XV.

1844.

Die Trennung von der Gräfin d'Agoult.

(Koncert-Reisen 1839/40–1847. Fortsetzung.)

Rückblick. Der Bruch. »Nélida.« Die »Souvenirs« der Gräfin d'Agoult. – Liszt's Vorsorge für seine Kinder.»Hymne de l'enfant à son reveil.«


Die Jahre nach der Beendigung der italienischen Reise des Künstlers mit der Gräfin d'Agoult hatten nicht vermocht das Band, das beide noch zusammenhielt, enger zu ziehen. Was schon damals in seinem Bewußtsein aufgetaucht war, reifte indessen in ihm zur Gewißheit: das Unhaltbare ihres Verhältnisses, die moralische Pflicht einer Trennung. Wohl bestand bereits eine solche, doch nur in dem Sinne, als zeitweise oder momentane Einigungen ferne von jener Einheit stehen, die Menschen in geistiger Wahlverwandtschaft zu Paaren verbindet. Das, was ihr Bündnis hätte rechtfertigen, reinigen oder auch erheben können zu jenen Verbindungen, die durch ein tragisch Geschick oder einen alle Kämpfe überwindenden glorreichen Sieg den Poeten aller Zeiten zum Vorbild sich gedichtet haben, fehlte ihm von allem Anfang an. Und wenn auch in seinen Konsequenzen noch gegen ein halbes Jahrhundert hindurch tieftragische Elemente ihm unterliefen, so trafen sie nicht die Zwei, sondern spielten sich ab einsam und unsichtbar auf dem Boden des inneren Lebens. Da aber, wo sie sich – auch nicht ohne Aktion bleibend – verkörperten, entziehen sie sich noch der Besprechung, liegen auch außerhalb des Rahmens dieser Darstellung. Für den Künstler war der vollständige Bruch mit der Gräfin ein Akt der Selbstrettung. Nach außen hin deckten sich Vollziehung und Lösung ihrer Verbindung. Und hätte nicht in jener Zeit die weltberühmte Künstlererscheinung[234] mit ihrem Glanz und ihrer Charakterschönheit das Auge der Welt auf sie gelenkt und ihr erotischen Nimbus gegeben, so wäre sie eine Lokalsache geblieben, eine liaison, wie hundert andere auch.

Bis zur Zeit der Trennung übte Liszt das Amt ihres rechtmäßigen Beschützers. Als solcher versöhnte er sie mit ihrer Familie (1840), stand er ihr in allen ihren Angelegenheiten bei mit Rath und That, duldete er in seiner Gegenwart kein übles Wort über sie. Und fiel dennoch ein solches, so wies er es schroff und stolz zurück, wie in London, wo in einer Herrengesellschaft, in der er sich befand, ihre allgemein bekannten Beziehungen zu dem damaligen spanischen Gesandtschaftssekretär H. Bulwer beleuchtet wurden. Die Cigarre in der Hand blies er ruhig seine Rauchwolken von sich und sagte gemessen:

»Mon opinion sur Mme d'Agoult est que: si elle me disait en ce moment même de me jeter par cette fenêtre (man befand sich in einem dritten Stock), je m'y jetterai aussi-tôt. – C'est là mon opinion sur la comtesse.« Niemand führte das Thema weiter.

Als es dem Künstler gelungen war, die Gräfin in Paris gewissermaßen zu rehabilitiren, verließ sie die Mutter Liszt's, bei der sie bis dahin gewohnt hatte, und schuf sich ein neues Domicil. Ihr romantischer und theatralischer Sinn gestattete ihr jedoch nicht sich zurückzuziehen; sie spielte weiter auf der Bühne ihres »Salons«, der zu einer Art Bohême sich gestaltete, in dem romantisches Künstler- und Literatenthum, elegante Emigrirte aller Länder sich versammelten, phantasirten und politisirten. Politik ward ihre Lieblingsneigung. Dabei griff sie zur Feder. Die Luft, die von Nohant herüber geweht kam, ließ sie das Gebiet der Novelle und des Romans betreten. Unter dem Pseudonym Daniel Stern erschienen, mit Beifall aufgenommen, die Novellen »Hervé« und »Valentine«.1 Sie bildeten die schriftstellerischen Vorübungen zu ihrem berüchtigten Roman »Nélida«. Doch schrieb sie diesen erst nach dem Bruch mit Liszt.

In den Jahren 1840–1844 wechselten Sturm und Versöhnung ganz wie vordem in Frankreich, in der Schweiz, in Italien. Nach einem solchen Gewitter er schien sie ohne sein Wissen, ohne sein Wünschen plötzlich vor ihm in England (1841). Nun begleitete[235] sie ihn in die englischen Provinzen. Die Erfolglosigkeit seiner Reise dürfte zum Theil dieser Begleitung, die den solid Sinn der Engländer beleidigte, zuzuschreiben sein. Dann folgten die gemeinsamen Villegiaturen auf der Insel Nonnenwerth, gemeinsam auch mit seinem Freunde Fürst Felix von Lichnowsky. Sein Albumblatt, durch Liszt's Töne zur Unsterblichkeit erhoben, ward zu einem Schicksalsblatt: es schloß für Alle die »Zelle« am Rhein.

Während des hierauf folgenden Winters war es im Salon der Gräfin lebendiger als je. Der unglückliche Graf Ladislaus Teleky bildete die Hauptfigur. Indeß trug der Virtuose seinen Ruhm durch deutsche Königreiche, bewundert, angefeindet, innerlich wund und erbittert. Zu jener Zeit tauchte in Deutschland die Andalusierin Lola Montez auf und berückte ebenso sehr durch ihre Schönheit, wie durch das Geheimnis ihrer Herkunft, mit welchem sie sich zu umgeben wußte. Das reizte den Künstler. Alsbald kursirte die Sensationsnotiz: er werde sich mit ihr verbinden. Dies gab den äußeren Vorwand zum Bruch. Zur Zeit seines Dresdener Aufenthaltes wurden scharfe Briefe zwischen ihm und der Gräfin gewechselt: von ihrer Seite voll Anklagen und Vorwürfe, von seiner Seite voll gekränkten Stolzes. Da fiel das verhängnisvolle Wort. Es kam von ihr. Er zögerte mit der Annahme und gab ihr Zeit zur Besinnung. Diese verstrich ohne Widerruf. Daß es ihr vollständig Ernst hiermit war, ist zu bezweifeln. Es bleibt mehr als wahrscheinlich, daß sie ein Einlenken von seiner Seite erwartet hatte. Dieser Moment trat nicht ein. Somit war die Sache entschieden. Sie entschied sich an Ort und Stelle, in Paris.

Noch ehe Liszt hier eintraf, setzte sie alle ihre Kräfte in Bewegung, ihm die Demüthigung einer künstlerischen Niederlage zu bereiten. Es gelang ihr nicht. Darauf schrieb sie ihre »Nélida« (1845), den Roman, mit dem sie für sich selbst bei der Öffentlichkeit zu plaidiren gedachte. Es war ein Elle et lui, aber ohne einen Zug der Wahrheit, weder gegen sie noch gegen ihn, dessen größere Naturen selbst bei ihren Verkehrtheiten nie ermangeln. Der Mantel der Hypokrisie hing auf seiner Schulter – treulos nur er, ein Verräther nur er. Auch mit diesem Buche erreichte sie nicht ihre Absicht; sie forderte im Gegentheil das Urtheil gegen sich selbst heraus.[236]

Was Liszt bezüglich der Erziehung der Kinder zu ordnen hatte, geschah auf schriftlichem Weg. Auch bei ihren eigenen Angelegenheiten. Sie hatte keine gute Hand bei der Verwaltung des nicht unbeträchtlichen Vermögens, welches nach dem Tode ihrer Mutter ihr zugefallen war. Da ertheilte er ihr manchen guten Rath. Eine persönliche Begegnung fand in späteren Jahren nochmals statt, veranlaßt von Seite der Gräfin, die, wie es schien, seinen Lippen noch gerne ein Beifallslächeln entlocken wollte. Sie hatte einen Theil ihrer »Souvenirs«2 verfaßt und wünschte denselben ihm vorzulesen, sein Urtheil und einen Titel für ihr Buch von ihm zu erhalten. Er kam. Sie las. Gegen dreißig Seiten hörte er stillschweigend an. Dann stand er plötzlich auf und schleuderte ihr zu:

»Un titre, Madame, pour vos Souvenirs? En voici un: Poses et Mensonges!« –

Ungefähr ein Jahrzehnt nach diesem Vorgang empfing Liszt ein Telegramm von ihr, welches unbeantwortet blieb. –

Liszt verließ Paris, aber nicht ohne vorher in ausgedehntester Weise für seine Kinder gesorgt zu haben. Er weigerte sich sie der Gräfin zur Erziehung oder in ihre Aufsicht zu geben. Blandine und Cosima standen in dem Alter, wo die Kraft seiner Mutter nicht mehr ausreichte, dieses Amt weiter zu führen. Es lag in seinem Wunsch, ihnen eine Erziehung zu geben, die gediegen wäre und sie zugleich mit den höheren gesellschaftlichen Formen vertraut mache. Jede Stellung, die das Leben ihnen zuweisen werde, sollte sie vorbereitet finden. So übergab er die beiden Mädchen, mit Zustimmung ihrer Mutter, dem vornehmen von Mme. Bernard (der späteren Erzieherin des Herzogs von Nemour) geleiteten Pensionat zu Paris, wo sie bis zum Herbst 1848 blieben. Seinen Knaben Daniel aber ließ er noch unter der Obhut seiner Großmutter, bis er das zum Besuch einer Schule befähigte Alter erreicht hatte. Dann übergab er ihn der Erziehungsanstalt ersten Ranges in Frankreich, dem Lycée Bonaparte (früher Collège Louis le Grand). Die Beschaffung der großen Summen für die Erziehung der Kinder übernahm er allein.

Bei allen diesen Bestimmungen ließ er, so sehr er bei denselben[237] bestrebt war jedem Einfluß der Gräfin auf seine Kinder vorzubeugen, es sich zugleich angelegen sein, alle Einrichtungen so zu treffen, daß in den Herzen der Kinder kein Zwiespalt ihren Eltern gegenüber entstehen konnte. Sie durften ihre Mutter besuchen, soweit die Grenzen des strengen Schulreglements es erlaubten. In seiner Gegenwart durfte niemals über ihre Mutter gesprochen werden. Später, als die Kinder anfingen reifer zu werden, und selbst, als sie bereits erwachsen waren, wies er jede ihrer Andeutungen und Fragen bezüglich derselben streng mit dem Gebot zurück: »Du sollst Vater und Mutter ehren«.

Die Geschwister selbst hatten die zärtlichste Zuneigung zu einander. Liszt traf sie oftmals in innigster Umschlingung. Einem dieser glücklichen Momente ist die Eingebung zu danken für die von ihm komponirte Kinderhymne Lamartine's, »O père qu' adore mon père«, die er ihnen zum Morgengebet bestimmte:


Des erwachenden Kindes Lobgesang3

(Hymne de l'enfant à son reveil)

für Chor von Frauenstimmen

mit Harmonium oder Pianofortebegleitung und Harfe (ad lib.).


15. Die Trennung von der Gräfin d'Agoult. 1844.

15. Die Trennung von der Gräfin d'Agoult. 1844.

[238] Der Chor ist für zwei Soprane und Alt. Über dem Ganzen schwebt ein Heiligenschein: die Weihe kindlich frommer Einfalt und Gläubigkeit.

Der deutsche Text, von Cornelius, deckt sich leider nicht ganz mit der Melodie. Die Schwere der Silben und Noten konnte einen inneren Widerspruch nicht überwinden, was das Einleben der Komposition deutscherseits gewissermaßen erschwert. Eine Nachdichtung der Lamartine'schen Worte im engsten Anschluß an die Liszt'sche Melodie erscheint wünschenswerth.

Fußnoten

1 1841 in »La Presse«.


2 »Mes Souvenirs« par Daniel Stern (Mme. d'Agoult). Paris, Calman Lévy, 1877.


3 Edirt 1875: Taborszky & Parsch in Budapest. Ob dieser Ausgabe, die unverkennbar den Stempel ihres Veröffentlichungsjahres trägt, eine frühere vorausgegangen ist, blieb uns unbekannt. Im Vergleich mit der Klavierübertragung, edirt 1853: Kistner in Leipzig (Nr. 3 der »Harmonies poëtiques et religieuses«) ergeben sich nicht unwesentliche Veränderungen.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1887.
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