Vorwort.

Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts faßte Friedrich Rochlitz den Vorsatz, eine Biographie Mozart's zu schreiben. Breitkopf und Härtel sollten die Verleger sein. Letztere, welche damals wegen Erlangung handschriftlicher Vorlagen für die von ihnen unternommene Ausgabe Mozart'scher Compositionen mit der Wittwe Mozart's in Verbindung standen, übernahmen es, dieselbe auch um Beiträge zu einer Biographie Mozart's zu ersuchen. Später wandte man sich zu gleichem Zwecke auch an die Schwester Mozart's. Beide willfahrten dem Ersuchen und sandten reichlich. Von dem von ihnen übersandten biographischen Material, nach dem Otto Jahn vergeblich gesucht hat1, ist der größte Theil in Abschrift erhalten worden und vor einigen Jahren zum Vorschein gekommen. Der[5] Fund besteht in zwei Heften, welche in Leipzig und fast ganz von einer Hand geschrieben sind und in welche Briefe, Aufsätze, Gedichte, Zeitungsnotizen u.s.w., welche von den Frauen eingesandt wurden, allem Anschein nach in der Ordnung, in der sie einliefen, eingetragen sind.

Ein Heft (in (Quartformat und mit 144 beschriebenen Seiten) hat den Titel: »Materialien zu Mozart's Leben, von der Wwe Mozart mitgetheilt«. Eine gleichlautende Ueberschrift steht am obern Rande der meisten Blätter. Das Heft enthält größtentheils Briefe Mozart's. Von diesen sind höchstens 25 bis jetzt gedruckt, mehr als 40 noch nicht gedruckt worden. Außerdem sind hervorzuheben einige bis jetzt unbekannt gebliebene Gedichte Mozart's und einige Schriftstücke verschiedener Art und Herkunft. Aus einigen Anzeichen2 ergiebt sich, daß die Wittwe nicht immer das Original, sondern eine Abschrift nach Leipzig geschickt hatte. Bei einigen »Actenstücken« sagt das die Wittwe selbst.

Das andere Heft (ebenfalls in Quartformat und mit 73 beschriebenen Seiten) trägt den Titel: »Materialien zu Mozarts Leben. Von Mozarts Schwester mitgetheilt. Decbr. 99«, und auf dem obern Rande jedes Blattes die Bemerkung: »Von Mozarts Schwester[6] mitgetheilt«. Das wichtigste Stück des Heftes ist der Aufsatz, den die Schwester für Friedr. Schlichtegroll geschrieben hat und der von diesem in seinem »Nekrolog auf das Jahr 1791« (2. Jahrgang, 2. Band, Gotha 1793, S. 82 bis 112) benutzt wurde3. Der Aufsatz enthält in 11 Abschnitten die Antworten auf eben so viel Fragen. In der Form und Vollständigkeit, in der er von Marianna Mozart geschrieben ist, ist der Aufsatz noch nicht gedruckt worden. Einzelne Stellen daraus finden sich bei Schlichtegroll wörtlich wieder. Schlichtegroll hat aber Vieles, vielleicht weil es ihm geringfügig erschien, weggelassen. Die von ihm weggelassenen Stellen enthalten Daten, deren Quellen jetzt versiegt sind und die, mögen sie nun geringfügig sein oder nicht, theils zur Berichtigung, theils zur Vervollständigung bisheriger Angaben dienen können4. Was das Heft sonst bringt, ist bekannt und von geringerer Bedeutung.

Eine der ersten Fragen, welche sich nach Auffindung und nach Erkennung der Bedeutenheit der Manuscripte einstellte, war die, was mit ihnen zu geschehen sei. Wäre Otto Jahn noch am Leben, so hätte jene Frage kaum aufkommen können. Die Schriften wären ihm übergeben worden, und sie hätten in keine besseren Hände gelegt werden können, als in die[7] seinigen. Die Hefte da liegen lassen, wo sie einmal lagen, konnte und wollte man nicht. Die Schriften hatten Anspruch auf Veröffentlichung. Da durch Umordnung der einzelnen Stücke ein zusammenhängendes, in seinem Inhalt fortschreitendes Ganze nicht herzustellen war, so erschien es am besten und rathsamsten, die Bücher zu nehmen, wie sie sind, und die in ihnen vorkommenden Stücke in der bunten Reihe drucken zu lassen, in der sie vom Abschreiber eingetragen sind. Diese durch die Beschaffenheit des Gegenstandes bedingte Wiedergabe ist zum Durchlesen wenig geeignet, wird aber bei einer Benutzung die sichersten Anhaltspunkte geben. Kürzungen waren bei der Wiedergabe nicht nur zulässig, sondern auch nöthig. Gekürzt werden konnten diejenigen nicht von Mozart herrührenden Stücke, welche wenig oder gar kein Interesse bieten, und diejenigen Stücke, welche bereits gedruckt sind, jedoch mit Ausnahme derjenigen wichtigeren Stücke, welche sich nach unseren Vorlagen genauer oder vollständiger bringen lassen, als sie bisher gebracht worden sind. Wegzulassen waren ferner mehrere das Schicklichkeitsgefühl verletzende Stellen.

Nähere Auskunft über die von den Frauen eingesandten Schrift- und Druckstücke geben ihre Briefe an Breitkopf und Härtel. Auszüge aus dieser Correspondenz, die auch O. Jahn kannte und aus der er Auszüge gebracht hat, sind im Anhang zusammengestellt. Unter den darin genannten eingesandten Briefen und andern Schriftstücken Mozart's befinden sich mehrere,[8] welche bis jetzt noch nicht zum Vorschein gekommen und wohl als verloren zu betrachten sind5. Beim Ausziehen der Briefstellen sind auch solche berücksichtigt und aufgenommen worden, welche in Betreff einiger verloren gegangener Compositionen Mozart's oder in anderer Beziehung beachtens- oder bemerkenswerth sind.

Unsere Vorlagen enthalten manche Schreibfehler, von denen ein Theil beseitigt werden konnte, ein anderer nicht. Auch mehrere zweifelhafte oder mehrdeutige Ausdrücke mußten beim Druck stehen bleiben. Die bei der Herausgabe weggebliebenen Stellen sind mit Punkten angedeutet. Die im Text in eckigen Klammern eingeschlossenen Wörter sind bei der Herausgabe hinzugefügt worden, und die in gebogenen Klammern eingeschlossenen Wörter stehen so in den Vorlagen, oder es sind darin vorkommende Randbemerkungen. Besitzer der Vorlagen sind Breitkopf und Härtel.

G. Nottebohm.

Fußnoten

1 Vgl. O. Jahn's »Mozart«, 1. Ausg. Bd. I, S. X f., Bd. III, S. 503 f.; 2. Ausg. Bd. I, S. IX f. Eine Ausnahme von dem oben Gesagten bilden selbstverständlich die in den ersten zwei Jahrgängen der Leipziger Allg. Musik. Zeitung stehenden, auf Mittheilungen der Wittwe und der Schwester Mozart's beruhenden »Anekdoten«.


2 So z.B. aus den in mehreren Briefen zur Ersetzung von Personennamen vorkommenden Buchstaben: »N.N.«, aus der in einem Briefe (S. 49) vorkommenden Bemerkung: »er hatte nehmlich sehr krumm geschrieben« u.s.w.


3 Vgl. Niemtschek's »Leben Mozart's«, Prag 1798, S. 6; O. Jahn's Biographie, 1. Ausg Bd. I, S. IX, 2. Ausg. Bd. I, S. VIII und 23 (Anm.).


4 Wir machen nur auf die Angabe der Todeszeit Mozart's aufmerksam, welche bei der Schwester (S. 109) genauer ist, als anderswo.


5 Zu nennen sind: ein Büchlein »Capricci«, ein Aufsatz über die »Grotte«, Briefe über Mozart's Aufenthalt in Potsdam und ein italienischer Brief »an die Lang«.

Quelle:
Mozartiana. Nach aufgefundenen Handschriften herausgegeben von Gustav Nottebohm, Leipzig 1880.
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