II.

Ungarn.

(Koncert-Reisen 1840–1847. Fortsetzung.)

Der Enthusiasmus für Liszt in Ungarn. Liszt's historische Verflechtung mit seinem Vaterland. Patriotische Bestrebungen. Die Musik der Ungarn. Liszt's Brief an Graf Leo Festetics. Ankunft in Preßburg, in Pest. Koncerte. Der Ehren-Säbel. Liszt's Anrede. Abschiedsfêten. – Raab. Preßburg. Ordenburg. Besuch seines Geburtsortes. Ungarische Melodien. Heroischer Marsch.


Liszt's Koncerte in Wien rauschten hinüber in das nahe Ungarland. Man hatte hier gespannten Ohrs die Klänge verfolgt – die Klänge der Begeisterung, die seinen Namen verherrlichten; man hatte die Kränze und Lorbeerkronen zu zählen gesucht, die Wien 1838, dann Städte Italiens und jetzt wieder Wien ihm geworfen. Mit einem Worte: das Auge der Vaterlandsliebe maß seine Schritte; es hing mit Spannung, Hoffnung, Stolz an ihm. Denn er, der Verherrlichte, gehörte zu ihnen: in ihrem Lande hatte seine Wiege gestanden, umweht von den großen Eigenschaften ihrer Nation; edle Magnaten hatten den Genius des Knaben beschützt – und er, er hatte dieser Gaben keine vergessen! Voll Dankbarkeit und Liebe hing er an seinem Vaterland und vor aller Welt hatte er es mit Wort und That bekannt! Ja er gehörte zu ihnen! er war ein Sohn der edlen, herrlichen, heroischen Hungaria!

So jubelten heißblütig die Ungarn. Ebenso erwarteten sie ihn.

Seit jenem Moment, als er so unerwartet auf der Wiener Koncertarena erschienen1 und sein hochherziges Beispiel zugleich eine Sturmglocke um Hülfe für die in einer Nacht um ihr Obdach[18] gebrachten Bewohner der ungarischen Donauländer geworden war und dieser Ruf ein Echo gefunden hatte von der Theiß bis zur Seine, so daß von allen Seiten Unterstützung zuströmte, – seit jenem Moment hatte sich daselbst Dankbarkeit und nationaler Stolz des Namens des Künstlers mit Enthusiasmus bemächtigt. Wie der Adel, wie die am Kulturwerk der Nation arbeitenden Patrioten, so nahmen die unteren Schichten des Volkes, bis zum musizirenden Sohn der Pußta herab, Theil an demselben. Jenen war er ein Genie, das gleichsam aus ihrem eigenen Selbst, aus dem edlen, ritterlichen Fleisch und Blut ihrer Nation hervorgewachsen dem ungarischen Namen Ruhm und Ehre brachte, dem letzteren aber war er ein die Wunden der Noth mit Wundermacht heilender König, dem dasselbe Etwas die Macht gab, das ihre eigene so wildlustige und so trotzig-traurige Fidel in Bewegung setzte.

Liszt's damaliges Erscheinen traf gerade mit dem staats- und nationalgeschichtlichen Moment Ungarns zusammen, der nach jahrelangem Kampfe seine historische Stellung und Autonomie ihm zu sichern versprach. Das ganze Land stand im Feuer des Patriotismus; vor allem waren die Fragen der höheren Bildung an allen Enden von ihm ergriffen. Jahrhunderte hindurch war die Entwickelung des Landes zurückgehalten worden. Obwohl reich gesegnet an Fruchtbarkeit und Schönheit, wie irgend eines der bevorzugtesten Länder Europas, sein Besitzer, der Magyar, ausgestattet mit Charaktereigenschaften, welche nur aus einem ritterlichen Geist hervorzugehen vermögen, der von der Civilisation noch nicht geschwächt, vom secirenden Intellekt noch nicht gebrochen, von der erwerblichen Gewinnsucht noch nicht befleckt ist, hatte Ungarn als Staat neben den andern Staaten Europas doch nicht zu der Stellung vordringen können, zu der es alle Anwartschaft in sich zu tragen schien. Innere Fehden, die Urfehde zwischen Eingeborenen und Eingewanderten, zwischen Orient und Occident, – Sprachrivalität, – Bürger- und Türkenkriege, – politisches Mißgeschick, bei dem die Abhängigkeit von einem andern Staat dem ausgeprägten Freiheitswillen und Freiheitsstolz des eingeborenen Ungarn, des Magyaren, das härteste Joch der Erde war, hatten die nationale Einheit und Entwickelung von allem Anfang an gehemmt, gestört, zersplittert.

Kaum, daß in einer anderen Landesgeschichte so häufig die Momente kraftvoll nationaler Erhebung und aufstrebenden Bewußtseins[19] mit Perioden des inneren Verfalls und des Krieges nach Außen wechseln, wie hier. Deutschland lag brach und im innerster Mark erschüttert, als die Revolutions- und Kriegsfurie des dreißigjährigen Kriegs ihr Zerstörungswerk schloß – Ungarns Geschichte erzählt von einem beinahe zweihundertjährigen Krieg mit den wilden Schaaren der Beherrscher des osmanischen Reichs! Ungarns Geschichte birgt, man möchte sagen, Jahrhunderte, die einer großen Tragödie gleichen.

Trotz aller Hemmnisse, welche von Innen und Außen dem Gedeihen der nationalen Bildung des Landes entgegengetreten waren und dessen Söhnen mehr den Helden- als den Sinn friedlicher Kunstpflege anerzogen, hatte es dennoch alle die Keime und Erstlingsblüthen des geistigen Lebens getrieben, in welchen der Geist nationaler Eigenartigkeit sich äußert und Bahn bricht. Ungarn besaß seine vaterländischen Volkslieder, seine Trauer- und Liebesgesänge, einen Ansatz zur geistlichen Literatur, seine Mysterien und Schauspiele, seine Geschichtschroniken: somit alle Theile der Vorschule einer Nationalliteratur in ungarischer Sprache. Als unser Jahrhundert heraufstieg, war letztere, obwohl die französische Literatur die vaterländische verdrängte und Joseph II. die deutsche Sprache zur Geschäftssprache erhoben hatte, bereits vollkommen poetisch durchgebildet, fähig dem Gedanken wie dem Schwung der Phantasie und des Herzens zu folgen und sie in künstlerischer Form zum Ausdruck zu bringen. In den Dramen Kisfaludy's, in den epischen und lyrischen Dichtungen und Gedichten von Czuczor, Berzsenyi, Kölcsey, Vörösmarty feierte, trotz exotischer Einwirkungen, die ungarische Poesie ihre Klassicitätsepoche. In den Dichtern aber hatte der Nationalgeist seine künstlerischen Schwingen entfaltet. Im Fluge kühner, ihrem romantischen Vaterlande mit seinen Bergeshöhen und wilden Klüften, seiner Üppigkeit und seinen unübersehbaren Pußten entnommener Bilder, gefüllt und gemischt mit den seine Geschichte begleitenden Klängen des Heldenthums, der Trauer, der Klage, des Verzweiflungsschmerzes sprach ihr Mund zu den Ungarsöhnen und rief sie aus zu großen Thaten. In ihren Dramen führten sie ihnen ihre Geschichte vor, in kräftigen Hymnen besangen sie ihre Helden und Heldengeschlechter von Árpád, dem kühnen Besitzergreifer des Ungarlandes, von König Stephan, dem Bringer des Christenthums, an bis herauf zu Franz Rákóczy II., dem Befreier von türkischen Übergriffen. Ihre Lieder[20] priesen die Vorkämpfer des nationalen Gedankens, weckten im Volke das Bewußtsein seiner Tugenden und schürten sein Sehnen und Streben nach großen Zielen.

Die Gemüther waren erfüllt hiervon. Der Kampf um vaterländische Rechte, von Maria Theresia gewährt und beschützt, von ihrem Sohne Joseph II. wieder entzogen, entbrannte. Der Patriotismus baute in beispielloser Opfergluth Landesschulen; er rief großartige Stiftungen, gelehrte Gesellschaften, Nationaltheater, die »ungarische Akademie der Wissenschaften« und viele andere Anstalten ins Leben. Der glückliche Moment schien endlich gekommen, welcher der die Reichstage zu Wien zum Schauplatz heftiger Kämpfe machenden national-politischen Bewegung unter ihrem energischen Führer, dem Grafen Stephan Széchenyi, den Sieg verschaffte und dem Staat seine eigene Verfassung, seine Kirche, seine Sprache sichern zu wollen versprach. Der Gedanke, eine nationale Einheit und Bildung erlangen zu können, welche die vaterländische Industrie, Wissenschaft und Kunst denen der europäischen Kulturstaaten gleich stellen werde, erschien nicht mehr als eine bloße Chimäre, sondern als ein Recht, dem durch Arbeit und Thaten Geltung zu gewinnen sei. Es war ihnen Ernst mit ihren Zielen. Die Zahl und Art der Schulen für das Volk wie für alle Stände wuchs, vaterländische Talente wurden unterstützt, jede vaterländische Leistung enthusiastisch begrüßt – enthusiastisch, wie nur eine so feurige, so im Innersten romantische Nation, wie die ungarische, es konnte.

Wohl war ihre Geschichte reich an hervorragenden Namen. Der größere Theil derselben aber gehörte Helden an, deren gezogenes Schwert der Vertheidigung des Herdes und des Vaterlandes gegolten; kleiner war die Zahl derer, die für die geistigen Güter gestritten hatten. Nicht jedes Geist- und Kunstgebiet hatte einen Vertreter. Unter den Männern der Gelehrsamkeit und Literatur befanden sich noch viele Lücken; neben den Poeten fehlten die Kunstbrüder, deren Meißel und Palette Ungarns Helden und blutige Dramen in Marmor und Farbe den zukünftigen Geschlechtern überliefern sollten, es fehlten die Kunstbrüder, welche die musikalischen Naturlaute ihres Schmerzes, ihres Frohlockens, ihres inbrünstigen Gebetes und religiösen Kultus zum Kunstwerk als Oper, als Symphonie, als heilige Messe verdichtet hätten.

Die volksthümliche Musik der Ungarn hatte allerdings wie[21] in einem heißen Strahl alle die Elemente in sich eingesogen, an denen das Wesen des Magyaren sich zusammensetzt. Es schier als sei ein Theil seines Herzschlags in sie hinübergegangen und setze sich hier fort, in bleibender Wechselbeziehung und Wechselwirkung mit ihm. In ihrer Skala, in ihrer Rhythmik und in ihrer Ornamentik2 trug sie eine Eigenartigkeit in sich, die ihr ein von anderer Volksmusik absolut verschiedenes Gepräge gab und zu gleich hinwies auf die Potenzen ihrer Gefühlsart. Keine andern Tonleiter drückt derartig, wie die ihre3, die todesöden und todes trotzigen Gefühle aus, welche der Geschichtstragödie eines von Osten stammenden Volkes innewohnen, – keine andere Rhythmik wie die ihre, ist so unvergleichbar waffenklirrend, so hoch zu Roß so voll fliegender und leidenschaftlich vibrirender Lebenslust des Temperaments einer zwischen Orient und Occident sich entwickeln den und aus Orient und Occident komponirten Nation, – und endlich keine Verzierung, der ein Lieben, Sehnen und Werben aus dem Auge spricht, wie der ihren.

Ungarns Weisen, mochten sie dem Krieg, dem Tanz oder dem pastoralen Leben entsprungen sein, trugen alle dieses Ureigen in sich. Von einer Generation der andern übergeben, waren sie eine gehörliche Überlieferung durch seinen Zigeunermusiker4, dessen eigenartig inspirirt angelegte musikalische Begabung sie stets von neuem schuf und sie der Stimmung des Moments gemäß nicht vortrug, nein: sie vorschluchzte, vorstöhnte, vorjubelte! Sein Fidel hatte sich der Melodie bemächtigt und sie zur Grundlage seiner vom Zigeunerorchester begleiteten Improvisation gemacht Mit dieser Instrumentsprache waren die Lebens- und Festgewohnheiten, ja Seelenzustände des Magyaren auf das engste verwachsen.[22] Bei keinem Volk äußert sich noch heute die Liebe zur volksthümlichen Musik, das Verwachsensein mit ihr mit so vibrirender Leidenschaft, wie bei dem ungarischen. Man muß es miterlebt haben, wie ein vom Schmerz Getroffener sich des Zigeuners Geige dicht aus Ohr legen läßt und dessen Weisen lauscht bis die Thränen seinem Auge entströmen und sein konvulsivisches Schluchzen sich mit dem Schluchzen der Geige vereint. –

In der Zeit des nationalen Ausschwunges, von dem wir hier erzählen und in welchen Liszt's Frühjahrs-Koncerte in Wien (1838) fielen, hatte es den ungarischen Patrioten nicht entgehen können, daß ihr Land musikalisch noch nichts hervorgebracht hatte, was kunstgültig sich der Musik der die Bildung vertretenden Nationen nähern könne. Und jetzt Liszt! Ein musikalisches leuchtendes Genie, das sich als Ungar bekannte! – War schon der Zweck seiner Koncerte hinreichend, ihre Sympathien sturmschnell zu gewinnen, so trug natürlicherweise der letztere Umstand wesentlich dazu bei, sie zu entflammen. Wie eine freudige Mähr klang es in ihr Ohr, daß der Künstler, den sie längst zu den Parisern gezählt, ihretwegen, um die Noth ihres Landes zu lindern, so plötzlich gekommen sei, daß die Sehnsucht nach der Heimat ihn unbezwinglich ergriffen, daß dieser Ungarnsohn drüben in der Kaiserstadt durch seiner Töne Spiel und seine Poesie alle Herzen bezaubere, daß der ganze Hof ihn auszeichne, ja, daß er im Zuge sei, halb Wien auf den Kopf zu stellen. Als er dann schnell, wie er gekommen, nach Italien zurückkehrte, ohne Ungarn besucht zu haben, harrte man erwartungsvoll seiner von ihm verheißenen baldigen Rückkehr.

Als nun Monat um Monat verging, ohne daß sich diese Erwartung erfüllte, verwandelte ihn ihre Phantasie allmählich in eine Art mythischer Person, die jedoch immer wieder von neuem durch diese und jene von Vaterlandsliebe zeugende Kunde in ihr Gedächtniß, und zwar mit erhöhtem Zauber, zurückgerufen wurde. Kaum war er wieder in Venedig, als auch schon der dithyrambische Erguß über sein Vaterland, den er an Lambert Massart geschrieben5, in die verschiedensten patriotischen Kreise drang. Zeichen seines Patriotismus kamen nm Zeichen von Italien herüber. Hatte er heute durch ungarische Melodien seine Hörer entzückt, so half er[23] morgen diesem und jenem Ungarn, den er aus seiner Reise in Elend traf. Dann wieder in Florenz, wo ihn der Herzog durch ein werthvolles Andenken auszuzeichnen gedachte und er es zu Gunsten eines vom Schicksal verfolgten ungarischen Edelmannes, der in Florenz mit seiner Familie lebte, ausschlug. »Wenn Hoheit glauben mich ehren zu müssen«, hatte er hochherzig zu diesem gesagt, »verwandeln Sie die Ehre in Gunst für meinen Landsmann.«

So kam der November 1839 heran. Die Nachricht, Liszt sei in Wien, rief große Sensation in Budapest hervor. Fast zugleich brachte die Presse einen Privatbrief des Künstlers, gerichtet an den ihm schon seit 1838 befreundeten Grafen Leo Festetics. Er lautete6:


Cher Comte!


Voudrez vous encore de moi à Pesth cette année? Je ne sais. En tout cas vous êtes menacé de ma présence du 18. ou 22. Decembre prochain. Je vous arriverai un peu plus vieilli, plus muri, et, permettez-moi de le dire, plus ausgearbeitet als Künstler, que vous ne m'avez connu l'année dernière, car j'ai énormément travaillé depuis ce temps en Italie. J'espère que vous m'aurez gardé votre bon souvenir, et que je pourrai toujours compter sur votre amitié qui m'est précieuse.

Quelle joie, quel bonheur profond ce me sera de me retrouver dans ma patrie, de me voir entouré de tant de nobles et vigoureuses sympathies, dont, grâce à Dieu, je n'ai point démérité dans ma vie lointaine et vagabonde. Quelles sensations, quelles émotions se presseront alors dans ma poitrine! Tout cela, cher comte, je renonce et je renoncerai toujours à vous l'exprimer, car je ne le saurais en vérité. Qu'il vous suffise de savoir, que le sentiment de la patrie, de ma chevaleresque et grandiose patrie, est resté vivant au plus profond de mon cœur – et que si malheureusement il y a peu d'apparence que jamais dans ma vie je puisse témoigner à mon pays combien je garde pour lui d'amour et de dévouement, ces sentiments n'en restent pas moins inaltérables dans mon cœur.

Mais je ne veux pas vous fatiguer davantage de moi et de mes sentiments.

[24] J'oubliais de vous dire que depuis près de huit jours je suis retenu au lit par une très forte fièvre, qui aurait pu aisement devenir plus grave encore. Mon second concert en a forcément été remis. Aujourd'hui mon médecin m'a permis de jouer mercredi – je ne sais vraiment si je le pourrai, car ma main tremble.

Pardonnez-moi cette horrible écriture, mais j'avois besoin de vous dire quelques mots. C'est une sorte d'anticipation sur Pesth qui m'est douce.

A revoir donc bientôt, cher comte; en attendant comme toujours croyez moi bien


tout à vous d'amitié


24. Nov. 39 au lit.7

F. Liszt.


Dieser Brief war ganz dazu angethan, die Aufregung zu schüren. Noch ehe des Künstlers Fuß Ungarn betrat, hatten schon Tausende ihre éljens! ihm entgegengesandt. In Wien aber erschien eine Deputation aus Pest, welche ihn im Namen der Stadt und der musikalischen Vereine einlud.

Das waren nebst den ungarisch-nationalen Bestrebungen als Ausgangspunkt die Einleitungen, welche Franz Liszt's Besuch in Ungarn zu einem landesgeschichtlichen Akt erhoben, der für die Zukunft große und edle Frucht tragen sollte. Im Moment selbst aber erschien er durchweht und getragen von dem Enthusiasmus eines von patriotischen Zukunftsträumen trunkenen Landes, gekleidet in die Farbenpracht der Romantik, in allen seinen Äußerungen volksthümlich, national-charakteristisch, glanzvoll.

Als Liszt am 21. December die alte Krönungsstadt Preßburg betrat, war hier gerade der Landtag versammelt. Ein reges, aufgeregtes Leben! Magnaten und Patrioten, die vornehmsten Führer der ungarischen Landessache waren hier – alle heiß von der Arbeit fürs Vaterland. Eine Deputation aus ihrer Mitte begrüßte den Künstler zum Dank für seine früheren Liebesgaben. Aber auch das Volk, dem sie gegolten, regte sich. Jenseits der Donaubrücke, über welche Liszt's Wagen führte, stand es dicht gedrängt, Kopf an Kopf. Die Mütter hoben ihre Kinder in die Höhe und zeigten nach dem Wagen. Aus der Männer Kehlen scholl es éljen, éljen! Dazwischen zitterten Freudenschüsse durch die Luft.[25]

So, empfangen, umgeben vom Volke, geleitet von der Deputation des Landtags zog der Künstler ein in jene Mauern, die einst Zeuge waren von den vielverheißenden Erstlingsproben des neunjährigen Knaben, in die Stadt, in der sein Geschick sich entschieden hatte.

Noch an demselben Abend stand Liszt im Koncertsaal vor den Ungarn – Begeisterung säend, Begeisterung erntend.

Am 24. December8 setzte er in Begleitung einiger Magnaten seine Reise nach Pest fort, wo er Nachmittags 5 Uhr ankam und die fürstlichen Räume seines Freundes, des Grafen Leo Festetics, ihn gastlich empfingen. Hier wartete seiner eine besondere Empfangsfeier. Der Graf, ein großer Musikfreund und Präses des Pester Musikvereins, hatte sie musikalisch vorbereitet. Nach einem heiteren Souper, als die Herren das Kaminfeuer des Salons plaudernd umgaben, öffneten sich die Thorflügel des angrenzenden Saales und eine große Versammlung, im Hintergrunde eine Sängerschaar mit Streichquartett, ward sichtbar. Kräftig und feierlich scholl es Liszt auf deutsch entgegen:


Dich faßte, noch ein zarter Knabe,

Schon des Geschickes kalte Hand,

Und sprach, Dich reißend in die Ferne:

»Geh' hin, Du hast kein Vaterland«.


Dann führten die verklärten Schwingen

Der Kunst Dich in ihr Zauberreich:

»Hier ist die Heimat großer Geister,

Auch Deine ist's, der ihnen gleich«.


Und schmeichelnd lockte Dich das Leben

Dann in sein glänzendes Revier,

Es schmückte Dich mit seinen Gaben,

Und bat: »Nun weile, herrsche hier«.


Dann wurdest Du vom Ruhm getragen,

Auf seine Gipfel hingestellt:

»Hörst Du, sprach er, die Völker jubeln?

Liszt, Deine Heimat ist die Welt!«[26]


Doch was das Schicksal auch gesprochen,

Die Kunst, der Ruhm, Genuß und Glück:

Du dachtest doch mit treuer Seele

An's Land, das Dich gebar, zurück.


Und kommst zu uns, wo arm das Leben,

Die Kunst noch in der Wiege ist;

Doch unser Herz ist reich und bieder,

Es ruft Dir zu: »Sei uns gegrüßt!«


Sei uns gegrüßt im Lorbeerschmucke,

Den Du verdient so ritterlich, –

Du großer Künstler, Edler, Treuer,

Franz Liszt, Dein Land ist stolz auf Dich!


Die Worte dieses Begrüßungschores – verfaßt von dem lyrischen Dichter v. Schober; von Grill, dem Musikdirektor der deutschen Oper zu Pest, für Männerchor mit Begleitung des Streichquartetts in Musik gesetzt – wirkten ergreifend auf den Künstler. Kaum hatte er einige Dankesworte geäußert, als schmetternde Akkorde eines vollen Orchesters vom Hofraum herauf tönten und ihm einen der »Ungarischen Märsche« von Schubert, den der Virtuose in seinen Wiener Koncerten gespielt hatte und der in Folge dessen irrthümlich für seine Komposition gehalten worden war, vorführten. Liszt stieg auf die Gallerie. Die feurigen Accente, die scharfe und doch fliegende Rhythmik, das Nationale des Vortrags gefiel ihm so gut, daß er sich noch mehrere magyarische Stücke und Melodien vorspielen ließ. Es war ihm Heimatsluft, die er mit diesen Klängen einathmete, die im dunkelsten Moll und blitzenden Dur an sein Ohr drangen. Inzwischen verwandelte sich der Saal in einen Orchesterraum. Der Vortrag des Septuors von Beethoven, von den vorzüglichsten Künstlern und Dilettanten Pests9 ausgeführt, beschloß die musikalische Begrüßung.

Das Empfangskoncert im Palast Festetics hatte Liszt mit den besten musikalischen Kräften Pests bekannt gemacht und ihm diese zur Verfügung gestellt. Das war am 24. December. Liszt's Koncerte nahmen bald ihren Anfang und folgten einander in kurzen Zwischenräumen. Die ersten beiden waren am 27. und 29. December, zwei Koncerte, welche den Pestern Stellung zu dem Künstler gaben und den Charakter dieser Stellung bestimmten. Hatte[27] der Virtuos, der große Künstler jede ihrer hochgespannten Erwartungen übertroffen, so trat noch ein anderes Element hinzu, das noch entscheidender als jene Eigenschaften ihren Enthusiasmus auf eine keine Barrière mehr kennende Höhe trieb: die National-Individualität des Künstlers, die im Temperament und in der Art zu fühlen sich äußert – das Hineinspringen vom Schmerz in Siegestaumel, von Seligkeit in Schmerz. –

Liszt hatte Kompositionen von Beethoven, Weber, Schubert u.A., sowie mehrere seiner eigenen gespielt. Mit jedem Vortrag wuchs der Applaus. Der Künstler und sein Flügel standen, obgleich es Winter war, in einer Blumensaat, – größerer Beifall schien unmöglich. Und doch, als er ungarische Melodien, und dann die elektrisirenden, stolz stürmenden Rhythmen des Rákóczy-Marsches erklingen ließ, da war es, als habe plötzlich ein Blitz in die Versammlung geschlagen. Sie fühlte: das war Fleisch und Blut von ihrem Fleisch und Blut. Männer wie Frauen schnellten vor Erregung von ihren Sitzen empor, und ein Jubel, unermeßlich, unbeschreiblich, schlang sich wie eine sprühende Arabeske von Sturm und Feuer nm die kühnen Klänge des noch unter Liszts Fingern erbrausenden ungarischen National-Marsches.

Von diesem Abend an war er den Pestern mehr als Virtuos, mehr als Patriot: er war ihnen ein ungarischer Stern, der musikalische Genius ihres Landes.

Anderntags gab ihm der gesammte in Pest anwesende Adel in seinen Casinoräumen ein glänzendes Diner. Der erste Toast nach dem officiellen Königstoast wurde dem Künstler dargebracht; er sprach die Hoffnungen und Wünsche aus, welche Ungarn für eine vaterländische Kunst bezüglich seiner hegte. Liszt antwortete »wohl mit französischer Zunge«, wie er sagte, »aber mit ungarischem Herzen« durch einen Toast auf den »gesammten Fortschritt der vaterländischen Bildung«, der mit lauter Akklamation begrüßt wurde. Nun flogen und blitzten Toaste und Reden wie Brandkugeln herüber und hinüber. Die Stimmung wurde von Minute zu Minute lebendiger. Liszt blieb immer der Mittelpunkt. Endlich votirten viele der Anwesenden die Anfertigung einer Marmorbüste Liszts. In wenigen Augenblicken war eine bedeutende Summe subskribirt – doch der also Gefeierte protestirte:

»Was wollen Sie mit einer Lisztbüste? Lassen Sie uns das[28] Geld zu einem Stipendium zur Ausbildung eines vaterländischen Bildhauers, der uns gute Büsten vaterländischer Künstler fertigen kann, verwenden! Schicken Sie ein solches Talent zu mir nach Paris«, fügte er noch hinzu, »ich werde es an die besten Quellen führen. Und«, sprach er weiter, »wenn ich meine persönlichen Wünsche Ihnen aussprechen darf: lassen Sie uns daran denken, ein würdiges Konservatorium für Musik mit der Zeit in Ungarn zu schaffen, mit dessen Leitung Sie einst mich betrauen wollen –: mir wird es der Stolz meines Lebens sein, dem Vaterland meine Dienste widmen zu dürfen!«

Das waren für die Anwesenden neue Gedanken, neue Ideen. Sie wirkten zündend. Dachte in diesem Moment vielleicht auch Niemand ihre Verwirklichung und ahnte Niemand, daß Liszts Worte, unvergessen, eine still fortkeimende Saat werden sollten, die nach 40 Jahren das prophetisch erschaute Konservatorium zur Thatsache werden ließ, so waren sie auch nicht für den Augenblick verloren: sie zogen die Bande noch fester, die den Künstler und sein Vaterland bereits umschlangen. Sie brachten seine nationale Stellung zur Entscheidung. Die Begeisterung, welche seine Vorschläge erweckten, ward eine allgemeine. Als er am folgenden Tag seine Loge im Ungarischen Theater betrat, um einer Aufführung des »Fidelio« beizuwohnen, erhob sich stürmisch das ganze Publikum und begrüßte ihn mit Applaus und seinemÉljen-Ruf. Von da an war er ein öffentlicher Charakter, populär im vollsten Sinn des Wortes. Wo er sich zeigte, rottete sich das Volk zusammen, die éljens umschwirrten ihn von allen Seiten. Liszt selbst stellte von da an den Künstler in den Dienst des Patrioten. Die Einnahmen seiner noch folgenden, mit Ausnahme der beiden Koncerte am 6. und am 12. Januar, überwies er vaterländischen Stiftungen und Unterstützungszwecken.


  • Das Koncert am 2. Jan. war zur Hebung des Pester Musikvereins,

  • Das Koncert am 4. Jan. für das Nationaltheater,

  • Das Koncert am 8. Jan. für einen hülfsbedürftigen ungarischen Violinspieler, Namens Táborsky,

  • Das Koncert am 9. Jan. für die Ofener Blindenanstalt,

  • Das Koncert am 11. Jan. zur Gründung eines ungar. Konservatoriums für Musik.


[29] Alles ging Schlag auf Schlag. Ebenso war es mit den Ovationen, welche Liszt zu theil wurden. Den Privatcharakter streiften sie ab und wurden officiell; denn seiner Uneigennützigket und Hochherzigkeit gegenüber konnte nur die Stadt im Namen des Landes danken. Der Glanzpunkt derselben war am 4. Januar, als das Koncert in dem Nationaltheater und für dasselbe stattfand. Schon im vorhergehenden Koncert zur Hebung des Pester Musikvereins hatte der Enthusiasmus noch tieferen Ausdruck, als allgemeine Beifallsbezeugungen ihn geben können, gesucht. Hier war er mit der Kantate, die ihn im Palaste Festetics begrüßt hatte, empfangen worden, und nach den Schlußworten: »Franz Liszt, Dein Land ist stolz auf Dich!« hatte man ihm unter nimmer enden wollendem Beifallssturm des Auditoriums einen goldenen Lorbeerkranz überreicht. Doch war dieses, als vom. Musikverein ausgegangen, mehr Privatsache. Anders bei dem Koncert im Nationaltheater, wo ihm im Namen der Nation ein Ehrengeschenk überreicht wurde, eine national-symbolische Gabe, die seit Menschengedenken in Ungarn mit dem Begriff der Ehre und des ritterlichen Standes auf das engste verwachsen ist, aber auch nur vom national-ungarischen Standpunkt aus seine richtige Deutung finden konnte. Es war der seiner Zeit so viel Aufsehen erregende und so vielfach besprochene Ehrensäbel. Halb Europa nahm Anstoß an diesem Geschenke, ein kriegerischer Schmuck, eine kriegerische Waffe –, dem Ungarn so natürlich.

In diesem Lande hatte sich die Idee der Ritterlichkeit und nationalen Repräsentation durch die äußere Erscheinung noch ganz erhalten. Während in unserem Jahrhundert der ritterliche Degen schon lange von der Seite des deutschen, des französischen, überhaupt des europäischen Edelmannes verschwunden war, blieb der ungarische Magnat, der Magyar, noch immer von seinem Säbel so untrennbar, wie von seiner kleidsamen Nationaltracht. Beide gehörten zusammen. Den Säbel zu tragen war nicht das ausschließliche Recht des Edelmannes, sondern das Recht eines jeden durch Würden Ausgezeichneten, ohne Unterschied, ob die belohnten Verdienste der Arbeit des Friedens oder des Krieges gegolten hatten.

Gleich den meisten Magyaren trug Liszt während seines Aufenthaltes in Ungarn die magyarische Nationaltracht, doch ohne den Säbel, das Abzeichen des Verdienstes und des Adels. Dieses[30] Symbol sollte ihm jetzt, gewählt vom ungarischen Adel und dem Pester Komitat, als Ehrengabe überreicht werden. Man wollte hiermit den Landessohn ehren, Liszt's Adel des Geistes und der Kunst anerkennen und ausdrücken, daß der echte Künstler den Höchstgestellten gleich zu achten sei und alle Vorrechte verdiene, ein Gedanke, der, in Beziehung auf die Landessitte, sich nur durch den Säbel symbolisiren ließ.

Die Auszeichnung selbst vollzog sich im Nationaltheater, wo sie mit dem ganzen den ungarischen Feierlichkeiten so eigenthümlichen, noch an den Orient erinnernden Prunk begleitet war. Eine ungeheure Menschenmasse füllte das Theater, selbst die Koulissenräume waren in Sitzplätze umgewandelt. Auf der zum Podium dienenden Bühne umgaben Rundreihen von Fauteuils, besetzt von den in glänzender Toilette erschienenen Damen der höchsten Gesellschaft, den Flügel. Nichts erinnerte mehr an die Bühne, ein Hof schien versammelt, »um den Musen zu lauschen«, wie ein Augenzeuge sich ausdrückte. Des Künstlers Spiel war von tiefem Ernst getragen. Mit feierlicher Stille folgte ihm das Auditorium. Da erklang der Schlußton des letzten Stückes, und zugleich traten sechs Magnaten, unter ihnen die Oberhäupter Pests, – Graf Leo Festetics, Baron Paul Bánffy, Graf Dominik Teleki, Baron Antos Augusz, Rudolf von Eckstein und Paul von Nyáry – in voller glänzender National- und Amtstracht hervor. Graf Leo Festetics überreichte ihm mit einer kurzen Anrede in ungarischer Sprache das nationale Ehrengeschenk.10 Es war nicht der Säbel des ungarischen Fürsten Bathory, wie man irrthümlich verbreitete, auch nicht der eines anderen bekannten Helden des Vaterlandes, aber einer von alter getriebener Arbeit, die Scheide Silber und vergoldet, mit Edelsteinen reich besetzt. Als der Graf hervorhob, daß er ihm dieses Andenken in Uebereinstimmung und im Sinne Aller überreiche, erdröhnte das Haus unter dem Jubelsturm der Menge. Dann eine Todtenstille. Liszt hatte mit beiden Händen den Säbel ergriffen und drückte ihn feierlich aus Herz. Er versuchte zu danken. Mit bebender, doch bald fest werdender Stimme, rief er den Anwesenden zu:


[31] 11Mes chers Compatriotes!


Car ici il ne m'est guère possible de voir seulement un public –: Le sabre qui m'est offert par les représentants d'une nation, dont la bravoure et la chevalerie sont si universellement admirées, je le garderai toute ma vie, comme la chose la plus précieuse, la plus chère à mon cœur.

Vous exprimer par des paroles en ce moment, où la plus forte émotion oppresse ma poitrine, combien je suis profondement touché et reconnaissant de ce témoignage de votre sympathique estime, de votre chaleureuse affection, je ne le puis, en vérité Pardonnez moi donc mon silence sur ce point, et croyez bien que je ferai tous mes éfforts pour vous prouver, et bientòt j'espère, toute ma gratitude par des oeuvres et des actes, ainsi qu'il convient à un homme qui se glorifie d'être né parmi vous! –

Qu'il me soit pourtant permis de dire quelques mots dès aujourd'hui.

Ce sabre, qui a été si vigoureusement brandi autrefois pour la défense de notre patrie, est remis à cette heure entre da mains faibles et pacifiques. N'est-ce pas là un symbole? N'est-ce pas dire, Messieurs, que la Hongrie, après s'être couverte des gloire sur tant de champs de bataille, demande à cette heure aux arts, aux lettres, aux sciences, amis de la paix, de nouvelles illustrations? N'est-ce pas dire, Messieurs, que les hommes d'intelligence et de labeur ont aujourd'hui aussi une noble tâche, une haute mission à remplir au milieu de vous?

[32] La Hongrie, Messieurs, ne doit rester étrangère à aucune gloire – elle est destinée à marcher à la tête des nations, par son héroïsme, comme par son génie pacifique.

Et pour nous artistes, le satire nous est aussi une noble image, un éclatant symbole.

Des pierreries, des rubis, des diamants ornent le fourreau, mais ce ne sont là, que des accessoires, de brillantes futilitées.

La lame est au fond. Qu'ainsi il y ait toujours dans nos oeuvres sous les mille formes capricieuses dont se revêt notre pensée – comme la lame dans ce fourreau, l'amour de l'humanité et de la patrie, qui est notre vie même.

Oui, Messieurs, poursuivons par tous les moyens légitimes et pacifique l'oeuvre, à laquelle nous devons tous concourrir, chacun selon ses forces et ses moyens.

Et si jamais l'on osait injustement, violemment, nous troubler dans l'accomplissement de cette oeuvre, eh bien! Messieurs, s'il le faut, que nos sabres sortent encore du fourreau – ils ne sont point rouillés, et leurs coups seront terribles encore comme autrefois – et que notre sang soit versé – – jusqu'à la dernière goutte pour notre droit, le roi et la patrie!«


Glühend beredt waren diese Worte von des Künstlers Lippen geströmt. Mit endlosem Zujauchzen antwortete das Publikum. Dabei erhob sich ein Tumult. Diejenigen, welche der französischen[33] Sprache nicht hatten folgen können, bestürmten die anderen mit Fragen, bis der Obernotar von Augusz, welcher Liszt's Rede stenographirt hatte, sie in ungarischer Sprache vorlas. Ergriffen von ihrem Schwung, wiederholte er sie mit solchem Feuer und Ausdruck, daß der Jubelruf »Liszt Ferencz éljen« von neuem erscholl.

Als nun Liszt hinaustrat ins Freie, war der Platz vor dem Theater mit Tausenden von Menschen bedeckt. Der Rákóczy-Marsch ertönte und Fackeln, in den Händen der akademischen Jugend, umringten seinen Wagen. Einige wollten die Pferde ausspannen und den Wagen ziehen, aber Liszt gab es nicht zu. Nun setzte sich der Zug in Bewegung – gegen 20000 Menschen, Wagen an Wagen, Kopf an Kopf, ein Fackelmeer, wohin das Auge sah.

Der Zug war so groß, daß zwei vollständige Militär-Musikchöre, die an der Spitze und am Ende desselben marschirten und zugleich mit voller türkischer Musik spielten, sich nicht beeinträchtigten.

Liszt hielt es jedoch nicht lange im Wagen aus. Diese Situation, bemerkte er zu einem der im Wagen sitzenden Herren, komme ihm zu eitel vor. Bei dem Hateraner Thor sprang er heraus und ging zu Fuß. Die Achtung vor dem Gefeierten war so groß, daß ihm das Volk freien Raum ließ und er im Gehen nicht gehindert war. – Der Weg vom Theater bis zum Palaste Festetics war weit und führte fast durch die ganze Stadt. Auch hier waren alle Straßen, alle Plätze mit Men schen bedeckt; es schien als habe sich in den Straßen Pests die gesammte Population Pests und Ofens zusammen gefunden. Der Zug konnte nur Schritt für Schritt vorwärts gelangen. Endlich war er an seinem Ziel. Die breite Marmortreppe des Palastes war mit Fackeln besetzt und vor dem Portal wurde dem Künstler nochmals in kurzer, kräftiger Rede für seinen Anschluß an die nationalen Bestrebungen gedankt. »Man hoffe«, schloß der Redner, »daß ein solches Beispiel eine Anregung gegeben, die sicherlich für das ganze Land edle Früchte bringen werde«.

Trotz der beißenden Kälte einer Winternacht währte die Aufregung vor dem Palast bis tief in die Nacht hinein. Ein Menschenschwarm löste den andern ab und mehrmals mußte Liszt dem ungestümen Rufen nachgeben und sich am Fenster zeigen.[34]

Des andern Tages erschien eine Deputation bei Liszt, welche ihm das Ehrenbürger-Diplom der Stadt Pest überreichte. In der hierüber stattgefundenen Komitatsverhandlung der adeligen Stände wurde speciell seiner Unvergleichlichkeit als Künstler, sowie des glänzenden Beispiels gedacht, das er der Nation durch die namhaften Summen gegeben, die er mit eben so großer Selbstverleugnung als Vaterlandsliebe zur Förderung patriotischer Institute und Zwecke der Stadt übermachte, – darauf sie einstimmig antrugen, daß die Stände bei Seiner Majestät dem König um seine Erhebung in den Adelstand einkommen möchten, was auch sofort geschah12.

Am 6. Januar gab Liszt ein Koncert für sich, am 8. Januar eines für den allgemein geschätzten, aber durch Unglücksfälle mit seiner Familie hülfsbedürftig gewordenen ungarischen Violinspieler Táborsky, am 9. Januar war er in Ofen, wo er im Palais der Gräfin Keglevich zum Besten des dortigen Blindeninstituts spielte. Es war ein kalter Winter und ein besonders kalter Tag. Eisschollen trieben auf dem zur Winterszeit damals von Pest nach Ofen noch unüberbrückten Strom und machten theilweise die Überfahrt gefährlich. Der Enthusiasmus erblickte aber hierin kein Hindernis; denn nicht nur die Männer, auch viele der Damen der Pester Aristokratie betheiligten sich an der Fahrt, um der matinée in Ofen beizuwohnen.

Am 11. Januar fand Liszt's großes Koncert im ungarischen Theater statt, dessen Ertrag er als Grundlage des Fonds[35] zur Errichtung des zukünftigen Landeskonversatoriums für Musik bestimmte. In diesem Koncert trat er als Klavierspieler und Dirigent auf. Das Programm selbst war ein auserlesenes, das zugleich den Charakter der zukünftigen Anstalt andeuten sollte. Es enthielt nur Kompositionen von Beethoven, Haydn, Mozart, Schubert, Weber. Zu ihrer Ausführung hatte Liszt die gesammten künstlerischen Orchester- und Chorkräfte Pests vereinigt. Nur er führte an diesem Abend den Dirigentenstab, aber mit einer Sicherheit und Gewandtheit, als wäre sein Platz stets am Dirigentenpult gewesen.

Am 12. Januar endlich war sein Abschiedskoncert. Wieder waren alle Räume des Koncerthauses besetzt. Diesesmal aber rief er nicht nur den Jubel des Enthusiasmus und des Entzückens hervor: auch Segenswünsche mischten sich in ihn. Man drückte seine Hände, man küßte sein Kleid, graubärtige Männer umarmten ihn und nannten ihn den »Friedensgenius des Landes«. Kaum daß er sich mit seinen Begleitern durch den Saal, durch die mit Menschenmassen gefüllte Straße hindurch zu seiner Wohnung drängen konnte.

Nach dem Koncert wartete Liszt's noch ein glänzendes Fest – Souper und Ball – von den Damen Pests ihm zu Ehren veranstaltet. Es bildete den Beschluß der vielen Festlichkeiten, welche ihm während seines Aufenthaltes in Pest in Form von Diners, Soupers, Soiréen ununterbrochen gegeben worden waren. Alle Salons hatten um sein Erscheinen gebuhlt. Dem Genie und Prestige seines Wesens beugten sich Alle, und der sonst so stolze ungarische Adel drängte sich um seine Person, als wäre er ein mächtiger Fürst. Seine Abstammung von dem Grafen Thursò galt als Thatsache und selbst Personen der höchsten Stände brachten ihm die Vetterschaft entgegen. Nicht minder hatten ihn die untern Klassen umdrängt. Seine Zimmer und Vorzimmer wimmelten von Besuchen, Aufwartungen und Supplikanten aller Art, von Leuten, die ihm ihre Huldigung und Freundschaft bezeugen, mit ihm bekannt, häufig auch verwandt sein wollten. Ein anderer nie endender Zug stand mit Bittschriften in den Händen vor ihm und verlangte Rath, Hülfe, Sicherung der Existenz und des Lebensglückes. Dann wieder brachte man Kinder, musikalische Wunderkinder und Talente aller Art zu ihm, die er anhören, beurtheilen, unterstützen und versorgen, wenigstens segnen sollte. Und alle hörte er geduldig an. Unermüdlich ertheilte er Rath, half und unterstützte, wo er[36] konnte. Kein Wunder, daß man ihn vergötterte. Und doch schien er in dem Kreise seiner intimen Freunde, in den er sich am liebsten zurückzog, um von den Fatiguen der Öffentlichkeit und Popularität auszuruhen, noch liebenswerter. Hier war er so unbefangen, so kindlich heiter, so geistreich und doch so bescheiden einfach, als wüßte er gar nichts von all dem Tumult, in den er die Stadt, ja das ganze Land versetzt hatte, als sei zum mindesten nicht er die Person, der all der Jubel galt. Und wie er im öffentlichen Leben die Ovationen von seiner Person ab und auf die Bildungsziele des Landes hinzulenken verstand, so wußte sein feiner Takt auch hier allen Zwang ferne zu halten und die ihm geltenden Huldigungen in eine allgemeine Freuden- und Feststimmung zu verwandeln. Diesen Charakter trug auch das letzte, ihm von den Damen der Stadt gegebene Fest, das an Glanz alle früheren überstrahlte. Acht Damen hatten die Honneurs übernommen. Zum Abzeichen von den anderen waren sie mit Epheu und Immortellen geschmückt und präsidirten an den verschiedenen Tafeln bei Thee und Souper. Zu dem durch seine Schönheit und stolze Haltung berühmten ungarischen Frauenflor, der jetzt noch gehoben erschien durch glänzende prachtvolle Geschmeide und elegante Toiletten, bildete das ausgesuchte Arrangement der Räume eine schimmernde Folie. In allen Sälen war Leben, hier Ball, dort Tafelfreuden, in einem andern Konversation; ein Lichtmeer umflackerte das bunte Wogen und Treiben – ein feenhaftes Fest!

Liszt erwiderte dasselbe mit einer Soirée, welche er den Damen gab. Diese erschienen sämmtlich en pleine parure. Doch war dieses Fest nicht das einzige von ihm gegebene. Die Gastmahle der Herren hatte er mit großen Diners erwidert, die er jedoch nicht nur den Aristokraten gab, sondern ohne Unterschied fanden sich hier Magnaten und Künstler, Kaufleute und Gelehrte in bunter Reihe zusammen. Er besaß das Geheimmittel, Menschen, die sich sonst kaum berührten, zu unbefangen heitern Gesellschaften zu verschmelzen. In diesen Tagen, da Liszt das aristokratische Pest – es läßt sich im wahren Sinne des Wortes sagen – beherrschte, schien der humane Gedanke, daß Bildung die Rangesunterschiede aufhebe, eine Wahrheit geworden.

Als nun Tag und Stunde seiner Abreise heran kam, zeigte sich ein bewegtes Leben auf den Straßen. Wagen an Wagen rasselten vor den Festetics'schen Palast. Eine Menge Herren,[37] Magnaten und Celebritäten des Landes, gaben ihm das Geleite bis zu dem Platz des Donauufers, von wo er über den Strom zu fetzen hatte. Hier war alles von Volksmassen bedeckt.

Lebewohl und Glückwünsche folgten ihm und erneuerten sich, so oft der bald durch aufgestaute Eisschollen verdeckte, bald sichtbar werdende Nachen ihrem Auge sich zeigte. Es war ein interessantes Schauspiel. Die Wintersonne stand in seltener Pracht am Himmel und spiegelte sich in unzähligen Strahlenbrechungen in dem stellenweise mit Eisinseln bedeckten, stellenweise lichte Wasserflächen zeigenden Strom. Zwischendurch trieben krachend und sich bäumend in einander geschobene mächtige Eisschollen, sich hier gegenseitig zerschellend, dort ineinander sich schiebend und sich thürmend und aufbauend zu phantastischer Eisburg. Die Schiffer im Kahn – ihrer Sicherheit wegen mit Seilen befestigt – zogen kreuz und quer, die Eisblöcke umschiffend, die Wasser durchschneidend. Sie stiegen ein und aus: über Eisflächen den Kahn ziehend und dann wieder bei eisfreien Stellen ihn hineintreibend in die Flut – so ging es fort bis an das jenseitige Ufer.

Hier wartete Liszt's ein Wagen, der ihn nach Raab brachte, wo er von dem seiner Zeit als liebenswürdig und geistreich viel gerühmten Grafen Casimir Esterházy empfangen und in das erzbischöfliche, ihn als Gast aufnehmende Palais geleitet wurde. Ein solennes Gastmahl feierte seine Ankunft. – In einem Koncert, das er in Raab gab, war die herbeigeströmte Menschenmenge in einen solchen Taumel versetzt, daß man seine Handschuhe, deren man habhaft geworden, zerriß und sich um die Fragmente raufte.

Von Raab aus fuhr er nach Preßburg, wieder begleitet von Graf Casimir Esterházy, bei dem er wahrend seines dortigen Aufenthaltes wohnte. Ueber eine Woche blieb er hier. Mehrere Koncerte, meist wieder für öffentliche und Wohlthätigkeitszwecke, lösten in kurzen Zwischenräumen einander ab. In einem Koncert des Kirchenmusik-Vereins am 26. Januar trat er auch als Dirigent auf mit der Tell- und Oberon-Ouverture, nebst zwei Chören aus »Semiramide«. Preßburg war somit die zweite Stadt Ungarns, in der er mit dem Taktirstock in der Hand debütirte.13 Durch dieses Koncert, nach welchem ihn der genannte Verein zu seinem[38] Stiftungs-Mitglied ernannte14, knüpften sich feste Bande mit dieser Stadt. In dankbarem Rückblick auf die Lebensentscheidung, die sich hier für ihn vollzogen, hegte er ohnedies besondere Anhänglichkeit für sie, die ihrerseits in unverbrüchlichem Glauben an seine Künstlermission verharrte. Seine späteren großen Vokalwerke fanden hier einen Heimaths- und Ehrensitz.15 Kein Mißton störte je diese Beziehungen, die sich rein erhielten bis über das Grab hinaus. –

Nun kehrte Liszt zurück nach Wien. Aber noch einmal zog es ihn hinüber nach Ungarn: er wollte Reiding16, den Platz seiner Wiege und Kindheit, wiedersehen. Zu diesem Zweck reiste er nach Oedenburg, von wo aus Reiding leicht zu erreichen war, blieb aber vordem einige Tage in Oedenburg. Wie in den andern Städten zunächst machten ihn hier seine Kunst und Noblesse unvergeßlich. Die Einnahmen seiner Koncerte wanderten wieder größtentheils in städtische, für allgemeine Zwecke bestimmte Kassen und wieder war er ein Wohlthäter und Helfer, dem Patriotismus ein Vorbild. Mit den Koncerten wechselten öffentliche Tafeln und Festivitäten, die ihm die Gesammtheit der Stadt, insbesondere der an ihrer Spitze stehende kommandirende Fürst Auersperg und andere Private bereiteten.

Wie Pest, ernannte ihn auch Oedenburg zu seinem Ehrenbürger.

Von hier aus unternahm Liszt in Begleitung mehrerer Freunde seinen Ausflug nach dem nahen Dörfchen Reiding – »im gläsernen Wagen«, wie einst bei feinem Abschied die Frauen des Dorfes prophezeit hatten. Sein Besuch hatte einen ungemein innigen Charakter, dem kleine Ueberraschungen ein ländlich-reizendes Kolorit verliehen.

Liszt wollte ganz im Stillen Reiding besuchen. Freunde jedoch hatten sein Kommen vorbereitet. Schon halbwegs kam ihm eine Schaar Berittener entgegen und bildete eine Ehreneskorte. Es waren vierzehn zum Komitat Oedenburg gehörende kräftig gebaute Bursche, in gleicher Größe, gleicher Tracht, im größten Staate mit Federbusch und Schärpen. Von dort liegenden Herrengütern entsendet, umgaben sie seinen Wagen als Vor- und Nachtrab.[39] Am Eingang des Dorfes selbst empfingen ihn der Ortsrichter, Pfarrer und Schulmeister, hinter ihnen die ländlichen Bewohner, Männer und Frauen, jung und alt, alle im Sonntagsputz. Mit Musik geleiteten sie ihn feierlichst zu der kleinen Kirche, wo ein Hochamt seiner wartete und in der er als Knabe so oft und so inbrünstig gebetet hatte.

Und wieder schien ein feurig inbrünstiges Gebet dem Adlerflug seiner Seele zu entsteigen. Als er sich von den Knien erhob, sahen seine Begleiter, wie diese erzählten, eine Thräne in seinem Auge und auf seinem genialen Antlitz einen so hohen Ernst, daß sie wie in Scheu vor ihm sich zurückhielten. Erst als die Kirche wieder verlassen war und man vor dem Hause stand, das einst Adam Liszt bewohnt hatte, stellte sich der ungezwungene, heitere Ton wieder ein.

Jetzt wohnte hier ein Jäger mit seiner Familie. Manches war verändert, doch Liszt erkannte bald jeden Winkel wieder. Mit kindlicher Freude gab er sich seinen Erinnerungen hin. – Da war das Schlafzimmer seiner Eltern, – hier standen ihre Betten, dort sein eigenes – das dort war das Wohnzimmer, dies die Wand, an der die Bildnisse Haydn's, Mozart's und Beethoven's gehangen: da war sein Spieltisch, da sein Klavier. Und das, ja das war der dunkle Winkel, wo er die Thaten seines Uebermuthes abbüßen mußte, als seine Freude an Experimenten Pulver entzündete und nahezu ein Unglück angerichtet hätte! Auch einen Platz zeigte er, wo ein alter Musiker ihm im Reich der Töne eine große Zukunft prophezeit und er lautlos, mit Herzklopfen und mit unbeschreiblichem Verlangen seinen Worten gelauscht hatte.

Bewegt trat er wieder unter die vor dem Haus versammelten Dorfbewohner, die mit Festmarsch und éljen sein Zurückkommen begrüßten.

Der Zug ging nun zum Ortsrichter. Hier hinterlegte der Künstler eine Geldsumme, theils zur Anschaffung einer Orgel, theils für die Armen des Dörfchens.

Während dessen war im Freien, trotz Winter und Schnee, ein Volksfest improvisirt worden. Die Musik war in Tänze übergegangen und die stattlichen Bursche und die nicht minder stattlichen Mädchen drehten sich lustig im Reigen. Liszt ließ Speise und Trank, so viel nur aufzutreiben war, unter die Fröhlichen tragen, was die Stimmung zum Jubiliren nicht minderte. Und als er nun aus der[40] Thür des Richters trat, da war des Jauchzens kein Ende, – eines der Mädchen aber, die schönste, faßte ihn keck am Arm und, nolens volens, schwang er sich unter Hüteschwenken und Freuderufen mit ihr im Tanze.

Unter Segnungen und Glückwünschen verließ der Künstler, umgeben von seiner berittenen Garde, das Heimathsdorf.

Hiermit schloß Liszt's Besuch in Ungarn. Es war der erste Gruß, den er nach langer nahezu entfremdender Abwesenheit persönlich in Vaterland und Heimath getragen. –


Liszt's Geburtshaus steht noch heute wie früher17. Aber eine Gedenktafel in Marmor mit Goldschrift, seit 1881 daselbst am Eingang in die Mauer eingesetzt, hemmt des Wanderers Schritte und er liest:


»ITT SZÜLETETT LISZT FERENCZ 1811

OKTOBER 22-ÉN HÓDOLATA JELÉÜL A

SOPRONI IRODALMI ÈS MÜVÉSZETI

KÖR.«18

Fußnoten

1 I. Bd., XXV. Kapitel.


2 Siehe Fr. Liszt's »Gesammelte Schriften« (deutsch bearbeitet von L. Ramann) VI. Bd., S. 282 u.f.


3 Die harmonische Molltonleiter mit übermäßiger Quart.


4 Ohne den ungarischen Zigeunermusiker ist die volksthümliche Musik Ungarns undenkbar, mochte hierbei jenem das musikalische Erstlingsrecht zu fallen oder nicht. Diese wohl für immer schwebend bleibende Frage versucht Fr. Liszt in dem vorgenannten Buche zu beantworten. Wie dem aber aus bezüglich ihrer sei, eines wird dem zigeunerischen Musiker wohl für immer zu gestanden werden müssen: daß durch ihn die volksthümliche Musik Ungarn Instrumentsprache geworden ist. In anderen Ländern ist die Volksmusik durch alle Zeiten vokal geblieben.


5 Siehe I. Bd., S. 483 u.f.


6 Obiger Brief, nach einem Abdruck des Originals aus Ritter v. Schober's »Briefe über Fr. Liszt's Aufenthalt in Ungarn« (Berlin 1843, Schlesinger), befindet sich deutsch im »Fester Tageblatt«, zeitschriftliches Organ für Wissen, Kunst etc. 1839, Nr. 289, S. 3276, Donnerstag den 5. Dec. 1839.


7 Im »Pester Tageblatt« erschien der Brief ohne Datum.


8 Das »Pester Tageblatt« nennt den 23. December, Schober's Briefe den 24. Dec. als den Tag seiner Ankunft – eine Divergenz, die schließlich nichts zur Sache thut.


9 Zu Ehren des Künstlers hatte der ausgezeichnete Violoncellspieler Franz Graf Brunszwick die Partie dieses Instrumentes übernommen.


10 Seit 1887 befindet sich dieser Ehrensäbel im National-Museum zu Pest.


11

Meine lieben Landesbrüder!


Denn hier ist es mir unmöglich, nur ein Publikum zu erblicken – der Säbel, der mir soeben von den Vertretern einer durch Heldenmuth und Ritterlichkeit allgemein bewunderten Nation überreicht worden ist – en wird mein ganzes Leben hindurch gleich einem meinem Herzen theuersten und kostbarsten Gut von mir bewahrt werden!

Ihnen aber in diesem Augenblick, wo mein Herz auf das Tiefste ergriffen ist, in Worten auszudrücken, wie tief gerührt und wie dankbar ich Ihnen für diesen Beweis Ihrer sympathischen Achtung und warmen Zuneigung bin, wahrlich! das vermag ich nicht. Verzeihen Sie darum mein Schweigen und glauben Sie mir, daß ich meine Kräfte zusammennehme werde, um Ihnen durch Werke und Thaten, wie es dem aus Ihrer Mitte hervorgegangenen Manne geziemt, und hoffentlich bald meine Dankbarkeit beweisen zu können. –

Nur einige Worte möge mir erlaubt sein noch heute zu sagen.

Dieser Säbel, der einst zur Vertheidigung des Vaterlandes kraftvoll geschwungen worden ist – er ward zu dieser Stunde in schwache friedliche Hände gelegt. Ist das nicht ein Symbol? heißt das nicht soviel, meine Herren, als daß Ungarn, ruhmbedeckt durch viele Schlachten, zu dieser Stunde die Künste, die Wissenschaften, diese Freunde des Friedens, anruft zu neuer Illustration seines Ruhmes? heißt das nicht soviel, meine Herren als daß die Männer der Intelligenz und der Arbeit in unseren Tagen auch eine edle Aufgabe, eine hohe Mission in Ihrer Mitte zu erfüllen haben?

Dem Ungarland, meine Herren, darf keine Art des Ruhmes fremd bleiben – es ist berechtigt mit an die Spitze der Nationen zu treten kraft seines Heldenthums, kraft seines Friedensgenius.

Auch uns Künstlern ist das Schwert ein edles Vorbild, ein leuchtendes Symbol.

Köstliches Gestein, Rubine und Diamanten zieren die Scheide – und doch ist sie nur eine Hülle, nur ein vergänglicher Glanz.

Der Stahl ist im Innern. So mögen die Gedanken unserer Werke, trotz tausendfach launenhaft umhüllender Formen, wie der Stahl in dieser Scheide, der Liebe, der Humanität, dem Vaterland, das unser Leben selbst ist, gelten.

Ja, meine Herren, lassen Sie uns mit allen rechtlichen und friedlichen Mitteln das Werk fortsetzen, an dem wir alle mithelfen müssen, Jeder nach Kraft und Vermögen.

Und sollte man ungerechter oder gewaltsamer Weise es wagen, uns an dem Vollbringen unserer Arbeit zu hindern – wohlan! meine Herren, muß es sein, ziehen wir unsere Säbel aus der Scheide – sie sind nicht eingerostet und ihre Streiche werden furchtbar sein, wie ehemals – es ströme unser Blut – – bis zum letzten Tropfen für unser Recht, den König und das Vaterland!«


12 Diese Eingabe erschien Vielen überflüssig, da die Familie Liszt eine adelige von altersher sei. Schon vor des Virtuosen Ankunft hatten ungarische Blätter auf diesen Umstand hingewiesen. Das »Pester Tageblatt« Nr. 303, vom Samstag den 2. Dec. 1839 (S. 3449), bringt folgende Notiz:


»Liszt ein Edelmann.«


»Die ›Rajzolatok‹ theilen zum Beweise, daß der gefeierte Claviervirtuose Franz Liszt aus altem ungarischen Geschlechte sei, dessen Ahnen mit dem berühmten Hause Thurzó in naher Verwandtschaft standen, eine Urkunde mit, welche Graf Georg Thurzó, nachheriger Reichspalatin, an seinen Anverwandten Kaspar Liszt geschrieben, und die wir in möglichst getreuer Übersetzung den Verehrern unseres ausgezeichneten Landsmannes mittheilen:


›Egregio et nobili Gasparo Liszt, meo amico perq. dilecto immanucatur praebente semet occasionePosony‹

›Gott segne Euch, mein Herr Kaspar Liszt, meinen geliebten guten Anverwandten etc.‹«


Hierauf folgt die Wiedergabe des ganzen Briefes, datirt: Wien, 18. Juni 1606; unterzeichnet: Graf Georg Thurzó.


13 »Wiener allg. musik. Anzeiger« 1840, Nr. 7. – »Preßburger Zeitung« 1886, Nr. 237 –: »Franz Liszt's Koncerte in Preßburg« von Joh. Batka.


14 Der Kirchenmusik-V. ist die älteste Musikgesellschaft Preßburgs.


15 Siehe »Grauer Messe« und »Königslied«.


16 Das ungarische Dorf Doborján.


17 Es gehört zum fürstlich Esterhazy'schen Besitz. Sein hochtalentirter Schüler und Verehrer, »der einarmige Virtuos« Géza Graf Zichy, hatte die Absicht es zu kaufen, um es vor dem Verfall zu schützen, 1880/81. Allein nicht nur, daß es nicht erwerblich war: es wehrte auch der Meister hiervon ab. Der »Oedenburger Verein für Kunst und Literatur« ließ es sich jedoch nicht nehmen, eine Gedenktafel zu stiften. Sie wurde festlich im Beisein des Meisters am 7. April 1881 enthüllt. Zu den Anwesenden zählten außer dem obengenannten Verein: Géza Graf Zichy, Pros Dr. Franz von Liszt (der Neffe und Namenserbe des Meisters), A. Goldschmidt (der Komponist der »Sieben Todsünden«), von Bösendorfer (ein ihm treuergebener vieljähriger Freund, Chef der berühmten Flügelfabrik Bösendorfer in Wien), Vicegespan Simon, der obige Verein, u.A.


18 Auf deutsch: »Hier wurde Franz Liszt am 22. Oktober 1811 geboren, als Zeichen der Huldigung der Oedenburger Verein für Kunst und Literatur«.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1887.
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