II.

Autobiographische Skizze von Joseph Haydn.[381] 1

Mademoiselle!


Sie werden es mir nicht für übel nehmen, wan ich Ihnen ein allerhand Mischmasch ob dem abverlangten einhändige: solche Sachen ordentlich zn beschreiben, fordert Zeit, diese habe ich nicht, derenthalben getraute ich mich nicht an Mons. Zoller selbst zu schreiben, bitte derohalben um Vergebung:

ich übersende nur einen rohen Aufsatz, dan weder stolz noch Ruhm sondern die allzugroße Güte und überzeugende Zufriedenheit einer so gelehrten Nationalgesellschaft über meine bisherigen Werke veranlasset mich dero begehren zu willfahren.

Ich wurde gebohren Anno 1733 den letzten Mertz in dem Marktfleck Rohrau in Unterösterreich bei Prugg an der leythä. Mein Sel. Vatter ware seiner Profeßion ein Wagner und Unterthan des Grafen Harrachs, ein von Natur aus großer Liebhaber der Musik. Er spielte ohne eine Note zu kennen die Harpfe, und ich als ein Knabe von 5 Jahren sang ihm alle seine simple kurze Stücke ordentlich nach, dieses verleitet meinen Vatter mich nach Haimburg zu dem Schul Rector meinen Anverwandten zu geben, um allda die musikalischen Anfangs Gründe sammt anderen jugentlichen Nothwendigkeiten zu erlehrnen. Gott der Allmächtige (welchem ich alleinig so unermessene Gnade zu danken) gab[381] mir besonders in der Musik so viele Leichtigkeit indem ich schon in meinem 6. Jahr ganz dreist einige Messen auf dem Chor herabsang, auch etwas auf dem Klavier und Violin spielte.

in dem 7. Jahre meines alters hörte der Sel. Herr Kapell Meister von Reutter in einer Durchreise durch Haimburg von ungefähr meine schwache doch angenehme Stimme, Er nahme mich alsogleich zu sich in das Capell Hauß, allwo ich nebst dem Studiren die singkunst, das Clavier und die Violin von sehr guten Meistern erlehrnte. ich sang allda sowohl bei St. Stephan als bei Hof mit großem Beifall bis in das 18. Jahr meines Alters den Sopran. Da ich endlich meine Stimme verlohr, mußte ich mich in unterrichtung der Jugend ganzer acht Jahr kummerhaft herumschleppen (durch dieses Elende Brod gehen viele Genie zu Grund, da ihnen die Zeit zum Studiren mangelt), die Erfahrung traffVerzeichniss der in Wien in den Jahree mich leider selbst, ich würde das wenige nie erworben haben, wann ich meinen Compositions Eyfer nicht in der Nacht fortgesetzt hätte, ich schriebe fleissig, doch nicht ganz gegründet, bis ich endlich die Gnade hatte von dem berühmten Herrn Porpora (so dazumal in Wien ware) die ächten Fundamente der setzkunst zu erlehrnen: endlich wurde ich durch Recomendation des seligen Herrn von Fürnberg (von welchem ich besondere Gnade genosse) bei Herr Grafen von Morzin als Directeur, von da aus als Capellmeister bei Sr. Durchl. den Fürsten [ Esterhazy] an und aufgenommen, allwo ich zu leben und zu sterben mir wünsche.

Unter andern meiner Werke haben folgende den meisten Beifall erhalten: Die Opera: »Le Peschatrici«. – »L'incontro improviso«, welche in Gegenwart Ihro k.k. Majestät ist aufgeführt worden. – »L'infedeltà delusa«. – Das Oratorium: »Il ritorno di Tobia« in Wien aufgeführt.

Das »Stabat Mater«, über welches ich von einem guten Freund die Handschrift unsers großen Tonkünstlers Hasse mit unverdienten Lobsprüchen erhalten. Eben diese Handschrift werde ich zeit Lebens wie Gold aufbehalten nicht des Inhalts sondern eines so würdigen Mannes wegen.

In dem Kammerstyl habe ich außer den Berlinern fast allen Nationen zu gefallen das Glück gehabt, dieses bezeugen die öffentlichen Blätter, und die an mich ergangenen Zuschriften: mich wundert nur, daß die sonst so vernünftigen Herrn Berliner in ihrer Kritik über meine Stücke kein Medium haben, da sie mich in Einer Wochenschrift bis an die Sterne erheben, in der andern 60 Klafter tief in die Erde schlagen, und dieses ohne gegründeten warum: ich weiß es wohl; weil sie ein und andere meiner Stücke zu produciren nicht im stande, solche wahrhaft einzusehen aus eigenlieb sich nicht die Mühe geben, und anderer Ursachen mehr, welche ich mit der Hülf Gottes zu seiner Zeit beantworten werde: Herr Kapellmeister von Dittersdorf aus Schlesien schrieb mir unlängst mit Bitte mich über ihr hartes Verfahren zu rechtfertigen, ich antwortete aber demselben, daß eine Schwalbe keinen Sommer mache, vielleicht wird denenselben von unpartheyschen der Mund mit nächsten so gestopft, als es ihnen schon einmal wegen der Monotonie ergangen. Ueber alles das aber bemühen sie sich äußerst alle meine Werke zu bekommen, ein[382] welches mich der k.k. Gesandte zu Berlin Herr van Baron Switen diesen verflossenen Winter, als derselbe in Wien ware, versicherte: genug hievon.

Liebe Mademoiselle Leonore! Sie werden also die Güte haben, dem Mons. Zoller nebst höfliche Empfehlung gegenwärtiges Schreiben seinem einsichtsvollen Gutachten überlassen: mein größter Ehrgeiz bestehet nur darin, vor aller Welt, so wie ich es bin, als ein rechtschaffener Mann angesehen zu werden.

Alle Lobes Erhebungen widme ich Gott dem Allmächtigen, welchem alleinig für solche zu danken habe: mein Wunsch sey nur dieser, weder meinen Nächsten, noch meinen gnädigsten Fürsten, viel weniger barmherzigen Gott zu beleidigen:

übrigens verbleibe mit aller Hochachtung Mademoiselle


Dero aufrichtigster Freund und Diener

Josephus Haydn.

Fußnoten

1 Im Jahre 1778 erschien zu Wien »Das gelehrte Oesterreich. Ein Versuch«. Schon vordem waren erschienen »Das erste gelehrte Lexicon« (1776) und die erste National-gelehrte Zeitung unter dem Titel: »Oesterreichs gelehrte Anzeigen« (1777), alle drei herausgegeben von De Lucca. In Betreff dieser Unternehmungen scheint Haydn umgehend aufgefordert worden zu sein, seine Autobiographie einzusenden und er schrieb demzufolge obigen Brief, der dann sammt dem von Haydn selbst unrichtig angegebenen Geburtsjahr im Auszuge zu seiner Biographie benutzt wurde in vorerwähntem »Das gelehrte Oesterreich«, des 1. Bandes 3. Stück, 1778, S. 309. – Ein gewisser Jos. Ferdinand Weigl veröffentlichte zuerst Haydn's Brief (von dem er das Original in Händen hatte) in der »Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur und Mode«, 1836, 4. Quartal Nr. 156, S. 1241 ff. unter der Aufschrift: »Ein Brief von Joseph Haydn«. (Das fehlende Datum wird mit dem Jahre 1776 oder 1777 zu ersetzen sein.) Dieser Brief erschien dann wieder abgedruckt in der »Europa« von Lewald (1837), im »Echo« (1857), »Iris« (1858), in Nohl's »Musikalische Briefe« (1867). – Man erzählt, daß einst ein junger Mann sich dem Fürsten Nicolaus Esterhazy vorstellte, um eine Anstellung zu erbitten; um desto sicherer zu gehen, glaubte er, dem Fürsten Haydn's Brief anbieten zu müssen. Der Fürst aber, just übel gelaunt, bedeutete dem Manne, er solle sich zum † scheren. – Zu obigem Abdruck diente als Vorlage die erste Veröffentlichung des genannten J.F. Weigl. Wegen Haydn's Autobiographie vergl. Bd. I S. 75.

Quelle:
Pohl, Carl Ferdinand / Botstiber, Hugo: Joseph Haydn. Band 1, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1878.
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