XVII.

1844/45.

Spanien, Portugal.

(Koncert/Reisen 1839/40–1847.)

Klavierübertragungen. Madrid. Liszt im Kampf mit der Hofetiquette. Koncerte und Feste. Kritik. Orden Karls III. Dom Sebastian-Marsch. Zigeunerstudien in Sevilla. Gibraltar. Christusorden. Durch Elsaß. Basel. Joachim Raff. »Geharnischte Lieder.«


Während seiner Rast in Pau übertrug Liszt für seine ehemalige Schülerin zwei französische Volkslieder dem Klavier:


Faribolo pastour.1

Chanson tirée du Poème de Françonetto de Jasmin.


Chanson du Béarn,2


beide harmlose Pastoralstücke. Der Konstruktion der Melodien nach zu urtheilen, ist ihr Ursprung, selbst der des Béarner Liedes, in nicht allzugrauen Zeiten zu suchen. –

Von Pau setzte der Künstler seine Reise nach Ma drid fort. In der zweiten Hälfte des Oktober traf er ein, daselbst erwartet. Das Palais des belgischen Gesandten, welches ihm dieser als Wohnung zur Verfügung gestellt hatte, lehnte er dankend mit der Bemerkung ab: »daß sein Gewissen ihm nicht erlaube sich mit erborgtem Glanz zu schmücken.« Er bezog ein Hôtel.[244]

Bald sollte er am Hofe vor der Königin Isabella spielen. Als die Koncertarrangements getroffen waren und sich der Virtuos über die Vorschriften der Etiquette erkundigte, unterbrach er die Hofbeamten plötzlich mit der Frage:

»Aber – ich werde vorgestellt werden?«

Nein, die Vorstellung eines Künstlers sei gegen die spanische Hofetiquette, erwiderte man ihm.

»Dann spiele ich nicht,« sagte er einfach und entschieden.

Da vermittelte die Mutter der späteren Kaiserin Eugenie, die Hofdame Gräfin Montijo, mit der Liszt während seines Madrider Aufenthaltes sehr viel verkehrte, zwischen ihm und der Königin Isabella, und er wurde vor dem Koncert in einem Privatgemach sowohl dieser, als auch den übrigen Gliedern der königlichen Familie vorgestellt – eine Ehrenbezeigung, die seitens des spanischen Hofes sonst keinem Künstler bewilligt worden war.

Seine Aufnahme seitens des Publikums stand hinter der bei Hof nicht zurück. Die sieben Koncerte, die er während der Zeit vom 1. Oktober bis 2. December imTeatro del Circo3 gab, waren begleitet von dem südlichen Kolorit fanatischer Aufregung und zugleich spanischer Grandezza. Nicht nur, daß jedem seiner Vorträge frenetischer Applaus folgte, auch der Da Capo-Ruf erschallte unabweislich. Dazwischen spielten sich die verschiedensten Akte der Ehrungen ab: Blumenspenden, Lorbeerkronen, überreicht von kleinen Vierjährigen, Ruhmessprüche, Gedichte, vorgelesen von Poeten, Reden, tausendkehlige Vivas. Eines der Gedichte – von dem Dichter Ivan M. Villergas, welches zu des Künstlers Verherrlichung den gehaßten Napoleon als Staffage wählt – endet:


Aunque otros lo tacharon de feroz,

En mi casa le tuve en mi tapiz:

Presumi sin que hablára, oir su voz.

Pero senti la inspiracion de Liszt,

Y me olvido del hombre tan atroz.


»Salve artista venturoso, tuo triumfo en España no tiene igual!« riefen die Anwesenden.[245]

Leidenschaftliche Ergüsse der Presse in dichterisch rhapsodischem Tone, Sonetten, Hymnen, Gedichte aller Art spiegelten den Charakter dieser Ovationen ab. »La Iberia musical y literaria« vom 3. November schrieb:


»Unmöglich ist es seine Spielart zu nennen, weil sein vom Himmel stammendes Talent ihn stets mit neuen Arten inspirirt. Nie ermüdet er, sollte er Stunden um Stunden spielen. Liszt! – er ist ein Planet, der alles verdunkelt, was um ihn. Das Publikum rief, Vivas erschallten; außer sich (loco) kehrte es nach Hause. Größere Trunkenheit (frenesí) erlebten wir nie. Sei gegrüßt, Du Künstler, der Du der Götter und der Menschen Liebling bist.«


»El Heraldo« vom 30. Oktober sagt:


»Sein erhabenes Spiel steht außerhalb der Analysis: es ist mehr Inspiration als Kunst. Wollt Ihr sie wissen! –: Id á escucharlo! Geht ihn hören!«

»Welch ein Delirium! Nicht nur die Männer ergingen sich in lauten enthusiastischen Rufen, auch die Frauen, die schönsten und seelenvollsten, sahen wir ihre Rosenlippen zu feurigem Beifall gebrauchen, ihre Hände in steter Bewegung.«


Bei einem Bankett, das ihm die gesammte Künstlerschaft Madrids, Musiker, Maler, Dichter, im Saale der pompös geschmückten Sala de Genyeis am 4. November veranstaltete, brachte ihm der spanische Opernkomponist Eslava den Toast entgegen mit den Worten: »Al gran pianista Liszt, al genio del arte, los artistas españoles, como tributo de admiración y respeto«, worauf der Redakteur der »Iberia musical«, Signor Espin y Guillen, ihm im Namen der spanischen Künstler einen Lorbeerkranz überreichte. Durch die Vivas drang eines Poeten Stimme, dessen Verse mit den Worten endeten:


El genio non ha patria, é d'ogni suolo!

In Spania il gran Liszt é un Spagnuolo!


Auf prachtvollen Becken wurden den Anwesenden als erstes Gericht kleine Gips-Medaillons mit des Künstlers Bildnis servirt. Das Lyceum ernannte ihn zum Ehrenmitglied. – Die Königin Isabella verlieh ihm den Ritterorden Karls III. und übersandte ihm eine kostbare Brillantnadel.4

Auch in Lissabon – zu Anfang des Jahres 1845 – dekorirte ihn die portugiesische Königin Marie II da Gloria mit dem Christusorden, dem eine diamantbesetzte Tabatière vorausgegangen[246] war. – Liszt dedicirte ihr noch im Laufe dieses Jahres die Klavierübertragung des


Marche funèbre5

de Dom Sebastian (Donizetti).


Dem zweiten Gemahl der Königin, Dom Ferdinand (ein Coburger Prinz) widmete der Künstler, gleichfalls in Folge seines Aufenthaltes in Lissabon, seinen »Heroischen Marsch im ungarischen Styl« (D moll).

Seine Reise dahin ging über Cordova, Sevilla, Valencia, Cadix, Gibraltar und war überall von den ausgesuchtesten Ehrenbezeigungen begleitet. In Cordova fuhren ihm mehrere Carossen entgegen. Der Präsident nebst hervorragenden Mitgliedern des Liceo Artistico e Literarico empfingen ihn als Deputirte desselben am Weichbild der Stadt und stellten ihm zugleich ihre prachtvollen Räume für die Dauer seines Weilens daselbst zur Verfügung. Die andern Städte folgten in gleicher Weise. Seine Reise durch Spanien und Portugal glich einem Triumphzug sonder gleichen.

In Sevilla setzte er an Ort und Stelle seine Studien über die Musik der europäischen Zigeuner fort. Die Resultate derselben legte der Künstler in dem überschriebenen Kapitel: »Die Zigeunerinnen anderswo« (S. 162) seines schon mehrfach erwähnten, diese Materie behandelnden Buches nieder. – Auf dem Weg von Cadix nach Gibraltar erlebte er den ebenfalls schon erwähnten Seesturm.6 In Gibraltar setzte der Sturm sich fort, aber es waren neben großen Koncerterfolgen die Wogen des genießenden Lebens, die ihn hier umrauschten. Wie in Moskau in dem Strudel einer genußsüchtigen und frivolen jungen Männerwelt, bewegte er sich hier im Kreise meist auswärtiger Diplomaten, die ein gleiches Lebensziel, wie jene, zu verfolgen schienen.

Ferner besuchte er die Städte Alicante, Malaga, Barcelona u.a., reiste über Marseille, Lyon, Mâcon, Besançon nach dem Elsaß, koncertirte in Colmar, wo – des Kuriosums wegen sei es erwähnt – der fromme Principal des dortigen Kollegiums seinen Zöglingen nicht gestattete sein Koncert zu besuchen, zu welchem er[247] allen in corpore eine Einladung zugesandt hatte; sodann in Straßburg, Mühlhausen, Metz, Basel, Zürich und andern Städten und traf endlich gegen Ende Juli in Bonn ein.

Liszt's gegen das Jahr 1863 hin zu Rom komponirte »Spanische Rhapsodie« ist eine »Reminiscenz« an seine spanische Reise, 1844/45 skizzirt und in seinem VIII. Koncert in Wien 1846 öffentlich vorgetragen.

In Basel traf er den jungen Joachim Raff. Dies war nicht die erste Begegnung. Es war in Hamburg, wo der große Künstler auf dem Podium stand und man ihm zuraunte: draußen vor der Thüre des Saales stehe ein junger Mensch, ganz desperat, habe kein Billet und wolle partout in den Saal. Im nächsten Moment stand Liszt an der Eingangsthür, vor ihm ein von dem strömenden Regen Durchnäßter, dem die Berechtigung, den Künstler zu hören, aus dem intelligenten Gesicht zu lesen war. Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn in seine Nähe. – Jetzt traf er den talentvollen jungen Musiker in Basel, seine finanziellen Verhältnisse in keiner Weise gebessert. Da er vorzügliche musikalisch-technische Kenntnisse besaß und sehr schön Noten schrieb, behielt er ihn bei sich als musikalischen Sekretär für die Dauer des bevorstehenden großen Beethoven-Festes zu Bonn.

In dieser Eigenschaft schrieb er hier in Basel die Stimmen aus der Partitur einer Fest-Kantate, die zu komponiren Liszt vom Komité der Bonner Beethoven-Feier erlesen war und die er soeben vollendet hatte. Desgleichen besorgte Raff die Reinschrift.

Dem Baseler Aufenthalt fällt nochdie Komposition dreier Männerchöre zu:


Geharnischte Lieder7


1) Vor der Schlacht. 2) Nicht gezagt!

3) Es rufet Gott.


Kraftvoll und impulsiv, reihen sie sich den besten Gesängen dieser Gattung ein.

Sie waren eine Danksagung für einen Fackelzug, mit welchem der Baseler Männergesangverein ihm seine Ovation dargebracht hatte.

Fußnoten

1 Edirt 1845 (Januar): Schott's Söhne in Mainz.


2 Edirt 1845 (Januar): Schott's Söhne in Mainz.


3 Jedes der Koncerte im Teatro del Circo – der Direktor des Theaters hatte sie kontraktlich übernommen – soll dem Künstler die Summe von 20000 Realen zur Verfügung gestellt haben. Wie bei seinen früheren Reisen blieb der große Theil der Einnahmen in den Städten selbst, humane und hochherzige Zwecke fördernd.


4 Nach damaligen Berichten im Werth von 20000 Realen.


5 Edirt 1845: Mechetti in Wien. – Diese Übertragung, wie viele andere, genügte einer geschäftlichen Tagesforderung seitens des Verlegers der Partitur des »Dom Sebastian«, Mechetti.


6 Siehe VI. Kapitel.


7 Edirt 1845: Knop in Basel, gingen jedoch später an C.F. Kahnt über, der, nachdem der Komponist manche Änderung vorgenommen, sie der Sammlung »für Männergesang« einreihte.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1887.
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