich die ganze Zeit her verhindert meine Quartetten zu endigen. Ich habe nun sehr große Hoffnung bei Hofe, denn ich weiß zuverlässig, daß der Kaiser meine Bittschrift, nicht wie die andern, begünstigt oder verdammt, herabgeschickt, sondern zurückbehalten hat. Das ist ein gutes Zeichen. Künftigen Samstag bin ich Willens, meine Quartetten bey mir zu machen, wozu ich Sie und Ihre Frau Gemahlin schönstens einlade. Liebster, bester Freund und Bruder entziehen Sie mir meiner Zudringlichkeit wegen Ihre Freundschaft nicht, und stehen Sie mir bey. Ich verlasse mich ganz auf Sie und bin ewig


Ihr dankbarster Mozart.


P.S. Nun habe ich 2 Scolaren, ich möchte es gerne auf 8 Scolaren bringen; suchen Sie es auszustreuen, daß ich Lectionen annehme.«


Den Unterricht der kaiserlichen Kinder erhielt er nicht, ebensowenig die Kapellmeisterstelle. Glucks einstiger Gönner, Kaiser Leopold war ihm nicht hold. Mozart hatte doch zu sehr des Vorgängers Joseph II. Gunst genossen, um sich dem Nachfolger zu empfehlen. Denn Leopold war in allen Dingen das Gegenteil Josephs und legte diese Verschiedenheit überall mit deutlicher Absicht an den Tag. Selbst in seinem künstlerischen Geschmack wandelte er andere Pfade. Er führte die Balletts wieder ein und begünstigte die große Pompoper. Graf Rosenberg war der Intendantur entkleidet worden, da Ponte und die Ferraresi folgten bald nach, selbst Salieri mußte seinem Schüler Joseph Weigl (1740–1820), dem Komponisten der »Schweizerfamilie«, Platz machen. So war auch Mozart durchaus wieder sich selbst überlassen und hatte, wie der Kunst doch gebührt, keine Stütze am Hofe. Freilich die beiden Streichquartette, die er im Mai und Juni dieses Jahres schrieb, verraten nichts[470] von der getrübten Stimmung, in der er jetzt lebte, sie sind von strahlender Heiterkeit und süßem Reiz, wenn auch nicht von solch hervorragender Kraft und Fülle, wie andere seiner Werke. Im Juli bearbeitete er dann wiederum, stets um Beschäftigung froh, für van Swietens Aufführungen in dem herrlichen Bibliotheksaale der Hofburg Händels »Alexanderfest« und die »Ode auf den Cäcilientag«, und es mag ihn der männliche Geist und die lebensmutige Sicherheit dieses Heroen wohl etwas aufgefrischt und vor allem die Kraft seines Willens wieder aufgerufen haben. Dessen bedurfte er jetzt gar sehr. Denn Constanze war aufs neue schwer erkrankt und steigerte die Sorgen wie die Ausgaben aufs höchste. Wie geduldig und liebevoll er gleichwohl auch jetzt war, beweist eine Erzählung seiner Schwägerin Sophie, die zu bezeichnend ist, als daß wir sie nicht der Menge der Züge, die wir bereits von der inneren Güte seines Wesens gesammelt haben, hinzufügen sollten.

»O wie war Mozart besorget«, schreibt sie im Jahre 1825 auf eine Anfrage von Constanzens damaligem Gatten, dem Etatsrat Nissen, »wenn seinem lieben Weibgen etwas fehlte. So war es einmal, als sie schwer krank war und ich bey ihr durch 8 volle Monate krankenwartete. Eben saß ich an ihrem Bette, Mozart auch. Er componirte an ihrer Seite, ich beobachtete ihren nach so langer Zeit gehabten süßen Schlummer. Stille hielten wir alles wie in einem Grabe, um sie nicht zu stören. Plötzlich kam ein roher Dienstbote in das Zimmer, Mozart erschrak aus Furcht, seine liebe Frau würde in ihrem sanften Schlummer gestöret, wollte stille zu sein winken, rückte den Sessel rückwärts hinter sich weg, hatte gerade das Federmesser offen in der Hand, dieses spießte sich zwischen den Sessel und seinen Schenkel, so daß es ihm bis an das Heft in das Fleisch hineinging. Mozart sonst wehleidig machte aber keine Bewegung und verbiß seinen Schmerz, winkte mir nur ihm hinauszufolgen. Wir gingen in ein Zimmer, in welchem unsere Mutter verborgen[471] lebte, weil wir der guten Mozartin nicht wollten merken lassen, wie schlecht sie sei, und die Mutter doch gleich zur Hülfe da sey. Die Mutter verband ihn und legte Coubey in die sehr tiefe Wunde; mit dem Johannesöhl gelang es ihr, ihn wieder herzustellen, und obschon er etwas krumm vor Schmerzen ging, machte er doch, daß es verborgen blieb und seine liebe Frau es nicht erfuhr.« Ja, er hatte sich damals so daran gewöhnt, jeden Besuchenden mit dem Finger auf den Lippen und dem leisen Ausruf chut! zu empfangen, daß er geraume Zeit nach Constanzens Besserung selbst auf der Straße, wenn er einen Bekannten sah, sich auf die Zehen erhob und ihm sein chut! mit dem Finger am Munde zuflüsterte.

In diesen Tagen der Bedrängnis war es also doppelt schmerzlich, daß er einen offenbaren Beweis der Geringschätzung von seiten des Hofes empfing und so jede Hoffnung auf dessen Unterstützung völlig niedergeschlagen sah. Im September 1790 kam nämlich der König von Neapel nach Wien, um der Vermählung seiner beiden Töchter mit den Erzherzögen Franz und Ferdinand beizuwohnen. Zur Verherrlichung dieses Festes fanden auch wie gewöhnlich Musikaufführungen statt, und zwar ward eine neue Oper von Joseph Weigl und Salieris beliebter »Axur« gegeben. An einen »Figaro« oder »Don Juan« schien man nicht zu denken. Ja, als während der offenen Tafel nach der Vermählung im großen Redoutensaale der Hofburg ein Konzert unter Salieris Leitung gegeben wurde, durften sich dessen begünstigte Primadonna Cavaglieri, die ursprüngliche Constanze der »Entführung«, und die Gebrüder Stadler hören lassen: an Mozarts Klavierspiel schien wieder kein Mensch zu denken. Auch ward eine der Haydnschen Symphonien aufgeführt, die der König auswendig wußte und laut mitsang. Haydn wurde ihm vorgestellt, von ihm nach Neapel eingeladen und mit Aufträgen beehrt, – Mozart sollte erst später und in der Fremde Gelegenheit finden, dem Könige von seiner Kunst etwas zu zeigen. Dies[472] alles schmerzte ihn tief, ja, die Vernachlässigung in seiner Heimat, – denn das war ihm Wien allmählich geworden, – verletzte ihn so sehr, daß er, teils um diesen drückenden Gefühlen wenigstens für den Augenblick zu entgehen, teils um neuen Ruhm und notwendigen Gewinn zu erlangen, sich auch jetzt wieder entschloß, den Virtuosen zu spielen und auswärts das zu suchen, was ihm daheim so ungerecht versagt wurde. Er trat eine neue, die letzte Kunstreise an.

Im Oktober 1790 sollte König Leopold in Frankfurt zum deutschen Kaiser gekrönt werden. Von diesem Feste, das jedesmal eine ungemessene Zahl von Fremden zusammenführte, hoffte auch Mozart, dessen Name allgemach im ganzen deutschen Reiche einen Klang gewonnen hatte, für sich einen besonderen Gewinn. Er entschloß sich, dorthin zu reisen. Er hatte erwartet, als kaiserlicher Kammerkompositeur sich den Musikern anschließen zu dürfen, welche als zum Gefolge Leopolds gehörig nach Frankfurt gesendet wurden und dort alle Vorteile des kaiserlichen Schutzes genossen. Allein das wurde ihm nicht gewährt. So brachte er denn, um das Reisegeld zu beschaffen, sein Silbergerät auf das Pfandhaus, kaufte nach damaliger Sitte einen Reisewagen und machte sich am 23. September auf, um zur rechten Zeit in Frankfurt einzutreffen. So sicher hielt er sich des Erfolges, daß er mit gewohnter Gutmütigkeit den Mann von Constanzens ältester Schwester, den Violinspieler Hofer, der ebenfalls nicht in besonders guten Umständen lebte, auf seine Kosten mitnahm, um – ihm an den Vorteilen dieser Reise Anteil zu gewähren. Die nächsten kleinen Erlebnisse erfahren wir aus einem Brief an Constanze vom 29. September 1790.


»Liebstes, bestes Herzens-Weibchen!


Diesen Augenblick kommen wir an, das ist um 1 Uhr Mittags, wir haben also nur 6 Tage gebraucht. Wir hätten die Reise[473] noch geschwinder machen können, wenn wir nicht dreymal Nachts ein bischen ausgeruht hätten. Wir sind unterdessen in der Vorstadt Sachsenhausen in einem Gasthof abgestiegen, zu Tod froh, daß wir ein Zimmer erwischt haben. Nun wissen wir noch unsere Bestimmung nicht, ob wir beysammen bleiben oder getrennt werden; bekomme ich kein Zimmer irgendwo umsonst und finde ich die Gasthöfe nicht zu theuer, so bleibe ich gewiß. Ich hoffe, Du wirst mein Schreiben aus Efferding richtig erhalten haben; ich konnte Dir unterwegs nicht mehr schreiben, weil wir uns nur selten und nur so lange aufhielten, um nur der Ruhe zu pflegen. Die Reise war sehr angenehm; wir hatten bis auf einen einzigen Tag schönes Wetter, und dieser einzige Tag verursachte uns keine Unbequemlichkeit, weil mein Wagen (ich möchte ihm ein Busserl geben) herrlich ist. In Regensburg speisten wir prächtig zu Mittag, hatten eine göttliche Tafelmusik, eine englische Bewirthung und einen herrlichen Moslerwein. Zu Nürnberg haben wir gefrühstückt, eine häßliche Stadt. Zu Würzburg haben wir unsern theuern Magen mit Kaffee gestärkt, eine schöne, prächtige Stadt. Die Zehrung war überall sehr leidentlich, nur 2 und 1/2 Post von hier in Aschaffenburg beliebte uns der Herr Wirth erbärmlich zu schmieren. Ich warte mit Sehnsucht auf Nachrichten von Dir, von Deiner Gesundheit, von unsern Umständen usw. usw. Nun bin ich fest entschlossen, meine Sachen hier so gut als möglich zu machen und freue mich dann herzlich wieder zu Dir. Welch herrliches Leben wollen wir führen! Ich will arbeiten – so arbeiten, um damit ich durch unvermuthete Zufälle nicht wieder in so eine fatale Lage komme. Mir wäre lieb, wenn Du über alles dieses durch den Stadler den *** zu Dir kommen ließest. Sein letzter Antrag war, daß Jemand das Geld auf des Hofmeisters seinen Giro allein hergeben will – 1000 fl. baar und das übrige an Tuch; somit könnte alles und noch mit Ueberschuß bezahlt werden und ich dürfte bey meiner Rückkunft nichts als arbeiten. Adieu ich küsse Dich 1000mal.«[474]

Sein Wille also ist fest, durch fleißige Arbeit auch seine materiellen Verhältnisse zu verbessern. Als wenn er nicht stets und zwar den bewunderungswürdigsten Fleiß gehabt hätte! Allein er macht sich Vorwürfe, daß er nicht bisher mit seinem Schaffen zugleich mehr seinen Vorteil gesucht habe, da es doch nicht an ihm lag, daß seine besten Arbeiten so gering honoriert wurden. Jetzt dachte er wohl daran, nur für Musikalienhändler, wie Hoffmeister einer war, zu schreiben. Allein was ist solch ein Vorsatz, den das Pflichtgefühl aus der äußeren Nötigung zieht, gegen die Macht eines drängenden Inneren, gegen das Gebot des schaffenden Genius!

Zunächst erfahren wir noch nichts darüber, was er in Frankfurt anfing, denn der folgende Brief ist vom nächsten Tage. »Herzallerliebstes Weibchen! Wenn ich nur schon einen Brief von Dir hätte, dann wäre Alles recht«, schreibt er. »Ich habe Dir in meinem letzten geschrieben, Du sollst mit dem *** sprechen; mir wäre Sicherheitshalber recht lieb, wenn ich auf des Hoffmeisters seinen Giro 2000 fl. bekommen könnte; Du mußt aber eine andere Ursache vorwenden, nämlich, daß ich eine Speculation im Kopfe hätte, die Dir unbewußt wäre. Meine Liebe, ich werde zweifelsohne gewiß etwas hier machen, – so groß aber wie Du und verschiedene Freunde es sich vorstellen, wird es sicherlich nicht seyn. Bekannt und angesehen bin ich hier genug, das ist gewiß. Nun, wir wollen sehen. Ich liebe aber in jedem Falle das Sichere zu spielen, darum möchte ich gerne das Geschäft mit Hoffmeister machen, weil ich dadurch Geld bekomme und keines zahlen darf, sondern bloß arbeiten, und das will ich ja meinem Weibchen zu Liebe gern. Wo glaubst Du, daß ich wohne? – bei Böhm im nämlichen Hause; Hofer auch. Wir zahlen 30 fl. das Monath, und das ist noch außerordentlich wenig; wir gehen auch zu ihnen in die Kost. Wen glaubst Du, daß ich hier angetroffen? – das Mädchen, welches so oft mit uns im Auge Gottes Verstecken gespielt hat, Buchner glaub ich hieß sie, sie[475] heißt nun Mad. Porsch und ist zum zweytenmale verheyrathet. Sie hat mir aufgetragen, alles Schöne von ihr an Dich zu schreiben.

Da ich nicht weiß, ob Du in Wien oder Baden bist, so adressire ich den Brief wieder an die Hofer. Ich freue mich wie ein Kind wieder zu Dir zurück. Wenn die Leute in mein Herz sehen könnten, so müßte ich mich fast schämen, es ist alles kalt für mich, – eiskalt. Ja wenn Du bey mir wärest, da würde ich vielleicht an dem artigen Betragen der Leute gegen mich mehr Vergnügen finden, – so ist es aber so leer. – Adieu – Liebe – ich bin ewig


Dein Dich von ganzer Seele liebender Mozart.


P.S. Als ich die vorige Seite schrieb, fiel mir manche Thräne auf's Papier; nun aber lustig – fange auf – es fliegen erstaunlich viel Busserln herum ... was Teufel ... ich sehe auch eine Menge ... ha! ha! ... ich habe drey erwischt – die sind kostbar! –

Adieu – liebstes, bestes Weiberl – gieb auf Deine Gesundheit Acht – und gehe nur nicht zu Fuß in die Stadt. – Schreib mir doch wie Du mit dem neuen Quartier zufrieden bist. Adieu, ich küsse Dich Millionenmahl.«


Welche Schwermut spricht aus diesen heiteren Zeilen! Es bereitete sich tief in der Seele des Meisters etwas vor, was über alle Aeußerungen von Freude und Schmerz, die seine früheren Werke enthalten, weit hinaus zu den Regionen eines ewigen Lebens führt. Eiskalt nennt er sein Inneres, er, dessen Herz so liebewarm für jeden Menschen schlägt. Wir fühlen, er entfernte sich in seinem Gemüte bereits von der nächsten Umgebung, doch nur, um zu etwas Höherem fortzuschreiten. Diese Melancholie, die Mutter so vieler der schönsten Schöpfungen dieses Genius, ist der Beginn des tiefsten Heimwehs seiner Seele. Der Hauch der Wehmut, der sein Dasein durchzieht, seitdem er zum ersten Male von der Höhe des Lebens herab sein Ende erschaute,[476] hat sich zu einer unauslöschlichen Sehnsucht gesteigert. Aber jetzt beginnt sich aus dem tiefen Leid allgemach das Bessere zu gebären, seine Seele will sich zum Höchsten reinigen. Er hatte den schäumenden Becher des Lebens getrunken, getrunken bis auf den letzten Rest, und er war bitter, der Rest jenes Bechers, bitter wie der Tod, dessen Geschmack der Meister schon auf der Zunge zu fühlen wähnte. Zunächst ist es nur Trauer, was ihn ergreift, Sehnsucht nach dem Höheren, das uns im gemeinen Leben stets zu entfliehen scheint, – dann wird es ein leidenschaftliches Anstürmen, ein mächtiges Aufbrausen des Unvergänglichen in seiner Seele, das sich in die engen Schranken der Menschennatur eingezwängt fühlt, – es wird ein Ringen nach dem Besitze der höchsten Güter, eine Vorbildung jener tiefsten Seelenkämpfe, jenes Ringens nach Erfassung eines Ewigen, das von je im deutschen Geiste lebendig, gerade jetzt in den verschiedensten Aeußerungen seine herrlichen Kunsttaten ausführen sollte. Die zwei großen Schöpfungen unserer klassischen Zeit, der »Faust« und die »Zauberflöte«, standen vor der Tür, sie sollten später in ihrer Vereinigung dem Geiste der Nation eine neue Sprache bringen.

Am 9. Oktober 1790 fand die Krönung des deutschen Kaisers statt. Wir wissen nicht, ob Mozart von dieser Feierlichkeit besondere Eindrücke gewann, die nächsten Briefe an seine Frau fehlen uns. Ueberhaupt erfahren wir nicht recht, was Mozart in Frankfurt tat und wie er es anfing, sich »zweifelsohne gewiß etwas zu machen«. Am 14. Oktober gab er im Theater am hellen Mittage ein Konzert, über dessen Besuch wir nichts berichten können. Ein Kontrabassist, der mitgespielt hatte, der längstverstorbene Ludwig, erinnerte sich noch in seinen alten Tagen, wie der Flügel auf der Bühne gestanden und der kleine, sehr lebendige und bewegliche Mann am Abend vorher während der Probe öfters von der Bühne über den Souffleurkasten hinweg in das Orchester gesprungen sei, sich dort sehr lebhaft und freundlich mit den Musikern unterhalten habe und ebenso rasch wieder[477] auf die Bühne geklettert sei. Auch diesmal brachte Mozart nur eigene Werke zur Aufführung. Mit dem alten Papa Beecké spielte er ein Klavierkonzert zu vier Händen. Daß er übrigens auch in Frankfurt wieder, wie in Prag und Leipzig, trotz aller »schwarzen Gedanken« zu heiterer Geselligkeit wohl aufgelegt war, ist nicht zu bezweifeln. Seine Natur bedurfte dieses Ausgleichs, und nur wer in seiner Seele den tiefsten Ernst hegt und das stete Bestreben, in seinem Innersten mit sich und dem Leben fertig zu werden, vermag es, heiter zu sein und selbst andere in den Reigen der Freude hineinzuziehen. Abends soll er gewöhnlich mit dem Konzertmeister Hoffmann, dem er sich sehr befreundete, in die Weinwirtschaft von Gran gegangen sein, und wie immer war er mit seinem liebenswürdigen Uebermut auch hier der Mittelpunkt der Gesellschaft.

Auf der Rückreise von Frankfurt besuchte er auch Mainz, und es war damals, wo der berühmte Maler Tischbein, der kurz vorher mit Goethe in Italien gewesen war, das Porträt malte, welches in einem ausgezeichneten Stich von Sichling bekannt geworden ist. Obgleich es von den übrigen Bildern Mozarts beträchtlich abweicht, sogar in den Linien und Formen wenig von dem zeigt, was sonst Mozarts Porträts haben, so gewährt es doch in seinem Gesichtsausdruck die beste Vorstellung der eigentümlichen Mischung von Geist und Lebensfreude, Laune und Schwermut, die Mozarts Wesen war. Es erinnert im ganzen Charakter durchaus an das reizende kleine Bild, das von dem vierzehnjährigen Maestrino im Jahre 1770 in Rom gemalt ist und besonders in dem weitgeöffneten Auge die Eigentümlichkeit Mozarts wie in der Knospe zeigt. Auch Tischbeins Bild hat um Mund und Augen jenen anziehenden Zug von gutmütiger Schalkheit und das Offene und Freie, das Mozart eigen war. Wie sollte auch einem solchen Künstler der Geist eines Mozart entgangen sein! Gerade weil er ihn nie zuvor gesehen und jetzt nur auf kurze Zeit, aber in der ganzen Fülle und Lebendigkeit[478] seines Wesens sah, erfaßte er dasselbe um so freier und reiner. Und wenn auch die Züge nichts von der photographischen Genauigkeit an sich tragen, die das naive Holzrelief von Bosch und der Stich von Kohl zeigen, so gibt das Bild doch am besten den Eindruck wieder, den der geistig erregte Künstler bei einem heiteren Reiseaufenthalte auf den geistig erfassenden Künstler machte. In solcher Weise sahen den Meister diejenigen an, die seinen Genius verstanden. Alle andern Bilder sind mit handwerkerlichen Augen aufgefaßt. Und ist es auch bei Tischbein nicht die Wirklichkeit der Züge, mit denen unser Meister jedem Bürger auf der Straße begegnete, so ist es doch die Wahrheit des Künstlergeistes, den seine Zeit wie die Nachwelt bewundert, und der allein fortlebt.

Auf der Weiterreise sah Mozart auch noch einmal sein geliebtes Mannheim wieder.

Manchen alten Freund traf er dort noch an und erneuerte mit ihm in der Erinnerung die heitere Jugendzeit. Wie immer war Musik der Mittelpunkt seiner Freuden, und überallhin wirkte sein Geist anregend und ordnend. Auf der Orgel der Trinitatiskirche spielte er zusammen mit dem späteren Hoforganisten Schultz, der, damals ein junger Mann, sich noch als achtzigjähriger Greis mit hoher Freude an dies Ereignis erinnerte und auch erzählte, wie Mozart in der Probe zum »Don Juan«, der ihm zu Ehren gegeben ward, die langsamen Tempi des Kapellmeisters rügte und selbst lebhaftere angab. Am 24. Oktober war auch »Figaros Hochzeit«, wozu er ebenfalls die Tempis bestimmt hatte. »Ich kam in große Verlegenheit mit Mozart«, schreibt der Schauspieler Backhaus, »ich sah ihn für einen kleinen Schneidergesellen an. Ich stand vor der Thür als wir Probe hielten. Er kam und fragte mich nach der Probe, ob man zuhören darf. Ich wies ihn ab. ›Sie werden doch dem Kapellmeister Mozart erlauben zuzuhören?‹ Jetzt kam ich erst recht in Verlegenheit.«

Von Mannheim ging die Reise über München. Dort[479] wohnte er wieder bei seinem alten Freunde Albert, dem gelehrten Wirte zum schwarzen Adler in der Kaufingergasse, und befand sich auch dort in der Menge seiner Bekannten recht behaglich, so daß der Brief, den er anfang November an seine Frau schreibt, eine freundliche Färbung bekommt.

»Liebstes, bestes Herzensweibchen«, schreibt er, »was mir das weh thut, daß ich bis Linz warten muß, um von Dir Nachricht zu haben, das kannst Du nicht glauben. Geduld, wenn man nicht weiß, wie lange man sich an einem Orte aufhalten wird, so kann man auch keine besseren Anstalten treffen. Ich habe (ohngeachtet ich gern lange bey meinen alten Mannheimer Freunden bleiben möchte) nur einen Tag hier bleiben wollen, nun muß ich aber bis zum 5. oder 6. bleiben, weil mich der Kurfürst wegen des Königs von Neapel zur Academie gebeten hat. Das ist wirklich eine Distinction. Eine schöne Ehre für den Wiener Hof, daß mich der König in fremden Landen hören muß! Daß ich mich mit den Cannabichschen, la bonne Ramm, Marchand und Brochard gut unterhalte und recht viel von Dir, meine Liebe, gesprochen wird, kannst Du Dir wohl einbilden. Ich freue mich auf Dich, denn ich habe viel mit Dir zu sprechen. Ich habe im Sinne, zu Ende künftigen Sommers diese Tour mit Dir, meine Liebe, zu machen, damit Du ein anderes Bad versuchest, dabey wird Dir noch die Unterhaltung, Motion und Luftveränderung gut thun, so wie es mir herrlich anschlägt; da freue ich mich recht darauf und Alles freuet sich.

Verzeihe, wenn ich Dir nicht so viel schreibe, als ich gern möchte; Du kannst Dir aber nicht vorstellen wie das Gereiß um mich ist. Nun muß ich zu Cannabich, denn es wird ein Concert probirt. Adieu, liebes Weibchen; auf diesen Brief kann ich nach meiner Rechnung keine Antwort hoffen. Leb wohl, meine Liebe, ich küsse Dich Millionenmahl und bin ewig


Dein Dich bis in den Tod liebender Mozart.«[480]


Das ist der letzte Brief, den er von der Reise schrieb. Auch diesmal kehrt er ohne den erhofften Gewinn nach Hause zurück. So konnte nur ein Teil des Silbergerätes, das wegen der Reise »studiren« gegangen war, eingelöst werden. Zudem entwendete der uns genügend bekannte Klarinettist Stadler, der die Einlösung besorgen sollte, höchst wahrscheinlich noch den Versatzzettel aus Mozarts stets offener Schatulle, so daß der Rest des Gerätes ganz verloren ging. In diesen Tagen war es, wo der Hausmeister aus der »Silbernen« Schlange ihn mit Constanze im Zimmer umhertanzend gefunden hatte. Wie sehr willkommen mußte unserem Meister also das Anerbieten sein, das ihm der Violinspieler Salomon aus London machte, in der nächsten Zeit dorthin zu kommen. J.P. Salomon, von Geburt ein Bonner, hatte bereits den alten Freund Haydn, der so eben durch des Fürsten Esterhazy Tod unabhängig geworden war, für die Konzerte seiner musikalischen Gesellschaft unter Bedingungen gewonnen, die für jene Zeit glänzend waren. Nach Haydns Rückkehr sollte dann unter gleichen Bedingungen Mozart folgen. Der Abschied der beiden edlen Männer war rührend. War doch der alte Papa in Wien der einzige Künstler, der unsern Meister ganz verstand und es zugleich gut mit ihm meinte! Mozart fand wie die andern Freunde Haydns diese Unternehmung sehr gewagt und deutete auf die Schwierigkeit hin, die ein bejahrter Mann, zumal wenn er nicht ge wohnt sei, sich in der großen Welt zu bewegen, unter einem fremden Volke, dessen Sprache er nicht einmal verstehe, zu überwinden habe, Haydn aber meinte, er sei zwar alt, – er zählte damals 59 Jahre, – aber munter und bei Kräften und seine Sprache verstehe man durch die ganze Welt. Am Tage der Abreise ging Mozart nicht von seiner Seite. Er speiste bei ihm, und als der Abschied kam, sagte er zu Tränen gerührt: »Wir werden uns wohl das letzte Lebewohl in diesem Leben sagen.« Auch Haydn war tief bewegt und dachte an seinen Tod, der dem so viel älteren Manne wohl näher stehen konnte, er suchte Mozart[481] zu beruhigen und zu trösten. Allem dessen Ahnung war richtig. Noch in London erfuhr Haydn seines Freundes Tod und weinte bittere Tränen.

In diesen Tagen der Kümmernis schrieb Mozart auch jenes Stück für ein Orgelwerk in einer Uhr, welches so tief ergreifend den großen Kampf seiner Seele darstellt und dem nach wenig Monaten, am 3. März 1791, das zweite größere folgte, welches jene inneren Prozesse noch deutlicher enthüllt. Freilich das Quinett in D-dur, das im Dezember 1790 »auf die sehr thätige Aneiferung eines Musikfreundes« geschrieben war und den Meister durch eine würdige Anspannung seiner Kräfte von den materiellen Sorgen des Lebens befreien helfen sollte, und das Klavierkonzert in B-dur aus dem Januar 1791, haben bereits etwas von der idealen Heiterkeit und der ernstmilden Haltung, die in wundervollem Wohlklange den Sieg der ewigen Natur in unserem Meister verkündigten. Allein, was dem vorausgegangen, verraten uns jene Orgelstücke. Ob sie gleich bestellt waren und zwar von Graf Deym für sein Müllersches Kunstkabinett als Trauermusik zu einem »Mausoleum« des Feldmarschalls Laudon, so sind sie doch wie aus innerem Drange geschrieben. So voll war des Meisters Seele von den höchsten Dingen, daß eine rein äußerliche Anregung genügte, um ihn zum lautesten, ergreifendsten Aussprechen seiner Leiden zu bringen. Diese kleinen Stücke bergen in sich eine ganze Welt von Musik wie von psychologischen Vorgängen. Das erste ist weniger bedeutend, es zeigt in der Weise Händels jenes Aussprechen des energischen Wollens, das bei diesem Meister das Hervorragende ist, es hat die sichere Ueberzeugungskraft dieses männlichen Geistes. Allein die kleine Einleitung, die dem Hauptsatze vorausgeht, überragt die Seelenäußerungen Händels in einer Weise, daß man selbst das Größte dieses großen Meisters vergessen könnte. Und doch ist das kleine Stückchen, so wie es am Schlusse wiederkehrt, in der Fülle und Tiefe seiner Empfindung, in der herzergreifenden[482] Klage und dem Ausdrucke unauslöschlichen Sehnens noch gesteigert. Das zweite größere hat sich noch bestimmter der Sprache bemächtigt, mit welcher der deutsche Tiefsinn sein innerstes Gut auszusprechen bemüht war. Es ist eine Fuge von sehr großartiger Anlage, und hier erkennt man, wie durch die Berührung mit dem norddeutschen Geiste, der eine vertieftere Auffassung des Lebens überhaupt herbeigeführt hatte, in Mozarts Seele Töne wachgerufen waren, die er selbst vorher kaum gekannt hatte. Nicht eine Fuge zu schreiben und den Meister der Meister in diesem Stile, den alten Sebastian Bach, nachzuahmen, war sein Ziel, sondern es gohr und drängte in seiner inneren Seele: mit übersteigender Gewalt kämpften die Gefühle gegeneinander, ringelnd stiegen die Schlangen des Schmerzes und der Reue aus der Tiefe des Herzens empor, und eng verschlungen drängten sich die schmerzlichen Vorstellungen ans Licht, welche die Reihe der Jahre in ihm so reichlich gehäuft hatte. Wie mit einem Schrei der furchtbarsten Not stürzte die ganze Flut der herben Empfindungen aus seiner Brust hervor und wählte die Sprache, in der die ganze Mannigfaltigkeit dieser Zustände wie ihre unendliche Verschlingung, ihr rastloses Gähren sich darstellt. In diesem Werke erkennen wir die volle Tiefe der Mozartschen Natur, die nicht ruht, als bis sie die höchsten Dinge mit Sicherheit erfaßt oder doch sich in ahnende Nähe gebracht hat. Hier redet der Faust, der auch in Mozart lebte, und der, nachdem er an des Lebens Freud und Leid sich völlig ersättigt, nicht abläßt zu fragen, was denn der Sinn, was der Endzweck aller dieser Dinge sei? Auch er ringt nach Erkenntnis und wenn auch in seiner Weise der dunklen Vorstellung und des ahnenden Gefühls, so doch mit nicht geringerem Drange, mit nicht geringerer Macht. Auch in ihm ist das Sehnen nach einem dauernden Besitz mit tiefem Erschauern des Innern wach geworden, und sein Herz ruft in brennendem Verlangen nach den Wassern der ewigen Wahrheit, deren holder Schein, so wie ihn[483] das Schöne bietet, selbst ihm jetzt kaum noch genügen will. Mit furchtbarem Ernste nimmt er diese Frage in sein Herz, und in der Tat, er hat Antworten darauf gegeben, die keinem Hamlet, keinem Faust nachstehen.

In einer solchen Seelenstimmung befand sich also Mozart, als ihm durch eine jener seltenen Fügungen des Schicksals ein Werk zur Komposition übertragen wurde, in dem sich zum Beschlusse seines Lebens alles, was in seiner Seele an Kampf und Ringen, wie an Sieg und Gewinnen vorgegangen war, in herrlichster Weise offenbaren sollte. Es war die »Zauberflöte«.

Mit diesem Werke hat es eine eigene Bewandtnis. Der Anlaß zu seiner Entstehung ist unbedeutend und rein zufällig, der Grund ein tiefer und notwendiger. Wird doch dem, dessen Seele an dem Höchsten hängt, unter den Händen alles zum Mittel, sein tiefes Schauen zu offenbaren, und Mozart vor allen war glücklich, als er wieder Gelegenheit fand, sich durch künstlerisches Schaffen sowohl seiner Bedrängnis zu entledigen, wie die schöne Harmonie seines Herzens, die tiefe Versöhnung, die sein Geist endlich gefunden hatte, in der reinsten Weise auszusprechen. Hiermit verhielt es sich aber so:

Wir sahen bereits, wie Mozart im Jahr 1780 in Salzburg die Bekanntschaft des Theaterunternehmers Emanuel Schikaneder machte, und wie dieser schon damals des jungen Künstlers Talent für sich zu verwerten verstanden hatte. Dieser zweite Serlo war seitdem in manchen Gebieten unseres damals noch so vielgestalteten Vaterlandes umhergezogen, hatte nach seiner abenteuernden Weise manches unternommen, manches wieder aufgegeben, bald in Ueberfluß schwelgend, bald darbend, jedoch stets mit weitem Gewissen und weltkundiger Gewandtheit die Menschen und ihre Verhältnisse zu seinem Vorteile benutzend. So hatte er auch seit einigen Jahren ein kleines hölzernes Theater, das kaum mehr als eine Bretterbude war, im Starhembergischen Freihause auf der Wieden errichtet. Die Konkurrenz, die ihm[484] die Bühne in der Leopoldstadt mit ihrem Kasperl machte, und mancherlei mißlungene Spekulation hatten wieder einmal seine Verhältnisse völlig zerrüttet, und er war in Gefahr, mit seinem Unternehmen ganz zugrunde zu gehen. Mozart, der ja heiteren Umgang liebte, auch ohne viel auf besondere Lebensstellung zu achten, war mit der Schikanederschen Truppe schon lange in Verkehr gewesen und hatte mit diesen munteren Leutchen manche Stunde fröhlichen Zusammenseins verbracht, indem er sich ihnen wie immer auch durch sein Können gefällig zeigte. Es existiert eine Baßarie mit obligatem Kontrabaß, die er für Pischlberger und Gerl geschrieben hat, beide waren bei Schikaneder angestellt. Auch hatte Gerl eine sehr hübsche und liebenswürdige Frau, die frühere Demoiselle Reisinger, die Mozart gern sah, und der er nach seiner heiteren Weise den Hof machte. Schikaneder nun wandte sich auch in der jetzigen Not an seinen Freund – es war im Frühjahr 1791 – und stellte ihm vor, daß er verloren sei, wenn er nicht eine ganz besondere Zugoper bekomme: einen vortrefflichen Stoff habe er bereits entdeckt, eine Zauberoper, und Mozart sei der rechte Mann, die Musik dazu zu schreiben. Mozart weigerte sich diesmal entschieden, so sehr ihm Schikaneder seine große Not schilderte. Doch als dann, so heißt es, Schikaneder auch die liebenswürdigen Bitten der Madame Gerl zu Hilfe zog, widerstand er nicht länger und erklärte sich bereit. War es ja am Ende für ihn selbst das Liebste und Beste, was er kannte, eine Oper zu schreiben. Allein »wenn wir ein Malheur haben«, sagte er, »so kann ich nichts dazu, denn eine Zauberoper habe ich noch nicht componirt.«

Mozart befand sich damals ebenfalls in der bedrängtesten Lage. Seit Monaten lag seine Frau wieder krank, und ein längerer Aufenthalt in Baden war von dem Arzte bereits angekündigt worden. Er hatte also auch auf die mögliche Einnahme von dieser neuen Oper zu rechnen. »Auf des Hoffmeisters seinen giro« war sicher nicht viel eingelaufen und an Bestellungen[485] fehlte es noch immer. So war der jetzige Auftrag auch nach dieser Seite hin nicht unwillkommen. Schikaneder freilich vermochte jetzt nichts zu zahlen. Zwar hatte er hundert Dukaten versprochen, aber Mozart, der seine Umstände kannte, war mit ihm übereingekommen, wenn die Oper gefalle, wolle er mit dem Ertrag zufrieden sein, den der Verkauf der Partitur an andere Bühnen gewähre. Doch es wurde auch dieses Versprechen nicht gehalten. Als Mozart erfuhr, daß andere Theater bereits Kopien der Oper von Schikaneder erworben hatten, war seine einzige Antwort: »Der Lump!«

Schikaneder machte sich sogleich nach der Verabredung an die Bearbeitung seines Zaubermärchens und richtete das Ganze so ein, daß er, ein Hauptpossenreißer, in dem von ihm erdachten Federkostüm recht viel populäres, dummes Zeug zu singen bekam. Ebenso rasch war Mozart mit der Musik zur Hand, und damit die mancherlei Veränderungen, die nach des Maestros seiner Fühlung für das Dramatische und Wirkende am Texte und nach des Direktors Absicht auf das, was dem Publikum gefalle, an der Musik vorzunehmen waren, recht rasch und geschickt vor sich gehen konnten, räumte Schikaneder, der obendrein wohl wußte, wie Mozart trotz allem Eifer stets schwer zum Aufschreiben zu bringen war, und der auch den guten Einfluß der freien Natur auf seine Schaffensgeister kannte, ihm den kleinen Gartenpavillon im mittleren großen Hofe des Freihauses dicht neben dem Theater ein. Hier schrieb der Meister, dessen Frau bereits nach Baden gegangen war, ungestört an dem neuen Werke, und zwar mit solchem Eifer, daß schon im Juli die Musik fertig war, um die Proben beginnen zu können.

Schikaneder, der selbst ein lustiges, leichtfertiges Leben führte und jede Art des Genusses liebte, hatte dafür gesorgt, seinen Maestro stets in guter Stimmung zu erhalten und, wenn er, müde von der Arbeit, einer Erfrischung bedurfte, ihm dieselbe reichlich zu gewähren. Auch der leichtgeflügelte Freund Stadler begegnet[486] uns in der lustigen Gesellschaft, die den tiefbeschäftigten Meister damals ganz in ihre Schlingen zu ziehen wußte, und man begreift leicht, wie Mozart, dessen Seele so ganz an den höchsten Dingen hing, sich arglos diesem Treiben hingab, das ihm obendrein Sinne und Phantasie in lebhaft schwingender Bewegung erhielt. Ihn beschäftigte etwas Tieferes, ihm erregten höhere Dinge das Herz als die Freuden des Lebens, die seine Sinne genossen, derweilen sein Geist in der Anschauung des Ideals versunken war. Es ist schwer ein klares Bild von der Geistesstimmung zu gewinnen, in der unser Meister damals lebte. Wohl fühlte er tief, daß die Bande, die uns an das irdische Dasein fesseln, sich allgemach lösten. Er hatte nichts mehr gemein mit dem Leben, und es drängte ihn nur, auch das Beste, was er wußte, auszusprechen, ehe er ganz von dannen ging. Hatte er doch noch so sehr viel zu sagen, und war ihm nicht dazu gerade jetzt die beste Gelegenheit geboten? – Schikaneder freilich, nach seiner lebensklugen Art, benutzte diese Stimmung des Meisters möglichst zu seinem Vorteile, und Mozarts damaliger Schüler Hummel erzählte von den Lustbarkeiten, zu denen Schikaneder, dem es um die »Zauberflöte« zu tun war, ihn verlockte, erklärte es jedoch ausdrücklich für unwahr, daß Mozart sich außer diesen Gelegenheiten je der Schwelgerei überlassen habe. Und man erfährt aus dem Eindruck, den Mozarts schneller Tod auf den letztern machte, wie sehr er sich einer bösen Verführung des geistig und körperlich überreizten Freundes schuldig fühlte. Die Nachricht ergriff ihn aufs heftigste. Er ging umher und schrie laut auf: »Sein Geist verfolgt mich allenthalben, er steht immer vor meinen Augen.« Allein die Nemesis sollte weit schrecklicher auftreten. Schikaneder starb, nachdem er noch manches Jahr sein unordentliches Dasein fortgeführt, in Dürftigkeit und Wahnsinn.

Wir Nachgeborenen freilich sind diesem Manne wieder versöhnt, denn es schloß sich an seine närrischen Einfälle diesmal noch ein anderes, Bedeutenderes an, das Anlaß zu tiefsten Enthüllungen[487] durch die Musik wurde. Zwar dem Theaterunternehmer zulieb hatte Mozart sich auch schon an dem arabeskenhaft Schönen des bloßen Märchens schaffend beteiligt, und die Introduktion der Oper beweist wieder, daß er den ganzen Zauber der bloß spielenden Linien kannte und wohl wußte, welch sinnvolle Schönheit sich auch hier entfalten lasse. Als man nun aber gar in dieses heitere Spiel einen tieferen Ernst verflocht, da entzündete sich seine Seele zu hellem Brande. Der erste Akt der Oper war nämlich bis auf das Finale fertig. Da ergiebt sich, daß die Bühne in der Leopoldstadt denselben Stoff zur Aufführung vorbereitet. Bald darauf erscheint auch »Kaspar der Fagottist« oder »Die Zauberzither« mit der Musik des beliebten Volkskomponisten Wenzel Müller (1767–1835) und gewinnt durch die Hanswurstiaden des noch beliebteren Komikers Laroche und durch glänzende Dekorationen den größten Zulauf. Schikaneder gerät in Verzweiflung, sein schöner Plan ist zerstört, seine einzige Hoffnung abgeschnitten. Allein wie immer weiß er sich auch hier schnell zu fassen; er beschließt, die Pointe des Stückes umzukehren und aus dem bösen Zauberer, der die Tochter der »Königin der Nacht« geraubt hat, einen Weisen und erhabenen Menschenfreund zu machen, das heißt in Sarastro die Humanitätsideen darzustellen, die damals jedermann beschäftigten. Wir wissen nicht, wer zuerst auf diesen Gedanken kam, die Freimaurerei in den ursprünglichen Zauberstoff zu verweben. Aber sicher war es der glücklichste Einfall von der Welt, denn einmal war nun das Stück des ungeteilten Beifalls des Publikums gewiß, und dann vor allem war Mozart fortan auf eine ganz andere Weise für den Gegenstand innerlich gewonnen.

Es hatte nämlich Kaiser Leopold, wie er ja in allen Dingen seinem Vorgänger entgegentrat, auch den Freimaurerorden aufgehoben. Dies wurde zum allgemeinen Signal, die Ideen des[488] Ordens erst recht zu preisen und in jeder Weise zur Schau zu tragen. Welche Gelegenheit konnte nun wohl günstiger sein, als unter dem Gewande ägyptischer Priesterweisheit in einem orientalischen Märchenspiel die schönen Empfindungen und Gedanken des Ordens in harmloser und zugleich durch den Reiz der Kunst tief eindringender Weise öffentlich zu predigen? Vielleicht war dazu von der Loge selbst die Anregung ausgegangen. Gewiß, daß dem Theaterunternehmer diese Sache sehr einleuchtete, und daß er es sich gern gefallen ließ, wenn Ludwig Gieseke, der bei ihm Chorist war, sich bereit erklärte, diese neuen ernsteren Partien des Werkes zu verfassen, denn dazu reichte die bloße Versmacherei eines Schikaneder doch nicht aus.

Und nun gar Mozart!

Wir wissen, wie gut freimaurerisch er war, und durch diese weihevollen Vorgänge, die das Kleid fremder Zustände und ferner Jahrhunderte trugen, durfte er ungestört ausdrücken, was weit über Moral und Dogma hinaus von wahrhafter Tugend und Gottesempfindung in seiner Seele lebte. Nun strömte es wirklich hervor, was ihm im Herzen so rastlos gegohren und so herrliche Versöhnung gefunden hatte. All das Streben zum Guten, das die letzten Jahre mit so echt menschlichen Schmerzen erfüllte, die heiße Sehnsucht nach einem dauernden Besitz, all die Hoheit der Selbstüberwindung, sowie sie ihm als Lösung des Rätsels von dem Glück des Lebens erschienen war, mochte er jetzt in die Gesänge des heiligen Kreises und seines Oberpriesters legen, – von dem feierlich reuevollen Insichgehen, wozu der düstere Gesang der geharnischten Männer die »Wandernden« ermahnt, bis zu der himmlischen Versöhnung, mit welcher der leuchtende Chor der Priester den Geläuterten die Einweihung verkündet. Und was war ihm jetzt daran gelegen, seinem Textmacher und Theaterdirektor, der stets nur den äußeren Erfolg im Auge hatte, in all seinen Anforderungen nachzugeben und so populär zu schreiben, wie dieser wollte! Behielt er doch immer die[489] Stellen für sich, in denen er seine eigene Seele sich austönen lassen konnte.

Schikaneder pflegte später viel mit dem Anteil zu prahlen, den er an der Musik zur »Zauberflöte« habe, und tat sich besonders viel darauf zu gute, daß er dem Mozart fast die Hälfte der Partitur gestrichen habe. Er freilich wußte genau, womit er auf der Bühne Effekt mache, und plagte seinen Maestro unausgesetzt um die einfachst volksmäßigen Melodien, die dieser auch mit so wunderbarem Geschick zu erfinden wußte, daß sie in dem Ohre des Kindes, in dem Herzen jedes unbefangenen Menschen widerhallen. Er ließ sich sogar herbei, Schikaneder zulieb eine oder die andere Sache ganz und sogar mehrmals umzuschreiben, und achtete dabei genau auf die Art, wie der lustige »Vogelfänger« es wünschte. Bewundernswerter als diese Nachgiebigkeit eines Künstlers, dem doch seine hohe Sache so sehr am Herzen lag, ist die Beweglichkeit und Fruchtbarkeit seiner Phantasie, die aus dem geringsten und sogar trivialen Motive sogleich eine Melodie, ein Musikstück erfand, das den höchsten Adel der Kunst an sich trägt, ohne die kindliche Natürlichkeit je auch nur im mindesten zu verlieren. So ist es mit dem Liede: »Ein Mädchen oder Weibchen« und mit den beiden Duetten »Bei Männern, welche Liebe fühlen« und »Papageno«, deren Anfang Schikaneder seinem Maestro vorgeträllert haben soll. Und wie sicher der Impressario sich dabei fühlte, beweist folgendes Billet aus jenen Tagen: »Lieber Wolfgang! Derweilen schick ich Dir Dein Pa-Pa-Pa zurück, das mir ziemlich recht ist. Es wird's schon tun. Abends sehen wir uns bei den bewußten Beweisen. – Dein E. Schikaneder.«

Nicht störte alles dieses unsern Meister, dessen Geist die Dinge zu erfassen strebte, die über allem Dasein schweben, und dem dieses Spiel des Lebens, an dem ein Schikaneder sich erfreute, eine heitere Torheit war, die er mild lächelnd hinnahm und als Kontrast künstlerisch verwendete. Sein Sinn war durch[490] die stete Hinwendung auf das Hohe und Ewige so geschärft für den Lebenskeim, der auch im kleinsten Dasein liegt, daß sich jetzt erst recht die hohe Fähigkeit seines Geistes beweist, die Dinge nach ihres Wesens Kern zu ergreifen und künstlerisch darzustellen. Denn so kindisch das Märchenspiel ist, das in diesem »angenehmen Spektakel« vor sich geht, so birgt sich doch in seinem Hintergrunde die Wahrheit wirklichen Lebens. So waren die Wiener von ehemals: so genossen sie ihr Dasein in unbefangener Freude und hatten ihre Lust an Wein und Liebe, so ergingen sie sich in harmlosen Scherzen, waren schwatzhaft und naschig und besprachen die Freuden des Gaumens mit einem Behagen und die Süßigkeiten der Liebe mit einer Wichtigkeit, als seien diese Herrlichkeiten erst soeben entdeckt worden. Und nicht anders war auch Mozart. In seiner Weise freute er sich kindisch mit den Wienern, liebte wie sie »Backhähndln« und Wein und heitern Verkehr und wollte in keiner Weise mehr sein als sie. Und wenn ihn auch in nachdenklichen Stunden sein Genius zurufend warnte, so mochte seine Antwort sein: »Ja, thöricht, aber doch schön!« – und seine rasch schaffende Phantasie hob ihn bald weit wieder über alle diese Dinge empor. So wie es in der Zauberflöte ausgesprochen ist, schwärmte aber auch der edelempfindende Teil der Nation damals von Gott und Unsterblichkeit. Die ersteren Partien des Werkes, die uns mit ihrer wunderbaren Weihe wahrhaft erhebend anwehen, sind der Ausdruck der reinsten Empfindungen jener Zeit. Und Mozart vor allen war es ja mit diesen Dingen Ernst. Er grübelte freilich nicht viel über den Wert oder Unwert der Wahrheiten, die sein Orden hegte. Sein Inneres war voll inniger Hingebung für diese Lehren, deren bester Sinn, reines Vertrauen zu den Menschen und innerster Drang, sie zu beglücken, ihm ja wie an geboren war.

Die gesamte Geistesstimmung unseres Meisters war allgemach eine religiöse geworden. Gerade des Lebens härtestes Drängen hatte ihn gelehrt, sich in das Walten des Ewigen in Ergebung[491] zu fügen, und dieses stille Gottvertrauen bildete fortan die wohlbewußte Grundstimmung seiner Seele.


»O goldne Ruhe steig' hernieder,

Kehr' in der Menschen Herzen wieder« –


diese Worte der »Zauberflöte« sprechen das innere Heimweh aus, das Mozarts Herz jetzt ganz ergriffen hatte. Wie so tief er sich dem Himmlischen entgegensehnte und schon sichtbar fühlte, das erkennen wir auch aus dem berühmten Ave verum, welches er am 18. Juni dieses Jahres seinem Freunde, dem Chorregenten Stoll in Baden, zu Gefallen komponiert haben soll, und das uns in der Tat auf einen schönen Augenblick allen irdischen Nöten zu entrücken vermag. Zwar mußte er auch damals wieder seinen Freund Puchberg bitten, ihm mit etwas Wenigem auszuhelfen, weil er merke, daß man sowohl wegen Quartier als auch wegen Kost und Bad gern etwas Geld sehen möchte. Allein das berührte ihn damals nicht mehr, da es obendrein nur auf wenig Tage ankomme, so werde er in seinem Namen fl. 2000 empfangen. Und welch schöne Heiterkeit jetzt auf seinen Tagen ruhte, erfahren wir aus dem folgenden Briefe an seine Frau, die also mit ihrer Schwester Sophie wieder in Baden war.

»Mein theuerstes Weibchen«, beginnt er am 7. Juni 1791 auf französisch, »ich schreibe diesen Brief in dem kleinen Zimmer bei Leutgeb (einem Salzburger Hornisten), wo ich diese Nacht ausgezeichnet geschlafen habe, und ich hoffe daß mein liebes Weibchen diese Nacht ebenso gut zugebracht hat wie ich. Ich werde auch diese Nacht hier zubringen, weil ich Leonore (die Magd) entlassen habe und ganz allein im Hause sein würde, was nicht angenehm ist. Ich erwarte mit viel Ungeduld einen Brief der mich benachrichtigt, wie Ihr den gestrigen Tag zugebracht habt. Ich zittre wenn ich an das Antonsbad denke, denn ich fürchte immer die Gefahr des Fallens auf der Treppe beim Hinausgehen, und befinde mich zwischen Hoffnung und Furcht,[492] eine sehr unbehagliche Lage! Wenn Du nicht in diesem Zustande wärest, würde ich weniger fürchten. Aber lassen wir diese traurige Idee, der Himmel wird sicher Sorge getragen haben für meine liebe Stanzi-Marini. –

Diesen Augenblick erhalte ich Dein liebes Schreiben, und sehe daraus mit Vergnügen, daß Du gesund und wohl auf bist. – Mad. Leutgeb hat mir heute das Halsbindel gemacht, aber wie! Lieber Gott! ich habe freylich immer gesagt: so macht sie's! – es nutzte aber nichts. Mich freut es, daß Du guten Appetit hast, wer aber viel ißt, muß auch viel ... gehen wollte ich sagen. Doch ist es mir nicht lieb, wenn Du große Spaziergänge ohne mich machest. Thue nur alles was ich Dir rathe, es ist gewiß von Herzen gemeint. Adieu liebe – einzige! Fang Du auch auf in der Luft, es fliegen 2999 und 1/2 Küsse vor mir, die aufs aufschnappen warten. – Nun sag ich Dir etwas ins Ohr – – – Du nun mir – – – nun machen wir den Mund auf und zu, immer mehr – und mehr – – endlich sagen wir – es ist wegen Plumpi – Strumpi. Du kannst Dir nun dabei denken was Du willst, das ist eben die Comodität. – Adieu. 1000 zärtliche Küsse. Ewig Dein Mozart.«

So in harmlosem Scherz gab er sich auch jetzt jeder frohen Regung hin. Nun er in seinem Herzen sozusagen mit des Lebens Spenden abgeschlossen hatte und nicht weiter Freude noch Glück begehrte, konnte sein Auge mit ruhigem Blicke des Daseins Gebiete überschauen, und er sammelte wie zum Scheidegruße in seinem Geiste alles, was ihm das Leben je Holdes und Lebenswertes gezeigt hatte. Dieses legte er dann in dem letzten seiner dramatischen Werke nieder, und darum bekundet auch keins derselben so sehr gerade die menschliche Eigentümlichkeit seines Erschaffers. Erst die »Zauberflöte« zeigt unsern Meister in der ganzen Liebenswürdigkeit seines Herzens wie in der Hoheit seines Geistes. Erst sie stellt in voller Reinheit die Ideale dar, die ihm[493] der Lauf durch das Leben nicht bloß gelassen, sondern sogar geschaffen hatte. Sie zeigt Typen, die so gut wie die Gestalten Shakespeares und Goethes aller wirklich dichterischen Kunst später von bestimmender Bedeutung geworden sind.

Zunächst Tamino. Wo ist ein Jüngling, der reiner liebte? – Dies fürwahr ist mehr als alle andern Gestalten der Phantasie Mozarts das Bild seines eigenen Herzens, dies ist Mozart ganz und gar. Zunächst nur ein Herz, das für alles Ideale schwärmt, – das in jugendlicher Begeisterung der »Lieb' und Tugend Heiligtum« sucht, das im unerfahrenen Eifer der Wahrhaftigkeit sogleich bei der ersten Täuschung schmerzvoll in die Worte ausbricht: »So ist denn alles Heuchelei?« – das aber ebenso leicht wieder mit der Gläubigkeit der Unschuld auf die Zurede des erfahrenen Mannes hört und, als ihm auch hier noch nicht völlig Licht wird, sich wohl zu der sehnsuchtsvollen Frage aufwirft:


»O ew'ge Nacht, wann wirst du schwinden?

Wann wird das Licht mein Auge finden?«


aber, sobald ihm von unsichtbaren Mächten die Verheißung einer baldigen Lösung zu Teil wird, sich in kindlicher Ergebung bescheidet und, als ihm auch nur ein Stücklein seiner Hoffnungen und Wünsche erfüllt wird, mit rührender Dankbarkeit Worte zum Himmel singt, die erst ganz und gar die schöne Reinheit und tiefe Bescheidung seines Inneren enthüllen! – Das ist Mozarts eigene Seele, und das alles legte er in jenes Rezitativ nieder, wo sich Tamino mit dem Priester unterredet. Hier ist jeder Ton so sinnvoll bedeutend, daß wir fühlen, es galt dem Meister mehr als bloß schöne Musik zu schreiben. Er sprach seines Herzens innerstes Meinen aus, seiner Seele Sehnen nach dem ewigen Lichte, und so tief, so schön, so rein, daß dieses persönliche Empfinden zum Empfinden aller wird, die Menschen heißen. Dieser Jüngling hegt in seiner Brust die lebendige[494] Ahnung des Höchsten, er sucht es, sehnt sich darnach und es gilt ihm mehr als alle Dinge, welche die Welt ihm bietet. Allein er sucht es mit der Bescheidenheit eines Herzens, dem es Gewißheit ist, daß keinerlei stürmisches Begehren, keinerlei eigensüchtiges Wollen dieses Höchste jemals erringt, daß es vielmehr ein Geschenk des Himmels ist, dem in Sehnsucht geöffneten Herzen freiwillig dargereicht. Geht nicht dieser Zug durch Mozarts ganzes Leben? Hat er nicht von je auf die äußeren Güter verzichtet, um die inneren um so gewisser zu gewinnen?

Doch weiter!

Dieser Jüngling, den nichts beseelt als eine träumerische Ahnung des Höchsten, eine warme Neigung zu allem Edlen, wird mit einem Schlage von jener holden Leidenschaft ergriffen, in der wir wähnen der Himmel steige zu uns nieder und in dem einen geliebten Wesen sei die Summe aller Wesen befangen. Zwar ist es zunächst nur ein Bildnis, was »sein Herz mit neuer Regung füllt«. Allein das Anschauen erfüllt ihn wirklich und ganz mit dieser Regung, erfüllt ihn innigst und mit all jenen Wandlungen der Empfindung, welche das unerfahrene Herz in dem ersten Begegnen der Liebe durchlebt: Gefallen, Sehnsucht, Zweifel wechseln mit dem unsäglichen Entzücken der Gewißheit. Wir glauben es, wir sehen es, wir hören es, unser eigenes Herz glaubt es mit zu erleben, wenn es den Tönen folgt, in denen sich diese Vorgänge so unendlich schön aussprechen, wir sind überzeugt, dieser Jüngling liebt, er liebt von Herzen. Und wie liebt er, der kaum Berührte, schüchtern Unerfahrene? Keusch wie das Licht des Mondes und so innig, so selig, wie nur erste Liebe liebt. In vollen Strömen des Glückes ergießt sich sein Herz über das »bezaubernd schöne Bildnis«, und seligste Gewißheit redet laut aus dem »Ewig, ewig wäre sie dann mein!«

Aber durch alle sehnsuchtsvolle Glut des neuerwachten Liebesgefühls schimmert wie durch einen zarten Schleier doch wieder der Grund der Seele dieses Jünglings hervor, auf dem die zarte[495] Bescheidung ruht. Kaum wagt er das holde Glück anzunehmen, das ihm geboten, kaum es zu wünschen. Wo in der Welt gewann Mozart, der längstverheiratete Mann, diese Töne der reinsten Jugendneigung? Wie verraten sie die Unschuld des Herzens, das man so oft geschmäht! Nichts weiß diese Liebe von jener Heftigkeit des Begehrens, nichts von der zehrenden Glut, die dieses schönste Empfinden so manchmal schmerzlich trübt. Sie verharrt durchaus in der Ahnungslosigkeit der Jugend, sie ist jene schöne Art, die mit der Liebe das Ideal verbindet. Denn wiederum kennt dieser Jüngling etwas Höherstehendes, als sein eigenes Empfinden rücksichtslos geltend zu machen, wieder verknüpft er mit der Fülle und Tiefe des eigenen Gefühls das Maß, das er von der Liebe zum Höchsten und Ewigen genommen. Blickt hier nicht wieder des Meisters eigenes Herz mit so offenen Augen hervor, daß wir mit Entzücken in dieses milde Licht schauen und uns verwundern, daß dieser Mensch so ganz einzig und rein geschaffen ist wie sonst wir Sterblichen nicht?

Neben Tamino steht Pamina, an Unschuld wie an Innigkeit der Empfindung ihrem »Jünglinge« so durchaus gleich und doch wieder so eigenartig weiblich. Auch auf sie, das kaum erschlossene Jugendwesen, das in aller Ahnungslosigkeit der reinen Seele zur holdesten Erscheinung aufgeblüht ist, fällt das eine Gefühl, das die Geschlechter verbindet, wie mit einem Zauberschlage von oben und füllt sogleich ihr ganzes Dasein aus. Auch sie hat nichts von dem Begehren, das nur der niedern Leidenschaft eigen, und doch wirft sie sich in der Ueberfülle ihrer Empfindung mit der holden Rückhaltlosigkeit der wahren Liebe sogleich beim ersten Begegnen dem Geliebten an das Herz, den reinen Mund zum reinen Kusse bietend. Was sind diese wenigen Töne! Nie ward vollendeter die Seligkeit zweier Herzen geschildert, die einander in der gleichen Empfindung begegnen. »Du bist's, er ist's! Es ist kein Traum!« – wir fühlen es den Tönen an, wie diese beiden Herzen entzückt einander entgegenstürzen und wie der kleine Gang,[496] wo ihr Empfinden miteinander geht, die selige Gewißheit ausspricht, daß sie so all ihre Tage miteinander gehen werden. Das ist das Weib, dem die Liebe alles ist, das in der Liebe aufgeht und durch sie erst ihr volles Aufblühen erhält. Hier ist der Born, aus dem die musikalische Dichtung unserer Tage den Seelenstoff zu Gestalten wie Senta, Elsa, Elisabeth, Eva schöpfte.

Und dann, wo ward je zuvor die Hoheit des weiblichen Gemüts, das sich im Rechte seiner Unschuld fühlt, schöner dargestellt als in den Tönen, mit denen Pamina dem Sarastro entgegentritt! Diesen Charakter des deutschen Mädchens, bei dem Innigkeit des Gefühls mit Herzensreinheit und hohem Sinn wetteifert, bewahrt sie in jedem Augenblick. Kindliche Lieder der Fröhlichkeit, in welche die Liebe höchstens als mädchenhafter Wunsch, als Ahnung hineinspielt, sang sie mit Papageno, volleres Empfinden brach beim Anblick ihres Jünglings hervor, aber ganz enthüllt sich ihre Seele erst, als sie nun von ihm Abschied nehmen soll. Es ist nicht möglich, in schönerer Weise drei Herzen in der Empfindung des Edelsten zusammenzustimmen, als es in dem berühmten Terzett »Soll ich dich, Teurer, nicht mehr sehen?« geschehen ist. Tamino, den jetzt der ernste Gang durchs Leben erst zum Manne reisen soll, ist ganz von seinem Berufe erfüllt, seine Liebe soll sich ja erst in ihrer Echtheit bewähren, indem sie die Prüfung des Lebens besteht. Er ist von der Notwendigkeit dieser kurzen Trennung ganz überzeugt, und dieses Bewußtsein eines Höheren hebt ihn über den Schmerz, wie tief er ihn auch empfindet, doch so hoch hinaus, daß er selbst die Geliebte zu trösten vermag. Er ist ein Liebender, aber er ist ein Mann, dem neben dem süßen Gefühle der Liebe auch ihr ganzer Sinn, ihr Gehalt fürs Leben vor des Geistes Augen steht. Pamina aber ist jetzt ganz liebendes Mädchen, sie fühlt nur den Schmerz der Trennung und läßt ihn unverhüllt und fast ungestüm hervorbrechen. Allein so sehr ist auch sie wieder voll jener holden Ergebung des Weibes, daß ihr die Ruhe des Geliebten und des väterlichen Freundes, selbst[497] da, wo sie beider Vorhaben nicht versteht, vertrauensvolle Sicherheit in die Seele hinüberleitet. So schmiegt sie sich in den Schlußtönen dieser Szene zutrauend innig und ohne Klage an den Geliebten an, und der zaubervolle Klang des Ganzen hat dann nur noch jene leise Wehmut, die alles echte Gefühl hat, weil es uns so wunderbar an die Endlichkeit all unseres Hoffens und Wünschens gemahnt.

Fürwahr, ein schöneres Denkmal konnte Mozart seiner Ehe mit Constanze nicht setzen. Er hatte in ihr wahrhaftig den Segen der Liebe erfahren, er hatte den ganzen Gehalt dieses wahrsten Lebensbundes in sich aufgenommen, die Ehe war ihm, was sie sein soll, der Liebe Erfüllung geworden, die Reinigung von aller Leidenschaft, deren rätselvollen Verirrungen er wie jeder Sterbliche so hundertfach ausgesetzt war. Was ihm auch an entzündender Begehrung jener »Lucretien, die sich nicht selbst erstechen« begegnet war, stets hatte bei ihm das bessere Selbst den Sieg davongetragen, und es ist, als habe der Meister in der liebreizenden Gestalt Paminens am Ende seiner Tage noch einmal alles zusammenfassen wollen, was er von je über die wahre Liebe gedacht und in so mancher Gestalt schon teilweise ausgesprochen hatte. Pamina ist das Bild des in den Tod getreuen Weibes, das durch seine Liebe rein und heilig wird.

Aber Mozart wußte den Ernst des Lebens und die innere Tugend auch tiefer zu fassen als in dieser nächsten Neigung des Herzens, die das Gute aus natürlichem Instinkte tut. Der Gang seines Lebens hatte ihn auch über den Wert jener Tugenden belehrt, die aus der Einsicht und dem sittlichen Willen fließen. Die Bescheidenheit des Herzens, die er selbst in so hohem Grade besaß, war ja allgemach auch in ihm zu jener Ergebung in ein höheres Walten geworden, die, für sich selbst wenig begehrend, für andere alles vermag. Dies ist der Charakter Sarastros, in dessen Gestalt sich die Vorstellungen widerspiegeln, die unser[498] Meister von der sittlichen Einrichtung des Lebens gewonnen hatte. Es ist wiederum Mozart selbst der hier redet, es ist seine eigene tiefere Seele. Das eine Mal ermahnt er zum Guten, wir kennen die Worte an seinen Freund Jacquin, wie er es so ganz ohne Anspruch und Wichtigkeit zu tun versteht, aber mit dem ruhigen Bewußtsein, daß nur eine würdig sichere Führung des Lebens zum Heil gereicht. Das andere Mal tröstet er mit weisem Rate, – und wo ist jemals schöner geraten und liebreicher getröstet worden, als in dem herrlichsten aller Lieder »In diesen heiligen Hallen«? Hier erkennen wir den Mann, der, wie ein Ordensbruder an seinem Grabe sang, »in die Hütten der Witwen und Waisen die ungezählte Gabe trug«, – es sind die Goldfäden, aus denen später Richard Wagner einen Hans Sachs, einen König Marke weben konnte.

Zugleich aber setzte er mit dieser Gestalt des Weisen, der einen ideal strebenden und von Liebe erglühten Jüngling den Weg der Tugend leitet, noch einem anderen ein unvergängliches Denkmal der Liebe. War nicht er selbst, der von der Natur mit so seltenen Gaben ausgestattet, unwandelbaren Laufes dem Idealen zustrebte, einmal von der Macht der Leidenschaft so ergriffen worden, daß er fast vergaß, was sein Beruf im Leben war? Und hatte nicht damals eine väterlich gute Hand mit ratender Ueberlegenheit entscheidend in sein Tun eingegriffen und ihn darauf hingewiesen, wie er sich durch die Prüfungen des Lebens erst eines Glückes würdig machen müsse, das unter den irdischen das Höchste ist? Schon drohte der Drang des Herzens, so rein er war, den lebhaft empfindenden »Tamino« von der Bahn der Tugend abzulenken; – denn Tugend war ja für ihn wie für jeden die Erfüllung der Pflichten, die uns unsere Schicksalsgaben auferlegen, – schon wollte er sich seiner Herzensneigung zulieb der armseligen Plage und dem trügerischen Umherschweifen des Virtuosenlebens hingeben, als der würdige Ernst seines Vaters, der all seine Tage das Beste, was er[499] besaß, darauf verwendet hatte, den gottbegnadeten Sohn die rechten Pfade zu leiten, auch diesmal bewahrend dazwischentrat. Und mochte dieses Abwehren damals wehe tun, der Sohn fügte sich, und der Segen für sein Herz blieb nicht aus. Als er nun im Lauf der Jahre dem Zug seiner Natur folgend im künstlerischen Schaffen sich Genüge getan und in »Figaro«, »Don Juan« und »Così fan tutte« das Recht der Neigung laut genug gepredigt hatte, sehen wir ihn darnach die Bahnen des Ernsteren wandeln und fortan auch im Leben die Spuren des Ewigen suchen, das ihm in der Kunst längst aufgegangen war. Da mußte ihm auch vor der Seele das Bild jenes Mannes wiedererstehen, der in streng ernster Führung des Lebens die Pflicht über alles stellte, dem er selbst in der Tat alles verdankte, was von Werthaltung solcher Tugend in ihm lebte. Es mußte sich ihm jetzt, nachdem das Leben selbst in härtesten Prüfungen ihm den Wert des Guten bestätigt hatte, auch das Bild des Leiters seiner Jugend, der ein tüchtiges Wollen längst mit dem Tode besiegelt hatte, in seiner ganzen Würdigkeit, wie von einem höheren Lichte verklärt, darstellen, so daß er selbst fortan von Jahr zu Jahr ebenso diesen Zielen des edlen Menschen nacheiferte wie denen des großen Künstlers. Oder vielmehr, es rannen ihm diese beiden Ideale, die sein Leben getragen und geleitet hatten, am Ende seiner Tage in eins zusammen. Und wie er nun allmählich selbst auch als Mensch diese Erscheinung ernster Sittlichkeit, die sein Vater gewesen war, mehr und mehr darstellte, so ward ihm auch das Bild dieses Mannes immer werter, und er schuf aus ihm das Bild der Weisheit und Tugend, das wir in Sarastro erkennen. Aber was er allein ihm zu geben vermochte, und wodurch er es zugleich über des Vaters würdiges Wesen hinaus zu einem Abbild seiner eigenen schönen Art, zu einer wahrhaft erhabenen Menschenerscheinung machte, das war jene höchste Weisheit, jene Tugend der Tugenden: die echte Frömmigkeit des Herzens.[500]

Denn wir haben gesehen, wie er weit über des Vaters Ziele und alle praktischen Zwecke des Lebens hinaus ein Höheres erkannt hatte. An der Hand der Schönheit war er in das Gebiet der Wahrheit eingedrungen. Nicht mehr beunruhigt ihn das richtende Gesetz, das auch die oberflächliche Betrachtung im Leben wirkend findet. Er hatte den Sinn des Daseins sicherer erfaßt. Er hatte in den Zusammenhang der Dinge so tief hineingeschaut, daß er sich selbst in dieser allesumfassenden Ordnung mitbegriffen und vollkommen versöhnt fühlte. Diese mutvolle Ergebung in das Walten des Ewigen, die von da an all seinen Gebilden den Stempel höherer Verklärung aufdrückte, hatte ihm dann auch jene echte Güte des Herzens, jene Milde der Gesinnung gegeben, mit der er das Treiben der Menschen betrachtete. Er wußte, mochten sie irren oder nicht, sie sind es doch, in deren Tun sich das Ewige widerspiegelt, in deren Ringen sich seine Zwecke einzig verwirklichen. So ward ihm auch selbst das Kleinste und Geringste des Lebens von Bedeutung, und er vermochte es, Papagenos kindliche Freuden und Torheiten mit eben solcher Lust und Vollendung darzustellen, wie den heiligen Ernst würdig strebender Männer. Er hatte erkannt, daß des Menschen Neigung nur zu den Früchten langen kann, die ihr Natur bestimmt hat, und tadelte nicht den, den sein Verlangen nicht zu den Gebieten führt, wo höhere Mächte walten. So ward er am Ende seines Lebens ein wahrer Dichter und Prophet: er gab das Bild des menschlichen Daseins in seiner ureigen mannigfachen Wirklichkeit, und die Menschheit wird sich stets daran bilden und nähren. Nach solchen höchsten Dingen der Erde konnte nur noch vom Himmel die Rede sein: der »Zauberflöte« folgte das »Requiem«.

Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 461-501.
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